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Band 105

 

Erleuchter des Himmels

 

von Susan Schwartz

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Erdmond ein außerirdisches Raumschiff. Damit verändert er die Weltgeschichte. Die Terranische Union wird gegründet. Sie will die Menschheit einen und zu den Sternen führen.

2049 tauchen beim Jupiter unbekannte Raumer auf und eröffnen ohne Vorwarnung das Feuer, können aber abgewehrt werden. Perry Rhodan setzt sich auf die Spur der Angreifer.

Im Taktissystem trifft er auf Maahks. Die Angehörigen dieses Volkes haben vor 10.000 Jahren einen fürchterlichen Krieg gegen die menschenähnlichen Arkoniden geführt. Droht eine Wiederholung des Methankrieges, in dem diesmal die Erde eine Rolle spielen wird?

Während eines Geheimeinsatzes gehen der Mausbiber Gucky und der Haluter Fancan Teik in einem Transmitterschlund verloren. Während Perry Rhodan versucht, den Gefährten zu Hilfe zu eilen, taucht ein unbekanntes Raumschiff auf. Eine neue Bedrohung?

1.

19. März 2049

Das geheime Schiff

 

»Alarm!«, gellte der Ruf durch die Kommandozentrale der CREST. Er versetzte sofort alle in Bereitschaft.

Soeben war ganz in der Nähe ein 200-Meter-Walzenraumer der Maahks materialisiert. Großformatig prangte die Eigenbezeichnung SARQUOSCH auf der Außenhülle. Der Name wurde von der terranischen Schiffspositronik automatisch übersetzt und auf dem Panoramaholo ergänzend zu den Kraahmak-Zeichen angezeigt.

Major Schimon Eschkol, Funk- und Ortungschef der CREST, reagierte prompt. »Keine Waffensysteme aktiviert, könnte sich also um einen Zufall handeln.«

Die Terraner waren zwar seit den dramatischen Vorfällen mit der Raumstation TASCHVAAHL und dem Untergang der THEERIOS von den im Taktissystem heimischen Maahks weitgehend ignoriert worden. Das bedeutete aber nicht, dass man inzwischen nicht vielleicht eine Entscheidung getroffen hatte, was mit ihnen geschehen sollte ... und dass dieses neu eingetroffene Schiff womöglich die Vorhut einer größeren Angriffsflotte darstellte.

Major Dimina Lesch richtete den Blick auf den Kommandanten. »Sir, ich glaube nicht an Zufälle.« Ihre Finger schwebten über den Kontrollen. Als Waffenoffizierin war sie für Defensive und Offensive zuständig und erwartete Befehle. Unter diesen Umständen musste rasch gehandelt werden, und auf ihrem Gesicht spiegelte sich Verwunderung über das offensichtliche Zögern der Schiffsführung.

»Ich auch nicht«, gab Admiralleutnant Conrad Deringhouse zurück. »Und es handelt sich keineswegs um einen Zufall.« Seine Miene zeigte keinerlei Regung mehr, nachdem er zuvor optimistisch gewirkt hatte. Er wies auf den Protektor. »Ich überlasse Perry Rhodan das Wort.«

Viele Augenpaare richteten sich fragend auf den hochgewachsenen, blonden Mann neben dem Kommandanten, der sich gelassen gab. Sogar gut gelaunt lächelte, was angesichts der vorliegenden Situation unpassend erschien.

Gewiss, der fremde Raumer wirkte nicht mehr ganz taufrisch, als ob er schon eine Menge Einsätze bewältigt hätte. Aber dennoch handelte es sich um ein feindliches Schiff, das den terranischen Erkundern im Taktissystem gefährlich nahe gekommen war. Und das Äußere konnte darüber hinwegtäuschen, über welche Kampfkraft es verfügte.

Der charismatische Protektor genoss unter der Besatzung hohes Vertrauen. Er galt als herausragender Stratege und war bekannt dafür, in brenzligen Situationen schneller als jede Maschine reagieren zu können, um das Richtige zu tun. Aber in dieser Schrecksekunde mochte so mancher an seinem Verstand zweifeln.

