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Nr. 2665

 

Geheimnis der Zirkuswelt

 

Der Erste Terraner auf gefährlicher Mission – ein unbedeutender Planet wird plötzlich wichtig

 

Marc A. Herren

 

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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1470 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5057 christlicher Zeitrechnung. Das heimatliche Solsystem verschwand vor mehr als drei Monaten spurlos von seinem angestammten Platz im Orionarm der Milchstraße.

Ehe die Liga Freier Terraner ins Chaos sinken konnte, mussten eine neue Regierung und ein neuer Zentralplanet gefunden werden. Überraschend fällt die Wahl auf die Hauptwelt der Plejaden, Maharani, und noch weitaus überraschender setzt sich der dortige Regierungschef Arun Joschannan als neuer Erster Terraner durch.

Joschannan bewegt sich nun in einer politisch brisanten Situation: Nicht nur die Arkoniden wittern eine Chance für mehr Macht, während sich viele andere mit Terra verbündete Welten auch um ihre eigene Zukunft sorgen. Immerhin scheint festzustehen, dass hinter allen merkwürdigen Vorkommnissen der Plan einer feindlichen Macht steht, die sich jedoch bislang nie leibhaftig gezeigt hat.

Nicht zuletzt deswegen muss Arun Joschannan sich um eher handfeste politische Dinge kümmern. Eines davon ist das Theatrum-System, denn dort wartet das GEHEIMNIS DER ZIRKUSWELT ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Arun Joschannan – Für den Ersten Terraner gibt es keine unbedeutenden Welten.

Ronald Tekener – Das Risiko liegt dem USO-General im Blut.

Nuggnugg – Der Topsider will ein altes Geheimnis lüften.

Onttril-Gukzz und Tork-Trak – Die topsidischen Leibwächter des Ersten Terraners bekommen zu tun.

Lisa Sandberg – Die Maskenbildnerin wird zu Tekeners mahnender Stimme.

1.

Im Orbit des Planeten Thea

9. Februar 1470 NGZ

 

Arun Joschannan trat näher an den Haupt-Holoschirm.

»Wie sieht es aus?«

Oberstleutnant Vanessa Pateng sah von ihrem Terminal zu ihm hoch. Die kinnlangen feuerroten Haare fielen zurück. »Der Anflug auf den Planeten Thea verläuft wie geplant. Keine besonderen Vorkommnisse, keine suspekten Energiemuster, keine Raumschiffe, die in unseren Listen als verdächtig eingestuft werden. Der zuständige Beamte der Raumüberwachung hat Kontakt mit uns aufgenommen und lotst die TYLL LEYDEN gerade auf den Raumhafen der Hauptstadt Dolina Salamonski, während die THOMAS HERZOG und die GUS ORFF ihre Orbitalposition einnehmen. Den Worten des Beamten zufolge ist die Anspannung dort unten spürbar – selbst wenn du gewünscht hast, dass sie beim Empfang keinen allzu großen Zirkus veranstalten.«

Joschannan lächelte. »Vielleicht ist das bei einer Zirkuswelt auch ein wenig zu viel verlangt«.

Galo Kajat, der Residenz-Minister für Liga-Außenpolitik, erhob sich aus dem Sessel, der für hochrangige Passagiere reserviert war. Ein Stapel Folien kam ins Rutschen und klatschte auf den Boden. Während sich der schlanke Mann bückte und die Folien zusammenklaubte, sagte er: »Ich bin nach wie vor nicht überzeugt, dass wir auf Thea unsere Zeit sinnvoll investieren, Arun.«

Er erhob sich und blickte Joschannan direkt in die Augen. Sein Gesicht wies eine leichte Rötung auf, die mit dem grau melierten Haar und dem grauen Schnurrbart kontrastierte. Der Erste Terraner wusste aber, dass dies einzig und allein auf die schnelle Bewegung zurückzuführen war.

Kajat war Diplomat mit Leib und Seele; er enervierte sich nur, wenn er damit einen spezifischen Effekt erzielte. Ansonsten war der Mann mit den eiskalten grauen Augen und der Hakennase die Contenance in Person.

