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Jörg Kastner

Aufstand der Legionäre

Folge 4 der 12-teiligen Romanserie Die Saga der Germanen

Historischer Roman

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Kapitel 4 – Die Meuterer kommen!

Die Nächte waren schon kalt in den germanischen Wäldern, aber die Sonne besaß noch Kraft genug, tagsüber vergessen zu lassen, dass sich der Sommer seinem Ende zuneigte. Da der Himmel fast wolkenlos war und sich wie ein blaues Tuch über die hohen Wipfel der Bäume spannte, brachten die Sonnenstrahlen die träge Marschkolonne des Gaius Julius Caesar Germanicus ins Schwitzen.

Hin und wieder stolperten Prätorianer und stürzten zu Boden. Ihre Kameraden streckten ihnen helfende Hände aus, wenn sie nicht so erschöpft waren, dass sie einfach mit stieren Blicken an den Gestürzten vorbeimarschierten.

Immer öfter hörte man die Flüche darüber, dass der Imperator untersagt hatte, die Schilde auf die Karren zu laden. Die schweren Gebilde aus Holz, Leinen und Leder, die mittels zweier über die linke Schulter und die Brust gezogener Gurte an den Rücken der Männer hingen, wollten sie bei jedem Schritt mit Macht zu Boden ziehen.

Marscherleichterung gab es nur bei der Durchquerung sicheren Gebietes. Aufgrund der Meuterei und der unmittelbaren Nähe des Sommerlagers der zum unteren Kommando gehörenden Legionen sah Germanicus diese Wälder nicht als sicher an. Jedenfalls nicht sicher für ihn, den Imperator, der unterwegs war, um die Meuterei niederzuschlagen.

Das war sein fester Entschluss, trotz aller Überredungsversuche Agrippinas, er solle die Stimmung der germanischen Legionen ausnutzen, um sich selbst zum Herrscher küren zu lassen. Aber das hieße, Tiberius zu stürzen. Nein, der Sohn des Drusus Germanicus würde sich nicht gegen des Vaters Bruder stellen!

Um die Mittagszeit, als die Sonne am höchsten stand und ihre Kraft am stärksten war, hatte die Eintönigkeit des Marsches die Männer in Teilnahmslosigkeit verfallen lassen. Mit halb und manchmal sogar ganz geschlossenen Augenlidern trotteten sie dahin. Einige beherrschten die alte Soldatenfertigkeit, beim Marschieren zu schlafen, und vertrauten darauf, von ihren Kameraden am Ausscheren aus der Kolonne gehindert zu werden. Die Garde des Imperators wirkte wie ein ermatteter Tausendfüßer, der sich mit seltsamer Geräuschentfaltung vorwärtsbewegte, einem Gemisch aus dem Keuchen der Soldaten, dem Scheppern der Waffen und des Marschgepäcks und dem schweren Tritt der eisennägelbeschlagenen Stiefel. Hinzu kam das Knarren der Wagen, das Brüllen der Zugochsen und -pferde, die Flüche der Wagenlenker und Gespannführer sowie das gleichmäßige Hufgeklapper der Reiterei.

Die Männer zuckten zusammen, als plötzlich Schreie aus unsichtbaren Kehlen ertönten: „Die Meuterer! Gebt acht! Die Meuterer kommen!“

Noch ehe die Marschierenden reagieren konnten, brach auch schon ein Reitertrupp aus dem Unterholz. Germanicus hatte sein Schwert gezogen und sich im Sattel umgewandt, um seine Männer zum Kampf zu rufen, da stellte er erleichtert fest, dass es sich bei dem kleinen Trupp um seine eigenen Späher handelte.