Perry Rhodan, nach wie vor lächelnd, hob beschwichtigend die Hand. »Ich danke Ihnen allen für Ihre hohe Aufmerksamkeit und schnelle Reaktion. Aber es besteht kein Grund zur Sorge. Wie Sie sich gewiss erinnern, haben wir kurz vor Eintreffen dieses Schiffs einen Funkruf erhalten.«

»Stimmt, Sir«, bestätigte Dimina Lesch, die sich keineswegs entspannte. Im Gegenteil, sie runzelte die Stirn. »Sie haben davon gesprochen, dass eine sie käme.«

Rhodan nickte und deutete auf den großformatig wiedergegebenen Walzenraumer im Panoramaholo.

»Das«, sagte er, und den Stolz in seiner ruhigen, dennoch weittragenden Stimme konnte oder wollte er diesmal nicht unterdrücken, »ist sie. Die MAYA ...«

 

»Achtung!«, erscholl der Ruf durch das Befehlszentrum der MAYA. »Kommandant in der Zentrale!«

Waffenoffizier Oberleutnant Dmitry Vereschagin sah sich um. Hatte er es sich doch gedacht. Die Köpfe aller anwesenden Frauen ruckten augenblicklich herum, und für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein verklärter Ausdruck über ihre Gesichter, bevor die Professionalität wieder die Oberhand gewann.

Was hat er, das ich nicht habe?, dachte Vereschagin selbstironisch, denn er wusste die Antwort schließlich genau. So ziemlich alles. Natürlich war er neidisch. Aber nicht missgünstig. Denn der Mann, der nun die Zentrale betrat, hatte sich seinen legendären Ruf hart erarbeitet und vorbehaltlos verdient. Nur dass er obendrein so gut aussah und mit 37 Jahren genau im richtigen Alter war, das nagte an dem gebürtigen Russen. Er hätte ja auch klein und dick und alt sein können. Wenigstens das!

Man nannte Orome Tschato hinter vorgehaltener Hand »den Panther«. Der Beiname lag auf der Hand, denn der Gang des fast zwei Meter großen, sehnigen, dunkelhäutigen Mannes war federnd, katzenhaft geschmeidig, von verhaltener Kraft geprägt. Wie ein Panther vor dem Sprung, mit nicht einem Gramm überschüssigem Fett, sondern vollendet ausgebildeter Muskelmasse.

Na schön, einen Makel hatte er – hängende Schultern. Aber fielen die jemandem auf? Den Frauen offenbar nicht. Und den Männern war es egal, für die zählten seine Taten.

Nicht nur einmal hatte man ihn schon für tot erklärt. Doch wie eine Katze besaß er viele Leben und ging stets umso entschlossener aus jedem Inferno hervor. Er hatte sich bei der Terranischen Flotte beworben und war nicht nur augenblicklich aufgenommen, sondern auch, nachdem sich rasch seine herausragenden Fähigkeiten als Führungspersönlichkeit gezeigt hatten, in das geheime MAYA-Projekt einbezogen worden.

Er hatte ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Mannschaftsmitglieder erhalten und jeden Einzelnen, der in der Zentrale saß und zu seinem Führungsstab gehörte, persönlich unter die Lupe genommen. Schließlich musste er künftig mit seinen Leuten auf gefährlichen Missionen zusammenarbeiten und sich auf sie verlassen können.

Das Bewerbungsgespräch mit seinem künftigen Kommandanten war zwar kein Glanzpunkt in Vereschagins Leben gewesen. Trotzdem hatte er den Posten bekommen – also hatte er wohl doch nicht alles falsch gemacht und durfte sich eines Karrieresprungs erfreuen.

Während des Flugs war er manchmal, in stillen Stunden, unsicher gewesen, ob er seinerzeit nicht geistig umnachtet war, unbedingt an Bord eines Schiffs gehen zu wollen, dessen Missionsziel höchstmögliche Lebensgefahr darstellte. Doch ging es nicht genau darum? Das galt schließlich für jedes Mitglied der handverlesenen Mannschaft. 250 Männer und Frauen, die ein ungewöhnliches Angebot erhalten und die freie Wahl gehabt hatten zu unterschreiben, ohne dass man sie militärisch dazu verpflichtet hätte. Man setzte Vertrauen in sie, ebenso in Bezug auf die strikte Geheimhaltung.

