Cover

Günther Hoegg

Schwierige Eltern, schwierige Schüler

Eine Gebrauchsanweisung

Impressum

Dr. Günther Hoegg besitzt eine seltene Doppelqualifikation: Er ist nicht nur promovierter Jurist mit dem Schwerpunkt Schulrecht, sondern auch seit über 30 Jahren als Lehrer in der Schule tätig. In zahlreichen Seminaren vermittelt er Lehrkräften die Grundlagen ihres Berufsrechts und gibt praxiserprobte Ratschläge für schwierige Situationen.

Dieses Buch ist auch als Printausgabe erhältlich

ISBN 978-3-407-62941-8

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© 2015 Beltz Verlag · Weinheim und Basel

Werderstr. 10 · 69469 Weinheim

www.beltz.de

Lektorat: Dr. Erik Zyber

Satz und Herstellung: Michael Matl

Vignetten: Roland Bühs, Bremen

Umschlaggestaltung: Jonathan Bachmann

E-Book

ISBN 978-3-407-29319-0

Inhalt

Vorwort

Schwierige Eltern

Situationsbeschreibung

Der Elternsprechtag

Die wichtigsten Elterntypen

Zu guter Letzt

Schwierige Schüler

Allgemeines

Die Untergruppen

Zu guter Letzt

Anhang: Formular für Zuspätkommer

Die Eltern sind das Buch,

in dem die Kinder lesen.

(A. Aurelius)

Vorwort

Eine empirische Untersuchung über die Zufriedenheit von Lehrern kam zu dem Ergebnis: Lehrkräfte sind mit ihrem Beruf sehr zufrieden. Allerdings, und das ist nicht ganz unwichtig, wurde die Erhebung in den Sommerferien durchgeführt. In der Schulzeit hingegen herrscht die Einstellung: Die Schule könnte so schön sein, wenn nur Schüler und Eltern nicht wären.

Aber das Leben ist leider kein Wunschkonzert – und der schulische Alltag schon gar nicht. Wie man es auch dreht und wendet, man kommt als Lehrkraft um Schüler und deren Eltern einfach nicht herum. Und tatsächlich können einige von ihnen die Freude am Lehrerberuf merklich schmälern. Das ist deshalb so dramatisch, weil die Unzufriedenheit, die durch diese wenigen verursacht wird, in eine grundsätzlich negative Haltung gegenüber Eltern und Schülern umschlagen kann.

Um es einmal (und dann nie wieder) deutlich zu sagen: Sowohl die meisten Schüler als auch ihre Eltern sind kooperativ und unproblematisch. Aber die wenigen, die es nicht sind, führen zu einer enormen Belastung. Vor allem der Umgang mit schwierigen Eltern ist einer der stärksten Belastungsfaktoren für Lehrkräfte. Das liegt daran, dass die Einwirkungsmöglichkeiten auf schwierige Eltern deutlich geringer sind als auf schwierige Schüler. Diese können notfalls über zusätzliche Arbeitsaufträge, soziale Isolierung oder andere disziplinarische Maßnahmen auf den richtigen Weg gebracht werden, bei Eltern ist diese Einflussnahme unmöglich.

Leider stellen die Schüler und ihr problematisches Verhalten immer nur die Spitze des Eisbergs dar, an ihnen zeigen sich lediglich die Symptome. Die wahre Ursache liegt jedoch darunter, und zwar in der mehr oder weniger geglückten Erziehung im Elternhaus. Nicht nur der zeitliche Anteil, den die Schüler zu Hause verbringen, ist größer. Die elterliche Erziehung hat zudem den Vorteil, die erste Prägung vornehmen zu können. In der Zeit bis zum Besuch der Grundschule (bzw. des Kindergartens) werden nämlich die Weichen des sozialen Verhaltens gestellt, in die richtige oder falsche Richtung. Das ist bedauerlich, aber nicht zu ändern. Um es mit einem Bild auszudrücken: Man kann zwar das Barometer ignorieren, aber man ändert dadurch nicht das Wetter. Wenn es also kalt werden könnte, sollte man sich warm anziehen.

