Gotthold Ephraim Lessing

Nathan der Weise


Vollständige Ausgabe

Personenverzeichnis

Sultan Saladin  
Sittah dessen Schwester  
Nathan ein reicher Jude in Jerusalem  
Recha dessen angenommene Tochter  
Daja eine Christin, aber in dem Hause des Juden, 
als Gesellschafterin der Recha  
Ein junger Tempelherr  
Ein Derwisch  
Der Patriarch von Jerusalem  
Ein Klosterbruder  
Ein Emir  
nebst verschiednen Mamelucken des Saladin



Die Szene ist in Jerusalem

Erster Aufzug

Erster Auftritt

(Szene: Flur in Nathans Hause.)

Nathan von der Reise kommend. Daja ihm entgegen.

Daja
Er ist es! Nathan! – Gott sei ewig Dank, 
Daß Ihr doch endlich einmal wiederkommt.

Nathan
Ja, Daja; Gott sei Dank! Doch warum  endlich
Hab ich denn eher wiederkommen wollen? 
Und wiederkommen können? Babylon 
Ist von Jerusalem, wie ich den Weg, 
Seitab bald rechts, bald links, zu nehmen bin 
Genötigt worden, gut zweihundert Meilen; 
Und Schulden einkassieren, ist gewiß 
Auch kein Geschäft, das merklich födert, das 
So von der Hand sich schlagen läßt.

Daja .       O Nathan, 
Wie elend, elend hättet Ihr indes 
Hier werden können! Euer Haus ...

Nathan .       Das brannte. 
So hab ich schon vernommen. – Gebe Gott, 
Daß ich nur alles schon vernommen habe!

Daja
Und wäre leicht von Grund aus abgebrannt.

Nathan
Dann, Daja, hätten wir ein neues uns 
Gebaut; und ein bequemeres.

Daja .       Schon wahr! – 
Doch  Recha  wär' bei einem Haare mit 
Verbrannt.

Nathan .       Verbrannt? Wer? meine Recha? sie? – 
Das hab ich nicht gehört. – Nun dann! So hätte 
Ich keines Hauses mehr bedurft. – Verbrannt 
Bei einem Haare! – Ha! sie ist es wohl! 
Ist wirklich wohl verbrannt! – Sag nur heraus! 
Heraus nur! – Töte mich: und martre mich 
Nicht länger. – ja, sie ist verbrannt.

Daja .       Wenn sie 
Es wäre, würdet Ihr von mir es hören?

Nathan
Warum erschreckest du mich denn? – O Recha! 
O meine Recha!

Daja .       Eure? Eure Recha?

Nathan
Wenn ich mich wieder je entwöhnen müßte, 
Dies Kind mein Kind zu nennen!

Daja .       Nennt Ihr alles, 
Was Ihr besitzt, mit ebensoviel Rechte 
Das Eure?

Nathan .       Nichts mit größerm! Alles, was 
Ich sonst besitze, hat Natur und Glück 
Mir zugeteilt. Dies Eigentum allein 
Dank ich der Tugend.

Daja .       O wie teuer laßt 
Ihr Eure Güte, Nathan, mich bezahlen! 
Wenn Güt', in solcher Absicht ausgeübt, 
Noch Güte heißen kann!

Nathan .       In solcher Absicht? 
In welcher?

Daja .       Mein Gewissen ...

Nathan .             Daja, laß 
Vor allen Dingen dir erzählen ...

Daja .       Mein 
Gewissen, sag ich ...

Nathan .       Was in Babylon 
Für einen schönen Stoff ich dir gekauft. 
So reich, und mit Geschmack so reich! Ich bringe 
Für Recha selbst kaum einen schönern mit.

Daja
Was hilft's? Denn mein Gewissen, muß ich Euch 
Nur sagen, läßt sich länger nicht betäuben.

Nathan
Und wie die Spangen, wie die Ohrgehenke, 
Wie Ring und Kette dir gefallen werden, 
Die in Damaskus ich dir ausgesucht: 
Verlanget mich zu sehn.

Daja .       So seid Ihr nun! 
Wenn Ihr nur schenken könnt! nur schenken könnt!

Nathan
Nimm du so gern, als ich dir geb: – und schweig!

Daja
Und schweig! Wer zweifelt, Nathan, daß Ihr nicht 
Die Ehrlichkeit, die Großmut selber seid? 
Und doch ...

