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Michael S. Aßländer

Adam Smith zur Einführung

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Wissenschaftlicher Beirat
Michael Hagner, Zürich
Dieter Thomä, St. Gallen
Cornelia Vismann, Frankfurt a.M. †

Junius Verlag GmbH
Stresemannstraße 375
22761 Hamburg
Im Internet: www.junius-verlag.de

© 2007 by Junius Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Covergestaltung: Florian Zietz
Titelbild: Archiv für Kunst und Geschichte
E-Book-Ausgabe September 2018
978-3-96060-043-5
Basierend auf Printausgabe
ISBN 978-3-88506-641-5
1. Auflage 2007

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Inhalt

1. Einleitung

2. Vom Moralphilosophen zum Ökonomen

2.1 Smith und die Schottische Aufklärung

2.2 Familie und Kindheit

2.3 Studium in Glasgow und Oxford

2.4 Professor für Moralphilosophie

2.5 Grand Tour

2.6 Smith als Ökonom

2.7 Smith als Zollrevisor

3. Die Theorie der ethischen Gefühle

3.1 Zur Bedeutung der Sympathie

3.2 Billigung und Missbilligung

3.3 Der unparteiische Zuschauer

3.4 Harmonie als Ordnungsprinzip

3.5 Das Wesen der Tugenden

3.6 Abgrenzungen zu anderen Systemen der Moralphilosophie

4. Der Wohlstand der Nationen

4.1 Arbeitsteilung als Schlüssel zum Wohlstand

4.2 Zur Funktionsweise der Ökonomie

4.3 Freiheit als Grundlage der Ökonomie

4.4 Die »invisible hand«

4.5 Der Staat als Ordnungsinstanz

5. Zusammenfassung und Ausblick

5.1 Smiths Menschenbild

5.2 Smiths Gesellschaftstheorie

5.3 Wirkungsgeschichte

Anhang

Anmerkungen

Literatur

Zeittafel

Über den Autor

1. Einleitung

Adam Smith zählt wohl zu den am häufigsten zitierten und zu den am seltensten gelesenen Autoren – so kommentiert Walther Eckstein, Herausgeber der deutschen Ausgabe der Theory of Moral Sentiments, den allgemeinen Kenntnisstand über die Werke Adam Smiths.1 Diese Diagnose betrifft nicht nur die Theorie der ethischen Gefühle, sondern durchaus auch Smiths ökonomisches Hauptwerk, den Wohlstand der Nationen. Wenn überhaupt, ist Adam Smith vielen allenfalls als »Vater« der modernen Ökonomie bekannt und gilt gemeinhin als Vertreter eines kruden Laissez-faire-Kapitalismus. Der von ihm »entdeckte« Mechanismus der »invisible hand« erlaube es den Wirtschaftsakteuren, ihren eigenen egoistischen, auf individuelle Nutzenmaximierung gerichteten Verhaltensweisen bei weitgehender Zurückhaltung des Staates und größtmöglicher Freiheit in wirtschaftlichen Belangen freien Lauf zu lassen, da der Marktmechanismus stets zum Ausgleich dieser widerstreitenden Interessen zum Wohle aller führe – so die unter Ökonomen verbreitete Sichtweise.

In Vergessenheit geriet dabei, dass Smith seinen ökonomischen Entwurf als Teil der praktischen Philosophie betrachtete und das Handeln der einzelnen Wirtschaftsakteure stets an die Wirkweisen einer natürlichen Moral zurückgebunden sah, wie er sie in seinem moralphilosophischen Hauptwerk, der Theory of Moral Sentiments, beschrieben hatte. Wie wir aus dem Aufbau seiner Vorlesungen in Glasgow schließen können, betrachtete Smith die praktische Philosophie im Sinne der aristotelischen Trias bestehend aus Politik, Ethik und Ökonomie. Neben den beiden schon veröffentlichten Werken zur Ökonomie und Moralphilosophie beabsichtigte Smith daher auch die Veröffentlichung einer Schrift zur Politik und Rechtsgeschichte. Diesem Werk widmete er einen Großteil seiner Arbeit der letzten Lebensjahre. Jedoch wurde die Schrift von ihm nie fertig gestellt, und die Manuskripte wurden in seinem Auftrag verbrannt. Einige Autoren meinen hieraus schließen zu können, dass Smith selbst nicht mehr an die Einheit der praktischen Philosophie innerhalb der neuzeitlichen marktliberalen »Commercial Society« glaubte und daher die Vernichtung seiner Manuskripte anordnete.2 Wahrscheinlicher scheint hingegen, dass der stets sehr akribisch, aber auch sehr langsam arbeitende Smith, der stets um die exakte und einprägsame Formulierung seiner Gedanken bemüht war, eine Fehlinterpretation seiner noch nicht endgültig ausgearbeiteten Gedanken befürchtete. Dass seine Rechtsphilosophie durchaus an seine Ausführungen zur Moralphilosophie und zur Ökonomie anschlussfähig ist, belegen zwei erhalten gebliebene Vorlesungsmitschriften aus den Jahren 1762/63 (LJA) und 1763/64 (LJB), die unter dem Titel Lectures on Jurisprudence in der Glasgower Gesamtausgabe der Werke Smiths veröffentlicht wurden.3

