cover.jpg

img1.jpg

EXTRA

 

 

Gesänge der NACHT

 

Die Mom'Serimer am Scheideweg – und auf der Suche nach ihrer kosmischen Bestimmung

 

von Marc A. Herren

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Prolog

1.

Zwischenspiel

2.

Zwischenspiel

3.

Zwischenspiel

4.

Zwischenspiel

5.

Zwischenspiel

6.

Zwischenspiel

7.

Zwischenspiel

8.

Zwischenspiel

9.

Zwischenspiel

10.

Zwischenspiel

11.

Zwischenspiel

12.

Epilog

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

img2.jpg

 

Nach vier langen Jahren des Kampfes konnten sich die Terraner und ihre Verbündeten endlich der Gefahr, die ihnen durch die Terminale Kolonne TRAITOR drohte, erwehren. KOLTOROC, die Superintelligenz, der die Leitung der Kolonne unterlag, wurde durch den Einsatz von Perry Rhodan und Mondra Diamond getötet; die Entstehung einer Negasphäre in Hangay konnte verhindert werden. Seines Wirkungsziels beraubt, bereitet TRAITOR den Abzug vor.

Für die Galaktiker beginnt Ende des Jahres 1347 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, was dem Jahr 4934 alter Zeitrechnung entspricht, eine Epoche des Aufräumens, des Wiederaufbaus, des Schließens alter Wunden. Und es beginnt eine Zeit der Abschiede und der Umwälzungen. Viele der Verbündeten suchen nun nach dem Ende der kosmischen Geschehnisse neue Ziele und neue Aufgaben.

Zu diesen Verbündeten gehören die Mom'Serimer, die einst auf der SOL eine neue Heimat fanden, nachdem ihre alte der Vernichtung anheimfiel. Ein halbes Jahrhundert lang haben sie die Geschichte des legendären terranischen Fernraumschiffes mitgeprägt, um das sich so viele Legenden ranken und das den Hauch kosmischer Ereignisse gespürt hat wie kein anderes terranisches Schiff.

Nun befinden sich die Mom'Serimer an einem Scheideweg – und sie hören die GESÄNGE DER NACHT ...

Prolog

Gesänge der Nacht

 

»Die NACHT, Case. Wie erhaben und würdevoll war die NACHT?«

Sein Gesprächspartner antwortete nicht, blickte ihm nur nachdenklich in die Augen.

»Was wissen die heutigen Generationen schon von der NACHT? Als das große Volk der Mom'Serimer eine Heimat und eine kosmische Aufgabe hatte. Hörst du, Case? Eine Heimat. Und eine kosmische Aufgabe. Wir haben damals von Nacht-Acht aus unsere schützende Hand über den PULS von Segafrendo gehalten. Wir waren Wächter, und alle im Volk gingen in ihren Pflichten auf, weil es ein Gebot der Selbstverständlichkeit war. Weil wir wussten, dass von unserem Geschick vieles abhing. Dass sich die guten Kräfte im Kosmos auf uns verlassen konnten.«

Er stand mit zitternden Bewegungen auf, schlurfte zu der kleinen Kochnische und nahm den Topf mit dem heißen Wasser von der Induktionsplatte.

»Bist du sicher, dass du keinen terranischen Tee willst, Case? Garantiert pfefferminzfrei, damit du heute Nacht schlafen kannst.«

Er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Case auch bei diesem Besuch seine Gastfreundschaft auf die Probe stellte. Er seufzte, während er ein Teekügelchen in seine Trinkschale warf. Dann goss er heißes Wasser darüber und wartete, bis die aromatischen Dampfzünglein über die Riechsensoren unterhalb der flachen Nase strichen.

