Über das Buch

Hauspersonal? Diener? Bei uns doch nicht! Gut, da gibt es die Polin, die unsere Wohnung putzt. Abends lassen wir uns vom Lieferdienst schnell ein Essen bringen, anders wären Job und Privatleben gar nicht zu schaffen. Die Zeit reicht ja nicht einmal zum Einkaufen: gut, dass der Bote alles, was man so braucht, die Treppe hochschleppt. Dass unser Alltag von Computern abhängt, stimmt nur zur Hälfte. Für Haushalt, Kinderbetreuung und Pflege suchen wir uns – am einfachsten im Internet – Personal. Christoph Bartmann beschreibt, wie parallel zur digitalisierten Welt eine neue Klasse schlecht bezahlter Helfer und Boten entsteht – das Bürgertum findet zunehmend Geschmack am neofeudalen Leben. Ein scharfer Blick auf unsere Gesellschaft, die mit sozialer Spaltung offenbar gut leben kann.

Christoph Bartmann

Die Rückkehr der Diener

Das neue Bürgertum
und sein Personal

Carl Hanser Verlag

ISBN 978-3-446-25424-4

Alle Rechte vorbehalten

© Carl Hanser Verlag München 2016

Umschlag: © Peter-Andreas Hassiepen, München

© Kathryn Scott Osler / The Denver Post via Getty Images

Satz: Satz für Satz, Wangen im Allgäu

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Meiner Familie

Inhalt

Vorwort

1
Domestic New York.
Einblicke in die Servicewelt

In der Lobby

Zweierlei Stress

Craigslist. An der Servicebörse

Teil der Familie

Häusliche Sklavenhaltung?

Der Mordfall Krim

Wie die andere Hälfte lebt

Eine Geschichte von zwei Städten

24/7: Schichtdienstleben

Parade der Tagelöhnerinnen

Die Plattform für das ganze Haus

2
Delegationen.
Selbstbefragung vor eigenem Haushalt

Delegieren, nur an wen?

»Identitär« oder nicht? Zweierlei Hausaufgaben

Domänen des Selbertuns

Affektarbeit am eigenen Haus

Häusliche Schattenarbeit und Selbstverwaltung

Dienstleister an sich selbst

Liebende Sorge

Affektive Serviceleistungen

Ethik des Machenlassens

3
Vom Diener zum Dienstleister.
Gestaltwandel des Hauspersonals

Die Rückkehr der dienenden Klassen

Journal einer Kammerzofe. Die neue Lust an asymmetrischen Verhältnissen

Die Vergütung der Gefühle. Zur Ökonomie des Kümmerns

Plattform. Haushaltsdienste in der »Sharing Economy«

4
Abschied von den Dienern.
Transhumane Perspektiven

Das Dienerproblem. Aus der Geschichte des Haushaltsgeräts

Fernbedienungen. Im Internet der falschen Dinge

Künstliche Betreuer. Robotik der Pflege

Epilog. Askese, Maschinen, Solidarität

Anmerkungen

Literatur

Vorwort

Wer bitte »hält sich« heute noch Personal, genauer Hauspersonal, abgesehen von den Superreichen und ihrem postmodernen Gesinde, den privaten Köchen und Gärtnern, persönlichen Trainern und Assistenten? Wir, die Mittelschicht, jedenfalls nicht und wenn doch, dann nicht aus Standesdünkel und Bequemlichkeit, sondern aus viel dringlicheren Gründen. Das häusliche Dienertum, so wollen wir gern glauben, gehört einer vergangenen Weltepoche an, von der uns vielleicht noch unsere Großeltern erzählen konnten, aber unsere Eltern schon nicht mehr. Während wir die Frage nach unseren eigenen Serviceverhältnissen gern ausblenden, freuen wir uns an populären Fernsehserien, die uns die alte Diener- und Herrenwelt als formvollendetes Idyll vor Augen führen. Solche Serien bedienen unsere Sehnsucht nach stilvoller Häuslichkeit, noch mehr aber spiegeln sie einen aktuellen gesellschaftlichen Befund. Die Diener sind wieder da, nicht mehr als Butler und Kammerzofe, sondern in ganz neuer Gestalt. Das ist, in aller Kürze, die These dieses Buches.

Tatsächlich waren Diener und Dienerinnen lange Zeit auf dem Rückzug, fast ein halbes Jahrhundert von den 1920er bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts. Es schien wenig wahrscheinlich, dass die Nachfrage nach häuslichen Assistenten noch einmal zunehmen würde, und noch weniger, dass sich genug Arbeitskraft finden würde für schlecht bezahlte, wenig respektierte Jobs in anderer Leute Häusern. Bezahlte Hausarbeit, das war die Welt, aus der, wer immer konnte, vor bald hundert Jahren die Flucht ergriff, um in Fabriken und Büros sein Glück zu versuchen oder um als Hausfrau das Kommando über den eigenen, dienerlosen Haushalt zu führen. Ein halbes Jahrhundert nach dem Exodus des Personals aus den bürgerlichen Haushalten setzt ein gegenläufiger Trend ein, der sich immer mehr verstärkt: die Wiederkehr der Diener, jetzt als einfache, häusliche oder haushaltsnahe Dienstleister. Das Häusliche ist weiterhin eine Domäne der Frauen, das Haushaltsnahe hingegen eine Domäne der Männer. Die Rede ist von Putzfrauen, Kindermädchen und Altenpflegerinnen ebenso wie von Lieferanten aller Art. Globalisierung und Digitalisierung haben diesem neuen Dienstleistungsmarkt in den letzten Jahrzehnten enormen Auftrieb gegeben. Kaum ein häusliches Bedürfnis (oder was man dafür hält), das nicht von bezahlten Dienstleistern befriedigt werden kann, und zwar umgehend und umstandslos. Diese Dienstleister sind jetzt unser Personal.

Es gibt wohl wenige Orte, an denen sich diese neue Servicewelt besser studieren lässt als in New York. Ein mehrjähriger beruflicher Aufenthalt in dieser Stadt bot mir eigentlich ungewollt reiche Einsichten in die Welt der Diener und Bedienten; nicht so sehr in neofeudale Celebrity-Welten als vielmehr in den Alltag der gestressten und hilfsbedürftigen Mittelklasse. Zunehmend fiel es mir dabei schwer, bei der Recherche von mir selbst abzusehen. Wie sieht meine eigene häusliche Dienstleistungsbilanz aus, wo und warum delegiere ich Hausarbeit, welche Alibis lege ich mir zurecht, wenn ich andere für mich arbeiten lasse, und was tue ich in der so eingesparten Zeit? Wir haben über die Jahre gelernt, kritische Konsumenten zu sein und jedes Lebensmittel ohne Gütesiegel in Frage zu stellen, aber wir halten weiterhin fast alles für gerechtfertigt, was uns entlastet. Woher kommt überhaupt dieser kollektive Mittelklassen-Wunsch nach Entlastung, oder anders, was ist es, das uns derart belastet, dass wir im Alltag ständig auf Zuarbeit von Dienstleistern angewiesen sind? Der Stress, der uns quält und mit dem wir auch gerne angeben, hat seine Ursache oft in den bekannten Vereinbarkeitsproblemen zwischen Beruf und Familie. Wir verschaffen uns Entlastung, indem wir den Stress an Helferinnen und Helfer weitergeben, die ihrerseits ein noch viel größeres Problem haben, Beruf und Familie zu vereinbaren. Nachdem wir unsere Dienstleister honoriert haben, ist das aber ist nicht mehr unser Problem.