Insgesamt umfasst das Werk Adam Smiths neben der Theorie der ethischen Gefühle und dem Wohlstand der Nationen sowie den erwähnten Vorlesungen über Rechts- und Staatswissenschaften auch eine Reihe kleinerer Schriften, die zum einen seine öffentlichen Vorlesungen über die Rhetorik und die schönen Künste umfassen und zum anderen kleinere Aufsätze zu verschiedenen philosophischen, aber auch naturwissenschaftlichen Themenstellungen enthalten, u.a. zur Geschichte der Astronomie und zur Geschichte der Physik. Ergänzend hierzu sind zahlreiche Briefe von und an Smith erhalten, die in einem eigenen Band der Glasgower Ausgabe in chronologischer Reihenfolge zusammengestellt wurden und einen guten Einblick auch in das private Leben Adam Smiths ermöglichen. Andere Schriften Smiths sind im Laufe der Jahre verloren gegangen, so u.a. die Tagebücher seines Frankreichaufenthalts oder seine politischen und literarischen Leitlinien.4 Leider existiert bis heute keine einheitliche deutsche Ausgabe des Gesamtwerks Adam Smiths, so dass im Folgenden auf die einschlägigen deutschen Übersetzungen zurückgegriffen wird. Es sind dies: die Übersetzung des Wealth of Nations von Horst Claus Recktenwald, die Übersetzung der Theory of Moral Sentiments von Walther Eckstein und die von Daniel Brühlmeier editierten Zusammenfassungen der Lectures on Jurisprudence.

Die vorliegende Einführung bezieht sich vor allem auf die beiden Hauptwerke Adam Smiths, die Theory of Moral Sentiments und den Wealth of Nations. Nur wenn es darum geht, besondere Aspekte innerhalb der Philosophie Adam Smiths anhand des Zusammenspiels seiner verschiedenen Werke zu verdeutlichen, wird gelegentlich auf ausgewählte kleinere Schriften Bezug genommen werden. Im Mittelpunkt steht die Darstellung der Moralphilosophie Adam Smiths, weniger die seiner ökonomischen Gedanken. Dennoch bilden Moralphilosophie, Rechtsphilosophie und Ökonomie für Smith eine gewisse Einheit, so dass zumindest jene Teile des Wealth of Nations, die sich mit den Fragen der bürgerlichen Freiheitsrechte, den Grundlagen bürgerlicher Wohlfahrt oder der Rolle des Staates innerhalb der Wirtschaftsordnung befassen, ausführlicher diskutiert werden müssen, um die Gedanken Adam Smiths zu verstehen. Damit das Zusammenspiel von Moralphilosophie, Rechtsphilosophie und Ökonomie in Smiths Denken deutlich wird, soll in einem weiteren Kapitel ausführlich auf das smithsche Menschenbild und seinen gesellschaftstheoretischen Entwurf in der Zusammenschau seiner Werke eingegangen werden. Dies scheint insbesondere deshalb von Bedeutung, weil die jeweils einseitige Betrachtung seiner Moralphilosophie oder seiner Ökonomie vielfach zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen Anlass gegeben hat. Hierbei wird in Ermangelung einer Originalschrift zur Rechtsphilosophie insbesondere auf Smiths Ausführungen zur Rechtsgeschichte in seinen Vorlesungen Bezug genommen.

Anliegen des vorliegenden Bändchens ist es, in die Gedankenwelt Adam Smiths einzuführen und das Zusammenspiel der unterschiedlichen von ihm analysierten gesellschaftlichen Wirkmechanismen zu erläutern. Ziel der vorliegenden Einführung ist es nicht, die Lektüre der Werke Adam Smiths zu ersetzen. Vielmehr will sie zu ihrem Studium anregen.

2. Vom Moralphilosophen zum Ökonomen

2.1 Smith und die Schottische Aufklärung

Mit der Vereinigung des schottischen und des englischen Parlaments in London im April 1707 verliert Schottland formal seine Unabhängigkeit. Für das bis dahin im Vergleich zu England rückständige Schottland beginnt nun eine Zeit des Umbruchs und der Aufklärung. Im Austausch mit England erleben Wissenschaft, Politik und Wirtschaft in Schottland eine bisher nicht gekannte Blüte. War Schottland bis dahin orthodox-calvinistisch geprägt und eher um Autarkie bemüht, führte die Vereinigung mit England zur Aufhebung dieser geistigen Isolation. Liberalismus und Toleranz finden Eingang in das Denken der schottischen Gelehrten. Isaac Newton und seine Vorstellung einer harmonischen Weltordnung werden zum Vorbild der schottischen Aufklärer.5

