Ich seh dich

 

Tanja Russ

 

Ich seh dich

BDSM-Liebesroman

 

ISBN 978-3-94596-777-5

 

© 2020 Schwarze-Zeilen Verlag

www.schwarze-zeilen.de

 

Alle Rechte vorbehalten.

 

Die auf dem Cover abgebildeten Personen stehen in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt dieses Buches!

Hinweis

 

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.

 

Dieses Buch ist nur für Erwachsene geeignet, bitte achten Sie darauf, dass das Buch Minderjährigen nicht zugänglich gemacht wird.

 

*

 

Julian erinnerte sich an den Tag, als er die nackte Schönheit zum ersten Mal im Vierfüßlerstand auf ihrem Bett knien sah, als wäre es gestern gewesen. Fasziniert bewunderte er ihr Profil, während der Typ hinter ihr mit einer Gerte Muster auf ihren makellosen Körper zeichnete. Der Anblick, wie der Kerl das Schlaginstrument fallen ließ und stattdessen seinen Kopf zwischen ihre Schenkel schob, ein Genuss. Schwierig, den Blick von ihrem Fenster loszureißen, damals wie heute.

Wenige Wochen nach seinem Einzug war ihm in einer lauen Sommernacht in seiner Wohnung die Decke auf den Kopf gefallen. Er brauchte dringend frische Luft, mied jedoch gern den Trouble auf der Straße. So kam er auf die Idee, aus der Dachgaube im Schlafzimmer auf das leer stehende Bürogebäude nebenan zu klettern. Eine Aufgabe, die für einen sportlichen Mann wie ihn, keine Herausforderung darstellte.

Das Dach bot jede Menge Aussicht, Frischluft, interessante Einblicke und die Abgeschiedenheit, die er sich wünschte. Immer am Abgrund entlang schlendernd, hatte er sich die Nachbarschaft in allen Himmelsrichtungen angeschaut. Dabei entdeckte er auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Fenster, das seine Aufmerksamkeit mehr als alle anderen erregte. Sein Blick war in eine Einraumwohnung, ein Stockwerk tiefer, gefallen. Nicht besonders groß und damit für ihn recht gut überschaubar, zumal die Bewohnerin erfreulicherweise eine Abneigung gegen Gardinen zu hegen schien.

Gleich nachdem er von diesem ersten Ausflug in seine Bude zurückgekehrt war, hatte er sich in einem Onlineshop ein sündhaft teures, qualitativ hochwertiges Fernglas bestellt. Außerdem fand er einen bequemen anthrazitfarbenen Stuhl, robust genug, um bei Wind und Wetter draußen zu stehen. Mit dem Rücken gegen den Fahrstuhlschacht gelehnt, fiel der auf dem gleichfarbigen Dach nicht auf. Julian selbst trug fast ausschließlich dunkle Kleidung und verschmolz mit seiner Umgebung. Für die Leute auf der Straße blieb er unsichtbar und niemand, der zufällig aus dem Fenster in seine Richtung schaute, hatte ihn bisher bewusst wahrgenommen.

Verrückt, so viel Geld für einen Feldstecher auszugeben, nur um seine Nachbarin zu beobachten. Aber er gönnte sich das Vergnügen ohne das geringste schlechte Gewissen. Früher war er ein attraktiver Mann gewesen, dem die Frauen zu Füßen lagen. Seit sein Gesicht durch diesen schrecklichen Unfall vor zweieinhalb Jahren entstellt ist, war es damit vorbei. Sobald er aus dem Krankenhaus entlassen worden war, hatte er sein Heimatdorf in Schleswig-Holstein, wo er jeden Stein und jede lebende Seele kannte, verlassen. Mit großem Bedauern, jedoch ohne zu zaudern oder zurückzublicken, ließ er Freunde, Nachbarn und Familienangehörige zurück und zog nach Köln. Er vermisste seine Lieben jeden Tag, doch er bereute seinen Entschluss nicht. Den Tapetenwechsel hatte er dringend gebraucht.

Das Flachdach betrachtete er inzwischen als seine persönliche Dachterrasse und nutzte es täglich. Hier fand er Ruhe. Seine schöne Nachbarin, die ihm ahnungslos ihre verführerischen Kurven präsentierte, sorgte für die Ablenkung, die ihm die Freizeit versüßte.

Egal, ob sie leicht bekleidet auf dem Boden kniete und Fitnessübungen absolvierte oder nackt aus dem Bad stolzierte, um ihr langes schwarzes Haar im Schneidersitz auf dem Bett zu kämmen. Er sah ihr gerne zu. Erfreulicherweise war Sara nicht nur eine lebenslustige, sondern auch eine leidenschaftliche, sexhungrige Frau. Mit der Zeit hatte er ihre Gewohnheiten herausgefunden. Fast jeden Morgen, bevor sie aufstand, knüllte sie die Bettdecke zwischen ihren Schenkeln zusammen und besorgte es sich selbst. Und wenn sie abends geduscht und ihre Mähne gekämmt hatte, legte sie sich nicht selten auf die Matratze und spreizte die Beine, um ein zweites Mal zu masturbieren. Gleichgültig ob sie mit dem Vibrator in ihre rasierte Pussy stieß oder ihre Klit gefühlvoll mit dem Finger bearbeitete. Beides hatte seinen Reiz, da war er nicht wählerisch.

Ab und zu brachte sie einen Kerl mit nach Hause, allerdings nie zweimal denselben. Dann erfreute er sich an Szenen, die er schärfer und sinnlicher fand, als jedes Pornokino, denn Sara Lohmanns Neigungen ergänzten sich perfekt mit seinen Vorlieben. Sie lieferte ihm so höllisch heiße Sessions, dass ihn beim Zuschauen Sehnsucht erfasste. Die eigene Hand um seinen Schwanz fühlte sich dann verdammt gut an. Ganz so als wäre es mehr als Selbstbefriedigung, als wäre er mittendrin, obwohl er nicht dabei war.

Reihenweise hatten ihm die Frauen zu Füßen gelegen, im wahrsten Sinne des Wortes. Doch das war vor dem Unfall gewesen, in einem anderen Leben. Aber er war nicht der Typ Mann, der Vergangenem hinterher weinte. Er hatte seine Leidenschaften exzessiv ausgelebt und genossen. Fast so, als hätte er geahnt, dass dies nur eine Phase in seinem Leben war, die nicht ewig anhalten würde.

