Originaltitel: Bübins unge © Hezekiel Henshaw

All rights reserved

 

Die Übersetzung wurde vom Swedish Arts Council gefördert.

 

© der deutschen Ausgabe: 2017, Septime Verlag, Wien

Alle Rechte vorbehalten.

 

Nachwort © Aase Berg

Aus dem Schwedischen von Charlotte Karlsson-Hager

 

Das Zitat zu Beginn stammt aus Alice’s Abenteuer im Wunderland

von Lewis Carroll (Johann Friedrich Hartknoch, Leipzig 1869).

Aus dem Englischen von Antonie Zimmermann.

 

 

Lektorat: Christie Jagenteufel

Umschlag: Jürgen Schütz

Umschlagbild: © Fotolia – Mr. Doomits

EPUB-Konvertierung: Esther Unterhofer

ISBN: 978-3-903061-47-7

 

Printausgabe: Hardcover, Schutzumschlag, Lesebändchen

ISBN: 978-3-902711-63-2

 

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Mare Kandre

(1962–2005) begann ihre schriftstellerische Karriere im Alter von 22 Jahren. Ihr erster Roman erschien 1984, danach folgten in dichter Abfolge zehn weitere Werke, die die Aufmerksamkeit der schwedischen Literaturkritiker weckten, die sie als großes literarisches Talent priesen. Sie wurde mit mehreren schwedischen Literaturpreisen ausgezeichnet und ist heute weder aus den Bibliotheken noch aus der Schulliteratur wegzudenken. Die Maßstäbe, die Mare Kandre setzte, prägen ihre schriftstellerischen Erben bist heute. 2014 erschien im Septime Verlag der Roman »Der Teufel und Gott«, 2016 folgte der Roman »Aliide, Aliide«. im Frühjahrsprogramm 2017 schien der Roman »Bübins Kind«.

 

Klappentext

In einem vom Dorf abgeschiedenen Garten wohnen Onkel, Bübin und Kindchen, dieses große, schreckliche Mädchen aus Fleisch, wie es sich selbst betrachtet. Schweigend und fast unwirklich bestreiten die drei ihren Alltag – auch als Kindchen ihre erste Menstruation bekommt und sie nicht weiß, was mit ihr geschieht.

Dann plötzlich ist die Kleine da, die Bübin, Onkels Haushälterin, aus dem Dorf mit nach Hause bringt und von nun an Kindchens Platz einzunehmen scheint. Aus anfänglicher Abneigung entwickelt Kindchen Ekel gegenüber der Hilflosigkeit der Kleinen.

Eines Tages verlassen Onkel und Bübin den Garten für immer und überlassen die beiden Mädchen dem Hunger und der Einsamkeit. Kindchen ist mit der Anwesenheit des Kindes und ihrem eigenen Erwachsenwerden zunehmend überfordert und trifft eine Entscheidung.

Mit einer bildhaften, dichten Sprache verwebt Mare Kandre in ihrem Debütroman von 1987 die Gefühle des Mädchens zu einem vielschichtigen Roman über den Übergang vom Kind zum Erwachsenen.

Wie in Zeitlupe bewegt sich Kindchen durch den Garten, dessen ungezügeltes Wachstum ihre eigenen Gefühle widerspiegelt. Die sie umgebende Natur folgt der Psyche des Ichs, ist eins mit Kindchen. Bübins Kind ist aber mehr als nur ein Roman über das Erwachsenwerden, sondern, wie Aase Berg im Nachwort erläutert, auch ein Buch über Trennung und Einsamkeit.

Der Göteborgs Posten schrieb nach der Erstveröffentlichung: »Eine moderne Alice im Wunderland in einer seltsam anmutenden mythischen Umwelt. Wie Alice von Lewis Carroll begegnet Kindchen dem Heranwachsen mit ambivalenten Gefühlen.« Das Sydsvenska Dagbladet zog ebenfalls einen Vergleich mit Alice im Wunderland, hob aber den gravierenden Unterschied hervor: »Kindchen ist zur Gänze Natur – hilflose Natur, Alice dagegen Zivilisation.«

 

Mare Kandre

Bübins Kind

Roman | Septime Verlag

 

Aus dem Schwedischen von Charlotte Karlsson-Hager

 

 

 

 

 

 

Ich möchte wohl wissen, was eigentlich mit mir vorgegangen ist! Wenn ich Märchen gelesen habe, habe ich immer gedacht, so etwas käme nie vor, nun bin ich mitten drin in einem! Es sollte ein Buch von mir geschrieben werden, und wenn ich groß bin, will ich eins schreiben – aber ich bin ja jetzt groß,« sprach sie betrübt weiter, »wenigstens hier habe ich keinen Platz übrig, noch größer zu werden.

 

Lewis Carroll, Alices Abenteuer im Wunderland

 

 

 

I

 

 

Es wird Sommer

In der Sonne wirkt alles weitläufig und starr.

Die Bäume dünsten Süße aus, Fliegen; die Erde ist still; der Wind bewegt die Sträucher; das dichte Beerengestrüpp, das aus dem Gras herausragt, presst den Wacholder gegen die Mauer.

Das hohe Gras reicht mir bis zur Hüfte.

Ich stehe weit unten, wie in tiefem Wasser, und drücke die Bäume und Sträucher zur Seite.

Denn jeden Tag geht man den engen Tunnel weiter hinunter.

Die Farben werden stumpfer, dunkler. Die Geräusche werden im gelblichen Wasser erstickt.

Alles rückt näher. Nicht als ob die Welt kleiner würde, nein: Man geht nach innen, abwärts, hinein in den Bauch der großen Hitze –

In der Tiefe der Erde hört man die Steine bersten.

 

Da sind Onkel, Bübin und ich!

Nur wir allein –

Schwer zu sagen, wie es sich anfühlt. Ich gehe im hohen Gras unter den Bäumen auf und ab und tippe zerstreut mit dem Fuß gegen die trockenen Steine.

Bübins Gesicht ist vom Schweiß fettig und glänzend. Ich denke an Onkel. In einem Ohr höre ich ein trockenes, unscharfes Geräusch, als würde im Kopf etwas ausgewickelt –

Ich gehe hinein, setze mich neben Bübin und habe immer und immer wieder dieselben schweren, sonderbaren Gedanken –

Es ist hier; es ist nicht hier –

Dort, wo ich gegangen bin, liegen die Steine nass und umgedreht hinter mir im Gras, mit der dunklen Seite nach oben. Man kann sehen, wo ich gewesen bin. Die Abende kommen immer später –

Ich gehe in mein Zimmer hinauf und setze mich auf das Bett, ermattet von der Hitze. Ich höre Onkel im Zimmer nebenan rumoren, schwerfällig und stöhnend, als schleppe er einen großen toten Körper über den Fußboden.

 

Bevor es Sommer wurde, standen die Bäume grau und vereinzelt da, bis tief in den Juni, Juli hinein, als wagten sie sich nicht hervor, genauso unausgegoren und verkümmert, wie ich es bin!

Die Steine steckten tief im gefrorenen Boden, unverrückbar, und alles war von einem trockenen gelben Licht eingeschlossen, bezwungen und vergilbt.

Ich stand in meinem schwarzen Mantel am Brunnen.

