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Band 190

 

Als ANDROS kam ...

 

Rüdiger Schäfer

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

1. Südaustralien

2. Stardust Tower

3. Stardust Tower

4. Mond

5. Forschungskreuzer THALES

6. Flaggschiff TERRANIA

7. Stardust Tower

8. Mond

9. Stardust Tower

10. Terrania

11. Mond

12. THALES

13. TERRANIA

14. MAGELLAN

15. Terrania

16. FERNAO

17. Terrania

18. Terrania

19. MAGELLAN

20. Mond

21. MAGELLAN

22. Stardust Tower

23. Goshunsee

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. Damit öffnet er den Weg zu den Sternen – ein Abenteuer, das den Menschen kosmische Wunder offenbart, sie aber auch in höchste Gefahr bringt.

2058 ist die Menschheit nach schwerer Zeit mit dem Wiederaufbau ihrer Heimat beschäftigt und findet immer mehr zu einer Gemeinschaft zusammen. Die Terranische Union, Motor dieser Entwicklung, errichtet bereits Kolonien auf dem Mars und dem Mond.

Auf Luna tauchen die fremdartigen Laurins auf. Sie gehören zur geheimnisvollen Allianz, die seit Langem gegen die Erdbewohner kämpft. Kurz darauf bläht sich die Sonne auf, ihre Glut bedroht die inneren Planeten.

Perry Rhodan verfolgt die Eindringlinge bis zum Rand der Milchstraße. Dort kann er die Pläne der Allianz vereiteln. Aber den nächsten Schlag plant der Gegner im Solsystem, Rhodan eilt deshalb zurück zur Erde. Dort entscheidet sich das Schicksal der Menschheit – am Tag, ALS ANDROS KAM ...

1.

Südaustralien

 

»Verfluchte Hitze!«

Mason Collard nahm seinen fleckigen Akubra ab, wischte sich mit einem noch fleckigeren Taschentuch über die brennende Stirn und schob den Hut hastig zurück auf seinen nahezu kahlen Schädel.

»Ich hab das Gefühl, mein Hirn kocht im eigenen Saft. Ehrlich, Eddy, kein Witz. Ich kann es fühlen ...«

»Das erzählst du mir seit einer Woche jeden Tag«, gab Edward Wirrpanda mürrisch zurück. Der nur knapp einen Meter fünfzig große Aborigine mit der rostbraunen Haut und dem schwarzen Kraushaar überprüfte das Wärmebild auf dem Display des Tablet-Computers, der in einer rissigen Lederhülle am vorderen Ende des Sattels steckte, und schmatzte laut. »Die südliche Flanke macht schon wieder Ärger«, fuhr er dann fort. »Wahrscheinlich sind dort ein paar Tiere vor Durst verendet, und jetzt kriegt der Rest der Herde langsam Panik.«

Collard seufzte. »Also kein kaltes West End bei Rosie, sondern ein weiterer Ritt durch die Hölle. Ich liebe diesen Job.« Er riss brutal am Zaumzeug seines Brumbys und zwang es mit beiden Beinen in den Galopp.

Wirrpanda verzog das Gesicht. Der Aborigine hasste es, wenn sein Kollege die Pferde der Farm auf diese Weise malträtierte. Ein guter Reiter misshandelte sein Tier nicht; er kommunizierte mit ihm.

Er selbst saß auf einem hellbraunen Mustang. Unter den Arbeitern galt diese aus Amerika stammende Rasse als besonders geduldig und ausdauernd. Er hatte sein Pferd Arana getauft. In der Sprache seines Stammes bedeutete der Name Mond.

Mit einem sanften Druck des rechten Oberschenkels signalisierte er Arana, dass es losging. Ein Klaps auf den Schopf zwischen den Ohren, und der Hengst schoss los wie ein von einer Bogensehne beschleunigter Pfeil. Weniger als eine halbe Minute später hatte er Collard eingeholt und setzte sich neben ihn.

Der bullige Mann mit den schlechten Zähnen und dem speckigen Hut grinste breit, stieß ein lautstarkes »Yippie!« aus und rammte die Hacken in die Flanken des bedauernswerten Brumbys.

Er macht das absichtlich, dachte Wirrpanda wütend. Nur um mich zu ärgern. Warum tut ein Mensch so etwas?

