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Nr. 2831

 

Der Pensor

 

Überraschende Einblicke in den Kosmos – der Endkampf um die ATLANC steht bevor

 

Marc A. Herren

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Menschen haben mit der Liga Freier Terraner ein großes Sternenreich in der Milchstraße errichtet; sie leben in Frieden mit den meisten bekannten Zivilisationen.

Doch wirklich frei ist niemand. Die Milchstraße wird vom Atopischen Tribunal kontrolliert. Dessen Vertreter behaupten, nur seine Herrschaft verhindere den Untergang – den Weltenbrand – der gesamten Galaxis.

Atlan, der unsterbliche Arkonide, will dem Tribunal in dessen Machtzentrum gegenübertreten, um die Wahrheit zu erfahren. Bis zur Passagewelt Andrabasch ist er bereits vorgestoßen, doch ohne besondere Berechtigung endet sein Weg dort. Seine einzige Chance ist die Hilfe eines anderen Piloten: DER PENSOR ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan – Der Arkonide wird in ein Gespräch über Türme und Schächte verwickelt.

Shukard Ziellos – Der Genifer erhält unverhoffte Hilfe.

Veyqen – Der Tesqire trifft seine Wahl.

Gosgad Hehrer von Trynn und Amtum Hehre von Orbagosd – Die beiden Technoscouts aus dem Volk der Cüünen schlagen sich tapfer.

Guineva Sternenwaag – Die Sprecherin riskiert alles, um die ATLANC zu retten.

1.

Der Tagesanbruch.

Zeitrechnung der Cüünen

 

In einem leichten Flirren veränderte sich die Welt um uns.

Wir kippten in eine andere Realität der WEYD'SHAN. Auf den ersten Blick erkannte ich, dass es keine Version war, die wir bereits kennengelernt hatten.

Nun standen wir in einer unübersichtlichen Halle, in der sich Kisten und andere Behälter bis zur Decke stapelten. Dazwischen wackelten Figuren ohne erkennbares Ziel herum. Einige waren klein wie eine Kinderfaust, andere maßen über zwei Meter. Ihre Körper bestanden aus einem schwarz glänzenden Material, das mit Messingbeschlägen versehen war. Sie surrten, als würden sie von einfachen Motoren angetrieben.

Mechanische Roboter?

Atlan hielt seine gespannte Armbrust im Anschlag. Die beiden Cüünen bewegten unruhig ihre Köpfe, bemüht, sich in der neuen Umgebung so schnell wie möglich zu orientieren.

Ein kleiner, würfelförmiger Roboter kam auf zwei dürren Beinchen auf uns zu. Im Abstand von zwei Metern blieb er stehen, bewegte sich unruhig hin und her, als müsste er uns zuerst analysieren. Dann drehte er sich auf einem der Beinchen einmal um die eigene Achse und rannte laut kreischend davon.

»Ein Alarm-o-Bot«, sagte Atlan trocken.

»Was geschieht jetzt?«, fragte Amtum Hehre von Orbagosd.

»Ich weiß es nicht. Aber wir sollten uns darauf vorbereiten.«

Trotz der Gefahr, in der wir möglicherweise schwebten, musste ich grinsen. Atlans Souveränität in solchen Situationen war unvergleichlich.

Die anderen Roboter blieben wie angewurzelt stehen. Einige drehten Köpfe oder andere Extremitäten in unsere Richtung. Nach einer gemeinsamen Schrecksekunde rannten auch sie davon. Ein paar von ihnen stießen dabei gegeneinander und blieben mit strampelnden Gliedmaßen liegen.

Dann spürte ich es. Etwas in meinem Bauch zog sich zusammen. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Ein Gefühl der Beklemmung breitete sich in mir aus. Die Cüünen bewegten sich unruhig.

