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Libertalia

Daniel Defoe

LIBERTALIA

D I EU T O P I S C H EP I R A T E N R E P U B L I K

aus der Allgemeinen Geschichte der Piraten
zusammen mit den Piratensatzungen
der Kapitäne Roberts, Lowther und Phillips

in deutscher Erstausgabe

sowie Die Beschreibung der Regierung,
Gewohnheiten und Lebensart der Seeräuber
auf Madagaskar
von JACOB DE BUCQOUY

Übersetzt von
David Meienreis und Arne Braun

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Herausgegeben und eingeleitet
von Helge Meves

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Inhalt

Texte über Libertalia

Daniel Defoe. Eine Allgemeine Geschichte der Piraten

Jacob de Bucquoy. Sechzehnjährige Reise nach Indien

Kommentar und Anmerkungen zu Libertalia

Nachwort: Wege nach Libertalia

Eine Insel im tosenden Meer

Träume vom Nirgendwo und Spuren einer besseren Welt

Freiheit und Gleichheit Erzählen

Zu den Quellen Libertalias, zu Übersetzung und Rezeptionsgeschichte

Eine anonyme Legende

Libertalias gleißendes Licht. Zur Rezeptionsgeschichte

Wegweiser zu neueren Debatten

Erläuterungen zu den Texten und Nachweise zum Kommentar

Auswahlbibliografie zu Libertalia

Texte über

L I B E R T A L I A

Eine allgemeine
Geschichte der

PIRATEN

M I T
den beachtlichen Taten und Abenteuern
des Kapitäns Misson und des Kapitäns Tew

nach der Ausgabe A General History of the Pyrates
von Manuel Schonhorn, Dover Publications Inc.,
Mineapolis / New York, 1972, 2nd edition, 1999

DANIEL DEFOE

übersetzt von David Meienreis

KAPITEL 1

Über Kapitän Misson

Wir können das Leben dieses Edelmanns mit einiger Ausführlichkeit beschreiben, denn durch großen Zufall haben wir das Glück, in unseren Händen ein französisches Manuskript zu halten, in dem er selbst seine Handlungen in reichem Detail schildert. Er wurde in der Provence als Sohn einer altehrwürdigen Familie geboren; sein Vater, dessen wahren Namen er nicht preisgibt, verfügte über ein beträchtliches Vermögen. Da er aber viele Kinder hatte, konnte unser Streuner nur auf die Reichtümer hoffen, die er sich selbst mit seinem Schwerte zu erobern vermochte. Seine Eltern sorgten dafür, dass er eine seinem Stande gemäße Ausbildung erhielt. Nachdem er sich in den Fächern des Geistes und der Logik bewährt hatte und weidlich in der Mathematik bewandert war, schickten sie ihn im Alter von 15 Jahren auf die Universität zu Angers, wo er ein Jahr lang dem Studium nachging. Im Anschluss an seine Heimkehr sah sein Vater ihn schon bei den Musketieren mittun, aber ihn zog es in die Ferne. Tief beeindruckt von den Erzählungen, die er in Reiseberichten gelesen hatte, wählte er ein Leben zur See, das ihm reiche Abwechslung und Gelegenheit bieten sollte, seine Neugierde auf ferne Länder zu stillen. Als diese Entscheidung gefallen war, schickte sein Vater ihn mit einem Empfehlungsschreiben und allem, was er brauchte, als Volontär an Bord der Victoire, die unter dem Kommando seines Verwandten Monsieur Fourbin stand. Der Empfang an Bord durch den Kapitän verlief mit dem denkbar größten Respekt. Das Schiff lag in Marseille und sollte auf Missons Ankunft hin in See stoßen. Nichts hätte den Wünschen unseres Volontärs besser entsprechen können als diese Kreuzfahrt, auf der er die bekanntesten Häfen des Mittelmeers kennenlernte und Einsicht in die praktischen Aspekte der Navigation erlangen konnte. Er gewann dieses Leben lieb und war entschlossen, ein vollwertiger Seemann zu werden, weshalb er immer unter den Ersten auf der Rahe anzutreffen war, wenn die Segel gehisst oder eingeholt werden mussten, und er lernte begierig die verschiedenen Methoden, ein Schiff zu manövrieren. Er sprach von nichts anderem und besuchte den Bootsmann und den Schiffszimmermann oft in ihren Kajüten, um sich erklären zu lassen, aus welchen Teilen der Schiffsrumpf bestehe und wie man ein Schiff auftakele, und dafür entlohnte er sie großzügig. Und obwohl er einen Großteil seiner Zeit mit diesen beiden Offizieren verbrachte, benahm er sich mit solcher Zurückhaltung, dass sie nie versuchten, mit ihm vertraulich zu werden, sondern ihm stets den Respekt zollten, der seiner Familie gebührte. Als das Schiff in Neapel vor Anker lag, erhielt er von seinem Kapitän Erlaubnis, nach Rom zu fahren, das er unbedingt besuchen wollte. Auf diesen Zeitpunkt können wir den Beginn seines Unglücks festlegen. Denn dort wurde er des ausschweifenden Lebens des Klerus (das sich so deutlich von der Strenge der französischen Ecclesiasten unterscheidet) ansichtig, des Luxus des päpstlichen Hofes und des Umstands, dass sich in der Metropole der christlichen Kirche lediglich die Hülle der Religion finden ließ. Er schloss für sich, dass die Religion nichts als eine Fessel für den Geist der Schwachen sei, der sich die Klugen nur dem Schein nach unterwerfen.