Das Buch beginnt mit einer Erkundung in der New Yorker Servicewelt, an die sich eine kritische Selbstbefragung im Blick auf häusliche Delegationen und Entlastungen anschließt. Dann rücken Politik, Kultur und Ökonomie der neuen Dienstleistungsordnung in den Blick. Von zentraler Bedeutung für die neue Servicewelt ist, in New York und bald überall, die Plattform. Häusliche Dienste werden jetzt auf eine Weise digital gemakelt, die dem Kunden suggeriert, es gebe hinter dem Smartphone-Wisch und -Klick gar keine realen Arbeiter mehr, sondern allenfalls noch Ergebnisse. In dieser neuen Heinzelmännchen- und Concierge-Ökonomie fühlt sich der Kunde am wohlsten, wenn er seinem Dienstleister nie begegnet. So stehen die Diener mit ihrer Rückkehr auch schon wieder vor dem Verschwinden, zumindest als soziale Figuren, die man normalerweise mit Namen kannte.

Im letzten Kapitel geht es dann um die Zukunft des Hauses, nachdem es von allen guten Geistern verlassen wurde. Analog zum führerlosen Auto verheißt uns das Internet der Dinge ein führerloses Haus, in dem Sensoren zwar nicht die Arbeit tun, aber uns vielleicht helfen, Arbeit zu vermeiden, während sie uns gleichzeitig überwachen. In der »Infosphäre« wird Hausarbeit, sowohl die einfache Wartungsarbeit wie die sensible Sorge- und Pflegearbeit, von Sensoren und Robotern unterstützt und später vielleicht einmal weithin autonom erledigt werden. Das sind keine guten Aussichten für Diener und vielleicht nicht für Menschen insgesamt. Bei aller Begeisterung für »Dienstleistungen 4.0« darf man freilich nicht vergessen: Irgendeiner muss auch in Zukunft den Dreck wegmachen, und zwar gründlich, und es wird aller Voraussicht nach weder ein Sensor noch ein Roboter sein. Häusliche Dienstleistungsarbeit wird sich womöglich als langlebiger erweisen als viele besser bezahlten und angesehenen Jobs in Verwaltung und Management, die sich viel müheloser an Roboter delegieren lassen.

Ich danke allen Gesprächspartnern, die sich von meinem Interesse an diesem notorisch übersehenen Ausschnitt unserer Wirklichkeit anstecken ließen, und widme dieses Buch meiner Familie, die mir die Forschung im eigenen Haushalt ermöglicht hat.

1
Domestic New York.
Einblicke in die Servicewelt

In der Lobby

Eine ganze Weile wohnen wir nun schon auf Manhattans Upper West Side, in einem Apartmenthaus am Broadway, das Komfort oder sogar Luxus verspricht, wie tausende andere Häuser in dieser Stadt auch. Unser Haus ist eines jener typischen Wohnhotels, das manche Leute als Lebensoption rundherum ablehnen. Ihnen widerstrebt diese Variante des betreuten Wohnens, das gewährleistet wird von einer vielköpfigen Besatzung aus Portiers, Rezeptionisten, Hausmeistern und sonstigen helfenden Händen. Rund um die Uhr werden hier die Mieter freundlich überwacht. Vielerlei Wünsche werden einem erfüllt, es wird einem ungefragt die Tür aufgehalten, Koffer und Pakete werden bei Bedarf in die Wohnung getragen. Zum Standard gehören meist auch ein Kinderspielraum, ein Gym, ein Swimmingpool, eine Dachterrasse – in besseren Häusern dann auch vielleicht noch ein Zen-Meditationsraum, eine Squashhalle oder eine Bibliothek, Dinge, nach denen man nicht unbedingt verlangt hat, die aber das Leben unter Umständen angenehmer machen und die natürlich in der Miete inbegriffen sind. Fast fühlt man sich gelegentlich an Bord eines Kreuzfahrtschiffes versetzt, nur verbringen wir hier nicht die schönsten Wochen des Jahres, sondern das halbe Leben. Dieses weit verbreitete New Yorker Komfortwohnen verträgt sich nur schlecht mit deutschen Vorstellungen von Autonomie und Selbermachen. Man wird hier dauernd an die Hand genommen und freundlich bevormundet, und man lässt es sich gefallen, weil ja das Leben draußen angeblich schon hart genug ist.

Am frühen Morgen versammeln sich im Eingangsbereich schon die häuslichen Helferinnen, die Kinder- und Zugehfrauen, Reinigungs- und Pflegekräfte, um dann bald mit der Arbeit anzufangen. Es sind keine Dienstmädchen in einem traditionellen Sinn, sondern häusliche Servicekräfte eines neuen Typs. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen am Eingang, dauernd bringen Kuriere und Boten Lieferungen ins Haus, Amazon-Pakete, Wäsche aus der Reinigung, Plastiktaschen mit bestelltem Essen und Kartons mit Lebensmitteln. Die weiblichen Servicekräfte arbeiten meistens im Haus, die Männer bringen die Sachen ins Haus. In der großen Mehrzahl handelt es sich bei diesen Arbeitskräften um Latinos, ein Sammelname für alle, die meistens aus Mexiko und Zentralamerika kommen, die hier leben, oft ohne Dokumente, oder die auf schwer nachvollziehbare Weise zwischen New York und ihren Herkunftsländern zirkulieren.

Die in Haushalten arbeitenden Personen nennt man hier domestic workers, auf Deutsch »Hausarbeiter«. Das früher übliche Wort »Hausangestellte« scheint hier fehl am Platz. Die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten ist ohnehin unbekannt, und außerdem sind hier die wenigsten tatsächlich angestellt, jedenfalls nicht bei ihren Kunden. Bezahlte Hausarbeit leisten aber auch die Männer, wenn sie Kurierdienste verrichten. Ihre Arbeit findet nicht im Haushalt statt, aber sie ist haushaltsnah. Auch wenn sie unsere Wohnungen selten betreten und wir sie persönlich kaum kennen, gehören sie zum weiteren Kreis unseres Personals.

