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Angela Eßer (Hrsg.)

 

Tatort Weinland Pfalz

 

17 Kriminalgeschichten

 

 

 

 

ars vivendi

 

Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (Erste Auflage September 2017)

 

© 2017 by ars vivendi verlag GmbH & Co. KG, Bauhof 1, 90556 Cadolzburg

Alle Rechte vorbehalten

www.arsvivendi.com

 

Lektorat: Stephan Naguschewski

Umschlaggestaltung: FYFF, Nürnberg

Coverfoto: © kemai/photocase.de

Karte: © 2017 Zum Wohl. Die Pfalz, Neustadt - das Portal für die Pfalz

 

Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag

 

eISBN 978-3-86913-855-8

 

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Mehr Infos zum Weinland Pfalz finden Sie unter www.pfalz.de

 

Beate Maxian – Im Wein liegt die Wahrheit!

Niemals sollte man denken, dass die Dinge durch Zufall geschehen. Eine Weinrebe wächst nicht, weil sich die Natur das mal eben so ausgedacht hat. Sie wächst, weil sie die Früchte der Wahrheit trägt. Eine Flasche Weißer Burgunder auf dem Tisch bringt oft mehr Wahrheit zutage als monatelange Sitzungen bei einem Psychologen.

Und deshalb sei jedem geraten, steh auf und geh, solange dir noch Zeit dazu bleibt. Denn wenn einmal das vierte Glas Wein getrunken, gibt es kein Entrinnen mehr. Dann wird nur mehr die Wahrheit gesprochen.

Martin: »Bleib doch noch ein bisschen sitzen, Rolf! Lass uns noch eine Flasche vom Weißen Burgunder trinken, heute ist doch der Sterbetag von der Hanna. Da hast noch ein Glas.«

Rolf: »Wir haben doch schon eine Flasche auf die Hanna leer getrunken, Martin. Ich muss jetzt gehen. Ich spüre nämlich den Wein schon ein wenig.« Er setzt sich wieder. »Egal, bei dir im Weinkeller ist es echt gemütlich, seit du ihn zu einer Trinkstube ausgebaut hast, mit all den gemauerten Weinregalen. Sieht fast aus wie in einer Vinothek. Zum Wohl, auf die Hanna!«

Martin: »Auf die Hanna! Meine Hanna, das war schon eine liebe Ehefrau.«

Rolf: »Obwohl … ihr habt schon sehr oft gestritten. Das war manchmal zum Fremdschämen, Martin.«

Martin: »Das war wegen ihrem Dickkopf … ich meine, ich hab auch einen. Aber der von der Hanna war schon größer als meiner. Ganz schlimm wurde es, als unsere Susanne ausgezogen ist. Da war die Hanna etwas über vierzig. Das ist ein schlimmes Alter für Frauen, sage ich dir. Da wollen sie auf einmal noch etwas erleben.«

Rolf: »Ach ja … an die Zeit kann ich mich gut erinnern. Kam da nicht dieser … wie hieß er? Mirko? Da kam doch dieser Mirko.«

Martin: »Der Blender, der Elendige. Aus Kragujevac war er, und Perc hat er geheißen. Lauter Vatsch und Tsche. Wenn ich das nur höre … das kann doch kein normaler Mensch aussprechen.«

Rolf: »Aber attraktiv war er, und deiner Frau hat er gefallen.«

Martin: »Was willst du jetzt von mir hören? Ich war damals fünfzig, habe jeden Tag von früh bis spät im Weingarten oder Keller gearbeitet. Abends war ich schmutzig und verschwitzt und wollte nur noch meine Ruhe haben. Der Mirko war damals Mitte dreißig und ein sportlicher Muskelprotz. Noch dazu fuhr er ein schwarzes 3er-BMW-Cabrio. Bei der Weinbergwanderung Höllenpfad hat er der Hanna schöne Augen gemacht, und sie ist darauf reingefallen.«

