Inhaltsverzeichnis

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Epilog

Kommentar

Leserkontaktseite

Glossar

Leseprobe: ATLAN Taschenheft Nr. 1 - Raumschiff SOL in Not

Gespannt darauf, wie es weitergeht?

Impressum

PERRY RHODAN - Die Serie

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Nr. 2684

 

Ein Pfand für die Spenta

 

Ein Planet soll gestohlen werden – Reginald Bull stößt in die Heimat der Sonnenhäusler vor

 

Marc A. Herren

 

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Wir schreiben das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Auf eine bislang ungeklärte Art und Weise verschwand das Solsystem mit seinen Planeten sowie allen Bewohnern aus dem bekannten Universum.

Die Heimat der Menschheit wurde in ein eigenes kleines Universum transferiert, wo die Terraner auf seltsame Nachbarn treffen. Die Lage spitzt sich zu, als die Planeten von fremden Raumfahrern besetzt und die Sonne Sol »verhüllt« wird. Seither kämpft die solare Menschheit um ihr Überleben.

Ein Hauptgegner sind dabei die Spenta, die sich selbst Sonnenhäusler nennen: Deren Manipulationen an Sol hätten der Menschheit beinahe den Kältetod gebracht. Ihnen geht es nach allem, was man weiß, darum, den Leichnam ARCHETIMS aus Sol zu bergen. Da dies scheiterte, umhüllten sie Sol mit »Ephemerer Materie«. Diese abzuziehen und damit die Sonne wieder zum Leuchten zu bringen ist das erklärte Ziel von Reginald Bull.

Da mit den Spenta bisher keine geordnete Kommunikation möglich war, setzt er auf neue Verbündete: Die Sayporaner verschaffen ihm eine Passage ins Reich der Sonnenhäusler. Doch diese fordern EIN PFAND FÜR DIE SPENTA ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Prester Jellicoe – Der Kommandant der LAERTES kümmert sich um alles am liebsten persönlich.

Reginald Bull – Der Resident droht mit falschen Erinnerungen.

Shanda Sarmotte – Die Funkenmutantin blickt in leere Häuser.

Chourtaird – Der Sayporaner vermittelt zwischen Terranern und Spenta.

Paitäcc – Der Inspektor inszeniert gern seine Arbeit.

»Kein weiser oder tapferer Mann legt sich auf die Schienen der Geschichte und wartet, dass der Zug der Zukunft ihn überfährt.«

Dwight D. Eisenhower

 

 

Prolog

Persönliche Aufzeichnungen

Prester Jellicoe

 

Ich habe keine Ahnung, wie lange ich das alles noch durchziehen kann.

Seit wir transferiert wurden, ist nichts mehr, wie es einmal war. Klar – ich bin nach wie vor da für meine Crew. Ich helfe und unterstütze, wo ich kann. Ich funktioniere gut wie ein lange benutztes Werkzeug.

Ich bin der Kommandant. Mittlerweile habe ich mich an die Scharade so gewöhnt, dass ich ab und zu selbst davon überzeugt bin, dass ich alles im Griff hätte.

Habe ich aber nicht.

Weshalb habe ich mich nur breitschlagen lassen, das Kommando über die LAERTES zu übernehmen? Ah, ich weiß schon: meine verdammte Eitelkeit. Oder waren es vielmehr meine Schatten aus der Vergangenheit, die mich verfolgen? Einer hat mal gesagt, dass jeder mit seinen eigenen Gespenstern zu kämpfen habe. Genau wie bei Charles Dickens die Geschichte mit dem Geist der letzten Weihnacht.

Wäre es nur so einfach, all jenen die Schuld zuschieben zu können, die mich zu dem gemacht haben, was ich heute bin.

Die Mädchen, später jungen Frauen, die in mir nur »die Giraffe« gesehen haben. Hätten sie mich so genannt, wenn sie gewusst hätten, dass dieser Spitzname ewig an mir haften bleiben würde? Wenn sie einen Eindruck des Schmerzes, der Selbstzweifel, der Einsamkeit gehabt hätten, die mir von diesem Namen beschert wurden?

Wahrscheinlich. Wer kümmert sich schon um die Gefühle eines langen Lulatschs?

Stück für Stück habe ich mir den Respekt erkämpft, um den ich damals auf Knien gebettelt hätte, wenn ich nur den Mut hätte aufbringen können.

