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Andreas Zwengel
GEHEIMWAFFE PSYCHOMAT


In dieser Reihe bisher erschienen

5001 Christian Montillon Aufbruch

5002 Oliver Müller Sprung ins Ungewisse

5003 Vanessa Busse Dunkle Energie

5004 Vanessa Busse Angriff aus dem Nichts

5005 Oliver Müller Gefangene der Doppelsonne

5006 Achim Mehnert Das Vermächtnis der Moraner

5007 Rainer Schorm Jedermanns Feind

5008 H. W. Stein & Oliver Müller Die Sklavenwelt

5009 Achim Mehnert Todesdrohung Schwarzer Raumer

5010 Vanessa Busse Entscheidung Risiko

5011 Ben B. Black Zegastos Kinder

5012 Michael Edelbrock Fremde Seelen

5013 Achim Mehnert Böser Zwilling

5014 Achim Mehnert Sternentod

5015 Achim Mehnert Das Ende der Promet

5016 Achim Mehnert Tötet Harry T. Orell!

5017 Achim Mehnert Das galaktische Archiv

5018 H. W. Stein Der Tod und das Leben

5019 Achim Mehnert Die Delegation

5020 Achim Mehnert Das Attentat

5021 Achim Mehnert Flucht aus der Terrorstadt

5022 Achim Mehnert Die Tragödie von Gij

5023 Gerd Lange Das fremde Ich

5024 Andreas Zwengel Geheimwaffe Psychomat

5025 Andreas Zwengel Im Bann der roten Sonne



Andreas Zwengel


Geheimwaffe Psychomat



RAUMSCHIFF PROMET
Band 24




Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!
Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung
ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.
Infos unter: 
www.BLITZ-Verlag.de

© 2019 BLITZ-Verlag
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Exposé: Gerd Lange
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Logo: Mark Freier
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-584-5

Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!



Kapitel 1


Unabhängige Republik Nordrussland (URNR), Stadt Mirny, nahe dem Kosmodrom Plessezk. Sonntag, 07. Januar 2091, gegen 19:00 Uhr


Es war früher Abend, und die Dunkelheit hatte bereits vor vier Stunden eingesetzt. Gnädig verbarg sie den Anblick des heruntergekommenen Gebäudes. Es machte den Eindruck, als habe der Wunsch nach einer eigenen Kneipe ein paar verzweifelte und wohl auch betrunkene Alkoholkonsumenten dazu veranlasst, aus allen greif­baren Materialien ein Gebäude zu errichten, das nicht länger als eine Nacht stehen bleiben sollte. Diese Nacht lag inzwischen fünfzehn Jahre zurück.

Снежевиночка stand über dem Eingang, Schneeflöckchen. Ein harmloser Ausdruck für eine solche Spelunke, suggerierte er doch Reinheit und Unberührtheit. Auf die Außenfassade mochte das zutreffen, denn an sie hatte schon lange keiner mehr Hand angelegt, doch im Inneren würde man vergeblich nach etwas suchen, auf das diese Beschreibung zutraf. Weder die käuflichen Damen mittleren Alters noch die abgenutzten Gläser.

Barbea Delany stand hinter dem Tresen ihres Ladens. Die gebürtige Amerikanerin stammte aus Detroit. Aus diesem Grund und wegen ihrer langen blonden Haare wurde sie von allen nur Barbie genannt. In ihrer Kindheit wanderten ihre Eltern aus den USA aus, um irgendwo auf der Welt ein besseres Leben zu finden, und so hatte es Barbie hierher verschlagen. Ihre Eltern hatten die aussichtslose Suche vor langer Zeit aufgegeben und sich am Toten Meer zur Ruhe gesetzt, während ihre Tochter weiter nach Norden gezogen war. Seit fünfzehn Jahren war Barbie nun die Besitzerin des Snegurotschka.

