Stefan Wilfert

Big Bill kriegt sie alle!

Der Wilde Westen zum Mitraten

Mit Vignetten von Anke Kuhl

 

Originalausgabe 2009

© Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

 

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eBook ISBN 978 - 3 - 423 - 40552 - 2 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978 - 3 - 423 - 71354 - 2

 

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Inhaltsübersicht

Einleitung

Brad will abrechnen

Das Bratpfannen-Massaker

Bankraub in Stinkingwater

Der Erste verliert

Eine Schwester und der Sheriff sehen rot

Eine Schießerei als Druckfehler

Trooper auf Portero

Diebstahl bei Wring Lei

Wells Fargo braucht dich!

Klein-Bärenzahn und Sonne-Mond

Explosion im Gefängnis

Der Fall der Felle

Das Viereck-Rätsel

Die dichtende Klapperschlange

Bully, der Ballermann

 

Per Tizio

 

Tja, Leute, schätze, ihr kennt Fox Town noch nicht. Ist ’ne nette kleine Stadt in Texas, südlich des Pecos River. Ich heiße Big Bill und bin hier der Sheriff. Zu tun gibt’s immer jede Menge, weil in der Stadt ’n Haufen seltsamer Typen rumlaufen. Brad Shlick zum Beispiel. Oder dieser Barnabas. Und Bobo Slotterwood . . . Aber es gibt zum Glück auch richtig gute Kerle wie den Chinesen Wring Lei, dem die Wäscherei gehört, oder Miss Bretterbottom oder den kleinen Finbar mit seiner Vogelspinne Hilda.

Jedenfalls ist immer was los! Und wenn was passiert in Fox Town – wen rufen sie dann? Mich natürlich, den Sheriff. Und dann räumt Big Bill mal wieder auf! Schätze, wenn ihr coole Cowboys oder Cowgirls seid, dann könnt ihr mir und Luke, meinem Hilfssheriff, zur Hand gehen. Los geht’s!

BRAD WILL ABRECHNEN

Im Crazy Horse Saloon von Fox Town ging es hoch her. Die Leute schrien und kreischten durcheinander und irgendjemand klimperte auf dem Klavier herum. Doch in dem Moment, in dem Brad Shlick die Schwingtüren des Saloons aufdrückte und den Raum betrat, wurde es fast augenblicklich still. So still, dass Duffy Nolans Magenknurren klang, als ob eine Herde Bisons vor der Tür stand. Schnell schlug sich Duffy auf seinen Magen. Er wollte nicht unangenehm auffallen. Niemand wollte das. Brad war der gefürchtetste Pistolero diesseits des Pecos River. Schreckliche Geschichten erzählte man sich von ihm. Einem Mann, der seiner Frau einmal beim Wäscheaufhängen geholfen hatte, hatte er den Gürtel seiner Hose weggeschossen, sodass der plötzlich in Unterhosen dastand.

»Hey, Brad«, hatte ihn sein Bruder Babcock gefragt, »was hat er dir denn getan?«

»Nichts«, meinte Brad nur und spuckte aus. »Aber er hat die Wäsche falsch herum aufgehängt. Hemden hängt man nicht am Kragen auf!«

Und seit gestern war Brad in Fox Town. Noch am selben Abend hatte Hilfssheriff Luke gehört, wie er seinen beiden Kumpanen, die mit ihm gekommen waren, erzählt hatte, dass er nur wegen Big Bill gekommen sei.

»Mit dem habe ich noch eine Rechnung offen. Ich werde ihn mit meinem Stiefel wie einen Kaktus zerquetschen«, hatte er getönt.

Luke war damit sofort zu Big Bill gelaufen. Big Bill war seit zwei Jahren der Sheriff in Fox Town. Früher war Fox Town ein Ort gewesen, in dem jeder tat, was er wollte. Schießereien, Bankraube, Duelle auf offener Straße, brennende Scheunen und Pferdediebstähle gehörten wie selbstverständlich zum Alltag. Der alte Sheriff war hoffnungslos überfordert, und statt Ganoven zu jagen, jagte er lieber Schmetterlinge. Mit Big Bill hatte sich das dann schlagartig geändert.

»He, Sheriff, wissen Sie, was ich gehört habe?« Schnaufend war Luke ins Sheriff-Office gerannt. Big Bill saß hinter seinem Tisch und hatte die Beine daraufgelegt. Der Kopf war nach hinten gekippt, sein Hut lag auf dem Gesicht und . . . er schnarchte.