»Ah, das ist schon besser.«

Er drehte sich um und balancierte die köstlich duftende Trinkschale zurück zu dem kleinen Tisch, der die Mitte seiner Wohnküche beherrschte. »Ein Knabberstäbchen, vielleicht? Ich hätte sogar ein terranisches Schokoladenbonbon.«

Sein Besucher wehrte lächelnd ab. »Erzähl mir von der NACHT, Freund. Das ist mir Nahrung genug.«

»Es ist nicht alles schlecht, hier in der Scherbenstadt an Bord der SOL.« Er zog einen Holzlöffel aus der Hosentasche und rührte nachdenklich im Tee. »Und doch haben wir vieles verloren, was uns früher als Volk ausgemacht hat. Wir hatten eine würdevolle Aufgabe in Nacht-Acht. Und nun? Atlan und die Solaner haben uns damals gerettet und uns großmütig Asyl gegeben in einem Teil ihres Schiffes, den wir zu unserem eigenen Reich machen durften.«

Er seufzte erneut.

»Wir waren so sehr mit dem Aufbau der Scherbenstadt beschäftigt, dass wir gar nicht gemerkt haben, dass wir stets nur den Status von geduldeten Gästen hatten. Dass die neue Heimat nur eine Illusion, eine Vorstellung in unseren Köpfen war, da wir über sie nicht bestimmen konnten. Das Gremium, die Schiffsleitung um die Kommandantin Fee Kellind, bestimmte, und die SOL führte aus. Flog mal hierhin, mal dorthin, nahm es mit diesen und jenen auf und vergaß meist, dass wir, die stetig größer werdende Population der Mom'Serimer, ebenfalls mit an Bord waren.«

»Aber man hat den Mom'Serimern doch Mitspracherechte verliehen, und die Soldaten der NACHT haben entscheidend zum Erfolg gegen TRAITOR und die negative Superintelligenz KOLTOROC beigetragen!«

»So? Und?« Seine Tentakel umwanden sich kurz, als ob er sie in sich verknoten wollte. »Die sogenannten Mitspracherechte wurden erst nach intensivem Nachhaken verliehen und hatten stets nur einen pseudo-offiziellen Charakter.«

»Aber uns wurde doch am 1. März 1344 die LFT-Vollmitgliedschaft verliehen?«, warf Case ein.

»Und was hat uns dies gebracht?«, gab er zurück. »Meist wurden wir nur über Entscheidungen informiert, nachdem diese längst gefallen waren. Und was die Soldaten der NACHT anbelangt: Müssen wir ihnen jetzt dankbar sein, dass wir für sie unsere Hälse riskiert haben? War es nicht so, dass Unsterbliche wie dieser Atlan sogar Jugendliche in die Schlacht warfen? Mom'Serimer, die noch gut und gerne 150 Segaf vor sich gehabt hätten?«

Er hatte sich in Rage geredet. Ein paar schnelle Atemzüge, und die Aromen von köstlichem Tee an seinen Riechsensoren beruhigten ihn wieder. Er hob die Trinkschale zum Mund, blies kurz in das dampfende Gebräu und genehmigte sich die Köstlichkeit in kleinen Schlucken.

»Solche Auswüchse hätte es in der NACHT nie gegeben. Damals war alles anders. Gesitteter. Klarer.«

Er stellte die Trinkschale geräuschvoll auf den Tisch. »Und erhabener!«

»Erhabener?«

Er sah dem Besucher während zweier schwerer Atemzüge unverwandt in die Augen und sagte dann: »Wer weiß denn heutzutage noch, wie es damals gewesen war, in einem Jetboot durch die NACHT zu fliegen? Umgeben zu werden von diesem puren Gegenteil von Licht, das einen umhüllt hat wie ein Kleid aus einem dicken, dumpfen Stoff.«

»Du klingst, als hättest du die NACHT selbst noch erlebt.«

Er tat, als habe er die Anmerkung nicht gehört. »Und dann ...« Er schloss die Augen und streckte die rechte Hand nach einem weit entfernten Objekt aus. »Dann tauchte sie auf: die Säule der NACHT. Ein von Mythen umranktes Gebilde. Eine verbotene Zone, die unser aller Fantasie und Verlangen ankurbelte. Ganz zu schweigen von der Stromschnelle, in der mehr als nur ein naseweiser Mom'Serimer für immer verschwand.«

