[1]

[2]Politik und Geschlecht - kompakt

herausgegeben vom Arbeitskreis

Politik und Geschlecht

der Deutschen Vereinigung

für Politische Wissenschaft

Band 2

[3]Gundula Ludwig

Geschlecht, Macht, Staat

Feministische staatstheoretische Interventionen

Verlag Barbara Budrich
Opladen • Berlin • Toronto 2015

[5]Inhalt

Feministische Staatstheorie: Anfänge, Entwicklungen, Ziele – eine Einleitung

I.  Staat und Geschlecht in modernen westlichen Gesellschaften – eine Kontextualisierung

I.1.  Die Erfindung der Geschlechterdifferenz

I.2.  Die Erfindung der Geschlechterdifferenz und die Grenzziehung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit

I.3.  Die Erfindung der Geschlechterdifferenz und die Trennung von Produktion und Reproduktion

I.4.  Die Erfindung der Geschlechterdifferenz und die moderne gesellschaftliche Ordnung

II. Feministische Theoretisierungen des Verhältnisses von Staat und Geschlecht

II.1. Marxistisch-feministische Ansätze

II.2.  Gesellschaftstheoretisch-feministische Ansätze

II.3.  Poststrukturalistisch-feministische Ansätze

III. Elemente feministischer Staatstheorie

III.1.  Der Gesellschaftsvertrag als Geschlechtervertrag

III.2.  Die Genese moderner europäischer Nationalstaaten im Spiegel der Geschlechterdifferenz

III.3.  Geschlecht und Staatsbürgerschaft

III.4.  Geschlecht und Recht

III.5.  Der Mythos des staatlichen Gewaltmonopols

III.6.  Das Geschlecht der Institutionen, Verwaltung und Bürokratie

III.7.  Geschlechterverhältnisse und Wohlfahrtsstaaten

III.8.  Geschlecht und internationale Politik

III.9.  Geschlecht und Bevölkerungspolitik

III.10. Staatsfeminismus

IV. Fazit

Literaturverzeichnis

[6][7]Feministische Staatstheorie: Anfänge, Entwicklungen, Ziele - eine Einleitung

Feministische Auseinandersetzungen mit dem modernen westlichen Staat setzten im Vergleich zu anderen Themenfeldern wie Familie, Körper, Sexualität, Gewalt oder Arbeit in der deutschsprachigen Geschlechterforschung erst relativ spät ein. Dies hat seinen Grund in der engen Verwobenheit von Frauenforschung und autonomer Frauenbewegung in den 1970er und 1980er Jahren. Für die autonome Frauenbewegung stellte der Staat „die Anti-Institution“ dar (Sauer 2004: 113), galt er doch als Inbegriff patriarchaler Herrschaft. Demgegenüber wurden in basisdemokratischen, autonomen Frauengruppen alternative und herrschaftsfreie Formen von Politik erprobt. Die ‚Staatsferne’ der Frauenbewegung verweist somit auf den radikalen Bruch mit bestehenden Formen des Politischen, den die Aktivistinnen der Frauenbewegungen forderten und der auch in dem Slogan Das Private ist politisch zum Ausdruck kommt.

„Die politische Autonomie der neuen Frauenbewegung, wie sie sich Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre herausgebildet hat, besteht weniger in der Separation von Männern als konkreten politischen Akteuren als in der Autonomie gegenüber bestimmten Politikkonzepten und Organisationsformen, die in der Tradition patriarchaler Politik entwickelt wurden“ (Kontos 1990: 50).

Zugleich lässt das fehlende Interesse an einer Auseinandersetzung mit dem Staat und staatlichen Formen von Politik Rückschlüsse auf die damaligen politischen Kräfteverhältnisse zu: In einer Zeit, in der Frauen weder in politischen Institutionen repräsentiert waren noch als aktive politische Subjekte galten und in der Frauenunterdrückung und Geschlechterungleichheit explizit durch staatliche Politiken abgesichert wurden, war es nicht weiter verwunderlich, dass der Staat nicht als relevanter Akteur im Kampf gegen Geschlechterherrschaft gesehen wurde.