Zugleich erlebt Schottland einen bedeutenden wirtschaftlichen Aufschwung. Neben zahlreichen Manufakturen entstehen erste große Handelsgesellschaften, und der Überseehandel wird zu einem immer bedeutsameren Wirtschaftsfaktor.6 Ökonomische Fragen werden daher zum beliebten Gegenstand in den neu entstehenden Debattier- und Gelehrtenclubs, in denen sich neben Wissenschaftlern auch Unternehmer und Staatsbedienstete zusammenfinden. Anliegen dieser Clubs ist nicht nur die theoretische Erörterung tagesaktueller wirtschafts- und sozialpolitischer Fragen, sondern auch die direkte Förderung und Verbesserung der heimischen Industrie und der praktischen Ausbildung. Im Gegensatz zu den klassischen universitären Einrichtungen in Oxford und Cambridge waren die schottischen Universitäten, allen voran die Universitäten in Glasgow und Edinburgh, in weit höherem Maße praktisch orientiert und auch den Forderungen nach praxistauglichen Lehrinhalten gegenüber aufgeschlossen. Als vorteilhaft erwies sich dabei nicht zuletzt die Übernahme des »holländischen Ausbildungsmodells«, dem zufolge nicht mehr ein Professor jeweils alle Fächer unterrichten sollte, sondern jeweils nur mehr für eine Spezialdisziplin zuständig war.7

Infolge dieser neuen Orientierung an Spezialwissen und »praxisnaher« Forschung zogen die schottischen Universitäten eine Vielzahl Gelehrter an, die sich weniger an klassischen Studien orientierten, sondern sich neuen Wissensgebieten zuwendeten. Zu den bedeutendsten Vertretern zählen dabei im Bereich der Philosophie die Aufklärer Francis Hutcheson (1694-1747), David Hume (1711-1776) und Adam Smith (1723-1790). Mit James Hutton (1726-1797), dem Begründer der modernen Geologie, Joseph Black (1728-1799), einem Mitbegründer der modernen Chemie, und James Watt (1736-1819), der in seinem Laboratorium an der Glasgower Universität die Verbesserung der Dampfmaschine vorantrieb und so schließlich deren industrielle Nutzanwendung ermöglichte, versammelten die schottischen Universitäten zahlreiche herausragende Naturwissenschaftler unter ihren Mitarbeitern. Doch auch im Bereich der »Gesellschafts- und Geisteswissenschaften« hielten die schottischen Universitäten jedem Vergleich stand. Neben dem Historiker William Robertson (1721-1793) beheimateten sie mit Adam Ferguson (1723-1816) und John Millar (1735-1801) zwei der wichtigsten Mitbegründer der modernen Soziologie, um hier nur einige der herausragenden Geister der schottischen Aufklärung zu nennen.

In mehreren Schüben verändert die Aufklärung das Selbstverständnis der Menschen innerhalb der Gesellschaft. An die Stelle der gottgegebenen Ordnung treten die Vorstellung der Machbarkeit von Geschichte und die Idee, durch eigenes Zutun Gesellschaft gestalten zu können. Dieses Denken gelangt mit dem Vordringen der naturwissenschaftlichen und technologischen Weltinterpretation Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts vollends zum Durchbruch. Mit der Aufklärung wird Gesellschaft nun nicht mehr als vorgefundene, bestehende Ordnung betrachtet, sondern als freiwilliger, vertraglicher Zusammenschluss politisch und gesellschaftlich prinzipiell gleichberechtigter Bürger verstanden.8 Damit geht eine systematische Trennung von Staat und Gesellschaft einher, die es nun erlaubt, einzelne gesellschaftliche Prozesse zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen zu machen. Ähnlich wie sich Gesellschaft in verschiedene Sphären – Politik, Wirtschaft, Recht usw. – teilt, agiert auch der Mensch in unterschiedlichen Handlungssphären, und seine Motivlagen und Handlungsmuster können im Kontext der jeweils zugehörigen Wissenschaft untersucht werden. »Die meisten philosophes sahen im rationalen Studium des menschlichen Lebewesens den ersten Schritt in Richtung auf die von David Hume so genannte ›Wissenschaft vom Menschen‹. Ehrgeizige Newtons des Seelenlebens arbeiteten an einer objektiven Psychologie, die reformbereite Staatsmänner in die Lage versetzen würde, Missstände aufzudecken, gegen Aberglauben vorzugehen, Ungerechtigkeit zu beseitigen [...]. Im 19. Jahrhundert brachten diese zukunftsweisenden Untersuchungen zahlreiche neue Berufe hervor, Fachleute, die man Soziologen, Politologen, Ökonomen und Kriminologen nannte.«9

Auch das geistige Klima der schottischen Aufklärung war geprägt von der Bewunderung für die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse Isaac Newtons, die in ihrer Exaktheit und der Anwendung der mathematischen Methode als Vorbild für Wissenschaft schlechthin galten. Doch trotz einer zunehmend stärkeren Ausrichtung der Wissenschaft an praktischen Fragestellungen existierte zugleich auch eine klare Vorstellung von den der jeweiligen Wissenschaft zugrunde liegenden philosophischen und ethischen Prinzipien. So beschreibt David D. Raphael das Denken an den schottischen Hochschulen wie folgt: »Die schottische Universitätstradition der Philosophie hatte jedenfalls im 18. Jahrhundert einen ausgeprägten Einfluss und infizierte das Denken einer Vielzahl gebildeter Männer. Die Vorlesungen eines führenden Naturwissenschaftlers wie Joseph Black enthalten ebenso wie die Bücher eines führenden Juristen wie Lord Kames untergründig den Ton einer ernsthaften philosophischen Untersuchung.«10