Dass er im Beisein der Schiffscrew und Joschannans Stab das bereits mehrmals durchgekaute Thema erneut aufgriff, erstaunte den Ersten Terraner.

Joschannan hob die linke Augenbraue ein paar Millimeter an, sagte aber nichts.

Galo Kajat warf den Folienstapel auf den Sessel. »Ich weiß, ich weiß«, sagte er und hob um Verzeihung bittend die Hände. »Wir haben die Angelegenheit schon vor Abflug der TYLL LEYDEN besprochen. Aber angesichts der Ereignisse während der letzten Tage und der Jagd, die offensichtlich auf dich veranstaltet wird, sollten wir vielleicht doch nochmals darüber sprechen, ob es zwingend notwendig ist, dich da runterzuschicken.«

Er deutete auf den grünbraunblauen Ball, der im Holo abgebildet wurde. »Ich habe mir nochmals alles zu Gemüte geführt, was wir über Thea und das Theatrum-System wissen. Und ich kann beim besten Willen keinen Punkt finden, weshalb sich der Erste Terraner fünf Wochen nach seinem Amtsantritt in Gefahr begeben sollte. Das System ist ...«

»... unbedeutend, ich weiß«, fuhr ihm Joschannan ruhig dazwischen. »Ich habe mich ebenfalls mit den Daten vertraut gemacht. Ein einfaches Siebenplanetensystem mit einer lebensfreundlichen Welt, einem Gasriesen und fünf unwirtlichen Gesteinsbrocken. Ein paar Monde zu jedem Planeten, ohne dass auch nur einer von ihnen besiedelt wäre. Keine besonderen Bodenschätze, keine spezialisierte Industrie, nichts. Keine Persönlichkeiten, mit denen man sich ablichten lassen könnte, keine geschichtlichen Eckpunkte, die Thea aus der Beliebigkeit hätten herausreißen können.«

Joschannan hob die Schultern leicht. »Wir haben es mit einer alten Freihändlerwelt in der Southside zu tun, weitab von den galaktischen Brennpunkten. So unbedeutend, dass sogar die Jülziish nie ein Problem damit hatten, diese Welt quasi vor ihrer Haustür zu haben ...«

Galo Kajat breitete die Arme aus. »Das ist genau mein Punkt.«

»Wie denkst du über die Funktion des Planeten als Zirkuswelt?«

Kajat runzelte die Stirn. »Dieser Umstand ist vernachlässigbar. Thea hat zwar ein paar galaxisweit bekannte Artisten und Dompteure hervorgebracht, aber in erster Linie dient der Planet als Warenumschlagplatz. Und auch in dieser Disziplin läuft er in der bekannten Southside unter ferner liefen.«

»Siehst du?«, sagte der Erste Terraner. »Und genau diese Eigenheit fasziniert mich an Thea. Eine Welt fernab der galaktischen Ballungszentren – jedenfalls von denjenigen der LFT und des arkonidischen Imperiums. Sie lässt es sich einiges kosten, eine renommierte Zirkusakademie zu unterhalten. Das ist meines Erachtens außergewöhnlich und verrät uns schon etwas über die Mentalität ihrer Bewohner.«

Joschannan warf einen flüchtigen Blick in die Runde.

Oberst Bendjem Woitell saß ungerührt wie eine Buddhafigur in seinem Kommandantensessel. Die restliche Zentralebesatzung überhörte das Gespräch zwischen dem Ersten Terraner und seinem Außenminister ebenfalls. Sie konzentrierte sich voll und ganz auf das Anflugmanöver. Einzig Vanessa Patengs kirschrote Lippen hatten sich zu einem diskreten Lächeln verzogen.

Joschannans Stab hielt sich im Hintergrund der Zentrale auf. Die beiden Staatssekretärinnen hielten Infoboards in den Händen, bereit, irgendwelche wichtigen oder unwichtigen Daten von sich zu geben, falls einer der beiden Männer sie benötigen sollte. Joschannans persönlicher Sekretär Henar Maltczyk stand fast gelangweilt neben ihnen.