Anfangs fanden wir die Vielfalt des hiesigen Serviceangebots irritierend, ja beinahe obszön. Es fühlt sich nicht gut an, wenn einem permanent von Serviceleuten, zudem mit Migrationshintergrund, geholfen und assistiert wird, und das bei Verrichtungen, die man gut auch selbst erledigen könnte. Wir würden uns lieber mehr selbst helfen. Wir sind auch kulturell ungeübt darin, laufend käufliche Dienste in Anspruch zu nehmen. Als Kinder hat man uns beigebracht, möglichst alles abzuwehren, was auch nur von ferne als »verwöhnt« gelten könnte. In dieser Kindheitswelt gab es nicht viel, was nach Service aussah. Auf ersten Reisen in den Süden beeindruckten auf den Straßen und Plätzen die gewerbsmäßigen Schuhputzer, die lautstark um Kunden warben. Hätte man sich dort jemals die Schuhe putzen oder am Bahnhof von einem Dienstmann den Koffer tragen lassen, hätte man es den Eltern nach der Rückkehr besser verschwiegen. Es dauerte eine Weile, bis wir solche Dienstleistungskulturen verstehen lernten. Kunde sein war etwas, das man erst lernen musste. Wir begriffen, dass der Schuhputzer sich und seiner Familie von unserer Serviceangst nichts kaufen kann. Trotzdem blieb ein Unbehagen zurück, nicht an menschlicher Dienstleistung insgesamt, aber an uns in der Rolle des Bedienten, in der wir uns bestimmt kulturell unglücklicher fühlten als der Mann, der uns bediente.

Wir kennen die meisten Dienstleister in unserem Komplex beim Namen. Sie heißen Ronnie, Luis, Francisco, Gary, Isai, Eddie und Ramon, die meisten von ihnen machen Schichtdienst an der Tür, an der Rezeption und im Haus. Der Doorman trägt die typische New Yorker Uniform mit Mütze, die Herren am Desk tragen Anzüge, die übrigen einen Blaumann. Porter, Concierge, Handyman und alle anderen werden vor Weihnachten von allen Parteien des Hauses mit Trinkgeld und einem kleinen Dankesbrief bedacht. Wir schreiben ihnen dann, wie unentbehrlich ihr Job für unser Wohlergehen ist und wie sehr wir ihre Dienste schätzen, und wir meinen es ernst. Wir haben uns im Lauf der Jahre besser kennengelernt und gehen vertrauensvoll, ja fast schon herzlich miteinander um. Die Hausverwaltung weist uns darauf hin, dass wir keine Trinkgelder geben müssen, weil die Angestellten, was in New York nicht immer der Fall ist, anständig bezahlt würden. Aber man habe wie jedes Jahr am Empfang eine Box für unsere Geldgeschenke aufgestellt. Völlig undenkbar, das Trinkgeld zu verweigern. Erst mit dem Trinkgeld besiegeln wir das persönliche Verhältnis, das wir zu unseren Dienstleistern unterhalten. Das Hauspersonal ist nach Dienstgraden gestaffelt und erinnert von ferne ein wenig an das Diener-Korps in einem feinen Herrenhaus, etwa in Downton Abbey, obwohl hier natürlich weder gekocht noch Silber geputzt, noch den Insassen beim Ankleiden geholfen wird. Das Servicespektrum ähnelt eher einer gut funktionierenden Hotelrezeption. Wer fragt und mit Trinkgeld nicht geizt, dem werden sicher auch Extradienste erwiesen, Theater- und Baseballkarten, Restaurantreservierungen und wer weiß was noch. Wir haben selten solche Extrawünsche; sie würden nur den Eindruck weiter vertiefen, im Hotel zu leben, wenn auch mit eigenem Mobiliar. Aber natürlich geben wir ausgehende Briefe und Pakete einfach an der Rezeption ab, statt je ein Postamt aufzusuchen. Wenn etwas in der Wohnung zu reparieren ist, genügt eine kurze Benachrichtigung an der Rezeption. Wenn wir schweres Gepäck haben, schiebt es uns der Portier mit einem goldenen Gepäckwagen, wie man ihn aus der Hotelbranche kennt, in die Wohnung, es sei denn, wir hindern ihn daran. Einmal haben wir nach einem Katzen-Sitter gefragt, ein Service, der nicht zum Standardangebot des Hauses gehört. Wir fanden dann über den Doorman eine nette Nachbarin, die gegen ein kleines Honorar den Job übernahm. Solche Hilfeleistungen erhöhen fraglos die Bequemlichkeit. Überhaupt spielen tierbezogene Dienstleistungen eine große Rolle, nicht nur in diesem Haus. Wir begegnen immerfort meist jungen Leuten, die als Dienstleister fremder Leute Hunde ausführen, die gerade mit einem gemischten Hunderudel in Richtung Park aufbrechen oder von dort heimkehren. Auch die Aufsicht über die eigenen Haustiere kann man, wie vieles andere, an bezahlte Hände auslagern. Man kann sich von nahezu allen häuslichen Aufgaben freikaufen und dabei stets auf ein Überangebot an kostengünstiger Arbeitskraft zugreifen.

Ist der Mittelstand in dieser Stadt bequemer, vielleicht auch nur hilfsbedürftiger als andernorts? Oder warum sonst lässt man sich so gern bedienen, im Haus und gern auch außer Haus, eine Haltung übrigens, die keineswegs auf die Besserverdienenden beschränkt ist, die aber vielleicht ihr Vorbild im Lebensstil der gehobenen Klassen hat? Dieser Stil färbt ungewollt auf uns Neuankömmlinge ab, nicht derart, dass wir nun gar nicht mehr selbst kochen, wohl aber so, dass wir viel mehr als im eigenen Land auf Bequemlichkeits- und Entlastungsofferten eingehen, die hier nun einmal Teil der Kultur sind und für die unablässig und aufdringlich geworben wird. Anders als die Bekannte um die Ecke, die uns einmal bei einem wie selbstgemacht wirkenden Büfett freimütig verriet, alles sei bestellt und nichts selbst gekocht, denn ihr einziges Küchengerät sei ihr Telefon, kochen wir noch selbst. Allerdings haben wir uns schon sehr daran gewöhnt, einmal in der Woche telefonisch – was als altmodisch gilt, man macht das jetzt online bei Seamless und anderen Plattformen – Essen zu ordern. Nach einer guten halben Stunde klingelt dann der Fahrradkurier etwa vom Thai Market bei uns. Bei allen Wetterlagen sind diese Lieferanten auf ihren Fahrrädern unterwegs, in einer Stadt, in der sonst fast niemand mit dem Rad fährt. Je schlechter das Wetter, desto mehr bekommen sie zu tun, weil dann alle den Gang ins Restaurant meiden. Ein Schlechtwetteraufschlag wird nicht berechnet. Über die Bezahlung der Kuriere muss man spekulieren. Der gesetzliche Mindestlohn lag bis April 2016 bei 7,25 Dollar in der Stunde und wurde jetzt auf 15 Dollar angehoben, aber das heißt noch lange nicht, dass die Dienstleister auch nur in die Nähe dieses Limits kommen. Allenfalls mit Trinkgeldern kommen sie über die Runden. Mit Trinkgeld verschafft man sich als Kunde ein entspannteres Gewissen, fördert aber andererseits das Lohndumping.