Der Boden in diesem Teil des Landes war sehr felsig, sodass sie kaum Staub aufwirbelten. Das Klacken der Hufe klang wie Maschinengewehrfeuer.

Wirrpanda vermied es, den Kopf zu heben und zur Sonne hinaufzuschauen, die erbarmungslos von einem wolkenlosen Himmel herunterbrannte. Baiame, der mächtige Schöpfergott, war zornig. Er hatte Yhi, die Sonne, in Aufruhr versetzt, und die gab sich alle Mühe, die Geschöpfe Tyas, der Erde, den Unmut des Allvaters spüren zu lassen.

In den vergangenen Tagen hatten die Temperaturen nicht nur in Australien alle Rekorde gebrochen. Im amerikanischen Death Valley hatte man erstmals in der Geschichte der Wetteraufzeichnungen einen Wert von über sechzig Grad Celsius gemessen. Ganz Asien stöhnte unter immer neuen Hitzewellen. In Athen, Rom, Madrid, Lissabon und einer Reihe weiterer europäischer Städte hatten die Behörden den Notstand ausgerufen. Die Zahl der Hitzetoten – darunter vor allem alte und kranke Menschen – ging dort bereits in die Tausende. Erst am Vortag waren zwei Forschungsstationen am Nordpol geräumt worden, weil der Untergrund wegen des schmelzenden Eises nicht mehr sicher war. Solche und ähnliche Nachrichten beherrschten im Moment fast alle Kanäle, weshalb Rosie Wanambi, die Besitzerin des einzigen Pubs in der kleinen Ortschaft Torburra, den über dem Tresen des Schankraums angebrachten Fernseher kaum noch einschaltete.

Torburra, ein verschlafenes Nest in der Nähe der Tokalla Range im Süden der großen Wüste, war nur knapp fünf Kilometer von der Farm entfernt und mit seinen rund viertausend Seelen die größte Ansiedlung innerhalb eines Radius von mehreren Hundert Kilometern. Dorthin verirrten sich nicht einmal jene Touristen, die ganz bewusst nach Abgeschiedenheit suchten.

Vor ihnen tauchte die Herde auf. Von den einstmals fünfzehntausend Rindern war schon eine erschreckend hohe Zahl gestorben. Der Arrocca, der den Lipsync Creek acht von zwölf Monaten im Jahr mit Wasser speiste, war zu einem dünnen Rinnsal geschrumpft. Hinzu kam die mörderische Hitze. Bereits um vier Uhr morgens stiegen die Temperaturen auf weit über zwanzig Grad; am frühen Nachmittag zeigten die Thermometer dann für gewöhnlich das Doppelte.

Die Farmleiterin Tammy Larkiss hatte sich erst an die Verwaltung in Adelaide, dann an die Regierung in Canberra gewandt, doch dort standen ein paar Tausend verdurstende Kühe nicht allzu weit oben auf der Liste der Prioritäten. Man hatte Larkiss sogar in geradezu bestürzender Arroganz darauf hingewiesen, dass die Brahman zu den robustesten und hitzeresistentesten Rinderrassen zählten. Dass auch sie nicht auf Dauer gegen die verrücktspielende Sonne ankamen, ignorierten die Bürokraten in ihren klimatisierten Büros geflissentlich.

Wirrpanda mochte Larkiss. Die drahtige Australierin mit den stramm geflochtenen Zöpfen und zwei Händen, die zuzupacken wussten, lebte für die Farm. Und sie hatte sich immer wieder für die Arbeiter eingesetzt, hatte dafür gekämpft, dass die Prämien in guten Jahren üppig waren und jeder, auch die nur für eine Saison angestellten Hilfskräfte, zwei Wochenlöhne erhielt, wenn er krank wurde und ausfiel. Es war nicht gerecht vom Allvater, wenn er eine solche Frau bestrafte.

»Da vorn!«, brüllte Collard gegen das Hufgetrappel an und deutete auf einen Teil der Herde, der sich ein Stück von der großen Masse entfernt hatte.

Wirrpanda sah sofort, was geschehen war. Einer der Prallfeldgeneratoren musste ausgefallen sein. Er hatte sich zunächst gegen die moderne Technik gewehrt, als Larkiss sie eingeführt hatte. Mobile Prallfelder statt Zäune. Drohnen mit Kameras zur Überwachung der Rinderpopulation. Roboter, um die in der Nacht jagenden Dingos fernzuhalten. Wirrpanda arbeitete seit über vierzig Jahren in der Rinderzucht, und bislang hatte er seinen Job problemlos auch ohne diesen neumodischen Kram erledigt.