Heute spielte er nur noch virtuell. Seine Fantasien lebte er im WhipWeb aus, einem großen BDSM-Internetportal, wo er jede Menge submissive, untervögelte Frauen zum Spielen fand. Mit denen baute er erotische Luftschlösser, heißer als jeder Pornofilm. Sein Kopfkino hatte immer schon gut funktioniert und hier konnte er sich ausleben. Oft genug schickten seine Online-Gespielinnen ihm Nacktfotos von sich. Die schaute er sich lieber an, als irgendein Pornoheft, denn sie waren echt. Julian besaß die Fähigkeit, zwischen den Zeilen zu lesen. Er stimmte sich auf die jeweilige Sub ein und führte sie sanft oder streng, je nachdem, wie sie es brauchte. Und Sara, ihren Namen und Beruf hatte er durch langwierige Internetrecherchen herausgefunden, bot ihm in der Wohnung gegenüber sein ganz persönliches Heimkino.

Zu Beginn seiner Beobachtungen stellte es ihn zufrieden, sich einfach nur an ihrem Anblick zu erfreuen. Doch schnell sehnte er sich nach mehr. Das Klatschen, wenn die Gerte traf, ihre Schreie, ihr Stöhnen. Diese süße Melodie blieb ihm verborgen, da sie die Fenster, während einer Session, stets geschlossen hielt. Außerdem lechzte er danach, den Taktstock zu schwingen, der ihr dieses Lied entlockte. Die Vorstellung, sie zu spüren, zu riechen, zu schmecken, leider nur ein geiler Traum, der niemals wahr werden würde.

Ein tiefer Seufzer entfuhr ihm. Gerade mal dreiunddreißig Jahre alt, hatte er sich damit abgefunden, dass die Zeit, Sex aktiv zu erleben, für ihn vorbei war. Mit einer ungeduldigen Geste strich er sich eine Strähne seiner schulterlangen schwarzen Haare aus dem Gesicht. Er war nun mal nicht mehr der gut aussehende Kerl, auf den die Frauen flogen. Im Moment stellte ihn sein zurückgezogenes Leben in der Großstadt durchaus zufrieden.

Sara war nach seinem Eindruck ein geselliger Mensch. Sie ging häufig aus oder bewirtete einen bunten Haufen gut gelaunter Leute in ihrer kleinen Wohnung. Manchmal kochte sie für ihre Gäste. Dann zauberte sie eine so liebevolle, aufwendige Tischdeko, dass er sich beim Anblick der gedeckten Tafel einsam fühlte. Er selbst wärmte sich meistens nur eine Dose Eintopf auf, den er nicht selten gleich aus dem Topf aß.

Wenn seine Nachbarin ausging, war sie gewöhnlich mit zwei Freundinnen unterwegs. Die eine klein, zierlich und rothaarig, eine Kreuzung zwischen einem Kobold und einer Fee. Die Andere groß, mit langen weißblonden Haaren, erinnerte ihn an eine Barbie. Bevor er Saras Namen herausfand, hatte er sie Schneewittchen genannt. Die drei Mädels bildeten ein scharfes Trio, das bestimmt für eine Menge feuchter Männerträume sorgte, wenn sie sich ins Kölner Nachtleben stürzten.

Gerade trat Sara mit ihrem Geigenkasten in der Hand auf die Straße und stieg in ihr Auto. Dreimal pro Woche probte ihr Orchester. Freitags, samstags und sonntags gab das Ensemble jeweils ein bis zwei Vorstellungen pro Tag. Vor einigen Monaten hatte er seinen Rückzugsort für ein paar Stunden verlassen, um eines ihrer Konzerte zu besuchen. Er stand eher auf ordentlichen Rock, als auf klassische Musik, doch die Melodie hatte ihn auf seinem Platz in der Loge abgeholt und fortgetragen. Weit weg von der harten Realität in eine andere Welt. Die Musik hatte ihn berührt, aufgewühlt und gleichzeitig beruhigt. Nie hätte er so etwas für möglich gehalten. Er hatte sich bemüht, sich auf die Geige zu konzentrieren, sich der Illusion hingegeben, sie spiele nur für ihn. Und sie spielte wundervoll. Sehr gefühlvoll nahm sie ihn mit sich, entführte ihn. An einer besonders gefühlsbeladenen Stelle trieben ihm die Klänge sogar Tränen in die Augenwinkel, die er ungeduldig fortwischte.

Es hatte sich angefühlt, als würde Sara ihn mit ihrer Melodie streicheln. Für die begrenzte Zeit des Konzerts hatte er diese vermeintliche Nähe zugelassen und die Wärme genossen, die sich in seinem Inneren ausbreitete.

*

 

Donnerstag. Auf ihrem Weg von der Orchesterprobe nach Hause besorgte Sara schnell noch eine Flasche Wein und einen Strauß frischer Schnittblumen. Die vier Stockwerke, hinauf in ihr Miniloft lief sie, ohne aus der Puste zu geraten. Wie immer legte sie den Geigenkasten behutsam auf der Kommode neben der Tür ab. Während sie in ihrer offenen Küche eine Vase mit Wasser füllte, ließ sie ihre Blicke grübelnd durch den Raum schweifen. Dann schüttelte sie mit einem spitzbübischen Grinsen auf den Lippen den Kopf.‹Nicht auf den Esstisch. Vielleicht verspürt der Herr ja Lust, mich auf dem Tisch zu bespielen. Eine aufmerksame Sub achtet schon im Vorfeld darauf, dass in diesem Fall nichts im Weg steht.‹ Schmunzelnd arrangierte sie den Blumenstrauß auf dem Tresen, der die Küche vom Wohnbereich trennte. ›Hier kommt er gut zur Geltung‹, dachte sie zufrieden. Sara hielt inne, betrachtete den bunten Strauß gedankenverloren. ›Ne Menge Leute würden mich vermutlich für verantwortungslos halten, wenn sie wüssten, dass ich einen Kerl beim ersten Date in meine Wohnung eingeladen habe.‹ Sie zuckte mit den Schultern. ›Was solls, ich konnte mich schon immer auf mein Bauchgefühl verlassen. Das wird eine heiße Nacht und die möchte ich in einer Umgebung verbringen, in der ich mich wohlfühle. Würde ich ihm nicht vertrauen, hätte ich mich gar nicht erst auf ihn einlassen. Außerdem sind die Möglichkeiten hier vielfältiger. Welches Hotel könnte schon mit meinem Himmelbett aufwarten, mit Pfosten in denen sich Ösen in unterschiedlichen Höhen befinden?‹ Sie lachte und tanzte durch den Raum. Ein bisschen überdreht war sie schon vor diesem Date, das musste sie zugeben. Merkwürdig eigentlich, denn das war ja nicht der erste Kerl, den sie in ihr Zuhause eingeladen hatte. Ob es an dem großen Altersunterschied zwischen ihnen lag? Sie zuckte die Schultern. Wen interessierten schon die zwanzig Jahre, die sie trennten? Konrad war ein erfahrener Herr, bei dem sie sich gut aufgehoben fühlte. Immerhin chattete sie schon seit einigen Wochen mit ihm. Kennengelernt hatte sie ihn im WhipWeb. Das BDSM-Portal stellte ihre bevorzugte Gesprächsplattform im Internet dar. Seitdem sie sich mit ihm austauschte, trieb sie sich häufiger dort herum als gewöhnlich. Er war ein Mann nach ihrem Geschmack, dominant und zielgerichtet in seinem Führungsstil. In ihrem Höschen kribbelte es mächtig, wenn sie sich mit ihm unterhielt. Dabei ließ er sich noch nicht einmal auf ein heißes Rollenspiel ein. Unmissverständlich hatte er ihr zu verstehen gegeben, dass er kein Tastaturwichser, wie er es nannte, sei. »Real oder gar nicht!«, hatte er resolut gesagt und sie mit der Behauptung gelockt, er könne ihr geben, wonach sie sich sehnte und sie werde sich ihm mit Freuden unterwerfen. Nun, reden konnten die meisten Doms im WhipWeb gut. Heute durfte er den Beweis antreten. Sara war gespannt, ob er tatsächlich so toll war, wie er behauptete.