Rolf: »So ein Flirt bei einer Wanderung durch die Weinberganlagen, das kann man noch verstehen. Aber dass sie gleich mit ihm nach Österreich an den Wörthersee gefahren ist …«

Martin: »Urlaub von der Ehe! So ein Blödsinn. Aber so sind sie, die Frauen. Da ist mir der Weiße Burgunder hier am Tisch schon viel lieber. So ein Wein, das ist halt etwas Ehrliches, etwas Bodenständiges, eine klassische, wunderbare Rebe. Da weiß man, was man hat. So ein Wein belügt einen nicht. Hast du gewusst, dass es Weinexperten gibt, die den Weißen Burgunder als erotischen Vollmondwein bezeichnen?«

Rolf: »Erotischer Vollmondwein? Ich brauche keinen Weinexperten, um zu wissen, dass dir der Wein schon immer lieber war als die Frauen. Obwohl früher … da warst du kein Kostverächter. Weißt du noch, wie wir beide im Laufhaus in Saarbrücken waren? Du mit der feschen Irmi aus Bayern.«

Martin: »So etwas vergisst man doch nicht. Die Irmi war einmalig und für alles zu haben, wenn du verstehst, was ich meine.«

Rolf: »Hast du das der Hanna jemals erzählt?«

Martin (entrüstet): »Bist du blöd? Bei einem Mann ist das auch ganz etwas anderes. Man lebt ja nur einmal. Außerdem betrügt man seine Ehefrau mit einer Nutte nur ein bisschen, also nicht richtig. Aber der Mirko! Seine Finger waren regelmäßig an meiner Frau dran. Dein Glas ist schon wieder leer. Gib her, ich schenk dir nach. Prost!«

Rolf: »Prost, Martin. Dein Weißer Burgunder ist wahrlich ein edler Tropfen … die Frucht schmeckt man gut am Gaumen.«

Martin: »Sag ich doch … ist auch mein Lieblingswein, obwohl mein Riesling und der Müller-Thurgau auch nicht von schlechten Eltern sind.«

Rolf: »Ausgezeichnet, dieses Aprikosenaroma. Der ist dir diesmal ganz besonders gut gelungen.«

Martin: »Bei der Lese von dem Wein, den du jetzt trinkst, warst du doch dabei. Wahnsinn, damals war die Hanna schon zwei Jahre tot.«

Rolf: »Du, Martin, was mich schon lange interessiert. Wie hast du es eigentlich geschafft, den Mirko loszuwerden?«

Martin: »So wie ich es dir damals erzählt habe. Ich hab ihn zur Rede gestellt, ihn angebrüllt und ihm ein paar Ohrfeigen angedroht, wenn er sich noch einmal in der Nähe meiner Frau blicken lässt.«

Rolf: »Da hat er sich gefürchtet?«

Martin: »Natürlich! Vor einem richtigen Winzer hat sogar der Dreckskerl Respekt gezeigt. Und die Hanna habe ich vor die Alternative gestellt: ICH oder ER! Wie sie gesagt hat, sie bleibt bei mir, war er ganz schnell weg. Angeblich zurück nach Serbien, ich weiß es nicht genau. Jedenfalls habe ich ihn nie wieder zu Gesicht bekommen!«

Rolf: »Und dann habt ihr euch wieder versöhnt, du und die Hanna?«

Martin: »Ja.«

Rolf: »Angebrüllt? Du? Das hätte ich dir gar nicht zugetraut. Du bist doch sonst eher ein … Phlegmatiker. Und wie geht es dir mit dem Alleinsein?«

Martin: »Ich bin selber überrascht, dass ich den Tod von der Hanna so gut verarbeitet habe. Die Arbeit in den Weinbergen hat mich abgelenkt. Jetzt hoffe ich, dass die Susanne und ihr Mann bald übernehmen, weil es für mich immer beschwerlicher wird. Immerhin sind wir ein alter Traditionsbetrieb. Winzer in der vierten Generation. Kannst du dich noch erinnern, der Keller, in dem wir jetzt sitzen, war ­früher viel zu feucht. Die Hanna und ich haben alles trockengelegt und sogar ein WC für unsere Kunden eingebaut. Seitdem bleiben unsere Gäste gerne lange sitzen.«

Rolf: »Die Leute haben damals viel geredet, als der Mirko so plötzlich verschwunden ist.«

Schweigend trinken die beiden Männer ihr Glas Wein leer. Martin gibt sich sichtlich einen Ruck.