Auch den Lebensmitteleinkauf kann man natürlich zeitsparend delegieren. Man muss in der knappen Freizeit nicht auch noch zum Supermarkt rennen und Einkäufe nach Hause schleppen, wenn man sich stattdessen den Einkaufswagen bei Fresh Direct online konfigurieren kann. Die Lieferung an die Haustüre ist eher der Normalfall als die Ausnahme. Der drahtige, ältere Lieferant, der bei uns Tür für Tür seine Fracht von einem übermannshohen Rollwagen lädt, hat einen Job, der fest ins Stadtbild gehört. New York bietet denjenigen, die es sich leisten können, und das sind viele, Leben und Wohnen »mit Bedienung« an. Von Rationalisierung, wie sie überall sonst den Dienstleistungssektor verändert, spürt man im Moment nicht viel. In Deutschland klagt man gerne über die angebliche Servicewüste. In New York lebt man, jedenfalls als Kunde, in einer Art Serviceparadies. In diesem Paradies gibt es für die arbeitende Klasse Jobs unter dem Mindestlohn, Arbeitszeiten rund um die Uhr und kaum rechtliche Absicherung. Richtig wohl fühlt man sich nicht, wenn man mit Maus oder Telefon wieder eine häusliche Zustellaktion gestartet hat. Die Ethikbilanz unseres Thai-Menüs ist fragwürdig. Man möchte sich das eigentlich in Zukunft verbieten, andererseits: So machen’s doch alle.

Ebenfalls mit gemischten Gefühlen haben wir zur häuslichen Entlastung einmal pro Woche eine Haushälterin engagiert. Auf diversen Online-Plattformen kann man solche Dienste buchen, ohne dafür je mit einer konkreten Person in Kontakt kommen zu müssen. Unsere Haushälterin, die wir nicht online gebucht haben, kennen wir trotzdem nur flüchtig. Sie kommt irgendwann am Vormittag, und deshalb sehen wir sie selten. Man müsste die Arbeitsbedingungen unserer Haushälterin genau durchleuchten, um zu beurteilen, wie fragwürdig sie sind, aber das haben wir nicht getan und wüssten auch nicht, wie wir das genau anstellen sollten. Manchmal telefoniere ich mit ihrer Chefin, die ihre Mitarbeiterinnen stets als »Girls« bezeichnet, während ich korrekt von »Cleaning Lady« spreche. Wenn ich unsere Zugehfrau doch einmal in der Wohnung treffe, versuche ich, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Die Zugehfrau heißt Fabiola, aber es ist schwer, mit ihr zu sprechen, weil sie kein Englisch kann, und auch meine Versuche in schlechtem Spanisch führen nirgendwohin. Fabiola kommt aus Mexiko, verstehe ich, aber Spanisch ist nicht ihre Muttersprache. Sie kommt wahrscheinlich aus Yucatan und spricht Yucatec. Viele Zugehfrauen in New York kommen aus dem ländlichen Süden Mexikos oder aus den noch ärmeren Ländern Zentralamerikas. Wenn ich die Haushälterinnen morgens mit ihren großen Taschen, in denen sie ihre Staubsauger und Putzutensilien transportieren, in der Lobby sitzen sehe, denke ich, wie viel Widerstandsfähigkeit und Fatalismus man für ein solches Leben braucht. Die Frauen reden wenig miteinander, sie lachen selten, sie wirken müde, scheu und ihrem Schicksal ergeben. Aber das ist womöglich nur meine Wahrnehmung. Sie reden zwar ungern mit uns, aber sie telefonieren, während sie dann putzen, unausgesetzt in fremden Sprachen mit Freunden und Angehörigen. Ich weiß nicht, wie viel von dem Geld, das ich jeden Dienstag für Fabiola auf dem Tisch liegen lasse, wirklich bei ihr ankommt. Weil mich der Gedanke verfolgt, dass ihr Lohn von ihrer Chefin gekürzt wird, lege ich Trinkgeld obendrauf, von dem ich hoffe, dass sie es behalten darf.

Alles in der Servicewelt soll jetzt glatt und reibungslos sein, noch viel reibungsloser, als es eine oder zwei Technologiegenerationen früher war. Für fast jeden Wunsch gibt es Dienste und Dienstleister, keinesfalls nur für die Superreichen, das eine Prozent der Spitzenverdiener, sondern ebenso für die Mittelständler und Mittelverdiener. Sie sind es, die diese Leichtlohnserviceindustrie in Gang halten, und zwar mit Wünschen und Erwartungen, die niemand für übertrieben hält. Es geht dem Selbstverständnis nach nicht um Luxus, sondern um häusliche Entlastung und Lebenserleichterung. Es müssen Dienste zugekauft werden, um das bürgerliche Leben irgendwie beherrschbar zu halten. Wem diese Art der Bedürftigkeit auf Dauer ebenfalls zu anstrengend wird, der tut gut daran, die Stadt zu verlassen, und sich irgendwo niederzulassen, wo man sich sein Leben tatsächlich leisten kann. Manche Leute kehren sich von der städtischen Wohlstands- und Leistungshektik ab und ziehen aufs Land, wo sie dann eine romantische Form des »Do It Yourself« praktizieren, sei es als Teilzeitlandwirt oder Kunsthandwerker. Viele, die gleich wieder über Seamless ihr Abendessen bestellen werden, träumen insgeheim vom Landleben. Wenn sie könnten, wie sie wollten, würden sie gärtnern, pflanzen, backen und schneidern. Dagegen stehen Zwänge, echte oder vermeintliche, die den Ausstieg aus dem Alltagsleben nicht zulassen. Deshalb unterwerfen sich die allermeisten dann doch dem Zeit- und Leistungstakt der Stadt.

Zweierlei Stress

In Manhattan, kann man immer wieder hören, sind für eine vierköpfige Familie 250.000 Dollar ein Jahreseinkommen, mit dem man ganz bequem, aber nicht üppig leben kann. Zum Vergleich: 51 Prozent der amerikanischen Arbeiter verdienten 2015 weniger als 30.000 Dollar pro Jahr.1 Für 250.000 Dollar braucht eine Familie in der Regel zwei Verdiener mit gut bezahlten Berufen. Gemeint sind nicht die wirklich Reichen, nicht die Millionäre aus der Finanzindustrie und der Welt des Entertainments, sondern Ärzte, Hochschullehrer, Juristen, Journalisten, Makler und sonstige Professionelle, die üblicherweise den gehobenen Mittelstand darstellen. Familien mit zwei oder mehr Kindern im schulpflichtigen Alter sind mit ökonomischen Lasten konfrontiert, die man als deutscher Mittelschichtsmensch nicht kennt. Man versteht, dass unter solchen Bedingungen ein Bedürfnis nach häuslicher Hilfe entsteht, nach einem permanenten häuslichen Ablasshandel geradezu, bei dem als niedrigwertig angesehene Aufgaben abgegeben werden, um Zeit zu gewinnen für höherwertige Aufgaben in Beruf und Familie. Der Hang zur häuslichen Bequemlichkeit entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Symptom einer überaus rationalen, kalkulierten Lebensführung. Wirtschaftlich über die Runden kommt nicht, wer möglichst viel selbst tut, wer wäscht, wischt und kocht und dabei das Geld für die Assistenz einspart, so wie es uns früher einmal unsere Eltern vorgelebt haben. Es gewinnt vielmehr, wer durch häusliche Entlastung den familiären Doppelverdienst sichert. Babysitter, Kindermädchen und Haushälterinnen, oftmals in Personalunion, halten berufstätigen Männern und vor allem Frauen »den Rücken frei«. Wer sich derart den Rücken freihält, verlagert eigene Arbeit auf den Rücken von Dienstleisterinnen. Die Dienstleister sind Werkzeuge der bürgerlichen Existenz-, vielleicht auch nur Wohlstands- und Zukunftssicherung. Das löst bei den derart Entlasteten ein Unbehagen aus, das leicht beklemmende Gefühl, privilegiert zu sein. »Ich weiß, ich bin privilegiert«, wer so redet (und so reden viele), sagt selten etwas Falsches, will damit aber selten auf eine Änderung der Verhältnisse hinaus.

