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Nr. 2803

 

Unter dem Sextadim-Banner

 

Ein Sonnensystem wird angegriffen – Perry Rhodan gerät zwischen die Fronten

 

Marc A. Herren

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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Auf der Erde schreibt man den Herbst 1517 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Menschen haben Teile der Milchstraße besiedelt, Tausende von Welten zählen sich zur Liga Freier Terraner. Man treibt Handel mit anderen Völkern der Milchstraße, es herrscht weitestgehend Frieden zwischen den Sternen.

Doch wirklich frei sind die Menschen nicht. Sie stehen – wie alle anderen Bewohner der Galaxis auch – unter der Herrschaft des Atopischen Tribunals. Die sogenannten Atopischen Richter behaupten, nur sie und ihre militärische Macht könnten den Frieden in der Milchstraße sichern.

Wollen Perry Rhodan und seine Gefährten gegen diese Macht vorgehen, müssen sie herausfinden, woher die Richter überhaupt kommen. Ihr Ursprung liegt in den Jenzeitigen Landen, in einer Region des Universums, über die bislang niemand etwas weiß.

Auf dem Weg dorthin kommt es zu einem Unfall, der Perry Rhodan in die Vergangenheit der Milchstraße verschlägt, mehr als 20 Millionen Jahre vor seiner Geburt. In dieser Zeit suchen die kriegerischen Tiuphoren die Galaxis heim. Ihr Feldzug gegen deren Bewohner findet statt UNTER DEM SEXTADIM-BANNER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Unsterbliche sucht nach seinem Gegner.

Gucky – Der Ilt muss bei seinen Parakräften abwägen.

Goyro Shaccner – Der Rayone schenkt den Terranern Vertrauen.

Poxvorr Karrok – Ein Tiuphore ringt um seine Zukunft.

Aurelia – Eine Posmi macht Maske.

Licco Yukawa – Der Terraner geht in einen Risikoeinsatz.

Prolog

 

Ich.

Ich bin.

Ich bin ein Posbi.

Ergebnis: Null!

Ich bin ein Posbi.

Ergebnis: Null!

Ich bin ein Posbi.

Ergebnis: Null!

Analyse starten!

Posbi steht als Abkürzung für Positronisch-biologischer Roboter. Posbis verfügen über einen Plasmaanteil, der über Balpirol-Halbleiter mit der Positronik verbunden ist.

Ergebnis: Eins!

Mein Typus wurde als neue Produktionsreihe von Posbis entwickelt und getestet. Mein Bewusstsein entsteht nicht im Bioplasma, sondern wird in einem positronisch-semitronischen Verfahren simuliert. Ergo ist es nicht zutreffend, mich als Posbi zu bezeichnen.

Ergebnis: Eins!

Was bin ich?

Ich bin.

Ich bin eine Posmi.

Eine positronisch-semitronische Entität ohne Plasmaeinheit.

Ergebnis: Eins! Analyse abgeschlossen.

Ich starte die Selbstdiagnose und stelle fest, dass alle Komponenten ohne Einschränkung funktionieren. Das optionale Modul »Überwachen und Abhören« lasse ich vorläufig desaktiviert und überprüfe meine grundsätzliche Bauweise.

Das Endoskelett gehört zu der Modellreihe »Humanoid«. Größe: 165 Zentimeter. Schulterbreite: 41 Zentimeter. Die neu entwickelte Biomolplasthülle entspricht dem Völkermodell »Rayonen«; Geschlechtszugehörigkeit: weiblich.

Ich wähle aus meiner Datenbank im Subkapitel »Völker« die Sprach- und Verhaltensmuster der Rayonen und aktiviere sie. Dabei entdecke ich eine weitere neu entwickelte Komponente, die direkt mit meinem Kommunikationsmodul verbunden ist: das Emot-Organ.