Unter einer Bordellbesitzerin stellten sich die meisten Leute eine ältere Frau mit großer Oberweite vor, die mit harter, rauer Stimme für Ordnung sorgte. Einiges davon traf auch bei Barbie zu. Sie besaß tatsächlich eine beachtliche Oberweite und eine tiefdunkle Stimme, die Männern den Schweiß ausbrechen ließ. Allerdings war sie gerade mal Ende zwanzig und schlank. Eine weitere Übereinstimmung zwischen Vorstellung und Realität bestand in der Fähigkeit, im eigenen Laden für Ruhe zu sorgen. Barbie trug die meiste Zeit robustes Leder und hatte nicht das geringste Problem damit, sich von der Theke aus in eine wüste Kneipenschlägerei zwischen betrunkenen Russen zu stürzen. Allerdings verstand sie sich auch prächtig darauf, sich verbal zu verteidigen und sich in harten Fällen auch mit der Knarre in der Hand ihrer Haut zu erwehren.

Die Behauptung, sie habe wegen einer enttäuschten Liebe diese Spelunke gekauft, und anders konnte man den Laden trotz aller Liebe nicht nennen, fegte Barbie einfach vom Tisch. Eine geschäftliche Chance, wie sie sich ihr geboten habe, werfe man doch nicht wegen so etwas Läppischem wie Gefühlen weg. Angesichts des Eindrucks, den das Snegurotschka machte, konnte keiner so genau sagen, ob sie dies als Scherz meinte.

Momentan war noch nicht allzu viel los. Die meisten Kunden waren noch bei der Arbeit oder nahmen noch das Abendessen mit der Familie ein, bevor sie sich auf den Weg zu alkoholischen Getränken und außerehelichem Geschlechtsverkehr machten. An der Theke vor Barbie saßen nur zwei Gäste. Ein Stammgast, der dort von der Öffnung bis zur Schließung saß und schweigend trank, und ihr alter Freund Timothej Tim Axelrod. Der dreißigjährige Mechaniker war dunkelhaarig, glatt rasiert und sah sehr sportlich aus. Er war viel zu attraktiv für einen Bordellbesucher. Der Grund seines Aufenthaltes war auch nicht käuflicher Sex oder billiger Alkohol. Er war bis zum Jahreswechsel im zwanzig Kilometer entfernten Kosmodrom Plessezk für die Staatliche Raumfahrtbehörde tätig gewesen und hatte sich dort vom Azubi bis zum Chefmechaniker hochgearbeitet. In dieser Funktion stand ihm eine kleine Werkswohnung zu, doch durch die Schließung des Geländes Plessezk war er nun obdachlos geworden und musste nun einen Monat überbrücken, bis er am ersten Februar seine neue Stellung antreten konnte.

Lange Rede kurzer Sinn: Timothej Axelrod wohnte in dieser Zeit zur Miete im Schneeflöckchen. Er erhielt einen Freundschaftspreis von Barbie und musste dafür nur eine gewisse Lärmtoleranz mitbringen. Die wurde allerdings oft genug auf eine harte Probe gestellt, wenn es von zwei Seiten gegen die Zimmerwände rumpelte. Aus diesem Grund hielt er sich meistens im Kneipenraum auf.

Barbie wusste, dass die meisten seiner Freunde und Kollegen ihn einfach Tim nannten, aber sie mochte die russische Sprache zu sehr. Tims hatte es in ihrem Leben bisher genug gegeben, aber nur einen Timothej.

Er trank seinen Kaffee leer und ließ sich nachgießen, während er bemerkte, wie Marina mit einem Kunden nach oben ging. Axelrod sah ihr nach und bemerkte zu spät, dass Barbie ihn prüfend ansah. Er räusperte sich und hob seine Tasse. „Was ist?“

„Vielleicht solltest du sie einfach mal ansprechen“, riet die Wirtin.