Diese Art Privileg ist ja kein unverdienter Vorzug von Geburt an, sondern ein verdientes und erworbenes Leistungsprädikat. Wer mit vereinten Kräften Familie und Beruf vereinbar gemacht hat, darf darauf stolz sein, auch wenn die Vereinbarkeit nur durch den Einsatz helfender Hände zustande kommt. Die Beschäftigung von häuslichen Assistenten muss kein moralischer Makel sein. Trotzdem ist diese Art des leistungsgetriebenen Privilegiertseins gekoppelt an die Erzeugung von Unterprivilegierten, deren eigene Vereinbarkeitsprobleme von ihnen selbst zu lösen sind. Es geht uns in der Regel in den meisten Hinsichten besser als denen, die für uns arbeiten. Wir schulden ihnen faire Behandlung und eine angemessene Bezahlung, aber sicher nicht die Einebnung unseres Privilegs. Die moralische Beschwichtigung fällt leichter, wenn wir uns sagen, dass unsere Hilfsbedürftigkeit ja ein Produkt von eigener harter Arbeit ist. Wir wollen ja im Grunde gar nichts für uns, wir wollen nur, wie es gerne heißt, »weitergeben«, an unsere Kinder. Nicht dass wir ihnen irgendeinen bürgerlichen Dünkel einpflanzen wollen, im Gegenteil, wir wollen nur unser eigenes Leistungsprivileg an die nächste Generation weiterreichen. Wir wünschen uns auch für sie wieder ein Privileg, das im Kern nichts anderes meint als das Recht auf Leistungsstress.

Es scheint somit, als sei die hiesige Servicewelt nicht nur für die Dienstleister stressbesetzt, sondern in anderer Weise auch für die Bedienten selbst. Keinesfalls werden die empfangenen Dienste primär als Genuss erfahren. So mag es noch zu Zeiten der leisure class gewesen sein, der Thorstein Veblen 1899 seinen soziologischen Klassiker widmete.2 Die »müßige Klasse«, damit sind Leute gemeint, die es sich leisten können, nicht zu arbeiten, die privatisieren, genießen und sich dabei ständig bedienen lassen. Diese Klasse existiert noch immer, aber sie ist nicht repräsentativ für das heutige Dienstleistungsproblem. Die Annehmlichkeiten, die uns bezahlte Dienstleister erweisen, haben ihren Grund in beidseitigen ökonomischen Zwängen. Wir begegneten uns nicht in solchen Servicekonstellationen, wenn wir nicht aufeinander angewiesen wären. Die Dienstleister haben wenig Alternativen zu ihren Billigjobs, und wir haben unser finanzielles Wohlergehen abzusichern durch Konzentration aufs berufliche Kerngeschäft, also mit der Delegation unwesentlicher Aufgaben nach unten.

Häusliche Aufgaben gibt es freilich auch bei Assistenz noch immer zu Genüge, vor allem diejenigen, die etwas mit Kindern zu tun haben. Die Sorge um die Kinder kann und soll ja nicht vollständig an gemietetes Personal oder externe Institutionen outgesourct werden. Sie fordert volle Aufmerksamkeit auch dann, wenn Kinderfrauen Teile des Tagesgeschäfts übernehmen. Es gehört bekanntlich zum Selbstverständnis guter Eltern, viele schul- oder kindergartenbezogene Termine selbst wahrzunehmen – auch wenn, Berichten zufolge, manch vielbeschäftigte Mutter zu den unvermeidlichen »school bake sales«, also dem Verkauf von Selbstgebackenem zum Wohl des Schulbudgets, schon mal ihr Kindermädchen schickt. Zum Anforderungsprofil auch eines vielbeschäftigten Elternteils gehört es zwingend, dass er oder sie, spät von der Dienstreise heimkommend, noch eben an die Kinderbetten eilt, um die Lieben in den Schlaf zu lesen oder zu singen, auch dann, wenn die Kinder sich genauso gern etwas von bezahlten Dienstleisterinnen vorlesen oder -singen lassen. Man will im eigenen Haus zwar unterstützt, aber nicht komplett ersetzt oder gar entmachtet werden. Man fühlte sich wie enteignet, entfremdet, wenn die eigene Häuslichkeit geprägt wäre vom Wirken von Dienstkräften. Die erste Bezugsperson, der erste Sorgeberechtigte wollen wir noch immer selbst sein, weshalb die Grenzen der Delegation fein zu justieren sind.

Craigslist. An der Servicebörse

Für die vielen Jobs, die bürgerliche Hilfsbedürftigkeit erfordert, gibt es Märkte, alte und neue. Zu den schon lange etablierten Foren gehört die Website Craigslist, ein digitales Anzeigenportal für alles unter der Sonne. Für die eher handfesten Dinge des Haushalts, die Vermittlung von Handwerkern und anderen Profis, existiert daneben die ebenso unentbehrliche Angie’s List. Craigslist ist nicht gerade für seine Seriosität bekannt, trotzdem aber aus dem Leben der meisten nicht wegzudenken.3 Immerfort werden hier Jobs gesucht und angeboten, die nicht ausnahmslos im Mindestlohnbereich liegen: »Dollar 6000 Overnight Legally«, was kann das sein? Oder »Full Time – Private Chef«, was mag es für den Privatkoch als Lohn geben? Der Job als »Metaphysical Practitioner« könnte lukrativ sein. Auf der Upper East Side wird ein »Full time dog walker« gesucht, in Brooklyn ein »ehrlicher Fahrer, der Mädchen zu Wohnungen fährt« (Frauen bevorzugt), also wahrscheinlich ein Fahrer für Reinigungskräfte. Gesucht werden Nannys, Housekeeper, Cleaning Ladys, Maids, Babysitter oder auch mal ein »Live-In Butler« für 1300–1400 Dollar pro Woche. Natürlich finden sich auch Angebote der Sorte »Sexy House Keeping«, »Massage Girl« oder »Attractive Woman housekeeper«. Die Dominanz des Spanischen macht sich in Anzeigen wie »Buscamos Chicas Sexy« bemerkbar. Was ist von einer »Part Time Superstar Nanny« zu halten oder von der Anfrage »Looking for someone tomorrow to car sit on 60th at 230–330 (Madison and 60th)«? Ein »Gig that offers up to Dollar 3000 legally« ist wahrscheinlich zu bevorzugen. Oder »Are you in need of a personal trainer that will get you results?« Jobs, soweit das Auge reicht, die meisten scheinbar ohne dazwischengeschaltete Agenturen und Vermittler. Das wird man allerdings erst dann genau wissen, wenn man den Kontakt hergestellt hat.