Der effektive Umgang mit schwierigen Eltern ist zum Wohle der Schüler notwendig. Denn Maßnahmen, die ausschließlich die Schüler betreffen, können keine grundlegende Verhaltensänderung bewirken, solange im Elternhaus eine deutlich andere Erziehung stattfindet. Wer jedoch schwierige Eltern einigermaßen in den Griff bekommt, kann auch deren Kinder, also seine Schüler, dauerhaft zu einem besseren Verhalten bringen.

Was bietet Ihnen nun dieses Buch – und was nicht? Ich finde es nur fair, Ihnen gleich zu Anfang reinen Wein einzuschenken. So müssen Sie sich nicht durch ein Buch quälen, um schließlich festzustellen, dass es ein Fehlkauf war. Also: Dieses Buch liefert Ihnen keine tolle Theorie, die alles erklärt und (theoretisch) sämtliche Probleme löst. So etwas können nur Pädagogikprofessoren, die seit ihrer Schulzeit nie wieder einen Klassenraum von innen gesehen haben, schon gar nicht von der schwierigen Seite des Lehrertisches aus. Es gibt auch keine 187 Fußnoten, die auf andere Professoren, deren Literatur und die damit verbundenen Denkanstöße verweisen. Falls Sie dies erwarten, werden Sie bitter enttäuscht.

Was bekommen Sie stattdessen? Konkrete Tipps zu schwierigen Situationen des Schulalltags. Dabei ist das Buch kein wildes Sammelsurium von Tipps. Schon bald werden Sie vermutlich bestimmte Grundprinzipien des Handelns erkennen. Aber das wird induktiv geschehen, also vom Kleinen zum Großen, von den konkreten Situationen zu den Hauptstrategien, die den Umgang mit schwierigen Eltern und Schülern erleichtern. Um festzustellen, ob dieses Buch wirklich etwas für Sie ist, könnten Sie beurteilen, welche Aussagen auf Sie zutreffen:

In einigen Ausbildungsseminaren müssten Sie den meisten Aussagen zustimmen, um nicht als Hardliner zu gelten und intensiv »beraten« zu werden. Hier sieht es anders aus. Falls Sie sich aufraffen können, sogar mehrere Aussagen zu verneinen, sind Sie hier richtig.

Wie nun ist das Buch aufgebaut? In zwei großen Blöcken finden Sie Regeln für den effektiven Umgang mit schwierigen Eltern und schwierigen Schülern. In jedem dieser Teile finden Sie etwa 20 typische Situationen wieder, die in ebenso typische Äußerungen von Eltern oder Schülern münden. Hinter diesen verbirgt sich regelmäßig eine Strategie, die Ihnen ein Zugeständnis entlocken möchte. Das kann eine bessere Note, eine Arbeitserleichterung oder der Wunsch sein, im vorliegenden Fall eine Ausnahme zu machen.

Das Schöne an diesem Buch: Sie müssen es nicht von vorne nach hinten lesen, sondern können mit der Äußerung anfangen, die Sie schon immer gestört hat, und dann weiter kreuz und quer lesen. Schauen Sie sich einfach die Überschriften im Inhaltsverzeichnis an. Als Lehrkraft, die täglich mit Schülern und Eltern zu tun hat, werden Sie sofort erkennen, um welche kritische Situation es jeweils geht.

Da wir es bei Eltern mit Erwachsenen zu tun haben, die ihre Strategien mehrfach erproben und somit verfeinern konnten, sind diese Äußerungen oft so geschickt formuliert, dass man instinktiv geneigt ist, ihnen nachzugeben. Sie wollen ein Beispiel? Na gut. Stellen Sie sich vor, Sie möchten gerne, dass jemand Sie irgendwohin begleitet, aber der Betreffende fragt Sie: »Bist du mir sehr böse, wenn ich nicht mitkomme?« Da haben wir es. Die Frage ist so raffiniert gestellt, dass fast jeder die Ablehnung erst einmal akzeptiert – und sich später vielleicht darüber ärgert.