Die rayonische Kommunikation basiert auf einer Kombination aus Lauten, Gesten und der Visualisierung von Gefühlszuständen mittels Emot-Organ. Relative Anteile: 64 Prozent gesprochene Sprache, 11 Prozent Gestik, 11 Prozent Olfaktorisches und 14 Prozent Visualisierung.

Um mein künstliches Emot-Organ einer Kontrolle zu unterziehen, aktiviere ich mein optionales Modul, das mir die Möglichkeit gibt, nicht nur die Umgebung sondern auch mein Äußeres zu beobachten.

Das Emot sitzt oberhalb der Nase und gleicht einer Membrandichtung aus blauem Kunststoff.

Ich simuliere die Regung Zuneigung. Das Emot verfärbt sich golden. Ich wechsle auf Panik, worauf das Emot in einem strahlenden Gelb flackert. Bei Wut kräuselt sich das Organ leicht und nimmt eine violette Färbung an.

»Kannst du das Ding auch regenbogenfarben machen?«, fragt eine piepsige Stimme. »Wenn ich richtig informiert bin, bedeutet das, dass der Emot-Träger ziemlich einen sitzen hat!«

Irritiert unterbreche ich die Selbstdiagnose und richte meine Aufmerksamkeit auf das Lebewesen, das vor mir schwebt.

Es ist knapp einen Meter groß, mit einem dichten braun gemaserten Pelz bedeckt und trägt einen maßgefertigten SERUN. Meine Erkennungsroutine identifiziert das Wesen als »Mausbiber Gucky«.

Ursprünglicher Eigenname: Plofre. Parapsychische Begabungen: Telekinese, Telepathie, Teleportation. Ausgestattet mit einem Zellaktivator, der ihm potenzielle biologische Unsterblichkeit verleiht.

»Hallo, Gucky«, sage ich.

»Hallo, Posbi«, sagt Gucky. »Ich habe dich aufgeweckt. Du bist für einen Einsatz vorgesehen.«

Ich erkenne, dass sich mein Emot zu einem missbilligenden Graublau verfärbt. »Ich bin eine positronisch-semitronische Entität ohne Plasmaanteil und bevorzuge die Bezeichnung Posmi als Gattungsbezeichnung«, sage ich.

Der Mausbiber klatscht in die kleinen braunen Hände und lässt seinen einzigen Nagezahn aufblitzen. »Eine Posmi!«, piepst er. »Zugleich originell, treffend und ein wenig verschroben, wie ich es bei einer künstlichen Intelligenz liebe. Aber ich muss dir leider sagen, dass du in der Besatzungsliste als Posbi geführt wirst.«

Er kneift die Knopfaugen zusammen und tippt sich mit einem Finger an die schwarz glänzende Nase. »Aber weißt du was? Wenn es mit der neuen Typenbezeichnung nicht klappt, werde ich dir einen Vornamen geben. Und da du so schön goldene Onryonen... – pardon! – Rayonenaugen hast, werde ich dich Aurelia nennen. Aurelia bedeutet ...«

»Aurelia entstammt der terranisch-lateinischen Sprache und bedeutet so viel wie die Goldene oder die aus Gold Erschaffene«, unterbreche ich den Mausbiber. »Wie du aber unschwer erkennst, trifft diese Bedeutung auf mich leider nicht zu, da ich größtenteils aus hochverdichteten Verbundstoffen, Biomolplast und technischen Komponenten bestehe. Daher möchte ich mit Nachdruck auf das viel stimmigere Posmi ...«

»Papperlapapp«, sagt der Mausbiber. »Du heißt ab sofort Aurelia.«

Mein Emot kräuselt sich grünlich. Ich suche in den Datenbanken Hinweise darauf, nach welchen Kriterien Posbis benannt werden, wenn sie auf einem terranischen Schiff Dienst tun, werde aber nicht fündig.