Der Craigslist-Stellenmarkt lebt davon, dass das Angebot an ungelernter Arbeitskraft mit geringen Erwartungen an Verdienst und Sicherheit eher wächst als sinkt. Kürzlich wurden in New York City allein 380.000 Immigranten aus der Dominikanischen Republik gezählt, weitere 350.000 aus China, 186.000 aus Mexiko, 169.000 aus Jamaica und 140.000 aus Guyana, ebenso viele von den Philippinen, gefolgt von Menschen aus Ecuador, Haiti, Trinidad, Indien und Russland, über die man nichts Konkretes sagt, wenn man sie Migranten nennt: Migranten sind hier jetzt die Mehrheit.4 Ein erheblicher Teil dieser Bevölkerungsgruppen bewegt sich auf dem Markt für ungelernte Servicekräfte. Craigslist ist der Marktplatz, wo sich Angebot von und Nachfrage nach zügigen, bezahlbaren und flexiblen Dienstleistungen begegnen.

Für die Superreichen und ihr ganz spezielles Verlangen nach Diensten hat diese Börse allerdings wenig zu bieten. Als Jobagentur für die höheren Bedürfnisse dient etwa Pavillionagency.com. »Pavillion Agency is the leader in the world of personal service«, behauptet die Website.5 Hier werden zum Beispiel gesucht und gefunden: »Career Nannies and Governesses, World Class Chefs, Skilled Housekeepers, Formal Butlers, Experienced Babynurses, Domestic Couples, Professional Laundresses, Expert Chauffeurs, Gourmet Cooks, Estate Managers, Property Caretakers, Traditional Housemen, Corporate Hospitality Staff, Resourceful Personal Assistants.« Die Stellenangebote sind hier schon etwas ausgefeilter formuliert als in der oft ein wenig rauhen Welt von Craigslist. Wir lesen beispielsweise: »Nanny NYC Live-out. Zwei berufstätige Väter suchen nach einer geduldigen, liebevollen, freundlichen, energischen und körperlich fitten Nanny mit guten Englischkenntnissen und exzellentem Kommunikationstalent, um ihrem schulpflichtigen Kind beim Lernen, Hausaufgaben etc. zu helfen. Sie muss über ein exzellentes Urteilsvermögen verfügen und Freude daran haben, für Kinder zu kochen und außerdem für die Väter, wenn sie von der Arbeit kommen. Schwimmen ein großes Plus, Langzeitreferenzen werden erwartet, nicht mehr als zwei bis drei Familien, um Stabilität zu dokumentieren. Muss Hunde mögen (keine Pflege erforderlich). Arbeitszeiten Montag bis Freitag von 13.00 bis 21.00 Uhr. Die Familie wird sie umgehend einstellen und bietet ein exzellentes Kompensationspaket mit Krankenversicherung.« Oder hier: »Single NYC Gentleman sucht nach einer neuen Teilzeit-Haushälterin-Wäscherin als Mitglied der Crew. Diese wunderbare Position ist live-out mit Arbeitszeiten von Dienstag bis Freitag und erfordert keine Reisen. Hauptaufgaben sind Wäsche, ausführliches Bügeln, Housekeeping und Betreuung der Haustiere. Qualifizierte Bewerber besitzen starke Bügelfertigkeit, eine positive Einstellung und die Fähigkeit, sowohl unabhängig wie im Team zu arbeiten. Exzellentes Englisch, ein sauberer Hintergrund und die Fähigkeit, dem Arbeitgeber eine vernünftige Flexibilität entgegenzubringen, sind ein Muss. Dies ist eine Traumposition für jemanden, der nach einer stabilen Arbeitsumgebung mit freundlichen Menschen sucht.«

Und so lesen sich dann die Stellengesuche: »Vollzeit Manhattan. Verantwortungsbewusste, loyale und liebevolle Haushälterin/Nanny steht umgehend zur Verfügung. Die Familie, für die sie in den letzten mehr als zehn Jahren arbeitete, war begeistert von ihrer Arbeitsmoral, Effizienz und Präzision. Sie hat dort einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Man spricht von ihr als einem wirklichen ›Juwel‹ und erzählt uns, dass sie nicht nur eine Angestellte war, sondern schließlich ein Teil der Familie wurde. Sie liebt es, mehr zu tun als nur ihre Pflicht, und schafft es, die Erwartungen ihrer Arbeitgeber überzuerfüllen. Ein früherer Arbeitgeber beschreibt ihre Fähigkeiten im Haushalt als ›herausragend‹, bügeln könne sie exzellent, sie habe ein ›Spitzen-Organisationstalent‹ und sei außerdem eine ›großartige Köchin‹, die leichte und gesunde Familienmahlzeiten zubereiten könne. Außerdem kann sie mit dem Computer umgehen, kann schwimmen und ist in der Lage, im Lande und international zu reisen. Kontaktieren Sie uns heute, um eine Kopie ihrer Arbeitszeugnisse zu erhalten oder ein Interview mit dieser außergewöhnlichen Dame zu vereinbaren.«

Auch diese herrschaftlich anmutende Welt scheint also noch intakt, die Welt der klassischen, teilweise im Haus lebenden Angestellten, die mit besten Referenzen von einem feinen Herrn zum anderen weitergereicht werden. Die Pavillion Agency bewegt sich am oberen Ende der sozialen und Einkommensskala, vielleicht nicht durchgehend im Bereich des »One Percent« (Durchschnittsverdienst 2014: 521.411 Dollar), aber sicher durchgehend in dem der oberen zehn Prozent (Durchschnittsverdienst 2014: 148.687 Dollar).6 Solche Leute haben womöglich eine angestellte Köchin im Haus. Manche Leute leisten sich jetzt auf Stundenbasis einen personal trainer, warum kann man dann nicht auch einen persönlichen Koch oder einen personal shopper anheuern, vielleicht nicht ganztags und fest angestellt, aber doch stundenweise? Externe Dienstleistung heißt immer auch erhöhte Expertise und Optimierung der Dinge, die rund ums eigene Haus möglicherweise im Argen liegen. Beim Angebot der Pavillion Agency geht es nicht um flexible Dienste, sondern um die loyale Zugehörigkeit zu einem häuslichen »Stab«. Wir kennen niemanden, der einen Stab hat. Wer heute noch über stehendes Hauspersonal gebietet, wie es vor zwei oder drei Generationen noch weit verbreitet war, ehe das häusliche Dienstleistungswesen dann einen rapiden Bedeutungsverlust erfuhr, gehört bestimmt nicht zur Mittelklasse. Einen Stab, ein Korps gar haben allenfalls Leute, die ein Haus nicht nur haben, sondern es führen. Mit dem »One Percent«-Durchschnitt von gut 500.000 Dollar im Jahr wird sich ein eigener Stab noch nicht vereinbaren lassen, wenn man bedenkt, dass eine Spitzenhaushälterin in New York schon einmal 180.000 Dollar im Jahr verdienen kann.7 Die stehende Crew bleibt anderen Einkommensdimensionen vorbehalten, den Alt- und Neureichen aus der Welt der Großindustrie und der Geldwirtschaft, und den Berühmtheiten aus Sport und Entertainment.