Diese Ansichten, die von der Religion wie von ihm selbst ein unvorteilhaftes Bild zeichnen, wurden noch stark gefestigt, als er mit einem durchtriebenen Priester Bekanntschaft machte, der bei seiner Ankunft durch reinen Zufall als sein Beichtvater zu ihm stieß und später seine rechte Hand und sein Gefährte werden sollte, denn er blieb bis zu seinem Tod an seiner Seite. Eines Tages, als die Gelegenheit sich bot, legte er Misson dar, dass das religiöse Leben ein sehr gutes sei, wenn ein Mann über einen gewitzten Unternehmergeist und Freunde verfügte. Denn ein solcher könne in der Kirche binnen kurzer Zeit zu einem hohen Rang aufsteigen, wie ihn alle, die sich freiwillig die Priesterrobe überstreiften, einzig und allein anstrebten. Der Kirchenstaat werde ferner nach denselben Prinzipien geführt wie die weltlichen Freistädte und Königtümer; und belohnt werde einzig, was Vorteil bringe, nicht etwa, was fromm oder tugendhaft sei. Ein gelehrter oder frommer Mann könne sich im Patrimonium des Heiligen Petrus nicht mehr Hoffnungen machen als in jedweder anderen Monarchie, ja eigentlich weniger. Und wenn er als solcher bekannt sei, würde er als Visionär gebrandmarkt, der zu Ämtern nicht geeignet sei, als einer, dessen moralische Vorbehalte sich als hinderlich erweisen könnten, denn der Ausspruch sei wahr, dass Religion und Politik nicht unter demselben Dach hausen können. Was unsere Würdenträger angeht, glaube nicht, dass ihre purpurnen Gewänder sie zu weniger gerissenen Staatsmännern machen als die jeder anderen Nation; sie kennen und verfolgen die ragion di stato (was so viel heißt wie Eigennutz) mit ebenso viel List und so wenig Gewissen wie jeder beliebige Weltliche und sind ebenso kunstfertig, wo es Kunst braucht, und ebenso unverschämt und dreist in der Unterdrückung der Menschen und der Bereicherung ihrer Familien, sobald ihre Macht es ihnen erlaubt. Was ihre Moral ist, liest du am besten an den Gewohnheiten ihres Lebens ab, und was sie von der Religion halten aus dem Ausspruch eines gewissen Kardinals, Quantum lucrum ex ista fabula Christi! – was viele von ihnen verkünden könnten, wenn sie nicht zu schlau wären, es herauszuposaunen. Was mich angeht, so bin ich die Farce leid und schiele nach der nächsten Gelegenheit, um die Maskerade dieser Priesterrobe abzuwerfen. Denn aufgrund meines Alters muss ich noch lange Zeit in untergebener Stellung dienen. Und bevor ich in den Stand aufzurücken vermag, der einen Teil dieser Leute Beute verheißt, werde ich zu alt sein, um die Reize des Luxus noch genießen zu können. Als Gegner der Zurückhaltung fürchte ich, meine Rolle niemals glaubhaft spielen zu können. Nie werde ich für das Theater der Scheinheiligkeit genug Kunstfertigkeit aufbringen, um einen respektablen Posten in der Kirche zu erlangen. Meine Eltern haben sich um meine Begabung nicht geschert, sonst hätten sie mir ein Schwert statt dieses rosenkranzes gegeben.

Misson riet ihm, sich ihm als Volontär anzuschließen, und bot ihm Geld an, um Kleider zu erwerben. Der Priester nahm dies Angebot begierig an, und Misson erreichte ein Brief von seinem Kapitän mit der Mitteilung, dass er auf dem Weg nach Leghorn sei und es Misson überlassen sei, nach Neapel zurückzukommen oder auf dem Landweg gen Leghorn zu ziehen. Er entschied sich für das Letztere, und der Dominikaner, den er mit Geld ausgestattet hatte, kleidete sich stattlich ein, warf die Priesterkutte ab und fuhr zwei Tage vor Misson los, um in Pisa auf ihn zu warten. Von dort reisten sie gemeinsam nach Leghorn, wo die Victoire vor Anker lag, und Seignior Caraccioli wurde auf Empfehlung seines Freundes hin an Bord in Empfang genommen. Zwei Tage später legten sie ab, und nach einer Woche auf See stießen sie auf zwei maurische Schiffe, das eine mit zwanzig, das andere mit vierundzwanzig Kanonen an Bord. Die Victoire verfügte nur über dreißig Geschütze, obwohl sie Schotten für vierzig besaß. Das Gefecht war lang und blutig, denn die Sally-Men hegten Hoffnungen, die Victoire zu erbeuten; auf der anderen Seite aber stand Kapitän Fourbin nichts ferner, als sich einnehmen zu lassen, und er war entschlossen, seine Gegner zu kapern oder sein Schiff zu versenken. Eines der maurischen Schiffe wurde von einem spanischen Renegaten kommandiert (obschon der nur den Grad eines Leutnants besaß), dieser Kapitän war ein junger Mann und in der Seefahrt kaum bewandert.