Beide Denkweisen beeinflussen nicht zuletzt auch die Gedanken Adam Smiths. So ist er zum einen geprägt durch die Philosophie seines akademischen Lehrers Francis Hutcheson und seines väterlichen Freundes David Hume. Andererseits versucht er im Sinne des newtonschen Wissenschaftsverständnisses beobachtbare Phänomene auf einheitliche Wirkungsgesetze zurückzuführen. Sowohl seine Moralphilosophie als auch seine Erkenntnistheorie sind stark »psychologisch« geprägt.11 Es geht Smith vor allem darum zu ergründen, wie sich die Welt und ihre Phänomene in unserem Denken darstellen und nach welchen Gesetzmäßigkeiten sie sich ordnen und erklären lassen. Dabei entpuppt Smith sich als genauer Beobachter, der seine Schlussfolgerungen stets mit einer Fülle von empirischen Details zu untermauern versucht.

Smith schildert sein Verständnis von Wissenschaft in den Principles which Lead and Direct Philosophical Enquiries illustrated by the History of Astronomy. Ausgehend von der Betrachtung »naturwissenschaftlicher Systeme« schließt Smith auf die generelle Bedeutung von Ordnungssystemen für das menschliche Denken. Allgemeine Prinzipien erlauben es, die Realität zu ordnen und zu verstehen und so die Erkenntnis voranzutreiben.12 Der Erkenntnisgewinn wird dabei zunehmend um seiner selbst willen erstrebt, d.h. als etwas, das seinen Wert in sich selbst trägt (HA 50f.). Der Mensch ist von sich aus bemüht, Neues zu verstehen und es in seine bisherigen Kenntnisse über die Ordnung der Welt einzupassen. Wissenschaft sucht nach Erklärungen, »die den Gedankenfluss wieder gleichmäßig, natürlich und leicht machen. Eben dies ist die Aufgabe der Philosophie [...]: Indem die Philosophie die unsichtbare Verkettung scheinbar unzusammenhängender Gegenstände offen legt, bringt sie Ordnung in das Chaos und lässt manchmal ein neues Gefühl entstehen, nämlich das der Bewunderung für die Geordnetheit der Welt.«13 Entsprechend definiert Smith: »Philosophy is the science of the connecting principles of nature.« (HA 45)

Mithin besteht die Aufgabe des Philosophen darin, die Dinge zu beobachten, sie zu beschreiben und neue Zusammenhänge zu erkennen. Der Philosoph wird zum »nachdenklichen Zuschauer«, der die Zusammenhänge der Phänomene erkennt und so theoretische Erkenntnisse oder praktische Erfindungen ermöglicht.14 Seine wichtigste Fähigkeit ist es, Parallelen zu anderem, bereits vorhandenem Wissen zu ziehen. Als einen Vorreiter dieser Denkweise schildert Smith den französischen Physiokraten François Quesnay (1694-1774), den er als einen höchst vielseitig interessierten Theoretiker und Arzt beschreibt, welcher sich das Staatswesen analog dem menschlichen Körper aufgebaut vorstellte (WN 569f.). Und Bezug nehmend auf die Vorgehensweise der antiken Philosophie schreibt er: »As Aristotle observes, that the early Pythagoreans, who first studied arithmetic, explained all things by the properties of numbers; and Cicero tells us, that Aristoxenus, the musician, found the nature of the soul to consist in harmony. In the same manner, a learned physician lately gave a system of moral philosophy upon the […] principles of his own art […].« (HA 47)15

Obwohl somit Wissenschaft für Adam Smith im Prinzip stets auf die gleiche Weise verfährt, anerkennt er doch, dass nicht alle Bereiche der Wissenschaft nach den gleichen Methoden verfahren können. Während die Naturwissenschaft in der Lage ist, ihre Erkenntnisse experimentell zu überprüfen, bleibt diese Vorgehensweise den politischen, ökonomischen und sozialen Wissenschaften verschlossen. Sie sind letztlich auf die historische Betrachtung und die genaue Beobachtung ihres Gegenstands angewiesen.

Entsprechend basiert Smiths eigene wissenschaftliche Vorgehensweise auf der historischen Analyse und der kritischen Sichtung der bisherigen Theorien. Sein Ziel ist es, anhand der historischen Fakten Belegmaterial zu sammeln, das dazu geeignet ist, eine bestimmte Theorie zu widerlegen oder zu bestätigen und hierauf aufbauend seine eigenen Vorstellungen zu entwickeln. »Der Zweck von Smith’ historischen Untersuchungen […] bestand darin, sich das erforderliche Belegmaterial zu verschaffen, um eine Verallgemeinerung, eine Hypothese oder ein mögliches wissenschaftliches Gesetz zu bestätigen oder zu widerlegen.«16 Dugald Stewart, der im Auftrag der Royal Society in Edinburgh als Erster eine Darstellung des Lebens und Werks Adam Smiths verfasste, bezeichnet die wissenschaftliche Vorgehensweise Smiths als »theoretische oder hypothetische Geschichte«17. Vermittels seiner historischen Analysen und seiner assoziativ-induktiven Vorgehensweise versucht Smith zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Seine Vorgehensweise gleicht dabei trotz ihrer spekulativ-historischen Ausrichtung der Vorgehensweise der Naturwissenschaften. Ähnlich wie die Naturwissenschaft bestimmte Phänomene auf einheitliche Wirkungsprinzipien zu reduzieren sucht, versucht Smith, ebensolche Prinzipien in den verschiedenen Sphären menschlichen Handelns aufzudecken.