Teil der Familie

»Teil der Familie«, diese aus feudalen Zeiten in die Gegenwart übergeleitete Problematik, lohnt einen genaueren Blick.8 Dienerinnen und Diener waren einst Teil der erweiterten Herrschaftsfamilie, mit der Konsequenz, dass ihnen die Gründung einer eigenen Familie verwehrt war oder sie diese zumindest konstant vernachlässigten. »Part of the family«, die Formulierung wird jetzt gern am Online-Stellenmarkt benutzt und soll eine besondere, fast angehörigenhafte Intimität zwischen Familie und rekrutiertem Personal andeuten. Die Folgen und Nebenwirkungen dieser Familiarität sind für die in fremden Häusern lebenden Dienstleisterinnen vielfach ganz ähnlich wie in feudalen Zeiten. »Live-in«-Haushälterin ist ein Beruf, von dem nur Zyniker sagen würden, er ließe sich doch bestens mit einem Familienleben vereinbaren. Trotzdem rücken Arbeitgeber wie Arbeitnehmer gerne das Familiäre und Emotionale in die Mitte des Erwartungs- und Kompetenzprofils. Etwa in der Art: »Unsere Nanny wird natürlich gut bezahlt, aber eigentlich mag sie unsere Kinder so gerne, dass der Job für sie zur Leidenschaft geworden ist.« Wo erst nur ein Job ist, sollen Leidenschaft und wahre Gefühle wachsen, Käuflichkeit und Passion einander ergänzen. Die Helferinnen und Helfer sollen ihre Dienste nicht rein funktional, sondern als Vertrauensarbeit mit affektiver Beteiligung auffassen. Wir sind zunehmend auf Menschen angewiesen, die nicht zur (schrumpfenden) Kernfamilie gehören, zu denen wir aber ein besonderes häusliches Vertrauensverhältnis aufbauen. Das Verhältnis wird nicht mehr bestimmt von den Loyalitäten und Zwängen vergangener Tage, es haben sich aber auch nicht dieselben Regelungen und Verbindlichkeiten durchgesetzt, wie sie anderenorts in der Arbeitswelt längst Geltung haben. Lange gibt es schon kein Gesinde mehr, sondern nur noch »Hauspersonal«. Dem Gesetzgeber fällt es dennoch schwer, häusliche Dienstverhältnisse konsequent dem gleichen Recht zu unterwerfen, wie es außerhalb der eigenen vier Wände selbstverständlich gilt. Wir engagieren Kräfte, die uns Dinge abnehmen, die wir, aus Zeitgründen oder weil uns die Fähigkeit fehlt, nicht selbst tun können oder wollen. Wir bezahlen sie marktgerecht, wir drücken Dank, Respekt und Wertschätzung aus, wir freunden uns vielleicht mit ihnen an oder entwickeln jedenfalls eine persönliche Beziehung. Das gilt freilich nur für die »sensiblen« Dienstleisterinnen im Umkreis häuslicher Sorge und Pflege, schon etwas weniger für Reinigungskräfte und deutlich weniger für die eher austauschbaren männlichen Kuriere und Lieferanten, die meist nur bis zur Schwelle unseres Hauses vordringen. In der haushaltsnahen Dienstleistungswelt scheinen Geschlecht und Affekt noch weithin auf traditionelle Weise verteilt: Die Frauen sind üblicherweise für die »warmen« Aufgaben zuständig, die Männer für die »kalten«.

Im Repertoire der Haushaltsfunktionen ist Nanny oder Kinderfrau fast der einzige Job, der mit ein bisschen popkulturellem Glanz assoziiert ist.9 Zumindest gilt das für den Typ der jungen, studentischen Nebenerwerbs-Nanny, die zeitlich befristet fremde Kinder hütet und sich keineswegs dauerhaft an eine fremde Familie bindet. Solche Kindermädchen sind dem Klischee zufolge attraktiv und stellen deshalb eine Gefahr für Familienväter dar. Weil sie sich dem Kostbarsten widmen, das Eltern besitzen, werden sie aufwendig ausgewählt und geschult. Bei diesen Kindermädchen ist der Anteil der Migrantinnen deutlich niedriger als bei den Zugehfrauen. Von der Einförmigkeit der übrigen häuslichen Beschäftigungsverhältnisse heben sich solche Nannys als trügerische Ausnahme ab. Dies scheint ein Traumjob für junge Frauen zu sein, die von einem Jahr im Ausland träumen. Au-Pair, so heißt schon seit dem 19. Jahrhundert das befristete Arbeitsverhältnis zum gegenseitigen Nutzen, aber ohne und nur gegen geringe Bezahlung. Die Dienstmädchen, die sich damals in fremden Häusern verdingten, verdienten nichts, aber immerhin lagen sie ihren Eltern nicht mehr auf der Tasche. Heute stellt sich der Pakt zwischen Au-Pair und Gastfamilien wie folgt dar: Der Aufenthalt der Au-Pair-Mädchen bleibt in der Regel auf ein Jahr befristet. Sie leben im Haushalt, essen und wohnen frei, bekommen ein Taschengeld und widmen sich dafür innerhalb einer festgelegten Stundenzahl den Kindern, die auf diese Weise auch noch in den Genuss eines Fremdsprachentrainings kommen. Die Au-Pairs verbuchen das Gastjahr in der fremden Familie als Lebens- und Fremderfahrung und als Zwischenstation auf dem Weg in Studium und Beruf.