Doch Larkiss hatte nicht mit sich reden lassen. Angeblich hatte ihr die Terranische Union die Ausrüstung zu einem Spottpreis angeboten, ja beinahe aufgedrängt. Und nach ein paar Wochen musste sogar Wirrpanda zugeben, dass dieser Alien-Schnickschnack durchaus seine Vorteile hatte.

Er interessierte sich nicht besonders für das, was in der Welt vor sich ging. Sein Universum war die Wüste, sein Leben drehte sich um die Farm und seine Tiere. Der Rest kümmerte ihn nicht. Zudem war Veränderung nichts, was ein Mann seines Alters mit offenen Armen begrüßte.

Während des Protektorats der Arkoniden waren sie auf der Farm draußen unbehelligt geblieben. Die Sitarakh hatten sich ebenfalls nicht um sie gekümmert. Und wenn es nach Wirrpanda gegangen wäre, hätte er die Erde auch niemals an Bord dieser vermaledeiten Arche verlassen. Als er fast vier Jahre später aufgewacht war, waren die Rinder alle tot und die Farm verwahrlost gewesen. Vor lauter Zorn und Kummer hätte er die Augen am liebsten sofort wieder geschlossen, um weiterzuschlafen.

In Rosies Pub hatte er Bilder von Terrania gesehen, einer Stadt aus Stahl und Glas, kalt und glänzend, steril wie die Flure und Apparate im Torburra Medical Center. Er verstand nicht, wie Menschen dort leben konnten. In dieser furchtbaren Enge. In einem Gefängnis aus Licht und Farben und Lärm, das niemals zur Ruhe kam.

Perry Rhodan, der Mann, dem jene Stadt ihre Existenz verdankte und der seit seinem Flug zum Mond im Jahr 2036 eine Lawine ins Rollen gebracht hatte, tauchte praktisch täglich in den Nachrichten auf und bot seine Hilfe an. Jeder, der in Not sei, behauptete er, könne sich an die Terranische Union wenden. Auch das hatte Larkiss in Anbetracht ihrer angespannten Lage getan, doch bekommen hatte sie nur eine knappe E-Mail, mit der man ihre Anfrage bestätigte und um Geduld bat.

Wirrpanda hatte keine wirkliche Meinung zu Rhodan. Die einen sahen in ihm einen Erlöser, den Retter der Welt, den lange gesuchten charismatischen Anführer, der den Menschen den Weg in eine goldene Zukunft wies. Die anderen hielten ihn für den leibhaftigen Teufel, für einen Blender und Phantasten, der unendliches Leid über die Erde und ihre Bewohner brachte, weil er sich in Dinge einmischte, die ihn nichts angingen.

Für Wirrpanda war er nur ein weiterer Politiker, der alles versprach und nichts hielt. Larkiss und die Arbeiter hatten die Farm wiederaufgebaut, und jeder Einzelne – sogar Collard – hatte sich dabei die Hände blutig gescheuert und den Hintern wund geritten. Ein Perry Rhodan wusste nicht einmal, dass sie überhaupt existierten!

»Los!«, schrie Collard und hielt auf den abgesprengten Teil der Herde zu. »Wir müssen sie von den toten Tieren weg und zurück zu den anderen treiben!«

Er hatte recht. Zwischen den hilflos in der brütenden Hitze stehenden Rindern lagen vereinzelte Kadaver. Ausgemergelte Körper, die schon in Kürze verwesen und die ausgehungerten Dingos anlocken würden. Außerdem bestand die Gefahr einer Infektion. Viele in der Herde waren schon so schwach, dass sie nicht mal mehr die Kraft aufbrachten, die Fliegenschwärme mit ihren Schwänzen zu verscheuchen. Die Insekten hatten sich überall wie schwarze Decken auf das graue Fell gelegt.

»Kümmere du dich um den Generator!«, rief Wirrpanda seinem Kollegen zu. »Ich fange die Ausreißer ein.«

Collard hob kurz die Hand, um zu signalisieren, dass er verstanden hatte. Dann änderte er die Richtung und hielt auf eine in der Ferne kaum erkennbare Kuppel zu, den Geräteschuppen, wie die technische Außenzentrale der Farm von den Arbeitern genannt wurde. Dort befanden sich die Kontrolleinheiten für die Prallfeldemitter.

