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Band 130

 

Welt ohne Himmel

 

Rüdiger Schäfer

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

1. 16. August 2049

2. 17. Juli 2049

3. 16. August 2049

4. 17. Juli 2049

5. 17. Juli 2049

6. 17. August 2049

7. 17. Juli 2049

8. 17. Juli 2049

9. 17. August 2049

10. 17. Juli 2049

11. 17. August 2049

12. 17. Juli 2049

13. 17. Juli 2049

14. 18. August 2049

15. 17. Juli 2049

16. 17. Juli 2049

17. 17. Juli 2049

18. 17. Juli 2049

19. 17. Juli 2049

20. 18. Juli 2049

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Nachdem der Astronaut Perry Rhodan im Jahr 2036 auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff entdeckt hat, einigt sich die Menschheit – eine Zeit des Friedens beginnt. Doch 2049 tauchen beim Jupiter fremde Raumschiffe auf. Es sind Maahks, und sie planen einen Krieg gegen das Imperium der Arkoniden.

Kurz darauf verheert eine übermächtige Flotte der Maahks das Arkonsystem. Es folgen erstaunliche Entdeckungen und umwälzende Ereignisse.

Einer von Rhodans ältesten Freunden begeht sogar Verrat: Der Arkonide Crest schwingt sich zum neuen Imperator auf und nimmt Rhodans Schiffe unter Beschuss. Rhodans Frau Thora kommt vermeintlich ums Leben – sie wird jedoch in letzter Sekunde gerettet.

Währenddessen hat der Drahtzieher des Kriegs die Flotte der Maahks neu aufgestellt. Nun will er dem Großen Imperium den finalen Todesstoß versetzen ...

1.

16. August 2049

Reginald Bull

 

»Alles okay, Reg?« Autum Legacy, die in der Kanzel des Quadrocopters hinter ihm saß, lehnte sich nach vorn und legte eine Hand auf seine Schulter.

»Sag du es mir«, gab Reginald Bull zurück. »Ich habe mehr und mehr das Gefühl, dass wir im Moment gar nicht so viele Feuer austreten können, wie neue Brandherde entstehen.«

Bezeichnenderweise erwiderte die GHOST-Agentin hierauf nichts. Als ihm die gerade einmal 25 Jahre junge Frau von Interimsadministrator Maui John Ngata als Leibwächterin zugeteilt worden war, hatte Bull zunächst mit Ablehnung reagiert. Als ob er einen Beschützer bräuchte – noch dazu eine Aufpasserin aus den Reihen von GHOST, des Geheimdiensts der Terranischen Union. Bull hatte Legacy als lästiges Anhängsel gesehen, als jemand, der ihn in seiner Bewegungsfreiheit einschränkte.

Doch mit der Zeit hatte er seine Einschätzung revidieren müssen. Seine Begleiterin entpuppte sich nicht nur als äußerst attraktive Frau, sondern auch als kluge und mit allen Wassern gewaschene Taktikerin, die in Krisensituationen eine fast schon beängstigende Gelassenheit entwickelte.

»Da vorn.« Legacy deutete mit dem Arm an Bulls linker Wange vorbei in Flugrichtung.

Vor ihnen lag der Stadtteil Orion Hill. Vor gut sechs Jahren hatte man hier eine beträchtliche Menge Sand per Molekularkomprimierung in Felsterrassen verwandelt und mit Wohnhäusern in Fertigbauweise bestückt. Die so entstandene Siedlung würde zwar keinen Schönheitspreis gewinnen. Doch in Terrania war erschwinglicher Wohnraum schon damals knapp gewesen – und die Zuwanderung in die Hauptstadt der Terranischen Union hielt nach wie vor an.

Über den Dächern der Gebäude, die wie Soldaten beim Appell in Reih und Glied entlang der schnurgeraden Straßen standen, waberten die letzten Dunstschleier des erwachenden Tages. Vereinzelt waren bereits Menschen und Fahrzeuge unterwegs. In der nächsten Stunde würde der Verkehr deutlich zunehmen. Es war Montag, und die meisten Bewohner Terranias machten sich in diesen Minuten auf den Weg zu ihrem Arbeitsplatz oder schickten sich an, Einkäufe und andere Besorgungen zu erledigen.

Durch die Abschirmung der Pilotenkanzel drang das Knattern der Rotoren wie aus weiter Ferne an sein Gehör. Der Quadrocopter der Terra Police flog mit Sondereinsatzgenehmigung direkt über das Zentrum Terranias hinweg. Begleitet wurde er von fünf weiteren Maschinen und einer Space-Disk.