Ich habe alles dafür getan, alles dafür gegeben. Mehr, viel mehr, als ich mir je zugetraut hatte. Mit jeder Sprosse, die ich erklommen habe, mit jedem kleinen Erfolg, den ich zu feiern gewillt war, fand ich mehr Anerkennung in der Welt der wahrhaft Lebenden.

Aber die Geister ließen mich nie in Ruhe. Sie durchschauten die Scharade mit Leichtigkeit. Du kannst alle anderen belügen, aber dich nicht. Auf jeden Fall nicht lange.

Ich wollte das alles nicht. Das Kommando über einen 800-Meter-Raumer ist eine Aufgabe, zu der man berufen sein sollte.

Mich haben die Geister dazu angetrieben – nur um mich später immer wieder daran zu erinnern, dass ich am falschen Platz bin. Dass ich das Leben eines Schiffskommandanten führe, der ich zwar im Prinzip sein möchte, der ich aber nicht wirklich bin – trotz aller Qualifikationen, der Hypnoschulungen, der bestandenen Einstufungs- und Stresstests, der psychologischen Ausmarkungen, die ich allesamt bestanden habe. Auf der Folie meines Personaldossiers steht, ich gehöre zu den zwei Prozent, denen man ein Schiff wie die LAERTES anvertrauen dürfe.

Aber ein 800-Meter-Raumer ist eine Kleinstadt, in der sich in jeder Sekunde Dinge ereignen, die man entweder beachten oder ignorieren muss. Es sind Tausende von Entscheidungen, die an jedem Bordtag anfallen. Ich weiß, dass die meisten davon meine Ebene nicht betreffen. Aber das quälende schlechte Gewissen – meine Geister, die mich nicht in Ruhe lassen – sagt mir, dass ich mich um so viele wie möglich kümmern soll.

Ich werde immer wieder dafür kritisiert, dass ich zu wenig delegiere. Die Flottenpsychologen, die Abteilung der LFT-Führungsbetreuung und die meisten, die von außerhalb des Schiffes in den Führungsalltag der LAERTES Einblick nehmen.

Ich weiß selbst, dass ich mehr delegieren sollte. Aber für mich ist die Einflussnahme in allen Bereichen des Bordlebens die einzige Möglichkeit, mein Dasein als Kommandant für mich selbst zu rechtfertigen.

Wenn es schon nicht meine Berufung ist, soll es verdammt noch mal mein Beruf sein, um den ich mich in allen Details kümmern will.

In allen Details. Und das sind viel zu viele. Ich schaffe es nicht mehr, alle Bälle in der Luft zu behalten.

Falls wir jemals wieder in die Heimat zurückgelangen sollten, falls jemals wieder Normalität eintritt, werde ich die Konsequenzen ziehen.

Es scheint, als gäbe es tausend Leben, in denen ich besser aufgehoben wäre als in diesem. Das sagen jedenfalls die Geister, die mich nicht in Ruhe lassen wollen.

Ruhe. Das wäre es.

1.

Der Tod in der Fremde

 

St. Patrick's Cathedral, dachte Reginald Bull, als er das Schiff sah.

Ein seltsam bedrücktes Gefühl breitete sich in ihm aus.

Er sah sich vor dem gewaltigen Gebäude stehen. Hundert Meter hohe Türme. Weißer Marmor. Die unglaubliche, von Trauer durchtränkte Stille in ihrem Innern. Hunderte Menschen, die auf Bänken saßen, gebeugt vor Gram, vereint im Gebet. Viele auf der Suche nach Hoffnung, aber nicht sie drei.

Mutter, Madi und er, wie sie darauf warteten, bis die Kirchendiener die Wachsreste aus einer Reihe der bernsteinfarbenen Kerzengläser entfernt hatten und sie wieder benutzt werden konnten. Madis Puppe mit Porzellangesicht, die sie sich gegen die Brust presste, obwohl sie schon lange nicht mehr mit ihr gespielt hatte.

Die goldene Box, die wie ein Briefkasten ausgesehen hätte, wenn sie nicht golden und mit einem christlichen Kreuz versehen gewesen wäre. Der Quarter Dollar, den seine erbärmlich zitternden Finger erst durch den Schlitz in das Innere der Box stecken konnten, nachdem Mutter ihm beruhigend durch das Haar fuhr.