Ob Konrad ihr Zuhause gefallen würde? Sie fühlte sich pudelwohl hier, aber wie würde ihre Wohnung auf einen achtundvierzig Jahre alten Mann wirken? Die türkisfarbene Ledercouch mit dem passenden Sessel traf nicht jedermanns Geschmack. Ihr gefiel der Farbtupfer sehr und auch ihre Freundinnen fanden die Couch total stylish. Die Ledergarnitur dominierte den Raum und bildete einen fröhlichen Kontrast zu ihren dezenten, hellen Pinienholzmöbeln.

Gleich bei der ersten Besichtigung hatte sie sich in die geräumige Einraumwohnung verliebt. Vier Jahre war das inzwischen her. Als einen der größten Pluspunkte empfand sie nach wie vor, dass sie sich trotz bodentiefer Fenster erlauben konnte, komplett auf Gardinen zu verzichten. Tagsüber war ihr Zuhause lichtdurchflutet und nachts konnte sie vom Bett aus in die Sterne schauen. Das Bürogebäude gegenüber stand schon seit vielen Jahren leer. Kein Problem, nackt durchs Zimmer zu tanzen, niemand sah sie hier oben.

Sie zuckte die Schultern. ›Eigentlich egal, ob ihm mein Miniloft gefällt oder nicht. Er soll ja nicht hier einziehen.‹

In gespannter Erwartung sprang sie unter die Dusche, pflegte und rasierte sich sorgfältig. Weil das Bad klein war, cremte sie sich im Wohnzimmer mit ihrer nach Jasmin duftenden Bodylotion ein. Bevor sie sich nach seiner Anweisung ankleidete, kämmte und föhnte sie ihr langes Haar. Schwarzer, enger Rock, der kurz über den Knien endete, rote hochgeschlossene Bluse, nur der oberste Knopf sollte geöffnet sein. Dazu Halterlose und die roten High Heels, die sie sich extra gestern noch gekauft hatte, um ihr Outfit zu vervollständigen. Seinem Wunsch entsprechend trug sie keine Unterwäsche und kniete pünktlich um siebzehn Uhr dreißig auf ihrem Himmelbett. Konrad wünschte, dass sie eine halbe Stunde vor seinem Eintreffen in dieser Position verharrte. Das Gesicht dem Fußende ihres Bettes zugewandt, damit sie sich in der vollständig mit Mosaikspiegeln beklebten Badezimmertür, sehen konnte. Sie sollte sich ausschließlich auf die Sub in ihr konzentrieren, darauf, was sie zu geben hatte und was sie zu nehmen in der Lage war. So lautete die Anweisung des Herrn.

Ihre eigenen Atemzüge klangen überlaut in ihren Ohren. Das Herz pochte genauso wild, wie ihre Pussy. Dreißig Minuten hatte sie hier zu knien und jede Sekunde schien wie eine kleine Ewigkeit dahinzukriechen. Die Musikanlage oder den Fernseher anzuschalten, hatte er ihr verboten. Sogar das Gurren einer Taube konnte sie trotz des geschlossenen Fensters in der Stille hören. Obwohl ihre Position in dem engen Rock schnell unbequem wurde, zwang sie sich, ruhig und ohne Herumrutschen zu verharren. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren, denn vom Bett aus konnte sie die Uhr nicht ablesen, die im Küchenbereich an der Wand hing und leise vor sich hin tickte. Sara legte Wert darauf, dass er sie exakt so vorfand, wie er es befohlen hatte. Deshalb bewegte sie sich nicht. Ihr Mund war trocken, ihre auf den Oberschenkeln ruhenden Hände dafür schweißnass. Die Achterbahn in ihrem Magen drehte immer rasantere Doppelloopings. Doch neben der ganzen Nervosität, vermittelte ihr diese halbe Stunde des Wartens, auch ein Gefühl von Dankbarkeit. Einfach nur, weil sie seinem Willen folgen durfte.

Endlich hörte sie das Geräusch des Wohnungsschlüssels im Schloss, den sie vereinbarungsgemäß von außen hatte stecken lassen. Schnell senkte sie den Blick auf die Matratze. Lauschte dem leisen Klicken der sich schließenden Tür.

Schritte.

Herzklopfen.

Ihre feuchte Mitte pochte.

Schwarze, blank geputzte Schuhspitzen kamen vor dem Bett zum Stehen. Dann seine erste Berührung. Zwei Finger unter ihrem Kinn, die ihren Kopf energisch hoben, bis sie in kühle eisblaue Augen sah.

Gänsehaut.

Unwillkürlich verzog sich ihr Mund zu einem Lächeln.

»Guten Abend, Sir.«

»Scht! Habe ich dir erlaubt zu sprechen?«

Sie schluckte, schüttelte den Kopf. Er krallte eine Hand in ihre Bluse, da wo der oberste, offene Knopf ihr ein wenig Platz zum Atmen ließ. Dann riss er an dem Stoff, dass die Knöpfe in alle Richtungen flogen. Ein erschrockener Schrei entfuhr ihr, den Konrad sofort mit einem heißen Kuss erstickte. Energisch durchpflügte er ihren Mund mit seiner Zunge, entlockte ihr einen wohligen Seufzer. Doch schließlich griff er in ihre Haare und zog ihren Kopf ein Stück zurück.