Bübin sah mich vom Küchenfenster aus. Die Straße zum Dorf hinunter lag blank gefegt und sauber da. Ich ging mit vor Kälte gekrümmtem Körper. Einzelne schwarzgefrorene Beeren hingen noch an den Sträuchern. Die Kälte nahm zu. Die Steine knackten –

Das war bevor wir eine Pumpe bekamen.

Es war das Wasser im Brunnen –

Das Wasser war schuld.

Es war zu der Zeit, als es begann, Onkel schlechter zu gehen, und man es an seinen Augen sehen konnte, weil es da etwas gab, das nicht klar werden wollte.

Ja, wir beteten am Abend so inbrünstig und lange, dass die Gebete im Schlaf eine tiefe Furche hinterließen, und doch nichts davon übrig blieb.

Ich wurde krank und lag im Bett, und Bübin war bei mir.

Mein Kopf lag aufgeweicht von Schweiß in ihrer großen Hand, und das ganze Frühjahr hindurch schlief ich einen tiefen, fieberschweren, aber dennoch seichten Schlaf.

Ich hörte, wie Bübin im Zimmer ein und aus ging, von morgens bis abends, aber es wollte mich nicht loslassen. Sie betastete mein abgezehrtes Gesicht mit ihren Fingern, während ich ruhig das Fieber aus dem Körper schlief, bis der Frost wie dünner gelber Rauch der Erde entwich und ich aus diesem hermetischen, dunklen Zustand ausgehungert und ausgemergelt erwachte –

Die Haut spannte.

Ich wusste nichts von der Welt: Ich saß auf einem Schemel im Garten, eingehüllt in Bübins Schals, und fühlte mich matt und schwindelig!

Alles um mich herum war starr und tot.

Doch das Gras wurde kräftiger, Halm für Halm –

Es wuchs schnell aus dem gefrorenen Erdreich empor.

 

Während des Tages, wenn einem die Hitze am stärksten zusetzt, begleite ich Bübin widerstrebend ins Dorf, um Einkäufe zu machen –

Sobald wir zwischen den niedrigen, stillen Holzhäusern ankommen, wird es dunkel und rau vom Dunst und den Gerüchen.

Bübin geht vor mir. Atemlos laufe ich hinter ihr her, um Schritt zu halten, so als hätte ich Angst, sie würde mich verlassen oder könnte verschwinden.

Die Häuser stehen wie in die Erde versunken da, dicht zusammengedrängt in einer kleinen, tiefen Mulde, man hört keinen Laut, keine Menschenseele begegnet uns.

Es sind die großen schwarzen Balken der Häuser, die alles so still machen. Der Wald liegt in bedrückender Nähe. Das Dorf versinkt langsam in der schwarzgrauen Erde, Haus um Haus, ich stapfe durch Dung und Kot, die Gerüche machen mich schwindelig und benebelt, ich muss mir die Haare in den Mund stopfen und daran kauen.

Die Häuser neigen sich –

Ich laufe hinter Bübin auf den Marktplatz hinaus und atme den säuerlichen Geruch erleichtert aus. Da stehen wir nun. Ich fühle mich gleich leichter, der Schwindel weicht aus meinem Körper.

Eine alte Frau verkauft Fisch aus großen Fässern, hier wächst ein Baum mit einer löchrigen schwarzen Krone, er breitet wild und tastend seine Äste aus, als wolle er fort, geradewegs nach oben, und Bübin legt zwei Fische in meinen leeren Korb.

Wir schlendern zwischen den verschiedenen Ständen umher –

Alle kennen Bübin, sie füllt meinen Korb mit blassem, bitterem Gemüse, nicht größer als unreifes Obst oder Steine, denn in der Erde rund um das Dorf kann nichts zu voller Größe und Süße heranreifen, alles liegt nur hart und knollig im unfruchtbaren Schatten unter Wurzeln und Gras.

Dann spazieren wir zu einem Haus neben dem Marktplatz, und Bübin geht hinein.

Ich warte draußen mit dem vollen Korb. Ich habe weder Ildri noch Dordi gesehen. Ich hocke mich hin und zeichne Blumen in die Erde –

Ein Stück weit entfernt wird in einem der altertümlichen Häuser plötzlich eine Tür geöffnet.

Zwei Männer tragen einen leichten schwarzen Sarg heraus. Drei Frauen folgen ihnen. Ich sitze mit den Fingern in der Erde da und beobachte –

Auf einmal beginnt sich der schwarze Baum auszustrecken: beunruhigt und erschrocken. Ich bekomme einen flauen, herben Geschmack im Mund, die Häuser stehen klein und aneinandergedrängt rund um den Marktplatz, der Baum bebt und schwankt, es riecht eigenartig und ich will, dass Bübin endlich zurückkommt!

Ich höre, wie die Menschen in den dicht aneinandergedrängten Häusern miteinander sprechen, kann aber nichts verstehen. Die Männer und die drei Frauen blicken beschämt zu Boden –

Ich drehe mich um und sehe Bübin aus dem Haus treten, langsam, mit neuer, großer Kraft im Schritt.

Ein bleiches Kindergesicht taucht hinter dem beschlagenen Fenster auf und verschwindet wieder –

Ich schnappe den Korb und laufe Bübin hinterher, raus aus dem Dorf.

 

Ich habe gesehen, wie es geschah –

Wenn wir gegessen haben und Onkel das Gebet spricht, quillt es aus der blinden Innenseite seines Kopfes heraus: weiß, gesponnen, lautlos und spröde. So als blase er ein großes, zugestopftes Ei aus dem Mund.

In der Sonne schwellen die Sträucher durch die Hitze. Es gärt im Gras und in den trockenen, hochgekippten Steinen. Bübin atmet einen säuerlichen, rohen Geruch aus und bläst ihn betulich über das Fleisch –

Die Ulmen vor dem Fenster dampfen im Wind, die hübschen, stillen Hautflügler glitzern im Dickicht und ich will jetzt hinaus, hinaus aus alldem, ich möchte all das Schwere, Erhellte und Zerborstene aus der Luft und der Erde entfernen, denn ich bin es leid – den Überfluss, das Erblühen, das zügellose Wachstum –, und mit jedem Atemzug staut sich die Luft in der Lunge, fühle ich mich mehr vollgesogen, schleimig von Blut!

Eine Weile sitzen wir so, als würden wir auf irgendetwas warten –

Bübin neigt schweigend den Kopf Richtung Schulter, so als lausche sie in tiefem, regungslosem Wasser nach Leben. Onkel streckt über dem Teller mit Fleisch die Hand aus –

Alles ist ruhig.

Wie abgemacht –

Es gibt etwas, das nicht verloren gehen darf.

Und trotzdem binde ich jeden Morgen gewissenhaft und zärtlich das kühle Seidenhalstuch um Onkels Hals. Bis dicht unters Kinn. Wie er es am liebsten mag –

Mein Gesicht befindet sich nahe dem seinen und ich halte den Atem an. Gleichwohl spüre ich, wie hart und rein sein großer Kopf ist, trocken und schwer von Schlaf und Wärme.

Ich verstehe nicht, wie blind er ist, aber plötzlich fühle ich deutlich, so als stünde ich in einem kalten, leeren Licht: dass mir das alles jetzt nichts nützt, denn dorthin konnte ich noch nie gelangen –

Alles ist ungewiss, unausgesprochen.