Es war der Tag gewesen, als er erfahren hatte, dass Vater in der Normandie abgeschossen worden war. Dass er niemals wieder aus dem Krieg zurückkehren würde.

Niemals.

Reginald Bull hatte in seinem Leben Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von Raumschiffen gesehen, die in ihrer Form den Türmen von Kathedralen nicht unähnlich sahen. Aber keines von ihnen hatte in ihm eine vergleichbar starke Assoziation ausgelöst wie diese PÄRSTAIR. Zehn Meter hoch, das Schiff eines Sayporaners namens Choursterc, wie ihnen Shanda Sarmotte beim Anflug berichtet hatte.

Bull strich sich über das Gesicht.

Vielleicht war es das Motiv des Todes in der Fremde, das diesen schwebenden Kathedralenturm mit dieser Erinnerung verknüpft hatte. Vielleicht war es aber auch die seltsame abgeschottete Zone der St. Patrick's gewesen. Die unnatürliche Ruhe von Hunderten, der stumme Gegensatz zum Lärm auf der Fifth Avenue; ähnlich wie ihre Anwesenheit in der Anomalie.

Abgeschottet und vereint in einem Gefühl der Bedrückung, dachte er.

Erneut rieb er sich über das Gesicht. Er hasste es, auf wichtige Informationen zu warten. Am liebsten wäre ihm gewesen, wenn Shanda Sarmotte ihm über Funk einen vollständigen Bericht hätte zukommen lassen, dann hätte er nicht in seinem neuen Nervenzentrum des TLD-Towers warten und sich von seinen Erinnerungen drangsalieren lassen müssen.

Zur Ablenkung startete er die Einrichtungsroutinen des Raums.

Der Konferenztisch, bisher auf zehn Personen ausgelegt, verkleinerte sich. Fünf Multifunktionssessel blieben stehen, die anderen fünf und der Rest des Tisches versanken im Boden. Der Vorgang nahm keine fünf Sekunden in Anspruch.

An den Wänden entstanden die verschiedenen Holos, die er für den Rapport ausgewählt hatte. Eine dreidimensionale Karte der Anomalie. Das Solsystem in verschiedenen Ansichten. Das Weltenkranz-System mit Gadomenäa, Saypor, Druh und den anderen fünfzehn bekannten Planeten. Daneben Datenholos zu Flottenstärken, verbleibenden Ressourcen.

Menschen, Material, Munition, wie er es gelernt hatte.

Verflucht, wo blieb Delorian?

Die Tür glitt zur Seite, und das uralte Wesen trat ein.

Man muss nicht immer gleich vom Teufel reden, dachte Bull, manchmal zählt bereits der Gedanke.

»Gibt es bereits Neuigkeiten?«, fragte Rhodans Sohn.

Bull kniff die Augen zusammen. »Wir werden uns noch ein paar Minuten gedulden müssen. Sarmotte und Toufec sind auf dem Weg.«

Delorian setzte sich links von Bull an den Tisch. Den Becher mit Wasser, den ihm ein Servoroboter hinstellte, ignorierte er. Bull setzte sich ebenfalls.

Man schrieb den 13. Dezember 1469 NGZ. Seit der Eroberung des TLD-Towers waren beinahe zwei Wochen vergangen. Am 2. Dezember hatten unter der Leitung von Shanda Sarmotte die beiden Agenten Odo Ollowa und Daniil Veriaso, ihr Spezial-TARA Stainless Stan sowie Toufec das Transitparkett betreten und waren von ihm in das Weltenkranz-System versetzt worden.

In Sarmottes kurzer Meldung war nur die Rede von ihr und Toufec gewesen. Bull gab sich Mühe, eine vernünftige Erklärung für den Verbleib der beiden TLD-Agenten im Weltenkranz-System zu finden. Die Ahnung sagte ihm aber, dass Ollowa und Veriaso bei der Ausübung ihres Auftrages ums Leben gekommen waren.

Bei der Ausübung ihres Auftrages, dachte Bull grimmig. Nun denke ich also in offiziellen Textbausteinen. Verflucht!

Er presste die Lippen aufeinander. Da war es wieder, das Motiv vom Tod in der Fremde.

 

*

 

Bull nickte knapp.