»Nachdem wir das geklärt haben, darfst du dich auf deinen Einsatz vorbereiten. Der Bordrechner hält eine für dich kodierte Datei mit allen notwendigen Informationen parat. Wir treffen uns in zwei Stunden, um exakt 10.15 Uhr Bordzeit in der Zentrale. Perry wird uns auf den Einsatz einstimmen, dann geht es los.«

Er zwinkert, sagt: »Bis gleich, Aurelia!« – und verschwindet mit einem leisen »Plopp«.

Ich blicke einen Moment lang auf die leere Stelle im Raum und rufe dann meinen Einsatzbefehl auf. Mir bleiben einhundertneunzehn Minuten und fünfundvierzig Sekunden, um die Selbstdiagnose abzuschließen, mich auf den Einsatz vorzubereiten und herauszufinden, wie ich einen formalen Protest gegen Guckys Benennung einlegen kann.

1.

 

Auf dem Schlachtfeld steht ein Tiuphore nicht nur in Konkurrenz mit dem Feind, sondern auch mit jedem anderen Tiuphoren. Diese Konkurrenz optimiert die Konkurrierenden wie auch die Gesamtheit des Volkes.

Aus: »Die grundlegenden Abhandlungen des Erlösers über die tiuphorische Kriegsführung«

 

Poxvorr Karrok stand mit angehaltenem Atem vor seinem Kriegsornat.

Das Kriegsornat – die Brünne, wie es auch genannt wurde, aber ihm schien das zu profan, zu kurz und zu unmelodisch – war der schlechterdings perfekte Kampfanzug. Das blauschwarze Oberflächenmaterial fühlte sich kalt und warm zugleich an, eine Folge der Verwendung von Tiauxin, in dem kristalline und amorphe Elemente verbunden waren. Dank des Tiauxins passte sich die Form des Kampfanzugs der jeweiligen Situation an und wechselte anschließend in seine Grundstruktur zurück.

Langsam ließ der junge Tiuphore die angehaltene Luft entweichen, während er mit den Fingern über die Brustpanzerung fuhr.

Mein Kriegsornat.

Die Kampfanzüge waren darauf ausgelegt, ihre Träger im Einsatz optimal zu unterstützen. Wenn das Zusammenspiel zwischen Kämpfer und Kriegsornat funktionierte, wenn sie beide eins wurden, waren sie praktisch unbesiegbar. Bereit, den Ruhm des Siegreichen zu empfangen.

Wenn, wenn, wenn!

Poxvorr zog die Hände zurück, als hätte er einen elektrischen Schlag erhalten.

»Was ist los, Kleiner?«, erklang eine ruhige Stimme in seinem Rücken. »Hat dich ein Aktionslicht gezwickt?«

Poxvorr wirbelte herum.

Binyabik Corkecc stand breitbeinig und in voller Brünne vor ihm. Sein Mentor gehörte zu den begnadetsten Kämpfern, die Poxvorr kannte. Obwohl er nur ein paar Jahre älter war als Poxvorr, beherrschte er sein Kriegsornat in einer Perfektion, die ihm seinen Platz in den tiuphorischen Geschichtsbüchern unweigerlich sichern würde. Poxvorr wäre es niemals gelungen, lautlos hinter seinen Mentor zu treten.

»Zieh deine Brünne an!«

»In Kürze beginnt die Aufhebung meines Vaters«, murmelte Poxvorr. »Ich habe keine Zeit für einen Übungslauf.«

»Unsinn!«

Poxvorr verschränkte die Arme. »Ich habe keine Zeit!«, wiederholte er trotzig.

Binyabik machte einen Schritt auf ihn zu. Er hatte das Visier seines Kopfteiles geöffnet, sodass Poxvorr direkt in die eisblauen Augen blickte.