Case kniff die leicht schräg stehenden Augen zusammen. »Wir Mom'Serimer werden maximal zwanzig terranische Jahre alt. Unser Volk hat die NACHT vor mehr als 500 Segaf verlassen. Seither sind etwa sieben Generationen gekommen – und die meisten sind bereits wieder gegangen und wurden dem ewigen Kreislauf übergeben.«

»Was siehst du mich so an?«

»Ich habe dich etwas gefragt.«

»Ich habe keine Frage gehört.«

»Hast du die NACHT persönlich erlebt?«

»Eine seltsame Frage – du hast ja vorhin selbst erläutert, weshalb dies nicht sein kann.«

»War das ein Nein?«

Ruhig stand er auf, um sich eine neue Trinkschale mit Tee aufzubrühen. »Du bist so hektisch, Case. Möchtest du jetzt etwas Tee? Der beruhigt.«

Kraftlos fielen die Tentakel seines Besuchers über die Stirn. »Du bist einfach unglaublich.«

»Meinst du außergewöhnlich?«

»Das auch.«

1.

Milo und das Haus in den Trümmern

 

»Kein Wort mehr, junger Mom'Serimer, ich will nichts mehr davon hören!«

»Aber Vater!«, protestierte Milo Aratoster. »Du kannst mir doch nicht ...«

»Und ob ich das kann! Solange du nicht in deine erste geschlechtliche Phase eingetreten bist, giltst du für mich offiziell als Kind, und als solches hast du dich den Regeln der Erwachsenen zu beugen!«

»Aber ...«

»Zudem ist die Zeit der Helden ein für allemal vorbei, Aratoster Junior!«

Milo zuckte zusammen. Die Du-bist-viel-zu-jung-Rede seines Vaters kannte er, seit ... nun, seit er alt genug gewesen war, Wünsche und Pläne zu äußern. Was der Vater aber über das Heldentum gesagt hatte, tat dem kleinen Mom'Serimer bis in die Spitzen beider Tentakel hinein weh.

Kann es wirklich sein, dachte Milo verzweifelt, dass ich buchstäblich zu spät komme? Dass ...

Hektisches Geschrei unterbrach Milos Gedankengänge. »Lord Aratoster, Lord Aratoster!«

Bidu Scherlaner stürmte mit hoch erhobenen Armen durch den Glasfaservorhang hinein, der die Tür markierte, und hätte Milo um eine Tentakelbreite umgerannt.

»Lord Aratoster«, japste Bidu, »oh, Verzeihung, deine Junglordschaft, ich habe dich nicht ... Egal! Lord Aratoster, ich habe eine dringende Nachricht für dich!«

Lord Remo Aratoster wandte sich um und wedelte mit dem verkrüppelten Finger der rechten Hand in die Richtung seines Meldeläufers.

»Bidu Scherlaner«, sagte er spitz, »keine wichtigen Informationen, solange mein Sohn zugegen ist. Er ist noch klein und vermag die Bürden der Politik nicht zu tragen!«

»Aber Vater!«, rief Milo und bemerkte mit leisem Ärger, dass seine Stimme weinerlich klang. Hatte er damit seinem Vater nicht automatisch recht gegeben? Es war zum Verzweifeln!

Milo ließ die Arme hängen und trottete ohne ein weiteres Wort des Protestes aus dem Versammlungsraum des Scherbenstadt-Palastes. Gerade, als sich der Türvorhang hinter ihm wieder geschlossen hatte, hörte er, wie Bidu Scherlaner mit hektischer Stimme flüsterte: »Es geht um die Soldaten der NACHT, Lord Aratoster.«

Milo erstarrte. Die Armee der NACHT! Die Truppen, die KOLTOROCS Streitkräfte fast im Alleingang zur Strecke gebracht hatten!