Nathan .       Doch bin ich nur ein Jude. – Gelt, 
Das willst du sagen?

Daja .       Was ich sagen will, 
Das wißt Ihr besser.

Nathan .       Nun so schweig!

Daja .             Ich schweige. 
Was Sträfliches vor Gott hierbei geschieht, 
Und ich nicht hindern kann, nicht ändern kann, – 
Nicht kann, – komm' über Euch!

Nathan .       Komm' über mich! – 
Wo aber ist sie denn? wo bleibt sie? – Daja, 
Wenn du mich hintergehst! – Weiß sie es denn, 
Daß ich gekommen bin?

Daja .       Das frag ich Euch! 
Noch zittert ihr der Schreck durch jede Nerve. 
Noch malet Feuer ihre Phantasie 
Zu allem, was sie malt. Im Schlafe wacht, 
Im Wachen schläft ihr Geist: bald weniger 
Als Tier, bald mehr als Engel.

Nathan .       Armes Kind! 
Was sind wir Menschen!

Daja .       Diesen Morgen lag 
Sie lange mit verschloßnem Aug', und war 
Wie tot. Schnell fuhr sie auf, und rief: »Horch! horch! 
Da kommen die Kamele meines Vaters! 
Horch! seine sanfte Stimme selbst!« – Indem 
Brach sich ihr Auge wieder: und ihr Haupt, 
Dem seines Armes Stütze sich entzog, 
Stürzt auf das Kissen. – Ich, zur Pfort' hinaus! 
Und sieh: da kommt Ihr wahrlich! kommt Ihr wahrlich! – 
Was Wunder! ihre ganze Seele war 
Die Zeit her nur bei Euch – und ihm. –

Nathan .       Bei ihm? 
Bei welchem Ihm?

Daja .       Bei ihm, der aus dem Feuer 
Sie rettete.

Nathan .       Wer war das? wer? – Wo ist er? 
Wer rettete mir meine Recha? wer?

Daja
Ein junger Tempelherr, den, wenig Tage 
Zuvor, man hier gefangen eingebracht, 
Und Saladin begnadigt hatte.

Nathan .       Wie? 
Ein Tempelherr, dem Sultan Saladin 
Das Leben ließ? Durch ein geringres Wunder 
War Recha nicht zu retten? Gott!

Daja .       Ohn' ihn, 
Der seinen unvermuteten Gewinst 
Frisch wieder wagte, war es aus mit ihr.

Nathan
Wo ist er, Daja, dieser edle Mann? – 
Wo ist er? Führe mich zu seinen Füßen. 
Ihr gabt ihm doch vors erste, was an Schätzen 
Ich euch gelassen hatte? gabt ihm alles? 
Verspracht ihm mehr? weit mehr?

Daja .       Wie konnten wir?

Nathan
Nicht? nicht?

Daja .       Er kam, und niemand weiß woher. 
Er ging, und niemand weiß wohin. – Ohn' alle 
Des Hauses Kundschaft, nur von seinem Ohr 
Geleitet, drang, mit vorgespreiztem Mantel, 
Er kühn durch Flamm' und Rauch der Stimme nach, 
Die uns um Hilfe rief. Schon hielten wir 
Ihn für verloren, als aus Rauch und Flamme 
Mit eins er vor uns stand, im starken Arm 
Empor sie tragend. Kalt und ungerührt 
Vom Jauchzen unsers Danks, setzt seine Beute 
Er nieder, drängt sich unters Volk und ist 
Verschwunden!

Nathan .       Nicht auf immer, will ich hoffen.

Daja
Nachher die ersten Tage sahen wir 
Ihn untern Palmen auf und nieder wandeln, 
Die dort des Auferstandnen Grab umschatten. 
Ich nahte mich ihm mit Entzücken, dankte, 
Erhob, entbot, beschwor, – nur einmal noch 
Die fromme Kreatur zu sehen, die 
Nicht ruhen könne, bis sie ihren Dank 
Zu seinen Füßen ausgeweinet.

Nathan .       Nun?

Daja
Umsonst! Er war zu unsrer Bitte taub; 
Und goß so bittern Spott auf mich besonders ...

Nathan . Bis dadurch abgeschreckt ...