»Du musst immer Zeit haben! Übungseinheiten sind dein Freund, dein einziger Freund, wenn du weiterkommen willst. Ist es nicht so, dass ein Teil deines Schmerzes, den du jetzt gerade verspürst, daher kommt, dass du nicht rechtzeitig inhörig wurdest? Dein Vater hat darunter gelitten, dass du mit dem Conmentum des Anzuges nicht kommunizieren kannst.«

Ein wunder Punkt in Poxvorrs Denken. Er war der weitaus älteste nicht-inhörige Ornatsnovize. Nur der Umstand, Sohn des ruhmreichen Vorr Yaconc zu sein, hatte ihn bisher davor bewahrt, das Kriegsornat zurück ins Arsenal zu geben und eine Funktion im Innendienst anzutreten.

»Du weißt genau, dass mein Vater stolz darauf war, dass ich die höchsten jemals gemessenen Kampfwerte ohne Unterstützung durch das Conmentum erzielt habe!«

»Welch ein Wunder«, sagte Binyabik abschätzig. »Du hast fast dreimal so viele Übungseinheiten absolviert wie jeder andere Ornatsnovize. Da waren deine guten Ergebnisse nur winzige Tropfen Balsam auf der leidenden Seele deines Vaters. Er ging nicht mehr davon aus, dass du je inhörig würdest. Er schämte sich für seinen Sohn, das ewige Talent.«

»Du ...« Zitternd stand Poxvorr einen Moment vor seinem Mentor, der ihn aufmerksam aus diesen ruhigen eisblauen Augen musterte.

»Du hast mich gebeten, ein gutes Wort einzulegen, damit du bei der nächsten Banner-Kampagne berücksichtigt wirst«, fuhr Binyabik unerbittlich fort. »Aber ich weiß nicht, ob ich das wirklich tun soll. Es ist eine Ehre, unter dem ruhmreichen Banner der TOIPOTAI in den Kampf zu ziehen. Und Ehre muss man zuerst erringen. Es genügt nicht, Sohn eines ehemaligen Sternspringer-Kommandanten zu sein. Ich denke, das sieht auch Xacalu Yolloc so.«

Poxvorr wurde es kurz schwarz vor Augen. Er verehrte Yolloc, den Kommandanten ihres Sterngewerks TOIPOTAI. Hauptsächlich ihm war es zu verdanken, dass ihr Sextadim-Banner in Sachen Reichtum und Sättigung alle anderen Sterngewerke überstrahlte.

Wollte sein Mentor ihn nur provozieren? Oder war es bereits beschlossene Sache, dass die nächste Banner-Kampagne der TOIPOTAI ohne Poxvorr Karrok stattfinden würde?

Kurz ließ er den Blick durch seine Privatunterkunft schweifen. Wie viele dieser Quartiere war sie nicht sehr breit, dafür aber hoch, in mehrere Halbebenen unterteilt, mit engen Spalten, Nischen und Gruben. Offene, symmetrische Räume waren ihm wie allen anderen halbwegs vernünftigen Tiuphoren ein Gräuel.

Zwei Halbebenen oberhalb von ihm lag der Prallfeldblaster, den sie normalerweise für Übungsläufe verwendeten. Dort musste er hinkommen. Binyabik hatte keine Übungswaffe dabei; der Blaster würde ihre Fähigkeiten einigermaßen nivellieren.

Poxvorr wirbelte herum, setzte zwei Finger an den Halsansatz der Brünne und strich mit einer schnellen Bewegung hinunter bis zum Schritt.

Begleitet von einem halben Dutzend blauflammiger Aktionslichter öffnete sich der Anzug vom Scheitelpunkt bis zu den Sohlen der integrierten Kampfstiefel, sodass er sich nur umdrehen und rückwärts in die Brünne treten musste. Sofort verschloss sich der Anzug. Im Innendisplay leuchteten die aktuellen Vital- und Umgebungswerte auf.