Ein weiterer Grund für die anfängliche Abwesenheit feministischer Analysen des modernen westlichen Staates lag in der Schwerpunktsetzung feministischer Kämpfe und Forschung: Als wesentliches Thema kristallisierte sich die Auseinandersetzung mit ökonomischen Herrschafts- und Ausbeutungsformen und daraus folgend die Kritik an der herrschenden patriarchalen Definition von Arbeit heraus. Als Konsequenz stellte vor allem die marxistische Theorie eine wesentliche Referenzfolie für die Frauenforschung dar, deren Kritik an der kapitalistischen Organisation der Gesellschaft feministisch erweitert wurde. In jenen marxistischen Arbeiten, die zu Beginn der Frauenbewegung und -forschung als Anknüpfungspunkt dienten, galt der Staat als mit dem Gewaltmonopol ausgestattete Zentrale kapitalistischer Herrschaft, dem bis in die 1980er Jahre wenig theoretisches Interesse zukam. Analog dazu richtete sich auch der Fokus feministischer Analysen und[8] Kritik in den Anfängen der Frauenbewegung und -forschung nicht auf den Staat. Er wurde als juridischer Apparat zur Aufrechterhaltung geschlechtlicher Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse gefasst – mit ihm war keine Politik zu machen; über ihn keine Forschung zu betreiben.

Erst im Laufe der 1980er Jahre begannen Feministinnen, sich der Frage zu nähern, wie der moderne westliche Staat mit Geschlecht verwoben ist. Diese Bewegung hin zum Staat wurde nicht zuletzt dadurch angetrieben, dass Aktivistinnen der Frauenbewegung sowohl in den Universitäten als auch in der staatlichen Politik den Gang durch die Institutionen antraten. Dies hatte einschneidende Veränderungen zur Folge: Zahlreiche Reformen in der Familien-, Sozial- und Arbeitspolitik sowie im Bereich des Gewaltschutzes ab Ende der 1980er Jahre führten dazu, dass der Staat vermehrt auch als ein mögliches Interventionsfeld auf dem Weg zu mehr Geschlechtergleichheit gesehen wurde. Als Konsequenz daraus erlangte der Staat für feministische (Politik-)Wissenschaftler_innen Relevanz: Erste systematische Analysen zum geschlechtlichen Subtext des Staates wurden durchgeführt, um das Verhältnis von Staat und Geschlecht theoretisch und empirisch zu durchdringen, aber auch, um Möglichkeiten und Begrenzungen feministischer Interventionen einschätzen zu können.

Die Ausgangsannahme feministischer staatstheoretischer Interventionen in den politikwissenschaftlichen main- und malestream lässt sich mit Nancy Fraser wie folgt auf den Punkt bringen: „Die Geschlechterherrschaft ist sozial allgegenwärtig; wie Dachziegel ist sie mit der politischen Ökonomie und mit der politischen Kultur, mit dem Staatsapparat und mit der öffentlichen Sphäre verfugt“ (Fraser 1993: 147). Während die maskulinistischen Staatstheorien des male- und mainstream der Politikwissenschaft den Staat als geschlechtsneutral konzipieren, besteht das Anliegen feministischer Staatstheorie gerade darin, dessen Vergeschlechtlichung sichtbar zu machen. Ziel feministischer Staatstheorie ist somit eine „methodische Inversion“ (Kreisky 1992: 55), um zu zeigen, auf welche vielfältigen Weisen Geschlecht in staatlichen Institutionen sedimentiert ist (vgl. Kreisky 1997: 166).

Der Eintritt feministischer Forschung in den malestream der deutschsprachigen Politikwissenschaft gestaltete sich keineswegs als einfach. Diese erwies sich im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen als besonders resistent (vgl. Kreisky/Sauer 1995: 9; Kreisky 2004; Rosenberger 1997). Dies liegt zum einem an dem dem mainstream der Disziplin inhärenten Mythos, dass die Gegenstände der Politikwissenschaft wie etwa Staat, Politik und Demokratie geschlechtsneutral seien. Zum anderen führten männerbündische Strukturen nicht nur dazu, dass Frauen als Forscherinnen, sondern auch Themen der Frauen- und Geschlechterforschung lange Zeit aus dem main- und malestream der Politikwissenschaft ausgeschlossen blieben.