»Galo«, sagte Joschannan mit verständnisvollem Unterton in der Stimme, »ich weiß, dass du dir Sorgen machst, und es ist richtig, dass du deine Bedenken ansprichst, solange wir noch darüber diskutieren können. Aber mein Entschluss ist gefällt: Ich werde Thea betreten und mich an das Protokoll halten, das Henar Maltczyk mit dem Direktorenzirkel der Zirkuswelt vereinbart hat.

Mir ist persönlich wichtig, dass ich mich auch auf einer scheinbar unbedeutenden Welt in meiner neuen Funktion als Erster Terraner zeige. Ich werde damit leben müssen, dass mein Amt nicht nur viele Rechte und Pflichten mit sich bringt, sondern dass es mich auch zu einer Zielscheibe für unsere politischen und wirtschaftlichen Gegner macht.«

Er schwieg kurz, ehe er, etwas leiser, fortfuhr: »Und wer weiß, vielleicht kann ich ja tatsächlich das Zünglein an der Waage spielen, und Thea entscheidet sich nach meinem Besuch für einen Beitritt zur LFT. Wir beide wissen, dass dies ein starkes Signal für die LFT und die restlichen Welten der Milchstraße sein würde. Eines, das unsere zukünftige Arbeit enorm erleichtern könnte.«

Galo Kajat nickte. »In Ordnung«, sagte er. »Ich habe es zumindest versucht.«

Joschannan wandte sich Vanessa Pateng zu. »Wie lange noch bis zum Touchdown?«

»Dreiundzwanzig Minuten«, sagte sie, als hätte sie nur auf diese Frage gewartet.

»Gut. Dann werde ich mich in Schale werfen. Ihr seid bereit?« Er blickte von Kajat zu seinen Stabsmitgliedern.

Galo Kajat nickte mit eiserner Miene.

Joschannan sah zu seinen topsidischen Leibwächtern Onttril-Gukzz und Tork-Trak, die diskret neben dem Eingang zur Zentrale Position bezogen hatten. »Und ihr seid es ebenfalls?«

»Das sind wir«, bestätigte Onttril-Gukzz heiser.

»Dann wollen wir mal!«, sagte Joschannan.

Beim Vorbeigehen drückte er kurz Kajats rechte Schulter. Der Außenminister rang sich ein dünnes Lächeln ab. In seinen Augen las Joschannan leisen Vorwurf. Aber Galo Kajat verzichtete darauf, einmal mehr erfolglos darauf hinzuweisen, dass es besser wäre, für Joschannans persönlichen Schutz anstelle der beiden Topsider eine weitere Handvoll TLD-Agenten mitzunehmen.

»Viel Erfolg!«, rief ihm Oberst Bendjem Woitell hinterher.

»Danke«, gab Joschannan zurück. »Ich werde mir Mühe geben.«

 

 

Dolina Salamonski

9. Februar 1470 NGZ

 

Zwanzig Minuten später standen Arun Joschannan, Onttril-Gukzz und Tork-Trak an der Personenschleuse der TYLL LEYDEN.

Im Hintergrund hatten sich Galo Kajat, Henar Maltczyk, die beiden Staatssekretärinnen Kathy Clathson und Jalstrid Ruppiri, Major Eilan Grontu mit fünf TLD-Personenschützern aufgestellt.

Das Gepäck lagerte in Antigravkoffern, die neben ihnen herschweben würden, bis sie den Konvoi des Empfangskomitees erreicht hatten. Sein Sekretär hatte alles mit den Offiziellen von Thea besprochen und bis ins letzte Detail eingeplant.

Die TYLL LEYDEN setzte butterweich auf dem Landefeld auf. Über zwei Holoschirme, die links und rechts von der Schleuse installiert waren, konnte Joschannan sowohl die Landung mitverfolgen als auch einen ersten Blick auf die Situation im Raumhafen von Dolina Salamonski werfen.

Die ersten Siedler nach den Freihändlern – ein altes Zirkusschiff mit Schaustellern, Artisten und Dompteuren war auf Thea zu einer Notlandung gezwungen gewesen – hatten sich bei der Namensvergabe an traditionellen Begriffen aus der Zirkuswelt orientiert. Die Hauptstadt Theas hatte deshalb ihren Namen von einem alten Moskauer Zirkusgründer erhalten.