Reginald Bulls Blick glitt über die in der Morgensonne funkelnden Türme und Dächer der Metropole hinweg und blieb am Stardust Tower hängen. Die schlanke Fassade des höchsten Gebäudes und Wahrzeichens der Stadt stach wie ein silberner Speer in den wolkenlosen Himmel. Der August präsentierte sich bereits seit Tagen von seiner heißesten Seite, und wenn man den Prognosen glauben durfte, würde sich dieses Wetter noch eine Weile halten.

Man könnte glauben, alles sei in bester Ordnung, dachte Bull. Ein solcher Tag ist einfach nicht für Probleme gemacht.

Er wusste, dass das nicht stimmte. Es gab auch an einem Tag wie diesem Probleme. Gewaltige Probleme sogar – und damit waren noch nicht mal die Folgen der jüngsten Sonneneruptionen gemeint, die weiterhin die Nachrichten beherrschten und an vielen Orten für katastrophale Zustände gesorgt hatten.

Der Tower fiel hinter dem Quadrocopter zurück, als der neben Bull sitzende Pilot die Maschine in einer weiten Schleife nach links zog und dabei schnell an Höhe verlor. Bull beschirmte die Augen mit der Hand und sah in Richtung Port Hope. Den Militärraumhafen selbst konnte er nicht erkennen, doch soeben startete am Horizont ein Schwerer Kreuzer und erhob sich mithilfe seines Antigravs und der Impulstriebwerke majestätisch in die Luft. Das Sonnenlicht spiegelte sich auf seiner Außenhülle und erzeugte eine Reihe von Reflexen, die wie Morsesignale wirkten.

»Wir haben Glück«, sagte Legacy. »Das Haus liegt am Ende einer Straße. Siehst du den Park da drüben?«

Bull folgte der Richtung ihrer Hand und nickte. Etwa fünfhundert Meter voraus wurde das scheinbar endlose Häusermeer von einem Wäldchen unterbrochen. Die von Spazierwegen, Rasenflächen und einem kleinen See gesäumte Anlage wirkte inmitten des Betondschungels wie ein Fremdkörper und war an den Wochenenden wahrscheinlich völlig überlaufen.

»Gehen Sie hinter den Bäumen am Südende des Parks runter!«, wies die GHOST-Agentin den Piloten an. Dann schaltete sie über Einsatzfunk eine Sammelverbindung zu den übrigen Maschinen. »Wir rücken wie besprochen mit zwei Standardteams vor«, sagte sie ohne Einleitung. »Roboter und Drohnen bilden die Vorhut. Alle anderen bleiben vorerst als Eingreifreserve zurück. Achten Sie darauf, dass Sie Abstand halten! Wir fliegen zwar im Flüstermodus, aber unser Zielsubjekt ist wahrscheinlich misstrauisch. Ich will nicht, dass der Kerl uns zu früh bemerkt.«

Bull senkte kurz den Kopf. In Momenten wie diesen war ihm die junge Frau unheimlich. Zielsubjekt. Wie das klang. Kalt und unpersönlich. Letztlich war aber auch Debur ter Calon, der Arkonide, der versucht hatte, ihn umzubringen, ein Lebewesen aus Fleisch und Blut. Sie waren ihm bereits seit Wochen auf der Spur – und nun schienen sie ihn endlich gefunden zu haben.

Hast du etwa Mitleid mit ihm?, fragte er sich. Himmel, Reg: Er wollte dich töten! Außerdem hat er nicht nur dich, sondern auch andere in Lebensgefahr gebracht! Und Seth Ripling ist praktisch in deinen Armen gestorben!

Der Quadrocopter ging mit beängstigendem Tempo tiefer. Erst kurz über dem Boden fing der Pilot die Maschine ab und vollbrachte eine erstaunlich sanfte Landung. Das Klicken der sich öffnenden Sicherheitsgurte klang ungewöhnlich laut. Dann schlug Bull die kühle Morgenluft entgegen. Hier, im Schatten der Bäume, würde die Sonne erst am späten Vormittag für Wärme sorgen. Bull und Legacy stiegen aus

»Und du bist sicher, dass du mitkommen willst?«, fragte Legacy.