„Was ist los?“, rief der Imperator ihnen entgegen. „Wo sind die Meuterer?“

Ein Optio zügelte seinen Grauen vor Germanicus, ersparte sich die Umständlichkeit eines Grußes und antwortete: „Sie haben das Sommerlager verlassen und die Hügel erklommen, auf die wir zumarschieren. Es sieht aus wie eine Falle. Wir haben den Hinterhalt bemerkt, Fortuna sei Dank. Aber die Meuterer haben uns auch gesehen. Sie liefen mit lautem Geschrei die Hügel herunter.“

„Wie viele sind es?“

„Die genaue Zahl kann ich nicht sagen, Imperator. Uns blieb nicht genügend Zeit, sie festzustellen. Aber es sind sicher Tausende.“ Der Optio blickte sich zu seinen Männern um, und sie nickten. „Viele Tausende!“

Germanicus wusste sofort, dass er einen Kampf unter allen Umständen vermeiden musste. Ihm standen zwar zwei Prätorianerkohorten zur Verfügung, womit er unter Einbeziehung der Tross- und Reitknechte auf mehr als zweieinhalbtausend Mann kam, aber es war eine lächerlich geringe Zahl angesichts vier meuternder Legionen, selbst wenn sich in diesem Augenblick nur ein Teil der Meuterer auf den Imperator und sein Gefolge zubewegte.

Während er noch überlegte, brach erneut Unruhe aus. Verantwortlich dafür war ein einzelner Reiter, der aus einem Wald galoppierte und geradewegs zu dem sich an der Spitze seiner Männer aufhaltenden Imperator ritt. Er trug die Uniform eines Präfekten, sah für einen solchen Rang aber ziemlich abgerissen aus. Umhang und Helm fehlten, und das Haar hing wirr in die Stirn des pferdegesichtigen Mannes. Als er näher kam, bemerkte Germanicus zahlreiche Tannennadeln und kleine Zweige, die sich in Haar und Kleidung des Mannes wie auch im Fell des Pferdes verfangen hatten. Offenbar war der Lagerpräfekt der Legion I in großer Hast geritten.

Ja, es war Gnaeus Equus Foedus, den Germanicus nicht besonders schätzte. Er war eigentlich zu jung, zu unerfahren und wohl auch geistig zu unbeweglich für das Amt des Lagerpräfekten. Aber nach der Varus-Katastrophe hatte am Rhenus ein Mangel an Offizieren geherrscht, dem Foedus seinen schnellen Aufstieg verdankte.

Schaum stand vor dem Mund des Braunen, den der Präfekt vor dem Imperator zügelte. Foedus wollte seinen Befehlshaber grüßen, war aber so außer Atem, dass er nur ein hilfloses Gestammel herausbrachte.

„Spar dir die Formalitäten, Foedus“, sagte Germanicus, dem klar war, dass es sich nicht um einen Höflichkeitsbesuch handelte. „Sag mir lieber, was dich in diesen Zustand versetzt hat.“

„Die Meuterer ...“, keuchte der Präfekt. „Ich ... bin ihnen entkommen!“

Anscheinend hatte Germanicus den Lagerpräfekten unterschätzt. Aber die Antwort genügte dem Imperator nicht, und er fragte: „Entkommen, was heißt das?“

„Die Meuterer haben alle hohen Offiziere und Zenturionen entweder festgesetzt oder verjagt. Einige wurden schwer misshandelt.“

„Und Aulus Caecina Severus, mein Legat?“

„Er steht unter besonderer Bewachung, Imperator. Es war ihm unmöglich, aus dem Lager zu entweichen. Ich selbst habe es nur unter größter Lebensgefahr geschafft und komme, um dich zu warnen.“

„Wovor?“

„Vor den Meuterern natürlich, Caesar. Sie sind schon unterwegs, dich ebenfalls festzunehmen. Sie wollen dich zwingen, ihre Forderungen anzuerkennen.“

„Was fordern sie?“

„So ziemlich alles“, schnaubte Foedus abfällig und blähte dabei seine ohnehin schon dicke Nase auf. „Höheren Sold und kürzere Dienstzeiten natürlich. Sie wollen neue Zenturionen, weil sie mit den alten nicht zufrieden sind. Stell dir das einmal vor, Imperator: Soldaten, die sich die Männer selbst auswählen, von denen sie ihre Befehle erhalten! Wenn wir dem nachgeben, können wir ...“

„Was noch, Foedus?“, unterbrach Germanicus den anderen.