Zu den ersten Siedlern hatten aber nicht nur Terraner gehört. Eine kleine Insel trug beispielsweise den Namen Osa Mariga nach einem legendären Zirkusschiff aus der arkonidischen Frühzeit.

Joschannan lächelte. Die Szenerie, die sich ihm bot, war von einem Staatsempfang tatsächlich nicht weit entfernt.

Ein purpurroter Teppich führte geradewegs zu einem untersetzten Mann in Frack und Zylinder, der von zwei uniformierten Frauen flankiert wurde. Dahinter standen ein geräumiger, schwarz lackierter Gleiter und etwa zwölf Personen aus unterschiedlichen Völkern, die alle irgendwelche Geräte in den Händen hielten.

»Eine Zirkuskapelle«, raunte Joschannan seinen beiden Leibwächtern auf Topsidisch zu. »Die ließ sich offensichtlich ebenfalls nicht vermeiden.«

Hinter der Empfangsdelegation standen mehrere modifizierte Gleiter, wie sie galaxisweit von Medienleuten verwendet wurden. Darauf folgte ein Meer von Köpfen. Ganz offensichtlich hatte die Kunde vom Besuch des Ersten Terraners weit mehr Bewohner der Zirkuswelt mobilisiert, als Maltczyk prognostiziert hatte.

Arun Joschannan verdrängte die mahnenden Worte Galo Kajats. Sein Auftritt würde trotz aller Sicherheitsmaßnahmen risikobehaftet bleiben.

Er strich sich das lange Tuch glatt, das er sich über die Schulter gelegt hatte. Joschannan trug wie so oft bei festlichen Anlässen einen kunstvoll bestickten Sherwani, ein langes Jackett mit Stehkragen, und eine weite Churidar-Hose – alles traditionelle Erzeugnisse seiner fernen Vorfahren.

Mit einem leichten Zischen öffnete sich das schwere Schott der Außenschleuse. Warme Luft strömte herein. Joschannan schnupperte vorsichtig. Nur vereinzelt nahm er die typischen Duftkomponenten eines Raumhafens wahr. Ansonsten roch die Luft nach Blumen und saftigen Wiesen ... und nach einer Note, die ihn verdächtig an Sägemehl erinnerte.

Konnte es sein, dass die Verantwortlichen des Raumhafens mithilfe von Duftzerstäubern ihnen einen bis ins Unterbewusstsein stimmigen Empfang auf der Zirkuswelt bieten wollten?

»Bereit?«, murmelte er.

»Bereit«, kam es umgehend auf Topsidisch zurück.

Lächelnd trat Arun Joschannan hinaus. Sofort erhob sich Jubel aus den Reihen der Zuschauer. Ein scharfer Befehl erklang, und die Kapelle spielte eine beschwingte Melodie.

Der Erste Terraner winkte der Menge kurz zu, nahm die drei Stufen der Schleusentreppe und ging dann mit langen, weit ausholenden Schritten auf den untersetzten Mann im Frack zu.

Dieser setzte sich ebenfalls freudestrahlend in Bewegung. Drei Schritte vor Joschannan blieb er stehen, nahm in einer ausholenden Bewegung den Zylinder vom Kopf und verbeugte sich so tief, dass Joschannan die lichte Stelle an seinem Hinterkopf sehen konnte.

»Herzlich willkommen auf Thea, Erster Terraner, der Welt der Artisten!«

Arun Joschannan wartete, bis sich der untersetzte Mann wieder aufgerichtet hatte und der blauschwarz glänzende Zylinder auf seinem angestammten Platz saß.

»Vielen Dank, Grimaldi!«, sagte der Erste Terraner laut und deutlich. »Es ist mir eine persönliche Freude, die legendäre Zirkuswelt betreten zu dürfen!«

Er streckte die rechte Hand aus, und der Sprecher des Direktorenzirkels packte und schüttelte sie ausgiebig. Dabei drehte der untersetzte Mann Joschannan geschickt und routiniert zur Seite, sodass die heransausenden Kameras der Medienschar sie gut ins Bild setzen konnten.