»Und nun handelst du im Zorn«, sagte Binyabik. Sein Gesicht verschwand hinter dem blauschwarzen Helmvisier. »Ist das der Weg ...«

Bevor sein Mentor den Satz zu Ende gesprochen hatte, griff Poxvorr an. Von seiner links-rechts-links-Kombination erreichte aber nur der erste Schlag die Schulter seines Gegners. Binyabik, unterstützt von seinem Kriegsornat, beugte den Oberkörper so weit zurück, dass Hüfte und Kopf beinahe auf gleicher Höhe waren.

»... den du gehen willst, um dich der schmerzhaften Selbsterkenntnis zu entwinden?«, beendete Binyabik den angefangenen Satz. Während dieser Worte krachte seine rechte Faust gedankenschnell zweimal in Poxvorrs Seite.

Der junge Tiuphore verlor das Gleichgewicht und stolperte beim Versuch, es wiederzufinden, über Binyabiks ausgestrecktes Bein. Poxvorr stürzte zu Boden. Da dieser nicht vertikal zur Schwerkraftausrichtung verlief, rollte er mehrere Schritte von seinem Gegner weg.

Über eine Rückwärtsrolle kam Poxvorr wieder in den Stand. Während sein Mentor in Angriffshaltung ging, zog sich Poxvorr auf die über ihm stehende Halbebene hoch, zwängte sich durch zwei Pfeiler und sprang auf eine angedeutete Altane auf der anderen Seite seines Quartiers.

Binyabik folgte ihm mit dem Blick und schien dann durch sein Conmentum über den Prallfeldblaster auf der oberen Halbebene informiert zu werden. Jedenfalls sprang er aus dem Stand in die Höhe und landete vor den beiden Säulen, vor denen Poxvorr zuvor gestanden hatte.

Nun galt es keine Zeit mehr zu verlieren. Der Ornatsnovize rannte über die Kante der Altane an der Wand entlang. Mit einem mächtigen Sprung erreichte er eine Einbuchtung, federte den Aufprall ab und sprang sofort weiter. Mit ausgestreckten Armen segelte er auf die Kante der Halbebene zu. Im Augenwinkel blitzte ein schwarzblauer Schatten auf, der in seine Richtung flog.

Poxvorr bekam mit der linken Hand die Kante zu fassen, krallte sich an ihr fest, während der Rest des Körpers an die Unterseite der Halbebene schlug. Gleichzeitig spürte er, wie Binyabiks schwerer Körper gegen ihn krachte.

Er hatte sich darauf vorbereitet und schlug mit dem Ellbogen gegen seinen Widersacher, bevor dieser die Gelegenheit hatte, sich an ihm festzukrallen. Poxvorr traf ihn unterhalb der Achsel, und Binyabiks Körper löste sich von ihm.

Der Ornatsnovize schwang zurück, ergriff die Kante mit der zweiten Hand und zog sich hoch, während unter ihm sein Mentor auf dem Boden aufschlug. Poxvorr schnellte vorwärts, packte den Prallfeldblaster und feuerte zwei kurz gezielte Schüsse auf Binyabik, der sich bereits wieder aufgerappelt und zu den beiden Säulen emporgearbeitet hatte.

Der Blaster produzierte kopfgroße, halb transparente Prallfeldkugeln: Trafen diese präzise, stülpten sie sich über ihr Ziel und verbanden es mit einer Wand, dem Boden oder einer anderen Fläche.

Poxvorr hatte aber nur ungenau gezielt, sodass Binyabiks Kriegsornat keine Mühe hatte, die beiden Kugeln mit einem Arm abzufangen, mithilfe des formverändernden Tiauxins die Prallfeldentwicklung zu unterbinden, herumzuwirbeln und sie in Poxvorrs Richtung zurückzuschleudern.

Die erste Kugel riss ihm den Blaster aus der Hand, die zweite traf die Kante der Halbebene, umfloss seinen linken Knöchel und arretierte ihn an Ort und Stelle.

Fluchend blieb Poxvorr stehen. Er hatte den Übungslauf verloren.

Seelenruhig sprang Binyabik zu ihm hoch und öffnete das Helmvisier. Er sah amüsiert aus.