Sein Schiff hieß die Lyon, und er versuchte mehr als einmal, die Victoire zu entern; aber ein zielsicherer Treffer ins Freibord zwang ihn abzudrehen. Indem er seine Kanonen und alles bewegliche Gut auf die andere Bordseite befördern ließ, hoffte er, das Schiff in Schräglage zu bringen und so das Eindringen von Wasser durch das Leck zu unterbinden. Dies Manöver wurde mit solch übereilter Hast erledigt, dass das Schiff kenterte und alle Seelen verloren gingen. Sein Begleiter sah dies, ließ alle Segel setzen und versuchte zu entkommen. Aber die Victoire überholte ihn und zwang ihn erneut in den Kampf, den die Mauren mit großer Hartnäckigkeit wieder aufnahmen, sodass Kapitän Fourbin die Hoffnung aufgab, sie zu überwältigen, ohne sie zu entern; und so ließ er Vorbereitungen dazu treffen. Kaum hatte er das Kommando zum Entern gegeben, waren Seignior Caraccioli und Misson als Erste an Bord, aber sie und ihre Kameraden wurden von den verzweifelten Mauren zurückgeschlagen. Caraccioli erhielt einen Schuss ins Bein und wurde zum Schiffsarzt hinuntergebracht. Das Entern gelang der Victoire beim zweiten Anlauf, und die Mauren verteidigten ihre Decks mit solcher Entschlossenheit, dass sie unter den Leichen ihrer Kameraden und Gegner versanken. Als Misson einen von ihnen mit einem brennenden Zündholz das Hauptluk hinunterspringen sah, erriet er dessen Vorhaben, jagte ihm kurz entschlossen nach, erwischte ihn mit seinem Säbel und streckte ihn nieder, just als der das Pulver anstecken wollte. Die Victoire brachte mehr Männer an Deck, und da sahen die Mohammedaner die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage ein; sie zogen sich von den Decks in die Kombüse, aufs Zwischendeck und in ihre Kammern zurück, manche auch in die Lagerdecks. Die Franzosen boten ihnen Quartier und führten die Gefangenen an Bord der Victoire. Ihre Beute war kaum der Rede wert, sie brachten aber fünfzehn christlichen Sklaven die Freiheit; das Schiff wurde in den Hafen von Leghorn geschleppt und zusammen mit den Gefangenen verkauft. Die Türken verloren viele Männer, die Franzosen nicht mehr als fünfunddreißig beim Entern, aber nur wenige während der Schlacht, weil die Türken in der Hoffnung, das Schiff manövrierunfähig zu machen und dann einzunehmen, mit ihren Kanonen auf die Masten und die Takelage gezielt hatten. Da die kurze Zeit ihrer Kreuzfahrt vorüber war, kehrte die Victoire nach Marseille zurück, von wo aus Misson den Gefährten auf einen Besuch bei seinen Eltern mitnahm, für die ihm der Kapitän einen sehr vorteilhaften Bericht über seinen Mut und sein Benehmen überreichte. Er war wohl einen Monat zu Hause, da schrieb ihm sein Kapitän, dass sein Schiff nach La Rochelle beordert worden sei, von wo sie mit einigen Handelsschiffen nach Westindien segeln sollten. Das kam Misson und Seignior Caraccioli sehr entgegen, und sie brachen unmittelbar nach Marseille auf. Die Stadt ist militärisch gut geschützt, beheimatet vier Pfarrkirchen, und die Anzahl ihrer Einwohner wird auf 120 000 geschätzt. Der Hafen gilt als einer der sichersten im Mittelmeer und dient üblicherweise als Heimathafen der französischen Galeeren.

Sie verließen die Stadt mit Kurs auf La Rochelle, wo die Victoire ins Dock ging, da die Handelsschiffe noch bei Weitem nicht bereit waren. Misson, dem es nicht behagte, so lange Zeit untätig zu bleiben, schlug seinem Freund vor, an Bord der Triumph zu kreuzen, die auf dem Weg in den Englischen Kanal war; der Italiener stimmte dem Vorschlag bereitwillig zu.

Zwischen der Guernsey-Insel und Start Point stießen sie auf die Mayflower unter dem Kommando von Kapitän Balladine, ein Handelsschiff mit achtzehn Kanonen, reich beladen und auf dem Heimweg von Jamaika. Der Kapitän der Engländer bot mutigen Widerstand und verteidigte sein Schiff so lange, dass die Franzosen es nicht in einen Hafen schleppen konnten, weshalb sie sich mit dem Geld und den wertvollsten Gegenständen begnügten, die sie aus ihm zutage fördern konnten. Da das Schiff mehr Wasser aufnahm, als die Pumpen wieder abführen konnten, gingen die Engländer von Bord und sahen ihr Schiff in weniger als einer Stunde untergehen. Monsieur le Blanc, der französische Kapitän, empfing Kapitän Balladine äußerst zuvorkommend und ließ nicht zu, dass er oder seine Mannschaft geplündert würden. Denn, so erklärte er, nur Feiglinge sollten so behandelt werden; tapfere Männer sollten ihresgleichen als Brüder behandeln, auch wenn sie Gegner seien; und es sei eine Rache, die nur von Feiglingen begangen werde, einen edlen Mann, der seine Pflicht tut, übel zu behandeln. Er befahl, dass die Gefangenen ihre Truhen behalten dürften, und als einige seiner Männer daraufhin murrten, erinnerte er sie an die Großherzigkeit des Monarchen, dem sie dienten. Sie seien weder Piraten noch Freibeuter, und als tapfere Männer sollten sie ihren Gegnern ein Beispiel geben, dem diese gern folgten. Und ihre Gefangenen sollten sie so behandeln, wie sie selbst behandelt werden wollten.

Sie segelten den Englischen Kanal hinauf bis nach Beachy Head und trafen auf der Rückfahrt auf drei Schiffe mit je fünfzig Kanonen, die die Verfolgung der Triumph aufnahmen. Aber da letztere ein hervorragendes Segelschiff war, entkamen sie ihnen nach dreieinhalbstündiger Jagd und waren schon gut unterwegs nach Land’s End. Hier kreuzten sie acht Tage lang, umrundeten dann Kap Cornwall, fuhren den Kanal von Bristol bis in die Nähe von Nash Point hinauf und brachten ein kleines Schiff auf, das aus Barbados kam. Auf dem weiteren Weg in nördlicher Richtung jagten sie einem Schiff hinterher, das sie am Abend erspähten, verloren es aber in der Nacht. Die Triumph nahm dann Kurs auf Milford, und als sie in der Ferne ein Segel entdeckten, versuchte der Kapitän, das dazugehörige Schiff vom Land abzuschneiden, aber das gelang nicht. Obwohl sie ihm rasch gefolgt waren, erreichte das andere Schiff sicher den Hafen und wäre ohne Zweifel eingenommen worden, hätte die Jagd noch etwas länger gedauert.

Kapitän Balladine griff zum Fernrohr und verkündete, es sei die Port Royal, ein Schiff aus Bristol, das von Jamaika aus mit ihm und im Geleit der Charles in See gestochen sei. Unsere Seemänner kehrten sodann zu ihrer eigenen Küste zurück, um ihre Beute in Brest zu verkaufen, wo sie auf seinen Wunsch hin auch Kapitän Balladine absetzten. Monsieur le Blanc machte ihm zum Abschied vierzig Louis zum Geschenk, damit er sich versorgen könne, und seine Mannschaft ließ man ebenfalls gehen.