Wie befürchtet waren die beiden Agenten Odo Ollowa und Daniil Veriaso auf dem Planeten Druh im Weltenkranz-System umgekommen.

Während Veriaso erschossen wurde, musste Ollowa ein besonders furchtbares Ende erleiden: Er geriet an einen sogenannten Mechanopoden, der mit der Funktion eines Emotioverstärkers ausgerüstet war. Odo Ollowa war an seiner eigenen, vielfach verstärkten Angst gestorben.

Die Überlebenden des Einsatzteams hatten trotz allem Erfolge zu vermelden: Der TARA-Kampfroboter Stainless Stan hatte bei seiner Selbstzerstörung das Informationskabinett Thauta Theann in den Untergang gerissen. Dieses sayporanische Informations-Nervenzentrum, ein biomechanisches Gehirn in Würfelform, war für das Sammeln und Weiterleiten von allen eingehenden Informationen an die Akademie für Logistik zuständig gewesen.

Wie Sarmotte berichtete, hatte sich die Logistik-Akademie selbst ins Bein geschossen, als sie die Monopolisierung der Informationsverarbeitung im Zuge der Machtübernahme durchgesetzt hatte.

Denn mit der Zerstörung des Informationskabinetts hatte Sarmottes Trupp gleich die primäre Raumüberwachung des Weltenkranz-Systems mit ausgeschaltet.

»Das Sonnensystem der Sayporaner ist damit ein Stück verwundbarer geworden«, fasste Toufec ihren Erfolg zusammen. »Kul uqda wa laha halla.«

»Jeder Knoten wird von jemandem gelöst«, murmelte Delorian lächelnd. Um seine jugendlich wirkenden Augen verzogen sich unzählige Fältchen.

Reginald Bull atmete tief ein. »Der Tod von Ollowa und Veriaso ist tragisch wie jeder Verlust von Leben. Aber ihr dürft zu Recht stolz auf das Erreichte sein. Damit hat sich unsere Lage auf einen Schlag stark verbessert. Je mehr Handlungsmöglichkeiten wir haben, desto schlechter werden uns Paichander und Konsorten einschätzen und desto effektiver werden wir zuschlagen können.«

»Nun«, sagte Shanda Sarmotte, »das war noch nicht alles. Da war noch die Sache mit der Bergung einer toten Superintelligenz namens PAUTHOFAMY – und die Entstehungsgeschichte der Sayporaner haben wir ebenfalls erfahren. Zumindest in groben Zügen.«

Bull tippte zweimal auf die Tischplatte. Eine runde Öffnung entstand, und das Wasserglas, das er zuvor verweigert hatte, drehte sich elegant in die Höhe. Er griff zu, trank zwei Schluck und stellte es wieder hin. Dann lehnte er sich zurück.

»Schießt los!«, sagte er.

Sarmotte und Toufec wechselten einen Blick. Zu Bulls Erstaunen sah er darin eine Vertrautheit, die zuvor zwischen den beiden nicht geherrscht hatte.

Zusammengeschweißt durch emotionelle oder hormonelle Ereignisse?

Toufec kratzte sich wie zur Bestätigung von Bulls Gedanken nachdenklich im wild wuchernden schwarzen Bart.

»Die Sayporaner entwickelten sich ähnlich wie die Menschen«, sagte der ehemalige Karawanenräuber. »Sie waren sehr musisch, aber auch sehr experimentierfreudig – besonders im biochirurgischen Bereich. Wenn man unserer Quelle trauen darf, waren die Sayporaner aber am Kindsbett ihrer Evolution nicht annähernd so konfliktbelastet, eroberungs- und kriegssüchtig wie wir Menschen.«

Bull kniff die Augen zusammen. »Eure Quelle?«

»Ein uralter Sayporaner namens Choursterc«, antwortete Sarmotte. »Er ist der Expeditionsleiter, dessen Aufgabe es war, den Korpus der Superintelligenz PAUTHOFAMY zu bergen.«

Toufec strich mit zwei Fingern am Rand des Turbans entlang, um seinen Sitz zu überprüfen. Vielleicht war es auch eine unbewusste Geste des Protestes, vermutete Bull.