Daja .       Nichts weniger! 
Ich trat ihn je den Tag von neuem an; 
Ließ jeden Tag von neuem mich verhöhnen. 
Was litt ich nicht von ihm! Was hätt' ich nicht 
Noch gern ertragen! – Aber lange schon 
Kommt er nicht mehr, die Palmen zu besuchen, 
Die unsers Auferstandnen Grab umschatten; 
Und niemand weiß, wo er geblieben ist. 
Ihr staunt? Ihr sinnt?

Nathan .       Ich überdenke mir, 
Was das auf einen Geist, wie Rechas, wohl 
Für Eindruck machen muß. Sich so verschmäht 
Von dem zu finden, den man hochzuschätzen 
Sich so gezwungen fühlt; so weggestoßen, 
Und doch so angezogen werden; – Traun, 
Da müssen Herz und Kopf sich lange zanken, 
Ob Menschenhaß, ob Schwermut siegen soll. 
Oft siegt auch keines; und die Phantasie, 
Die in den Streit sich mengt, macht Schwärmer, 
Bei welchen bald der Kopf das Herz, und bald 
Das Herz den Kopf muß spielen. – Schlimmer Tausch! – 
Das letztere, verkenn ich Recha nicht, 
Ist Rechas Fall: sie schwärmt.

Daja .       Allein so fromm, 
So liebenswürdig!

Nathan .       Ist doch auch geschwärmt!

Daja
Vornehmlich  eine –  Grille, wenn Ihr wollt, 
Ist ihr sehr wert. Es sei ihr Tempelherr 
Kein irdischer und keines irdischen; 
Der Engel einer, deren Schutze sich 
Ihr kleines Herz, von Kindheit auf, so gern 
Vertrauet glaubte, sei aus seiner Wolke, 
In die er sonst verhüllt, auch noch im Feuer, 
Um sie geschwebt, mit eins als Tempelherr 
Hervorgetreten. – Lächelt nicht! – Wer weiß? 
Laßt lächelnd wenigstens ihr einen Wahn, 
In dem sich Jud' und Christ und Muselmann 
Vereinigen; – so einen süßen Wahn!

Nathan
Auch mir so süß! – Geh, wackre Daja, geh; 
Sieh, was sie macht; ob ich sie sprechen kann. – 
Sodann such ich den wilden, launigen 
Schutzengel auf. Und wenn ihm noch beliebt, 
Hienieden unter uns zu wallen; noch 
Beliebt, so ungesittet Ritterschaft 
Zu treiben: find ich ihn gewiß; und bring Ihn her.

Daja
Ihr unternehmet viel.

Nathan .       Macht dann 
Der süße Wahn der süßern Wahrheit Platz: – 
Denn, Daja, glaube mir; dem Menschen ist 
Ein Mensch noch immer lieber, als ein Engel – 
So wirst du doch auf mich, auf mich nicht zürnen, 
Die Engelschwärmerin geheilt zu sehn?

Daja
Ihr seid so gut, und seid zugleich so schlimm! 
Ich geh! – Doch hört! doch seht! – Da kommt sie selbst.


Zweiter Auftritt

Recha und die Vorigen.

Recha
So seid Ihr es doch ganz und gar, mein Vater? 
Ich glaubt', Ihr hättet Eure Stimme nur 
Vorausgeschickt. Wo bleibt Ihr? Was für Berge, 
Für Wüsten, was für Ströme trennen uns 
Denn noch? Ihr atmet Wand an Wand mit ihr, 
Und eilt nicht, Eure Recha zu umarmen? 
Die arme Recha, die indes verbrannte! 
Fast, fast verbrannte! Fast nur. Schaudert nicht! 
Es ist ein garstiger Tod, verbrennen. Oh!

Nathan
Mein Kind! mein liebes Kind!

Recha .       Ihr mußtet über 
Den Euphrat, Tigris, Jordan; über – wer 
Weiß was für Wasser all? – Wie oft hab ich 
Um Euch gezittert, eh' das Feuer mir 
So nahe kam! Denn seit das Feuer mir 
So nahe kam: dünkt mich im Wasser sterben 
Erquickung, Labsal, Rettung, – Doch Ihr seid 
Ja nicht ertrunken: ich, ich bin ja nicht 
Verbrannt. Wie wollen wir uns freun, und Gott, 
Gott loben! Er, er trug Euch und den Nachen 
Auf Flügeln seiner  unsichtbaren  Engel 
Die ungetreuen Ström' hinüber. Er, 
Er winkte meinem Engel, daß er  sichtbar  
Auf seinem weißen Fittiche, mich durch 
Das Feuer trüge –

Nathan .       (Weißem Fittiche! 
Ja, ja! der weiße vorgespreizte Mantel 
Des Tempelherrn.)

