Ursula Ott

Total besteuert

Wie ich einmal ganz alleine den Staatshaushalt retten sollte

Mit Illustrationen von Caroline Ennemoser

 

 

 

Originalausgabe 2010

© Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

 

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eBook ISBN 978 - 3 - 423 - 40310 - 8 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978 - 3 - 423 - 34597 - 2

 

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Inhaltsübersicht

Vorwort

Lustkiller Steuererklärung

Große Fische, kleine Fische

Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen

Mein Steuerberater und ich

Arbeit, das reinste Vergnügen

Gründerfieber oder Gründerschnupfen?

Die Lohnsteuerzahler sind die Doofen!

Sind wir nicht alle ein bisschen rosa?

Lang, lang ist´s her

Der Chi-Quadrat-Test

Das Private ist fiskalisch!

Es ginge auch anders

Steuern klar – aber wofür?

Was macht ihr da mit unserem Geld?

MySteuer

Das ist jetzt aber Kabarett. Oder?

Ein gestörtes Verhältnis

Steuerzahler, kommst du nach Köln, dann bist du schön blöd

Beruf: Finanzbeamter

Liebes Finanzamt!

Vorwort

Manche Leute fragen sich, wo der Staat das ganze Geld hernimmt, das er an die Hypo Real Estate, an das bankrotte Griechenland und an die WestLB bezahlt. Ich frage mich das nicht, denn ich habe die starke Vermutung: Er holt sich’s bei mir! Ich bin alleinerziehende Mutter von zwei Kindern und habe mich zehn Jahre als freie Journalistin durchgeschlagen. Ich bin ein fleißiges Mädchen, drum habe ich in diesen Jahren gut verdient und viele Steuern bezahlt. Aber da könnte doch noch was zu holen sein, dachte sich offenbar der Staat.

Es fing ganz harmlos an. Im Sommer 2008 lag ein Formschreiben des Finanzamtes in meinem Briefkasten: Betriebsprüfung. Ja, warum auch nicht – der Staat muss schließlich darauf achten, genug Geld für seine Schulen und Straßen einzutreiben.

Schlechtes Gewissen? Nö, ich doch nicht. Ich habe keine Konten im Ausland, habe keine Ahnung, wo die Cayman-Inseln liegen, und weiß von Liechtenstein nur, dass es sich mit ie schreibt. Ich bin der Typ, der sich in die Hose macht, wenn er in der U-Bahn mal schwarzfährt, und der noch nicht mal auf der Frankfurter Buchmesse Bücher klauen kann.

Ahnungslos trug ich meine Kontoauszüge aufs Finanzamt – ja, ich habe nur ein Konto für berufliche und private Zwecke. Sollten die sich ruhig ansehen, ich habe nichts zu verbergen. Dachte ich mir.

Das war im Juli. Ich hörte lange nichts. War ja auch sonst viel los in der Welt. Die Börsen gerieten in Tumult, am 15. September crashte die Lehman Bank in New York. Wenige Tage später hatte ich ein knallgelbes Einschreiben der Staatsanwaltschaft im Briefkasten: Verfahren wegen Steuerhinterziehung. Ich? Eine Frau Zumwinkel? Vorsichtig guckte ich vom Balkon, ob die Bochumer Staatsanwältin Lichtenhagen schon mit dem WDR-Team vor der Tür wartete. Dann las ich noch mal. Steuerhinterziehung? Gerichtsverfahren?

Ich stand in meinem Leben erst einmal vor Gericht, bei meiner Scheidung. Die hatte ich dank vieler teurer Mediations- und Beratungsstunden – übrigens nicht von der Steuer absetzbar – in einer abgelegenen Ecke meines Hirns beerdigt. Nie hätte ich gedacht, dass genau dorthin auch das Finanzamt jetzt gerne Zugang hätte. Wie überhaupt zu meinem Leben der letzten elf Jahre.