Joschannan war das Prozedere seit seiner Zeit als Residenz-Senator des Plejadenbunds in Fleisch und Blut übergegangen. Hände schütteln, lächeln, vielleicht ein vertrautes Klopfen auf die Schulter des anderen – das gehörte alles mit dazu, wenn man nicht riskieren wollte, dass die Medienleute bei ihren Berichten von »gespannter Stimmung« oder »Unstimmigkeiten« sprechen würden.

»Welch Ehre, dass du ausgerechnet unsere kleine Welt besuchst. Das hätten wir uns nie träumen lassen!« Grimaldi strahlte stolz in die Kameras.

»Ich blicke mit Freude auf die folgenden Tage und hoffe, dass wir genügend Gelegenheit haben werden, Thea und seine Bewohner kennenzulernen«, gab Joschannan zurück.

Seine Delegation rückte auf, und der Erste Terraner stellte die Frauen und Männer dem Sprecher des Direktorenzirkels einzeln vor.

Henar Maltczyk hatte ihnen in der Vorbesprechung dieses Besuches erklärt, dass die meisten Mitglieder des Zirkels Künstlernamen trugen. Im Rahmen seiner persönlichen Vorbereitung hatte Arun Joschannan herausgefunden, dass Grimaldis Name auf einen gewissen Joseph Grimaldi zurückging, der anfangs des 19. Jahrhunderts der alten Zeitrechnung den Clown mit dem geschminkten Gesicht erfunden hatte. Grimaldi hatte zu den Vertretern der englischen Pantomime gehört. Der moderne Clown war erst später in die Zirkuswelt integriert worden.

Arun Joschannan blinzelte zur Sonne Theatrum hoch. Eine einsame Wolke trieb über den blassblauen Himmel. In Dolina Salamonski herrschte früher Nachmittag. Ein schöner Tag, um eine neue Welt zu besuchen.

»Es ist alles vorbereitet«, erzählte Grimaldi. »Der Gleiter wird euch zu eurem Quartier bringen. Anschließend freuen sich die restlichen Mitglieder des Zirkels darauf, euch kennenzulernen und die nächsten Tage zu besprechen. Danach bietet sich euch die Gelegenheit, Dolina Salamonski kennenzulernen.«

Joschannan nickte. »Darauf freue ich mich besonders.«

Er winkte den Zuschauern zu, ehe sie in den schwarz lackierten Gleiter stiegen. Nachdem sich die Tür geschlossen hatte, nahm Grimaldi den Zylinder vom Kopf.

»Was für ein Tag«, murmelte er, während er mit einer fahrigen Bewegung ein rot gemustertes Taschentuch aus seinem Ärmel zog und sich das schweißnasse Gesicht abtupfte.

»Und er hat gerade erst begonnen«, gab Joschannan freundlich zurück.

Der Gleiter hob ab, verließ mit gemächlicher Geschwindigkeit den Raumhafen und glitt auf die Straßenzüge Dolina Salamonskis zu. Joschannan und seine Begleiter blickten durch die getönten Scheiben auf die eigenwillige Bauart der Gebäude. Viele von ihnen erinnerten an überdimensionierte Schaustellerbuden, andere mit ihren spitzen Türmchen an stilisierte Zirkuszelte.

Joschannan wandte sich an den Sprecher des Direktorenzirkels. »Wir haben uns beim Anflug auf euer System gewundert, wie es möglich ist, dass Thea so viele bekannte Artisten und Dompteure hervorgebracht hat, obwohl ...« Er machte eine kurze Pause, um sich eine passende Formulierung zu überlegen. Aber Grimaldi kam ihm zuvor.

»Obwohl Thea am Arsch der Galaxis beheimatet ist?«, fragte er mit einem stolzen Lächeln. Dann beugte er sich zu Joschannan und raunte: »Das, mein lieber Erster Terraner, ist ein Geheimnis, das du selbst herausfinden musst.«

2.