Er sah sie mit schief gelegtem Kopf an. »Ich erinnere mich, dass wir diese Diskussion schon geführt haben.« Ein letztes Mal überprüfte er die Systeme seines Kampfanzugs. »Mehrfach!«

»Haben wir. Ich möchte nur nicht dafür verantwortlich sein, wenn sich der Interimsprotektor der Terranischen Union ein paar Brandwunden an seinem Allerwertesten einfängt. Das wäre alles andere als förderlich für meine Karriere. Immerhin bin ich nach wie vor zu deinem persönlichen Schutz abgestellt.«

»Nur keine Angst!« Bull löste die Handwaffe von ihrer Magnethalterung, zog das Energiemagazin heraus und ließ es wieder einrasten. »Ich werde Ngata sagen, dass du einen vorbildlichen Job gemacht hast.«

»Wenn du im Terrania Medical Center im Koma liegst?«

»He! Nun mal halblang. Findest du nicht, dass du ein bisschen übertreibst?«

»Tue ich das?« Die Agentin trat so nah an ihn heran, dass er ihren warmen Atem im Gesicht spürte. »Das ist kein Spiel, Reg«, fuhr sie leise fort. »Dieser Kerl ist brandgefährlich. Er hat sich wochenlang vor uns versteckt. Das schafft man nur, wenn man klug ist und Verbindungen hat.«

»Und du glaubst, ich kann nicht auf mich selbst aufpassen?«, fragte er.

»Wenn ich das glauben würde, wärst du nicht hier«, antwortete sie ernst. »Im Gegensatz zu dir bin ich jedoch für solche Situationen ausgebildet. Ich lasse mich nicht von meinen Gefühlen leiten. Ich mache keine Fehler.«

»Das klingt verdammt arrogant.«

»Für dich vielleicht. Aber ich weiß, was ich kann.«

»Du machst dir Sorgen um mich ...?« Reginald Bull lächelte.

»Ich soll dich beschützen.« Autum Legacy verzog keine Miene. »Und genau das werde ich tun. Notfalls auch vor dir selbst.«

Für weitere Debatten blieb keine Zeit, denn in diesem Moment landete ein zweiter Quadrocopter neben ihrem. Zwei Männer, einer davon der Mutant Ras Tschubai, und zwei Frauen, alle in Einsatzmonturen, sprangen heraus und kamen zu ihnen herüber. Legacy schloss ihr Helmvisier und aktivierte die interne Funkstrecke. Bull tat es ihr gleich.

»Zentrale!«, rief die Agentin. »Was habt ihr für uns?«

»Nicht viel«, kam die Antwort aus der mehrere Kilometer über ihnen schwebenden Space-Disk. »Die Wärmeechos sind verschwommen. Aus dem Innern des Hauses kriegen wir ebenfalls keine klaren Messdaten. Wahrscheinlich irgendeine Art von Abschirmung.«

»Ras?«, wandte sich Bull an den dunkelhäutigen Mann.

Der schüttelte den Kopf. Auf seiner Stirn hatte sich ein dünner Schweißfilm gebildet. »Nichts. Aber ich bleibe dran.«

Bull drehte sich wieder um. Ras Tschubai war ein sogenannter Distanzlauscher. Bull fand diesen Begriff furchtbar sperrig, aber er hatte sich trotzdem durchgesetzt. Der Mutant war in der Lage, das Gras wachsen zu hören – buchstäblich. Mit seinen hoch entwickelten Sinnen nahm er Geräusche wahr, die selbst empfindlichsten Richtmikrofonen verborgen blieben – und das über beachtliche Entfernungen hinweg.

»Okay«, riss Legacys Stimme Bull aus den Gedanken. »Los geht's! Die Drohnen sind unterwegs. Sie schicken ihre Daten direkt an unsere Anzugpositroniken. Die Roboter riegeln die Umgebung und das Gebäude ab. Bull und Tschubai mit mir!«

Fast hätte sich Bull ein sarkastisches »Jawohl, Sir!« nicht verkneifen können, riss sich jedoch im letzten Moment zusammen. Die Agentin leitete den Einsatz aus gutem Grund. Sie verfügte trotz ihrer Jugend über das entsprechende Training und die Erfahrung. Es stand ihm nicht zu, sich über sie lustig zu machen und ihre Autorität mit flapsigen Bemerkungen zu untergraben.