»Jemand ist eingedrungen«, verkündete eine tiefe, dumpfe Stimme. »Die Pause ist beendet!«

»Shukard?«, fragte Atlan. »Könnte es sein, dass Cherrenped'shan in der Nähe sind?«

»Es sind Cherrenped'shan in der Nähe. Sie scheinen gerade eine Pause gemacht zu haben und werden uns nun suchen. Was sollen wir tun?«

Atlan ließ die Armbrust sinken. »Nichts. Wir warten hier und werden uns so harmlos wie möglich verhalten, sobald sie uns finden.«

Das geschah keine zwanzig Sekunden später. Von allen Seiten kamen die Stelzenwürmer herangestakst. Als sie uns erblickten, kreisten sie uns sofort ein. Ich zählte zweiundzwanzig Cherrenped'shan, die meisten siebenmetrige Ungetüme, die sich auf je sechzehn Stelzenbeinen fortbewegten.

Automatisch hob ich meine Arme und zeigte ihnen meine leeren Handflächen.

Atlan tat das Gleiche. »Mein Name ist Atlan«, verkündete er, und sein Armband wiederholte die Worte in Infraschall. »Wir sind in friedlicher Absicht hier.«

»Was sind das für Wesen?«, fragte einer der Cherrenped'shan.

»Das ist unwichtig«, verkündete ein anderer. Seine Sinnestentakel zuckten aufgeregt »Sie sind eine Störung, das sind sie. Ein weiterer Schaden.«

»Vielleicht ein neuer Angriff der Manipulatoren?«, mutmaßte ein weiterer der Stelzenwürmer.

»Nehmt sie gefangen!«, befahl der größte Cherrenped'shan. Seine Haut war um eine Nuance heller als die der anderen. Zudem wirkte sie weniger schleimig. Hinweise auf sein Alter?

Gosgad Hehrer von Trynn stieß einen gequälten Laut aus. Sein Körper bebte.

»Ruhig, Freunde«, sagte Atlan leise. »Wir werden uns weiterhin friedfertig zeigen. Aber wir rücken enger zusammen, um sie wissen zu lassen, dass wir nicht vorhaben, uns gefangen nehmen zu lassen.«

Ich machte zwei kleine Schritte nach links und fühlte die zitternde Flanke des Cüünen an meinem Ellbogen.

»Wir kamen in die WEYD'SHAN, weil wir mit dem Pensor sprechen müssen«, erklärte Atlan. »Wir bitten um Nachsicht, falls wir euch in eurer Tätigkeit gestört haben. Ich kann nur versichern, dass wir keine destruktiven Absichten hegen. Wir gehören auch keinem Angriffskommando der Manipulatoren an; wir kennen den Begriff zwar, aber seine Bedeutung ist uns unbekannt.«

Die Cherrenped'shan stutzten.

»Es will Verwirrung stiften«, sagte dann eines der Wesen. »Uns einen Tentakel hinhalten.«

Ein anderer Stelzenwurm sagte: »Krieger der Manipulatoren würden genau diese Worte wählen, um uns falsche Sicherheit vorzutäuschen.«

»Nehmt sie gefangen!«, wiederholte der alte Cherrenped'shan.

»Wartet!«, hörte ich mich plötzlich rufen.

Der alte Stelzenwurm drehte seinen massigen Körper in meine Richtung. Seine Sinnestentakel streckten sich zitternd nach mir aus. »Worauf?«

»Ihr handelt vorschnell«, antwortete ich etwas kleinlaut. Dann holte ich tief Luft. »Wir sind nun schon eine Weile in der WEYD'SHAN unterwegs. Dabei haben wir auch schon die anderen Versionen besucht – und stets haben wir mit den Cherrenped'shan kooperiert. Einigen von ihnen waren wir schon eine große Hilfe!«

Atlan gab mir ein verstecktes Handzeichen, deutete mir, dass ich nicht zu dick auftragen sollte.

»Das habt ihr?«, wollte der Alte wissen. »Wie habt ihr ihnen denn geholfen?«

»Wir haben sie in ihren Tätigkeiten unterstützt. Ihr müsst uns nur sagen, welchen Arbeiten ihr nachgeht, und ich bin sicher, dass wir euch dabei helfen können.«

Atlan reckte einen Daumen in die Höhe. Ich hatte die richtigen Worte gefunden.