In der Hafeneinfahrt lief die Triumph auf einen Fels, der ihr aber keinen Schaden zufügte. Diese Goulet getaufte Einfahrt ist wegen der vielen Felsen gefährlich, die rechts und links unter Wasser liegen, obgleich der Hafen selbst als der beste Frankreichs bekannt ist. Die Hafenmündung wird von einer starken Bastei beschützt, die Stadt ist gut befestigt und bietet zu ihrer weiteren Verteidigung eine recht mächtige Zitadelle auf. Die Engländer versuchten 1694 einen Angriff auf die Stadt, blieben aber erfolglos und verloren ihren General und zahlreiche Männer. Von dort kehrte die Triumph nach La Rochelle zurück, und einen Monat später liefen unsere Volontäre, die an Bord der Victoire gegangen waren, in Richtung Martinique und Guadeloupe aus. Auf ihrer Fahrt begegneten sie nichts, was der Erwähnung wert wäre.

Ich will nur anbringen, dass Seignior Caraccioli, der ebenso ehrgeizig wie unreligiös war, aus Misson zu dieser Zeit bereits einen vollständigen Deisten gemacht und ihn so überzeugt hatte, dass alle Religion nichts als menschliche Politik sei. Er hatte ihm dargelegt, dass das mosaische Gesetz nur beschreibe, was für den Erhalt und die Regierung der Menschen nötig sei. Zum Beispiel, sagte er, haben die Neger nie von der Einrichtung der Beschneidung gehört, von der ja gesagt wird, dass sie ein Zeichen des Vertrags zwischen Gott und den Menschen sei; und trotzdem beschneiden sie ihre Kinder, und zwar zweifellos aus demselben Grunde, wie es auch die Juden und andere Nationen tun, die in südlichen Gefilden leben, denn die Vorhaut umschließt verbrauchte Stoffe, was tödliche Folgen haben kann. Kurz gesagt ging er alle Zeremonien der jüdischen, christlichen und mohammedanischen Religion durch und überzeugte Misson, dass sie, wie man an der Absurdität vieler von ihnen erkennen könne, alles andere als das Werk göttlich inspirierter Menschen seien; dass Moses in seiner Wiedergabe der Schöpfungsgeschichte einige bekannte Patzer unterlaufen und dass die Wunder sowohl des Alten wie des Neuen Testaments mit der Logik nicht in Einklang zu bringen seien. Er erklärte, Gott habe uns seinen Segen gegeben, für unser gegenwärtiges und zukünftiges Glück zu sorgen, und alles, was diesem zuwiderlaufe, müsse trotz der akademischen Unterscheidung zwischen Dingen, die sich dem menschlichen Verstand widersetzten, und denen, die sich ihm entzögen, falsch sein. Die Logik lehre uns, dass es eine erste Ursache aller Dinge gebe, ein Ens Entium, das wir Gott nennen, und unser Verstand lege auch nahe, dass es zeitlos und als Urheber aller makellosen Dinge unendlich makellos sein müsse. Wenn dem so sei, dann könne es von keinen Leidenschaften getrieben werden und sich ebenso wenig der Liebe hingeben wie dem Hass. Es müsse in Ewigkeit gleich bleiben und könne nicht heute unbedacht tun, was es morgen bereue. Es müsse vollständig glücklich sein, und daher könne seinem Zustand zeitloser Seelenruhe nichts hinzugefügt werden. Und obgleich es uns gut anstehe, es anzubeten, könnten unsere Huldigungen seine Glückseligkeit ebenso wenig steigern, wie unsere Sünden sie vermindern können.

Aber die Argumente, die er ihm darlegte, sind zu lang und zu gefährlich, um sie zu übertragen. Und da sie mit großer Raffinesse konstruiert waren, könnten sie schwachen Menschen, die ihre Fehlerhaftigkeit nicht zu erkennen vermögen, Schaden zufügen. Oder diese Leser könnten in ihnen ihre Neigungen erkennen und freudig das Joch der christlichen Religion abwerfen, die ihren Leidenschaften scheuernde Zügel anlegt. Sie würden sich nicht die Mühe machen, sie bis zum Grunde zu durchdenken, sondern stattdessen dem nachgeben, was ihnen entgegenkommt, und sich freuen, eine Entschuldigung für ihr Gewissen gefunden zu haben. Da aber seine Meinung über ein zukünftiges Dasein nichts enthält, was die christliche Religion beleidigen könnte, will ich sie in wenigen Worten darlegen.

Die Verstandesfähigkeit, die wir in uns vorfinden, sagte er, nennen wir die Seele. Was diese Seele aber ist, wissen wir nicht zu sagen. Sie mag mit dem Leibe sterben oder sie mag überleben. Ich bin der Meinung, dass sie unsterblich ist. Aber ich bin vor ein Rätsel gestellt, wenn ich sagen soll, ob diese Meinung ein Diktat des Verstandes ist oder nur ein Vorurteil der Erziehung. Wenn sie unsterblich ist, muss sie eine Äußerung des Göttlichen Wesens sein, und deshalb muss sie, sobald sie vom Körper getrennt wird, zu ihrem ersten Prinzip zurückkehren, sofern sie nicht verunreinigt ist. Nun sagt mir mein Verstand: Falls sie sich von ihrem ersten Prinzip, das die Gottheit ist, entfremdet hat, dann können alle Höllen, die der Mensch erfunden hat, nicht solche Foltern bereithalten, wie sie diese Strafe darstellt.