Während sie sich zu dritt am Rand des Wäldchens entlang auf das vermutliche Versteck von ter Calon zubewegten, erschienen die Ortungsergebnisse der Drohnen auf dem Helmvisier. Sämtliche Fenster des Hauses waren verriegelt und mit einer Spezialfolie beschichtet, die zwar Licht passieren ließ, jedoch perfekten Schutz vor neugierigen Blicken bot. Das war keineswegs ungewöhnlich, sondern gehörte bei Neubauten längst zum Standard.

»Keine Alarmanlage«, drang es aus den Akustikfeldern des Helmempfängers. »Keine Kameras ... keine Bewegungsmelder. Nichts. Der Bursche scheint sich völlig sicher zu fühlen.«

»Ich höre etwas ...« Tschubai war stehen geblieben. Auch Legacy und Bull stoppten. Die tiefschwarze Haut des Mutanten war durch die entspiegelte Helmscheibe hindurch deutlich zu erkennen. Sie glänzte feucht. »Atmen ...«, fuhr Tschubai fort. »Das Rascheln von ... Kleidung ... und ... ein Summen.« Er schüttelte den Kopf. »Niederfrequent ... Ich ... ich kann es nicht zuordnen ...«

»Er ist also zu Hause«, stellte Legacy fest. »Die Roboter sind in Position. Wir gehen gleichzeitig vorne und hinten rein. Sobald wir drin sind, sichern die restlichen Quadrocopter den Luftraum und die Straße. Zugriff in ...«

»Da tut sich etwas!«

Die Meldung war von einem Mitglied des zweiten Dreierteams gekommen. Bull verließ den Schutz der Bäume, um freies Sichtfeld auf das Haus zu haben. Die Positronik registrierte die veränderte Fokussierung seiner Augen, und die Einblendungen auf dem Helmvisier erloschen sofort.

Sie waren rund hundert Meter von dem zweistöckigen Gebäude entfernt. Im Sonnenlicht schimmerte die schmucklose Außenfassade in einem matten Goldton. Bull sah einen Vogel, der sich auf den Rand des Flachdachs niedersenkte, ein paarmal mit dem Köpfchen nickte und wieder davonflatterte. Dann öffnete sich die Vordertür, und Debur ter Calon betrat die von einem weißen Zaun umgebene Veranda.

»Verdammt!«, fluchte Bull. »Wen zum Teufel hat er da bei sich?«

Zur allgemeinen Überraschung war der Arkonide nicht allein. Mit dem linken Arm hatte er eine Frau umfasst und dicht an sich herangezogen; in der rechten Hand hielt er eine Strahlwaffe, deren Mündung er ihr an Schläfe drückte.

»Was treibt ihr da oben?«, rief Legacy in Richtung Einsatzzentrale. »Wo bleibt die Gesichtserkennung? Wer ist das?«

»Kein Ergebnis«, kam prompt die Antwort. »Die Frau ist nicht in den Datenbanken verzeichnet.«

»Er hat uns also nicht nur bemerkt, sondern außerdem eine Geisel«, stellte Bull grimmig fest.

»Die Messungen weisen einen Energieschirm der Stufe drei aus«, meldete die Zentrale. »Da kommen wir mit den Paralysatoren nicht durch.«

Bull hatte das schwache Flimmern um die beiden Gestalten längst selbst bemerkt. Er fragte sich, was der Arkonide mit seinem seltsamen Verhalten bezweckte. Ter Calon musste doch wissen, dass er praktisch keine Chance hatte. Geiselnahmen endeten nur in sehr seltenen Fällen mit einer gelungenen Flucht. Warum also diese Szene wie aus einem schlechten Kriminalfilm?

»Ich will mit Reginald Bull sprechen!«, dröhnte es in diesem Moment aus Richtung von ter Calon. Offenbar benutzte er einen Stimmverstärker. »Ich weiß, dass er hier ist! Wenn er sich nicht sofort zu erkennen gibt, ist diese Menschenfrau tot!«

»Was soll das werden?«, fragte Legacy, als sich Bull in Bewegung setzte. Sie packte ihn hart an der Schulter und stellte sich ihm in den Weg.