»Milo?«, hörte er in diesem Moment die fragende Stimme seines Vaters. »Bist du schon draußen?«

»Äh ... ja?«, gab er zurück und ärgerte sich sogleich, dass er überhaupt geantwortet hatte.

»Jetzt aber hopp-hopp, mein Kleiner!«

Milo kniff die Augen zusammen. Er lief mit einem eilig über die Schulter zurückgeworfenen »Ja, Vater« durch den nicht ganz ebenen Gang hinaus, der mit Bildern aller Lords dekoriert war, die an Bord der SOL geherrscht hatten: Crom Harkanvolter hing neben Stap Crumero, dann folgte der Begründer der Scherbenstadt, Shoy Carampo, und so ging es weiter bis zum Porträt seines Vaters, Remo Aratoster. Milo hatte für sie diesmal keinen Blick übrig.

Irgendetwas ist mit den glorreichen Soldaten der NACHT geschehen!, dachte er elektrisiert. Ich muss herausfinden, was!

Milo Aratoster, einziger Sprössling von Remo Aratoster und Kila Sergenbager, machte rechtsum kehrt, kletterte den mit farbigen Glassplittern verzierten und versiegelten Schlackehaufen neben dem Eingang des Scherbenstadt-Palastes hoch, öffnete eine Frischluftluke und presste sich in den engen Schacht hinein, der sich vor ihm geöffnet hatte.

Beinahe hätte er überrascht aufgeschrien. Es musste fast zwei Jahre her sein, als er seinem Vater auf dem Weg zur Arbeit hinterhergeschlichen war und diesen geheimen Zugang zum Palast entdeckt hatte. Damals war Remo Aratoster persönlicher Berater des früheren Lords Piro Sergenbager gewesen, notabene seines Großvaters, oder besser gesagt: seiner Großmutter, da er gerade in einer weiblichen Phase gewesen war, als er mit Kila schwanger wurde.

Milo verdrängte die mitunter verwirrenden Verwandtschaftsverhältnisse der wechselgeschlechtlichen Mom'Serimer und konzentrierte sich auf den fünfeckigen Lüftungsschacht, der ihm früher viel, viel breiter und bequemer vorgekommen war. Er durfte nicht zu spät kommen; er musste erfahren, was so Schlimmes mit den Helden der NACHT geschehen war!

»Sie drehen durch?«, hörte er in diesem Moment die seltsam blechern klingende Stimme seines Vaters. »Weshalb sollten sie so etwas tun?«

»Der Stress, Lord Aratoster«, erklang die besorgte Stimme Bidu Scherlaners. »Das kurze, intensive Training, die Gefechte um Leben und Tod gegen die Schergen KOLTOROCS und vor allem ...« Seine Stimme brach mit einem trockenen Husten ab, das verdächtig nach einem Schluchzen klang.

»Vor allem?«, echote Remo Aratoster gedehnt.

»Pfefferminz-Missbrauch.«

»Oh!«

»Ja, oh!«, gab Bidu Scherlaner zurück. »Sie haben jede Art von Pfefferminz, den sie bei der Besatzung der SOL ergattern konnten, in sich hineingestopft: Pfefferminzbonbons, Pfefferminzkaugummi, Pfefferminztee, Pfefferminzplätzchen, ja sogar Pfefferminzdufttännchen, die sie sich vor die Riechöffnungen geklebt haben, und eine Pfefferminzschokolade, welche die Terraner in ihrer eigenen Sprache, die sie vor der hatten, die sie jetzt sprechen, Nach-Acht getauft haben, oder irgend so etwas in der Art. Jedenfalls hat es für sie in der Übersetzung wie Nacht-Acht geklungen, unsere frühere Heimat, und da haben sie wohl gedacht, das wäre ein gutes Omen.«

»Ist ja gut, Bidu«, drang die hastige Stimme des Vaters durch. »Ich hab's begriffen. Was machen wir nun?«

»Du bist der Lord, du musst es wissen.«

»Ich weiß, ich weiß. Das war eine rhetorische Frage, Bidu Scherlaner. Ich werde ... ich werde mir ein wenig die Füße vertreten gehen.«

»Gehst du wieder zu diesem Berater, von dessen Existenz wir offiziell nichts wissen?«, fragte Bidu misstrauisch.