Au-Pairs wurden wichtig nach dem Zweiten Weltkrieg, als in vielen westlichen Ländern kaum noch Dienstmädchen zu finden waren und die Lücke sich noch nicht durch Dienstleisterinnen aus dem globalen Süden schließen ließ. In Amerika spielte häusliches Dienstpersonal ohnehin traditionell eine geringere Rolle als in Europa, wo Relikte des herrschaftlichen Hauses länger Bestand hatten. Dass es überhaupt Au-Pairs in den USA gibt, ist ein Ergebnis weitsichtiger Politik in der Kennedy-Ära. Der Fulbright-Hays Act von 1961 hatte zur Absicht, »das gegenseitige Verständnis zwischen der Bevölkerung der Vereinigten Staaten und anderen Völkern mit den Mitteln des Bildungs- und Kulturaustauschs zu steigern (…)«.10 Agenturen vermittelten Au-Pair-Mädchen an Familien und organisierten ihnen die Reise. Eine davon heißt »Cultural Care«, nach eigener Darstellung auf ihrer Homepage eine »einzigartige Alternative zu day care oder Nannys. […] Au-Pairs sind live-in childcare providers zwischen 18 und 26 aus verschiedenen Ländern rund um die Welt. Sie liefern 45 Stunden flexibler Kinderbetreuung, Haushaltshilfe und kultureller Erfahrung für 360 Dollar pro Woche, basierend auf einem 51-Wochen-Programm.«11 Natürlich ist Cultural Care eine profitorientierte Firma, was aber nicht der Mission im Wege steht, »Grenzen von Sprache, Kultur und Geographie niederzureißen«. Cultural Care macht Eltern ein attraktives Angebot. 360 Dollar pro Woche, das entspricht in etwa dem gesetzlichen Mindestlohn. Dagegen sehen die von Cultural Care gelieferten Vergleichszahlen anderer Agenturen und erst recht für Kindergärten oder Live-in-Nannys schlecht aus.

Ökonomisch betrachtet sind Au-Pairs die bessere Alternative zu anderen Formen der Kinderbetreuung. Ihr Stundenlohn liegt bei etwa 7,25 Dollar die Stunde, während man für eine einheimische Kinderfrau auf Stundenbasis mit 30 Dollar rechnen muss. Freilich kann der Kulturaustausch für beide Parteien auch schnell zum Desaster werden. Speziell in New York stellt sich für Au-Pairs stets die schwierige Raumfrage. Der Platz für Familien ist ohnehin knapp, aber die Au-Pairs sollen nach den Richtlinien ein eigenes Zimmer haben. Damit bleibt im Zweifel nur noch die Option, im Kinderzimmer an Platz zu sparen. So berichtet es das Nachbarschaftsportal DNAinfo von Familie Molinari auf der Upper West Side.12 Um Platz für ihr schwedisches Au-Pair zu schaffen, zogen die Molinaris mit ihren zehn Monate alten Zwillingen ins Elternschlafzimmer, gaben dem zweieinhalb Jahre alten ersten Zwillingspaar das zweite Schlafzimmer und überließen dem Au-Pair das dritte, kleinere Schlafzimmer. Für die Eltern sind die Au-Pairs, auch wenn die Familie manchmal etwas zusammenrücken muss, ein gutes Geschäft. »Für eine Nanny für drei Kinder und 45 Stunden pro Woche«, ist bei DNAinfo ein anderer Vater zu vernehmen, »würden wir sonst wahrscheinlich drei Mal so viel bezahlen«. Obendrein kann man noch das gute Gefühl haben, dem Au-Pair einen Bildungsurlaub ermöglicht zu haben. Eine Bildungskomponente im Umfang von sechs Wochenstunden beziehungsweise sechs Kreditpunkten ist verpflichtend. Wenn man bereits 45 Stunden pro Woche oder maximal zehn Stunden pro Tag mit dem Kinderdienst beschäftigt ist, bleibt für anderes nicht viel Zeit. Inzwischen gibt es 14 Agenturen, denen die Gasteltern für ihre Vermittlungsdienste Gebühren zu entrichten haben. Schließlich muss das Au-Pair ja auch erst einmal ins Land kommen, braucht ein Flugticket und hat Visagebühren zu bezahlen. Für die Eltern summiert sich das auf einen Betrag bis zu etwa 10.000 Dollar pro Saison. Für Familie Molinari ist das freilich immer noch die günstigste Lösung. Ohne externe Hilfe würde man als Doppelverdiener mit zwei Zwillingspaaren unter drei Jahren kaum fertig. Der Preis für solche Assistenz im innersten Familienbezirk ist der Verlust von Intimität, oder anders, die Teilung der Intimität mit Nichtangehörigen, so wie es schon einmal die Regel war im alteuropäischen Haus.

Häusliche Sklavenhaltung?

Domestic Work-Aktivistinnen machen vermehrt auf die skandalösen Lebens- und Arbeitsbedingungen von im Haus lebenden Dienstleisterinnen aufmerksam. Für großes Echo sorgte kürzlich die Geschichte einer indischen Diplomatin in New York, die an der UN-Mission ihres Landes unter anderem für Frauenpolitik zuständig war. Von ihr wurde bekannt, dass sie ihrem aus Indien mitgebrachten Kindermädchen statt der in den USA vorgeschriebenen 9,75 Dollar lediglich einen Stundenlohn zwischen einem und drei Dollar (je nach Schätzung der Wochenarbeitszeit) zahlte.13 Die nachfolgende Verhaftung der Diplomatin trotz ihrer Immunität löste in Indien antiamerikanische Proteste aus, umso mehr, als sie wegen ihres außergewöhnlichen Aufstiegs aus einer niedrigen Kaste dort als Hoffnungsträgerin für neue soziale Chancen gilt. Die Diplomatin wehrte sich mit dem Hinweis, sie habe einen Teil des Gehalts direkt an die Familie des Kindermädchens in Indien ausgezahlt. Sie habe sich nichts zuschulden kommen lassen, vielmehr sei das Dienstmädchen ohne Angabe von Gründen nicht mehr zum Dienst erschienen. Der Anwalt der Nanny gab dagegen an, seine Mandantin sei wegen schlechter Arbeitsbedingungen nach Indien »geflohen«. In diplomatischen, von Immunität begünstigten Haushalten lassen sich solche Dienstverhältnisse noch schwerer von außen überwachen als sonst. Der gesetzliche Mindestlohn gilt ohnehin nicht zwingend für Verträge, die Diplomaten im eigenen Haus abschließen. Ein Verstoß gegen die guten Sitten des Gastlandes lag auf jeden Fall vor, aber das allein regt die Justiz kaum auf, denn die guten Sitten werden im Sektor häuslicher Beschäftigung auch sonst regelmäßig verletzt. Rechtlich genießen im Haus lebende Hausarbeiterinnen noch lange nicht denselben Schutz wie andere Berufsgruppen. Die Gewerkschaften tun sich schwer damit, den Arbeitsplatz Haus vor der Willkür der häuslichen Chefs zu schützen, und ebenso schwer ist es, die häuslichen Dienstleisterinnen von den Vorzügen bindender rechtlicher Regelungen zu überzeugen.14

Dass die Einführung und Beachtung gesetzlicher Standards bei bezahlter Hausarbeit so mühsam sind, hat seinen Grund im Haus selbst und im Ursprung der häuslichen Dienstarbeit aus Zwangsarbeit und Sklaverei. In ihrem historischen Abriss der häuslichen Zwangsarbeit wirft Sheila Bapat einen Blick auf die wahre Welt hinter Quentin Tarantinos populärem Film Django Unchained, in dem, als Rächer der Unterdrückten, der schwarze Sklave Django seine Frau Broomhilda aus der Gewalt eines sadistischen Plantagenbesitzers befreit.15

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