Der Präfekt zuckte mit den Schultern. „Alles Mögliche, Imperator. Einen neuen Herrscher, eine neue Ordnung, ein neues Gemeinwesen.“ Er drehte den Kopf zu den Bäumen, zwischen denen er vorhin aufgetaucht war, suchte nach den Meuterern und atmete auf, als er keine entdeckte. „Es kann nicht mehr lange dauern, bis sie hier sind. Kehr schnell um, Caesar!“

„Deswegen bin ich nicht hierhergekommen“, sagte Germanicus mit fester Stimme.

Foedus blickte auf die zum Stillstand gekommene Marschkolonne und fragte ungläubig: „Du ... willst dich zum Kampf stellen?“

„Auch das nicht. Ich werde den Männern entgegenreiten und mit ihnen reden. Soldaten sind schnell im Kämpfen und Töten, aber langsam im Denken. Das muss ich ausnutzen und ihnen zu sagen versuchen, was sie denken sollen.“

Besorgt blickte Germanicus zu dem großen Reisewagen, in dem er Agrippina und Caligula wusste. Kurz dachte er daran, wenigstens sie beide zurückzusenden. Aber nein, auch das wäre ein Zeichen von Angst gewesen.

„Wir sollten zumindest eine Verteidigungsstellung aufbauen“, schlug Foedus vor. „Für den Notfall.“

„Ein Imperator versteckt sich und die Seinen nicht vor den eigenen Legionen“, erwiderte Germanicus trotzig. „Die Männer sollen die Helme aufsetzen, die Schilde aus den Hüllen und die Waffen zur Hand nehmen. Ansonsten bleiben sie in Marschformation. Gib den Befehl weiter, Foedus!“

Germanicus ignorierte den Blick aus den trüben Augen des Lagerpräfekten, in dem sich Erschrecken und Unverständnis mischten. Der Imperator trieb seinen Fliegenschimmel an und ritt zu der großen Carruca Dormitoria, dem bequemen Reisewagen, in der Mitte des Zuges. Agrippina war neben den Fahrer auf den Bock geklettert und blickte ihrem Mann neugierig entgegen.

Germanicus unterrichtete sie kurz über die Lage und sagte: „Ich reite mit Foedus und einem kleinen Trupp den Meuterern entgegen. Mit Waffen können wir sie nicht besiegen, nur mit Worten.“

Angst zeigte sich auf dem ebenmäßigen Gesicht der Frau. „Und was ist, wenn sie nicht auf Worte hören?“

„Bete zu allen Göttern, die du kennst, dass sie es tun!“

„Ich werde mitkommen“, entschied Agrippina und wollte vom Bock steigen.

Germanicus beugte sich zu ihr hinüber und hielt sie zurück. „Bleib! Ich weiß nicht, wie die Legionäre reagieren, wenn sie meine Frau an meiner Seite sehen. Vergiss nicht, ihnen ist die Ehe während der Zeit ihres Dienstes untersagt.“

Mitgefühl stieg in Agrippina auf, als sie an die armen Burschen dachte, die fünfundzwanzig Jahre lang auf eine Frau verzichten mussten. Jedenfalls auf eine Ehefrau. Geliebte in den Dörfern und Städten rings um die Lager hatten wohl so gut wie alle Legionäre. Bei diesem Gedanken nahm ihr Mitgefühl ab. Es verschwand ganz, als ihr wieder bewusst wurde, dass die armen Burschen ihr, Germanicus und dem kleinen Caligula vielleicht bald den Garaus machen würden.

„Caligula!“, entfuhr es ihr, und rasch verschwand sie im geschlossenen Innenraum des Reisewagens.

Verwundert wartete Germanicus, bis sie wieder zu Vorschein kam, den kleinen Gaius mit seinen Soldatenstiefelchen in ihren Armen.

„Nimm Gaius mit!“, sagte Agrippina und streckte ihrem Mann den Sohn entgegen.

„Warum?“ Germanicus starrte seine Frau an wie eine Irre.