Martin (dreht das Glas): »Rolf, ich hab dir nicht die ganze Wahrheit gesagt, was die Hanna und den Mirko anbelangt.«

Rolf: »Das habe ich mir damals schon gedacht. Ich kenne dich über vierzig Jahre und merk, wenn du lügst. Hast ihm Geld angeboten, damit er abhaut?«

Martin: »Nun, wie soll ich es dir sagen? Also gut. Ich hab den Mirko nicht zur Rede gestellt. Kennst mich doch. Ich bin feig. Er ist nicht wegen mir gegangen, er hat ein junges, hübsches Mädchen kennengelernt. Und ja, ich Idiot hab ihm sogar noch Geld gegeben, damit er nur schnell genug abhaut.«

Rolf: »Das hab ich mir gleich gedacht, dass du bezahlt hast.«

Martin: »Gib dein leeres Glas her! Ich schenk dir nach. Brot und ein Aufstrich stehen auch noch am Tisch, nimm dir einfach.«

Rolf: »Danke, wir sollten wirklich etwas essen, wenn wir so weitertrinken. Jetzt erzähl!«

Martin: »Ich glaub, dass ihm das Verhältnis mit der Hanna auf Dauer zu mühsam war. Und vielleicht war sie ihm am Ende doch zu alt. Außerdem war sie echt dick. Du hast sie doch gekannt. Mir hat das nichts ausgemacht. Schau mich an! Mein Bauch … meine hundertzwanzig Kilo. Eine Waage hab ich schon zu Schrott getreten. Ich hab mir damals gedacht, was interessiert so einen Sportstypen meine Hanna. Vielleicht hat er einen Mutterkomplex? Vielleicht hat ihm das aber doch gefallen.« Er stößt sein Glas gegen das seines Freundes. »Da, Rolf. Prost, auf uns!«

Rolf: »Hat die Hanna gewusst, dass der Mirko wegen einer anderen gegangen ist und du ihm Geld gegeben hast?«

Martin: »Nein, sie hat nur meine andere Version gekannt und geglaubt. Ich wollte Stärke zeigen, immerhin musste ich meinen Ruf in Grünstadt wiederherstellen. Die haben doch hinter meinem Rücken alle gelacht. Wahrscheinlich hätte sie die Wahrheit auch gar nicht ertragen.«

Rolf: »Jetzt ist es auch egal. Die Hanna lebt nicht mehr, und dein Ruf ist tadellos. Was ist denn? Du bist auf einmal so nachdenklich. Soll ich gehen, magst du alleine sein?«

Martin: »Nein, nein. Bleib da. Es tut gut, dass ich mit jemandem reden kann. Du bist ein echter Freund, Rolf. Oder, das bist du doch?«

Rolf: »Natürlich.«

Martin: »Prost! Heute trinkt sich der feige Martin Mut an. Ich bin nämlich noch nicht fertig mit meiner Geschichte. Ich hab das Auto vom Mirko genommen und verkauft!«

Rolf: »Verkauft? Wo denn?«

Martin: »Frag nicht. Es gibt Orte, da will keiner Papiere sehen, sondern nur ein günstiges Auto kaufen. Das hab ich vorher alles ausgekundschaftet.«