Er schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck. „Ich weiß nicht, ob ich sie überhaupt richtig kennenlernen möchte. Es ist sehr nett, sich mit Marina zu unterhalten, aber mehr ist da nicht.“

„Ach ja? Nun, das höre ich nicht oft über meine Mädchen.“

„Sie ist nicht wie die anderen Frauen hier. Bei ihr reicht es, wenn ich sie ansehe, um mich gut zu fühlen. Weißt du, wie man das nennt?“

„Ja, Voyeurismus.“

„Seelenverwandtschaft“, verbesserte Axelrod.

„Ich dachte, ich würde dir puren Kaffee ausschenken, Timothej“, gab Barbie zurück. „Muss wohl die falsche Kanne erwischt haben.“

„Ich sehe schon, dass ich hier alle guten Worte verschwende. Ich habe dich immer für eine Romantikerin gehalten.“

Barbie lachte. „Genau, deshalb führe ich auch diesen rosaroten Ponyhof hier, mit lauter Honeymoon-Suiten.“

„Du wirst mir fehlen“, sagte Axelrod ehrlich.

„Geht mir genauso“, antwortete Barbie. Sie beide waren befreundet, seit Barbie das Schneeflöckchen eröffnet hatte. „Gab es denn keinen anderen Job für dich? Einen, der etwas näher liegt als in Kanada?“

Axelrod schüttelte den Kopf. „Das ist eine einmalige Chance für mich, ich kann immer noch nicht glauben, dass ich angenommen wurde.“

„Was macht die HBO eigentlich?“, fragte Barbie.

„HTO. Die HTO-Corporation ist die größte Raumschiffwerft auf Terra“, erklärte Axelrod so stolz, als wäre er bereits seit Jahren für seinen neuen Arbeitgeber tätig.

Barbie lächelte. „Ich zieh dich nur auf.“

„Koalaboratöre“, nuschelte der Stammgast undeutlich dazwischen.

Axelrod runzelte die Stirn. „Bitte was?“

„Die sind doch dabei, uns an die Moraner zu verkaufen. Glaubt ihr, diese Fremden überlassen uns ihre Hochtechnologie ohne Hintergedanken? Ihr Schlafschafe. Die HTO baut für die Moraner die Maschinen, die eine schnellere Ausbeutung unseres Planeten ermöglichen. Wir nehmen denen praktisch die Arbeit ab. Warum sollen wir wohl interstellare Reisen unternehmen können? Natürlich nur, um fremde Planeten zu erreichen und noch andere Völker zu uns einladen zu können. Sollen sie doch alle kommen und uns alles wegnehmen. Was haben wir denn bitte davon?“

„Das Transitionstriebwerk“, sagte Axelrod.

„Revolutionäre Technologie“, überlegte Barbie.

„Die Möglichkeit zur Besiedlung fremder Planeten“, zählte Axelrod auf.

„Einen Entwicklungssprung in Wissenschaft und Technik“, ergänzte Barbie. „Neue Handelsmärkte.“

Der Mann sah sie mit großen Augen an. Das war wohl nicht die Antwort, die er gewöhnlich erhielt, wenn er seine markigen Sprüche machte. Er verzog das Gesicht. „Und lauter Fremde, die hier nicht hergehören.“

Axelrod sah seine Freundin an. „Hält der immer solche Reden?“

„Machst du Witze? Ich wusste nicht mal, dass er reden kann.“ Barbie beugte sich über die Theke. „Mach den Kopf zu, du Schnapsnase!“, herrschte sie ihn an. „Oder du kannst in Zukunft woanders trinken.“

Da es in der Nähe keine Alternative zum Snegurotschka gab, war dies eine durchaus ernst zu nehmende Drohung. Der Angesprochene salutierte gehorsam und bettete seinen Kopf wieder auf die Theke.