Denn gleich darauf sagte Toufec: »Wir alle kennen das Lächeln der Sayporaner und die Geschichten, die sich sowohl davor als auch dahinter abspielen. Wenn meine Missionsgefährtin und begabte Gedankenfühlerin den Worten Chourstercs vertraut, ist dies zwar ein starkes Indiz, aber noch kein Beweis.«

Bull nickte.

Die beiden wechselten erneut einen Blick. Dann erzählte Toufec, was sie von diesem Sayporaner erfahren hatten. Bulls Magen zog sich kurz zusammen, als Toufec auf den Mond ihres Planeten zu sprechen kam, der in der sayporanischen Entwicklung eine entscheidende Rolle gespielt hatte. Allerdings waren die Raumfahrer auf Saypors Trabanten nicht wie Rhodan, Manoli, Flipper und er auf ein fremdes Raumschiff gestoßen, sondern gleich auf eine ganze Stadt.

Einmal entdeckt, unterstützte die Stadt die sayporanische Entwicklung. Stattete sie mit Wissen und Technologie aus. Und gab ihnen auch die überlichtschnelle Raumfahrt. Daraufhin wuchs das sayporanische Sternenreich rasch und größtenteils völlig friedlich an.

Im Gegensatz zur Menschheit wurden die Sayporaner erst spät mit höheren Wesenheiten wie Superintelligenzen konfrontiert. Sarmotte erklärte das, weil die sayporanische Heimatgalaxis Ayr angeblich in den »Versiegelten Regionen« liege. Was es damit auf sich hatte, weshalb dem so war und wer für die Versiegelung zuständig gewesen war, hatten Sarmotte und Toufec nicht herausgefunden.

Bull warf Delorian einen Seitenblick zu. Rhodans uralter Sohn verfolgte die Berichte der beiden mit konzentriertem, aber ansonsten völlig undeutbarem Gesichtsausdruck.

Toufec erzählte von der Faszination, die die Sayporaner angesichts des Zusammentreffens mit QIN SHI empfunden hatten. Waren sie zuvor doch nur auf tote Superintelligenzen gestoßen. Die Sayporaner befanden sich zu diesem Zeitpunkt bereits an einem Scheidepunkt. Uralt waren sie geworden, und durch die chirurgischen Eingriffe hatte sich das Volk so stark differenziert, dass jedes Individuum zu einer eigenen genetischen Insel, zu einer eigenen Art geworden war.

In dieser Situation waren die Sayporaner bereit gewesen, zu QIN SHIS Helfern zu werden. Dabei hatten sie sich laut Toufec in ihrer Hybris darauf verlassen, dass sie – weil sie die Aufenthaltsorte von Superintelligenz-Korpora kannten – zu geradezu unverzichtbaren Helfern QIN SHIS werden würden. So wichtig, dass Knecht zu Herr und umgekehrt werden würde, wie der ehemalige Wüstenräuber genüsslich erklärte.

»So viel zu dem Plan«, sagte Bull.

Dann erzählte die Funkenmutantin von ihrem Bergungseinsatz. Bull vernahm fasziniert, wie Sarmotte und Toufec auf dem Planeten Zyorin Zopai den Korpus der Superintelligenz in Milliarden von »Panfaktoren« fragmentiert vorgefunden und geborgen hatten.

Die Einspeisung der Leiche in die Ephemere Pforte – ein von QIN SHI erzeugtes Schwarzes Loch, das mit einem Sonnenzwilling ein gleichschenkliges Dreieck bildete – führte aber nicht zur gewünschten Stabilisierung der Anomalie.

Im Gegenteil: Das »Taumeln« der Anomalie erhöhte sich noch und dadurch die Gefahr, dass die Anomalie zwischen den Universen zerrieben wurde.

Reginald Bull ließ die beiden erzählen und stellte Rückfragen, wenn ihm Begriffe unbekannt oder Erklärungen zu dürftig waren. Besonders interessierte ihn das Gills-Ghaulinc-System mit den Zwillingssonnen.

»Wer Gills-Ghaulinc kontrolliert, hält das Schicksal der Anomalie in seinen Händen«, fasste Bull zusammen.