»Pssst!«, kam es sofort zurück. »Erstens gibt es keinen solchen Berater, und zweitens ... Ach, ich muss jetzt gehen. Ich melde mich, wenn ich dich wieder benötige.«

Milos Herz hämmerte wie verrückt. »Mein Vater hat einen geheimnisvollen Berater?«, flüsterte er ergriffen.

So schnell es ging, schob er seinen Körper durch den engen Schacht zurück. Das war gar nicht so einfach, da er sich weder umwenden noch eine Ritze oder Fuge ergreifen konnte, die ihm mehr Halt verliehen hätte. Also stützte er sich mit beiden flachen Händen ab und bewegte sich rückwärts.

Milo schnaufte und keuchte. Die Flamme der Neugierde brannte in ihm so kräftig und hell wie lange nicht mehr. Er musste herausfinden, was das alles zu bedeuten hatte!

Nach endlosen Sekunden stießen seine Füße gegen den Rahmen der Frischluftluke, durch die er in den Schacht eingedrungen war. Strampelnd und innerlich fluchend schob er sich heraus, füllte seine Lungen mit Luft und sah sich blinzelnd um.

Auf dem großen Gemeinschaftsplatz vor dem Regierungspalast der Scherbenstadt wuselten Dutzende von Mom'Serimern umher, fanden sich zu Trauben zusammen und diskutierten mit dramatisch erhobenen Armen über dieses und jenes, zumeist über den nun offiziell beendeten Kampf gegen die Bedrohung durch die böse Superintelligenz KOLTOROC und deren Schergen.

Milos Tentakel ringelten sich nervös, während er sich immer verzweifelter umschaute. Wie weit war sein Vater gekommen, während er sich durch den Schacht gekämpft hatte? Er kam sich vor wie beim Betrachten des Suchbild-Spiels Wo ist Crom?, bei dem man auf einem mit Tausenden von Mom'Serimern gefüllten Bild den legendären Lord Crom Harkanvolter finden musste.

Milo schüttelte die unnötigen Gedanken ab, kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich auf jene Mitglieder seines Volkes, die einzeln unterwegs waren.

Und dann sah er ihn!

Der Vater hatte sich in einen alten, grauen Mantel gehüllt und schob sich gerade zwischen zwei goldenen Roboterhüllen hindurch, die man als optische Zierden am Rand des Versammlungsplatzes aufgebaut hatte.

Milo hüpfte den Schlackehaufen hinunter und rannte über den Versammlungsplatz. Japsend wich er anderen Mom'Serimern aus und fing sich von ihnen etliche erstaunte Blicke ein. Bei den Mom'Serimern war es eine Tugend, in der kurzen Lebenszeit möglichst viel zu erleben und zu erreichen. Das war aber noch kein Grund, sich dermaßen zu verausgaben, schienen die Blicke ihm zu sagen.

Sollen sie nur schauen, dachte Milo. Ich bin einem großen Geheimnis auf der Spur!

Heftig schnaufend erreichte er die beiden goldenen Roboter, wetzte an ihnen vorbei und sah den grauen Mantel am Ende einer engen Gasse hinter einem verwegen aussehenden Gebilde aus Armaturen verschwinden.

