Inhalt



Stefan Burban

Das Blut des Königs

 

Atlantis



Eine Veröffentlichung des
Atlantis-Verlages, Stolberg
Januar 2016

Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin


Titelbild: Mark Freier
Umschlaggestaltung: Timo Kümmel
Lektorat und Satz: André Piotrowski


ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-292-0
ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-318-7

Dieses Paperback/E-Book ist auch als Hardcover-Ausgabe direkt beim Verlag erhältlich.

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Prolog – Lauernder Tod

Der Wald wirkte friedlich. Unschuldig.

Man hätte beinahe vergessen können, welche Gefahr aus ihm drohte.

Wären da nicht die Leichen der Grünhäute gewesen, die auf dem freien Feld zwischen der Holzfällersiedlung Seelding und dem Waldrand vor sich hin gammelten. Die Leichen von Grünhäuten verwesten wesentlich schneller als die von Menschen, sodass sich bereits Schwärme von Fliegen auf ihnen niederließen und die toten Körper den ekelhaft süßlichen Geruch der Verwesung verbreiteten.

Die Palisade war auf jeder Seite mit Wachen bemannt, die den Wald keine Sekunde aus den Augen ließen. Niemand wollte sich überraschen lassen. Niemand wollte unvermittelt die Klinge einer Grünhaut an der eigenen Kehle spüren.

Die frischen Gräber innerhalb der Siedlung waren eine ständige Erinnerung an die Brutalität, mit der die Goblins über Seelding hergefallen waren, und in mehr als einem Herzen brannte der Wunsch nach Rache.

Doch es wurde nicht nur der Wald von Seelding aus beobachtet. Hunderte Augenpaare starrten in die entgegengesetzte Richtung, beobachteten die Palisade, beobachteten die Wachen, hungrig und vom Wunsch zerfressen, den Wall zu überwinden.

Eines der Augen, die Seelding beobachteten, gehörte Margan.

Der Hoheprister des Agranon-Kults griff nach unten und kraulte einen der Goblins hinter dem Ohr, wie man es normalerweise bei einem Haustier tun würde. Die Kreatur gurrte zufrieden.

Hinter ihm standen gut zwei Dutzend Goblinhäuptlinge versammelt, die meisten Felsengoblins, einige wenige Waldgoblins.

Einer der Goblins – durch seine Größe und die grünliche Hautfarbe leicht als Waldgoblin zu erkennen – musterte die Szene eine Weile mit steinerner Miene und wandte schließlich missbilligend den Kopf ab.

Margan schmunzelte. »Dir gefällt es wohl nicht, wie ich deine Art behandle, Grochik?«, fragte der Hohepriester, der seine Heiterkeit kaum verbergen konnte.

»Wir sind keine Haustiere«, murrte der Goblin mit seiner tiefen, gutturalen Stimme.

Margan zog eine Augenbraue nach oben und wandte sich zu dem Goblinhäuptling um. Ein Runzeln zog tiefe Falten über seine Stirn. »Kommt es dir so vor, als würde ich euch für Haustiere halten?«

Anstatt zu antworten, musterte Grochik die Hand, die den kleineren Felsengoblin immer noch hinter dem Ohr kraulte.

Margan kicherte leise. »Nein, ich sehe euch nicht als Haustiere.« Seine Stimme nahm einen harten Tonfall an. »Ihr seid Agranons willige Werkzeuge.«

Bei Klang und Tonfall seines Gegenübers versteifte sich der Goblinhäuptling zusehends.

»Werkzeuge, die versagt haben«, fuhr Margan ungerührt fort.

»Falls wir versagt haben, dann nur, weil ihr uns im Stich gelassen habt«, versetzte Grochik. Die Goblinhäuptlinge ringsum keuchten kollektiv auf. Niemand widersprach Margan. Jedenfalls niemand, der seine Sinne noch beisammenhatte. Der Hohepriester tötete für gewöhnlich schon aus nichtigeren Gründen. Trotzdem sprach Grochik weiter. »Du hast uns versprochen, diese Siedlung würde uns gehören, doch unsere Krieger fielen zu Hunderten unter den Pfeilen und Schwertern der Menschen. Wo sind deine Versprechungen jetzt?«

»Vergiss nicht, Goblin, es waren eure Krieger, die sich zurückgezogen haben, obwohl der Sieg schon zum Greifen nahe war.«

»Der Sieg war zum Greifen nahe?«, höhnte Grochik. »Wie konnte mir das nur entgehen? Wo waren denn eure Kämpfer, als wir die Palisade stürmten?«

»Die Anhänger Agranons sind zu kostbar, um sie zu vergeuden.«

Die Goblins tauschten untereinander Blicke aus, die von Ungläubigkeit über Verwirrung bis hin zu offener Ablehnung und Wut reichten. Trotzdem wagte niemand einen Einspruch.

Niemand außer Grochik.