Sarmotte nickte. »Ob man die Anomalie zu stabilisieren oder zu zerstören versucht – um das System der Sonnenzwillinge und der Ephemeren Pforte wird man nicht herumkommen.«

Bull blickte auf die Uhr. »In zehn Minuten trifft Henrike Ybarri ein. Wir werden uns auf das weitere Vorgehen einigen. Ich bitte euch, im Anschluss an diese Konferenz alle gewonnenen Informationen zentral abzuspeichern, damit ich mich später in Ruhe damit befassen kann.«

Delorian räusperte sich. »Die folgende Konferenz wird wegweisenden Charakter haben«, sagte er, während sein Blick auf Bull ruhte. »Wäre es nicht angebracht, den Umbrischen Rat zu beteiligen?«

»Das kommt nicht infrage«, lehnte Bull kategorisch ab. »Gerade weil wir wichtige strategische Dinge klären müssen. Wir laden die Kinder vom Umbrischen Rat zu gemeinsamen Sitzungen ein, falls wir uns einmal auf eine gemeinsame Hymne oder Fahne einigen wollen.«

Henrike Ybarri traf drei Minuten vor der verabredeten Zeit ein. Sie grüßte kurz in die Runde und setzte sich auf den letzten freien Platz.

Dunkle Ringe zeichneten sich unter ihren Augen ab. Sie hatte in den vergangenen Tagen nicht viel Schlaf gefunden. Trotz der Müdigkeit wirkte die Erste Terranerin hoch konzentriert und entschlossen.

Schweigend lauschte sie Reginald Bull, der Sarmottes und Toufecs Erkenntnisse kurz wiedergab, die neuralgischen Punkte innerhalb der Anomalie bezeichnete und Henrike Ybarri in ihrer Funktion als Oberbefehlshaberin der Flotte und des Solsystems bestätigte.

»Dies ist eine Phase der Ruhe«, sagte Bull. »Wir sollten sie nutzen, um Schlüsselpositionen zu besetzen und die Sache in Gang zu bringen.«

Ybarri nickte. »Wer macht was?«

»Ich schlage vor, dass ich mit einer Expedition ins Lichtwirt-System vorstoße. Zusammen mit Chourtaird wird es mir gelingen die Spenta dazu zu bewegen, Sols Fimbulkruste aufzubrechen.«

Die Erste Terranerin blickte auf ihr Multifunktionsarmband. »Im stationären Orbit über Terrania wartet die LAERTES in erhöhtem Bereitschaftsgrad«, erklärte sie. »Reicht dir ein Achthunderter für deinen Besuch bei den Spenta?«

Bull hob beide Hände. »Ein Achthundertmeterraumer erscheint mir passend. Wir werden damit wahrgenommen werden, ohne allzu bedrohlich zu wirken.«

»Kommandant ist Oberst Prester Jellicoe, Terraner, genannt ›die Giraffe‹.« Sie blickte auf. Im Blick hing ein Ausdruck zwischen Staunen und Verärgerung. »Das steht so in seiner Akte«, sagte sie mit einer entschuldigenden Handbewegung.

Delorian räusperte sich. »Darf ich vorschlagen, dass ich an deiner Stelle die Verhandlungen mit den Spenta führe? Ich könnte mit der TOLBA ins Lichtwirt-System fliegen.«

Bull blies nachdenklich die Wangen auf. »Ich wäre sehr beruhigt, wenn du während meiner Abwesenheit im Solsystem bleiben würdest. Ich möchte den Spenta gern persönlich entgegentreten.«

Auch wenn er nicht davon ausging, dass Rhodans Sohn etwas tun würde, was die Sicherheit des Solsystems und seiner Bewohner gefährdete, war es ihm lieber, wenn nicht er bei den Spenta vorstellig wurde.

»Wie du es wünschst, Reginald Bull«, sagte Delorian, während seine Miene so undurchdringlich wirkte wie zuvor.

»Zur Flotte ...«, sagte Bull.

Die Erste Terranerin streckte sich. »Was schlägst du vor?«

Bull erhob sich. Er trat vor das Holo, das die Anomalie mit ihren 47 Sonnensystemen zeigte. Er streckte den linken Zeigefinger aus, und ein Bereich im Hologramm verfärbte sich augenblicklich himmelblau.

»Ich schlage vor, dass sich die Solare Flotte im Raum um den Brückenplaneten positioniert. Damit ist sie in optimaler Nähe des Weltenkranz-Systems und der Ephemeren Pforte.«

»Du hältst einen militärischen Angriff in der derzeitigen Lage für sinnvoll?«, fragte Ybarri überrascht.