Dass sie sich dafür entschieden hatten, lag sicherlich auch an dem Ruf des Kommandanten, der bereits so manche aussichtslose Situation überstanden hatte, an dessen Glück – das gehörte dazu – und Professionalität. Sie wollten daran teilhaben. Es war der unwiderstehliche Duft des Abenteuers, der den Status des Helden mit sich brachte und sich, wenn es dereinst öffentlich gemacht werden durfte, recht gut machen würde in der Heimat, bei der Familie, den Freunden oder Wildfremden an der Bar. Es musste schließlich etwas wert sein, ein Spezialist zu sein und damit den Heimatplaneten zu retten, oder?

Oberleutnant Katalin Makai beugte sich zu Vereschagin herüber. »Stimmt es eigentlich?«, wisperte sie, während sie den Kommandanten keinen Moment aus den Augen ließ, der sich soeben seinem leicht erhöhten Sessel näherte.

Gleich würde er seine Befehle erteilen, und der Einsatz begann. Bis zum Sprung an diese Koordinaten war es nur ein normaler Flug gewesen, wie ihn jeder schon zigfach absolviert hatte. Doch nun kam es darauf an, dass sie sich bewährten. Die Luft in der Zentrale knisterte förmlich vor Anspannung, sie konnten es alle kaum mehr erwarten.

»Was denn?«, gab der Waffenoffizier konsterniert zurück.

»Dass er augmentiert ist?«

Es hieß, dass die Arkoniden während der Besatzungszeit den Geruchssinn des Kommandanten gesteigert hatten, sodass er über die feine Witterung eines Hundes verfügte. Das brachte ihm einen klaren Vorteil ein, um jemanden korrekt einzuschätzen oder dessen baldige Aktivität zu erahnen. Vielleicht auch bei Fremdwesen wie den Maahks – aber das musste sich erst herausstellen.

»Konzentriere dich!«, wisperte Vereschagin ärgerlich zurück.

»Hat man unsere Anwesenheit schon bemerkt?«, erkundigte sich der Kommandant in diesem Moment beim Funkchef. Sofort waren sie allesamt bei der Sache.

»In dieser Sekunde, Sir«, antwortete Oberleutnant Parab Abhishek. Er wies auf das Panoramaholo, das in verschiedene Rasterfelder unterteilt war. Ein Ausschnitt zeigte die CREST in wenigen Zehntausend Kilometern Entfernung, mit der so schnell wie möglich ein Rendezvous geplant war. Gerade nahe genug, um sich schnell zu finden, und trotzdem weit genug entfernt, um nicht zu riskieren, dass Dritte eine Verbindung vermuten konnten.

In einem anderen Fenster war deutlich zu erkennen, dass sämtliche Maahkschiffe in der Nähe ihre Geschütze auf das vorgebliche Schwesterschiff gerichtet und aktiviert hatten. »Unser persönliches Willkommen.« Der Sarkasmus in der Stimme war nicht zu überhören.

Seltsam, die CREST, ein eindeutig nicht-maahksches Raumschiff, wurde vollständig ignoriert. Ein soeben eingetroffener Maahkraumer hingegen nicht. Was hatte das zu bedeuten?

»Die haben ja keine Zeit verloren«, stellte der Kommandant fest.

»Nein, Sir. Wobei mir diese Feindseligkeit ganz und gar unverständlich ist, denn wir sind einer der ihren.«

»Tja, sie haben wohl kein weiteres Schiff erwartet und wollen jetzt wissen, wer wir sind und was wir hier zu suchen haben.«

»Offenbar. Dieses Misstrauen ist schlecht für uns, muss man aber anerkennen. Anscheinend zählen die ihre Einheiten immer ganz genau durch, und wer uneingeladen an der Party teilnehmen will, wird erst mal gründlich durchleuchtet.«

»Paranoid nenne ich das«, warf jemand ein.

»Ja, sofort die Geschütze hochzufahren, ist ungewöhnlich, und das haben wir in dem Ausmaß nicht erwartet.« Der Kommandant knetete grüblerisch das Kinn. »Wir sind davon ausgegangen, dass wir hier, als Maahk unter Maahks, nicht weiter auffallen.«

»Tja, vielleicht hat da jemand unsere antiquierte Bauweise bemerkt«, spekulierte derselbe Jemand von zuvor. Commander Ganesh Pawar, der Pilot, bekannt für seine fatalistischen Äußerungen. Wobei er keineswegs defätistisch war, ganz im Gegenteil. Gerade er war einer, der stets vorausblickte. Er liebte es jedoch, querzuschießen und so die Diskussion anzuheizen.