Recha .       Er sichtbar, sichtbar mich 
Durchs Feuer trüg', von seinem Fittiche 
Verweht. – Ich also, ich hab einen Engel 
Von Angesicht zu Angesicht gesehn; 
Und  meinen  Engel.

Nathan .       Recha wär' es wert; 
Und würd' an ihm nichts Schönres sehn, als er 
An ihr.

Recha   (lächelnd)
      Wem schmeichelt Ihr, mein Vater? wem? 
Dem Engel, oder Euch?

Nathan .       Doch hätt' auch nur 
Ein Mensch – ein Mensch, wie die Natur sie täglich 
Gewährt, dir diesen Dienst erzeigt: er müßte 
Für dich ein Engel sein. Er müßt' und würde.

Recha
Nicht so ein Engel; nein! ein wirklicher; 
Es war gewiß ein wirklicher! – Habt Ihr, 
Ihr selbst die Möglichkeit, daß Engel sind, 
Daß Gott zum Besten derer, die ihn lieben, 
Auch Wunder könne tun, mich nicht gelehrt? 
Ich lieb ihn ja.

Nathan .       Und er liebt dich; und tut 
Für dich, und deinesgleichen, stündlich Wunder; 
Ja, hat sie schon von aller Ewigkeit 
Für euch getan.

Recha .       Das hör ich gern.

Nathan .             Wie? weil 
Es ganz natürlich, ganz alltäglich klänge, 
Wenn dich ein eigentlicher Tempelherr 
Gerettet hätte: sollt' es darum weniger 
Ein Wunder sein? – Der Wunder höchstes ist, 
Daß uns die wahren, echten Wunder so 
Alltäglich werden können, werden sollen. 
Ohn' dieses allgemeine Wunder, hätte 
Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je 
Genannt, was Kindern bloß so heißen mußte, 
Die gaffend nur das Ungewöhnlichste, 
Das Neuste nur verfolgen.

Daja   (zu Nathan) .       Wollt Ihr denn 
Ihr ohnedem schon überspanntes Hirn 
Durch solcherlei Subtilitäten ganz 
Zersprengen?

Nathan .       Laß mich! – Meiner Recha wär' 
Es Wunders nicht genug, daß sie ein  Mensch  
Gerettet, welchen selbst kein kleines Wunder 
Erst retten müssen? Ja, kein kleines Wunder! 
Denn wer hat schon gehört, daß Saladin 
Je eines Tempelherrn verschont? daß je 
Ein Tempelherr von ihm verschont zu werden 
Verlangt? gehofft? ihm je für seine Freiheit 
Mehr als den ledern Gurt geboten, der 
Sein Eisen schleppt; und höchstens seinen Dolch?

Recha
Das schließt für mich, mein Vater. – Darum eben 
War das kein Tempelherr; er schien es nur. – 
Kömmt kein gefangner Tempelherr je anders 
Als zum gewissen Tode nach Jerusalem; 
Geht keiner in Jerusalem so frei 
Umher: wie hätte mich des Nachts freiwillig 
Denn einer retten können?

Nathan .       Sieh! wie sinnreich. 
Jetzt, Daja, nimm das Wort. Ich hab es ja 
Von dir, daß er gefangen hergeschickt 
Ist worden. Ohne Zweifel weißt du mehr.

Daja
Nun ja. – So sagt man freilich; – doch man sagt 
Zugleich, daß Saladin den Tempelherrn 
Begnadigt, weil er seiner Brüder einem, 
Den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe. 
Doch da es viele zwanzig Jahre her, 
Daß dieser Bruder nicht mehr lebt, – er hieß, 
Ich weiß nicht wie; – er blieb, ich weiß nicht wo: – 
So klingt das ja so gar – so gar unglaublich, 
Daß an der ganzen Sache wohl nichts ist.