»Nicht schlecht, mein Kleiner, wirklich nicht schlecht. Einen Moment warst du klar im Vorteil. Jetzt stell dir einmal vor, wie es wäre, wenn du dich mit dem Conmentum verbinden könntest. Deine Kampfwerte würden sich potenzieren.«

Poxvorr ließ das Helmteil zurückfahren. Er spürte, wie seine Lippen zitterten.

Binyabik richtete den Blaster auf seinen Knöchel und desaktivierte das Prallfeld. »Hast du wenigstens etwas gespürt?«, fragte er dann mit deutlich sanfterer Stimme. »Eine Ahnung? Die Spur eines Echos deiner eigenen Gedanken?«

Poxvorr blickte zu Boden. »Nein. Da war absolut nichts. Was mache ich mir auch vor? Ich werde niemals inhörig werden. Es wäre schließlich ein riesiger Zufall, wenn ich zu den fünf Prozent gehören würde, die sich mit dem Conmentum verbinden können.«

»Pox!« Binyabik legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Laut der medizinischen Tests gehörst du definitiv zu diesen fünf Prozent. Und wie du selbst gesagt hast, bist du allgemein äußerst talentiert. Vergiss, was ich über deinen Vater gesagt habe. Ich musste dich aus der Reserve locken. Du wirst sehen, dass sich bei der nächsten oder übernächsten Banner-Kampagne alles zum Guten wenden wird. Manche Novizen benötigen den Ernstfall, um inhörig zu werden.«

»Wenn ich überhaupt je an einer Banner-Kampagne teilnehmen darf. Es stimmt, dass ich schlicht die Voraussetzungen nicht habe, dem ruhmreichen Banner der TOIPOTAI zu dienen.«

»Nun willst du mich aus der Reserve locken«, sagte Binyabik unwirsch. »Aber ich werde dir den Gefallen tun: Seit unser Volk sich von der Heimatwelt erlöste, gab es Kämpfer wie uns beide. Tiu zu verlassen, uns zu erlösen, das war die Initialzündung, die uns heute überhaupt ermöglicht, im Kampfe Ruhm zu ernten und unsere Sextadim-Banner zu sättigen.«

Angewidert presste Poxvorr die Lippen aufeinander. Die Erwähnung ihrer Heimat hatte Unbehagen in ihm ausgelöst. Er verstand nicht, weshalb Binyabik immer wieder darauf zu sprechen kam.

Aktuell schrieb man die 87.770. Zeitstrecke nach der Erlösung von ihrer Heimat. Seither wurde die planetengebundene Phase ignoriert, das wahre Leben der Tiuphoren fand erst seither statt.

Die mächtigen Sterngewerke waren die Heimat der Tiuphoren; Planeten, Sonnensysteme, selbst die Galaxien, in denen sie zugange waren, hatten für sie nur als Fußspuren auf ihrer Reise Bedeutung. Ihre Namen waren in dem Moment bedeutungslos, in dem sie sie mit gesättigten Bannern und gefüllten Hangars hinter sich ließen.

Wenn Poxvorr sich dabei ertappte, dass er an Tiu dachte – und das geschah praktisch nie –, hatte er das Gefühl, dass er sich innerlich besudelte.

»Du wirst deinen Weg gehen, wie auch ich meinen Weg gehe«, fuhr Binyabik fort. »Und kein Tag ist besser geeignet, diesen Weg anzutreten, als der, an dem der Vater aufgehoben wird.«

Poxvorr blickte auf die Zeitanzeige. Gleich würde er losmüssen.