Rolf: »Das ist Diebstahl. Wegen dem Idioten machst du dich strafbar?«

Martin: »Schaut das hier so aus, als säße ich im Gefängnis?«

Rolf: »Was hast du mit dem Geld gemacht? Einen Versöhnungsurlaub mit der Hanna?«

Martin: »Nein, damit habe ich das Trockenlegen des Kellers und die Toilettenanlage finanziert. Jedenfalls war ich in seiner Wohnung, die Hanna hatte die Schlüssel, das wusste ich. Die Garçonnière lag nahe dem Krankenhaus in Grünstadt. Das passt, habe ich mir gedacht. Dann hat er es nicht weit, falls er überraschend heimkommt, ich noch in der Wohnung bin und ihm eine aufs Maul hauen muss. In seinem Kleiderkasten hing teure Kleidung, und in einem Karton fand ich Geld. Dreißigtausend Euro. Prost! Jetzt brauch ich einen großen Schluck und noch eine Flasche Weißen Burgunder.«

Rolf: »Martin, du wirst mir unheimlich. So viel Geld! Hast du das etwa genommen? Das wäre … also, ein Riesendiebstahl, mehr, als du bei einem Bankraub holen kannst. Wenn sie dich erwischen, sitzt du Jahre im Gefängnis. Wo hat der denn so viel Geld hergehabt?«

Martin: »Das weiß doch ich nicht.«

Rolf: »Und wo ist das Geld jetzt?«

Martin: »Kannst dich sicher erinnern, dass ich dir mal erzählt habe, mir endlich eine neue Pressanlage anschaffen zu müssen?«

Rolf: »Du hast sein Auto verkauft, warst in seiner Wohnung, hast sein Geld gestohlen. Hat sich das der Mirko einfach so gefallen lassen?«

Martin: »Was hätte er denn machen sollen? Das hat der ja nicht gewusst.«

Rolf: »Dem ist doch sicher aufgefallen, dass alles weg ist. Ist der nicht zur Polizei gegangen?«

Martin: »Nein.«

Rolf: »Das gibt es doch nicht. War der etwa Mitglied bei der Mafia? Mein Gott, Martin! Die bringen dich heute noch um.«

Martin: »Nein habe ich gesagt, und damit basta. Da, rede nicht so viel, trink lieber noch ein Glas. Auf unser Wohl.«

Rolf: »Du verschweigst mir doch noch etwas, oder? Komm schon, Martin! Ich bin es, Rolf, dein Freund.«

Martin: »Hast schon recht. Er hat sich nicht mehr beschweren können.«

Rolf: »Martin! Hast du ihn umgebracht? Das kann doch nicht sein, oder? Sag schon!«

Martin: »Ich bring doch niemanden um, kann ich gar nicht. Ich bin doch viel zu feige. Eine Leiche und alles voll von Blut. Nein, das ist nicht meins. Er ist, wie soll ich sagen? Er ist ganz von selbst gestorben … also, verstorben.«

Rolf: »Wie ist er denn verstorben? Einfach vom Stuhl wird er ja nicht gefallen sein, so sportlich, wie der war.«

Martin: »Okay, ich sag’s dir. Aber du musst mir versprechen, es niemandem, wirklich niemandem zu erzählen. Versprochen? Ich will dein Ehrenwort!«

Rolf: »Mein Ehrenwort. Darauf können wir anstoßen, wenn du willst. Beim Wein und meiner Seele!«

Martin: »Wo hast du das denn her?«

Rolf: »Das sagen die Österreicher, wenn sie schwören. Ich habe das mal aufgeschnappt. Und irgendwie passt es, weil im Wein liegt bekanntlich die Wahrheit.«

Martin: »Egal, da wo wir beide jetzt sitzen, bin ich damals mit Mirko gesessen. Wir haben Wein getrunken. Drei Flaschen von meinem besten Riesling und zwei Flaschen vom Blauen Portugieser. Er wollte mit mir reden. Darüber, dass ich ihm gestatte, meine Hanna zu sich zu nehmen. Der Blindgänger wollt sie tatsächlich heiraten.«

Rolf: »Dann ist er doch nicht mit einem jungen Ding verschwunden? Ist das jetzt die Wahrheit oder auch wieder eine Lügengeschichte?«