Die Vorstellung, auf solch geschickt formulierte Äußerungen würde einem spontan eine treffende Entgegnung einfallen, halte ich für naiv. Meist merkt man erst hinterher, in welch argumentative Falle man getappt ist. Und da weder Studium noch Referendariat sich mit der profanen Frage beschäftigen, wie man solche Äußerungen schlagfertig kontert, wird das hier nachgeholt. Dabei enthülle ich nicht nur die zugrunde liegende Absicht, sondern mache auch konkrete Vorschläge, was Sie der Strategie entgegensetzen können, um möglichst viele Optionen zu haben.

Sie wollen eine weitere Kostprobe? Hier kommt sie: Was entgegnen Sie (zehn Sekunden für die Antwort), wenn Sie den Eltern eines Schülers dessen ständige Störungen vorhalten, und die Eltern Ihnen darauf vorhalten: »Bei uns zu Hause macht er das aber nicht!«

Wer eine solche Argumentation nicht mehrfach im Geiste durchgespielt hat, hat im Gespräch die schlechteren Karten, denn er entwickelt ein schlechtes Gewissen, weil er sich als Lehrkraft für unfähig hält. Um dies zu kompensieren, kommt er den Eltern vielleicht entgegen und ärgert sich hinterher, weil er merkt, dass er auf eine raffinierte Formulierung hereingefallen ist. Damit das nicht wieder passiert, könnten Sie gleich auf Seite 48 gehen, wo Sie die Situation und ihre Lösung finden.

Damit die geschilderten Situationen nicht so unpersönlich wirken, bekommen die handelnden Personen jeweils einen Namen. Auf der Lehrerseite, also stellvertretend für Sie, haben wir den sympathischen Kollegen Peter Sielje und seine ebenso sympathische Kollegin Anna Nass. Auf der anderen Seite haben wir als Hauptakteure die Familie Bellmann mit ihren Kindern Jerome und Chantal. Deutlich seltener wirken mit: Frau Hartmann mit Jaqueline und Sascha-Pascal, Vater Engelbrecht mit Sohn Christian sowie Frau Schulte-Overbeck mit ihrem Sohn Alexander.

Zum Schluss des Vorwortes und zur rechtlichen Absicherung sei darauf hingewiesen: Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Schülern oder Eltern wäre rein zufällig.

Schwierige Eltern

Situationsbeschreibung

Manch angehende Lehrkraft hofft sehnlichst, Studium und Referendariat würden sie auf den Umgang mit schwierigen Schülern und Eltern vorbereiten. Leider muss sie schon ein paar Monate später erkennen, wie trügerisch diese Vorstellung war. In der täglichen Schulpraxis ist vieles eben ganz anders als in der reinen Theorie. Ihr zufolge muss man bei schwierigen Eltern und Schülern nur geduldig zuhören und intensiver kommunizieren – und schon lösen sich alle Probleme wie von selbst. Allerdings ist festzustellen, dass viele, die solche Theorien vertreten, noch nie längere Zeit in einer Brennpunktschule schwierige Schüler unterrichten oder sich mit aufgebrachten, beratungsresistenten Eltern auseinandersetzen mussten.

Ich hingegen kann mich noch gut an die ersten Eltern erinnern, mit denen ich zu tun hatte – und an denen ich kläglich gescheitert bin. Ich war einfach nicht vorbereitet auf das, was mich in der Schule erwartete. Auch später schafften es geschickte Eltern, mir Zugeständnisse zu entlocken, die ich später bedauerte. Vor allem ärgerte ich mich, weil ich für ihr Kind doch nur das Beste wollte und die Eltern, ohne über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, lediglich einen kurzfristigen Vorteil herausholen wollten.

