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Budweis 1291: Die junge Schneiderin Franziska wird durch eine bahnbrechende Erfindung berühmt: Sie entdeckt den Knopf als Verschluss für Kleidungsstücke und revolutioniert damit die mittelalterliche Modewelt. Ihre prachtvollen und raffinierten Entwürfe erregen Aufsehen, und ihr Ruhm dringt bis in höchste Kreise – sogar Königshäuser verlangen nach ihren Diensten.

 

Eines Tages gerät sie in einen Hinterhalt des Adligen Bero von Restwangen. Ihre Jugendliebe Ludwig kann sie in letzter Sekunde retten. Doch Restwangen, ein Mörder und Hochverräter, sinnt auf Rache: Der junge Ritter muss fliehen und gerät in ein Netz von Intrigen, bis ein schändlicher Königsmord ihn zum Geächteten macht. Auch Franziska ist den üblen Machenschaften Bero von Restwangens ausgesetzt und muss überstürzt die Stadt verlassen. Eine Reise ins Ungewisse beginnt und führt sie über Wien nach Nürnberg … Kann es für die Liebenden doch noch eine glückliche Zukunft geben?

 

Ein mitreißender und dramatischer Mittelalterroman über eine junge Frau, die entschlossen ist, an ihrer Bestimmung und an ihrer Liebe festzuhalten.

 

Rainer Siegel wurde 1963 in Linz geboren und lebt heute mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern in Berlin. Die Knopfkönigin ist sein erster historischer Roman.
www.rainersiegel.com

 

 

RAINER SIEGEL

DIE KNOPFKÖNIGIN

Historischer Roman

INSEL VERLAG

 

 

Umschlagfoto: Helena M. Damsel / trigger images /mauritius images

 

 

eBook Insel Verlag Berlin 2013

© Insel Verlag Berlin 2013

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet,

vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlaggestaltung: Cornelia Niere, München

Satz: Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn

 

eISBN 978-3-458-78860-7

www.insel-verlag.de

DIE KNOPFKÖNIGIN

Prolog

BUDWEIS Sommer 1291

»Das ist nicht lustig!«, rief Franziska, als sie die Hand auf ihrer Schulter spürte. Sie dachte, eines der Kinder aus der Nachbarschaft wolle sie erschrecken. Sie wirbelte herum, doch sie erstarrte mitten in der Bewegung. Sie blickte geradewegs in das Gesicht des hässlichsten Mannes, den sie je gesehen hatte. Der magere, knochige Alte war dreckig und verlaust, und ein Augenlid hing seltsam nach unten. Das andere Auge stierte sie gierig an. Als er grinste, zeigten sich eklige schwarze Stummel, die schief in seinem Mund standen. Sein Atem, den er Franziska ins Gesicht blies, stank. Vergammelte Lumpen baumelten an seinem Leib, und seine zerfetzten Schuhe waren mit Schnüren umwickelt. Vergeblich versuchte Franziska, die Hand abzuschütteln, und sah sich nach Hilfe um; sie hatte allein auf der Weide des Rosshändlers gespielt und die Pferde mit Blättern und Gräsern gefüttert, den frischen, saftigen, die nur hier am Rand des Waldes wuchsen. Die Finger des abscheulichen Kerls rieben an dem guten, sauberen Stoff ihres Kleidchens und fassten in ihr Haar.

»Was haben wir denn da Schönes, hm?«, geiferte der Mann. Gebückt stand er vor ihr und zog sie näher zu sich. Franziska sprang einen Schritt zurück, die Hand des Mannes rutschte von ihr ab. Er geriet aus dem Gleichgewicht und wäre fast gestürzt. Franziska machte kehrt und wollte davonlaufen, doch eine zweite Lumpengestalt versperrte ihr den Weg. Als sie versuchte, seitwärts zu entkommen, griff plötzlich die Hand eines Dritten nach ihr und fasste den Kragen ihres Kleidchens. Franziska hörte den Stoff reißen und rannte weiter. Sie wusste, sie musste quer über die ganze Weide laufen, anschließend unter den Latten hindurchschlüpfen, die die Pferdekoppeln einsäumten, um auf den Hof Hermanns zu gelangen. Dorthin würden sich die Lumpen am helllichten Tag gewiss nicht wagen. Doch nur wenige Schritte gelangen ihr, bis ein kräftiger Stoß sie vornüberfallen ließ. Jemand drückte ihre Handgelenke hinter ihrem Rücken zusammen und presste ihr den Mund zu. Noch eine Gestalt war dazu gekommen, die irgendetwas von »In den Wald!« rief. Franziska wollte schreien, doch die Hand verschloss erbarmungslos ihren Mund. Dann wurde sie von starken Armen emporgerissen und davongetragen. Schreckliche Angst stieg in ihr auf.