»Das sind wir also für dich? Gut genug, um in blutigen Kämpfen geopfert zu werden?«

»Niemand hat behauptet, es würde leicht werden …«

»Oh doch«, unterbrach ihn Grochik unwirsch. »Das warst du.«

»… aber Agranon belohnt diejenigen, die Ihm dienen«, fuhr Margan ungehalten fort.

»Und wann soll diese Belohnung geleistet werden? Bis jetzt sind nur wir es, die unser Blut für deine Sache geben.«

»Bald genug. Sei versichert.« Margan unterdrückte nur mit Mühe ein Zähneknirschen. Jegliche Heiterkeit war aus seiner Haltung gewichen. Die Felsengoblins hatte er sicher. Sie waren fanatisch treue Anhänger Agranons. Immerhin hatte er sie in langen Jahren missioniert und nicht wenige seiner Missionare waren in ihren Kochtöpfen gelandet.

Die Waldgoblins waren jedoch ein anderes Kaliber. Sie waren unabhängiger, weniger beeinflussbar. Sie waren fähig, logischer zu denken. Das bereitete ihm größte Sorgen. Zum Glück waren die Waldgoblins bei Weitem nicht so zahlreich wie ihre entfernten Vettern aus den Bergen. Ansonsten hätte ihr Widerwillen durchaus zum Problem werden können.

Grochik stand trotzig und unbeugsam vor ihm, nicht willens, auch nur einen Fußbreit zurückzuweichen. Vielleicht war es an der Zeit für eine Lektion.

Eine Lektion in Sachen Demut.

Und Gehorsam.

»Du willst also deine Belohnung, Grochik?«

»Ich will zumindest wissen, wann sie geleistet wird. Und ob sie diesen Aufwand überhaupt lohnt.«

»Ich habe etwas vorbereitet, mein Freund.« Margan lächelte eiskalt. Grochik versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, doch er wurde zusehends unruhiger. »Ich kann dir nicht sagen, wann die Belohnung geleistet wird. Dies liegt allein in Agranons Willen und wir, die Ihm dienen, dürfen uns nicht anmaßen, Seinen Willen zu hinterfragen.« Sein Lächeln wurde breiter. »Ich kann dir jedoch zeigen, wie Seine Belohnung für alle jene aussehen, die Ihn enttäuschen.«

Nun wurde Grochik hellhörig.

»Folge mir.«

Ohne die Antwort des Goblinhäuptlings abzuwarten, schlenderte Margan an ihm vorbei. Die Häuptlinge folgten, Grochik an der Spitze. Nach einigen Minuten erreichten sie einen kleinen Platz, der von Agranon-Kultisten gesäumt wurde.

Grochik blieb schlagartig stehen.

In der Mitte des Platzes waren an die dreißig Scheiterhaufen aufgeschichtet worden. Auf dem Scheitelpunkt eines jeden war ein Goblin angebunden. Es handelte sich allesamt um Waldgoblins und allesamt gehörten sie Grochiks Clan an.

Der Goblinhäuptling wollte etwas sagen, doch Margan ließ ihm keine Gelegenheit. Auf einen Wink seiner Hand hin warfen Kultanhänger brennende Fackeln auf das mit Lampenöl getränkte Holz.

Die Scheiterhaufen fingen sofort Feuer und erreichten binnen Sekunden die angebundenen Opfer. Diese quiekten und schrien vor Schmerz, als das Feuer ihre Haut verzehrte und Grün in Schwarz verwandelte.

Ihr Todeskampf dauerte mehrere Minuten lang, bevor ihre gequälten Schreie endlich verstummten.

Grochik beobachtete die grauenvolle Szene aus geweiteten Augen. Margan hatte den Eindruck, wären Goblins in der Lage gewesen zu weinen, es wären Tränen über die Wangen des Goblinhäuptlings geflossen.

Endlich wandte der Goblin sich von den brennenden Scheiterhaufen ab und Margan zu. Er kam einen drohenden Schritt näher. Die Felsengoblins und die Agranon-Kultisten scharten sich schützend um ihren Hohepriester. Mehrere Waldgoblins berührten Grochik warnend an der Schulter und dieser kam widerwillig zum Stehen.

Margan war sich der gefährlichen Situation durchaus bewusst. Gut möglich, dass er gerade die Allianz mit den Waldgoblins beendet hatte, doch er glaubte nicht so recht daran. Die Goblins waren allesamt Barbaren und sie benötigten eine starke Hand.

»Verstehst du jetzt, Grochik? Der Lohn für Vertrauensbruch ist der Tod in Agranons Flammen. Denk daran, wenn ihr das nächste Mal gegen die Siedlung vorrückt.«

Grochik starrte Margan einen endlos scheinenden Augenblick an. Schließlich senkte er wie mechanisch den Kopf.

Margan lächelte erneut.

Willige Werkzeuge. In der Tat.