Dolina Salamonski

9. Februar 1470 NGZ

 

Nuggnugg blickte auf, als ihm jemand rüde auf die Schulter klopfte.

»He, du, Echsenkopf«, sagte der Terraner im fleckigen Overall. »Das geht so nicht von wegen großer Klappe und dann einfach wieder ins eigene Glas schauen!«

Nuggnugg leckte mit der Zunge über die hornige Unterlippe.

Vier Raumfahrer standen ihm gegenüber. Er erkannte sie daran, dass sie alle Overalls mit demselben Logo trugen: ein vierbeiniges Tier mit langem Hals und Flügeln, das durch eine Spiralgalaxis flog.

Sie hatten an einem der ersten Tische gesessen und Karten gespielt. Nuggnugg hatte beim Betreten der Schenke einen seiner üblichen Sprüche losgelassen; der alte Topsider konnte sich nicht einmal mehr erinnern, welcher es gewesen war. Auf jeden Fall hatte er damit anscheinend die vier Männer bei ihrem Spiel gestört. Auf ihre wütenden Worte – und weil Nuggnuggs Tag bis zu dieser Minute absolut positiv gewesen war – hatte er ihnen vorgeschlagen, ihre schlechte Laune entweder für sich zu behalten oder sie sich für alle Zeiten wegzaubern zu lassen. Letzteres gehörte zu den vielen gutmütigen Verwünschungen, wie sie auf Thea gang und gäbe waren.

»Heute ist ein guter Tag für Thea«, sagte Nuggnugg bedächtig. »Der Erste Terraner ist eingetroffen und trägt unsere Zirkuswelt endlich auf die galaktische Karte ein. Weshalb könnt ihr es nicht einfach wie die Bevölkerung machen und den Tag mit einem Becher Schaumwein feiern?«

Er hob seinen Becher und prostete den Raumfahrern nach terranischer Manier zu.

Der Mann im fleckigen Overall trat so nahe an ihn heran, dass Nuggnugg die einzelnen geplatzten Äderchen in dessen Augen zählen konnte. »Ich sag dir etwas, Echsenkopf: Eure verlumpte Zirkuswelt und der Erste Terraner gehen mich allesamt einen Scheißdreck an. Die gesamte Southside ist ein einziges stinkendes Loch.«

Er gab ein eigenartiges schnaubendes Geräusch von sich, das Nuggnugg nicht verstand. Gleich darauf spuckte ihm der Raumfahrer einen grünweißen Batzen vor die Füße. Da verstand er.

Der alte Topsider hob abwehrend beide Hände. »Falls ich euch in irgendeiner Weise beleidigt oder verletzt haben sollte, so bitte ich ...«

»'ne große Klappe hast du gehabt, das hast du!«, fuhr ihn einer der anderen drei Raumfahrer an.

Nuggnugg schluckte umständlich. Aus den Augenwinkeln sah er, dass die anderen Gäste der Schenke alle zu ihnen herüberblickten. Grock, der naatsche Wirt, hatte das routinierte Abwischen der Theke unterbrochen und schien darauf zu warten, was als Nächstes geschah.

»Ja, genau«, sagte derjenige im fleckigen Overall. »Du wolltest uns ja verschwinden lassen. Wäre jetzt nicht ein guter Zeitpunkt dafür, Echsenkopf?«

Nuggnugg bemerkte, wie seine rechte Hand leicht zitterte. Er griff nach seinem Becher, doch das Zittern verstärkte sich dadurch noch. Als ein Teil der Schaumkrone über seine Finger floss, stellte er den Becher wieder hin und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Ich wollte euch nicht verschwinden lassen. Ich wollte euren Unmut wegzaubern, das ist alles!«

»Das ist doch alles derselbe ausgelutschte Khalumvatt!«

»Nicht auf einer Zirkuswelt!«, beeilte sich Nuggnugg zu sagen. »Hier gibt es ziemlich klar getrennte Begrifflichkeiten. Ich wollte euch nur ...«

»Du kannst also zaubern«, sagte der Mann im fleckigen Overall. »Weshalb zeigst du uns nicht ein wenig von deiner Kunst, Echsenkopf?«