Abhishek hob die Hand, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Ich erhalte soeben einen Funkruf und die Aufforderung, uns zu identifizieren.«

Oberstleutnant Orome Tschato nickte. »In Ordnung. Noch ein wenig hinhalten. Ich bin nebenan.«

2.

Identifikation ... mangelhaft

 

»Nun, dann sehen wir mal, was wir unternehmen können«, murmelte Orome, während er die Schleuse zu einem speziellen Nebenraum der Zentrale betrat.

Das Innere des Schiffs war vollständig menschlichen Bedürfnissen angepasst, denn man hatte nicht vor, jemals Maahks an Bord zu lassen. Stattdessen waren am oberen Kegelabschnitt der MAYA gesonderte Sektionen für Bildfunkkontakte mit den Wasserstoffatmern eingerichtet worden – mit einem maahktypisch achteckigen Design. Die Acht war das »Beinahe-Ideal« der den Maahks heiligen Zahl Neun. Maahks konnten maximal neun Eier legen, das war die Vollkommenheit, und die Acht lag nahe daran. Natürlich musste auch die Atmosphärenzusammensetzung passend sein – Wasserstoff, Helium, Methan und Ammoniak, in kürzester Zeit tödlich für »Oxyds«, wie die Menschen und Arkoniden von den Wasserstoffatmern genannt wurden.

Deshalb musste Orome, bevor er die eigentliche Sektion betrat, zunächst in der Schleuse den MAKOTO anlegen. Dieser auf Arkon III entwickelte Tarnanzug stand als englische Abkürzung für »Maahk Atmosphere Kinetic Oxygen Transfer Overall«. Ironischerweise gab es für das Wort eine Entsprechung im Japanischen, die »Aufrichtigkeit, Wahrheit« bedeutete. Das entbehrte nicht eines gewissen schwarzen Humors.

Der MAKOTO verfügte über eine aufwendige Energieabschirmung, die eine vollständige Tarnung gewährleistete, selbst im körperlichen Beisein von Maahks. Zumindest für eine gewisse Zeitspanne, zu deren genauer Dauer es keine Erfahrungswerte gab. Denn die Energiespeicher des Tarnanzugs wurden damit extrem belastet. Hinzu kamen als weitere Verbraucher der Schwerkraftneutralisator – Maahks liebten eine Umgebung von drei Gravos –, die notwendige Sauerstoffversorgung, Lebenserhaltung und die bis hin zu den Gesichtern vollendete, dynamische Außenmaskierung.

Selbst wenn Maahks für Menschen alle gleich aussahen, waren sie keine Klone, sondern Individuen. Daher wurden vom MAKOTO sowohl Sprechwerkzeuge als auch Gesichter naturgetreu animiert und variiert. Eine Nahrungsaufnahme war zwar nicht möglich, doch so weit wollten die Terraner selbst im Härtefall ohnehin nicht gehen. Stickstoff-Radikale waren keinesfalls für den menschlichen Verdauungstrakt geeignet.

Zusätzlich gab es den exakt kopierten Maahkraumanzug, der beim Verlassen des Schiffs, ob nun zum Weltraum- oder Methanweltspaziergang, angelegt werden musste. Das würde aber nicht weiter auffallen, da Maahks außerhalb ihrer Heimat nach bisherigen Erkenntnissen nie ohne Schutz- oder Raumanzug agierten.

Obgleich gegenwärtig kein persönlicher, sondern lediglich ein Funkkontakt bevorstand, musste für Authentizität gesorgt werden. Tschato selbst hatte darauf bestanden, dass sämtliche Umstände »real« geschaffen wurden. Wer wusste schon, über welche Sensoren die Maahks verfügten, um sogar über die Entfernung von Schiff zu Schiff hinweg eine Täuschung zu erkennen? Ein Hauch von falscher Farbe in den Dampfwolken, der keinem Menschen auffallen konnte, mochte vielleicht bereits genügen.

Also gab es Schleusen, in denen der Anzug angelegt wurde. Dahinter betrat man einen Raum mit tödlicher Atmosphäre, in dem nicht nur drei Gravos, sondern überdies eisige Temperaturen von etwa minus 50 Grad Celsius herrschten; eine mittlere Wohlfühltemperatur für Maahks. Wobei sie auch minus 160 Grad aushielten, aber so weit sollte die Authentizität nicht gehen.

