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Herausgeber:

GEO
Die Welt mit anderen Augen sehen
Gruner + Jahr AG & Co KG, Druck- und Verlagshaus,
Am Baumwall 11, 20459 Hamburg
www.geo.de/ebooks

Inhalt

Schmerz 1

Wege aus der Pein

von Klaus Bachmann

Schmerz 2

Der durch die Hölle geht

von Constanze Kindel

Schmerz 1

Wege aus der Pein

Schmerzerfahrung schützt vor zu viel Waghalsigkeit. Und macht krank, wenn sie sich verselbstständigt. Wenn der Schmerz nicht mehr loslässt. Wenn er das Leben beherrscht, wie etwa der heimtückische Cluster-Kopfschmerz. Vielen Patienten könnten Mediziner inzwischen besser helfen denn je, dank neuer Erkenntnisse über das Monstrum Schmerz. Nur kommen die Einsichten zu zögerlich in den Behandlungszimmern an, auch eine Sechs-Punkte-Strategie gegen den Schmerz

von Klaus Bachmann

Welch grossartige Vision ist das:

Den Schmerz einfach wegdenken, ihn allein mit der Macht der Gedanken bändigen!

Nichts weniger ist es, was der Neurowissenschaftler Christopher deCharms in Kalifornien seinen Patienten beibringen möchte. Er schiebt sie in die enge Röhre eines Magnetresonanztomografen. Auf einem kleinen Bildschirm sehen sie ein Feuer brennen: Sie schauen ihrem Gehirn „live“ bei der Arbeit zu. Modernste Technik setzt die Aktivität des Denkorgans in Sekundenbruchteilen in ein Bild lodernder Flammen um. Schlagen diese hoch, arbeiten die Nervenzellen auf Hochtouren. Züngeln sie nur schwach, „dösen“ die Neuronen.

Das Areal, dessen Treiben die Patienten beobachten können, liegt tief in der grauen Masse und bestimmt mit, wie stark sie einen Schmerzreiz empfinden. Den anterioren cingulären Kortex (ACC) nennen Hirnforscher die betreffende Region.

Mit ein wenig Übung, so zeigt es sich, schaffen Menschen es, den ACC zu beeinflussen. Jeder muss dabei seine persönliche Strategie finden. Manche konzentrieren sich auf einen Körperteil, der nicht wehtut; andere reden sich ein, der Schmerz sei harmlos und höre gleich auf; wieder andere beschwören angenehme Bilder aus dem jüngsten Urlaub herauf. Die Methode gleicht dem klassischen Biofeedback, nur dass das Gehirn hier mit sich selbst rückgekoppelt ist, sich selbst manipuliert.

Ein verrücktes Phänomen: Gedanken regieren die Nervenzellen, also die Materie. Ein Phänomen, das mitten hinein führt in die jahrhundertealte Diskussion über die Beziehung von Leib und Seele, Körper und Geist.

Alle Probanden deCharms’ gaben jedenfalls an, dass sich ihre Schmerzen deutlich verringerten, obwohl sich die bei ihnen angewandte Methode noch im Experimentierstadium befindet. Der Wissenschaftler hofft, weitere Ergebnisse im Sommer 2010 vorlegen zu können.

Das avancierte Verfahren ist Ergebnis einer Offensive der Schmerzforschung in den vergangenen beiden Dekaden. Sie hat das Wissen über den unvermeidlichen Begleiter des menschlichen Lebens enorm vergrößert und die Therapie bereichert. Sie hat die Verschaltung der Nervenzellen nachgezeichnet, die Wandlungsfähigkeit des Nervensystems belegt und erhellt, wie Schmerz im Gewebe und im Kopf entsteht.

Früher galt Schmerz als Warnsystem mit direkter Verdrahtung. Die Vorstellung: Bohrt sich ein Dorn in den Fuß, jagen Impulse die Nervenfasern entlang zum Gehirn und lassen dort die Alarmglocken schrillen; je schwerer die Verletzung, desto lauter.