Nathan
Ei, Daja! Warum wäre denn das so 
Unglaublich? Doch wohl nicht – wie's wohl geschieht – 
Um lieber etwas noch Unglaublichers 
Zu glauben? – Warum hätte Saladin, 
Der sein Geschwister insgesamt so liebt, 
In jüngern Jahren einen Bruder nicht 
Noch ganz besonders lieben können? – Pflegen 
Sich zwei Gesichter nicht zu ähneln? – Ist 
Ein alter Eindruck ein verlorner? – Wirkt 
Das Nämliche nicht mehr das Nämliche? 
Seit wenn? – Wo steckt hier das Unglaubliche? 
Ei freilich, weise Daja, wär's für dich 
Kein Wunder mehr; und  deine  Wunder nur 
Bedürf ... verdienen, will ich sagen, Glauben.

Daja
Ihr spottet.

Nathan .       Weil du meiner spottest. – Doch 
Auch so noch, Recha, bleibet deine Rettung 
Ein Wunder, dem nur möglich, der die strengsten 
Entschlüsse, die unbändigsten Entwürfe 
Der Könige, sein Spiel – wenn nicht sein Spott – 
Gern an den schwächsten Fäden lenkt.

Recha .       Mein Vater! 
Mein Vater, wenn ich irr, Ihr wißt, ich irre 
Nicht gern.

Nathan .       Vielmehr, du läßt dich gern belehren. 
Sieh! eine Stirn, so oder so gewölbt; 
Der Rücken einer Nase, so vielmehr 
Als so geführet; Augenbraunen, die 
Auf einem scharfen oder stumpfen Knochen 
So oder so sich schlängeln; eine Linie, 
Ein Bug, ein Winkel, eine Falt', ein Mal, 
Ein Nichts, auf eines wilden Europäers 
Gesicht: – und du entkommst dem Feu'r, in Asien! 
Das wär' kein Wunder, wundersücht'ges Volk? 
Warum bemüht ihr denn noch einen Engel?

Daja
Was schadet's – Nathan, wenn ich sprechen darf – 
Bei alledem, von einem Engel lieber 
Als einem Menschen sich gerettet denken? 
Fühlt man der ersten unbegreiflichen 
Ursache seiner Rettung nicht sich so 
Viel näher?

Nathan .       Stolz! und nichts als Stolz! Der Topf 
Von Eisen will mit einer silbern Zange 
Gern aus der Glut gehoben sein, um selbst 
Ein Topf von Silber sich zu dünken. – Pah! – 
Und was es schadet, fragst du? was es schadet? 
Was hilft es? dürft' ich nur hinwieder fragen. – 
Denn dein »Sich Gott um so viel näher fühlen« 
Ist Unsinn oder Gotteslästerung. – 
Allein es schadet; ja, es schadet allerdings. – 
Kommt! hört mir zu. – Nicht wahr? dem Wesen, das 
Dich rettete, – es sei ein Engel oder 
Ein Mensch, – dem möchtet ihr, und du besonders, 
Gern wieder viele große Dienste tun? – 
Nicht wahr? – Nun, einem Engel, was für Dienste, 
Für große Dienste könnt ihr dem wohl tun? 
Ihr könnt ihm danken; zu ihm seufzen, beten; 
Könnt in Entzückung über ihn zerschmelzen; 
Könnt an dem Tage seiner Feier fasten, 
Almosen spenden. – Alles nichts. – Denn mich 
Deucht immer, daß ihr selbst und euer Nächster 
Hierbei weit mehr gewinnt, als er. Er wird 
Nicht fett durch euer Fasten; wird nicht reich 
Durch eure Spenden; wird nicht herrlicher 
Durch eu'r Entzücken; wird nicht mächtiger 
Durch eu'r Vertraun. Nicht wahr? Allein ein Mensch!

Daja
Ei freilich hätt' ein Mensch, etwas für ihn 
Zu tun, uns mehr Gelegenheit verschafft. 
Und Gott weiß, wie bereit wir dazu waren! 
Allein er wollte ja, bedurfte ja 
So völlig nichts; war in sich, mit sich so 
Vergnügsam, als nur Engel sind, nur Engel 
Sein können.

Recha .       Endlich, als er gar verschwand ...

Nathan
Verschwand? – Wie denn verschwand? – Sich untern Palmen 
Nicht ferner sehen ließ? – Wie? oder habt 
Ihr wirklich schon ihn weiter aufgesucht?