Denn dies war der Fortgang der Ereignisse. Vier verschlampte Honorare hatte die Steuerprüferin gefunden, das reicht für eine Strafanzeige. Und für eine Ausdehnung der Prüfung. Elf Jahre Leben diskutierte ich fortan mit meiner Steuerprüferin. Steuerprüfung über den Zeitraum 1996 bis 2006, das bedeutet in meinem Fall: eine Hochzeit, zwei Schwangerschaften, eine Scheidung, eine neue Liebe, vier Bücher, zwei Insolvenzen meiner Arbeitgeber, drei Umzüge.

Und während da draußen eine Bank nach der anderen zusammenbrach, während der Staat allein für die Hypo Real Estate rund 100 Milliarden an Bürgschaften zur Verfügung stellte, saß ich in einem schlecht gelüfteten Büro und verhandelte mit der Finanzbeamtin darüber, warum das Buch ›Herr Lehmann‹ von Sven Regener, im Jahr 2002 in einer Ravensburger Buchhandlung für 18,90 Euro erstanden, nicht als Fachbuch durchgeht. »Schönes Buch«, sagte sie, »aber das haben Sie doch zum Vergnügen gelesen.« »Nein«, sagte ich, »den habe ich in eine Talkshow eingeladen und für eine Zeitschrift interviewt.« »Aber Vergnügen hatten Sie trotzdem.« Und wieder waren 28,51 Prozent Steuern aus 18,90 Euro für den Staatshaushalt gerettet.

Ein Jahr lief das so, ein wertvolles Jahr meines Lebens. In dem Jahr ging mir so einiges verloren: viele Euros, ich musste Berater und Gutachter beschäftigen. Viel Nachtschlaf. Ein Zahn, weil ich vor lauter Wut offenbar nachts die Zähne zusammengebissen hatte. Verloren ging mir aber auch das Grundvertrauen, dass es im Großen und Ganzen mit den Steuern schon irgendwie Sinn machen würde. Nein, es macht keinen Sinn. Dieses Steuersystem ist ein Moloch. Es ist so kompliziert, dass auch Steuerberatern reihenweise Fehler unterlaufen. Oder warum hat mein damaliger Steuerberater 1998 nicht kapiert, dass man den Zuschuss zur Altersversorgung als Honorar angeben muss? Es ist ungerecht, weil es Menschen mit mittleren Einkommen übermäßig belastet, also solche wie mich und dich und alle, die sich gerade so durchwursteln mit einem Job, einer Liebe, zwei Kindern and the whole catastrophe, wie Alexis Sorbas sagen würde. Aber der Grieche hat sich, wie man jetzt erst weiß, den unerfreulichen Steuerkram die letzten fünfzig Jahre ohnehin weitgehend vom Hals gehalten. Man kann´s verstehen, irgendwie.

Denn das hat mich in einem Jahr unsinniger Belege-Klauberei am meisten erzürnt: Der Fiskus nervt! Er kostet Zeit! Er mischt sich unerhört in mein Leben ein. Muss ich mir das gefallen lassen, dass eine wildfremde Steuerprüferin fragt, wann mein Ex-Mann zuletzt bei mir übernachtet hat? Muss ich einer Beamtin wirklich erklären, warum an dem Tag, an dem ich ein Ikea-Regal gekauft habe, keine Abbuchung von meinem Kreditkartenkonto erfolgt ist? Dass man bisweilen 500 Euro mit sich rumträgt und dann irgendwann ausgibt? Ja, das musste ich.

Und so beschloss ich, um Waffengleichheit herzustellen und meine frisch gewonnenen Erkenntnisse mit der Welt zu teilen: Ab sofort wird zurückgeforscht. Ich schreibe ein Buch! Du, Finanzamt, willst wissen, ob eine Reportagereise nach Mexiko zum Allerheiligenkult nicht vielleicht doch mein Privatvergnügen war? Du verlangst, dass ich jedes Chili con Carne von 1996 als Betriebsausgabe nachweisen kann? Dann will ich jetzt von dir umgekehrt wissen, warum du den Hundefutter-Herstellern Steuergeschenke machst und den Babywindel-Herstellern nicht. Dann will ich wissen, warum du hoffnungsvolle Existenzgründer so lange quälst, bis sie pleite sind. Warum du Ärzten gleich Steuerhinterziehung unterstellst, wenn sie aus Versehen ihre 10-Euro-Praxisquittungen im Arztkittel verknuddelt haben, statt sie korrekt zu verbuchen.