Die Eingangstür öffnete sich mehrmals hintereinander. Es klang, als sollte sie keine Gelegenheit mehr bekommen, noch einmal ins Schloss zu fallen. Mit einem Mal war das Snegurotschka gerammelt voll. Was bei einem Laden wie diesem irgendwie zweideutig klang. An diesem Tag schien es endlich den ausstehenden Lohn für die letzten Wochen gegeben zu haben, denn es waren viele Gesichter dabei, die man nur einmal im Monat sah. Eben dann, wenn sie gerade Lohn bekommen hatten und noch einen kleinen Teil verjubeln wollten, bevor sie ihre Com mit dem Kontostand zuhause bei ihren Frauen ­vorzeigen mussten. Doch trotz der Griwnas auf ihren Konten, die sie nun verjubeln konnten, sah man keine fröhlichen Gesichter. Viele mochten noch eine kleine Abfindung erhalten haben, aber im Grunde hielten sie ihre letzte Lohnabrechnung in Händen.

Barbie warf einen kurzen Blick auf die Gäste, suchte nach altbekannten Störenfrieden oder nach solchen, die nach Ärger aussahen, um sie von Anfang an im Auge zu behalten.

Ein ehemaliger Vorarbeiter des Kosmodroms Plessezk namens Sascha schob sich an die Bar, grüßte Barbie und die anderen Säufer, warf einen kurzen Blick auf ­Timothej Axelrod und musterte das Angebot an Frauen. Barbie sah, wie es in seinem Kopf arbeitete, ob er sich nicht auch mal wieder eine Frau leisten sollte, aber dann zog seine innere Stimme die Notbremse und rechnete ihm vor, wie viel Schnaps er sich für das Geld leisten konnte. Er drehte sich wieder zur Bar.

Für gewöhnlich schätzte Barbie Männer, die ihre Prioritäten unumstößlich gesetzt hatten und nach ihnen lebten. Aber in diesem Fall befürchtete sie, dass der Kerl in Timothej einen wesentlich günstigeren Zeitvertreib ausgemacht hatte.

„Was hast du die letzten Tage so getrieben“, fragte Sascha, so freundlich wie eine Klapperschlange. Der Vorarbeiter war annähernd zwei Meter groß und besaß mehr Tätowierungen auf seinem kräftigen Körper, als es Schmierereien in einer gleichgroßen Herrentoilette gab.

„Alles Mögliche“, antwortete Axelrod ausweichend. Er wollte ihm nicht von seinem neuen Job bei der HTO erzählen, weil Sascha dies sicher für Prahlerei gehalten hätte. Axelrod wollte nun wirklich nicht in den Verdacht geraten, sich auf Kosten seiner ehemaligen Kollegen lustig zu machen. Nichts lag ihm ferner. Ohnehin würde er sich mittlerweile in derselben Lage wie sie befinden, wenn seine Bewerbung bei der HTO nicht angenommen worden wäre.

„Warst ja lange nicht mehr hier. Dachte, du wärst schon längst nach Kanada abgehauen, zu deinem tollen neuen Job.“ Sascha stieß ihm vertraulich in die Rippen und grinste ihn mit seinem glitzernden Lächeln an, da jeder seiner Vorderzähne mit einem falschen Diamanten besetzt war. Er wusste also bereits Bescheid und hatte dieses Wissen bestimmt auch nicht für sich behalten. „Ich wette, du hast dich bei ein paar der älteren Damen dort beliebt gemacht, um an den Job zu kommen.“ Er zwinkerte seinen Kumpanen zu. „Oder hast du dich auch für die Kerle gebückt?“

„Ich hatte wohl nur Glück“, gab Axelrod abweisend zurück.