Smith erweist sich dabei sowohl als Kind wie auch als führender Vertreter der schottischen Aufklärung. In all seinen Schriften hält er unverbrüchlich an seiner Vorstellung einer »harmonischen Ordnung« des Weltganzen fest. So wie sich den Aufklärern der natürliche Kosmos als wohlgeordnetes Ganzes darstellt, dessen (Natur-)Gesetze sich qua menschlicher Vernunft ergründen lassen, versucht Smith diese natürlichen Gesetze auch auf der Ebene der sozialen Handlungssphären zu ergründen, um hieraus Regeln für das gesellschaftliche Miteinander abzuleiten. Das naturwissenschaftliche Weltbild wird so bestimmend auch für Smiths Sicht der im gesellschaftlichen Kontext wirkenden sozialen Mechanismen. »Die sich mit der Aufklärung durchsetzende weltimmanente Betrachtungsweise […] gründet auf der Überzeugung, dass der Mensch nicht nur befähigt sei, die Naturgesetze zu erkennen und sich nutzbar zu machen, sondern auch in der Lage, […] die sozialen Verhältnisse als allgemeine menschliche Verhältnisse zum Nutzen aller rational zu gestalten.«18

Ursprünglich war es Smiths Anliegen, den Gesamtbereich der praktischen Philosophie, d.h. Ethik, Ökonomie und Politik (Rechtsphilosophie), darzustellen. Jedoch blieb seine Untersuchung zur Entstehung des Rechts unvollendet und wurde von seinen beiden Testamentsvollstreckern, Joseph Black und James Hutton, in seinem Auftrag verbrannt. Man mag darüber spekulieren, ob dieses ursprüngliche Ansinnen seiner Bewunderung für die antike, namentlich die aristotelische Philosophie geschuldet war19 oder ob Smith hier dem Vorbild seines Freundes David Hume zu folgen beabsichtigte, der mit seinen Schriften An Enquiry Concerning the Principles of Moral und Political Discourses ebenfalls versuchte, alle drei Bereiche der praktischen Philosophie abzudecken, wenngleich insbesondere im Bereich der Ökonomie und der Politik wohl weitaus weniger systematisch. Wahrscheinlicher ist, dass Smith sich hier an der systematischen Einteilung der Vorlesungen seines Lehrers Francis Hutcheson orientierte, der in seinen Seminaren ebenfalls die Themen Ethik, Ökonomie und Politik als Gegenstand der Moralphilosophie behandelte, eine Einteilung, die, wie wir noch sehen werden, Smith selbst in seinen Vorlesungen übernahm.20 Interessanter scheint, dass Smith – soweit wir dies aus der Rekonstruktion seiner Rechtsgeschichte anhand der erhaltenen Vorlesungsmitschriften beurteilen können – in allen drei Bereichen der praktischen Philosophie seine Untersuchungen stets auf die gleiche Weise vorantreibt. Kennzeichnend für die smithsche Philosophie sind stets der stark deskriptive Charakter seiner Werke, die umfassende historische Betrachtungsweise, die er seinen einzelnen Überlegungen voranstellt, und ein immer wieder am Paradigma der harmonischen Weltordnung fixierter Naturalismus.

2.2 Familie und Kindheit

Adam Smith wurde vermutlich Anfang Juni 1723 in der Hafenstadt Kirkcaldy, in der Grafschaft Fife nördlich von Edinburgh, geboren. Das kirchliche Taufregister Kirkcaldys enthält nur den Eintrag seiner Taufe am 5. Juni 1723. Sein Vater, Adam Smith sen., zuletzt königlicher Zollrevisor in Kirkcaldy, war wenige Monate zuvor, am 9. Januar 1723, im Alter von nur 44 Jahren gestorben. Adam Smith sen. war seit 1720 in zweiter Ehe mit der 1694 geborenen Margaret Douglas verheiratet; aus seiner ersten Ehe mit Lilias Drummond stammte Adam Smiths Halbbruder Hugh, getauft am 2. September 1709. Hugh Smith starb am 15. Dezember 1750.21

Die Küstenstadt Kirkcaldy lebte zu dieser Zeit vor allem vom Seehandel, insbesondere von Kohle- und Salzexporten nach dem Kontinent. Auf ihrem Rückweg brachten die Frachtschiffe Eisenschrott für die Nagel-Manufakturen Kirkcaldys mit. Mit zunehmender Prosperität Schottlands und damit einhergehend der zunehmenden Nachfrage nach Handelsschiffen scheint Kirkcaldy zeitweilig ein regelrechtes Monopol auf die vor allem für den Schiffsbau verwendeten Nägel gehabt zu haben.22 Die Erfahrungen des jungen Smith in Kirkcaldy, sein genaues Studium der Nagelproduktion in den Manufakturen, die Beobachtung der ein- und auslaufenden Schiffe mit ihren unterschiedlichen Frachten, das Elend der Grubenarbeiter in den benachbarten Kohlebergwerken, die vermutlich auch im Familienkreis diskutierte Frage des Kolonialhandels, das Problem des Schmugglerwesens und vieles mehr finden später Eingang in seine Vorlesungen zur Jurisprudenz und seinen Wealth of Nations.23