»Zieh die Bluse aus«, knurrte er. »Und dann wirst du im Vierfüßlerstand durch das Zimmer kriechen und die Knöpfe suchen. Du möchtest sie doch morgen sicher wieder annähen.«

Sara schluckte. ›Wow, der hält sich nicht mit langen Vorreden auf.‹ Mit gesenktem Blick folgte sie seiner Anweisung. Eine Herausforderung, sich von einem Dom erniedrigen zu lassen, den sie noch nie zuvor real getroffen hatte. Und das, noch bevor die Session überhaupt richtig begann.

Als sie anfing, ihre submissive Ader auszuleben, hatte sie viel sinnlose Zeit darauf verplempert, mit sich zu hadern. Wie war es möglich, dass eine selbstbewusste, lebenslustige Frau wie sie, die mit beiden Beinen im Leben stand, sich in eine unterwürfige Sklavin verwandelte und dabei auch noch Lust empfand? Warum akzeptierte sie irgendeinen Kerl als ihren Herrn? Wieso durfte der ihr Befehle erteilen, sie schlagen und demütigen und warum befolgte sie mit Freude und Dankbarkeit jede seiner Anordnungen? Wieso fühlte sich das so gut an, dass sie nicht genug davon bekam?

Lange hatte sie gebraucht, bis sie erkannte, dass sie gar keine Verwandlung vollzog, sondern nur einen Teil ihrer Persönlichkeit auslebte. Ihre Sehnsucht nach Führung, danach, die Kontrolle abgeben zu dürfen und sich mit ganzer Hingabe auf einen dominanten Mann einzulassen, musste wohl schon immer in ihr geschlummert haben.

Das Einzige, was sie im Moment bedauerte, war, dass sie immer noch ihren engen schwarzen Rock trug. Das erschwerte ihre Fortbewegung erheblich und verwehrte Konrad den Blick auf ihren knackigen nackten Arsch. Aber sie spürte, dass er sie beobachtete, und war sicher, dass ihm nicht die kleinste Bewegung entging. Das machte sie stolz. Sie kroch kreuz und quer durch den Raum und sammelte die Knöpfe auf. Nur gut, dass die kleinen hellroten Dinger auf ihrem dunklen Echtholzboden deutlich zu erkennen waren und sie schnell alle gefunden hatte.

Kniend überreichte sie ihm schließlich sechs rote Knöpfe, die er für einen Moment lächelnd in der Hand wog. Dann legte er sie achtlos beiseite und sein aufmerksamer Blick aus eisblauen Augen traf sie erneut.

»Steh auf und zieh den Rock aus!«

Ohne zu zögern, befolgte sie seine Anweisung und stand wenige Sekunden später nackt, nur noch in ihren schwarzen Halterlosen, vor ihm.

Schweigen.

Seine Augen schienen jeden Zentimeter ihres Körpers abzutasten. Reglos verharrte sie, während er einmal um sie herum ging. In ihren Ohren wummerte ihr schneller Herzschlag. Als er plötzlich nach ihren Pobacken griff und fest hinein kniff, hätte sie vor Schreck beinahe einen Hopser nach vorn gemacht. Aber sie beherrschte sich im letzten Moment, spannte ihren Körper nur an wie einen Flitzebogen.

»Bleib locker! Los, reib deinen süßen Arsch an meinem Becken.«

Sie schmiegte ihre Backen gegen seine Hüften, rieb über den rauen Stoff seiner Hose, spürte seinen harten Schwanz und keuchte leise, während sie ihn massierte. Er packte ihre Brüste, knetete sie. Sara erbebte unter dem Druck seiner langen, leicht schwieligen Finger. Sie spreizte die Beine etwas weiter und lehnte sich gegen seine Brust. Er kniff so fest in ihre Nippel, dass sie kurz die Luft anhielt, spielte dann wieder sanft mit ihren Knospen und drückte wenig später ohne Vorwarnung erneut kräftig zu. Schmerz und wohliges Kribbeln, immer im Wechsel, bis sie laut stöhnte und sich heftiger an ihm rieb. Er schob eine Hand in ihren Schritt, presste sie noch enger an sich. Dann stieß er zwei Finger in sie, gab dabei ein lang gezogenes animalisches Knurren von sich. »Was bist du nur für eine nasse, geile Schlampe! Beug den Oberkörper weiter runter und stütz dich mit den Händen auf der Matratze ab.«

Willig positionierte sie sich nach seiner Anweisung, streckte ihm sehnsüchtig ihren Arsch entgegen. Das Geräusch seines Gürtels, den er aus der Hose zog, sorgte dafür, dass ihr der Atem stockte. Er tätschelte kurz ihre Backen, dann schlug er zu.

Fest.

Feurig.

Das Leder zischte durch die Luft, klatschte auf ihr Hinterteil. Ihr eigener Schrei hallte in ihren Ohren und alles, was sie noch wahrnahm, waren der scharfe Schmerz, ihre pochende Pussy und seine Präsenz.

»Ja, genauso! Deine Schreie bringen mein Blut zum Kochen, Schlampe! Deine Haut ist herrlich empfindlich. Du solltest diese geilen roten Striemen sehen. Stehen dir verdammt gut!«

Sie wusste nicht, wie oft das Leder traf, nur das ihre Kehrseite heißer loderte als das Höllenfeuer. Froh darüber, sich mit den Händen auf dem Bett abstützen zu dürfen, hörte sie schließlich, wie er den Gürtel auf den Boden warf. Obwohl ihr eigener schwerer Atem in ihren Ohren dröhnte, vernahm sie das leise Geräusch seines Reißverschlusses. Im nächsten Moment spürte sie seinen harten Schwanz an ihrem Eingang. Mit einem festen Stoß füllte er sie aus, verharrte einen Augenblick, um sich ihre lange Mähne um eine Hand zu wickeln. Dann stieß er zu. So hart, dass Sara ihre Position nur mit Mühe hielt. Seine Eier klatschten gegen ihre Schenkel. Immer, wenn er sich zurückzog, ziepte ihre Kopfhaut. Verdammt, das war genau das, was sie jetzt brauchte. Wilder, animalischer Sex, der ihr den Verstand raubte. Wieder und wieder rammte er sich in sie. Schweißtropfen standen ihr auf der Stirn. Ihre Brüste wippten im Takt seiner Stöße. Ihre eigenen Schreie peitschten sie zusätzlich hoch, bis kurz vor den Gipfel. Als er nach ihrer Scham griff und über ihre Perle rieb, explodierte sie so heftig, dass ihr die Beine wegknickten. Heiß spritzte er seinen Saft auf ihre glühenden Backen, während sie kraftlos mit dem Oberkörper auf der Matratze hing und nach Luft rang. Mit einem Papiertuch säuberte er ihren Hintern, dann setzte er sich aufs Bett und zog sie auf seinen Schoß. Dass er immer noch fast vollständig bekleidet war, störte sie ein wenig. Doch er drückte sie sanft an sich und streichelte ihren Rücken.