Als Redundanz setzte die »perfekte Täuschung« des MAKOTO auf Spiegelfelder, die jedoch nur zum Einsatz kommen sollten, wenn alles andere versagte. Denn sie waren leichter positronisch zu durchschauen und benötigten ebenfalls Energie, deren Emissionen bei Ausfall der Mimikryhaut angemessen werden konnte.

Ob der Anzug wirklich perfekt funktionierte, würde sich gleich erweisen. Bei Tests hatte er zumindest die Umweltbedingungen ausgehalten. Doch wie sah es bei den »Artgenossen« aus?

Und die zweite, weitaus bedeutendere Frage lautete, ob das Schiff sich als »original Maahk« bewähren würde.

Dies war also die Feuertaufe eines unglaublich teuren, engagierten und hochriskanten Projekts. Es konnte zugleich das Ende bedeuten. Die CREST würde nicht schnell genug eingreifen können – falls die Besatzung es überhaupt in Erwägung zog, was äußerst unwahrscheinlich war. Schließlich musste die Tarnung aufrechterhalten werden. Griff sie zu schnell ein, wäre alles umsonst gewesen. Kam sie zu spät, war die MAYA vermutlich schon zerstört worden.

Das hatten sie alle unterschrieben: Sie waren ab dem Start auf sich allein gestellt und durften selbst bei Anwesenheit Verbündeter nicht auf Unterstützung hoffen.

Welch ein Szenario – kaum eingetroffen, wurde das momentan wichtigste Schiff der Erde umgehend pulverisiert, vor den Augen des Protektors.

Nein – gar nicht erst in Erwägung ziehen, dazu durfte es nicht kommen. Sie waren vorbereitet, es sollte gelingen.

Die MAYA und ihre Besatzung mussten sich allein bewähren. Es war Generalprobe und Premiere zugleich, und ein Versagen durften sie sich nicht erlauben. Das würde in jedem Fall tödlich enden, und daran war keinem von ihnen gelegen. Gleich im ersten Einsatz? Niemals!

Der Arkonide Atlan da Gonozal, der das ganze Projekt initiiert hatte, wäre darüber ebenfalls kaum erfreut. Um den Kreis der Eingeweihten und die Gefahr einer Entdeckung zu minimieren, war das Geheimprojekt zur »GHOST-Sache« erklärt worden. Eigens hierfür hatte man die geheime Mondwerft »Moon Area 41« gegründet.

Dort war die MAYA entstanden, als Nachbau des häufigsten Schiffstyps der Maahks, eines 200-Meter-Raumers mit 50 Metern Durchmesser. Leider verfügten die Terraner und Arkoniden für ihre Konstruktion nur über Informationen aus der Zeit des Methankriegs vor zehntausend Jahren, was die ganze Angelegenheit äußerst brisant machte.

Und bisher fußte das gesamte Projekt ohnehin nur auf einer Annahme: dass die Maahks einen zweiten und diesmal endgültigen Vernichtungskrieg planten. Nicht nur gegen die Arkoniden. Gegen alle Oxyds.

Weil es unmöglich war, unter den Wasserstoffatmern Agenten zu gewinnen, hatten Atlan und Rhodan beschlossen, diesen Weg beschreiten, um die Wahrheit herauszufinden – sich als Wolf im Schafspelz mitten unter die Feinde zu begeben.

Orome Tschato hatte keine Sekunde Überlegung benötigt, als man ihm das Kommando angetragen hatte. Er scheute nach allem, was er überlebt hatte, keine Gefahren mehr. Und er hatte hiermit die Chance für eine beispiellose Karriere, konnte es als familienloser Underdog bis in die höchsten Ebenen der Hierarchie schaffen. Ganz abgesehen davon, dass er neben seinem Ehrgeiz tatsächlich leidenschaftlich davon besessen war, seine Heimat, seine Welt zu schützen. Und zwar ganz vorn an der Front. Er wollte dabei sein, ein unentbehrlicher Teil davon sein.

 

Die Handgriffe saßen automatisch, Tschato der Panther brauchte nicht bewusst darauf zu achten, während er den MAKOTO anlegte. Es musste schnell gehen, und er verlor keine Zeit. Da war genug Raum für Gedanken, um sich vorzubereiten.