Mit einem Mal ließen die Kerle sie auf den Boden fallen. Sie sah einen der Männer von einem Armbrustbolzen durchbohrt auf dem Rücken liegen. Ein zweiter griff nach seinem Hals und berührte noch den Pfeil, der bis zum Gefieder darinsteckte, bevor auch er fiel. Das Schlagen galoppierender Hufe drang an ihr Ohr. Zwei Reiter näherten sich und hatten sie schon beinahe erreicht. Der vordere ließ die Armbrust sinken und zog sein Schwert. Das Blut des Mannes, der ihr eben noch den Mund zugehalten hatte, spritzte auf ihren Kittel, als er von einem mächtigen Hieb getroffen zu Boden sank. Der zweite Reiter setzte dem letzten überraschten Räuber nach, der sich gerade ins Unterholz schlagen wollte. Franziska hörte einen unmenschlichen, langgezogenen Schrei, der plötzlich erstarb. Der Reiter trieb sein Pferd vorsichtig rückwärts aus den Bäumen und wendete das Tier. Der Schaft seiner Lanze war blutig.

»Dass sie so nahe an die Stadt herankommen, hätte ich nicht gedacht. Und Ihr, Herr Bero?«

Der Angesprochene war abgestiegen und wischte seine Lanze im Gras sauber. »Dummköpfe allesamt. Reite zum Vogt und bestell ihm, dass wir wieder vier von ihnen erwischt haben. Er soll sie abholen lassen und ausstellen, vielleicht taugen sie ja zur Warnung.« Er zögerte einen Moment, als er auf das ängstlich zitternde Mädchen sah: »Bring das Kind nach Hause, bevor du losreitest.« Mit diesen Worten bestieg er sein Ross und ritt in Richtung der nahe gelegenen Straße von dannen. Der Knappe trat auf Franziska zu. Vorsichtig wollte er sie aufheben, doch sie war schon von selbst wieder auf die Beine gelangt. Er fragte sie nach ihrem Zuhause, und Franziska wies auf die Gebäude, deren Dächer man hinter der Weide und einem Obstgarten gerade noch ausmachen konnte. Langsam gingen sie los.

 

Bero und sein Knappe hatten schon ein rundes Dutzend Räuber und Unruhestifter aufgespürt und zur Strecke gebracht. Wie viele von ihnen tatsächlich Verbrecher oder vielleicht nur arme Vagabunden waren, ließ sich nicht feststellen, da erst einer von ihnen vor Gericht gestanden hatte, und der war erwiesenermaßen ein Brandstifter und Mörder gewesen. Unter seinen Sachen hatte man einen Dolch gefunden, der dem beraubten und gemeuchelten Schneidermeister Gerhard, einem Bürger Budweis', gehört und dessen leere Scheide noch am Gürtel des Ermordeten gehangen hatte. Bero hatte den Schneider gekannt. Sein Großvater, der Lehnsherr Siegfried von Restwangen, hatte bei ihm Kleider für sämtliche Mitglieder des Haushalts in Auftrag gegeben. Kein halbes Jahr war es her, dass der Schneider überfallen worden war. Nach seinem Tod hatte die junge Witwe die Kleider alleine fertiggestellt.