»Sheriff, he, Sheriff! Aufwachen!« Luke rüttelte an seiner Schulter.

»Wie? Was? Wo? Äh, äh, mmmwasnlos?« Der Sheriff schob seinen Hut von der Nase und machte die Augen auf. Der dicke Kater Fuzzy, der schnurrend auf seinem Schoß gesessen hatte, sprang fauchend runter. Ächzend stand Big Bill auf. Er zog seinen Pistolengurt straff und richtete seine Weste und sein Halstuch. Langsam ging er zum Ofen und goss sich einen Becher Kaktustee ein, dessen genaue Zusammensetzung niemandem außer Luke kannte. Jedenfalls trank Big Bill am liebsten Lukes Tee.

»Brad Shlick ist in der Stadt!«, sagte Luke.

»Weiß ich!«

»Aber er will mit Ihnen abrechnen!«

»Weiß ich!«

»Was?«

»Was was?«

»Na, dass er mit Ihnen abrechnen will!«

»Weiß ich!«

Luke nahm aus Versehen den Becher des Sheriffs und leerte ihn in einem Zug. Schwungvoll füllte er frischen Tee nach.

»Warum will er denn mit Ihnen abrechnen? Was haben Sie denn mit ihm zu schaffen?«

Der Sheriff ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen. Ein bisschen von dem Kaktustee war auf seine Lederweste getropft. Auch seine Stiefel hatten was abbekommen.

»Luke«, knurrte er, »das ist eine alte Geschichte. Vor ein paar Jahren war ich in Dodge City Hilfssheriff. Irgendwann wollte Brad die Bank ausrauben. In seiner Blödheit brach er in die Bank ein, die gerade ganz neu erbaut worden war. Der Safe mit dem Geld war noch gar nicht drin. Aber Brad war drin und ich stand draußen davor und sagte zu ihm: ›He, Kleiner, du bist der blödeste Bankräuber westlich des Cactus River.‹«

»Und Brad?«, wollte Luke wissen. »Wie endete das mit euch?«

Der Sheriff nahm einen Schluck aus der Tasse. »Dieser Rübenkacker wollte sich erst ergeben, nachdem er noch eine Zigarre geraucht hatte. Aber statt der Zigarre hat er eine Stange Dynamit angezündet. Kurz bevor das Ding losging, merkte er es und schmiss es in die Ecke. Seitdem kann er keine Zigarren mehr sehen, ohne nasse Hosen zu bekommen!«

Der Sheriff lachte. In dem Moment kam Duffy, der Klavierspieler aus dem Crazy Horse Saloon, herein.

»Sheriff, Brad Shlick ist im Saloon. Und wissen Sie, was er gesagt hat? Er will hier einen neuen Friedhof eröffnen. Und Sie sollen der Erste sein, der ihn ausprobiert.« Duffy zitterte am ganzen Leibe.

»So, so«, knurrte Big Bill. »Schätze, ich werd dem Burschen mal die feuchten Hosen stramm ziehen. Los geht’s!«

Er stand auf, rückte seinen Hut zurecht und ging zur Tür.

»Halt«, sagte er da, »das Wichtigste hab ich vergessen!«

Seine Begleiter schauten sich verwundert an.

Der Sheriff ging zum Schreibtisch zurück und trank seinen Kaktustee aus.

»Man soll nichts verkommen lassen«, meinte er nur.

Zu dritt gingen sie zum Saloon, wo es inzwischen wieder lauter geworden war. Aber es ging nicht mehr so hoch her wie zuvor. Etliche Gäste hatten den Saloon bereits sicherheitshalber verlassen. Als der Sheriff eintrat, verstummten die Anwesenden erneut. Big Bill schaute sich um. An einem der Tische saß Brad mit zwei Kumpanen und spielte Karten. Er blickte kurz auf, spielte aber gleich wieder ungerührt weiter.

»Hallo, Brad«, begrüßte ihn der Sheriff. »Einen kleinen Abstecher nach Fox Town gemacht, wie?«

»Hab hier was zu erledigen«, antwortete Brad, ohne den Sheriff anzuschauen.

»Willst du was erledigen oder willst du wen erledigen? Wir wollen hier keinen Ärger. Und deshalb geb ich dir den guten Rat, aus der Stadt zu verschwinden. Und zwar gleich.« Der Sheriff berührte dabei seinen Revolver.