Daja
Das nun wohl nicht.

Nathan .       Nicht, Daja? nicht? – Da sieh 
Nun was es schad't! – Grausame Schwärmerinnen! 
Wenn dieser Engel nun – nun krank geworden! ...

Recha
Krank!

Daja .       Krank! Er wird doch nicht!

Recha .             Welch kalter Schauer 
Befällt mich! – Daja! – Meine Stirne, sonst 
So warm, fühl! ist auf einmal Eis.

Nathan .       Er ist 
Ein Franke, dieses Klimas ungewohnt; 
Ist jung; der harten Arbeit seines Standes, 
Des Hungerns, Wachens ungewohnt.

Recha .       Krank! krank!

Daja
Das wäre möglich, meint ja Nathan nur.

Nathan
Nun liegt er da! hat weder Freund, noch Geld 
Sich Freunde zu besolden.

Recha .       Ah, mein Vater!

Nathan
Liegt ohne Wartung, ohne Rat und Zusprach', 
Ein Raub der Schmerzen und des Todes da!

Recha
Wo? wo?

Nathan .       Er, der für eine, die er nie 
Gekannt, gesehn – genug, es war ein Mensch 
Ins Feu'r sich stürzte ...

Daja .       Nathan, schonet ihrer!

Nathan
Der, was er rettete, nicht näher kennen, 
Nicht weiter sehen mocht', – um ihm den Dank 
Zu sparen ...

Daja .       Schonet ihrer, Nathan!

Nathan .             Weiter 
Auch nicht zu sehn verlangt', – es wäre denn, 
Daß er zum zweitenmal es retten sollte – 
Denn g'nug, es ist ein Mensch ...

Daja .       Hört auf, und seht!

Nathan
Der, der hat sterbend sich zu laben, nichts 
Als das Bewußtsein dieser Tat!

Daja .       Hört auf! 
Ihr tötet sie!

Nathan .       Und du hast ihn getötet! – 
Hättst so ihn töten können. – Recha! Recha! 
Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche. 
Er lebt! – komm zu dir! – ist auch wohl nicht krank: 
Nicht einmal krank!

Recha .       Gewiß? – nicht tot? nicht krank?

Nathan
Gewiß, nicht tot! Denn Gott lohnt Gutes, hier 
Getan, auch hier noch. – Geh! – Begreifst du aber, 
Wieviel  andächtig schwärmen  leichter, als 
Gut handeln  ist? wie gern der schlaffste Mensch 
Andächtig schwärmt, um nur, – ist er zu Zeiten 
Sich schon der Absicht deutlich nicht bewußt – 
Um nur gut handeln nicht zu dürfen?

Recha .       Ah, 
Mein Vater! laßt, laßt Eure Recha doch 
Nie wiederum allein! – Nicht wahr, er kann 
Auch wohl verreist nur sein? –

Nathan .       Geht! – Allerdings. – 
Ich seh, dort mustert mit neugier'gem Blick 
Ein Muselmann mir die beladenen 
Kamele. Kennt Ihr ihn?

Daja .       Ha! Euer Derwisch.

Nathan
Wer?

Daja .       Euer Derwisch; Euer Schachgesell!

Nathan
Al-Hafi? das Al-Hafi?

Daja .       Itzt des Sultans 
Schatzmeister.

Nathan .       Wie? Al-Hafi? Träumst du wieder? 
Er ist's! – wahrhaftig, ist's! – kömmt auf uns zu. 
Hinein mit Euch, geschwind! – Was werd ich hören!


Dritter Auftritt

Nathan und der Derwisch.

Derwisch
Reißt nur die Augen auf, so weit Ihr könnt!

Nathan
Bist du's? Bist du es nicht? – In dieser Pracht, 
Ein Derwisch! ...

Derwisch .       Nun? warum denn nicht? Läßt sich 
Aus einem Derwisch denn nichts, gar nichts machen?

Nathan
Ei wohl, genug! – Ich dachte mir nur immer, 
Der Derwisch – so der rechte Derwisch – woll' 
Aus sich nichts machen lassen.

Derwisch .       Beim Propheten 
Daß ich kein rechter bin, mag auch wohl wahr sein. 
Zwar wenn man muß –

Nathan .       Muß! Derwisch! – Derwisch muß? 

Was müßt' er denn?