»Wow, das war ein geiler Ritt. Du gefällst mir. Du bist etwas ganz Besonderes«, flüsterte er ihr ins Ohr. Eine Gänsehaut kroch über ihren Körper. Sie war total erledigt und ihr Hirn noch nicht in der Lage, eine intelligente Antwort zu formulieren. Deshalb blieb sie stumm, genoss die Wärme, die seine Worte in ihrem Inneren auslösten und strahlte ihn einfach nur an.

Er küsste sie lang und zärtlich, hielt sie eine Weile in seinen Armen. Sie hoffte, er würde über Nacht bleiben, damit sie eng an ihn geschmiegt einschlafen konnte.

»Ich muss leider gehen. Aber wir sehen uns wieder. Nächsten Donnerstag, gleiche Uhrzeit«, sagte er für ihren Geschmack viel zu schnell. Trotzdem lächelte sie ihn an. »Ich freue mich jetzt schon darauf. Danke, Sir.«

*

 

Wow, was für ein geiler Ritt! Schmunzelnd ließ Julian das Fernglas sinken. »Das hatte echt Pfeffer, Kätzchen. So ne Nummer kannst du gern öfter abziehen«, murmelte er zufrieden in die Dunkelheit. Sein Schwanz war noch immer steinhart. Er hatte ihn nur leicht mit der Linken massiert, während er mit der Rechten den Feldstecher hielt, um nur ja keine Sekunde der Show zu verpassen. ›Hätte ruhig noch ein bisschen länger dauern können, die Session. Ein bisschen? Das könntest du von mir aus die ganze Nacht machen. Ich bin dabei.‹ Er betrachtete ihren nackten Körper auf dem Bett. Sie schien ziemlich erledigt zu sein. Toller Anblick, so eine bis zur Erschöpfung gevögelte Frau. Gerne hätte er noch mal einen Blick auf ihren von den Gürtelhieben stark geröteten Arsch geworfen, aber sie lag jetzt auf dem Rücken.

Während er sich vorstellte, sie bei den Kniekehlen zu packen und seinen Schwanz in ihre frisch gefickte Pussy zu stoßen, wurde sein Griff um seinen Schaft fester. Wie nass und warm sie ihn umschließen würde. Wie sie sich wohl anhörte, wenn sie um mehr bettelte? Er würde ihr befehlen, die Augen geschlossen zu halten, und sie vögeln, ohne das sie ihn sehen konnte. Ohne, dass sie überhaupt wusste, wer er war. Tief würde er sich in sie versenken. Seine Bewegungen wurden schneller. Ihm wurde immer heißer. Druck baute sich auf. Der Typ hatte seinen Saft auf ihren hübschen Hintern gespritzt. Julian hätte gerne auf einen ihrer kleinen roten Nippel gezielt. Er legte an Tempo zu, fühlte die dicke Ader auf seinem Schwanz, in ihm stieg noch mehr Hitze auf. Wie gerne würde er dabei zusehen, wie seine Soße träge an ihren Brüsten herablief. In das Tal dazwischen. Was für eine geile Vorstellung! Er spürte, wie der Saft in ihm hochstieg. Da war er, der Siedepunkt. Jetzt! Ihre Brüste. Ihr Nippel. Sein Ziel. Er würde ihn treffen. Jetzt! Er ließ das Fernglas los, das dank des Haltegurts auf seine Brust fiel, ballte die Hand zur Faust, während ihm der Saft warm über die Finger der Anderen lief. Er seufzte wohlig, ein befreites Lächeln huschte über sein Gesicht. Ein paar Minuten blieb er einfach sitzen, ganz entspannt. Genoss den Frieden in seinem Inneren, während er in ihr hell erleuchtetes Fenster gegenüber blickte. Ohne durch das Fernglas zu schauen, konnte er sie nur schemenhaft erkennen. Aber das Bild, wie sie dort drüben erschöpft auf der Matratze lag, war vor seinem geistigen Auge lebendig. In diesem stillen Moment fühlte er sich mit ihr verbunden. Sie wäre vermutlich entsetzt, wenn sie das wüsste, aber ihm gab es ein gutes Gefühl.

In aller Ruhe säuberte er sich mit einem Taschentuch und stand auf. Wurde langsam kühl hier draußen. Deshalb legte er den Feldstecher unter den kleinen Vorsprung am Fahrstuhlschacht, der ihn vor Regen schützte und kletterte durch das Schlafzimmerfenster zurück in seine Wohnung.

Der Anblick seines zerwühlten Bettes, entlockte ihm ein unwilliges Stirnrunzeln. Julian war ein ordentlicher Mensch. Gewöhnlich machte er sein Bett gleich nach dem Aufstehen. Er lebte allein und hatte keine Lust, zu verlottern. Disziplin! So wichtig! Ordnung gab seinem Leben Struktur. Schnell ordnete er das Bettzeug, obgleich sich das gar nicht mehr lohnte, weil es schon fast wieder an der Zeit war, schlafen zu gehen. Dann ging er hinüber in sein Wohn- und Arbeitszimmer. Tief sog er die Luft durch die Nase ein. Der Duft nach Leder besänftigte ihn augenblicklich.

Julian liebte Leder. Irgendetwas selbsthergestelltes aus seinem Lieblingsmaterial trug er stets am Körper. Eine handgefertigte Lederhose, die sich wie eine zweite Haut an die Schenkel schmiegte, eine Weste, Hut oder Zylinder, oder auch nur einen Gürtel. Das Material zu tragen beruhigte ihn. Es unter seinen Händen zu spüren, erdete ihn, damit zu arbeiten, forderte ihn und reizte seine Kreativität. Nach seiner Überzeugung gab es kaum etwas, was man nicht aus Leder herstellen konnte. Und wenn jemand behauptete, ein Gegenstand sei unmöglich daraus zu fertigen, spornte ihn das an.