»Hör nicht auf ihn!«, sagte einer der kleineren Cherrenped'shan.

Der Alte ließ sich nicht beirren. »Wir sind die Helfer in der Grube. Die Heiler in der Nacht.«

Atlan räusperte sich. »Sagtest du ›Grube‹? Weil sich die WEYD'SHAN in einer Grube befindet?«

»In einer Grube in der Obhut von Andrabasch.«

»Die vierte Legende!«, platzte es aus mir heraus. »Wir sind in die WEYD'SHAN der vierten Legende gekippt.«

Hastig suchte ich in meiner Erinnerung nach allen Einzelheiten dieser Version des Schiffs.

Demnach wäre die WEYD'SHAN überhaupt nicht havariert, sondern wurde von den Manipulatoren der Synchronie angegriffen und dabei schwer beschädigt. Als Rettung bot sich der Ringplanet Andrabasch an, in dessen Obhut sich das Raumschiff begab. Der Konfigurator hatte beschlossen zu helfen und dafür eine gigantische Grube ausgehoben. In sie wurde die WEYD'SHAN versenkt.

Anschließend wurden sämtliche Ressourcen verwendet, um den heilenden Technoverband um das schwer beschädigte Schiff zu wickeln.

Da es der WEYD'SHAN gelungen war, die Manipulatoren in die Flucht zu schlagen, respektive am Ausführen der Manipulation zu hindern, war für die Fauthen der Fall damit abgeschlossen.

Seitdem heilte die WEYD'SHAN in ihrer Grube – ein Prozess, der offenbar sehr viel Zeit in Anspruch nahm.

»Ihr bessert nach wie vor die Schäden aus, die beim Kampf gegen die Manipulatoren der Synchronie entstanden sind«, stellte Atlan fest. »Ihr seid die Helfer in der Grube, die Heiler in der Nacht.«

»Ja«, sagte der alte Stelzenwurm.

»Der Konfigurator hat damals der WEYD'SHAN geholfen«, fuhr Atlan fort. »Auch der Konfigurator, den wir trafen, ist mit uns freundschaftlich umgegangen. Tatsächlich hat er vor Kurzem sogar zwei Mitglieder unseres Teams zurück auf mein Schiff gebracht. Er hat auch uns geholfen.«

Ein dumpfes Raunen kaum auf unter den Cherrenped'shan. Der Alte bewegte sein Hinterteil seitwärts, sodass er Atlan aus allen seinen Facettenaugen der linken Körperseite betrachten konnte. »Du bist mit einem Schiff hier, Fremder?«

»Ich bin der Pilot des Richterschiffes ATLANC. Du magst es in einer seiner früheren Existenzen als CARCANC, MAYDHANC oder CHUVANC kennen.«

Ich musste erneut grinsen. Atlan spielte seine Karten gut.

»Mag sein.«

Atlan zeigte erneut seine leeren Handflächen. »Wie du – und ihr alle – jetzt vielleicht erkennst, kann es nicht in unserem Interesse sein, der WEYD'SHAN zu schaden. Und ganz sicher haben wir nichts mit diesen Manipulatoren der Synchronie zu tun. Wenn sie Feinde der WEYD'SHAN sind, sind sie auch unsere Feinde.«

Ein zustimmendes Brummen erhob sich von den versammelten Cherrenped'shan.

»Ihr mögt keine Feinde sein«, urteilte der Alte. »Aber ihr seid auf alle Fälle eine Störung. Seht euch um: Seit ihr eingetroffen seid, sind die Arbeiten in diesem Teil der WEYD'SHAN zum Erliegen gekommen.«

»Vielleicht böte sich dann ein Handel an: Wir helfen euch, die verlorene Zeit aufzuholen. Meine Freunde und ich sind geschickte Arbeiter.« Atlan legte eine Hand auf die Flanke von Gosgad Hehrer von Trynn. »Diese beiden Cüünen sind als Technoscouts bekannt. Ohne sie wäre es uns unmöglich gewesen, bis in die WEYD'SHAN vorzudringen. Und der junge Mann an ihrer Seite verfügt über ein technisches Gerät, mit dem er mit dem Technogeflecht in Verbindung treten und direkt mit ihm zusammenarbeiten kann. Und ich ... sagen wir, dass ich über sehr viel Erfahrung mit Raumschiffen verfüge. Mit intakten und havarierten.«

»Und was ist die andere Seite dieses Handels?«, wollte der Alte wissen.

