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GEO
Die Welt mit anderen Augen sehen
Gruner + Jahr AG & Co KG, Druck- und Verlagshaus,
Am Baumwall 11, 20459 Hamburg
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Ein Loblied auf den Störenfried

Querdenker

Sie sind eigensinnig, unbeirrbar und kochen lieber ihr eigenes Süppchen. Weil sie sich dem Mainstream widersetzen, werden sie ausgegrenzt, riskieren Karriere und Ansehen. Dabei brauchen wir Querdenker: Gerade weil sie nerven, helfen sie uns, die Welt zu verstehen
Plus: Acht schräge Thesen, die unser Weltbild ins Wanken bringen

von Jürgen Schaefer

Querdenker können nichts dafür: Eine Idee befällt einen Menschen wie eine Geisteskrankheit. Unter ihrem Einfluss beginnt seine Realität sich zu verformen, bis der Betroffene Dinge sieht, die niemand vor ihm sah.

Gekrümmte Räume. Einen Seeweg nach Indien. Das Äffische im Menschen.

Spätestens dann sollte er in Gesprächen vorsichtig sein. Je größer ein Gedanke, desto größer die Einsamkeit in seinem Gefolge. Manche Idee wird zum Parasiten, der sich eines Menschen bemächtigt, ihm alle Energie, alle Zeit, sein Leben abverlangt.

Forscher streben ihr Schaffen lang nach dem einen, nach ihrem genialen Gedanken. Doch ihm zu folgen erfordert Mut: Es ist, wie auf einen fahrenden Zug aufzuspringen, ohne zu wissen, wohin er fährt. Nach Stockholm? Oder nach Sibirien?

Nobelpreis oder Verbannung? Für die Geologin Gerta Keller bleibt die Frage offen. Seit 25 Jahren schlägt sie ihr Geologenhämmerchen an einem granitharten Dogma stumpf. Für manche hat sie das zur Heldin gemacht. Für die meisten ihrer Kollegen ist sie eine Nervensäge.

Keller sieht aus, als hätte sie sich seit Woodstock nicht mehr umgezogen; gelb getönte Brille, Flatterbluse, graue Spaghettilocken. Sie stammt aus Liechtenstein und spricht Englisch mit einem knarzenden Schweizer Akzent. „Absolute Wahrheit“, sagt sie, „gibt es nur in der Mathematik. In der Geologie dagegen hilft nur, neugierig zu bleiben. Offen für Neues.“

Keller lehrt an der amerikanischen Princeton-Universität, auf einem Campus wie ein englisches Schloss, mit Sandsteintürmchen und Schindeldächern. Die Büsche im Park werden mit der Schere getrimmt. Im Innern quietschen Eichentüren; ein Ort, an dem seit Generationen Geologen versteinern. Im Erdgeschoss verstaubt ein Dinosaurierskelett. Die Frage, warum diese Riesenreptilien ausgestorben sind, galt unter Geologen lange als geklärt. Bis Gerta Keller kam.

Jedes Kind kennt die Geschichte: Vor 65 Millionen Jahren stürzte ein Monstermeteorit auf die Erde. Er schlug im Golf von Mexiko einen 180 Kilometer breiten Krater und wirbelte so viel Staub auf, dass sich der Himmel verdunkelte. Pflanzen verwelkten, die Dinos verhungerten.

„Eine attraktive Idee, sexy und einfach zu begreifen“, räumt Keller ein. Lächelt. „Aber leider falsch. Das haben wir längst bewiesen.“ Für die Demission der Dinos, glaubt sie, waren massive Vulkanausbrüche und Meteoritenschauer verantwortlich. Das Sterben zog sich über zwei Millionen Jahre hin. Spekulationen über einen jahrelangen Winter, der dem Meteoriteneinschlag folgte, wären damit hinfällig. Immer wieder hat es in der Erdgeschichte Massensterben gegeben; die Frage nach deren Warum müsse komplett neu gestellt werden, sagt Gerta Keller.

1985 präsentierte sie ihre Theorie auf einem Geologen-Kongress. „Ich wurde als ‚George Keller‘ angekündigt, so unbekannt war ich.“ Das sollte sich ändern. „Schon bei der Einleitung standen die ersten am Saalmikrofon Schlange, um zu widersprechen.“ Kellers Vortrag ging im Geschrei der Gegner unter.