„Weil deine Soldaten rein vernarrt in den kleinen Gaius sind, ihren Caligula!“

Jetzt verstand der Imperator. Trotzdem zögerte er, den Jungen aus den Händen der Mutter zu nehmen. „Weißt du, welcher Gefahr wir unseren Sohn damit aussetzen, Agrippina?“

„Ist die Gefahr bei dir so viel größer als bei mir, Gaius? Werden die Meuterer mich verschonen, wenn sie es bei dir nicht tun?“

„Du bist zu gescheit für mich“. Germanicus lächelte und nahm den kleinen Sohn vorsichtig mit beiden Händen an. Er setzte ihn vor sich zwischen die beiden vorderen Sattelknäufe, damit er einen festen Halt hatte. „Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder!“

Agrippina nickte nur und sah ihrem davonreitenden Mann nach.

Germanicus nahm eine kleine Bedeckung von elf Reitern mit. Zusammen mit Foedus waren es dreizehn Männer, die sich den Meuterern im langsamen Galopp näherten. Dreizehn Männer und ein kleines Kind.

Als die düstere Phalanx von riesigen Tannen sie verschluckte, fragte Germanicus den neben ihm reitenden Lagerpräfekten: „Wie ist es überhaupt zu dieser Meuterei gekommen?“

Foedus bedachte seinen Imperator mit einem langen, Unsicherheit verratenden Blick. „Wenn ich offen sprechen soll ...“

„Natürlich sollst du das!“

„Ich denke, der Tod unseres geliebten Augustus, Sohn des göttlichen Caesar, ist schuld daran. Die Staatstrauer und die damit verbundenen Tage der Untätigkeit haben den Legionären Gelegenheit gegeben, sich allerlei dumme und überflüssige Gedanken zu machen. Soldaten müssen ackern, bis der Schweiß fließt. Aber unsere Männer hatten zu viel Gelegenheit, sich bei den Händlern, Gauklern und Huren vor den Lagern herumzutreiben. Jetzt halten sie sich selbst für eine Art Handwerker oder gar für Edelleute, die nur dann zur Waffe greifen und sich dem Krieg stellen, wenn es ihnen passt. Keiner denkt daran, dass es nicht die Bestimmung eines Kriegers ist, sein Leben mit Fress- und Saufgelagen zu verbringen.“

Germanicus nickte und seufzte: „Übermäßiger Kontakt mit Zivilisten versaut den besten Soldaten, das ist wahr. Aber wieso haben Caecina, du und die anderen hohen Offiziere zugelassen, dass es so weit kam? Und was ist mit den Zenturionen? Haben sie nicht bemerkt, was in ihren Männern vorging?“

„Erst waren es nur die üblichen Raufereien unter den jungen Rekruten, zwielichtiges Gesindel aus den Vorstädten Roms, das erst noch zurechtgestutzt werden muss. So dachten wir und die anderen Offiziere jedenfalls. Aber dann griff der Aufruhr um sich wie ein Steppenbrand, und plötzlich standen wir Offiziere isoliert da, bedroht und inhaftiert von unseren eigenen Soldaten. Viele Zenturionen wurden unter Schimpf und Schande davongejagt.“

„Wahrscheinlich besonders die, die ihren Stock zu oft auf den Rücken ihrer Männer tanzen ließen.“

„Ohne Zucht keine Ordnung, Imperator.“

Germanicus machte ein säuerliches Gesicht und dachte daran, dass viele Zenturionen ihr Züchtigungsrecht missbrauchten, um ihre privaten Aggressionen auszuleben. Einige hatten es jetzt heimbezahlt bekommen. Das sagte er dem Präfekten.

„Du würdest anders reden, hättest du gesehen, wie sich die Meuterer aufgeführt haben, Caesar Germanicus. Wie die wilden Bestien in der Arena! Mit gezückten Schwertern stürzten sie sich auf die Zenturionen, warfen sie zu Boden und prügelten wie von Sinnen auf sie ein. Doch sie zählten ihre Hiebe genau, immer sechzig für einen Zenturio, ebenso viele wie es Zenturionen in einer Legion gibt.“

„Eine grausame Rechnung“, befand Germaniucs.

