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Herausgeber:

GEO
Die Welt mit anderen Augen sehen
Gruner + Jahr AG & Co KG, Druck- und Verlagshaus,
Am Baumwall 11, 20459 Hamburg
www.geo.de/ebooks

Bei der Kleidung fängt es an: Wer ist Frau und wer ist Mann? Im Beruf geht es weiter: Wer ist Erzieherin, wer Ingenieur? Angeblich hat die Biologie es vorprogrammiert, hat den einen die Gabe des Mitgefühls in die Wiege gelegt und den anderen die des analytischen Denkens. Alles Unsinn, sagt eine neue Forschergeneration. Die unterschiedlichen Rollen im Alltagsleben – wir schneidern sie uns selbst auf den Leib. Und die rosa-blau geteilte Kindheit spiegelt nur, was Eltern vorleben. Und eine Konsumwelt, die schon die Kleinsten in ihren Bann ziehen will. Zwei Reportagen zur Geschlechterforschung

Inhalt

Geschlechter-Forschung 1

Alles Bio. Oder?

von Fred Langer

Geschlechter-Forschung 2

Die geteilte Kindheit

von Johanna Romberg

Geschlechter-Forschung 1: Der Mythos vom Unterschied

Alles Bio. oder?

Fühlen vs. analysieren, kümmern vs. kommandieren: Hat wirklich die Natur unser Rollenspiel programmiert? Oder führen doch eher wir selbst Regie? Die Gehirne von Frau und Mann jedenfalls sind sich ähnlicher, als wir denken

von Fred Langer

Eine Frau. Mit 14 blickte sie verträumt in den Himmel hinauf, wenn nur irgendwo Triebwerkslärm ertönte. So bald wie möglich, mit 16, begann sie die theoretische Ausbildung zur Pilotin; mit 17, neben dem Gymnasium, die praktische Schulung. Die Eltern hätten ihre Tochter lieber im Mathematik- oder Physikstudium gesehen. Aber sie heuerte bei einer Fluggesellschaft an.

„Wenn ich gefragt wurde, ‚Was machst du beruflich?‘, und ich antwortete: ‚Fliegen‘, dann war die immer gleiche Reaktion: ‚Ah, Stewardess!‘ “ Jetzt sitzt Flugzeugführer-Offizierin Birgit Haase, 29, im olivgrünen Overall in der Cafeteria ihres Fliegerhorstes im niedersächsischen Wunstorf. Sie ist zum Militär gewechselt. Die zivile Luftfahrt war ihr „zu sehr Busfahren“.

Ein Mann. Mit 16 kam er aus Schottland nach Deutschland, verdiente sein Geld als Druckvorlagenhersteller. Er heiratete, doch bald scheiterte die Ehe. Die Exfrau kümmerte sich nur am Wochenende um die Kinder, als alleinerziehender Vater konnte er Job und Familie nicht mehr miteinander vereinbaren.

Er schulte zum Erzieher um, wo es mehr Möglichkeiten für Teilzeitarbeit gibt. „Die Exkollegen spotteten: ‚Kindergärtner? Das ist doch ein Frauenberuf.‘ “ Was stimmt – nur drei Prozent der Erzieher in deutschen Kindertagesstätten sind männlich.

Jetzt sitzt Martin Grafton, 32, umringt von Drei- bis Sechsjährigen, in einer Kita im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Im „Morgenkreis“ begleitet er die Kinder auf der Gitarre, die beseelt das Leitmotiv aus Pippi Langstrumpf anstimmen: „Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt.“

Wenn es doch so kinderleicht wäre.

Die Natur hat Mann und Frau mit unterschiedlichen Begabungen ausgerüstet, das ist weithin Konsens. So glänzen die einen mit technischem Verständnis, die anderen zeichnen sich durch Einfühlungsvermögen aus. Abweichungen sind möglich, aber exotisch.

„Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“, der Titel von John Grays Buch klingt wie ein Naturgesetz – eines, das in mittlerweile 40 Sprachen übersetzt ist. Und Allan und Barbara Pease erklären in immer neuen Varianten: „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“. Allein in Deutschland haben sie ihre Werke über sechs Millionen Mal an Mann und Frau gebracht.

Es sind eingängige Bestseller, deren Titel wie Herrenwitze beginnen, die aber als Gesellschaftsformel enden: Homo sapiens bestehe in Wahrheit aus zwei eigenständigen Subspezies, den technikbegeisterten Denkern und den kinderlieben Fühlern.

Keineswegs nur die populären Ratgeber verkünden das Mantra vom Unterschied, der nun mal nicht zu ändern ist. Es tönt auch von den Gipfeln der Wissenschaft herab.