Da er derlei Vorträge privat auch der Mannschaft vortrug, hatte er eine Reihe Anhänger um sich geschart, die ihn als neuen Propheten ansahen, der auferstanden sei, um die Verfehlungen der Religion zu reformieren. Und da viele von ihnen aus La Rochelle stammten und daher noch vom Calvinismus beeinflusst waren, nahmen sie seine Lehre umso bereitwilliger auf. Als er die Wirkung seiner Argumente über die Religion wahrnahm, fiel er über die Regierung her und zeigte, dass jeder Mensch frei geboren sei und auf die Dinge, die er zum Leben brauche, ebenso viel Recht habe wie auf die Luft zum Atmen. Dem zu widersprechen heiße, die Gottheit der Grausamkeit und Ungerechtigkeit zu zeihen, denn sie schicke keinen Menschen auf die Welt, um ein Leben in Not zu fristen und des Notwendigsten jämmerlich zu entbehren. Der gewaltige Unterschied zwischen einem Mann und dem nächsten, von denen der eine in Luxus schwelge und der andere peinigende Not leide, sei nur der Habgier und dem Ehrgeiz des einen und der mutlosen Unterwerfung des anderen geschuldet. Ursprünglich habe es nur eine natürliche, eine väterliche Regierung gegeben; jeder Vater sei das Oberhaupt, der Prinzipal und der Monarch seiner Familie gewesen, und Gehorsam diesem gegenüber sei ebenso gerecht wie leicht gewesen, denn ein Vater hegte zärtliches Mitgefühl für seine Kinder. Aber Schritt für Schritt habe sich der Ehrgeiz eingenistet, und die stärkere Familie sei über die schwächere hergefallen und habe sie versklavt. Mit dieser gesteigerten Kraft habe sie die dritte unterworfen, und mit jeder Eroberung habe sie an Macht gewonnen. Dies sei die Grundlage der Monarchie. Da mit der Macht auch der Hochmut anschwelle, habe der Mensch sich das Vorrecht Gottes über seine Geschöpfe angemaßt, ihnen das Leben zu nehmen. Dieses Privileg besitze niemand auch nur über sein eigenes Leben. Denn wie er nicht nach seiner eigenen Wahl in die Welt gekommen sei, so solle der Mensch hier auch verweilen, bis die Zeit verstrichen sei, die sein Schöpfer für ihn vorgesehen habe. Der Tod, der im Krieg zugefügt werde, sei nach dem Naturgesetz zulässig, denn er diene dem Erhalt unseres eigenen Lebens. Kein Verbrechen aber solle so gesühnt noch ein Krieg geführt werden, wenn nicht zur Verteidigung unseres natürlichen Rechts, nämlich des Anspruchs auf ein Stück Boden, das ausreicht, dass wir uns davon ernähren können.

Über diese Themen ließ er sich oft aus und beriet sich nicht selten mit Misson darüber, wie sie es selbst damit halten sollten. Von ihnen war der eine so forsch und so entschlossen wie der andere. Caraccioli und Misson reiften unterdessen zu ausgezeichneten Seemännern und kannten sich in der Handhabung eines Schiffes hervorragend aus. Caraccioli hatte sehr vielen der Männer Lektionen über dieses Thema gegeben und die Erfahrung gemacht, dass sie ihm bereitwillig zuhörten.

Dann geschah ein Unfall, der Caraccioli eine gute Gelegenheit bot, seine Pläne umzusetzen, und er ergriff sie beim Schopfe. Sie segelten von Martinique auf einer Kreuzfahrt und stießen auf die Winchelsea, ein englisches Kriegsschiff mit vierzig Kanonen unter dem Kommando von Kapitän Jones. Beide Schiffe suchten das Gefecht, und es folgte eine sehr heftige Auseinandersetzung. Die erste Breitseite tötete den Kapitän, den zweiten Kapitän und drei Offiziere an Bord der Victoire und ließ nur den Schiffsführer übrig, der wohl kapituliert hätte. Aber Misson ergriff das Schwert und befahl Caraccioli, den Posten des ersten Offiziers zu übernehmen. Und indem er die Männer anfeuerte, führte er den Kampf drei Stunden lang, bis durch einen Unfall die Winchelsea explodierte und keinen Mann außer Leutnant Franklin am Leben ließ. Ihn fischten die französischen Boote auf, und er starb zwei Tage später. Bevor dieses Manuskript in meine Hände fiel, wusste niemand, wie die Winchelsea verloren gegangen war. Ihr Bug wurde bei Antigua an Land gespült, und da wenige Tage vorher ein großer Sturm gewütet hatte, schloss man, dass sie in diesem Sturm zerschellt sei. Nach dem Gefecht kam Caraccioli zu Misson, grüßte ihn als Kapitän und begehrte zu wissen, ob er das Kommando nur vorübergehend oder dauerhaft führen wolle. Das müsse er zur Stunde entscheiden, denn bei ihrer Ankunft in Martinique werde es zu spät sein. Er müsse sich darauf einstellen, dass das Schiff, mit dem er gekämpft und das er gerettet habe, jemand anderem gegeben werde, und er werde sich wohl freuen müssen, wenn man ihn auch nur zum Offizier befördere. Caraccioli glaube aber nicht einmal, dass man ihm, Misson, so viel Gerechtigkeit zuteilwerden ließe. Er habe sein Glück nun selbst in der Hand, und er könne es festhalten oder fahren lassen. Wenn er sich für Letzteres entscheide, dürfe er nicht erwarten, dass Fortuna ihm jemals wieder solche Wünsche freistellen werde. Er solle sich seine Situation genau vor Augen führen: als jüngerer Sohn einer guten Familie, aber mit nichts in der Hand, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Er werde viele Jahre auf Kosten seiner Familie leben müssen, bis er hoffen könne, in der Welt etwas zu werden. Und auch diesen Unterschied solle er sich bewusst machen: zu befehlen oder Befehle zu erhalten. Mit dem Schiff unter seinen Füßen und den tapferen Männern unter seinem Kommando könne er der ganzen Macht Europas die Stirn bieten, alles genießen, wonach sein Herz begehre, Herrscher der südlichen Meere werden und rechtmäßig der ganzen Welt den Krieg erklären, weil sie ihn der Freiheit beraubt habe, auf die er nach dem Naturgesetz ein Anrecht habe. Mit der Zeit könne er so groß werden wie Alexander den Persern schien. Und indem er seine Kräfte durch jede Eroberung steigere, würde er mit jedem Tag die Gerechtigkeit seiner Sache mehren, denn wer Macht habe, sei immer auch im Recht. Heinrich IV. und Heinrich VII. hätten sich erfolgreich gegen die englische Krone erhoben, aber ihre Macht komme seiner nicht gleich. Mohammed habe mit ein paar Kameltreibern das Osmanische Reich gegründet, und Darius habe sich mit nicht mehr als sechs oder sieben Begleitern das persische Reich angeeignet.