»Du hast es gehört. Wenn ich nicht mit ihm rede, wird er die Geisel töten.«

»Das wird er nicht«, widersprach sie. »Diese Frau ist die einzige Trumpfkarte, die er besitzt. Er wird sie nicht gleich bei der ersten Schwierigkeit ausspielen.«

»Himmel!« Bull warf beide Arme in die Höhe. »Hörst du dir eigentlich manchmal selbst zu? Das hier ist kein Spiel ...«

»Richtig!«, fuhr sie ihm in die Parade. »Und je eher du das begreifst, desto besser. Dieser Mann will dich umbringen! Geht das nicht in deinen Dickschädel? Er benutzt die Frau als Köder, und er wird ihr nichts tun, solange er nicht hat, was er will. Also lass mich diese Sache auf meine Weise erledigen, okay?«

»Glauben Sie etwa, dass ich bluffe?« Debur ter Calons Stimme klang erschreckend gelassen. »Ich bin kein Mensch, Reginald Bull. Begehen Sie nicht den Fehler, mich nach den Maßstäben ihrer rückständigen Heimatwelt zu beurteilen. Ich gebe Ihnen noch dreißig Sekunden. Dann stehen Sie entweder vor mir, oder diese Frau ist tot!«

»Reg ...«, sagte Legacy. »Du darfst ihm nicht ...«

»Nein, Leg.« Bull streifte ihren Arm ab und schüttelte den Kopf. »Er hat recht. Er ist ein Arkonide. Er denkt nicht wie wir. Wenn wir ihm nicht geben, was er verlangt, wird er schießen, weil er glauben muss, dass wir seiner Geisel keinen Wert beimessen.«

»Das ist ...« Die Agentin suchte nach Worten.

»... arkonidisch«, sagte Bull. »Versuch gar nicht erst, es zu verstehen. Hör zu, ich werde meinen Schutzschirm aktivieren und vorsichtig sein. Was kann schon passieren?«

»Auf eine derart dumme Frage antworte ich nicht.« Legacy seufzte. »Okay«, gab sie schließlich nach. »Aber beim geringsten Anzeichen von Gefahr wirst du dich zurückziehen! Ist das klar?«

»Absolut.«

Reginald Bull drehte sich um und ging mit festen Schritten auf Debur ter Calon zu.

2.

17. Juli 2049

Perry Rhodan

 

Im ersten Moment hätte man die beiden Arkoniden für Zwillinge halten können. Sie trugen die weißen Haare militärisch kurz. Die kantigen Gesichter mit der bleichen Haut und den roten Augen strahlten jene achtsame Gleichgültigkeit aus, die man nur bei altgedienten Soldaten beobachten konnte. Dazu kamen die bis ins letzte Detail identischen, grauschwarzen Uniformen mit den goldenen Schulterepauletten und dem Siegel des Großen Imperiums auf der Brust. Die Männer hielten wie poliert glänzende Strahlengewehre in den Händen. An ihren breiten Gürteln hingen jeweils zwei Handwaffen, die bei jedem Schritt hin- und herbaumelten.

Allzu lange blieb Perry Rhodans Blick jedoch nicht an den Hünen haften. Seine Aufmerksamkeit wurde rasch von der Person beansprucht, die zwischen den hochgewachsenen arkonidischen Leibwächtern entlangschritt.

Die schlanke und drahtig wirkende Frau reichte ihren beiden Begleitern lediglich bis zu den breiten Schultern, und doch füllte sie den Korridor, der vom zentralen Antigravschacht der CREST zum Konferenzraum I führte, mit ihrer schieren Präsenz vollständig aus. Sie trug die langen, silbernen Haare zu einem kunstvollen Gebilde geflochten, das an eine Spiralgalaxis erinnerte. Die in einem ungewöhnlich hellen Rosa schimmernden Augen musterten Rhodan für einen Moment. Dann wanderte ihr Blick weiter zu Thora, die neben Rhodan stand und nun einen Schritt nach vorn machte.

Auf die Lippen von Imperatrice Emthon V. stahl sich ein kaum merkliches Lächeln. »Botschafterin«, sagte sie. »Wie aufmerksam von Ihnen, mich das letzte Stück Weg zu begleiten.«

»Ich hätte Sie bereits im Hangar empfangen, Hochedle«, erwiderte Thora. »Aber wie Sie sich denken können, geht es im Moment ziemlich hektisch zu. Man wäre am liebsten an mehreren Orten gleichzeitig.«

»Dieses Gefühl kenne ich nur zu gut«, pflichtete ihr Theta bei. Sie trug ein schneeweißes, langes Kleid aus mehreren Lagen hauchdünnen Stoffs, die bei einem bestimmten Lichteinfall mehr offenbarten, als es nach höfischer Etikette schicklich war. Rhodan kam nicht umhin, zuzugeben, dass diese Frau sehr genau wusste, wie sie sich in Szene setzen konnte.