„Ja, aber es kam noch schlimmer. Die Meuterer schleiften ihre zerschundenen, blutenden Opfer durchs Lager, bis sie bewusstlos waren, warfen sie dann einfach vor die Tore oder sogar in den Rhenus.“

Germanicus schüttelte energisch den Kopf. Seine Miene verriet Erschrecken und Wut. „Wie konnte mein Legat all dies nur zulassen? Er, der seit fast vierzig Jahren im Dienste Roms steht!“

„Caecina ... „ Feodus räusperte sich. „Nun, ich muss sagen, wie es war, Imperator. Caecina Severus hatte der Mut verlassen angesichts der tobenden Menge. Ein Zenturio namens Septimius floh zu ihm und bat ihn um seinen Schutz. Doch als die Meuterer die Herausgabe von Septimius forderten, gab Caecina nach und ...“

Foedus brach erneut ab und starrte betreten an seinem Imperator vorbei auf die Bäume.

Germanicus war sich nicht sicher, was in dem Lagerpräfekten vorging. Hatten ihn die Ereignisse wirklich mitgenommen und vielleicht sogar mit Scham erfüllt, Scham über die Rolle der Offiziere und besonders die von Aulus Caecina Severus? Oder wollte er die Gunst der Stunde nutzen und den Legaten in ein möglichst schlechtes Licht rücken, um an seine Stelle zu treten?

„Warum redest du nicht weiter?“, fragte Germanicus. „Was geschah mit Septimius?“

„Die Meuterer ermordeten ihn.“

Das war in der Tat ein schwerer Vorwurf gegen Caecina. Germanicus kannte den erfahrenen Offizier als wackeren, niemals wankenden Recken. Konnte solch ein Mann die Nerven verlieren? Oder waren ihm die Hände gebunden gewesen, weil er keine Unterstützung fand, nicht einmal die seiner Offiziere? Der Imperator wollte kein Urteil fällen, ehe er sich nicht mit eigenen Augen ein Bild von der Lage gemacht und ehe er nicht selbst mit seinem Legaten gesprochen hatte. Deshalb beschloss er, dieses Thema nicht weiter mit Foedus zu erörtern.

„Ich entnehme deinem Bericht, Foedus, dass keine hohen Offiziere zu den Meuterern übergelaufen sind.“

„Weder hohe Offiziere noch Zenturionen, Caesar.“

„Das ist gut. Vier meuternde Legionen sind eine Vielzahl unberechenbarer Männer. Gefährliche Männer. Doch brandgefährlich wären sie, würden sie von jemandem befehligt, der etwas davon versteht.“

„Du meinst jemanden, der die Stimmung der Truppe ausnutzt, um die Männer für seine Pläne einzuspannen, vielleicht einen potenziellen Herrscher?“

„Zum Beispiel“, antwortete Germanicus ausweichend, während er an seine Frau Agrippina und an seinen Onkel Tiberius dachte. „Sind die Rädelsführer bekannt?“

„Die Meuterei brach bei den Legionen XXI und V aus, griff dann erst auf die Legionen I und XX über und später auf die des oberen Kommandos. Auch die Veteranen verstoßen eifrig gegen alle Disziplin, weil ihnen ihre weitere Verpflichtung nach Ablauf der Regeldienstzeit nicht gefällt. Aber einzelne Personen, die sich besonders hervorgetan haben, sind mir nicht bekannt.“

„Wölfe fühlen sich am stärksten, wenn sie im Rudel heulen. Und diese Wölfe auf zwei Beinen besonders ...“

Mit offenem Mund hielt Germanicus inne und starrte auf das beeindruckende, beängstigende Schauspiel vor ihm. Der kleine Reitertrupp hatte offenes Gelände erreicht und jetzt freien Blick auf die Hügelkette – und auf die Meuterer. Sie waren auf den Hügeln und kamen von ihnen herab, vor dem Trupp des Germanicus sowie rechts und links von ihm, soweit das Auge reichte.