Behutsam befestige ich das Halstuch mit einer Nadel und bleibe hinter Onkel stehen. Der Wind weht zwischen den Apfelbäumen hervor und schlägt die Seiten des dicken Buches auf dem Tisch auf –

Ich trete einen Schritt zurück und warte.

Ich sehe die schwarz gedruckten, eigenartigen Wörter in dem Buch und weiß: Ich werde auf alles pfeifen, was ich nicht darf!

Danach meine ich zu hören, wie Onkel unmerklich seinen großen, harten Kopf dreht, aber es wird gleich wieder still und das Buch klappt zu.

Jetzt steigen Gerüche aus der Erde auf!

Es braut sich etwas zusammen.

Den dicken Baumstämmen entströmt ein dunkler, bestialischer Gestank, und nichts bleibt mehr übrig, nichts –

Und doch ist dies mein Haus: die Verrottung und die starke Hitze, die mit Gestrüpp bewachsene Enge des Gartens und die Steine!

Jetzt gehe ich hinein und sperre Onkel aus –

Ich stehe im Gras zwischen dem Wacholder und erblicke Bübin am Brunnen.

Vorsichtig berührt sie das gelbliche Wasser und führt die Hand bedächtig zum Mund –

Die versengten, trockenen Düfte der Wacholdersträucher säuseln gedämpft in den fragilen Zweigen. Mein Ohr ist voll von diesem Gesäusel, verstopft vor Widerwillen.

Bübin geht hinein.

Onkels Fenster steht offen.

Ich sehe ihn nicht.

 

Manchmal, spätabends, steht Bübin im Hof und wäscht ihr langes, sprödes Haar

Dann, wenn das Licht blau und kräftig ist und die Farben noch stärker und intensiver leuchten.

Onkel bewegt sich träge durch sein Zimmer. Zwischen den Bäumen steigt die blaue Dunkelheit auf.

Ich sitze auf der Bank und schaue zu, wie Bübin ein Stück von mir entfernt mit dem Kopf über einem großen Eimer kniet, das Gesicht verdeckt und dunkel von Blut nach unten gebeugt. Sobald sie fertig ist, kommt sie herüber und setzt sich mit dem Rücken zu mir, wie sie es immer tut, und hält den Kopf gesenkt wie beim Gebet.

Ihr Haar ist vom Wasser ganz dunkel, beinahe schwarz, zusammengeklebt, jedes einzelne Haar glänzend und kräftig –

Ich drehe es so fest ich kann zusammen, drücke das verbliebene lauwarme Wasser heraus, lasse es abfließen und kämme dann die dicken Strähnen aus, während Bübin still dasitzt und der Wind auffrischt.

Für einen kurzen Augenblick liegt alles hinter mir –

Am Ende hängt der Zopf schwer und glänzend wie eine blank geputzte Eisenkette an Bübins Kopf.

 

Onkel hat mich zu sich gerufen und ich stehe wieder vor seiner Tür, ganz ruhig, doch ich erwarte mir nichts: gar nichts.

Ich trete ein und setze mich, und etwas überkommt mich.

Ich merke, wie alles schwierig und ununterscheidbar wird, innen und außen – wie das Gras seine dichten Halme auffächert und die Blätter abfallen. Dann schlage ich das Buch auf und beginne mit leiser, tonloser Stimme zu lesen, während Onkel zuhört. Aber er hat sich langsam abgewandt.

Ich höre, wie er blass wird. Es kommt von innen. Ich sitze da, unterdrücke meinen Zorn mit zusammengebissenen Zähnen, während der Tag vergeht, das Haus still wird und die Bäume verstummen. Ich halte die Finger unter dem aufgeschlagenen Buch gespreizt und pflücke die Wörter aus den Seiten, eines nach dem anderen.

Tiefes Missbehagen ergreift mich –

Ich will jetzt nirgendwohin, will gar nichts!

Den ganzen Nachmittag stehe ich dann mit Bübin in der Küche und koche mit ihr die Wäsche sauber –

Mit einem Stock rühre ich in dem großen Kessel. Jeder Laut wird vom Dampf erstickt, das Haar wird platt und schwer vom Schweiß. Ich muss durch den Mund atmen und mich am Herd festhalten, damit mich die Dampfschwaden nicht umwerfen.

Es wird mir zu viel –

Der Dampf kitzelt in den Lungen. Ich kann nichts mehr sehen. Ich habe mich verloren und alles ist jetzt weg. Ich muss mich aus diesem unbegreiflichen Zustand befreien; ich bin verdrossen und schweißgebadet, mein Kopf ist geschwollen und glüht von der Hitze –

Ich sehe mein Spiegelbild im verschmutzten Wasser des Kessels, doch das bin nicht ich, nicht die, die ich einmal war. Ich gehe in den Garten hinaus und versuche zu vergessen, doch es gelingt mir nicht.

Jetzt kann mir nichts mehr helfen.

Ich verblühe innerlich.

Mein Körper ist abstoßend und schwer, ich spüre, wie sich das Blut in der weißen Knochenwiege des Beckens sammelt, und große, unbeschreibliche Angst erfasst mich.

Ich flüchte mich ins Grüne, wo sich das Dickicht an meinem Kopf festkrallt. Die Haare stehen mir zu Berge, dunkel und aufgeladen. Ich irre orientierungslos umher und beiße mich selbst in die Hand.

Letztendlich –

Ich verstehe gar nichts.

Das hilft mir nicht.

Es bleibt alles beim Alten: das Unfassbare, die Angst.

Ich stehe in der Mitte des Gartens, hinter den Bäumen, dort, wo sich das Beerengestrüpp ineinander verkeilt, sich gegenseitig verschlingt und immer dichter wird. Ich hocke mich hin, aber ich finde kein Vergessen.

Der Wind erhebt sich aus der Erde. Ich verschwinde in diesem wuchernden Dickicht! Es drängt mich in die Mitte meines Schädels hinein, an einen Punkt hinter der Stirn, immer sanfter, und ich weiß, dass ich das jetzt bin: nichts von alldem.

Ich richte mich auf und bleibe vor dem morschen, kniehohen Zaun stehen, betrachte betrübt den kräftigen graublauen Stechapfel, so unbegreiflich alt, steinalt –

Mein Haar ist voller Zweige und Blätter, die, als ich mich umdrehe, lautlos zu Boden fallen. Alles ist süß und still: Die duftenden, schweren Blätter, saftig glänzend, gleiten mit einem trockenen, kaum hörbaren Geräusch zu Boden, wie tote Fliegen.

Drei Männer nähern sich.

Sie reinigen den Brunnen –

Dann wird es Abend.

 

 

II

 

 

Wir haben gebetet.

Wir haben gegessen.

Die Sonne geht unter.

Ich bewege mich ungelenker, weil ich es nicht vergessen kann. Wie eine Schlange lege ich den Kopf schief und drehe die Handflächen zum Körper.

Denn so ist es –

Ich mache mich kleiner. Zügele mich, habe Angst, dass ich etwas im Vorbeigehen umstoße. Stühle, den Tisch. Alles Unbefestigte. Sogar die Bäume. Ich berühre sie, aber nur ganz vorsichtig, zurückhaltend und angespannt.

Ich stehe im Garten und sehe, wie Bübin eine Kerze in der Küche anzündet. Ja, sie steht am Fenster, wie erleuchtet, und hält die Kerze vor ihrem Körper.