»Ihr ermöglicht uns, dass wir – nachdem wir euch geholfen haben – den Pensor aufsuchen können.«

Erneut kam ein Brummen unter den Stelzenwürmern auf. Diesmal klang es nicht ganz so zustimmend wie zuvor. Wahrscheinlich, weil einige von ihnen daran zweifelten, dass die vier Fremden bei den Reparaturarbeiten besonders nützlich sein würden.

»Wir werden den Handel eingehen«, beschied der Alte nach mehreren Sekunden des Nachdenkens.

»Das freut mich. Bevor wir mit den Arbeiten beginnen, gestatte mir zwei weitere Fragen.«

Die Tentakel des Alten zuckten. »Frag.«

»Wir haben viel über diese Manipulatoren der Synchronie gesprochen, aber ich kann mir nichts darunter vorstellen. Könntest du uns erklären, um wen oder was es sich bei ihnen genau handelt?«

»Alles, was wir über sie wissen, ist, was sie der WEYD'SHAN angetan haben«, sagte der Alte. »Mehr müssen wir auch nicht wissen.«

»Es gibt keine Aufzeichnungen über die damaligen Ereignisse? Vielleicht sogar Bildsequenzen, die wir uns ansehen könnten?«

»Nein.«

»Hmm«, machte Atlan. »Und wie steht es mit den Fauthen? Auch über sie wissen wir kaum etwas, obwohl sie anscheinend eine wichtige Rolle spielen.«

Der alte Cherrenped'shan wartete lange mit einer Antwort. Dann sagte er: »Wenn ihr euch bei den Reparaturarbeiten bewährt, können wir euch vielleicht in dieser Hinsicht helfen und euch das gewünschte Wissen zukommen lassen.«

Atlan deutete eine knappe Verbeugung an. »Dann werden wir zusehen, dass wir euch nicht enttäuschen.«

Der Alte gab eine Reihe von Anweisungen an die anderen Stelzenwürmer. Sie sollten sich in Gruppen aufteilen. Jede der Gruppe sollte einen der Fremden mitnehmen und überprüfen, wie er sich bei unterschiedlichen Reparaturarbeiten anstellte.

Während Bewegung in die Stelzenwürmer kam, nutzte ich die Gelegenheit und stellte mich neben Atlan.

»Ist es klug, dass wir uns aufteilen lassen?«, flüsterte ich. »Wäre es nicht besser, wenn wir zusammenblieben?«

»Sicher wäre es besser«, gab Atlan ebenso leise zurück. »Aber ich habe das Gefühl, dass uns diese gewissenhaften Arbeiter wertvolle Informationen liefern können. Deswegen sollten wir das Risiko eingehen. Zumal ich nicht davon ausgehe, dass wir in ihrer Nähe gefährdet sind.«

»Aber wir kennen den ungefähren Ort der Zentrale ... oder Fokus. Wir könnten uns auch so auf den Weg machen, ohne hier noch Fronarbeit leisten zu müssen.«

Atlan lächelte nachsichtig. »Ein wenig körperliche Arbeit wird dich nicht umbringen, mein Junge.«

»So habe ich das nicht gemeint, ich wollte nur ...«

Atlans Lächeln verbreiterte sich. »Das war nur ein Zitat eines alten Freundes und Bauchaufschneiders aus meiner Jugend. Ernsthaft: Die Arbeit wird uns nicht lange aufhalten. Falls mein Gefühl mich nicht trügt, werden wir sogar Zeit gewinnen. Selbst mein Logiksektor geht davon aus, dass uns das Wissen dieser Cherrenped'shan bei den Verhandlungen mit dem Pensor entscheidend weiterbringen könnte.«

Ich öffnete den Mund, um ein weiteres »Aber« in die Diskussion zu werfen.