„Hey, sei doch nicht gleich beleidigt, ich wollte doch nur plaudern, es muss dir doch nicht peinlich sein“, tat Sascha so, als wolle er ihn beruhigen. „Oder sind wir jetzt etwas Besseres, um sich mit den alten Kollegen zu unterhalten?“

Axelrod hatte gewusst, dass diese Frage früher oder später kommen würde. Es war immer einer der ­beliebtesten Vorwürfe überhaupt, das Totschlagargument, gegen das man nichts einwenden konnte. Er kannte es von vielen Eltern, die wollten, dass ihre Kinder es einmal besser haben sollten und es zu etwas brachten, aber wehe, sie bildeten sich etwas auf ihre Leistung ein. Sascha dagegen benutzte es als reine Provokation, um Axelrod aus der Reserve zu locken. Als Nächstes würde er ihn als Feigling bezeichnen, weil er sich nicht wehrte. Gegen ihn und seine sieben Kumpane, die nur darauf lauerten, eingreifen zu können. Es war ein altbekanntes Spiel, und ­Axelrod war solche Spiele einfach leid.

Barbie behielt unterdessen Saschas Begleitung im Auge, die bereits stark angetrunken waren und sich laut pöbelnd durch das Lokal drängten. Es handelte sich ausschließlich um ehemalige Techniker des Kosmodroms, die noch dabei waren, ihre Kündigung zu verarbeiten.

Barbie konnte den Frust der Männer nachvollziehen und war ihnen gerne behilflich, ihren Kummer im Alkohol zu ertränken oder in den Armen eines Mädchens zu vergessen. Aber sie sah ihre Hauptaufgabe darin, ihre Mädchen zu schützen und die Burschen zur Vernunft zu bringen, bevor es zu einer Schlägerei kam.

„Du sagst ja gar nichts, Herr Chefmechaniker“, höhnte Sascha. Er sprach Axelrod mit seinem alten Titel an, um zu verdeutlichen, dass er ihm nach der Kündigung keinen Respekt mehr schuldig war. Eigentlich dachte Axelrod, dass er sich mit allen Mitarbeitern gut verstanden hatte und sie sich in gegenseitigem Respekt begegnet waren, doch nun musste er erkennen, dass manche von ihnen, wie beispielsweise Sascha, sich wohl nur verstellt hatten und nun endlich die Chance sahen, sich zu rächen. Für was auch immer.

„Aber warum auch, denn schließlich hast du mir ja auch nichts mehr zu sagen.“ Sascha rückte dicht an ­Axelrod heran.

„Ich will hier keinen Ärger“, sagte Barbie mit drohendem Unterton.

„Sonst was?“, fragte Sascha, ohne sich zu ihr umzudrehen. „Bekommen wir Lokalverbot? Wem willst du damit noch drohen?“ Nun wandte er sich doch der Besitzerin des Lokals zu. „Bald wird keiner hier mehr Geld für Alkohol haben, von Frauen ganz zu schweigen. Die meisten von uns werden wegziehen und versuchen, woanders einen Job zu bekommen. Du hast es vielleicht noch nicht begriffen, Barbie, aber die Tage deines Ladens sind ebenfalls gezählt.“

Barbie wich seinem Blick nicht aus. „Damit hast du sicher recht. Aber nichts davon ist die Schuld von ­Timothej. Du wirst überhaupt keinen Schuldigen in diesem Haus finden, da müsstest du ganz woanders suchen. Also gibt es auch keinen Grund, deine Wut an den Leuten hier auszulassen. Die haben alle denselben Kummer wie du.“

Dagegen konnte Sascha nichts einwenden. Allerdings hatte sich bereits zu viel Wut in ihm aufgestaut, um jetzt unverrichteter Dinge den Rückzug anzutreten. Er wollte auch nicht vor seinen Leuten das Gesicht verlieren, denn deren Respekt war das Letzte, was ihm noch geblieben war. Er durfte in dieser Situation nicht nachgeben, lieber würde er den Laden in seine Bestandteile zerlegen.