Ein privater Bordkomruf erreichte seinen Ohrempfänger. »Benötigen Sie noch Ratschläge, Instruktionen, irgendetwas?«

Nemesso, der Arkonide, ein Celista, der das Kraahmak beherrschte und sich mit den Maahks allgemein und der Situation im Besonderen bestens auskannte. Atlan hatte den Experten als Berater zusammen mit ein paar Technikern an Bord geschickt.

Tschatos Gefühle dem älteren Arkoniden gegenüber waren zwiespältig. Doch das ließ er sich nicht anmerken, dafür war er zu professionell. Sicherlich übte Nemesso, der dem Vernehmen nach ein Gewährsmann von Atlan war, auch die Aufgabe eines Aufpassers aus. Atlan vertraute den Menschen wohl kaum bis in die letzte Instanz, umso mehr bei einem derart brisanten Projekt. Das beruhte allerdings auf Gegenseitigkeit. Insofern begegnete man sich auf beiden Seiten höflich, jedoch reserviert.

»Ich denke nicht, Nemesso, aber vielen Dank für Ihr Angebot«, antwortete Tschato. »Ich habe auf dem Herflug hinreichend Gelegenheit zur Übung gehabt. Aber ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mithören würden, um mir gegebenenfalls etwas einflüstern zu können, falls es brenzlig wird.«

»Ihre klare Sicht auf die Lage erfreut mich«, stellte der Celista fest. »Wissen Sie denn schon, was für eine Geschichte Sie auftischen werden?«

»Eine haarsträubende«, gab der Kommandant unumwunden Auskunft. »Eine so unwahrscheinliche, dass man sie uns abnehmen wird.«

Etwas anderes war gar nicht möglich. Sie hatten keine Ahnung über die vorherrschenden Verhältnisse im Taktissystem. Die CREST hatte keine Möglichkeit gehabt, sie in irgendeiner Weise aufzuklären, weil die MAYA gleich nach der Ankunft ins Visier genommen worden war. Selbst auf abgeschirmten Geheimfrequenzen wagte derzeit keines der Schiffe einen Funkruf. Die Aufgabe der MAYA bestand darin, selbstständig zu agieren und ein Teil des Feindes zu werden.

All ihre Kenntnisse über die Wasserstoffatmer beruhten auf zehntausend Jahre alten Dateien, die Atlan da Gonozal analysiert hatte. Die MAYA hatte sich zwar einen Maahknamen zugelegt, aber der war nirgends in den Maahkarchiven verzeichnet. Sie besaß keine Transponderdaten, und außerdem war die Bauweise altertümlich. Für Außenstehende wie Menschen war dies vielleicht nicht sofort erkennbar, aber für die Maahks durchaus, obwohl sich am Prinzip der Walzenform nichts geändert hatte.

Tschato war bereit für das Schauspiel. Seit Verlassen der Zentrale waren nicht mehr als drei Minuten vergangen. Kurz bevor er die Schleuse verließ, um den Maahkraum zu betreten, gab er Anweisung an den Piloten, die Fahrt auf null zu reduzieren und sich passiv zu geben.

Die Rückmeldung lautete: »Die werden langsam sauer. Sie faseln von irgendwelchen zeitlichen Fristen, die uns nichts sagen, aber bestimmt keine Stunden bedeuten.«

»Es sind, um es vielleicht ein wenig zu definieren, mittlerweile nur noch Millitontas«, mischte sich der permanent zugeschaltete Nemesso ein. »Also eher Sekunden, um es nach Ihrer Zeitrechnung auszudrücken.«

»Sollen sie.«

»Und wenn sie schießen?«

»Auch Maahks wollen Antworten, bevor sie jemanden abknallen, das haben wir gerade gelernt. Sonst hätten sie sich nicht mit Drohungen aufgehalten. Das stecken wir weg.«

Da krachte schon die erste Salve in den Schirm der MAYA. Wie von Tschato vorausgesehen, war es nicht mehr als ein harmloser Warnschuss. Trotzdem ernst zu nehmen, immerhin hatte man hier Artgenossen vor sich!

»Die sind nicht zimperlich mit ihresgleichen«, stellte der Kommandant gelassen fest. Er aktivierte den Schleusenzugang und betrat den von dampfenden Schwaden erfüllten Raum dahinter.