Mit einem Wort, er sagte so viel, dass Misson sich entschloss, seinem Rat zu folgen. Er rief die Besatzung an Bord und erklärte den Männern, dass viele von ihnen sich mit ihm für ein Leben der Freiheit entschieden und ihm die große Ehre erwiesen hätten, ihn zum Anführer zu machen. Er habe nicht vor, einen einzigen von ihnen zu zwingen und sich so der Ungerechtigkeit schuldig zu machen, die er anderen vorwerfe. Wenn daher einige von ihnen es ablehnten, mit ihm das Glück zu suchen – und er versprach, dass es für alle dasselbe sein solle –, so mögen sie sich jetzt erklären, und er werde sie dort an Land absetzen, von wo sie bequem heimkehren könnten. Als er geendet hatte, riefen sie wie mit einer Stimme, Vive le capitain Misson et son scavant Lieutenant Caraccioli, Gott segne Kapitän Misson und seinen gelehrten Offizier Caraccioli. Misson dankte ihnen für die Ehre, die sie ihm erwiesen hatten, und versprach, die ihm übertragene Macht nur für das Wohl der Allgemeinheit einzusetzen. Und da sie den Mut besäßen, ihre Freiheit zu behaupten, gab er seiner Hoffnung Ausdruck, dass sie diese auch einmütig erhalten und ihm in den Dingen beistehen würden, die zum Nutzen aller schienen. Er sei ihr Freund und Begleiter und werde seine Macht nie einsetzen noch sich für etwas anderes als ihren Genossen halten, wenn nicht die Notwendigkeit ihn dazu zwingen werde.

Sie riefen ein zweites Mal, Vive le capitain, und darauf bat er sie, ihre Unteroffiziere zu bestimmen und sie mit der Befugnis auszustatten, darüber zu beraten und zu bescheiden, was das gemeinsame Interesse sei. Sie sollten sich durch einen Schwur darauf verpflichten, dem Folge zu leisten, was diese Offiziere und er beschlössen. Dem stimmten sie bereitwillig zu. Den Bootsmann wählten sie zum zweiten Leutnant, Jean Besace benannten sie zum dritten. Und der Bootsmann, ein Quartiermeister namens Matthieu le Tondu, sowie ein Kanonier sollten ihre Vertreter im Rat sein.

Dieser Wahl wurde zugestimmt, und damit alles seine Ordnung habe und mit allgemeiner Zustimmung erfolge, wurden sie in die Kapitänskammer gerufen und da vor die Frage gestellt, welchen Kurs sie jetzt einschlagen sollten. Der Kapitän schlug die spanische Küste vor, weil dort wohl am ehesten reiche Beute zu machen sei. Dem stimmten alle zu. Der Bootsmann fragte dann, unter welcher Flagge sie kämpfen sollten, und schlug selbst Schwarz vor, weil es am meisten Schrecken verbreite. Aber Caraccioli widersprach: Sie seien keine Piraten, sondern Männer, entschlossen, die Freiheit zu behaupten, die Gott und die Natur ihnen geschenkt hätten; sie würden sich keinen anderen Regeln unterwerfen als denen, die für das Wohlergehen aller nötig seien. Gehorsam gegenüber Vorgesetzten sei nötig, wenn diese die Pflichten ihres Amtes kennten und danach handelten; wenn sie beflissene Wächter der Rechte und Freiheiten der Menschen seien; wenn sie dafür sorgten, dass Gerechtigkeit walte; wenn sie sich gegen die Reichen und Mächtigen stemmten, sobald diese versuchten, die Schwächeren zu unterdrücken; wenn sie es nicht zuließen, dass auf der einen Seite manche aufgrund ihrer eigenen oder der Räubereien ihrer Vorfahren enorm reich würden, noch dass andere in Elend stürzten, weil sie das Opfer von Schurken, gnadenlosen Gläubigern oder anderer Missgeschicke würden. Ein guter Herrscher übe einen unparteiischen Blick und erlaube keine Unterscheidungen zwischen den Menschen denn aufgrund ihrer Taten und Leistungen. Statt den Menschen durch ein ausschweifendes Leben zur Last zu fallen, sei er durch seine Sorge und seinen Schutz der Menschen ein wahrer Vater und handele in jeder Angelegenheit mit derselben und unparteiischen Gerechtigkeit wie Eltern. Aber wenn ein Herrscher, der der Diener der Menschen sein solle, sich für etwas Besseres halte, weil er diese Würde trage, und meine, er könne seine Tage in Pomp und Luxus verbringen und auf seine Untergebenen als auf Sklaven herabsehen, die nur zu seinem Nutzen und seinem Vergnügen geschaffen seien; und wenn er deshalb sie und ihre Angelegenheiten der Gier und Tyrannei eines anderen überlasse, den er zu seinem Günstling erkoren habe; wenn aus einer solchen Regierungsform nichts als Unterdrückung, Armut und alles Elend des Lebens hervorgehe; wenn er das Leben und Vermögen der Menschen verschwende, um seinem Ehrgeiz zu dienen oder um die Ziele eines benachbarten Prinzen zu unterstützen, damit dieser im Gegenzug seine Armeen verstärke, falls seine Untertanen sich gegen ihn auflehnten, um ihre angeborenen Rechte zu verteidigen; oder falls er dem tollkühnen und unüberlegten Rat seines Günstlings folgend unnötige Kriege vom Zaun brechen sollte und im Angesicht eines überlegenen Feindes, den er sich unbedacht und willkürlich gewählt habe, seine Untertanen zur Ader lasse (wie es Frankreich jetzt tut, wie jeder weiß, indem es König James unterstützt, um nachher seinen Sohn zu küren); wenn der Handel der Menschen wegen privater Interessen willentlich vernachlässigt und es zugelassen werde, dass ihre Schiffe beraubt würden, während ihre Kriegsmarine untätig im Hafen liege; und wenn der Feind nicht nur ihren Handel unterbreche, sondern auch ihre Küsten plündere – dann sei es eine großherzige und starke Seele, die dieses Joch abschüttele. Und wenn wir keine Wiedergutmachung für diese Übel bekommen könnten, sollten wir uns von diesem Elend verabschieden, dem sich schwächere Seelen unterwürfen, und der Tyrannei spotten. Solche Männer sind wir. Und wenn die Welt, wie wir aus Erfahrung annehmen müssen, uns den Krieg erklärt, gibt uns das Naturgesetz nicht nur das Recht, uns zu verteidigen, sondern auch anzugreifen. Da wir dann nicht auf demselben Boden wandeln wie Piraten, die ein zielloses Leben führen und keine Prinzipien haben, sollten wir ihre Farben mit Verachtung von uns weisen. Unsere Sache ist mutig, gerecht, unschuldig und ehrenhaft, die Sache der Freiheit. Ich plädiere daher für eine weiße Flagge mit der Göttin der Freiheit, Libertas, darauf und, wenn ihr mögt, einem Motto: A Deo A Libertate – für Gott und die Freiheit. Das soll das Zeichen unserer Aufrichtigkeit und Entschlossenheit sein.