Die Verantwortung für Smiths Erziehung liegt allein in den Händen seiner Mutter, der er bis zu ihrem Tod am 23. Mai 1784 stets eng verbunden bleibt. Adam Smith war von Geburt an ein schwächliches Kind und blieb zeitlebens anfällig für Krankheiten. Dies dürfte auch der Grund gewesen sein, warum er erst als Neunjähriger eingeschult wurde.24 Bis an sein Lebensende galt Smith als zerstreut und neigte dazu, geistesabwesend Selbstgespräche zu führen. Aufgrund seiner gesundheitlichen Schwächen hielt sich der junge Adam Smith von sportlicher Betätigung fern. Trotz dieser »Absenz« bei den Spielen seiner Kameraden scheint Smith aufgrund seines freundlichen und großzügigen Wesens bei seinen Mitschülern jedoch durchaus beliebt gewesen zu sein. Anstelle sportlicher Wettkämpfe sorgten ausgedehnte Spaziergänge für Ablenkung, auf denen er viele jener Beobachtungen gemacht haben dürfte, die später wichtige Grundlagen seines Werks bilden sollten. Das Hinterland Kirkcaldys, in das Smith seine Ausflüge unternahm, war geprägt von einer nicht allzu üppigen, traditionell ausgerichteten Landwirtschaft, die für diejenigen, die sie betrieben, nur wenig abwarf. Daneben existierten auf den Dörfern eben jene kleinen Manufakturen, in denen Smith die Produktion von Nägeln beobachten konnte. Auch gab es einige Kohlegruben und Salzsiedereien, die ihren Arbeitern ein eher kärgliches Auskommen bescherten. Noch Jahre später bedauert Smith das Schicksal der Bergleute und Salzsieder.25

Über seine frühe Kindheit ist wenig bekannt, mit Ausnahme einer vielfach zitierten Anekdote, der zufolge Smith als Dreijähriger auf einem Ausflug mit seiner Mutter zu ihrem Bruder nach Strathenry Castle von Zigeunern entführt wurde. Nachdem Smiths Verschwinden bemerkt worden war, nahmen die Nachbarn eilig die Suche auf, und nachdem eine Zigeunerin mit einem jämmerlich schreienden Kind auf der Landstraße gesichtet worden war und diese von den eilends zusammengerufenen Nachbarn in einem Wald gestellt wurde, ließ sie den schreienden Jungen auf dem Waldboden zurück und floh. Smith wurde wohlbehalten nach Strathenry Castle zurückgebracht.26

Von 1732-1737 besuchte Smith die Burgh-Schule in Kirkcaldy. Das 1723 auf Betreiben des Magistrats von Kirkcaldy errichtete und 1843 aufgelassene Schulgebäude bestand nur aus zwei Räumen, in denen sechs Klassen unterrichtet wurden. Allerdings verfügte die Schule trotz ihrer räumlichen Beengtheit dank ihres Lehrers David Miller über einen ausgezeichneten Ruf. Als Vorbereitung auf das Universitätsstudium lag der Ausbildungsschwerpunkt der Burgh-Schule vor allem auf dem Erlernen der lateinischen Sprache, da der Vorlesungsbetrieb an den meisten Universitäten Großbritanniens auf Lateinisch stattfand. Doch Millers Unterricht ging über das Erlernen des Lateinischen hinaus. Er nutzte das Beispiel der römischen Geschichte, um den Einfluss von Reichtum und Luxus auf den Verfall der Sitten zu schildern und seinen Schülern als mahnendes Exempel mit auf den Weg zu geben.27

Im Januar 1736 kommt es in der Grafschaft Fife zu einem denkwürdigen Prozess. Der Schmuggler Andrew Wilson, der einen gierigen, durch das Aufbringen von Schmugglerware reich gewordenen Steuereinnehmer im benachbarten Pittenweem beraubt hatte, um seine Verluste beim Schmuggel »auszugleichen«, wird zum Tode verurteilt. Wilson galt bei seinen Mitbürgern offensichtlich als »braver Mann« und hatte angeblich mehreren seiner Mitangeklagten durch Selbstaufopferung die Flucht ermöglicht. Bei seiner Hinrichtung in Edinburgh kam es zu Ausschreitungen, als einer der Zuschauer den Galgen erklomm, um die Leiche des Hingerichteten abzuschneiden. Porteous, der Hauptmann der Edinburgher Stadtwache, erschoss den Mann und befahl seinen Soldaten, in die Menge zu feuern. Es gab mehrere Tote. Porteous, in Edinburgh aufgrund seiner Strenge und Rücksichtslosigkeit ohnehin unbeliebt, wird wegen dieser maßlosen Tat zum Tode verurteilt, jedoch auf Anweisung Londons begnadigt. In derselben Nacht entwaffnet die aufgebrachte Menge die Stadtwache, dringt in das Gefängnis ein und knüpft den verhassten Hauptmann am selben Galgen wie Wilson auf.28