 

Der Name MAYA leitete sich aus dem Hindi ab und bedeutete »Täuschung«. Und um nichts anderes handelte es sich. Orome Tschato ging nicht davon aus, dass die Maahks erkannt hatten, dass sie es mit einem oder dem Feind zu tun hatten. Andernfalls wäre ihr Beschuss anders ausgefallen. Insofern hatte das Schiff die erste Bewährungsprobe bereits bestanden.

Nicht nur äußerlich glich die MAYA einem Walzenraumer, sondern auch energetisch, und das war die größte Herausforderung gewesen. Dank eines speziellen Mimikryfelds, einer Weiterentwicklung der arkonidischen Spiegelfeldtechnik, war ihre Tarnung nicht leicht zu durchschauen. Durch das Mimikryfeld wurden alle verräterischen Emissionen, insbesondere die der Lebenserhaltungssysteme, umgewandelt in für Maahks vertraute Streustrahlungen.

Tschato war stolz auf sein Schiff, auch wenn er seinem hohen militärischen Rang entsprechend mehr verdient hätte. Doch es ging ihm genau um die MAYA und ihre Mission. Denn sie war das erste von den Menschen selbst erbaute interstellare Raumschiff. Sicherlich mithilfe der Arkoniden – oder vielmehr eines besonderen Arkoniden –, aber die Ausführung hatte ausschließlich in Menschenhand gelegen. Gewiss war die MAYA im Vergleich zu heutigen Schiffen nicht sonderlich groß – und äußerlich schön gleich gar nicht, innen rein zweckmäßig ausgestattet. Mit allen technischen Raffinessen zwar, gleichwohl nicht allzu komfortabel.

Doch sie war sein Schiff. Etwas ganz Besonderes, Einzigartiges, und er kommandierte es. Eine 250 Personen starke Besatzung, die – hoffentlich – voll und ganz hinter ihm stand.

Für den Bruchteil eines Lidschlags nervös, hatte er mit dem neuen MAKOTO den tödlichen Raum betreten und fühlte sich augenblicklich rundum wohl darin. Drei Gravos? Lächerlich. Wasserstoff-Methan-Atemgemisch? Herrlich!

Nun würde er vorführen, warum er und kein anderer der Kommandant war.

 

Was bist du?

Maahk.

Wer bist du?

Ermuuhl.

Maahktypisch 2,20 Meter groß und massig, mit einer enormen Schulterbreite von fast eineinhalb Metern. Tentakelähnliche, knielange Arme. Vier grün schillernde Augen auf einem halslosen, daher unbeweglichen Sichelkopf, die so angeordnet waren, dass sie eine Sicht von 360 Grad erlaubten. Dünne Hornlippen, die zusammengepresst waren, um Entschlossenheit auszudrücken.

Die nicht von Kleidung bedeckten Stellen offenbarten eine schuppige, graue Haut. Die Maahkuniform war eine schwarze, wie feucht glänzende Kombination mit schwarzen Stiefeln und schwarzen Handschuhen und einem zwanzig Zentimeter breiten, detailreich verzierten Gürtel.

Der MAKOTO zeigte ein perfektes Bild.

Tschato hatte sich die Funkkontrolle auf das Terminal im »Maahk-Raum« übertragen lassen. Er simulierte einige Störgeräusche, es krachte und rauschte. Das Bild baute sich nur langsam und verschwommen auf, mit Aussetzern und teilweise durchlaufend.

»... Feuer einstellen!«, übermittelte er abgehackt zwischen den Störungen. »... Probleme ... Funk ... arbeiten d...an ... Sie ... mich?«

Die erboste Antwort war gut zu verstehen. »Erbost« war in Bezug auf die rein auf Logik bedachten, sehr fremden Maahks fraglos zu sehr vermenschlicht, aber Tschato konnte sich dieses Eindrucks nicht erwehren. »Identifizieren Sie sich augenblicklich, oder wir setzen den Beschuss eindringlicher fort!«

Wie sollte man das anders interpretieren? Keinesfalls als Einladung zum Fünfuhrtee ...

Orome setzte weiterhin Störgeräusche ein, gab sich aber nun verständlicher. »Hören ... mich? Hier ... SARQUOSCH ... bin ... Kommandant Ermuuhl. Ich hoffe, die Verständigung klappt nun?«

»Signal jetzt einwandfrei«, kam es zurück. »Identifizieren Sie sich!« Das klang bereits sehr nachdrücklich. Aber es wurde nicht weitergeschossen. Die Tarnung hielt ... noch.

