Hans Magnus Enzensberger

Fallobst

Nur ein Notizbuch

Mit Illustrationen von Bernd Bexte

Suhrkamp

Inhalt

Vorwort

Fallobst. Erster und größter Korb

Vorgesprochen

Mitten im Leben –

Fallobst. Der andere Korb

Um einander

Fallobst. Dritter und letzter Korb

Ja aber – Aber ja

Abschließendes Durcheinander

Über Bernd Bexte

Vorwort

Fallobst kann man nicht ernten.

Oft wird es liegengelassen.

Vielleicht taugt es als Dünger.

Mäuse, Würmer, Mikroben

essen es gern.

Keimfrei ist es nicht,

schwer zu verpacken

und kaum zu verkaufen.

Es braucht keine Reklame,

kein Etikett,

keinen Ladenpreis.

Manche sammeln es auf,

wenn sie sonst nichts

zu tun haben, solange

es nicht verfault ist.

Fallobst

Erster und größter Korb

Vorgesprochen

»Mir ist es ein Rätsel, warum die Welt es nicht satt bekommt, zu lesen, ohne dabei etwas zu lernen; aber vielleicht geschieht es aus demselben Grund, aus dem es mir eine Ehre bedeutet, Sie zwei Stunden lang zu unterhalten, ohne mich zu langweilen und ohne Ihnen etwas zu sagen.

Mit großer Hochachtung, Madame, bin ich Ihr sehr ergebener und gehorsamer Diener.«

Denis Diderot, »Brief über die Blinden, zum Gebrauch für die Sehenden«, in: Philosophische Schriften, deutsch von Theodor Lücke, Berlin 2013

»Grande profundum est ipse homo.«

Augustinus

Baltasar Graciáns Ratschläge sind mit Vorsicht zu genießen, denn sie sind für Höflinge und Ohrenbläser gedacht (aber wo er recht hat, hat er recht). Er sagt:

»Es ist eine feste Maxime der Weisen, sich nicht mit der Feder zu vertheidigen: denn solche Vertheidigung läßt eine Spur nach und schlägt mehr in Verherrlichung der Widersacher, als in Züchtigung ihrer Verwegenheit aus. […] Von Vielen würden wir nie Kunde erhalten haben, hätten ihre ausgezeichneten Gegner sich nicht um sie gekümmert. [… ] Die Kunst die Verläumder zu beschwichtigen ist die unbeachtet zu lassen; gegen sie ankämpfen bringt Nachtheil: und eine Herstellung unseres Ansehns, die es schmälert, ist den Gegnern wohlgefällig.«

Baltasar Gracián, Hand-Orakel und Kunst der Weltklugheit, deutsch von Arthur Schopenhauer

»Wie wir wissen, gibt es Dinge, die wir wissen. Wir wissen auch, daß es Unbekanntes gibt, von dem wir wissen, daß es unbekannt ist. Wir wissen, daß es Dinge gibt, die wir nicht wissen. Aber es gibt auch Dinge, von denen wir nicht wissen, daß wir sie nicht wissen.«

Donald Rumsfeld

[Der Wiener Mathematiker Johann] Radon war eine international anerkannte Autorität. Er war ziemlich nervös. Einmal schrieb er zwei Tafeln voll, um zu beweisen, daß 0 = 0. »Das ist richtig«, sagte er mit trauriger Stimme, »aber es hilft uns nicht weiter.«

Nach Paul Feyerabend, Zeitverschwendung, Frankfurt am Main 1995, S. 93

»Beauty is the first test. There is no permanent place in the world for ugly mathematics.«

G. ‌H. Hardy, A Mathematician's Apology

Le Trompe-l'œil déchaîné

»Herrscht Zufall bloß und Augentrug?«

Goethe

»Es ist alles eine Chimäre, aber mich unterhalt's.«

Johann Nestroy, Die Papiere des Teufels, 1842

»A great many people now reading and writing would be better employed keeping rabbits.«

Edith Sitwell

»Wenn einer nach seinen besten Kräften Gemälde macht und einer ebenso Bücher macht und Anne Marei ebenso Schweine mästet, was ist da für ein Unterschied vor Gott, und wer unter ihnen ist berechtigter zum Selbstgefühl als der andere?«

Jeremias Gotthelf

»Ich habe leider keine Ahnung, was modern ist. Wußte aber auch vor fünfzig Jahren nicht, was damals modern war. Das sind doch alles Allgemeinheiten. Ich war neulich dabei, als man über l'art pour l'art sprach. Ich konnte nicht mitreden. Ich wußte weder, was l'art ist, geschweige l'art pour l'art. Wenn man alt wird, beschäftigt man sich nicht mehr mit Allgemeinheiten; diese laufen nebenher, nässen sich ein paar Jahrzehnte durch die Diskussionen, dann trocknen sie aus.«

Gottfried Benn, »Mein Name ist Monroe«, in: Ausdruckswelt (1949)

»Jeder Versuch, zusammenhängende Erinnerungen zu verfassen, läuft auf eine Fälschung hinaus.«

Anna Achmatova

»Manchmal wäre man froh, sich selbst los zu sein.«

Max Beckmann, Tagebuch, 1913

»Er würde sich nie der neuen Welt anpassen. Er hat es auch nicht eilig, auszusterben, so wie es den Grundsätzen der Evolution zufolge seine Pflicht wäre.«

Gilbert Keith Chesterton über sich selbst

»Erstaunlich, daß man am Ende seiner Karriere selber überhaupt nicht weiß, wer man war und ist.«

Gottfried Benn, Brief an Margret Boveri, Berlin, 23. Juli 1949

»Never complain, never explain.«

Mick Jagger

»Je größer die Welt im Vergleich zum einzelnen Menschen wird, desto kleiner der Mensch. Unsere Vorfahren, die nur einen sehr kleinen Teil der Welt kannten und mit einem noch kleineren Teil in Beziehung standen, oft nur mit der eigenen Heimat, waren sehr groß. Wir, da wir nun die ganze Welt kennen und mit der ganzen Welt in Verbindung stehen, sind sehr klein.«

Giacomo Leopardi

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»Man wird sagen: und die Politik? die Interessen des Staates? Große Schriftsteller sollten sich mit Politik nur insoweit befassen, als es nötig ist, sich ihrer zu erwehren.«

Anton Tschechow an Aleksej Suvorin anläßlich der Dreyfus-Affäre und Zolas offenen Briefes an den Präsidenten Faure vom 13. Januar 1898

»Selbst wenn die Geschichte zu nichts anderem zu gebrauchen wäre, eines muß man ihr zugute halten: Sie ist unterhaltsam.«

Marc Bloch