Ich habe Jahre gebraucht, um herauszufinden, wie man mit Eltern reden muss, damit sie wirklich zuhören und kooperieren. Aber auf diesem steinigen Wege entdeckte ich, wie man solche Gespräche und Auseinandersetzungen nicht nur so führt, dass man sie seelisch unbeschadet übersteht, sondern sogar Ergebnisse zum Wohle der Kinder erzielt. Und das motivierte ungemein. Ein positiver Nebeneffekt bestand darin, ganz allgemein zu lernen, wie man mit schwierigen Menschen umgeht.

Und dann, gerade als der Umgang mit den Eltern immer reibungsloser ablief, stellte ich fest, dass die Anzahl der schwierigen Eltern deutlich zunahm. War es früher vielleicht ein Zehntel der Eltern in einer Klasse, die Probleme machten, so wurde es inzwischen ein Viertel. Damit gehörte der ruhige Nachmittag am Schreibtisch, an dem man korrigierte, der Vergangenheit an. Ab 17 Uhr ging es los, und zwar manchmal bis 22 Uhr. Aber wem sage ich das?

Empörte Eltern rufen an, weil sie sich darüber beschweren, wichtige Informationen nicht bekommen zu haben. Und erst wenn der Wutanfall vorüber ist, kann man darauf hinweisen, dass man das Informationsblatt bereits vor einer Woche an alle Schüler verteilt hat, darunter auch an das Kind der betreffenden Eltern. Die angedeutete Vermutung, das Kind habe vielleicht vergessen, das Informationsblatt weiterzureichen, wird natürlich empört zurückgewiesen.

Damit sind wir beim Grundproblem: Die Einstellung der Eltern zu ihren Kindern und zur Schule hat sich grundlegend gewandelt, weil das, was Eltern unter »guter« Erziehung verstehen, sich drastisch geändert hat. Früher glaubten Eltern, gute Erziehung bestehe darin, sein Kind möglichst früh auf die unvermeidlichen Härten des Lebens vorzubereiten. Die Konsequenz war, Kinder nicht übermäßig zu beschützen. Wenn das Kind also in der Schule einen Verstoß begangen hatte, dann musste es eben nachsitzen. Wo war das Problem?

Früher haben die Eltern sich nicht darüber aufgeregt, wenn die Kinder sich in der Schule »gelangweilt« haben. Sie akzeptierten auch »Langeweile« nicht als Begründung für schlechte Noten. Und falls die Kinder sich zu Hause langweilten, dann gab es eben sofort etwas zu tun: Man konnte das Zimmer aufräumen, den Tisch decken, den Müll wegbringen, den Rasen mähen oder das Fahrrad putzen.

Ein Dialogbespiel von früher:

Lehrkraft: Frau Bellmann, ich muss feststellen, dass Jerome häufig meine Anweisungen nicht befolgt.

Mutter: Was? Darum kümmern wir uns. Es wird nicht wieder vorkommen.

Der gleiche Dialog heute:

Lehrkraft: Frau Bellmann, ich muss feststellen, dass Jerome häufig meine Anweisungen nicht befolgt.

Mutter: Tja, er ist halt wie ich eine starke Persönlichkeit. Er mag es überhaupt nicht, wenn man ihm vorschreibt, was er zu tun hat.

Die meisten Eltern glauben heutzutage leider, gute Erziehung zeichne sich dadurch aus, ihr Kind grundsätzlich gegen alles und jeden in Schutz zu nehmen. Sie können (oder wollen) sich einfach nicht vorstellen, dass ihr Kind die Hausaufgaben nicht anfertigt, bei einer Klassenarbeit schummelt oder einen Tisch mit einem Filzschreiber verziert. Manche dieser Eltern sind pädagogisch so lasch, dass ihre Kinder quasi bestimmen, was läuft. Das Wörtchen »nein« wird zur aussterbenden Art, und falls es doch einmal auftaucht, ist es verhandelbar bzw. wird nicht ernst genommen.