Sie blickt in meine Richtung. Zur Mauer hin. Sie schaut auf die Wacholdersträucher –

Es ist ganz einfach so: Ich erinnere mich an nichts!

Alles ist mir entfallen: gestern und all die anderen Tage. Ich habe jetzt nur noch diesen Ort, unzugänglich und unerforscht, erschreckend und gänzlich unmöglich!

Ich schleppe mich ins kalte Gras. Es zieht mich an sich wie ein weißer Sog.

Nichts kann mir jetzt noch helfen.

Nein.

Bübin betrachtet mich vom Fenster aus.

Die Bäume füllen sich.

Die hohen, dichten Sträucher rascheln.

 

Irgendetwas geht vor sich.

Versteckt.

Im Geheimen.

Ich weiß nicht was, ich habe nichts gesehen, doch Bübin geht fort, Bübin kommt wieder nach Hause, ich weiß, dass sie vom Dorf heraufgelaufen war, denn sie kommt verschwitzt und glühend herein, gerade als wir dabei sind, das Buch hervorzuholen –

Sie riecht säuerlich nach den dunklen Häusern.

Denn dort gibt es etwas Verborgenes.

Etwas Bedrohliches, das auf der Lauer liegt –

Und ich sehe Dordis Schwester draußen auf der Straße: Ich habe sie lange nicht mehr gesehen, und Dordi hat nichts erzählt. Ich sitze unter dem gelben Strauch neben der Gartentür. Dordis Schwester trägt ihren großen, schweren Bauch feierlich vor sich her, aber ihr übriger Körper wirkt ausgehöhlt und abgezehrt, ihr Haar ist trocken, farblos, zusammengebunden zu einem grauen Zopf –

Sie sieht verwirrt und ängstlich aus. So als hätte sie jemand geprügelt, immer und immer wieder, und sie ähnelt Dordi überhaupt nicht mehr, es ist zu viel auf einmal.

Ich drehe mich um, berühre sanft meine Lippen, auch innen, aber alles ist noch da; als ich wieder hinausblicke, ist Dordis Schwester mitten auf der Straße stehen geblieben, weil sie mich gesehen hat. Eilig verberge ich mein Gesicht hinter den Zweigen des Strauches, vergeblich –

Sie steht zaudernd da, als hätte sie jemanden weiter unten rufen gehört, will aber nicht hin, kann sich nicht entscheiden. Der Schweiß liegt wie ein dicker gelber Ölfilm auf ihrem abgemagerten Gesicht.

Weiter unten auf der Straße steht ein Mann mit einem wiehernden Pferd. Dordis Schwester erschrickt und wendet den Blick von mir ab, dreht sich träge und gemächlich um und schlendert dann hinunter, vorbei an den hohen Bäumen, an dem Mann mit dem Pferd, gleichmütig und ruhig, als wäre er gar nicht da und als hätte sie nichts bemerkt –

Als ich unter dem Strauch hervorkrieche, flattern Hautflügler aus meinem Haar und ich werde müde und schwindelig.

 

Als Bübin das erste Mal aus dem Dorf hier heraufkam, weil Onkel sie ausgewählt hatte, war sie noch schlank und geschmeidig und hatte noch all ihre Kraft im Körper –

Sie machte sich mit allem vertraut: alles, was davor hart und verschlossen gewesen war, wurde durch sie gleichsam von innen erstrahlt.

Und dennoch war es so, als wäre sie nicht ganz da, hätte ihre Gedanken ganz woanders, weiß Gott wo. Blieb zurückhaltend. Wurde von etwas Schwerem angezogen –

Man fühlte es an der Luft, wenn sie dicht neben einem stand: eine leichte Abneigung, wenn sie mich berührte, als gelte sie eigentlich jemand anderem.

Mit der Zeit wurde diese Abneigung so stark, dass sie nicht mehr zu übersehen war, sie stand ständig zwischen uns, ich sah Bübin unerreichbar auf der anderen Seite gehen –

Und Onkel besuchte die kranken Leute im Dorf, saß bei ihnen ganze Tage lang und kehrte dann hungrig und bleich zurück, aß schweigsam das kalte Essen, als würde er dadurch gereinigt.

Doch Bübin und ich saßen stumm um den Tisch, wie gelähmt vom Schweigen, bis es eines Tages so unerträglich wurde, dass etwas offengelegt wurde und alles zum Vorschein kam.

 

Ich höre Ildre, Rora und Dordi auf der Straße spielen, aber ich will nicht hin, ich bleibe hinter der geschlossenen Gartentür beim Hausgiebel stehen und zeige mich nicht: Ich möchte nicht gesehen werden!

Ich erinnere mich nicht, was ich gestern, vorgestern oder gerade vorhin gemacht habe, alles verschwindet sofort und ich kann nicht zurück, nicht bleiben.

Die Hitze und das Gras draußen verändern sich nicht. Aber es ist unerreichbar, das ist nicht richtig.

Warum hat man nichts gesagt?

Das Kleid spannt am Rücken und an den Hüften.

Ich wachse und trotzdem verstumme ich! Das Einzige, was ich in den Nächten höre, ist, wie mein unbegreiflicher, träger Körper zerspringt und kaputtgeht –

Die Gedanken verwirren sich!

Das Gedächtnis geht verloren!

Und alles rückt weit ab, unbekannt und bedrückend, ich muss mich selbst in Zaum halten, still sitzen und so tun, als wäre nichts geschehen.

Vielleicht geht es dann vorbei.

Vielleicht lässt es mich dann los.

Es ist deswegen –

Bübin und Onkel sind unnahbar! Es hat keine Bedeutung, sie zu kennen.

Während des Tages schleppe ich mich dahin, müde und erschöpft von all dem starken, unterdrückten Zorn. Ich bewege mich nur ungern. Berühre meinen Körper ungern.

Am Abend verriegelt Bübin die Tür, sie schließt alles ab, sodass alles noch weiter wegrückt, in weite Ferne.

Und Onkel?

Ich zähle die Tage –

Gestern –

Er hat nichts gesagt.

Heute –

Er hat nichts gesagt.

Morgen –

Er wird wieder nichts sagen.

 

Eines Tages ist alles ganz unerträglich und krank vor Hitze –

Die Vögel haben sich tief in den reglosen Bäumen versteckt, das Grün der Blätter ist prall und dunkel, sie schäumen ihren würzigen Saft auf und glänzen.

Bübin sitzt im Garten und wischt sich den Schweiß von den Wangen. Ich hocke bei der Mauer und grabe –

Einen Stein: zwei Steine –

Ich finde eine alte Tasse!

An diesem Abend kommt ein großer blasser Mann vorbei. Wir sind gerade in unser ständiges Beten vertieft, als er plötzlich durch das offene Fenster hereinblickt und zu uns spricht –

Das Gebet verstummt –

Ich stehe ratlos neben Onkel, die schwarzen Buchstaben noch verschwommen in meinem Kopf, und Onkels Gesichtsausdruck verändert sich, klärt sich, so als wäre er schutzlos.