Sie waren Legionäre, und sie waren bewaffnet, und doch erinnerte ihr Vormarsch in nichts an die geordneten Schlachtformationen römischer Legionen. Ohne erkennbare Führung hatten sie sich in große und kleine Gruppen aufgeteilt, ganz nach Belieben. Die meisten waren zu Fuß, aber es gab auch Reitertrupps. Niemand trug die korrekte Uniform. Fast alle hatten auf den Helm verzichtet, ebenso auf den Schild und viele auch auf den Körperpanzer, trugen einfach nur ihre Tunika. Aber Pilen, Schwerter und Dolche zählte Germanicus reichlich. Trotz der lockeren Ordnung und Kleidung hatten die Meuterer das Sommerlager nicht mit friedlichen Gedanken verlassen. Späher hatten ihnen vermutlich das Nahen ihres Imperators gemeldet, und die Aufsässigen kamen, ihn auf ihre Art zu begrüßen.

Germanicus und seine Begleiter hatten unwillkürlich ihre Pferde angehalten, um sich einen besserer Überblick zu verschaffen. Foedus lenkten seinen Braunen dicht an die Seite des Feldherrn und sagte: „Da siehst du das Unheil, Caesar. Noch ist es Zeit umzukehren. Wenn die Meuterer uns erreichen, kann niemand für dein Leben bürgen.“ Der Lagerpräfekt warf einen bedeutsamen Blick auf den kleinen Caligula, der unruhig im Sattel vor seinem Vater hin und her rutschte, und fügte hinzu: „Und auch nicht für das Leben deines Sohnes!“

„Nur die Götter können dafür bürgen“, erwiderte Germanicus und hieb seinem Fliegenschimmel die Fersen in die Flanken.

Ohne auf seine Bedeckung zu warten, galoppierte der Imperator auf die Reihen der Meuterer zu. Foedus und die anderen trieben ihre Tiere ebenfalls zum Galopp an, nachdem sie ihre Überraschung überwunden hatten, schafften es aber nicht, den Vorsprung des Schimmels aufzuholen.

Germanicus drückte seinen Sohn mit einer Hand fest an sich, damit er bei dem scharfen Galopp nicht vom Pferd fiel, und sagte: „Bete, dass die Götter tatsächlich für unser Leben bürgen, kleiner Gaius! Wenn nicht, behält die Seherin recht, und zwei Männer werden sterben.“ Er sah das Kind vor sich zärtlich an. „Ein großer und einer, der es dann nie werden wird.“

Die Meuterergruppen in der Nähe hielten überrascht an und starrten dem heranfliegenden Pferd entgegen. Einige der berittenen Meuterer sprengten auf den Imperator zu. Hatten sie ihn erkannt? Germanicus kümmerte sich nicht darum, ritt einfach weiter, immer weiter, den nächsten Hügel hinauf. Die Reiter, die ihn einkreisen wollten, kamen zu spät. Ihnen blieb nur die Rolle einer unfreiwilligen Eskorte.

Erst als der Fliegenschimmel die Hügelkuppe fast erreicht hatte, musste der Imperator das Tier zügeln. Er war jetzt von Soldaten umringt, und mit jedem Augenblick wurden es mehr. Bald richteten sich Hunderte von Augenpaaren auf ihn und den kleinen Jungen. Verwunderte Blicke und feindselige, aber nicht nur. Germanicus fand auch Reue und die Zuneigung, die der Enkel des Marcus Antonius und in besonders eigenartiger Weise der kleine Gaius bei den Legionären genossen. Darauf baute der Imperator. Diese Zuneigung war in der jetzigen Lage sein einziges Pfand, er musste gut damit umgehen. Er musste den Männern zeigen, dass er ihr Herr war, nicht ihr Feind und auch kein Bittsteller.

„Soldaten Roms“, erhob er seine Stimme laut über das Gemurmel der Umstehenden, das Klirren der unentschlossen gehaltenen Waffen, das Schnauben der Rösser und das Knarren des Sattelleders. „Legionäre, Veteranen, Krieger der Auxilien. Ich bin froh, wieder bei euch zu sein. Ich hörte von eurer Unzufriedenheit und wusste sofort, dass mein Platz bei meinen tapferen Legionen ist. Deshalb kehrte ich eiligst aus Gallien zurück und deshalb ritt ich mit meinem Sohn Gaius, den ihr Caligula nennt, voraus, euch zu begrüßen.“

Caligula!