Martin: »Die Wahrheit.« Er hebt das Glas. »Im Wein liegt ja bekanntlich die Wahrheit.«

Rolf: »Du hast also mit ihm darauf getrunken, dass er die Hanna mitnimmt? Mit ihm? Bist du blöd?«

Martin: »Das war doch nur Teil meiner Strategie. Dem habe ich damals im wahrsten Sinne des Wortes ordentlich Wein eingeschenkt. Ganze sechs Flachen von meinem Blauen Portugieser hat es gebraucht, bis der Einfaltspinsel endlich völlig betrunken von der Bank gefallen ist.«

Rolf: »Bist du dir da sicher?«

Martin: »Er hat geschnarcht.«

Rolf: »Und dann?«

Martin: »Das Zeug war schon da.«

Rolf: »Was für ein Zeug, Martin?«

Martin: »Die Ziegel, der Zement … Ich habe doch damals gerade die Baustelle gehabt, wegen der Kloanlage und so. Das Geld von dem Auto, erinnerst du dich?«

Rolf: »Sag nur?«

Martin: »Eingemauert hab ich ihn.«

Rolf: »Was?«

Martin: »Das hättest mir gar nicht zugetraut, nicht wahr?«

Rolf: »Jetzt sag ich nichts mehr. Wo hast ihn denn genau eingemauert?«

Martin: »Nicht beim WC, wenn du das jetzt glaubst. Dort, wo die alte, kleine Kellerabzweigung eingestürzt ist. Da habe ich ihn hineingezogen und eine Mauer aufgestellt. Ist niemandem aufgefallen.«

Rolf: »Das heißt … da liegt er heute noch?«

Martin: »Natürlich, ausgraben werde ich ihn. Ich störe doch keine Totenruhe.«

Rolf: »Aber das ist Mord!«

Martin: »Hör auf! Friedlich und mit einem exzellenten Rausch ist er im Schlaf für immer von uns gegangen. Und nichts ist passiert. Keiner hat ihn vermisst. Na ja, die Hanna schon, am Anfang. Doch niemand anderes kam und hat nachgefragt. Seine Wohnung hat die Hausverwaltung aufgelöst. Mirko Perc ist verzogen. Adresse unbekannt. Ende.«

Rolf: »Was ist mit der Hanna, hast du die auch …«

Martin (entrüstet): »Nein! Was denkst du denn von mir. Ich bin doch kein Frauenmörder.«

Rolf: »Aber der Mirko …«

Martin (hebt den Finger): »Noch einmal, das war kein Mord. Er ist sanft entschlafen hinter einer Ziegelmauer. Dafür kann niemand etwas. Niemand! So, jetzt geht es mir besser. Ist langsam Zeit geworden, dass ich das einmal loswerde. Darauf trinken wir! Der Weiße Burgunder schmeckt jetzt noch besser. Du bist wirklich ein Freund, Rolf. Was! Wir haben schon wieder alles ausgetrunken?«

Rolf: »Apropos ausgetrunken. Da fällt mir gerade etwas ein. Die besten Weine kommen doch laut Gault-Millau dieses Jahr aus Rheinland-Pfalz, und meines Wissens wurde auch eine deiner Weinsorten prämiert. Hol mir den doch jetzt mal zur Verkostung. Und wenn du schon dabei bist, pack mir am besten die restlichen Flaschen gleich für zu Hause ein. Denn ich glaube, ab heute bin ich dein allerbester Freund, Martin.«

 

Zu diesem Kurzkrimi passt hervorragend …

der Weiße Burgunder vom Weingut Schenk-Siebert aus Grünstadt-Sausenheim, der mit seiner frischen Säure und feinen Frucht ein idealer Menüwein ist.