Angefangen hatte alles mit einem Armband, als er noch zur Schule ging. Durch Zufall kam er an ein Stück Leder und bastelte daraus ein breites Band für sein Handgelenk. Mitschülern und Freunden gefiel das Lederband so gut, dass sie ihn ständig darum baten, auch eins zu bekommen. Also besorgte er sich mehr Material, verzierte die Lederarmbänder mit Ornamenten oder Sprüchen und je mehr er fertigte, desto schöner und detailreicher wurden seine Arbeiten. Bald schon verdiente er sich mit kleinen Aufträgen ein wenig Geld nebenher, von dem er nach und nach ordentliches Werkzeug kaufte. Einmal geweckt, kannte seine Kreativität keine Grenzen. Mit Begeisterung tüftelte und lernte er, und wenn etwas daneben ging, versuchte er es so lange, bis ihn das Ergebnis zufriedenstellte. Er fabrizierte Lederhosen, Westen, Gürtel, Portemonnaies, Taschen, Ketten und Hüte aus Rindsleder in sämtlichen Formen. Er bezog Barhocker, stellte Fahrrad- und Motorradsättel her und fertigte sogar Kommoden aus Leder.

Als er noch in seinem Dorf in Schleswig-Holstein lebte, nannte er einen urigen kleinen Laden auf St. Pauli sein eigen. Damals war er täglich die wenigen Kilometer von zuhause nach Hamburg ins Geschäft gefahren, wo er seine Lederwaren herstellte und verkaufte.

Nach dem Unfall sah er sich gezwungen, alle Brücken hinter sich einzureißen. Schweren Herzens schloss er seinen geliebten Laden für immer und ging, mit dem Ziel, eine möglichst große Entfernung zwischen sich und allem, was ihm vertraut und wichtig erschien, zu bringen.

Seitdem er nach Köln umgezogen war, arbeitete er im Wohnzimmer. Für einen Moment hielt er inne und ließ seinen Blick durch den sauberen, aufgeräumten Raum schweifen. Lederreste sammelte er in einer Box, die er griffbereit auf der Werkbank am Fenster aufbewahrte. Die Werkzeuge warteten ordentlich nebeneinander aufgereiht auf ihren Einsatz. Alles lag an seinem Platz, wo es hingehörte. Julian hasste Chaos.

Das dunkelbraune Ledersofa hatte er für ein paar Euro gebraucht gekauft und neu bezogen. Mit den passenden, selbst gefertigten Lederkissen, sah es jetzt aus, wie ein teures Designerstück. Eine Truhe aus schwarzem Leder, die er einer Piratenkiste nachempfunden hatte, nutze er als Couchtisch.

Julian nickte zufrieden. Umgeben von Ordnung und von seinem Lieblingsmaterial fühlte er sich wohl.

Zielstrebig steuerte er auf den schmalen Schreibtisch an der Wand zu, und startete den Computer. Nach der geilen Show, die Sara ihm geboten hatte, war seine Gier so groß, dass der Orgasmus auf dem Flachdach ihn nicht vollständig befriedigt hatte. Er verspürte Lust, sich mit einer seiner Online-Subs im WhipWeb in eine lustvolle Träumerei fallenzulassen. Cybersex. Kein Ersatz für ein echtes Haut-an-Haut-Gefühl. Aber sein Kopfkino lief auf Hochtouren und suchte ein Gegenstück. Carmen zum Beispiel. Im wahren Leben eine brave Ehefrau und Mutter, die ihren Gatten liebte und nie aktiv betrügen würde. Doch wenn der auf Spätschicht weilte und ihre Tochter schlief, verwandelte die Frau sich in eine tabulose Sklavin, deren höllisch heiße Fantasien seinen eigenen in nichts nachstanden. Virtuell lebte sie ihre devote Ader ohne schlechtes Gewissen mit ihm aus und Julian verstand es, ihre geheimen Sehnsüchte zu triggern, bis sie vor Nässe triefte.

Nach der ersten gemeinsamen Session hatte er ihren lustgetränkten Slip verlangt. »Wie soll das gehen, Sir?«, hatte sie ihn verwirrt gefragt. »Ganz einfach«, antwortete er. »Wenn du meine Sub werden möchtest, will ich dich riechen können. Zieh dein Höschen aus und schick es mir per Post.«

Zwei Tage später erhielt er die geforderte Trophäe, an der noch der süße Duft ihrer Lust haftete. Er fertigte ein Lederhalsband speziell für sie, für das sie sich überschwänglich bei ihm bedankte. Wenn er mit ihr chattete, bekam er häufig Fotos von ihr und immer trug sie sein Band um den Hals. Er liebte diese Bilder. Erst durch den Stolz in ihren Augen und dem Strahlen auf ihrem Gesicht wurde sein Produkt zu einem einzigartigen Schmuckstück.
Mit Carmen spielte er regelmäßig, aber nicht ausschließlich.

Julians Lederwaren fanden viele Fans in der BDSM-Szene. Er galt als Künstler in seinem Job und war im WhipWeb bekannt wie ein bunter Hund. Sein Promistatus brachte Vor- und Nachteile mit sich. Er erhielt zahlreiche Anfragen per Mail, deren Beantwortung sich oft zeitaufwendig und nervig gestaltete. Die Vorteile überwogen allerdings. Er bekam lukrative Aufträge und die Frauen schienen ihm gegenüber aufgeschlossener zu sein als gewöhnlich.

Früher war er stolz darauf gewesen, dass man seinen Laden über St. Pauli hinaus in ganz Hamburg und Umgebung kannte. Dank Internet waren seine Produkte heute in der BDSM-Szene in Deutschland, Österreich und der Schweiz beliebt. Sogar ein italienischer Importeur hatte neulich eine größere Bestellung angefragt, die Julian bedauerlicherweise ablehnen musste, da er am äußersten Limit seiner Kapazitäten angelangt war. Er hatte bereits einen Studenten einstellen müssen, der die Ware für den Versand verpackte und zur Post brachte. Jemanden zu beschäftigen, der ihm bei der Fertigung half, kam nicht infrage. Die Leute kauften bei ihm, weil sie seine Handarbeit schätzten und die bekamen sie auch. Und schneller, dafür aber weniger akribisch zu arbeiten, würde bedeuten, die Qualität zugunsten der Quantität herunterzufahren. Das verbot sich von selbst.