»Dafür habe ich meinen Mann mitgebracht.« Thora deutete auf Rhodan.

Er senkte den Kopf und beugte sich nach vorn. Arkoniden – insbesondere der Hochadel – hielten nicht viel vom Händeschütteln.

»Willkommen an Bord der ...«, setzte Rhodan an, besann sich jedoch im letzten Moment eines Besseren. »... an Bord des Flaggschiffs der Menschheit«, vollendete er den Satz. Das süffisante Lächeln Thetas verriet, dass sie seinen kleinen Fauxpas bemerkt hatte.

»Nur keine falsche Zurückhaltung, Protektor Rhodan.« Die Stimme der Imperatrice gewann eine Nuance an Schärfe. »Die Tatsache, dass Sie das wichtigste Raumschiff Ihres Volks nach einem arkonidischen Hochverräter benannt haben, zeugt zwar nicht von allzu großem Stilempfinden, aber wir alle machen Fehler.«

Rhodan beobachtete Thora aus dem Augenwinkel. Ihm war klar, dass es im Innern seiner Frau brodeln musste – und Theta wusste das ebenfalls. Aus ihrer Sicht hatte sie sogar recht. Dass Crest Aarakh Ranton mit rund 45.000 Raumschiffen quasi besetzt und sich selbst zum Imperator Zoltral XIII. ausgerufen hatte, stellte einen offenen Affront gegen die rechtmäßig amtierende Imperatrice Emthon V. dar. Bei dieser Thronergreifung waren Tausende von Arkoniden zu Tode gekommen. Nach arkonidischem Gesetz war Crest damit ein Ke'horak, ein Hochverräter, auf den die Infinite Todesstrafe wartete.

»Ich bin sicher, dass Crest gute Gründe für sein Verhalten hat«, sagte Rhodan. »Allerdings gibt es im Moment wichtigere Dinge, um die wir uns kümmern sollten, meinen Sie nicht auch, Zhdopanthi?«

Die Benutzung dieser Anrede, die nur höchsten Adligen und dem Imperator persönlich zustand, entlockte Theta ein schwaches Zucken des Mundwinkels. Rhodan konnte die Ablehnung geradezu spüren, die ihm diese Frau entgegenbrachte. In ihren Augen war er ein Barbar, ein Emporkömmling, der zu allem Überfluss eine Arkonidin geheiratet und mit ihr ein Kind, einen Bastard, in die Welt gesetzt hatte.

Einen Moment lang fiel es Rhodan schwer, ein Grinsen zu unterdrücken. Was würde Theta wohl sagen, wenn sie erfuhr, dass seine Frau erneut schwanger war? Noch war es nicht eindeutig erkennbar. Die sanfte Wölbung ihres Bauchs fiel nur auf, wenn man Thora gut kannte und genau hinsah. Lange ließ sich die neuerliche Schwangerschaft aber nicht mehr verbergen.

»Gewiss.« Die Imperatrice richtete wie beiläufig den gleichfalls weißen Umhang, den sie über ihrem Kleid trug und wie eine Schleppe hinter sich herzog. »Ich bin hier, um zu reden. Also reden wir!«

Rhodan trat zur Seite und ließ Thora den Vortritt. Seine Frau kannte Theta nicht nur von diversen Empfängen im Kristallpalast im Rahmen ihrer Rolle als arkonidische Botschafterin auf der Erde. Sie und die Imperatrice waren erst vor Kurzem von einem höchst ungewöhnlichen Abenteuer zurückgekehrt, in dessen Verlauf sie beinahe Agaior Thoton zur Strecke gebracht hätten.

Gemeinsam mit der Mutantin Sue Mirafiore und Thi Tuong Nhi, der Kommandantin der über Geesen abgeschossenen LEPARD, hatten sie den undurchsichtigen Mann mit den noch undurchsichtigeren Zielen auf Parok im Dreghensystem gestellt. Doch der Drahtzieher der Maahk-Attacke auf Arkon war mithilfe eines seltsamen, glatzköpfigen Humanoiden entkommen. Thoton hatte den Fremden Suator genannt.

Eine Minute später erreichte ihre Gruppe den voll besetzten Konferenzraum I. Als Theta eintrat, erhoben sich alle dort Versammelten von ihren Plätzen. Sogar Gucky – auch wenn sich der Ilt ob seiner Größe nicht auf den Boden stellte, sondern die Sitzfläche seines Sessels erklomm.