www.weingut-schenk-siebert.de

Und danach vielleicht ein bisschen Bewegung? Zum Beispiel ein Besuch der alla hopp!-Anlage in Grünstadt oder die Weinbergswanderung Höllenpfad, bei der auf dem 5,5 Kilometer langen Rundweg an zehn Stationen Weingüter aus Grünstadt und Sausenheim ihre Weine und Kulinarisches anbieten. Die Route folgt dem »Höllenpfad«, dessen Name aus dem 15. Jahrhundert stammt und für den »Hellen Pfad« steht. Hier bietet sich dem Wanderer ein weiter Blick über Grünstadt in die Rheinebene; selbst das Heidelberger Schloss ist an schönen Tagen gut erkennbar.

www.weinwanderung.net/gruenstadt/

 

Markus Guthmann – Sprechender Wein

Großkarlbach ist eine traditionelle pfälzische Weinbaugemeinde am Rand der Unterhaardt, die auf eine uralte und bewegte Geschichte zurückblickt. Carlobach, wie es erstmalig im Lorscher Codex genannt wurde, ist ein stolzer Name, denn er leitet sich von »Bach der freien Karle«, also der freien Männer, ab. Schon die Römer haben hier Wein angebaut und so die idyllische Kulturlandschaft mit ihrem unverwechselbaren Charme geschaffen. In der Neuzeit wechselte der Ort zwischen der Kurpfalz und der Leininger Grafschaft, was mit bedeutenden Impulsen für die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung begleitet wurde.

Weinbau ist seit Langem der führende Wirtschaftszweig im Dorf, und der erhebliche Reichtum drückt sich immer noch durch imposante barocke und klassizistische Weingüter aus, die das malerische Ortsbild bestimmen. Nicht zu Unrecht erhielt das Dorf vor vierzig Jahren das Prädikat »Schönstes Dorf an der Deutschen Weinstraße«, und das Kändelgassenfest im Juli ist das absolute Highlight der ganzen Saison.

Der Eckbach, der früher Karlbach hieß, ist ein kräftiger Wasserlauf, der Großkarlbach durchschneidet und in alten Zeiten sieben Mühlen angetrieben hat.

»Guten Morgen, meine Lieben. Wie geht es euch heute?«, rufe ich in den Raum hinein.

Ich pflege einen besonderen Umgang mit meinen Weinen, denn ich betreibe anthroposophischen Weinbau. Dieser Königsdisziplin des Weinbaus habe ich mich zu einer Zeit verschrieben, als von ökologischer Landwirtschaft noch lange keine Rede war. Aber diese ganzen Ökowinzer sind sowieso alle Scharlatane, und nur der anthroposophische Weinbau ist das einzig Wahre. Die Ökos spritzen hemmungslos das Schwermetall Kupfer und haben früher sogar mit dem sogenannten Pflanzenstärkungsmittel Kaliumphosphonat die ganze Umwelt verpestet. Zugegeben, unser Feind Nummer 1 ist der Falsche Mehltau, der vor über hundert Jahren durch die Einfuhr reblausresistenter Reben aus der neuen Welt eingeschleppt wurde, aber dieser ganze Chemiekram wird uns und vor allem die Reben bald umbringen. Deshalb frage ich mich ständig: Was ist gut für meine Reben und den Wein, ohne ihnen und der Umwelt zu schaden?

Es fängt alles im Wingert an. Meine Weinberge habe ich seit Jahren nicht mehr geschnitten, denn ich will meine Reben nicht zu domestizierten Weinkühen abrichten. Die Rebe ist eine wilde Lianenpflanze, die sich ausbreiten und die Welt erobern will. Schneiden bedeutet für sie puren Stress, und das würde die perfekte Harmonie meiner Weine zerstören. Ich setze auf antiautoritäre Rebenerziehung, und in der ungestörten Freiheit ihrer Entwicklung entfalten sich meine Trauben zu kleinen, lockerbeerigen, aromatischen Prachtexemplaren. Um die typischen Winzerplagen zu bekämpfen, bereite ich meinen Reben regelmäßig Wohlfühltees zu und bekoche sie mit allen veganen Leckereien, die zwischen meinen Rebzeilen wuchern. Gegen den Mehltau hilft Schachtelhalmtee, gegen Ungeziefer Brennnesseltee, und bei starkem Befall darf es schon mal Brennnesseljauche sein. Spätestens dann stürzt sich jede Laus freiwillig den Weinstock herunter.