Später schreibt Adam Smith nicht ohne Anteilnahme für das Schicksal der Schmuggler: »Zweifellos verdient ein Schmuggler eine Strafe, weil er Gesetze eines Landes verletzt, doch ist er häufig auch unfähig, gegen das Naturrecht zu verstoßen, so dass er in jeder Hinsicht ein tadelloser, ja vorbildlicher Bürger gewesen wäre, hätten ihn nicht die Landesgesetze zu einer Handlung veranlasst, die von Natur aus niemals als Delikt aufzufassen wäre. […] Nur wenige scheuen den Schmuggel, sobald sie eine leichte und sichere Gelegenheit dazu finden, ohne meineidig zu werden. […] Häufig ermutigt diese Nachsicht der Öffentlichkeit den Schmuggler, einen Erwerb fortzusetzen, der offensichtlich weithin für untadelig gehalten wird.« (WN 773) Zudem beurteilt Smith den Schmuggel auch aus ökonomischer Sicht durchaus als sinnvoll: »Mit Hilfe des Kapitals eines Schmugglers werden produktive Arbeitskräfte beschäftigt, das, wird er gefasst, dem Staate oder dem Finanzbeamten zufällt, wodurch es für unproduktive Zwecke verwandt wird, ganz zum Schaden des Vermögens eines Landes und nutzbringender Gewerbe.« (WN 773)

2.3 Studium in Glasgow und Oxford

1737 wechselt Smith im Alter von vierzehn Jahren an die Universität Glasgow. Er war zu diesem Zeitpunkt etwas älter, als dies zu seiner Zeit für einen Studienanfänger üblich war. Das gewöhnliche Alter für den Studienbeginn lag damals bei durchschnittlich zwölf Jahren.29 Warum die Wahl seines Studienorts auf Glasgow und nicht auf das näher gelegene St. Andrews oder Edinburgh fiel, ist nicht bekannt. Vermutlich waren es zwei Gründe, die für Glasgow sprachen: Zum einen lebte eine Tante von Smith in Glasgow. Zum anderen bot die dortige Universität die Möglichkeit, mit einem Snell-Stipendium nach Oxford zu wechseln.30

Glasgow war zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend ländlich geprägt. Zwar waren der wirtschaftliche Aufschwung Schottlands und die beginnende Industrialisierung auch in Glasgow bereits spürbar, dennoch beherrschten die hinter den Häusern gelegenen Pferdekoppeln und Weiden am Stadtrand weiterhin das Stadtbild. Neben London galt Glasgow als eine der schönsten Städte des Königreichs und war beeinflusst vom Geist der »Commercial Society« der Händler und Kaufleute. Neben dem Zollhaus verfügte Glasgow über überdachte Markthallen, eigens für den Durchgangsverkehr gebaute Straßenzüge und einen neu angelegten Hafen, der auch auf die Bedürfnisse des Atlantik-Handels zugeschnitten war. Im Vergleich zu Kirkcaldy muss das mehr als zehnmal größere Glasgow auf den jungen Smith wie eine Weltstadt gewirkt haben.31

In Glasgow begann Smith sein Studium am Old College und studierte Altphilologie bei Alexander Dunlop32, Mathematik bei Robert Simson und Moralphilosophie bei Francis Hutcheson. Obwohl sich Smith bei Simson profunde Kenntnisse in Mathematik und in Naturphilosophie aneignen konnte, die später in seine Geschichte der Astronomie mit einflossen, war es der Moralphilosoph Francis Hutcheson, der den nachhaltigsten Einfluss auf Adam Smith ausübte.33

Francis Hutcheson lehrte Ethik, Jurisprudenz und Ökonomie. Entgegen der üblichen Lehrtradition war er einer der Ersten, die ihren Unterricht nicht auf Latein, sondern auf Englisch hielten. In seinen Vorlesungen trat Hutcheson für eine Gesellschaft ein, die auf ein System der natürlichen Freiheit und Vernunft gegründet sein sollte. Als Kriterium seiner Ethik formulierte er – und nicht Jeremy Bentham – den berühmten Satz vom »größten Glück der größten Zahl«. Gut und Böse ließen sich in seinen Augen auch jenseits theologischer »Wahrheiten« unterscheiden und waren nicht abhängig von einer Kenntnis Gottes. Dies brachte Hutcheson auf direkten Konfrontationskurs mit den Kirchenoberen seiner Zeit. Hutcheson wurde der Häresie angeklagt. Als seine Studenten vor dem Presbyterium für Hutcheson demonstrierten, beließen es die Kirchenoberen bei einer Verwarnung. Für viele Studierende – nicht nur für Adam Smith – galt Hutcheson als Revolutionär im akademischen Lehrbetrieb.34

Jahre später, anlässlich seiner Berufung zum Lord Rector der Universität Glasgow erinnert sich Smith in einem Brief an Archibald Davidson, datiert auf den 16. November 1787, an seine Zeit in Glasgow und beschreibt seinen akademischen Lehrer in den wärmsten Worten: »No man can owe greater obligations to a Society than I do to the University of Glasgow. They educated me, they sent me to Oxford, soon after my return to Scotland they elected me one of their own members, and afterwards preferred me to another office, to which the abilities and Virtues of the never to be forgotten Dr Hutcheson had given a superior degree of illustration. The period of thirteen years which I spent as a member of the society I remember as by far the most useful, and, therefore, as by far the happiest and most honourable period of my life […].« (CO 308f.)