Während die beiden Leibwächter am Eingang zurückblieben und jeden im Raum ebenso grimmig wie aufmerksam musterten, geleitete Thora die Imperatrice zu einem Sessel am Kopfende des ovalen Tischs. Sorgfältig drapierte Theta ihren Umhang und die Stofflagen ihres Kleids über das Sitzmöbel, bevor sie sich darauf niederließ. Thora und Perry Rhodan nahmen die Plätze rechts und links neben ihr ein. Danach setzten sich auch alle anderen wieder.

»Vielen Dank, dass Sie so kurzfristig erschienen sind«, übernahm Rhodan die Einleitung. »Es freut mich besonders, dass uns auch Emthon die Fünfte, Imperatrice des Großen Imperiums, mit ihrem Besuch ehrt und damit zeigt, wie ernst sie die vor uns liegenden Bedrohungen nimmt.«

Theta hatte die Finger ineinander verschränkt und die Hände in den Schoß gelegt. Sie wirkte abwesend, doch Rhodan war sicher, dass sie jedes seiner Worte sehr genau registrierte. Nach über einem Jahrzehnt Eheleben mit Thora war er mit den meisten arkonidischen Bräuchen und Gewohnheiten vertraut. Der Besuch einer Imperatrice auf dem Raumschiff einer fremden Macht wäre im Normalfall mit deutlich mehr Prunk und einer Reihe von nach strengen Vorschriften arrangierten Ritualen verbunden gewesen. Im vorliegenden Fall war dafür keine Zeit geblieben, und bereits die Tatsache, dass Theta sich den Notwendigkeiten beugte, bewies, wie gefährlich sie die Lage einschätzte.

»Die von der VAREK'ARK zur Verfügung gestellten Ortungsdaten zeigen, dass Thoton und seine Flotte das Dreghensystem verlassen haben und sich bereits auf dem Weg nach Aarakh Ranton befinden«, fuhr Rhodan fort. »Auch die fünfundvierzigtausend Kampfschiffe aus dem Snarfsystem, die Crest unterstützen, machen sich einsatzbereit. Es scheint, als wolle er sie den Angreifern direkt entgegenschicken.«

»Dieser Narr!«, entfuhr es Theta. »Er wird sich eine blutige Nase holen. Und danach werden die Methans wie wilde Tiere über die letzte Zuflucht herfallen.«

»Noch ist es nicht so weit«, warf Rhodan ein. »Allerdings bestätigen unsere taktischen Analysen, dass die Maahks militärisch deutlich überlegen sind. Aarakh Ranton ist zudem keine Festung, sondern ein Versteck.«

Die Imperatrice warf ihm einen mitleidigen Blick zu. Vermutlich dachte sie, dass es mit den taktischen Analysen der Menschen nicht weit her sein konnte, sagte jedoch nichts, weil ihre eigenen Experten zum selben Ergebnis gekommen waren.

»Das Arkonsystem und damit das Zentrum des Großen Imperiums existiert praktisch nicht mehr – jedenfalls, was seine einstige Funktion betrifft«, sprach Rhodan weiter. »Es wird Jahre dauern, bis man die angerichteten Zerstörungen beseitigt hat, und noch länger, bis die Verluste, welche die Flotte hinnehmen musste, ausgeglichen sind. Doch das ist nicht mal das vordringliche Problem. Durch den Angriff der Maahks ist ein Machtvakuum entstanden. Wir wissen, dass es bereits unter der Herrschaft des Regenten eine ganze Reihe von Kolonien gab, die sich lieber heute als morgen vom Imperium losgesagt hätten ...«

»Wollen Sie mich öffentlich demütigen, Mensch?« Theta hatte sich ruckartig erhoben und funkelte Rhodan wütend an. »Das Große Imperium hat bereits existiert, als Ihre Vorfahren noch in Höhlen hausten. Mein Volk beherrscht Thantur-Lok seit Jahrtausenden. Ich bin nicht an Bord dieses Schiffs gekommen, um mich verhöhnen zu lassen ...«

»Zhdopanthi!«, rief Rhodan, der ebenfalls aufgestanden war, und hob abwehrend beide Arme. »Ich bitte um Vergebung! Falls meine Worte Sie verletzt haben, tut es mir aufrichtig leid. Das war nicht meine Absicht. Ich würde es niemals wagen, die Verdienste der Arkoniden oder die Bedeutung ihres Imperiums herabzuwürdigen. Aber die Situation ist, wie sie ist. Wir müssen nicht nur das Massaker an den Milliarden Arkoniden auf Aarakh Ranton abwenden, sondern auch so schnell wie möglich politisch stabile Strukturen schaffen, um einen Bürgerkrieg zu verhindern.«