Zur Stärkung meiner Rebenfreunde verabreiche ich regelmäßig Tee aus Eichenrinde, und die beste Verbindung zwischen Boden und Pflanze schafft mein selbst angesetztes Horn-Mist-Präparat. Dazu vergrabe ich im Herbst Kuhhörner, die ich zuvor mit dem Dung trächtiger Kühe gefüllt habe. Im Frühjahr hole ich sie wieder heraus und verteile die Leckerbissen in meinen Weinbergen. Eine Düngung mit Kunstdünger käme einer Zwangsernährung gleich, und man muss doch auch das Terroir schmecken, auf dem der Rebstock steht.

»Na, wie geht’s, meine Lieben?«, rufe ich noch mal in den Raum hinein, und ein fröhliches Glucksen, Tuscheln, Flüstern und Blubbern ist die Antwort.

Ja, Weine können sprechen! Es gibt schüchterne, vorlaute, leutselige, quirlige, laute, leise und natürlich die Dumm- und Dauerbabbler. Manchmal, aber selten, ist auch ein echter Unsympathikus dabei, bei dem ich dann härter herangehen muss.

Gerne beschalle ich meine Lieblinge mit Musik oder singe ihnen etwas vor. Dabei muss es nicht immer nur die kleine Nachtmusik zur Beruhigung sein. Nein, einem jungen, ungestümen Riesling gönne ich auch schon einmal AC/DC. Gerade hatte ich »Sprechender Wein« vor mich hingeträllert, das ich in Anlehnung an den Schlager »Griechischer Wein« des seligen Udo Jürgens gedichtet habe, und erhalte für meine Darbietung von allen Seiten des Kellers Applaus. Ja, ich verstehe mich prächtig mit meinen Weinen.

Ich gehe zum ersten Fass, streichele es und frage: »Na, mein lieber Grauburgunder. Hast du deine Verdauungsbeschwerden überwunden, oder quälen sie dich immer noch?« Ich betrachte die Blasen in der Gärpfeife, sie kommen nicht mehr in Schüben und in großen Blasen. Nein, es perlt fein und regelmäßig. Dann halte ich mein Ohr über die Pfeife, und der augenscheinliche Eindruck wird nicht nur durch das beruhigende, leise, zufriedene Sprudeln bekräftigt:

Trink ihn aus, den Trank der Labe,

Und vergiß den großen Schmerz!

Wundervoll ist Bacchus’ Gabe,

Balsam fürs zerrißne Herz!

»Ja, dir geht es wieder richtig gut. Das merke ich, weil du wieder Schiller zitieren kannst, du alter Philosoph. Wahrscheinlich haben dir nur die bösen Hefen zugesetzt, aber jetzt hat es dein Immunsystem alleine geschafft, und die guten haben wieder die Oberhand. So muss es sein, mein braver, tapferer Kerl, aber ich muss dich zur Sicherheit noch einmal abhören.«

Ich setze das Stethoskop auf, das ich stets über meinem frisch gestärkten, hygienisch weißen Winzerkittel um den Hals trage, und beginne den Wein fachmännisch zu untersuchen. Zwischendrin klopfe ich auch mal indirekt an das Fass, indem ich mit der einen Hand das Kopfstück des Stethoskops zwischen den Fingern an das Fass drücke und mit dem Zeigefinger der freien Hand auf die Handfläche klopfe. Nach der gründlichen Untersuchung bin ich zufrieden und gehe zum nächsten Fass.