Seine Produkte waren zurecht begehrt, wie er fand. Er rief das Foto von Carmen auf, das sie ihm erst vor einigen Tagen geschickt hatte. Er hatte ihren Namen in das Lederband gestanzt. Die Buchstaben weit auseinander, dazwischen Blumen und eine Triskele. Vorn ein breiter silberner Ring, der die filigranen Muster gut zur Geltung brachte.

Jede seiner Online-Subs besaß ein individuell für sie gefertigtes Halsband. Keine der Frauen bedeutete ihm wirklich etwas, aber sie halfen ihm, die Realität für eine Weile zu vergessen. Und er mochte den Anblick seiner Produkte auf der Haut ihrer Besitzer. Erst um einen Hals, um die Gelenke oder um eine Taille wurden seine Stücke lebendig und entfalteten ihre wahre Schönheit, fand er.

Bedauerlicherweise war keine seiner Spielgefährtinnen online. Da er noch keine Lust hatte, schlafenzugehen, lehnte er sich bequem zurück und surfte gelangweilt durch die Profile der weiblichen Mitglieder. Wieder einmal wunderte er sich, wie sehr die Profiltexte einander glichen. Es gab zwei Gruppen. Die Sexhungrigen, die leicht zu haben waren und die braven Hausfrauen. Letztere aus der Reserve zu locken, stellte eine Herausforderung für seinen Jagdtrieb dar. Die Mühe lohnte sich meistens, denn der Sieg schmeckte süß und gerade die, die schwer zu knacken waren, gingen oft richtig ab.

Gleichmütig schaute er sich die Profilbilder an. Rote, Blonde, Brünette, Schwarzhaarige. Von zwanzig bis über sechzig alles vertreten. Doch plötzlich stockte er. ›Na schau an, das darf doch nicht wahr sein!‹ Fröhliche graublaue Augen blitzten ihn unter langen dunklen Wimpern an, weiche rote Lippen formten ein betörendes Lächeln, herzförmiges Gesicht, umarmt von schwarzen Haaren.

Sara.

Hier.

Auf seiner virtuellen Spielwiese!

Versonnen betrachtete er ihr Profilfoto. Die Frau besaß eine hammermäßige Ausstrahlung. Frisch, lebenslustig, verführerisch. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, einen Text in ihr Profil zu schreiben, obwohl sie sich offenbar schon eine ganze Weile hier herumtrieb. Das wirkte auf ihn geheimnisvoll. Vielleicht fehlte ihr aber auch das Interesse, sich einen witzigen oder zumindest halbwegs informativen Profiltext einfallen zu lassen. Scheinbar nutzte sie die Plattform, denn ihr letzter Log-in war erst gestern gewesen. ›SüßeSünde_28 ... netter Nickname, Kätzchen, sehr passend.‹ Er holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank und trank einen Schluck. Dann grinste er. »Sara hier im WhipWeb. Das eröffnet ungeahnte Möglichkeiten. Wollen wir doch mal sehen, ob ich dich aus der Reserve locken kann.« Grübelnd betrachtete er ihr hübsches Gesicht. Ihm blieb nur ein Versuch, ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Und in ihrem Fall mochte er sich nicht auf seinen Promi-Status verlassen. Unmöglich, ihr weitere Nachrichten zu schicken, ohne wie ein notgeiler, sabbernder Idiot zu wirken, wenn sie auf die Erste nicht reagierte. Offensives Baggern schied aus. Solche Mails bekam sie sicher haufenweise. Sein Instinkt sagte ihm, dass sie darauf nicht reagieren würde. ›Geheimnisvoll. Muss ihre Neugier wecken. Aber es darf nicht zu bemüht aussehen.‹ Er schrieb ihr ein paar kurze Zeilen und schaltete den Computer aus, sobald er sie abgeschickt hatte. Falls sie ihm antwortete, wollte er nicht in Versuchung geraten, ihre Message zu rasch zu lesen, um nicht den Anschein von Bedürftigkeit zu erwecken. Ohnehin höchste Zeit für eine Mütze Schlaf. Er trank sein Bier aus und ging ins Bett. Doch seine Gedanken kamen nicht zur Ruhe. ›Was für ein Zufall, dass Sara sich ausgerechnet im WhipWeb herumtreibt. Obwohl eigentlich nicht. Ist immerhin eine namhafte Internetplattform für BDSMler. Das ist die Chance, sie näher kennenzulernen, ohne ihr gegenüberzutreten. Aber ich muss es vorsichtig angehen. Sie darf nicht merken, wie viel ich über sie weiß. Besser nicht mit ihr kommunizieren, wenn ich ein Bierchen zu viel intus habe. Hätte mir mehr Mühe geben können. Etwas Intelligentes oder wenigstens was Witziges schreiben, anstelle der paar nichtssagenden Zeilen. Egal, ich werde sie halt nach und nach mit meinem Charme einwickeln.‹ Er drehte sich auf die Seite und zog die Decke über die Schultern. Aber er konnte nicht schlafen. Lag bestimmt daran, dass er immer noch Lust auf Sex hatte. Er stand wieder auf, holte sich noch ein Bier aus dem Kühlschrank, stieg aufs Flachdach, setzte sich bequem auf den Stuhl und schaute hinüber zum Fenster gegenüber. Alles dunkel da drüben. Kein Wunder mitten in der Nacht. Er lehnte sich zurück, blickte in den Sternenhimmel, stellte sich vor, neben ihr im Bett zu liegen. Wie sie wohl roch? Verdammt, er hatte Lust auf sie. Jetzt! Wenn sie seine Sub wäre, würde sie seinem Willen gehorchen. Und wenn er sie vögeln wollte, konnte er das tun, wann immer ihm der Sinn danach stand. Vielleicht lag sie gerade auf dem Bauch. Er würde vorsichtig die Decke von ihrem nackten Körper ziehen, die Hinterseiten ihrer Schenkel streicheln. Er war sicher, dass sie seine Berührung auch im Schlaf spürte. Ganz unbewusst und ohne aufzuwachen würde sie die Beine ein wenig spreizen. Ihre Haut, weich wie Samt unter seiner Hand. Behutsam tätschelte er ihren süßen Arsch. Offenbar nahm sie die Reize in ihren Traum auf, denn sie seufzte und murmelte leise »Ja, Herr, bitte fick mich.« Er vergewisserte sich. Nein, sie war immer noch nicht aufgewacht. Sanft streichelte er mit einem Finger ihre Schamlippen und lächelte. Sogar im Schlaf war sie nass und bereit für ihn. Als er mit dem Finger über ihre Klit strich, versteifte sie sich ganz kurz. »Julian!«, stöhnte sie. Ihre Atmung hatte sich verändert. »Du bist wach, Kätzchen. Ich will dich, dreh dich um.« Gehorsam drehte sie sich auf den Rücken, spreizte die Schenkel weit und starrte ihn mit ihren großen Augen sehnsüchtig an. »Komm zu mir Julian.« Ihre Schamlippen glänzten feucht im fahlen Mondlicht. Er verschwendete keine Zeit mehr mit dem Vorspiel, drang tief in sie ein und legte ihre Beine auf seine Schultern.