So veränderte sich mein Leben radikal. Seit ich mich mit diesem Buch beschäftige, findet sich in meinem Briefkasten neben ›Psychologie Heute‹ und ›Emma‹ auch die Zeitschrift ›Der Steuerzahler‹. Neben meinem Bett liegt nicht nur der neue Martin Walser, sondern auch das weiße Buch ›Probleme beim Vollzug der Steuergesetze‹ mit dem schwarzrotgoldenen Schriftzug des Bundesbeauftragten für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung. Ja, so was gibt´s, weil die Verwaltung ist halt nicht wirtschaftlich, und das liegt nicht zuletzt an den Steuern. Darin findet sich der wunderschöne Satz: »In einer weltweiten Erhebung des Weltwirtschaftsforums zur Transparenz und Effizienz der Steuersysteme liegt Deutschland unter 102 Staaten auf dem letzten Platz – weit abgeschlagen nach Haiti und der Dominikanischen Republik.« Sorry, Martin Walser, da kannst du nicht mithalten. Haiti vor Deutschland! Das muss man sich mal vorstellen. Warum bloß kommt kein THW und rettet uns aus dieser Steuerkatastrophe?

Ein Jahr lang habe ich Menschen besucht, die den Glauben an die Steuergerechtigkeit in Deutschland verloren haben. Die engagierte Steuerfahnderin aus Frankfurt, die sie kaltgestellt haben, weil sie die wirklich großen Fische aus der Bankenwelt fangen wollte. Den tüchtigen kleinen Kneipengründer aus Ostdeutschland, den sie fast kaputt geprüft haben. Den Stuttgarter Wirtschaftslehrer, der allen Ernstes im Gerichtssaal seinen eigenen Schülern gegenübergestellt werden sollte, nur weil er die ›Financial Times‹ von der Steuer absetzen wollte. Und schließlich die Schweizer Kollegin, die genauso lebt wie ich, Autorin, Mutter, Mittelschicht – und die genau einen Tag im Jahr auf das Thema Steuern verschwendet. Wenn es Fragen gibt, ruft er an, der Steuerkommissär. Anrufen! Na also, geht doch. In Deutschland kommt im Ernstfall gleich mal ein Einschreiben von der Staatsanwaltschaft.

Meine »Steuer-Compliance« hat sich nicht verbessert in diesem Jahr Recherche. Compliance? Hui, dolle Vokabel, habe ich auch neu gelernt. Stammt aus der Medizin, wo sie zum Beispiel die Compliance, also die Therapietreue von Diabetikern testen, ihre Bereitschaft, brav die Medikamente einzunehmen. Das Bild aus der Medizin passt gut, denn dieses Steuersystem ist krank. Und es wundert mich gar nicht, wenn Patienten rebellisch werden.

Ja doch, ich beteilige mich weiter an diesem komischen System, ich zahle meine Steuern und sortiere neuerdings auch brav meine Belege in eine alphabetisch geordnete Mappe. Ich will schließlich nicht noch ein Jahr meines Lebens mit dem Finanzamt verbringen. Aber zwei Dinge verstehe ich jetzt besser denn je. Warum jeder fünfte Auswanderer aus Deutschland sagt, es sei wegen des Steuersystems. Und warum die Steuerprüferin, die mich ein Jahr lang gequält hat, beim Abschlussgespräch jammerte, sie werde auf keine Party eingeladen. Ganz ehrlich, ich würde sie auch nicht einladen.