»O nein, was ist denn mit dir los?« Entsetzt überprüfe ich die Gärpfeife. Nichts. Kein fröhliches Blubbern oder Säuseln. Ich klopfe leise an das Fass. Wieder nichts. Hier hätte ich einen richtigen Rüpel erwartet, der mich beschimpft und beleidigt. Schließlich zücke ich mein Stethoskop und horche das Fass gründlich ab. Da! Kaum zu hören, aber da ist eindeutig ein Geräusch. Es klingt wie sanftes Schnarchen. Ich höre noch eine Weile genau hin und fühle mich einigermaßen beruhigt. Er ist noch nicht tot, aber ich muss dringend etwas unternehmen. Ich klopfe an das Fass und erhalte endlich eine Reaktion: Lass mich schlafen, du Penner!

»Ich bin nur besorgt um dich, du alter Rüpel-Riesling«, antworte ich ruhig und mache mir sofort Gedanken, wie ich ihn behandeln könnte.

»Komm hoch, du Vollidiot, der Gerichtsvollzieher ist da.« Mir wären beinahe die Bügel des Stethoskops aus den Ohren gesprungen und das Trommelfell geplatzt, als meine Alte von der Treppe herunter in den Weinkeller brüllt. Nun gut, wirklich alt ist sie nicht, denn Marion ist meine zweite Frau und vierundzwanzig Jahre jünger als ich, aber in letzter Zeit habe ich große Probleme mit ihr.

Missmutig stapfe ich die Treppe hoch. Um meine anderen Patienten würde ich mich später kümmern. Im Wohnzimmer giftet mich Marion sofort an. »Da siehst du, wohin uns dein Scheiß-Öko-Spleen führt.«

»Das ist kein Öko-Spleen, ich betreibe anthroposophischen Weinbau«, antworte ich und überlege, wie oft ich es ihr schon erklärt habe. Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, war ein Multitalent, der eine konzeptionelle Einheit von Mensch und Umwelt schuf. Er hat viele Lebensbereiche entscheidend beeinflusst, wie etwa Medizin, Religion, Kunst, Pädagogik und schließlich die Landwirtschaft. Die Waldorfschulen gehen auf ihn zurück und eben der anthroposophische Weinbau.

»Du hast uns heruntergewirtschaftet, du Volltrottel«, schreit Marion, und der fette Gerichtsvollzieher blickt verlegen auf den Boden. Er ist vermutlich keinen Ehestreit gewohnt, denn wahrscheinlich verbünden sich die Paare normalerweise gegen ihn, egal wie schief der Haussegen hängt. »Die Weine streicheln und mit Gesundheitstees spritzen. Du hast sie doch nicht mehr alle. Und das Allerschlimmste ist, dass die Plörre zum Kotzen nach Moder schmeckt. Wenn ich da nur an den Gewürztraminer denke, den du mit deiner Brennnesseljauche behandelt hast.« Marion unterstreicht ihr Schimpfen mit einem in den Hals gesteckten Mittelfinger.

»Er war krank. Ich musste ihn therapieren, sonst wäre er gestorben.«

»Ja, klar, der Herr Weindoktor. Hat für jeden Fall das richtige Mittelchen parat. Wenn ich dich schon so mit dem Stethoskop herumrennen sehe. Du gehörst in die Klapse.«

»Glaubst du, ich weiß nicht, dass du schon eine Weile meine Entmündigung vorantreibst?«

»Genau, und seitdem wir die Weinlese vor ein paar Wochen nackt bei Vollmond gemacht haben, glaubt mir auch jeder im Dorf.«

»Aber das war doch eine tolle Gemeinschaftserfahrung, die noch dazu der Harmonie und der Ausgewogenheit unserer Weine gedient hat«, halte ich dagegen.

»Deswegen bist du auch nur mit dem Stethoskop bekleidet herumgelaufen und hast unsere Erntehelfer untersucht. Vorzugsweise die weiblichen, versteht sich.«

»Entschuldigung«, meldet sich räuspernd der Gerichtsvollzieher zu Wort. »Wir müssen jetzt zur Tat schreiten. Ich bitte Sie, Ihren Streit zu beenden oder ihn wenigstens auszusetzen, bis wir hier fertig sind.«