Bübin entfernt sich langsam und geht in den Flur hinaus, kommt dann wieder herein, um Onkel zu holen –

Ich lege das Buch beiseite, höre den Mann im Flur mit eigentümlich belegter Stimme sprechen, als würde er die Wörter wieder einsaugen. Sie geleiten Onkel die Treppe hinauf. Kurz darauf gehe ich hinauf, stelle mich vor Onkels Tür und spähe hinein –

Onkel sitzt dort gerade aufgerichtet auf einem Stuhl neben dem Bett. Er hält seinen schönen bleichen Kopf sehr aufrecht, als versinke er in etwas Tiefem und Schrecklichem, das er aber nicht wahrhaben möchte –

Die drei stehen da drinnen und sind von der blaugrauen Dunkelheit zur Gänze eingeschlossen. Der Mann öffnet seine schwarze Tasche und zieht schweigend eine halb abgebrannte weiße Kerze heraus, die er dann anzündet und dicht neben Onkels erschrockenes Gesicht hält.

Bübin betrachtet Onkel mit festem, zärtlichem Blick, den sie die ganze Zeit über verborgen gehalten hatte und den ich nie gekannt hatte!

Die Uhren schlagen im Zimmer darunter, der Mann hält Onkels Kopf leicht mit einer Hand, dreht ihn vorsichtig hin und her, leuchtet mit der Kerze in Onkels ausdruckslose Augen und sein Gesicht tritt so deutlich hervor wie niemals zuvor –

Offen, mager –

Der Mann wendet sich zu Bübin und nickt, als wolle er sagen:

Er sei nun fertig.

Es sei an der Zeit.

 

Am darauffolgenden Abend kommt ein dicker, schweigsamer Junge aus dem Dorf herauf –

Er hat einen Brief bei sich und gibt ihn Bübin.

Er berichtet, dass Dordis Schwester gestorben ist, sagt, dass Dordis Schwester tot ist –

Ich gehe hinauf und setze mich auf das Bett.

Ich glaube, dass nun eine Zeit anbricht, in der alles Erinnerung wird, aber nicht so, wie man es erwartet hat.

Dordis Schwester? Die habe ich vergessen. Und Dordi ebenso! Alles, was jetzt mit mir geschehen wird, wird großartig und vertraut sein –

Ich wache früh mit einem bitteren, schalen Geschmack wie Tinte im Mund auf.

Noch ist keiner aufgestanden. Und ich denke mir: Jetzt wird es irgendwie beginnen. Ich brauche nicht mehr zu tun als ob. Ich habe nichts geträumt, habe nur in meiner tiefen Schlafhöhle gesessen und gewartet, aber jetzt bin ich wach –

Was macht es mir aus?

Ich stehe auf und trinke kaltes Wasser. Es schmeckt nach Stein und Kalk, Nüssen und Kies, aber mich wundert nichts mehr: Ich habe es immer gewusst.

Ich blicke auf das Bett hinab und entdecke einen großen roten Fleck, denke: Vielleicht hört es auf, wenn ich es nicht beachte?

Aber alles muss ich allein machen. Ich ziehe das Nachthemd behutsam über den Kopf, es lässt sich nicht verbergen: Die Brüste sind klein, aber schwer, das äußere Geschlecht, egal, wie man es auch betrachten mag: dunkel und ausgereift.

Ich blicke hinaus. Die Wolken liegen noch über dem Wald. Aber die Welt wirkt ausgestorben und fahl, Steine und Erde haben ihre Farbe verloren.

Da bemerke ich, dass auch das Nachthemd voller Blut ist, und knote es schnell und ohne zu überlegen in das Laken, denn Bübin könnte ja aufwachen.

Ich ziehe mich an, und als ich endlich draußen bin, rücken die Bäume am Waldesrand näher und der Wald zieht sich zurück, weg vom Haus. Ich spüre nicht, ob ich noch blute, aber ich sehe die drei Steine, die noch immer bei der Mauer liegen; dunkler jetzt, geschrumpft und klein, und einen schwarzen, menschenähnlichen Schatten, der an der Wand lehnt und sich nicht loslösen kann.

Ich gehe zum Abort und sehe hinein –

Hier hat es noch nicht zu riechen begonnen. Die Nesseln knistern. Bald geht die Sonne auf. Das hohe Gras unter den Bäumen trocknet und stellt sich auf, windet sich um die Stämme und befördert die Steine unter die Bäume zurück.

Ich stehe da und atme schnell und heftig mit dem feuchten, blutigen Knäuel auf dem Arm. Die spröden Waben des Wespennests knacken unter dem Dach im Abort. Die Wespen brummen wütend. Alle Farbe ist aus der Erde und den Pflanzen gewichen.

Ich lasse das Bündel fallen, setze mich hin und beginne zu graben. Immer mehr Erde grabe ich aus und stopfe das Bündel hinein. Als ich fertig bin, spüre ich, wie das Blut aus dem Kopf entweicht und nur ein leerer weißer Fleck zurückbleibt –

Ich betrete den Abort, hebe den Deckel ab und setze mich. Es weht aus der Grube herauf und draußen explodiert das Licht, dann wird es still. Ich meine Bübin beim Öffnen einer Tür zu hören, bin mir aber nicht sicher: Alles fühlt sich schwer an.

Die Wespen kriechen langsam die Wände entlang.

Sie finden nicht in ihr Nest.

 

Wer ist es?

Dieses plumpe, abscheuliche Mädchen aus Fleisch

ständig im Weg.

Morgens bleiben die Wolken am Himmel hängen, bis tief in den Tag hinein –

Aber es ist warm und die Geräusche gedämpft. Sie verlieren sich in den Bäumen und Steinen, im Wasser und in der großen Tonne.

Und ich blute jetzt hin und wieder, bin zerstreut und durcheinander und kann es nicht begreifen –

Ich verstehe, dass es nichts zu bedeuten hat, denn man hat mir nichts gesagt, daher muss ich es vergessen!

Das alles hat nichts mit mir zu tun –

Nichts hier ist wie ich bin!

Hässlich, einsam, unrein, hart.

Ich habe mich wieder unter den Strauch beim Gartentor gesetzt. Bin auf der Suche, finde aber keine Zeichen, nichts!

Die schmalen, hohen Bäume entlang der Straße schweigen, die Erde schweigt, und die drei Frauen, die lachend aus dem Dorf heraufkommen, schweigen.

Es ist ganz einfach so: Alles, was man nicht zeigen kann, wird immer mehr.

Es ist kein Schatten, es hat nichts mit mir zu tun, bald wird es in einen stummen schwarzen Baum, wo die Welt in der Dunkelheit verschwindet, über mich hinauswachsen.

Und auch das bin nicht ich –

Dort ist jetzt das Haus. Dort kann ich bleiben.

Stühle, der Tisch. Alles ist Widerstand und Einschränkung. Denn so wird man dann: verstockt und zum Schweigen gebracht.

Und ich habe aufgehört, zu jemandem gehen zu wollen, aufgehört, unter den Bäumen zu laufen, denn überall drinnen gibt es tief liegende, befremdende Orte, zu denen ich nicht gehen kann.

Die Uhren ticken und schlagen.

Ich bin auf dem Weg ins Haus.

Es muss etwas geschehen, was alldem Einhalt gebietet!

 

Am Abend zuvor läuft Bübin nervös hin und her, sie hantiert so aufgeregt und beunruhigt in den düsteren Räumen, dass sie mir und Onkel keine Beachtung schenkt –

Ich stehe auf der Treppe und lausche.

Von Zeit zu Zeit taucht ihr derbes, wirres Gesicht aus der beklemmenden Dunkelheit auf und ich höre, dass sie sich schnell und mit Leichtigkeit bewegt, sich nicht wie sonst schweigsam und bedrückt durch den Tag schleppt, von einem Raum in den anderen.