Wirrpanda lenkte Arana stattdessen direkt auf drei Tiere zu, die sich bereits mehrere Hundert Meter vom Gros der Herde entfernt hatten. Ihre Mäuler wischten in müden Pendelbewegungen über den kargen Untergrund, doch außer Staub und Steinen ließ sich dort nichts finden.

Der Aborigine griff in die Satteltasche und holte seinen Bullroarer hervor. Das ovale Stück Holz hing an einer knapp zwei Meter langen Schnur, deren anderes Ende er sich nun geschickt um Zeige- und Mittelfinger wickelte. Noch während des Anritts versetzte er das Instrument über seinem Kopf in schnelle Drehung. Sofort erklang ein tiefer, an- und abschwellender Ton, der weithin zu hören war. Die Köpfe der Rinder ruckten beunruhigt in die Höhe.

»Na los, ihr faules Pack!«, brüllte Wirrpanda ihnen entgegen. »Ihr habt hier nichts verloren!«

Widerwillig trotteten die Tiere los und verfielen, als er ihnen mit seinem lärmenden Schwirrholz näher und näher kam, in einen lockeren Trab. Wirrpanda spürte, wie sich seine Kehle zuschnürte, als er die abgemagerten Körper mit den unter der straff gespannten Haut deutlich erkennbaren Rippen und den knochigen Schultern sah. Immerhin: Die neue Versorgungslieferung war am Morgen eingetroffen. Nicht viel, aber genug, um ein paar weitere Tage durchzuhalten. Allerdings würde das Trockenfutter ohne ausreichend Wasser nur kurzfristig für Erleichterung sorgen.

Es dauerte ein paar Minuten, dann hatte Wirrpanda die Ausreißer zurück zum Rest der Herde getrieben. Über das Tablet forderte er zwei Drohnen an, die ihm dabei halfen, die übrigen Rinder von den Kadavern wegzudrängen. Obwohl sein Arm schmerzte, schwang er während der gesamten Zeit den Bullroarer über dem Kopf. Wenn seine Tiere litten, war es nur recht und billig, wenn er mit ihnen litt.

Der Funkempfänger, den er an einem Kunststoffbügel am rechten Ohr trug, gab ein mitleiderregendes Krächzen von sich. Dann erklang die undeutliche Stimme von Collard.

»Wir müssen die Herde in die Ställe bringen«, verstand Wirrpanda. »Die Hitze hat die Steuereinheit geschrottet. Das krieg ich auf die Schnelle nicht repariert.«

Wirrpanda nickte. Ohne Prallfelder würden die Rinder auf ihrer verzweifelten Suche nach Wasser und Futter den geschützten Bereich schnell verlassen und irgendwo in der Wüste jämmerlich verenden.

»Ich weiß nicht, ob die Tiere den Rückweg in der Mittagshitze schaffen«, gab er jedoch zu bedenken. »Sie sind auch so bereits am Ende ihrer Kräfte.«

Normalerweise hätten sie die Herde erst am späten Abend zur Farm zurückgetrieben, wenn die Temperaturen wieder in den Bereich um zwanzig Grad Celsius fielen. So lange konnten sie nun aber nicht mehr warten.

Wir werden Hunderte von ihnen verlieren, zuckte es durch Wirrpandas brennenden Schädel. Collard hatte recht: Er konnte tatsächlich fühlen, wie sein Hirn kochte. Jeden Moment würde ihm Dampf aus den Ohren kommen. Schon bald werden sie alle tot sein, dachte er, während sein Blick über die abgemagerten Rinder schweifte und in seinem Hals ein dicker Kloß wuchs. Und nicht lange danach werden wir ihnen folgen ...

Der Schatten, der unvermittelt über die Ebene fiel, ließ selbst den gutmütigen Hengst kurz scheuen. Wirrpanda legte die flache Hand an den Hals des Pferds, und es beruhigte sich sofort. Dann hob er den Kopf.

Vor die flammende Sonne hatte sich eine mächtige Kugel geschoben. Es dauerte lange Sekunden, bis Wirrpanda verstand, was er da sah. Das war ein Raumschiff! Einer dieser angsteinflößenden Giganten aus Stahl und Feuer, der zu den Sternen flog und mit seinen Strahlenkanonen ganze Planeten vernichten konnte.