Das Bild seines Kontakts wurde durch seine Freigabe klar ersichtlich. Tschato blickte quasi in einen Spiegel, von den sicherlich individuellen Gesichtszügen abgesehen, aber das interessierte ihn kaum.

Er begann die Scharade. »Bei den Neun! Es ist kaum zu fassen! Wir haben euch gefunden! Wir haben nicht mehr gewagt, daran zu glauben. Mit wem spreche ich?«

»Befehlshaber Iskaartrak ...«

»Nestbruder Iskaartrak, wir danken den Neun, endlich mit unseresgleichen sprechen zu dürfen! Ich kommandiere die SARQUOSCH. Wie es aussieht, ist Maahk'Kess, das glorreiche Reich, noch nicht von den Oxyds, mögen sie auf ewig verdammt sein, besiegt worden. Der Sieg ist unser!«

Für mehrere Sekunden herrschte Schweigen.

»Offenbar«, erklang Nemessos amüsierte Stimme in Tschatos Ohr, »ist es Ihnen gelungen, einen Maahk sprachlos zu machen. Gratulation. Ich bin ja gespannt, wie Sie uns da herausholen. Ich lehne mich gemütlich zurück und beobachte. Sie schaffen das allein.«

Ja, das tu ich auch, dachte der Panther grimmig. Und wenn nicht, rettest du hoffentlich mit deiner eigenen Haut auch die meiner Leute.

»Hallo?«, rief er. »Bildkontakt unverändert exzellent, aber ich höre Sie nicht mehr!«

»Das liegt daran, dass ich nichts gesagt habe«, gab Iskaartrak zurück, dessen Lippen fast nicht mehr sichtbar waren. »Ich habe die Datenbanken befragt. Es gibt keinen Ermuuhl und keine SARQUOSCH. Wenn Sie sich nicht augenblicklich korrekt identifizieren, werden wir scharf schießen.«

»Wir sind Maahks!«, protestierte Ermuuhl. »Behandeln Sie uns nicht wie Oxyds!«

»Wir wissen nicht, was Sie sind, Ermuuhl. Möglicherweise sind Sie von den Oxyds infiziert worden und haben den Verstand verloren. Ihr Verhalten widerspricht jeglicher Logik.«

»Ganz und gar nicht, Befehlshaber Iskaartrak! Wir verhalten uns den Sitten gemäß. Gilt das nicht mehr? Hat sich so viel verändert seit unserer Abwesenheit?«

»Von welchen Sitten sprechen Sie?«

»Wir sind von der Schlacht heimkehrende Krieger!«, rief Ermuuhl. »Gibt es für uns keine ehrenvolle Begrüßung?«

»Welche Schlacht?« Weiterhin kalte Distanz, aber noch kein Beschuss. Der Befehlshaber glaubte weiterhin, dass sie Maahks waren. Verrückte Maahks vielleicht, aber Artgenossen. Er hörte zu. Die halbe Hürde war genommen.

»Wir sind der 37. Taktischen Angriffsflotte der Oxyds entkommen, wenngleich unter enormen Verlusten, zu denen auch unser Antrieb gehörte. Begreifen Sie jetzt, Befehlshaber Iskaartrak?«

Nach weiterer kurzer Pause, in der vermutlich nach der Referenz gesucht wurde, kam die Antwort. »Nein. Das geschah vor über zehntausend Jahren. Die 37. wurde damals bei Refeks Stern vernichtet.«

Ermuuhl zeigte ein mehrfaches Blinzeln der nach vorn gerichteten Augen. »Das ist eine gute Nachricht! Dann war unser Opfer nicht umsonst, und unsere Daten haben den Sieg erbracht. Gestatten Sie mir diesen Freudenausbruch!«

»Sehr gut«, wisperte Nemesso. »Ich bin beeindruckt. Sie haben sich ausgezeichnet vorbereitet.«

Iskaartrak hingegen zeigte sich nicht im Geringsten überzeugt. »Sie faseln wirr, wer auch immer Sie sein mögen. Wir haben keinerlei Daten erhalten, und ich wiederhole: Weder Sie noch Ihr Schiff sind in den Datenbanken verzeichnet. Wir haben inzwischen umfassende Recherchen angestellt.«