»So ist es!«, sagte eine befehlsgewohnte Stimme, bei deren Klang die Imperatrice unwillkürlich zusammenzuckte. Am anderen Ende des Tischs hatte Atlan das Wort ergriffen. »Es ist beschämend genug, dass das mächtige Tai Ark'Tussan die Hilfe einer Zivilisation in Anspruch nehmen muss, die noch vor wenigen Jahren kurz davorstand, sich selbst auszulöschen. Aber ich kenne die Menschen. Vielleicht sogar besser, als sie sich selbst kennen. Sie sind den Arkoniden, wie sie vor zehntausend Jahren existierten, in vielen Dingen ähnlich.« Während er sprach, hatte sich auch Atlan erhoben und war um den Konferenztisch herum auf die Imperatrice zugegangen.

Rhodan bemerkte, dass die beiden Leibwächter ihre Waffen fester packten und einen Schritt in den Raum hineinmachten, doch Theta gemahnte sie mit einer knappen Geste zur Zurückhaltung.

Rhodan wusste um die langjährige Beziehung zwischen der Herrscherin und dem Unsterblichen. Atlan hatte nach dem Ende des arkonidischen Protektorats auf der Erde viele Jahre an der Seite Thetas im Kristallpalast gelebt, doch dann war das Band zwischen ihnen zerrissen. Der Arkonide hatte ihm den Grund dafür nie verraten. Während des Maahk-Angriffs auf das Arkonsystem war es zum endgültigen Bruch gekommen, und Theta hatte ihrem ehemaligen Geliebten sämtliche Befugnisse entzogen.

»Ich rate dir dringend, diesem Mann zuzuhören«, sagte Atlan leise und deutete auf Rhodan. »Er verdient jeden Funken Respekt, den du in deiner imperialen Arroganz aufzubringen in der Lage bist.«

Die Bewegung kam ansatzlos. Theta holte aus und versetzte ihrem Gegenüber eine schallende Ohrfeige. In Rhodans Ohren klang das Klatschen, mit der die Hand der Frau auf Atlans Wange landete, wie eine Explosion. Der Arkonide wankte leicht. Er bewegte prüfend den Kiefer, nickte anerkennend und beugte sich schließlich nach vorn.

»Ich habe dich auch vermisst, meine Schöne«, flüsterte er so leise, dass es nur Theta und die danebenstehenden Thora und Perry Rhodan hören konnten. Dann drehte er sich um, ging langsam zu seinem Platz zurück und setzte sich wieder.

Rhodan warf seiner Frau einen Hilfe suchenden Blick zu, aber Thora lächelte nur.

Im selben Moment richtete Theta ihre Aufmerksamkeit wieder auf Rhodan. »Sie besitzen kompetente Fürsprecher, Mensch«, sagte sie laut. »Den da Gonozals hat es schon immer an passenden Umgangsformen gemangelt, doch ihre analytischen Fähigkeiten wurden durch die Jahrtausende gerühmt. Ich werde Ihnen also zuhören.«

»Vielen Dank, Zhdopanthi.« Rhodan trank einen Schluck Wasser, um sich die nächsten Worte zurechtzulegen. Thora hatte ihn gewarnt. Es musste der Imperatrice unendlich schwerfallen, hier zu sitzen und sich von einem Menschen belehren zu lassen. Aber die Zeit für Eitelkeiten war längst vorbei. Theta wusste so gut wie jeder andere im Raum, dass ihr geliebtes Imperium unmittelbar vor der Auslöschung stand. In den kommenden Stunden würde sich das Schicksal ihres Volks entscheiden.

»Wir Menschen stehen erst am Anfang einer Entwicklung, welche die Arkoniden bereits vor Jahrtausenden abgeschlossen haben«, sagte Rhodan. »Ich habe nur einen winzigen Teil des Großen Imperiums bereist, doch was ich dabei an Wundern gesehen habe, hat mich tief beeindruckt. Nicht nur deshalb schmerzt es mich, dabei zusehen zu müssen, wie ein solch großartiges Sternenreich auseinanderfällt, und ich werde alles tun, um das zu verhindern!«

Thora sah zu ihm herüber und senkte die Augenlider. Trag nicht zu dick auf,Komm auf den Punkt.