Und dann kam der Regen.

Wirrpanda glaubte zunächst zu träumen, doch als das Wasser in dicken Tropfen und in immer größeren Mengen vom Himmel fiel, als es seine staubige Kleidung durchnässte und seine tropfenden Haare an der Haut kleben ließ, wurde ihm klar, dass das alles wahrhaftig passierte, dass er Zeuge eines Wunders wurde.

Als wäre diese Erkenntnis so etwas wie ein Signal, hallte auf einmal eine Männerstimme über die Ebene. Natürlich war der Gedanke albern und beinahe ketzerisch; dennoch glaubte Wirrpanda für einen Augenblick, dass der Allvater persönlich aus dem Himmel herabgestiegen war und sein Wort an ihn richtete.

»Hier spricht Vent Järvinen, Kommandant des Leichten Kreuzers CARIBOU. Ich sende Grüße im Namen der Terranischen Union und von Administrator Ngata. Man hat mir gesagt, dass Sie die Herde zur Farm treiben wollen. Was halten Sie davon, das im Regen zu tun? Unsere Wasserspeicher sind noch lange nicht leer ...«

Wirrpanda lachte und schrie gleichzeitig. Falls ihn jemand so sah, glaubte der Beobachter wahrscheinlich, der Aborigine habe den Verstand verloren, doch das war Wirrpanda egal. Er klatschte die Hand zwischen Aranas Ohren, und das Wasser spitzte aus dem Fell des Hengstes. Der Mustang war ebenso wie sein Reiter von unbändiger Energie erfüllt. Immer noch schreiend und sinnlose Worte hervorstoßend, preschte Wirrpanda auf die Herde zu. Die Tiere hatten den unerwarteten Segen von oben nicht weniger enthusiastisch begrüßt als die Menschen und waren in Bewegung geraten. Laut muhend und wie aus einem langen Schlaf erwacht, machten sich fünfzehntausend Rinder auf den Weg durch die Wüste nach Hause. Die zuvor gezeigte Lethargie war wie durch Zauberhand verschwunden.

»Mason? Eddy? Seid ihr noch da draußen? Könnt ihr mich hören?« Das war Larkiss über Funk.

Wirrpanda meldete sich und gab einen kurzen Lagebericht, offenbar aber nicht allzu verständlich.

»Beruhige dich, alter Mann.« Tammy Larkiss lachte, was sie in den zurückliegenden Wochen nicht allzu häufig getan hatte. »Sie haben sämtliche Tanks bis zum Rand aufgefüllt«, fuhr sie dann mit sich überschlagender Stimme fort. »Die Futtersilos sind zum Platzen voll, und ein Technikerteam von der CARIBOU ist unterwegs zu den Prallfeldemittern. Versorgt die Rinder, und dann sagt allen Bescheid. Heute Abend zeigen wir unseren Freunden von der Union, dass wir Aussies feiern können wie wenige andere!«

Edward Wirrpanda bestätigte. Dann hielt er das Gesicht in den Regen und beschloss, für die nächsten paar Stunden einfach so zu tun, als sei die Welt wieder in Ordnung.

2.

Stardust Tower

 

Thora da Zoltral war müde.

Nein, das Wort müde beschrieb ihren Zustand nicht mal annähernd. Sie verspürte eine Erschöpfung wie noch niemals zuvor in ihrem Leben. Es war, als sauge ihr jemand oder etwas jedes verfügbare Quäntchen Energie aus dem Körper und ließe sie mit nichts als einer leeren Hülle zurück, die jeden Moment in sich zusammenfallen konnte.

Während sie über den Flur im fünfzigsten Stock des Stardust Towers ging, der zu den Büroräumen des Administrators führte, kamen ihr immer wieder Männer und Frauen entgegen. Die meisten trugen Datenbrillen oder wurden von holografischen Darstellungen umschwirrt und beachteten Thora gar nicht. Die wenigen, die sie erkannten, lächelten knapp, nickten ihr zu und waren danach schon wieder verschwunden. Weder als Botschafterin des Großen Imperiums noch als Ehefrau des Protektors Perry Rhodan war sie an diesem Ort oben etwas Besonderes. Im direkten Umfeld von Maui John Ngata gaben sich die Reichen und Mächtigen aus allen Bereichen des politischen und öffentlichen Lebens jeden Tag die Klinke in die Hand.