Etwa so wie hier:

Mutter: Sascha-Pascal, lass das bitte. Bring mich nicht dazu aufzustehen. Ich meine das ernst. Bring mich nicht dazu, zu dir zu kommen. Bitte lass das endlich. Das ist das letzte Mal. Ich möchte nicht zu dir rüberkommen. Ich meine das wirklich ernst. Das ist jetzt das allerletzte Mal. Bring mich nicht dazu aufzustehen. Lass das!

Falls Sie meinen, die Szene sei frei erfunden, muss ich Sie enttäuschen. Es ist das ziemlich präzise Gedächtnisprotokoll des Monologs einer Mutter in einem Restaurant, deren Kind andere Gäste immer wieder anfasst und dort auf den Tisch greift. Vielleicht kennen Sie solche oder ähnliche Ermahnungen auch aus dem Supermarkt. Sie sind leider Realität.

Allerdings können diese Eltern, so nachgiebig sie sonst sind, ausgesprochen aggressiv werden, wenn es darum geht, ihre Kinder zu verteidigen. Sie weigern sich zu akzeptieren, dass ihre Kinder etwas falsch gemacht haben, selbst wenn das ganz offensichtlich ist. Sie leben in einer Scheinwelt, und die böse Schule ist dabei, sie infrage zu stellen. Weil sie in Bezug auf ihr Kind naiv sind, können sie sich auch nicht vorstellen, dass es sie anlügt. Die früheren Eltern hingegen waren realistisch genug, um zu wissen, dass ihr Kind zu Hause meist eine deutlich geschönte Version der schulischen Ereignisse erzählt – und nicht unbedingt die Wahrheit.

Einige der heutigen Eltern sprechen nur sehr gebrochen oder gar nicht Deutsch. Folglich muss der Schüler, um den es gerade geht, zuweilen als Übersetzer fungieren. Wie korrekt diese Übersetzung in eigener Sache ist, lassen wir einmal dahingestellt. Allerdings gibt es kaum Alternativen. Versuchen Sie mal, vom Schulträger für den Elternsprechtag einen qualifizierten Übersetzer für Albanisch zu bekommen!

Es gibt Eltern, die sich ihre Kinder sehnlichst gewünscht haben und sie deshalb sorgsam behüten, manchmal schon übertrieben. Daneben gibt es andere, die ihre Kinder eigentlich gar nicht wollten und sie vernachlässigen. Erst wenn es »fünf vor zwölf« und das Kind von schweren Maßnahmen bedroht ist, werden sie aktiv. Denn das ist immer noch weniger Arbeit, als sich ständig darum zu kümmern. Es gibt Eltern, die ihr Kleinkind bei IKEA oder in anderen großen Einkaufscentren in der Kinderbetreuung abgeben, aber nicht, weil sie dort einkaufen. Sie wollen einfach ins Kino gehen oder in Ruhe essen.

Vermutlich isst die Familie auch nicht mehr regelmäßig gemeinsam. Die einzige Zeit, in der man (vielleicht) noch zusammensitzt, ist eine hochkarätige Fernsehsendung wie das »Dschungelcamp«. Dann wird ausnahmsweise zusammen das gegessen, was der Pizzaservice geliefert hat. Dabei telefonieren, simsen oder chatten die Familienmitglieder über ihre Smartphones, während gleichzeitig entschieden wird, auf welche weiterführende Schule Jerome oder Chantal gehen soll.

Es ist schon eigenartig: Für fast jeden Beruf und jede Tätigkeit gibt es in Deutschland einen Ausbildungsgang. Selbst wer Fische angeln will, braucht einen Lehrgang, um den Angelschein zu erhalten. Nur für die Erziehung der eigenen Kinder braucht man keinerlei Ausbildung.