Hitze.

Nässe.

Weichheit.

Hungrig stieß er in sie. Sie stöhnte, bettelte um mehr. Er tat ihr den Gefallen, pumpte härter in sie. Nahm sie tiefer. Immer wieder stieß er zu, bis sie unter ihm erbebte. Warm, nass und klebrig rann ihm sein Saft über die Hand.

Er tauchte auf aus seiner Fantasie. Drüben war es nach wie vor stockfinster. Er hatte kein Taschentuch dabei, wischte seine Hand einfach am T-Shirt ab. Er würde es in den Wäschekorb werfen, sobald er wieder drin war. Sehnsucht erfasste ihn. Himmel, wie lange hatte er keine Frau mehr gehabt. Nie wieder würde er vögeln, sein ganzes restliches verdammtes langes Leben nicht. Er trank einen großen Schluck Bier aus der Flasche, ballte die andere Hand zur Faust. Eine einzige gottverdammte Entscheidung und sein scheiß Leben war ein Trümmerhaufen! Dabei war damals alles so gut für ihn gelaufen. Bis zu dem verflixten Unfall.

Er schnellte aus dem Stuhl hoch, lief zur Reling des Daches und schmiss die Bierflasche mit voller Wucht hinunter.

›Krach‹

Aufprall.

Zersplitterndes Glas auf Asphalt.

Verdammt! Der Lärm erschien ihm ohrenbetäubend. Er legte sich flach auf den Boden und rührte sich nicht. Falls er die halbe Nachbarschaft geweckt hatte, durfte ihn hier oben keiner sehen. Er ballte die Fäuste. Er wollte rüber zu ihr. Sie sollte ihm gehören! Stattdessen lag er wie ein Vollidiot hier auf dem Dach. Er knirschte mit den Zähnen. Der Drang noch mehr zu zerschlagen, war übermächtig. Er wollte schreien, fluchen. Er schlug die Faust auf den Boden. Super, jetzt tat ihm auch noch die Hand weh. Immerhin, in der Umgebung war alles ruhig geblieben, offenbar war niemand durch den Krach aufgewacht.

Julian stand auf, klopfte sich den Staub aus der Jeans und kletterte zurück in seine Wohnung. Dort zog er das schmutzige T-Shirt und die Hose aus und schmiss beides mit Schmackes in den Wäschekorb. Dann ging er zurück ins Bett. Ob er heute Nacht noch Schlaf bekommen würde?

*

 

Er hatte den Lärm gehört, sich jedoch nicht die Mühe gemacht, sein Fernglas auf die Straße zu richten. Offenbar hatte ein Betrunkener auf dem Heimweg, seine Bierflasche auf dem Asphalt zerschmettert. Uninteressant für ihn.

Hier in dem ehemaligen Großraumbüro im obersten Stockwerk des leer stehenden Gebäudes lungerte er oft herum. Es gab keinen Strom mehr im Haus und an manchen Abenden war es empfindlich kalt. Doch die Nacht war seine Verbündete. Im Dunkeln konnte er nämlich hervorragend beobachten, was in der Wohnung gegenüber geschah. Zumindest dann, wenn die Bewohnerin wach war. Jetzt schlief sie offenbar, denn hinter ihrem Fenster auf der gegenüberliegenden Straßenseite brannte längst kein Licht mehr. Er wusste nicht, wie viele Stunden er schon hier saß. Zeit spielte keine Rolle für ihn. Als die Abenddämmerung in die Nacht überging, war er hergekommen. Da war ihr Fenster hell erleuchtet gewesen. Die Nachtschatten schützten ihn vor den lästigen Blicken der neugierigen Passanten unten auf der Straße und ermöglichten ihm, sich vollkommen auf sie zu fixieren. Ausgeschlossen, seine Augen von ihr abzuwenden. Schwierig seinen Hunger im Zaun zu halten, der heute wiedereinmal besonders stark in ihm wütete. Seine Finsternis verschluckte ihn. Er wusste, er sollte seine Tabletten nehmen, doch dazu hatte er keine Lust. Das verdammte Zeug ließ ihn lethargisch werden, unterdrückte die ganze wunderbare dunkle Gier, die ihn lebendig hielt.

Fasziniert hatte er sie angestiert. Mindestens eine halbe Stunde lag sie nackt und reglos auf dem Bett, offenbar völlig erledigt von dem geilen Ritt, den sie hinter sich hatte. Gierig saugte er ihren Anblick in sich auf. Sie war so wunderschön. Er wollte sie ganz für sich allein und gleichzeitig wünschte er sie zum Teufel. Er brauchte sie nicht. Sie bedeutete nichts als Ärger. Es erzürnte ihn, dass er überhaupt hier saß und seine kostbare Zeit damit verschwendete, sie zu begaffen. Sie wagte es, seine Aufmerksamkeit zu fesseln. Dafür wollte er ihr wehtun.

›Das darfst du nicht, sie ist ein Kunstwerk, zerstör es nicht.‹

Ach was, diese elende falsche Moral konnte ihm gestohlen bleiben. Die Dunkelheit zog ihn an, so süß und verlockend. Er gierte nach Blut. Ihrem Blut. Kurz stand er auf, streckte sich und zog das scharfe Messer aus dem Lederetui an seinem Gürtel. Er setzte sich wieder hin. Fuhr zärtlich über den glänzenden Stahl, betrachtete die lange Klinge im glitzernden Mondlicht und blickte dann versonnen zu Saras Fenster hinüber.

»Siehst du sie?«, flüsterte er. Seine Stimme klang heiser, störte die wohltuende Stille um ihn herum. »Sie braucht dich mein Mäuschen, sie lechzt nach deinem Lebenssaft. Du willst es doch auch. Ich weiß, du brauchst es hart. Du stehst auf Schmerzen. Sie und ich, wir geben dir, was du begehrst, warte nur ab. Du wirst sie lieben und sie dich. Sie wird hübsche Muster auf deinem Körper zeichnen.«