[9]Trotz dieser Anfangshürden liegt mittlerweile eine große Bandbreite an feministischen staatstheoretischen Arbeiten vor. Von einer „black box“, wie Birgit Seemann (1996: 20) das Themenfeld der feministischen Staatstheorie noch 1996 bezeichnete, kann heute keine Rede mehr sein. Das vorliegende Buch möchte grundlegende Theoriestränge und Konzepte feministischer Staatstheorie vorstellen, die sich mit der Vergeschlechtlichung moderner westlicher Staaten auseinandersetzen. Um zu verdeutlichen, dass sich der moderne westliche Staat ohne das moderne westliche Verständnis von Geschlecht und Geschlechterdifferenz sowie ohne ein heteronormatives, bürgerliches Geschlechterregime nicht auf diese Weise herausbilden hätte können, werden im ersten Teil drei wichtige gesellschaftliche Veränderungen im Übergang zur Moderne skizziert: die Herausbildung des Geschlechter- und Sexualitätsdispositivs, die Entstehung der vergeschlechtlichten Grenzziehung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit und die Durchsetzung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Im anschließenden zweiten Teil werden verschiedene Ansätze der Theoretisierung von Staat und Geschlecht und dem Verhältnis der beiden dargelegt. Hier werden zentrale Ansätze aus der marxistisch-feministischen, gesellschaftstheoretisch-feministischen und poststrukturalistisch-feministischen Werkzeugkiste in ihren Grundzügen ebenso wie in ihren politischen Konsequenzen dargestellt. Im dritten Teil werden einzelne Themenfelder feministischer Staatstheorie vorgestellt. Sowohl frühe feministische Arbeiten als auch gegenwärtige Diskussionen zu den jeweiligen Themenbereichen, die zunehmend Intersektionalitätsansätze und queer-feministische Einsichten berücksichtigen, werden in diesem Kontext besprochen.

Ziel des Buches ist es, die vielfältigen Zugänge in den Theoretisierungen und in den Konzepten aufzuzeigen, die die Vergeschlechtlichung moderner westlicher Staaten aus einer feministischen Perspektive erklären möchten. Ich werde insbesondere auf Analysen des deutschen Staates und des österreichischen Staates und auf deutschsprachige Diskussionen fokussieren. Das Buch will zeigen, dass trotz der Heterogenität der Zugänge alle feministischen staatstheoretischen Arbeiten von dem politischen Interesse getragen sind, durch das Aufzeigen der Vergeschlechtlichung des modernen westlichen Staates hegemoniale ‚Wahrheiten‘ aufzubrechen und sichtbar zu machen, dass der moderne westliche Staat auf ungleichen Geschlechterverhältnissen beruht und wesentlich daran beteiligt ist, geschlechtliche Ausbeutungs-, Gewalt- und Ungleichheitsverhältnisse zu ermöglichen und zu legitimieren.

Die Arbeit an diesem Buch war eingebettet in feministisch-staatstheoretische Diskussionszusammenhänge am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Allen Kolleg_innen sei an dieser Stelle nicht nur für ihre Anregungen und für spannende Diskussionen gedankt, sondern auch für ihre Beharrlichkeit, die feministische Politikwissenschaft weiter voranzutreiben und auf diese Weise dazu beizutragen, geschlechtliche Macht- und [10]Herrschaftsverhältnisse zu politisieren. Den Sprecherinnen des Arbeitskreises für Politik und Geschlecht, die dieses Amt von 2010 bis 2012 bzw. von 2012 bis 2014 inne hatten, danke ich für die Ermöglichung des Buches. Barbara Budrich und Miriam von Maydell danke ich für die gute Zusammenarbeit. Nicola Sekler danke ich für das sorgfältige Lektorat.