Die Kabinentür wurde offen gelassen und das Schott aus Leinwand hochgerollt. Das Steuerdeck war voller Männer, die aufmerksam lauschten und dann riefen, Freiheit, Freiheit! Wir sind freie Männer. Lang leben Kapitän Misson und sein großmütiger Leutnant Caraccioli! Als dieser kurze Ratschlag beendet war, schaffte man alle Habseligkeiten des verstorbenen Kapitäns, seiner Offiziere und der Männer, die bei der Schlacht gefallen waren, an Deck und unterzog sie einer Inventur. Das Geld verwahrte man in der Schatztruhe, und der Bootsmann fertigte ein Schloss und händigte jedem Mitglied des Rates einen Schlüssel dazu aus. Misson belehrte sie, dass alles allen gehören und die Habgier eines Einzelnen nicht das Eigentum aller verletzen solle.

Als das Gold aus dem Besitz Kapitän Fourbins in die Truhe getan werden sollte, riefen die Männer einstimmig, Einhalt, das soll der Käpt’n für seine Zwecke haben, als Geschenk von seinen Offizieren und einfachen Matrosen. Misson dankte ihnen, das Gold wurde zurück in die große Kammer gebracht und die Truhe wie befohlen verschlossen. Misson befahl daraufhin seinen Leutnants und anderen Offizieren herauszufinden, wer von den Männern am dringendsten neuer Kleider bedürfe, und die Wämser der Verstorbenen gerecht zu verteilen, was die ganze Mannschaft mit Zustimmung und Applaus bedachte. Da sich alle außer den Verwundeten an Deck befanden, erklomm Misson die Reling des Achterdecks und wandte sich an die Mannschaft, indem er erklärte, dass sie sich einstimmig entschieden hätten, ihre Freiheit, die ihnen machthungrige Männer entrissen hätten, zu ergreifen und zu verteidigen, und dass kein unvoreingenommener Richter umhinkönne, diesen Entschluss als gerecht und mutig zu beurteilen. Er fühle sich daher verpflichtet, ihnen eine brüderliche Liebe zueinander anzuempfehlen. Alle privaten Zwiste und aller Groll sollten abgelegt werden, und sie sollten durchgängig in Übereinstimmung und Harmonie miteinander leben. Sie hätten das Joch der Tyrannei, für deren Schrecken sie durch ihre Handlung Abscheu gezeigt hätten, abgeworfen, und so hoffe er nun, dass keiner unter ihnen dem Vorbild von Tyrannen folgen und sich von der Gerechtigkeit abwenden werde. Denn wenn die Gleichheit untergehe, folgten Elend, Verwirrung und gegenseitiges Misstrauen wie die Ebbe auf die Flut. Er mahnte sie auch, des höchsten Wesens eingedenk zu sein, zu dessen Bewunderung uns Verstand und Dankbarkeit rieten und mit dem in Einklang zu leben uns unsere ureigensten Interessen trieben, denn man sollte auf der sicheren Seite sein und die Möglichkeit eines Lebens nach dem Tod einräumen. Ihm sei es recht, wenn Männer, die als Sklaven geboren und aufgewachsen seien, wodurch ihr Lebensmut gebrochen sei, die zu großmütigem Denken unfähig seien und in Unkenntnis ihres Geburtsrechts und der süßen Freude der Freiheit zum Rhythmus ihrer Ketten tanzten – und diese stellten bei Weitem die Mehrheit der Einwohner des Globus –, wenn also solche Menschen diese edelmütige Mannschaft als Piraten brandmarkten und es als ein Verdienst ansähen, bei ihrer Zerstörung behilflich zu sein. Der Drang zur Selbsterhaltung also und nicht etwa böser Wille gebiete es ihm daher, all jenen den Krieg zu erklären, die ihnen die Einfahrt in ihre Häfen verweigern würden, sowie allen, die nicht sofort die Waffen streckten und ihnen gäben, was sie zum Leben bräuchten; insbesondere aber allen europäischen Schiffen und Booten, da sie zu den unversöhnlichsten Feinden zu zählen seien. Und ich will hiermit, sagte er, eben diesen Krieg erklären und euch, meinen Genossen, zur selben Zeit dazu raten, euren Gefangenen eine humane und großzügige Behandlung zuteilwerden zu lassen, denn dies wird umso mehr als Ausfluss großmütiger Seelen erscheinen, als wir nicht annehmen können, ebenso in Empfang genommen zu werden, sollte ein Unglück oder – was wahrscheinlicher ist – unsere Uneinigkeit oder fehlender Mut uns ihrer Willkür ausliefern.