 

 

 

III

 

 

Früh am nächsten Morgen sehe ich sie vom Fenster aus –

Ich bin gerade aufgewacht.

Sie steht unten im Hof neben dem Brunnen, wendet mir den Rücken zu und wirkt ruhig und sonderbar: erfüllt von einer Stille, die tief und leer ist.

Es verwundert mich nicht.

Ich sage mir: Das geht vorüber. Ich kämme mein Haar. Bübin tritt aus dem Haus und berührt vorsichtig die eigentümliche Mütze des Kindes. Dann geht sie wieder ins Haus.

Heute kann ich mich selbst nicht sehen, aber das Kind sehe ich klar und deutlich. Ihm ist nichts geschehen, es hat noch sein glänzendes blondes Haar und die zarten Hände –

Ich trete vom Fenster zurück, um das alles nicht sehen zu müssen. Der schwarze Baum pflanzt sich plötzlich in mir auf, ich kann mich nicht dagegen wehren, vermag ihn nicht aus dem Körper zu bekommen.

Ich blicke wieder hinaus –

Die Kleine steht noch immer beim Brunnen und dreht ihren eigenartigen Kopf hin und her, aber das Gesicht kann ich nicht sehen.

Sie beugt sich leicht zurück, als könne sie nicht alles auf einmal erfassen, sondern müsse die hohen Bäume, die Sträucher und auch die Bäume im Wald einzeln betrachten, jeden für sich.

Mit der Zeit wird es zu mühsam, alles aufzunehmen.

Sie weiß nicht, dass ich mich dort befinde, wo sie hineingeht, ist wie ein Tier ohne Angst und voller Erwartung. Sie hat sich hingehockt und wühlt das Licht im dürren Gras auf. Als ich das sehe, lasse ich mein Haar aus den Händen fallen, denn alles entgleitet mir – das Haus, die Wände – und ich kenne mich selbst nicht mehr.

Das Kind hält die Hand ruhig vor dem Gesicht und ich drehe mich schnell um, ohne zu überlegen. Mein Haar fliegt in einem schweren, sausenden Bogen rund um meinen Kopf. So als wäre jetzt etwas klar und deutlich geworden.

Alles passt zusammen.

Ich laufe aus dem Zimmer, muss aber auf halbem Weg stehen bleiben, denn es wird immer schlimmer, der Kopf wird immer schwerer und das Gesicht spannt sich, bis ich mit erstarrtem Körper zitternd auf der Treppe stehe, das Haar umgeben von einem glühenden schwarzen Schein.

Aber als ich hinauslaufe, fühlt es sich leicht an.

Das Licht verursacht ein Ziehen im Kopf. Ich drücke die Hand gegen die Stirn. Da überfällt es mich wieder, so heftig und unerwartet, dass ich beinahe umfalle –

Sie steht am Brunnen und blickt sich um.

Ich höre ihr schlichtes, hässliches Kleid rascheln, als sie sich umdreht. Ich presse die Hand gegen die Stirn und kann mich nicht bewegen, doch die Kleine wendet ihren Kopf mit Mühe dem Licht zu und öffnet den Mund –

Ich denke: Was will sie von mir?

Ich verstehe es nicht.

Sie ist kränklich und blass, empfindlich und schwach, ihr Haar vom Licht erhellt und der Körper so unterernährt und dünn, dass es mich rasend macht –

Das ist niemand, auf den ich Rücksicht nehmen muss.

 

Ich laufe von ihr weg, beiße dann aber den ganzen Tag über die Zähne zusammen –

Es tut so gut, wenn man nichts empfindet. Wenn man ganz allein mit den Händen gegen die warmen Stämme schlägt, stur und unerbittlich!

Denn alles ist jetzt doppelt verworren.

Man kann nicht davor weglaufen, weil es nun heftig und unerträglich wird –

Man reagiert mit gleicher Härte.

Starrköpfig und unberührt.

 

In der Küche schreibt Bübin den Namen des Kindes mit großen und kantigen Buchstaben auf ein Blatt Papier, aber ich kann sie nicht lesen und zeige mich gleichgültig –

Die Kleine steht da und saugt an ihrer Lippe, und ich könnte, ohne mit der Wimper zu zucken, die Haut aus ihrem Gesicht pusten. Aber Bübin ist außer sich vor Freude, die ihr die Augen zusammenkneift und ihr derbes Gesicht zerfließen lässt.

Erstaunt berührt sie immer wieder den Kopf der Kleinen, als könne sie es noch immer nicht fassen, dass sie hier ist.

 

Am Abend beten wir –

Zuvor stehe ich im dunklen Abort und wische mir mit einem Blatt das Blut aus dem Schritt.

Es hört nicht auf. Und an die Kleine will ich nicht denken. Aber es nützt nichts, ich kann es nicht verhindern.

Wespen sitzen regungslos in einer Ecke unter dem Dach.

Draußen geht alles langsam seinem Ende zu: Das Licht verschwindet aus den Sträuchern. Mein ganzer Körper wird von der Dunkelheit der Wände des Aborts durchdrungen.

Es kostet mich viel Mühe, durch das verfilzte Gras wieder zurückzugehen. Und als ich ins Haus komme, liegt die Luft dick und süßlich in den Räumen und mich befällt wieder dieses schlammige Gefühl –

Doch es gibt hier ein Licht, das gleichsam wie von unten leuchtet und eine dicke Staubschicht vom Boden aufwirbelt. Alle drei sitzen dort und machen sich klein und unnahbar, nur die Kleine blickt auf.

Auch ich gebe mich unberührt, meine Hände, ja der ganze Körper, riechen nach Blut, dessen Gestank wegen der Anstrengung, die es mich gekostet hat, durch das Gras zu stapfen, aus der Haut gedrungen war.

Bübin und die Kleine sitzen eng aneinandergeschmiegt am offenen Fenster.

Das aufgeschlagene Buch in Bübins Schoß erhellt ihr Gesicht. Ein unschlüssiger, flüchtiger Gedanke durchdringt den Kopf der Kleinen, als sie mich kommen sieht.

Dadurch entsteht in meinen Armen, Händen und Fingern ein Druck. Nicht stark. Nur leicht und kribbelnd –

Ich nehme all meine Kraft und Entschlossenheit zusammen und setze mich ganz hinten zu Onkel. Ich lange nach dem Buch auf dem Tisch und lege es mir auf die Knie.

Onkels Gesicht leuchtet auf. Er sagt mir die Ziffern. Ich schlage das Buch auf und beginne zu lesen –

Ich weiß, dass mich die Kleine unentwegt beobachtet, aber versuche es zu ignorieren. Ich lese die Worte, die mich wie ein dunkler Kreis umgeben, und verharre darin mit diesem unnachgiebigen Druck im Körper.

Das letzte Wort halte ich im Mund zurück, bis sich mein Schoß prall mit Blut füllt. Dann spreche ich es aus und wir sitzen wie üblich eine Weile still da.

Ich reibe meine Finger an den Buchdeckeln, um ein bisschen von dem Druck abzulassen. Da reißt sich die Kleine aus Bübins Griff los und Bübins verzücktes Gesicht fällt in sich zusammen –

Ich sitze nur da, den Blick nach unten gerichtet, so als würde gleich etwas Fürchterliches geschehen. Ja, ich sitze wie unter dem stillen schwarzen Baum, überwältigt von der Unerschrockenheit, Hilflosigkeit, hilflosen Unerschrockenheit und blankem Entsetzen.