Milo hetzte durch die Gasse. Auf beiden Seiten wurden an kleinen Marktständen Mom'Serimer-Köstlichkeiten angeboten. Es roch verführerisch nach exotischen Gewürzen, Maschinenfett und einem Hauch von Minze. Milo bemerkte, dass er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte, weil er am Morgen Informationen über die Soldaten der NACHT gesammelt hatte. Es war sein größter Wunsch, selbst zu einem Soldaten ausgebildet und vielleicht eines Tages wegen einer Heldentat in den Rang eines Offiziers befördert zu werden.

Der kleine Mom'Serimer ignorierte die lockenden Düfte und beeilte sich, das Armaturengebäude zu erreichen. Wiederum kam er gerade rechtzeitig, um zu sehen, welchen Weg sein Vater einschlug.

Auf einmal war Milo froh, dass der Vater mit seinen 19 Jahren nicht mehr der Jüngste war; sonst hätte er ihn höchstwahrscheinlich während seiner Verfolgung irgendwo verloren.

Der Lord der Mom'Serimer blieb kurz stehen und blickte sich um – genau in die Richtung seines Sohnes.

Milo stieß einen erschrockenen Schrei aus und drückte sich ganz nahe an eine der Armaturen. Fast hätte er mich gesehen!, sagte er sich in Gedanken. Ich muss sorgfältiger sein!

Remo Aratoster drehte sich weg und ging auf ein rot-weiß lackiertes Tor zu.

»Die Rutsche zu den Zwischenböden!«, flüsterte Milo fasziniert.

Wie alle Mom'Serimer hatte er zwar schon früh eine gesunde Neugierde entwickelt, es aber irgendwie geschafft, sein bisheriges Leben fast gänzlich auf dem Hauptboden der Scherbenstadt zu verbringen. Hier war er aufgewachsen, hier regierte sein Vater seit fünf Jahren als Lord, und hier wurde er von seinen Indoktrinatos in allem unterrichtete, was er für ein Leben als Mom'Serimer benötigte.

Na ja, dachte Milo. In fast allem.

Bisher hatten sie ihm beispielsweise den – nicht ganz unwesentlichen – Kniff nicht beibringen können, wie man Freunde fand. Oder wie man es vermied, sich vor lauter Scham in einen Schlackehügel zu verwandeln, wenn man unvermittelt von einem Fremden angesprochen wurde.

Und wie man endlich in die erste geschlechtsreife Phase trat und von den Erwachsenen – und besonders von seinem Vater – als vollwertiges Mitglied des großen Volkes der Mom'Serimer anerkannt wurde.

Milo schüttelte den Kopf, um die traurigen Gedanken abzuschütteln, und rannte auf das Tor zur Zwischenbodenrutsche zu.

Nun folgte der schwierigste Teil der Verfolgung. Er musste unbedingt sehen, welchen Zwischenboden sein Vater anvisiert hatte, ihm sofort hinterherrutschen, es dabei aber vermeiden, direkt vor seinen Füßen zu landen.

Vorsichtig lugte er um das rot-weiße Gestänge und sah dreißig Meter unter sich den grauen Mantel seines Vaters im Fahrtwind flattern.

Eine grüne Rutschplatte!

Milo eilte zum Verteiler und nahm sich ebenfalls eine grüne Platte. Während er die kleiner werdende Gestalt seines Vaters fest im Blick behielt, legte er die Platte auf die Starttafel, setzte sich in die leichte Wölbung, schlüpfte mit den Schuhspitzen in die dafür vorgesehenen Halterungen und ergriff den Steuerhebel.

Mit zusammengekniffenen Augen verfolgte Milo, wie sein Vater im grünen Zwischendeck angelangt war, sich erhob und die Zieltafel verließ.

Der kleine Mom'Serimer holte tief Luft und drückte den feuerroten Startknopf auf dem Hebel. Aus einer Schulungseinheit der Indoktrinatos hatte er das Prinzip der Scherbenstadt-Rutschen kennengelernt: Sensoren ordneten anhand der Farbe der Platten deren Ziele zu und steuerten sie dann mittels der Luftdüsen an, welche in die Rutschböden eingelassen waren.