Hiernach ließ er die Mannschaft durchzählen, und es waren zweihundert arbeitsfähige Männer an Bord, darüber hinaus fünfunddreißig kranke oder verwundete. Bei der Zählung wurden die Männer eingeschworen. Als alles so eingerichtet war, nahmen sie ihren Kurs auf die spanischen Westindischen Inseln, beschlossen aber, auf dem Weg eine Woche oder zehn Tage lang in der Windpassage von Jamaika zu kreuzen, weil die meisten Handelsschiffe, die gute Segler waren und nicht im Konvoi fuhren, diese Strecke als Abkürzung nach England nahmen.

Vor St. Christopher nahmen sie eine englische Schaluppe, die in einer Flaute festhing, mit ihren Booten ein. Sie entnahmen ihr einige Puncheons Rum und ein halbes Dutzend Oxhoft-Fässer voll Zucker (das Schiff war eine neu-englische Schaluppe auf dem Weg nach Boston), und ohne den Männern die geringste Gewalt anzutun oder ihnen ihr persönliches Hab und Gut zu rauben, ließen sie von dem Schiff ab. Der Kapitän der Schaluppe war Thomas Butler, der später betonte, er sei nie auf einen so aufrechten Gegner gestoßen wie auf das französische Kriegsschiff, das ihn am Tag nach seiner Abfahrt aus St. Christopher eingenommen habe. Auf dem Rest ihres Weges trafen sie auf keine weitere Beute, bis sie ihr Ziel erreichten, aber drei Tage später sichteten sie eine Schaluppe, die die Stirn hatte, sie zu verfolgen. Kapitän Misson fragte, was es wohl damit auf sich haben könne, dass das Schiff ihnen nachstelle. Einer der Männer, der die Westindischen Inseln und ihre Gewässer kannte, sagte ihm, dies sei ein Freibeuter aus Jamaika, und er solle sich nicht wundern, wenn dieser versuchen würde zu entern. Ich weiß, sagte er, wie diese Gesellen ihr Handwerk verrichten, und dieser verachtungswürdige Halunke, wie ihn nennen mag, wer keine jamaikanischen Freibeuter kennt, wird dir – da wette ich zehn zu eins – einigen Ärger bereiten. Die Abenddämmerung bricht jetzt an, und du wirst sehen, sobald er deine Feuerkraft entdeckt hat, wird er außer Reichweite unserer Kanonen bleiben, bis um Mitternacht die Wache abgelöst wird. Dann wird er versuchen zu entern und hoffen, dass er uns auf diese Weise rasch einnehmen kann. Daher, Kapitän, wenn du mir erlauben willst, dich zu beraten: Lass jedem Mann seine Handfeuerwaffen geben, und um zwölf Uhr lass die Glocke wie gewöhnlich läuten, sogar lauter als sonst, als ob die eine Wache ins Bett ginge und die andere eilig und in einem Durcheinander ihren Platz einnähme. Und ich bin sicher, er wird seine Männer zum Entern schicken. Der Rat des Mannes wurde für gut befunden und ausgeführt, und die Schaluppe verhielt sich, wie er es vorhergesagt hatte, denn als sie nah genug gekommen war, um die Stärke der Victoire deutlich auszumachen, und diese die französische Flagge hisste, drehte die Schaluppe im Wind ab; die Victoire verfolgte sie ein Stück, aber ohne Hoffnung, sie einzuholen. Die Schaluppe ging so gut im Wind, dass sie nicht einmal alle Segel setzen musste und die Victoire trotzdem bald abhängte. Bei Dämmerung hatten die Franzosen sie aus dem Blick verloren, aber gegen elf Uhr nachts sahen sie sie auf ihrer Luvseite kreuzen, was die Einschätzung des Matrosen bestätigte, dass sie versuchen würden zu entern, und so geschah es pünktlich zum vorgetäuschten Wachwechsel. Da praktisch Windstille herrschte, machte sie am Bugspriet fest und schickte ihre Männer an Bord. Als diese das Vorluk hinunterstolperten, wurden sie von der Mannschaft der Victoire in Empfang genommen und lautlos überwältigt und gefesselt; keiner der Freibeuter ließ dabei sein Leben, wenige wurden verwundet, und nur einer der Franzosen erlitt eine Verletzung. Als die Victoire den Großteil der Schaluppenmannschaft festgesetzt hatte, ging man dazu über, das fremde Schiff nun selbst zu entern, als die Freibeuter gerade ahnten, dass sie einer List zum Opfer gefallen waren, und versuchten, ihre Festmacher zu kappen und abzustoßen. Da waren die Engländer in ihre eigene Falle getappt. Die Gefangenen waren alle sicher verwahrt, aber der Kapitän warnte seine Männer, nicht zu verraten, in welcher Mission sie unterwegs waren, auch wenn sie so vielleicht einige der Gefangenen zum Überlaufen bewegen könnten.

Am nächsten Morgen ließ Herr Misson den Kapitän der Freibeuter zu sich rufen und erklärte ihm, dass er ihn für einen mutigen Mann halte, weil er es mit einem Schiff von der Größe der Victoire aufgenommen hatte, und deshalb solle ihm eine Behandlung widerfahren, wie sie Männer seines Berufes ihren eigenen Gefangenen selten gönnten. Er fragte ihn, wie lange er bereits auf See sei, wie er heiße und was er an Bord habe. Der Unterlegene antwortete, dass sie kaum den Hafen verlassen hätten und die Victoire das erste Segel gewesen sei, das sie seither gesichtet hätten. Und ansonsten habe er nichts weiter zu sagen. Sein Name sei Harry Ramsey, an Bord führe er Lumpen, Pulver, Kugeln und einige halbe Anker