»Glaub einfach einem alten Mann«, raunte Atlan, bevor ich etwas sagen konnte. »Falls ich mich irre, werden wir beim nächsten Mal nach deinen Ideen handeln.«

Eine Gruppe Cherrenped'shan kam auf uns zu und bat mich, ihr zu folgen. Ich nickte Atlan und den Cüünen zu und folgte den Stelzenwürmern.

Unterwegs sammelten sie vier der surrenden Roboter auf, dann brachten sie mich in einen Raum, in dessen Mitte ein tiefschwarzes Loch gähnte. Technogeflecht hing in langen Lianen von der Decke.

»Dieser Boden ist während unserer Arbeiten eingestürzt«, erklärte einer der Stelzenwürmer. »Jetzt kommen wir nicht mehr weiter.«

»Und vier von uns sind auf der anderen Seite und sind außerstande, zu uns zurückzukehren«, warf ein Zweiter ein.

Ich trat an das Loch und blickte in die Tiefe. Weit unter mir sah ich ein rotierendes rotes Licht.

»Und nun wollt ihr, dass ich das Loch flicke?«

»Ja.«

Ich kratzte mich am Kopf.

Dann hob ich das Armgelenk und nahm mit dem Technogeflecht Kontakt auf. Es dauerte mehr als eine halbe Stunde, bis ich es so weit im Griff hatte, dass ich einen Versuch wagen konnte.

Die Cherrenped'shan hatten die ganze Zeit über schweigend neben mir gestanden und mich aus ihren Facettenaugen betrachtet. Als ich eine der Technolianen zu mir herunterzog und sie mich umschlingen ließ, stupste mich eines der Wesen mit seinen Tentakeln an.

»Ich melde mich für den Versuch«, sagte es. »Es wäre nicht gut, wenn du stürbest.«

Ich wollte das Angebot gerade ausschlagen, da besann ich mich und nahm es an. Nicht die Gefahr des Abstürzens ließ mich zögern, sondern die Tatsache, dass ich vom Rand des Loches aus viel effizienter auf das Technogeflecht zugreifen konnte als wenn ich mich mühsam von Liane zu Liane hangelte.

Also ließ ich dem Cherrenped'shan den Vortritt. Die Technoliane wickelte sich mehrmals um seinen Körper. Dann zog sie ihn hoch und schwang ihn über die Kante. Mehrere der Stelzenwürmer schrien auf.

Ich beorderte eine weitere Liane herunter, die das bemitleidenswerte Wesen ergriff und weiterschwang. Zwei Lianen später fand sich der Cherrenped'shan auf der Abbruchkante auf der anderen Seite wieder.

»Der Zweibeiner hat es geschafft«, rief er zu uns herüber.

Gleich drei der Wesen meldeten sich als Nächste für das Experiment.

»Das war nur eine Idee«, gab ich zurück. »Ich bin nicht ganz glücklich damit. Es ist unbequem, und das Risiko scheint mir zu hoch zu sein. Zudem ist es keine dauerhafte Lösung.«

»Darf ich wieder zurück?«, drang die Stimme des Stelzenwurms dumpf von der anderen Seite zu uns.

»Warte! Ich probiere etwas Neues aus!«

Ich benötigte weitere zwanzig Minuten, bis ich das Technogeflecht so weit hatte, dass es sich – zu einer Art Teppich verknüpft – über den Abgrund spannte. Weitere Lianen benutzte ich, um an der improvisierten Brücke seitliche Sicherungsseile zu befestigen.

»Jetzt gehe ich vor«, sagte ich und trat auf die Brücke.

Sie schwankte, hielt mein Gewicht aber problemlos. Ich ging darüber und stellte mich neben den geduldig wartenden Cherrenped'shan.