„Wie wäre es, wenn ich dir und deinen Freunden eine Runde Bier spendiere?“, bot Barbie an. Hätte sie lauter gesprochen, wäre es totenstill im Lokal geworden. ­Barbie hatte noch nie etwas spendiert, es schien vollkommen gegen ihre Geschäftsprinzipien zu verstoßen. Leider beging Sascha den Fehler, dieses großzügige Friedensangebot als Schwäche auszulegen und grinste sie mit unverhohlener Überheblichkeit an. „Mehr ist es dir nicht wert, dass wir gehen?“ Er machte mit lüsternem Gesicht eine Kopfbewegung zum Obergeschoss.

„Du solltest es annehmen, ein besseres Angebot wirst du nicht bekommen“, sagte Axelrod, um seiner Freundin beizustehen. Er wollte diesen betrunkenen Idioten nicht länger wie ein rohes Ei behandeln.

Sascha beugte sich leicht über die Theke. „Ich ­brauche nur mit dem Finger zu schnippen und meine sieben Freunde werden diese Spelunke hier in Schutt und Asche legen.“

Barbie beugte sich ebenfalls vor, bis sich fast ihre Nasenspitzen berührten. „Ich brauche nur meinen Finger um den Abzug unter der Theke zu krümmen und die können in Zukunft als die sieben Zwerge auftreten. Du machst dann das Schneewittchen und liegst im Sarg.“

Ein deutlich vernehmbares Klicken ertönte zwischen ihnen unter der Theke. Sascha sagte nichts, seine Augen zuckten hin und her.

„Haben wir uns verstanden?“, erkundigte sich Barbie. Sascha nickte.

„Du bist nüchtern jederzeit wieder willkommen, aber wenn du noch mal hierherkommst, um Streit anzufangen und anderen den Abend zu verderben, schieße ich dich schon in der Tür über den Haufen. Hast du auch das verstanden?“

Sascha nickte wieder, wagte aber nicht, sich zu bewegen.

„Dann zeig jetzt mal dein schauspielerisches Talent und verabschiede dich. Du kannst deinen Abgang gestalten, wie du möchtest.“ Mit diesen Worten beugte sie sich zurück, beließ aber ihren Arm in der Position unter der Theke.

Sascha richtete sich auf und wölbte seine Brust vor. „Jungs, wir suchen uns einen anderen Platz zum Feiern, hier ist ja nichts los.“ Seine sieben Begleiter unter­brachen sofort ihr rüdes Verhalten und das laute Gegröle. Sie waren eigentlich aus dem Grund gekommen, um etwas loszumachen. Er bemerkte die Irritation seines Gefolges und handelte entsprechend. „Wir fahren jetzt zum Kosmodrom und zeigen denen mal, was geschieht, wenn man gute Leute unverdient vor die Tür setzt.“

Einige Sekunden herrschte Schweigen, dann brach die betrunkene Meute in begeisterten Jubel aus. Die Idee kam so gut an, dass sich ihnen spontan noch einige andere Gäste des Snegurotschka anschlossen. Unter lautstarkem Pläneschmieden zogen sie ab. Barbie und Axelrod sahen ihnen kopfschüttelnd, aber auch erleichtert, nach.

„Trinken wir auf deine Zukunft“, sagte Barbie. „Und dieses Mal nicht mit Kaffee.“

„Dürfen wir mit anstoßen?“, fragte eine Männerstimme von der Seite. Sie drehten sich zur Seite und erkannten Wanja Paljakow, der sich auf dem Hocker neben Axelrod niederließ, ohne die Antwort abzuwarten. Seine Schwester Marina war für Barbie in verschiedenen Geschäftsbereichen des Snegurotschka tätig. Wanja war ein örtlicher Reiseunternehmer, der hauptsächlich davon gelebt hatte, mit seinen drei Reisebussen und einem Mehrpersonengleiter die Techniker zwischen dem Wohnort Mirny und dem Kosmodrom zu befördern. Durch die Schließung drohte nun auch ihm die Pleite. Die Aussicht erzeugte in ihm allerdings keine Wut, sondern nur eine milde Form der Trauer. Es würde ein sentimentaler Abend werden.