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Archäologie

Wer waren die Kelten?

Ihr Handelsnetz überzog ganz Europa, ihre Kunst war stilbildend, ihre Rituale waren blutig. Sie hatten eine gemeinsame Sprache, aber keine eigene Schrift. Bis heute gibt die geheimnisvolle Kultur der Kelten der Wissenschaft immer neue Rätsel auf. Haben sie überhaupt je existiert?

Von Jürgen Bischoff

Es ist kühl auf dem Plateau des Mormont, einer 600 Meter hohen Erhebung im Kanton Waadt zwischen Genfer- und Neuenburgersee. Von unten dringt das Geräusch der Bagger eines Zementproduzenten, die den Südhang bereits zum großen Teil gefressen haben.

Auch das Plateau wird in einigen Jahren verschwunden sein. Samt der Grube, die, gut zwei Meter tief und vielleicht 1,80 Meter im Durchmesser, im hellen Felsen klafft. Vor mehr als 2100 Jahren, noch in der vorrömischen Eisenzeit, wurde sie durch den Mutterboden bis ins weiche Kalkgestein gegraben: eine Opferkuhle der Kelten, sagt Gilbert Kaenel. Er ist Direktor des Museums für Archäologie und Geschichte in Lausanne. Rund 250 Schächte haben die Forscher der kantonalen Archäologie und eines Grabungsunternehmens, die Bagger im Rücken, schon auf diesem Hügel freigelegt – es ist einer der größten keltischen Ritualplätze, die bis heute gefunden wurden.

In den Schacht im Fels haben die Menschen einst versenkt, was sie den Göttern opfern wollten. Keramik, Tiere, wertvolle Werkzeuge. Und eiserne Halsfesseln – Sklavenfesseln, sagt Kaenel: „Wir können bislang nur spekulieren, was sich hier abgespielt hat.“

Irgendwann um das Jahr 100 vor der Zeitenwende steigt an einem Sommerabend eine Prozession zur Kuppe des Mormont hinauf. Es sind keltische Helvetier, die in der Region zwischen Schweizer Jura und Alpen siedeln. Voran gehen die Druiden, dahinter schnauzbärtige Männer in Umhängen und bunt karierten Hosen, dann Frauen und Kinder. Der Zug führt Opfertiere mit, darunter ein teures Pferd aus Italien. Ein Mann bringt den Kopf eines Braunbären, eine seltene Trophäe. Andere schleppen zu Barren geschmolzenes Eisen, den wertvollsten Rohstoff jener Jahre. Einer trägt den abgeschlagenen Schädel einer Frau. Mehrere Männer wuchten eine Holzkiste bergauf. Darin, im Schneidersitz, ein Toter.

Es ist warm, seit Längerem hat es nicht geregnet. In der Luft liegt der Geruch von Blut und Verwesung.

Auf der Hügelkuppe ragen Pfähle in die Dämmerung, sie markieren Gruben, die bei früheren Opferungen angelegt worden waren. Am Rande des Plateaus flackern Feuer. Einige der Männer aus dem Zug beginnen neue Schächte auszuheben, andere bereiten die Opfertiere für die Schlachtung vor. Das Fleisch werden sie über dem Feuer rösten und essen, Schädel, Knochen und Innereien lassen sie den Göttern. Als die Rituale beginnen, legen kräftige Männer das gefesselte Pferd rücklings auf ein Holzgestell, den Kopf über einem der Opferschächte. Dann schneidet ein Druide dem Tier die Kehle durch