Eine ganze Reihe von Raubmorden und Brandschatzungen hatte das Land im letzten Jahr in Unruhe versetzt; die Opfer waren zumeist deutschstämmige Bürger und wohlhabende Zunftmeister gewesen. Bei den Tätern soll es sich um böhmische Nationalisten gehandelt haben, die die Reichsnähe des jetzigen Königs ablehnten und sich nach ihrem alten König Ottokar zurücksehnten. König Wenzel hatte die Vögte angewiesen, Belohnungen für die Ergreifung oder Tötung dieser Aufwiegler auszuschreiben, und einige junge Ritter und deren Knappen besserten nun die Erträge ihres Lehens oder die Zuweisungen von ihren Vätern durch Kopfjagden auf.

 

Nele entfuhr ein Schrei, als sie ihr verschmutztes und verweintes Kind sah und den Bewaffneten, der es nach Hause brachte. Sie schloss Franziska in die Arme. Sie konnte dem Mann nicht genug danken für das, was er getan hatte.

»Dankt meinem Herrn, Bero von Restwangen, der seit Wochen im Auftrag König Wenzels Aufrührer zur Strecke bringt. Er hat für Eure Tochter gesorgt und das Ungeziefer vertilgt, das Hand an Euer Kind legen wollte«, sagte der junge Mann und verabschiedete sich, um zu seinem Herrn zurückzureiten. Bestimmt war diesem die Dankbarkeit der Schneiderwitwe Nele ebenso viel wert wie das Silber des Königs.

 

Es war ein festes Ritual zwischen den beiden Männern, dass sie, nachdem sie Lumpenpack das Lebenslicht ausgeblasen hatten, in eine Schänke gingen und Bier und Wein durch ihre Kehlen strömen ließen. Der Knappe zügelte seinen Durst, da er nicht in Gegenwart seines Herrn und schon gar nicht eher als dieser betrunken sein durfte. Bero würde ihn einen Schwächling heißen und ihn womöglich nicht mehr mit auf seine Streifzüge nehmen. Bero selbst hingegen kannte wenig Zurückhaltung. Wenn er getötet hatte, hatte er stets einen unbändigen Drang, sich zu betrinken – und danach das Verlangen nach einer Frau. In seiner Zeit bei der Armee hatte es Huren gegeben, die sich immer dort einfanden, wo Soldaten ihren Sold ausgeben konnten. Hierzulande waren die Dirnen seltener. Budweis war eine biedere Stadt. Dafür gab es auf den Gehöften Mägde und Bauerntöchter, die manchmal sofort willig waren, manchmal eine Münze sehen wollten und bisweilen ein paar kräftige Klapse benötigten oder auch schon mal von einem Helfer gepackt werden mussten, bevor sie sich auf den Rücken legten und die Beine spreizten. Manche von ihnen waren drall und kräftig und konnten einen guten Stoß vertragen, viele allerdings schrecklich mager und dünn. Nun, heute sollten sie ihre Ruhe vor ihm haben, dachte Bero, denn auf ihn wartete Besseres.

 

Franziska schlief längst fest, und Nele wollte gerade das Licht in der Stube löschen und sich in ihre Schlafkammer begeben, als sie den Hufschlag eines Pferdes und kurz darauf ein Pochen an ihrer Pforte hörte. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt, bis sie den jungen Herrn von Restwangen erkannte, der vor wenigen Stunden ihre Tochter gerettet hatte. Sie roch den Alkohol in seinem Atem, als er an ihr vorbei ins Haus trat. Sie fragte ihn, was sie ihm anbieten dürfe, es wäre auch ein Krug Wein im Haus. Bero hob die Augenbrauen und nickte. Sie betrachtete den jungen Herrn aus der Nähe und musste sich eingestehen, dass er ihr als Mann durchaus gefiel. Der junge Ritter mochte höchstens fünfundzwanzig Jahre zählen, war also nur wenig älter als sie selbst. Er war zwar nur mittelgroß, doch mit breiten Schultern und einem markanten, gut geschnittenen Gesicht, das von braunen Locken und einem Bart umrahmt war.

Er stand noch mitten in der Stube, als sie den Weinkrug brachte. Als sie einen Becher füllen wollte, packte er ihren Arm und zog sie an sich. Rasch dachte sie an die Dankbarkeit, die sie ihm schuldete, als er auch schon seine Hand in ihr Mieder schob.