»Jetzt geht bitte der Leichteste von euch über die Brücke.«

Einer der Stelzenwürmer setzte vorsichtig das vorderste Beinpaar auf das Technogeflecht. Es hielt.

Nervös beobachtete ich, wie er weiterging und schließlich mit dem gesamten Körpergewicht auf der Brücke stand.

»Gut so, weiter!«

Das Armband hielt ich knapp vor meinem Mund, um sofort eingreifen zu können, falls die Konstruktion riss oder der Stelzenwurm eine unvorsichtige Bewegung machte.

Aber das geschah nicht. Der Cherrenped'shan trippelte vorsichtig über die Brücke und stellte sich – sichtlich stolz – neben uns auf.

Ich ließ das Prozedere mit dem nächstschwereren Exemplar wiederholen und so weiter, bis alle den Abgrund überwunden hatten.

Zu meiner Überraschung gaben sich die Cherrenped'shan damit zufrieden. Sie sagten mir, dass sie die Gruppe nun teilen würden. Zwei sollten mit mir zurück zu den anderen gehen und von meiner Eignung berichten, während der Rest nach den Verschwundenen suchte.

Also gingen wir über die Brücke und kehrten zu dritt in die Halle zurück, wo mich Atlan und die beiden Cüünen bereits erwarteten.

Wie nicht anders erwartet, hatten der Arkonide und die beiden Technoscouts die ihnen gestellten Arbeiten ebenfalls zur Zufriedenheit der Cherrenped'shan gemeistert.

»Und jetzt?«

Gosgad schüttelte verächtlich den Kopf. Die beiden seitwärts gerichteten Zähne im Kieferbereich wischten bedrohlich über meinen Kopf. »Jetzt machen sie bereits wieder eine Pause – und uns werfen sie vor, sie bei der Arbeit zu stören. Dabei stellt sich gerade heraus, dass wir vielmehr sie bei der Pause gestört haben!«

Atlan zuckte mit den Achseln. »Das sehe ich nicht so eng. Wichtig ist, dass wir uns bereits bewährt haben. Wahrscheinlich wollten sie auch nur testen, ob wir wirklich auf ihrer Seite stehen.« Er deutete auf die Traube, die sich um den alten Cherrenped'shan gebildet hatte. »Und wie es aussieht, beraten sie gerade intensiv über unser weiteres Schicksal.«

»Das sagen Sie so leichtfertig«, beschwerte sich Amtum. »Sie mussten sich auch nicht auf der Suche nach einem intakten Bauteil durch einen engen Tunnel quetschen!«

»Das nicht«, gab Atlan zu. »Aber ich musste eine Art Latrine reparieren. Ich bin nicht sicher, ob Sie diese Arbeit bevorzugt hätten, Amtum Hehre von Orbagosd.« Er lächelte. »Die Zwangspause gibt uns die Gelegenheit, in aller Ruhe ein paar Dinge zu besprechen. Könnten Sie mir zum Beispiel erklären, was es mit der Mittagsdämmerung des Universums auf sich hat? Sie haben ausgesagt, dass Ihr Volk von dort stammt. Auch die WEYD'SHAN der zweiten Legende sei während dieser Mittagsdämmerung abgestürzt ... Was bedeutet diese Bezeichnung?«

Gosgad legte den Kopf schief. »Es ist ein Abschnitt unserer Zeitrechnung. Sie bezieht die gesamte Lebensdauer des Universums mit ein. Und damit meine ich das uns bekannte Universum, also nur eines der ungezählten Universen im Multiversum.«

Sofort schlugen meine Gedanken Kapriolen. Mit den Begriffen war ich schon im Kosmologie-Unterricht nicht so richtig warm geworden.

Sprach der Cüüne nun vom Standarduniversum? Das Universum, aus dem sie stammten und das womöglich ein anderes war als jenes unserer Vorfahren? Oder vielleicht eine Raumzeitebene, die von den Kosmologen des Standarduniversums gar nicht als Universum bezeichnet werden würde?