Der Name pflanzte sich durch die Reihen fort. Die weiter hinten stehenden Meuterer hatten den kleinen Jungen noch nicht gesehen und waren überrascht über seine Anwesenheit. Freudig überrascht, dass das Stiefelchen, der Liebling der Soldaten, unter ihnen war. Das konnte nur ein gutes Zeichen sein.

Germanicus spürte die freundliche Stimmung und fuhr rasch fort: „Aber hier ist ein unwirtlicher Ort für eine Begrüßung. Folgt mir darum in das Lager!“

Er ließ den Schimmel langsam voranschreiten und bahnte sich einen Weg durch die aufklaffende Menschenmauer. Ein Druck mit den Schenkeln, und das Pferd begann zu traben. Das Wunder geschah, die Männer schlossen sich ihm an. Die dem Imperator entgegengeströmt waren, um ihn abzufangen, ihm ihre Bedingungen zu diktieren, ihn vielleicht gar festzunehmen oder Schlimmeres mit ihm anzustellen, ließen sich von ihm willig zurück ins Lager führen.

Die Männer, die ihm jetzt in großen Scharen nachströmten, mochten Meuterer sein, aber das waren sie erst seit kurzer Zeit. Seit vielen Jahren jedoch waren sie daran gewöhnt, ihrem Imperator zu gehorchen und ihm zu folgen. Das legte man nicht so schnell ab, worauf Germanicus gesetzt hatte.

Jetzt atmete er erleichtert durch, als er auf der anderen Seite der Hügelkuppe hinabritt. Er hatte seine Autorität erhalten, sein Leben und das des Sohnes. Aber er wusste auch, dass der weitaus schwierigste Teil noch vor ihm lag. Die Angehörigen dieser vier Legionen hatten den süßen Wein des Nichtstuns und der Ungebundenheit genossen. Sie würden nicht ohne Widerstand tagein, tagaus wieder das brackige Wasser des alltäglichen Dienstes trinken.

Germanicus wagte nicht, sich nach seiner Bedeckung und Foedus umzublicken. Man hätte es ihm als Unsicherheit oder gar Angst auslegen können. Also blickte er starr nach vorn und versuchte, stolz und gleichmütig auszusehen.

Als Caligula, dem die ganze Aktion offenbar langweilig wurde, leise zu plärren begann, strich der Vater ihm beruhigend über das Köpfchen. Der Kleine empfand das als angenehm und gluckste zufrieden.

„So ist es gut, kleiner Gaius“, sagte Germanicus im beruhigenden Tonfall und blickte lächelnd seinen Sohn an. „Du musst fröhlich sein und lachen, wenn wir gleich in das Lager reiten. Du freust dich doch auf das Lager und die vielen Soldaten dort, nicht wahr?“

Caligula brachte ein glucksendes „Ja“ heraus und grinste über das ganze kleine Gesicht, als wolle er auf diese Art seine Antwort bekräftigen.

„Fein.“ Der Vater lächelte. „Dann zeig es den Soldaten, wenn wir im Lager sind. Sei fröhlich und lächle die Männer an. Sie sind unsere Freunde.“

Hoffentlich!, fügte er in Gedanken hinzu, als er das riesige, sich scheinbar über die ganze Ebene erstreckende Sommerlager erblickte.

Gräben, Erdwälle und hölzerne Palisaden, dahinter in langen, geraden Reihen die Zelte, hin und wieder durch große hölzerne Gebäude und Stallungen abgelöst. Aber innerhalb der Verschanzungen konnte Germanicus nicht die kleinste Spur eines geordneten Lagerlebens entdecken. Keine Soldaten beim Appell oder Exerzieren, keine Waffen- und Reitübungen der Rekruten. Niemand, der seine Zeit zum Reinigen und Ausbessern der Ausrüstung verwendete. Was scherte es die Meuterer, wenn sich die Eisenringe ihrer Kettenhemden lösten oder die vom Marschieren krumm getretenen Nägel aus ihren Stiefeln brachen!