Im Frühjahr 1740 beendet Adam Smith seine Studien an der Universität Glasgow.35 Ausgestattet mit einem Snell-Stipendium, das ursprünglich für Studierende vergeben wurde, die ein geistliches Amt anstrebten, aber bereits zur Zeit von Adam Smith besonders begabten Studierenden für ein Studium ihrer Wahl offenstand, begibt sich Smith nach Oxford. Am 7. Juli 1740 schreibt er sich als »Adamus Smith« an der Universität für das Studium am Balliol College ein.36

Das extrem konservative Oxford enttäuscht den von seinem Lehrer Hutcheson und den fortschrittlichen Lehrmethoden Glasgows geprägten Smith. Die Universität ist für Smith ein Ort der geistigen Stagnation.37 In einem Brief an seinen Vormund William Smith, datiert auf den 24. August 1740, beklagt er: »[…] it will be his own fault if anyone should endanger his health at Oxford by excessive Study, our only business here being to go to prayers twice a day, and to lecture twice a week.« (CO 1)

Smith nutzt seine Zeit am Balliol College vor allem zum Selbststudium und um seine englischen Sprachkenntnisse zu verbessern. Er hatte freien Zugang zur Bibliothek und beschäftigte sich dort vor allem mit der Lektüre der griechischen und lateinischen Klassiker und der französischen Literatur. Als er eines Tages von seinen Lehrern beim Studium von Humes Traktat über die menschliche Natur ertappt wird, der in den Augen der Oxforder Professoren als atheistisch und unmoralisch galt, wird das Buch umgehend konfisziert, und Smith erhält einen strengen Verweis.38

Das »feindliche« intellektuelle Klima Oxfords ist Smiths Gesundheit nicht sonderlich zuträglich. Mitunter leidet er an Depressionen und Lethargie. An seine Mutter schreibt er am 29. November 1743: »I am just recovered of a violent fit of laziness, which has confined me to my elbow-chair these three months.« (CO 3) Auch körperlich leidet Smith in Oxford. Am 2. Juli 1744 berichtet er seiner Mutter, mit Hilfe von Teerwasser soeben von Skorbut und einem »Kopfzittern« genesen zu sein, und bedauert, nicht öfter geschrieben zu haben, da ihn seine Lethargie davon abgehalten habe (CO 3).

1744 erwirbt Smith seinen Bachelor of Arts am Balliol College. Aufgrund seiner Leistungen wird sein Stipendium verlängert. Insgesamt bleibt er sechs Jahre in Oxford. Rückblickend auf seine Studienzeit am Balliol College hat Smith nur Hohn und Spott für seine ehemaligen Professoren übrig. Im Wealth of Nations schreibt er verächtlich: »An der Universität Oxford haben es die meisten Professoren schon seit Jahren aufgegeben, auch nur den Schein zu wahren, dass sie ihren Lehrverpflichtungen nachkommen.« (WN 647) Und weiter: »Disziplin und Zucht an Colleges und Universitäten sind in der Regel nicht zu Gunsten der Studenten, sondern im Interesse oder, besser gesagt, zur Bequemlichkeit der Dozenten erdacht und eingeführt worden und stets darauf abgestellt, die Autorität des Lehrers zu wahren und die Studenten zu zwingen, ganz gleich, ob er seinen Pflichten nachkommt oder nicht, sich ihm gegenüber in jedem Falle so zu verhalten, als ob er seine Kollegs mit größter Sorgfalt und größtem Können hielte.« (WN 649). Dies alles ist weit von dem entfernt, was man als Smiths eigenes Lehrideal bezeichnen könnte, welches er ebenfalls im Wealth of Nations beschreibt: »Das Ansehen in seinem Beruf ist für den Dozenten ebenfalls sehr wichtig; zudem ist er in gewisser Weise abhängig von einem guten Ruf und von der Sympathie und Dankbarkeit seiner Hörer. Und zu dieser Wertschätzung gelangt er offensichtlich am ehesten, wenn er sie durch den ganzen Einsatz seiner Fähigkeiten, seiner Sorgfalt und seines Fleißes auch wirklich verdient.« (WN 646)

Smith verlässt Oxford im August 1746 vor Ablauf seines Stipendiums und kehrt nie wieder dorthin zurück. Als er am 28. April 1749 in Glasgow den endgültigen Verzicht auf sein Snell-Stipendium erklärt, besitzt er den Titel eines Magister Artium.39 Trotz der Kritik am Ausbildungsniveau Oxfords verfügt Smith dank seines beharrlichen Selbststudiums über eine profunde Literaturkenntnis und hat vor allem während seines umfangreichen Literaturstudiums seine englischen Sprachkenntnisse erheblich verbessert.40

2.4 Professor für Moralphilosophie