Sofort sprangen Brads Kumpane auf. Doch ihr Boss hieß sie mit einer Handbewegung, sich wieder zu setzen.

»Immer noch der Sheriff mit dem großen Maul. Du weißt, was ich hier will?«

»Schätze, ja«, knurrte der Sheriff.

»Gehst du mit raus?«

»Nur, wenn du mir vorher deinen Revolver gibst!«

»Keine Chance. Schau mal nach oben!«

Big Bill sah nach oben, wo es in die Zimmer ging. Auf der Treppe standen zwei Männer, die ihre Gewehre auf ihn gerichtet hatten.

»Du glaubst, du kannst mich überraschen. Ein Brad, der mal nachgedacht hat! Das kann ja nur schiefgehen. Schau mal zum Hintereingang!«

Brad drehte sich zur Hintertür um und sah zwei Männer, die ihre Gewehre auf die beiden oben bei den Zimmern gerichtet hatten.

Big Bill grinste. »Sieht so aus, als habe sich da einer verrechnet!«

Brad nahm ungerührt seine Spielkarten und legte einige vor sich auf dem Tisch aus.

»Okay, Sheriff, eins zu eins!«

»Schätze, das ist richtig, Brad.«

»Machen wir ein Spielchen, Sheriff?«

»Ist ’ne Idee. Poker?«

»Is’ was für Kinder. Hier, Sheriff. Hab ’ne Reihe von Karten gelegt: Acht, Ass, Bube, Dame, Drei, Fünf und König. Du darfst nur einmal wählen: Was für ’ne Karte kommt als nächste? Zur Auswahl hast du: Zwei, Vier, Sechs, Sieben, Neun und Zehn.«

Grinsend schaute er Big Bill ins Gesicht.

»Hast was vergessen, Brad«, sagte der. »Die Regeln. Ich gewinne, du ziehst ab mit deinem Gesindel und lässt dich hier nie wieder blicken. Gewinnst du, gehen wir beide raus und fechten die Sache handgreiflich aus. Okay?«

»Okay«, brummte Brad. »Gilt!«

Big Bill schaute sich die Karten an und überlegte.

Der Sheriff hatte schon als kleiner Junge mit seinem Bruder Festus gepokert. Er kannte sich mit Karten aus und gewann oft. Immer wieder wollte ihn Festus zu einer Poker-Partie überreden. Aber Big Bill mochte nicht, weil er wusste, dass Festus nicht immer ehrlich spielte. So hatte der einmal seinen Onkel beim Kartenspiel betrogen, indem er sich jedes Mal schnell die benötigte Karte von einem Freund im Nebenzimmer stempeln ließ. Der Onkel, der ziemlich kurzsichtig war, hatte nichts gemerkt.

Big Bill schaute weiter auf die Kartenreihen. »Acht, Ass, Bube, Dame, Drei, Fünf, König«, murmelte er vor sich hin. Lässig stippte er seinen Hut ins Genick und überlegte sich, wie schön es sein würde, Brad samt seinem Gesindel aus der Stadt zu jagen.

Noch einmal wiederholte er die Werte der Karten. Und da fiel es ihm auf. Er nahm von der Reihe der Restkarten die Neun und legte sie neben den König.

»Die Karten sind alphabetisch nach ihrem Namen geordnet«, sagte er triumphierend. »A wie Acht und Ass, B wie Bube usw. Also kommt nach dem König die Neun mit einem N am Anfang!«

In dem Moment griff Brad zu seinem Revolver. Aber der Sheriff war schneller.

»Nix da, Freundchen! Wusste doch, dass man dir genauso wenig wie einer stinkenden Wanze trauen kann!«, schimpfte er und hatte wie durch Zauber plötzlich seinen Revolver in der Hand.

Zusammen mit Luke entwaffnete er zuerst Brad, dann dessen Kumpane. Er trieb sie vor die Stadt, und weil sie sich nur langsam entfernten, schoss er ein paarmal neben ihnen in den Boden, sodass die Erde aufspritzte. Die Gauner sprangen wie die wilden Hasen davon.

Big Bill nahm die Revolver der Ganoven und ging in sein Office, wo ihn schon der Kaktustee und der dicke Kater Fuzzy erwarteten. Er hängte die Revolver der Gauner sorgfältig in seiner Waffenkammer an einen Haken.

»Man soll nichts verkommen lassen«, meinte er nur.