Sie erreichte eine hohe Flügeltür, die ebenso automatisch wie lautlos zur Seite schwang. Dahinter öffnete sich ein weitläufiger Empfangsbereich mit einem großzügig bemessenen Informationstresen, an dem zwei freundlich lächelnde junge Männer standen. Einer von ihnen kam sofort auf sie zu, deutete eine Verbeugung an und breitete beide Arme aus.

»Willkommen, Frau Botschafterin«, sagte er mit leiser und doch tragender Stimme. »Sie werden bereits erwartet. Würden Sie mir bitte folgen?«

Thora neigte den Kopf und signalisierte ihr Einverständnis. Selbstverständlich hätte sie den Weg auch allein gefunden; schließlich war sie nicht zum ersten Mal in den Amtsräumen des Administrators der Terranischen Union. Doch sie wusste, dass Ngata Wert auf Etikette legte, was sie als Arkonidin durchaus nachvollziehen konnte.

Für einen winzigen Moment gestattete sie ihren Gedanken, abzuschweifen. Die Ehe mit einem Terraner hatte sie mit vielen neuen, hin und wieder sogar albernen und unverständlichen Sitten und Gebräuchen konfrontiert, ihre arkonidische Herkunft hatte sie indes zu keinem Zeitpunkt vergessen oder gar verleugnet. Im Gegenteil: Perry und sie waren sich von Beginn an einig gewesen, ihren Kindern das Beste zweier Welten angedeihen zu lassen und sie sowohl nach menschlichen als auch nach arkonidischen Prinzipien zu erziehen. Außerdem war Thora selbstkritisch genug zuzugeben, dass auch die Arkoniden ihre Eigenheiten hatten und diese oft über Gebühr auslebten.

Der junge Mann führte sie an einem Arrangement von Wüstenblumen vorbei in einen weiteren Korridor. Dort wurden ihre Schritte von einem hellen Teppich gedämpft, durch dessen Flor sanfte Wellenbewegungen liefen. Aus verborgenen Akustikfeldern erklang leises Meeresrauschen.

Man kann von Ngata halten, was man will, dachte Thora anerkennend. Was er auf jeden Fall hat, ist Stil.

Dieser Eindruck setzte sich auch im Büro des TU-Administrators fort. Mit einer erneuten Verbeugung blieb ihre Eskorte an einer zweiten Flügeltür zurück, und Thora betrat den daran angrenzenden Raum, der groß, aber keineswegs protzig wirkte.

Die vordere Hälfte wurde von einer geschwungenen Fensterfront beherrscht, die einen atemberaubenden Ausblick auf das hitzeflirrende Terrania erlaubte. Früher hatte man von dieser Etage aus noch ein Stück der Wüste Gobi sehen können, doch die Stadt wuchs schneller als arkonidisches Gudakraut. Die Union bemühte sich bereits seit Längerem, der Mongolei weitere Teile des angrenzenden Ödlands abzukaufen, weil die Metropole aus allen Nähten zu platzen drohte.

Ngatas Schreibtisch bestand aus einer dünnen, ovalen Platte, die auf zwei durchsichtigen Kugeln ruhte. Darüber schwebten eine Reihe von Holos, in denen die Programme der wichtigsten Nachrichtensender ohne Ton liefen. Die Platte selbst war leer und spiegelte das Außenlicht, das die Filter in den Fenstern nur zu einem kleinen Teil einließen. Terrania stöhnte unter Rekordtemperaturen von über vierzig Grad Celsius – im Innern des Stardust Towers merkte man davon freilich nichts.

Den Rest des Büros nahmen mehrere geschmackvolle Pflanzeninseln, eine gut ausgestattete Bar und eine gemütlich wirkende Sitzgruppe ein. Alles wirkte hell, offen und freundlich.

Vor dem Schreibtisch standen zwei bequeme Sessel mit hohen Rückenlehnen. Auf einem davon saß Marcus Everson, der sich gemeinsam mit Maui John Ngata erhob. Wie an fast allen Freunden aus den Anfangstagen der Terranischen Union war die Zeit auch an Everson nicht spurlos vorübergegangen, doch das Lächeln auf seinem pausbäckigen Gesicht wirkte noch immer wie das eines kleinen Jungen.