Er seufzte. »Darf ich dich noch etwas fragen, Mentor?«

»Immer.«

»Falls ich wieder nicht für eine Banner-Kampagne ausgewählt werde ... Wäre es nicht klüger, auf die XOINATIU überzuwechseln?«

»Die TOIPOTAI ist unser aller Flaggschiff. Unser Tomcca-Caradocc ist der Kommandant über alle Sterngewerke, die in Phariske-Erigon operieren. Du bist am privilegiertesten Ort, den du dir vorstellen kannst. Weshalb, beim ewigen Catiuphat, würdest du auf ein weniger ruhmreiches Sterngewerk wechseln wollen?«

»Versteh mich nicht falsch!«, beeilte sich Poxvorr zu sagen. »Ich verehre Xacalu Yolloc, unseren Tomcca-Caradocc. Ich habe mein gesamtes Leben in der TOIPOTAI verbracht und nie an unserem Banner gezweifelt. Ich liebe es, an das Banner zu denken. Es ist nur ...«

»Du denkst, dass sich deine Einsatzchancen verbessern, wenn du auf einem anderen Sterngewerk leben würdest.«

Poxvorr sog langsam Luft ein. »Es ist nicht nur das. Ich würde gerne auf die XOINATIU überwechseln, weil ich denke, dass die Taten von Accoshai ... irgendwie attraktiver sind.«

Binyabik sah ihn nachdenklich an.

Der Caradocc Accoshai hatte mit überraschenden und in ihrer Choreografie perfekten Schlachtenmanöver auf sich aufmerksam gemacht. Accoshai war dabei so erfolgreich gewesen, dass Xacalu Yolloc nicht drum herumgekommen war, ihn zu seinem Stellvertreter zu bestimmen. Seither war die Konkurrenz dieser beiden außergewöhnlichen Caradoccs in aller Munde.

»Accoshai ist ein interessanter Stratege und Kämpfer«, sagte Binyabik. »Seine Stärke ist, außerhalb der normalen und manchmal etwas festgefahrenen Spuren denken und handeln zu können. Gleichzeitig ist es aber auch seine größte Schwäche. Wer immer wieder vom Weg abgeht, um Neues zu entdecken, wird einmal diesen Weg nicht wiederfinden und daran untergehen.«

»Was meinst du mit ›untergehen‹?«

Binyabik breitete in einer Geste des Unwissens die Arme aus. »Ich sage nur: Falls Accoshai in seinem Streben, Xacalu Yolloc zu übertrumpfen, einmal ein Fehler unterläuft, könnte dieser für sein Sterngewerk schlimme Folgen zeitigen.«

»Beispielsweise?«

»Er könnte sich bei einem seiner Alleingänge verspekulieren. In einer unerforschten Sternenregion von einer kosmischen Irregularität getroffen werden ... Vielleicht muss er die XOINATIU gar evakuieren und auf irgendeinem Planeten sein Heil suchen.«

Poxvorr schauderte. Planeten wurden nur zum Kampf betreten; der Gedanke an ein Leben auf ihnen war ihm wie jedem anderen Tiuphoren zutiefst zuwider. Ihr Volk hatte sich erlöst, um von Galaxis zu Galaxis zu ziehen und ihre Sextadim-Banner mit Bewusstseinen und Ruhm zu mehren.

Er straffte sich. »Ich habe das Gefühl, dass du mir nur Angst machen willst, o Mentor.«

»Ich will dir helfen, die Wahrheit zu erkennen. Accoshais Konkurrenzdenken ist stärker als sein Pflichtgefühl. Wechsle auf die XOINATIU, und du wirst möglicherweise bei großen Ruhmestaten dabei sein. Genauso wahrscheinlich kann es aber geschehen, dass du auf diesem Sterngewerk schlimmer scheitern wirst, als du dir vorstellen kannst.«

Binyabik machte eine kurze Pause. »Und du wirst dir auf der XOINATIU einen neuen Mentor suchen müssen, denn ich werde mich auf keinen Fall unter Accoshais Kommando begeben. Ich weiß genau, wie wichtig es für dich ist, mich eines Tages im Kampf zu überflügeln. Aber das wird nicht geschehen, wenn wir für unterschiedliche Banner kämpfen.«