Denn sie hat sich jetzt befreit. Sie wandert umher und berührt die Gegenstände im Zimmer, da sie sehr lange beengt dagesessen hat und erst jetzt entwischen konnte!

Ich lege das Buch beiseite und gehe zur Tür, noch bevor Onkel aufstehen kann. Und in diesem Augenblick löse ich mich von Onkel. Entsage ihm und verlasse ihn.

Das Blut drückt und pulsiert in den Händen. Ich stehe da und halte mich an der Türklinke fest. Die Kleine setzt sich auf Onkels Schoß, während Bübin ihren Kopf abwendet und die Hände offen über dem Buch in ihrem Schoß hält.

Da legt Onkel sanft eine Hand auf den Kopf des Kindes, mir wird schwarz vor Augen, aber es geschieht nichts.

Nur: Es ist so still hier –

Keiner kann mir mehr folgen.

 

Als ich den Raum verlasse, schließe ich leise die Tür hinter mir und bleibe dann einen Augenblick stehen, ohne weiterhin an die Hand des Onkels und die Kleine zu denken.

Es war schnell dunkel geworden, unversehens und mit einem Schlag.

Im Garten ist das Gras von Tau bedeckt, Bäume und Sträucher werden niedergedrückt. Aber jetzt fühlt sich alles quälend und schwer an, dort, wo vorher nichts zu spüren war, herrscht eine bedrückende Leere, egal, was man anstellt –

Alle Fenster sind noch geöffnet.

Onkel geht in sein Zimmer hinauf.

In der Küche zündet Bübin gemächlich zwei Kerzen an –

Die Nässe im hohen Gras ist gewaltig. Die Steine strömen einen rauen Geruch nach Feuchtigkeit aus, ein Knacken und Knirschen begleitet den Vorgang der Ausdehnung und Anspannung.

Ich stehe zwischen den Wacholdersträuchern im Gras und kann an nichts denken, schlucke meinen Widerstand hinunter, bis er wieder in meinen Körper gelangt.

Doch dann beginnt Bübin abzusperren, und meine Hände sind starr vor Kälte. Ich spüre wieder den Druck in den Armen.

Bübin schließt alle Fenster.

Eine süße Müdigkeit breitet sich in meinem Kopf aus –

Als Bübin aus dem Haus kommt, trete ich unaufgefordert feierlich aus der Dunkelheit heraus.

Bevor ich hinaufgehe, sehe ich die Kleine drinnen bei Bübin –

Ich stehe bei der Treppe im Flur und reibe meine steif gefrorenen Hände. Bübin läuft hin und her. Ihr Körper ist angespannt, als wäre eine Schraube angezogen worden. Und noch fester!

Hier drinnen wird alles noch beengender –

Bübin hat einen Stuhl und eine weiße Schüssel mit Wasser geholt. Die Kleine hält die Hand ins Wasser, um die Temperatur zu fühlen, aber ich denke nicht daran.

Die Wände schweigen. Das Licht fällt auf das Wasser und steigt wieder auf. Die Kleine fasst sich behutsam ans Haar. Sie steht da und reibt ihre trockenen, schorfigen Füße am Fußboden, das Licht riecht nach Tod, bleich: Das Wasser rinnt aus ihrer Hand.

Ich sehe das frisch gemachte Bett, Bübins Buch, den Wandbehang, die heiße, weiße Wand hinter dem Herd, die Schüssel und die Kleine und denke erleichtert: Es bedeutet mir nichts –

Ich gehe hinauf und lege mich in das ungemachte Bett, überlasse mich nach und nach der Süße in meinem Kopf, bis sie zu intensiv wird, so als hätte ich zu viel gegessen.

Die Feuchtigkeit zieht das Kleid über der Brust und den Hüften zusammen.

Im Erdgeschoss schließt Bübin die Tür zu ihrem Zimmer: Onkel schläft.

Ich habe mein Haar wie einen muffig riechenden schwarzen Sack über den Rücken geworfen –

Durch den Fußboden höre ich, wie Bübin und die Kleine eigenartige Geräusche verursachen.

Aber das kümmert mich nicht.

Nein.

Nein.

Es ist dunkel und beengend.

So als liege man in der Tiefe eines großen Steines: unbeweglich –

Ich fühle mich einsam. Das, worin ich mich beweisen muss, ist mächtig und furchtbar. Deswegen verweile ich, so lange es geht, zitternd im Schlafzustand, werde aber bei Sonnenaufgang von dem feuchten Licht geweckt, das meine Haut zusammenzieht.

Alles ist noch da, aber es befällt mich in kleinen Schritten und ohne Zusammenhang.

Der Körper ist steif und angespannt. Ich schwitze und der Atem stockt vom Blut. Ich bin verwirrt und benommen.

Ich laufe hinaus und bleibe bei der Treppe stehen, aber noch ist alles wie immer. Kein Laut aus Bübins Zimmer, auch nichts von Onkel.

Ich sperre die Tür auf, gehe hinaus und berühre die Erde –

Die schwarzen Steine: Sie gehören mir. Es ist jetzt so heiß, dass die Dunkelheit unter den Bäumen und den wuchernden Sträuchern hervordringt.

Ich kann mich nicht zurückhalten –

Alles kommt zusammen.

Ich gehe zum Abort und wische mit einem Blatt zwischen den Beinen, doch ich bin trocken, so als hätte all diese Angespanntheit das Blut aufgesogen und zum Stillstand gebracht –

Es ist, als habe sich ein rauer, blauer Schatten über die Spalte gelegt.

Die Wespen fliegen wild und aufgescheucht in der heißen Luft umher.

Ihr sprödes Nest ist leer.

 

Und jetzt darf die Kleine mit Bübin ins Dorf einkaufen gehen, während ich allein in meinem Zimmer zurückbleibe und in die Luft starre.

Sie gehen fort und bleiben in dem eigenartigen Licht des gelben Strauches ein Weilchen stehen. Bübin umarmt das Kind wie ein zahmes, warmes Tier, ganz zärtlich, innig und behutsam.

Doch die Kleine entwindet sich ungeduldig und Bübin schnappt ihren Arm und blickt mit matten, leeren Augen und verschlossener Miene zu mir, so als hätte sie nichts bemerkt.

 

Ja –

Aber dieser Tag wird mühsam.

Etwas will hochkommen, aus mir heraus. Die Bäume verdunkeln sich. Das Blut kommt und geht, und ich halte mich auf Abstand, gebe nicht nach.

Ich stehe im Gestrüpp und sehe die Kleine herauskommen.

Behutsam hält sie ein großes Stück Brot in der Hand und umrundet dreimal schweigend den Brunnen.

Wenn man mich nicht sehen kann, bin ich gar nicht vorhanden!

Bübin kommt heraus und blickt sich um, und ich denke mir: Es ist nichts Schreckliches, wenn man einsam, verbohrt und verleugnet ist. Man entscheidet sich – und das genügt! –, danach kann einem nichts mehr etwas anhaben. Man muss nur damit aufhören! Sich unnahbar geben! Denn wozu soll das alles gut sein: Die Leere, die einen umgibt, und die Menschen, die man trifft, kennt man nicht –

Den ganzen Tag sitzen sie auf einer Bank im Hof.