»Frau Botschafterin ...« Der Administrator lächelte ebenfalls. Er schüttelte ihre Hand und deutete auf den noch freien Sessel. »Darf ich Ihnen etwas anbieten?«

»Nein, vielen Dank«, sagte Thora. »Hallo, Marcus. Ich freue mich ...« Sie ging zu Everson hinüber und umarmte ihn.

Er hat Gewicht verloren, dachte sie. Und er sieht mindestens so müde aus, wie ich mich fühle ...

Everson war ein Schulfreund von Rhodan gewesen und hatte ihn später als einer seiner engsten Vertrauten auf diversen Abenteuern begleitet. Inzwischen unterstand Everson als Stellvertretendem Systemadmiral die gesamte Terranische Flotte. Da Reginald Bull wieder einmal mit der MAGELLAN auf große Fahrt gegangen war, bekleidete Marcus derzeit den höchsten militärischen Rang im Solsystem.

»Danke, dass Sie so kurzfristig gekommen sind«, eröffnete Ngata das Gespräch. Er hatte sich wieder hinter seinem Schreibtisch niedergelassen. »Ich denke, wir werden nicht lange brauchen, aber ich wollte mit Ihnen beiden sprechen, bevor ich den Rat informiere.«

»Was ist passiert?«, fragte Thora sofort.

»Wir wissen es selbst noch nicht«, übernahm Everson. »Vor einer knappen halben Stunde haben die Sky Eyes im inneren Systembereich eine Reihe von höchst beunruhigenden Signalen angemessen. Wir haben sofort die THALES in Marsch gesetzt, einen unserer Forschungskreuzer. Professor Oxley wäre zwar lieber mit der TERRANIA aufgebrochen, aber ich hielt es für ratsam, vorerst auf der Erde zu bleiben.«

Thora nickte. Ephraim Oxley, Koordinator für Wissenschaft und Technik und einer der wichtigsten und genialsten Hyperphysiker des 21. Jahrhunderts, hasste den Weltraum – zumindest wenn er ihn persönlich durchfliegen musste. Seine Welt waren Laboratorien, Forschungseinrichtungen und Hörsäle. In der TERRANIA, dem Flaggschiff der Terranischen Flotte, kannte er sich immerhin noch aus; die THALES hingegen war ihm fremd. Wahrscheinlich würde er seinen Unmut wie so oft mit dem übermäßigen Verzehr von Nussecken und Schokohörnchen lindern.

»Die ... Erscheinung – ein besseres Wort haben wir vorerst nicht – hat sich exakt im hyperdimensionalen Zentrum von Sedna-Nexus, Sonnenchasma und Mond-Nexus gebildet.« Everson wischte kurz mit der Hand durch die Luft, und ein neues Hologramm wurde sichtbar. »Diese Aufnahmen haben wir gerade eben von zwei robotgesteuerten Space-Disks erhalten, die der THALES vorausgeschickt wurden. Die Analysen laufen noch ...«

Die Projektion erweckte den Eindruck, als hätte sich mitten im Büro des Administrators der Terranischen Union ein Loch aufgetan, durch das man direkt ins Weltall schauen konnte. Thora starrte auf das rot glühende Etwas im Mittelpunkt des Holos. Es erinnerte sie an ein Knäuel ausgefaserter Gaze, dessen Fäden sich wie dünne Würmer umeinanderwanden.

»Sedna bewegt sich derzeit auf sein Perihel zu«, erläuterte Everson. »Also auf seinen sonnennächsten Abstand von gut 76 Astronomischen Einheiten, den er im September 2076 erreichen wird. Gemeinsam mit Sonne und Mond bildet er ein Dreieck, dessen hyperdimensionales Zentrum etwa sechs Milliarden Kilometer von der Erde entfernt ist. Exakt dort hat sich dieses Phänomen etabliert.«

»Wie groß ist es?«, fragte Thora. Das Holo lieferte keine Anhaltspunkte zu den Ausmaßen des Objekts.