Fassen wir zusammen: Auf den ersten Blick machen Eltern höchst eigenartige Dinge: Einige kümmern sich monatelang nicht um ihr Kind, werden aber kurz vor Schuljahresende sehr aktiv. Andere rufen Sie am Sonntagabend an oder wenn Sie gerade Ihren dringend benötigten Mittagsschlaf halten. Kurz, sie haben überhaupt kein Verständnis für die Belastung von Lehrkräften. Trotzdem sind all diese Eltern keine schlechten Menschen, sie sind auch nicht dumm. Sie wollen nur das Beste für ihr Kind (kein Nachsitzen, noch eine Vier, die Versetzung,) – und dafür haben sie bestimmte Strategien.

Der Elternsprechtag

Bevor es im nächsten Kapitel um die schwierigen Einzelfälle geht, sollen hier einige Punkte angesprochen werden, die Ihnen bei Elternsprechtagen eine möglichst gute Ausgangsposition verschaffen. Immer wieder erlebt man, wie Lehrkräfte schlecht oder gar nicht vorbereitet in Elterngespräche gehen. Da sind weder die Klassenarbeitshefte noch die Liste über die mündliche Beteiligung verfügbar. Oder die Lehrkraft weiß nicht, um welches Kind es geht, wenn die Eltern sich mit »Hallo, Bellmann« vorstellen. Schlechter Stil ist es ebenfalls, wenn die Lehrkraft während des Gesprächs gemütlich einen Kaffee trinkt und die Eltern keinen angeboten bekommen. Dass solche Dinge bei kritischen Eltern den Eindruck verstärken, die Lehrkraft würde sich für ihr Kind oder für sie kaum interessieren, ist nachvollziehbar.

Um zu begreifen, was eine durchschnittliche Mutter denkt, schauen wir einmal in ihren Kopf, wenn sie vor dem Raum wartet: »Eigentlich würde ich viel lieber zu Hause sitzen, denn ich bin kaputt von der Arbeit. Ich bin froh, nichts mehr mit der Schule zu tun zu haben, denn einige meiner Lehrer damals waren echt fies. Ich habe so viel zu tun, dass ich zur Schule nur Kontakt aufnehme, wenn es unbedingt sein muss. Aber mein Kind bedeutet mir trotzdem viel. Ich habe mich abgehetzt, um rechtzeitig hierher zu kommen, und jetzt muss ich warten, um mit Ihnen zu reden.

Ich mache mir Sorgen und frage mich: Mögen Sie mein Kind, so wie es ist? Geht es ihm hier gut? Wird es versetzt werden, und zwar mit passablen Noten? Wird es im Leben mehr erreichen als ich? Es gefällt mir nicht, dass Sie über die Zukunft meines Kindes entscheiden und nicht ich. Wer sind Sie, dass Sie das dürfen? Sind Sie dafür gut genug ausgebildet? Haben Sie Erfahrung auch bei schwierigen Fällen? Können Sie meinem Kind weiterhelfen? Können Sie mir helfen, wenn ich nicht mehr weiter weiß? Zeigen Sie mir, dass Sie mein Kind kennen, dass Sie sich um mein Kind kümmern. Sagen Sie mir, dass alles gut wird.«

Es ist hilfreich, sich dies vor Elterngesprächen ins Gedächtnis zu rufen. Natürlich wäre die Lehrkraft ebenfalls lieber zu Hause, weil sie vom anstrengenden Vormittag fix und fertig ist. Auch sie muss sich vermutlich abhetzen, um rechtzeitig vor Ort zu sein. Aber hier geht es darum, schwierige Eltern so zu behandeln, dass die Gespräche möglichst reibungslos ablaufen. Und dafür ist es sinnvoll, Schwierigkeiten vorzubeugen. Denn es gilt:

10 Minuten Vorbereitung ersparen Ihnen 1 Stunde Ärger.

Machen Sie es also besser als die eingangs erwähnten Kollegen, indem Sie gut vorbereitet in solche kritischen Gespräche gehen und die folgende Checkliste kurz durchgehen:

Checkliste Elternsprechtag / Elterngespräche

Die wichtigsten Elterntypen