Vergeblich suchten die Augen des Imperators nach Offizieren, die Ordnung in das würdelose Chaos brachten. Er hörte ausgelassene Musik statt militärischer Signale, dazu Gelächter und Gesang. Er hörte es aus dem Lager und aus den Ansiedlungen vor den Wällen und Gräben, die aus zerschlissenen Zelten und windschiefen Hütten bestanden. Hier hausten die Händler und Gaukler, die Huren und die Geliebten der Soldaten mitsamt ihren Kindern.

Diese improvisierten, vorübergehenden Städte folgten den Legionen wie im Sommer die Stechmücken den Menschen mit süßem Blut. Sie wurden geduldet, weil sie den Soldaten die nötige Zerstreuung verschafften. Oft waren sie aber auch lästig wie die besagten Mücken, wenn die Zerstreuung wichtiger wurde als der Dienst. Und in Zeiten wie diesen, wo der Gehorsam dem Geist der Meuterei gewichen war, waren sie ebenso gefährlich wie die Mücken, deren Stiche Krankheiten übertrugen. An diesen Städten der Ausschweifungen infizierten sich die Soldaten mit Faulheit, Disziplinlosigkeit, Aufsässigkeit und Ungehorsam.

Germanicus ließ sich seinen Widerwillen nicht anmerken und ritt mit unbewegter Miene durch eine dieser Ansiedlungen auf die Porta Prätoria zu, das große Haupttor des Lagers. Ein anderer Weg kam für den Adoptivsohn des neuen Herrschers nicht in Betracht.

Die Ankunft des Imperators rief Soldaten, Sklaven und andere Schaulustige herbei. Sie bildeten ein Spalier, das kaum der Ehrbezeugung entsprach, umso mehr der Neugier. Viele Männer hielten Weinbecher oder ganze Weinschläuche in den Händen, und einige taumelten trunken, hielten sich nur noch mühsam aufrecht, gestützt auf Kameraden oder Huren. Letztere schienen jedes Schamgefühl verloren zu haben, sogar angesichts ihres Imperators und seines Sohnes. Mit teilweise oder gänzlich entblößten Leibern standen sie da, begehrenswerte junge wie vertrocknete alte, bemitleidenswert dürre und unnatürlich fette Weiber. Einige, vielleicht mit vom Wein gelösten Zungen, schämten sich nicht, dem Feldherrn eindeutige Angebote zu machen.

„Hast du deine Frau nicht mitgebracht, Caesar?“, rief eine fast zahnlose Vettel mit nacktem Oberkörper, deren ausgezehrte Brüste wie leere Weinschläuche aussahen und mit nach unten zeigenden Warzen traurig über dem sich vorwölbenden Bauch lagen. „Dann komm zu mir, Süßer. Ich zeige dir mal, wie es das einfache Volk macht!“ Sie brach in ein kreischendes Lachen aus und steckte damit die umstehenden Frauen und Männer an.

Eine fette, fassförmige Hure mit wahren Melonenbrüsten, die aus dem Stoff ihrer schlampig angelegten Stola quollen, fasste unter die beiden Fleischberge und hielt sie dem Reiter entgegen. „Hier, Imperator, hast du so etwas bei den feinen Damen Roms schon mal gesehen? Bedien dich nur und bring deinen Sohn mit. An mir ist genug für euch beide dran!“

Neues Gelächter brandete auf. Germanicus war froh, als es hinter ihm verklang und er durch die Porta Prätoria ritt. Beiläufig registrierte er das Fehlen der Torwache, angesichts der Umstände hatte er nichts anderes erwartet. Dann konzentrierte er sich auf das, was vor ihm lag: die Konfrontation mit den Meuterern. Sein forsches Auftreten draußen bei den Hügeln hatte eine solche verhindert, hier, innerhalb der Wälle, war sie unvermeidlich.

Kaum gedacht, scharten sich auch schon die Männer um ihn, unrasiert, verlottert, mit weingetränktem Atem und den Augen von Menschen, die, bar jeder leitenden und strafenden Hand, zu allem bereit waren.

Germanicus ließ sein Pferd wie beiläufig im Kreis tänzeln. In Wahrheit wollte er sich einen Überblick verschaffen.

Hinter ihm waren die Meuterer und Menschen aus den Ansiedlungen ins Lager gekommen. Von Foedus und der Bedeckung war nichts zu sehen.