»Knapp vierzig Kilometer im Mittel.« Diesmal sprach Ngata. »Aber es wächst. Ich entnehme Ihrem Gesichtsausdruck, dass auch Sie so etwas noch nie gesehen haben ...«

»Korrekt«, bestätigte Thora. »Gibt es bereits Theorien?«

Nun war es an Ngata, wie ein Jahrmarktsmagier mit den Fingern durch die Luft zu wischen. »Fragen wir unseren Experten«, sagte er. »Wir haben eine Direktverbindung zu Professor Oxley auf der THALES vorbereitet. Professor ...? Können Sie mich hören?«

»Laut und deutlich, Administrator«, erklang die Stimme des Wissenschaftlers.

Im selben Augenblick schwebte seine wuchtige Gestalt über der Schreibtischplatte. Trotz der gewaltigen Entfernung war die Übertragung so gut, dass Thora jeden einzelnen Schweißtropfen auf der Glatze des Physikers erkennen konnte. Amüsiert registrierte die Arkonidin diverse Kuchenkrümel, die sich im Gestrüpp seines imposanten Schnauzbarts verfangen hatten. Ihre Vermutung, dass sich der Professor bereits eine größere Portion Nervennahrung zugeführt hatte, schien sich zu bewahrheiten.

»Mister Everson und Miss Rhodan da Zoltral sind bei mir. Was können Sie uns sagen, Professor?« Ngata beugte sich in seinem Sessel vor.

Oxley fuhr sich mit dem Handrücken mehrfach über den Bart, was zur Folge hatte, dass gut die Hälfte der dort deponierten Kuchenkrümel nach allen Seiten davongeschleudert wurden. Einige davon fielen – rein holografisch – auf den Schreibtisch des Administrators und blieben dort liegen. Danach wischte sich der Physiker die Hand an seiner altmodischen Strickweste ab.

Ngata behielt seine stoische Miene bei, doch Thora wusste, dass ihn das Verhalten des Physikers innerlich erzürnte. Der Administrator hielt viel von guten Umgangsformen und Förmlichkeit. Oxley war TU-Koordinator, gehörte also zu Ngatas Regierungsmannschaft. Es musste den Administrator große Beherrschung kosten, seinen Mitarbeiter ob dessen laxer Tischmanieren nicht zur Ordnung zu rufen.

»Wir sind zwar gerade erst angekommen«, sagte Oxley. »Aber den ersten Auswertungen zufolge, handelt es sich eindeutig um eine Art hyperphysikalischen Tunneleffekt.«

Als der Wissenschaftler auch nach mehreren Sekunden nicht fortfuhr, hakte Ngata nach – diesmal in deutlich schärferem Ton.

»Ich stehe in zwanzig Minuten vor den Mitgliedern des Unionsrats, Professor«, stieß er mühsam beherrscht hervor. »Machen Sie einem alten Mann die Freude und geben Sie ihm ein bisschen mehr als einen hyperphysikalischen Tunneleffekt!«

Thora warf Marcus Everson einen schnellen Blick zu. Trotz der zahlreichen Probleme, denen sie sich derzeit gegenübersahen, grinste er sie an. Die Tendenz, in Augenblicken größter Not und Dramatik eine geradezu fatalistische Neigung zum Galgenhumor zu entwickeln, war eine der seltsamsten Charaktereigenschaften der Menschen, die Thora in all den Jahren beobachtet hatte.

»Was soll ich sagen?« Oxley leckte sich über die Lippen; wahrscheinlich um sich so die letzten verbliebenen Zuckermoleküle seiner süßen Zwischenmahlzeit einzuverleiben. »Wir wissen, dass die drei Aufrisse damit begonnen haben, eine enorme Menge an Energie zu generieren. Lediglich der Mond macht da aus noch ungeklärten Gründen eine Ausnahme. Wie auch immer: Diese Energie fließt ausnahmslos der Erscheinung zu.«

»Mit Aufrissen meinen Sie das Sonnenchasma und die beiden Nexen, richtig?«, fragte Everson nach.

»Das Wort Nexen gibt es nicht, Sir«, verbesserte Oxley. »Der Plural von Nexus ist Nexuuus – mit lang gesprochenem ›u‹. Funktioniert genauso wie bei Kasus oder Status, weil das lateinische Stammwort der u-Deklination angehört und ...«

»Meine Herren!« Ngata stand hörbar kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. »Ersparen Sie mir Ihre sprachlichen Spitzfindigkeiten, und konzentrieren Sie sich auf die Sache! Ihnen ist anscheinend nicht klar, in welcher Lage wir uns befinden!«