Bübin nimmt einen Fisch aus. Die Kleine steht auf, legt den Kopf an den Brunnen und schließt die Augen –

Es stört mich nicht. Ich denke an gar nichts.

Onkel steht in seinem Zimmer. Hinter dem Wald, den Pflanzen und in meinem Inneren braut sich etwas zusammen –

Ich sammle meine Kräfte und sondere mich ab, als wäre ich nie wirklich dagewesen, die Stelle, an der Bübin sitzt, entschwindet.

Onkel schließt sein Fenster. Bübin und die Kleine gehen hinein und ich sehe Bübin in der Küche: Sie kocht den Fisch.

Der Tag neigt sich dem Abend zu, aber das Licht im Gras ist noch da, trocken und verdorrt. Ich habe mich zurückgehalten, kann es aber kaum noch ertragen –

Ausgetrocknet und geschwächt vor Durst, nur mit großer Mühe das Verdrängte zurückhaltend, begebe ich mich zum Abort und setze mich dort in der stickigen Hitze hin.

Es sticht in meinem Kopf und hört wieder auf. Die Geräusche verlieren sich in den Wänden. Ich beuge die Stirn zu den Knien und stecke den Kopf in den kräftigen Buschen meines Schoßes voller Gerüche.

Als ich später wach werde, lehnt das Kind in der Türöffnung. An dem Licht hinter ihr erkenne ich, dass kaum Zeit vergangen war.

Sofort spanne ich meine Gesichtszüge an, so fest wie möglich, und zeige meine Ablehnung, sodass sie für die Kleine klar ersichtlich wird. Ich spüre jeden einzelnen Knochen im Körper, klein und schlotternd, aber erst als ich mich aufrichte, lässt sie erschrocken die Tür los, sodass die glühend heiße Dunkelheit wieder über mich hereinbricht. Ich höre, wie die Kleine kehrtmacht und durch das hohe Gras hinaus auf den Hof und wieder ins Haus läuft –

Ich bleibe noch eine Weile sitzen.

Still und aufgekratzt.

Höre, wie die Tür geschlossen wird.

Das Gras richtet sich auf.

 

Für mich ist hier kein Platz mehr.

Dieser klägliche Eindringling ist hierhergekommen und hat alles Quälende und Unerträgliche aus der Tiefe aufgewühlt –

Mit einem Schlag ist alles, was lange Zeit unter einem tiefen Schweigen verborgen gelegen hatte, aufgebrochen!

Und da steht man nun –

Kann sich nicht bemerkbar machen wegen alldem, was einen so heftig bedrängt und in seiner Gewalt hat.

Man muss sich wehren –

Man kann sich nicht wehren.

 

An diesem Abend biegt Bübin meine Finger unter dem kalten Wasser der Pumpe in der Küche gerade, und ich frage mich: Habe ich etwas getan? Habe ich etwas nicht getan? An allem ist die Kleine schuld –

Trotzdem scheint es so, dass Bübin mich jetzt wahrnimmt.

Die Kleine kommt herein und stellt sich neben den Herd. Ich gebe mich wieder unberührt und verziehe keine Miene, neige den Kopf zurück und bin widerspenstig.

Die Hand ist geschwollen und eingeschlafen, durch das offene Fenster bläst ein fauliger Geruch über uns hinweg und die Kleine seufzt tief.

Ich denke: vorbei, vorbei –

In der Küche ist es trocken und kühl, voll trockener Gerüche. Bübins Körper wird schlaff, der warme Körper öffnet sein Fleisch.

Ich bewege mich nicht, doch als sie mich loslässt, läuft die Kleine auf mich zu und ich gehe mit den Händen hinter dem Rücken in den Flur hinaus.

Die Luft schmerzt in der Lunge und die Sträucher strecken ihre Zweige durch das offene Fenster in das Zimmer herein. Ich fühle mich wieder leer und verloren. Die Tür zum Hof steht offen, doch draußen ist es sehr dunkel, so als verdecke irgendetwas das Licht.

Ich höre Bübin in der Küche kramen. Die Kleine kommt heraus –

Es wird sehr dunkel, als wir am Tisch sitzen.

Das Kind legt seine zierliche Hand neben den Teller, da kommt Bübin herein. Ich fühle Geborgenheit, weil Onkel da ist, aber er weiß nichts über unser Leben –

Ich warte, bis ich aufstehen darf, und beim Hinausgehen blicke ich zum Himmel: Er hängt tief und sieht bedrohlich aus, aber nicht unseretwegen. Mir ist klar: Ich hätte an mich selbst denken sollen, denn es gibt nichts, das nur böswillig und verschlossen ist. Ich saß mit dem Blick auf Onkel gerichtet da, bis ich den Eindruck hatte, dass ich ihn spüren kann, doch jetzt ist alles klar: erledigt.

Ich warte lange unter den Bäumen.

Drinnen im Zimmer steht Bübin und packt zwei kleine Koffer mit Onkels Sachen.

Jetzt geht es los –

Die Kleine bleibt in Bübins Nähe und ich denke: Das wird dir nicht helfen. Ich bin gefasst, fühle einen Druck im Kopf, zunächst aber nur wie einen zarten, unbestimmten Geruch.

Ich stehe da und sehe zu, wie Bübin hinaufgeht, um Onkel zu holen.

Dicht über dem Gras ist es noch hell.

Ich starre die Kleine so lange an, bis sich Dunkelheit zwischen uns schiebt.

Dann sitzen wir das letzte Mal im Zimmer und beten, mit alldem, was zwischen uns steht, und lassen uns nichts anmerken.

Die Nacht geht schnell vorüber.

Ich schlafe sofort ein, so als hätte jemand seine Hand über mein Gesicht gelegt.

Und Bübin ist schon auf, als ich wach werde. Im Liegen höre ich, wie sie in den Hof hinausgeht und dann wieder hereinkommt.

Unten in der Stube sitzt die Kleine auf einem Stuhl und tippt mit dem Fuß gegen das Stuhlbein. Schon breitet sich eine Art Einsamkeit aus, denn Bübin hat bereits alles in Ordnung gebracht und sich ein eng anliegendes schwarzes Kleid, das sie sonst nie trägt, angezogen.

Ich möchte diesen ständig zunehmenden Überdruss endlich hinter mich bringen, komme, was da wolle –

Bübin kommt mit zwei Tassen Milch herein.

Sie schmeckt süß, fettig, wie aus einer Pflanze oder einem Grashalm gepresst. Und so wird es sein: dicht und gesättigt.

Die Kleine trinkt aus. Bübin schwitzt leicht am Kopf, sie hat sich abgerackert und überhaupt nicht geschlafen.

Ich denke mir: Wie auch immer –

Vom Fenster aus sehe ich den fremden Mann mit seinem schwarzen Pferd, das er vor den Wagen gespannt hat, beim Gartentor stehen.

Bübin sperrt die Eingangstür auf. Durch das Glas kann ich nichts hören. Der Himmel hat noch immer die gleiche Farbe, aber die hohen, schlanken Bäume auf der anderen Seite der Straße sind noch schmäler geworden, die Blätter hängen schlaff und dürr von den Stämmen herab, wie von der starken Hitze verdorrt.

Dann holt Bübin Onkel herunter und wir gehen alle hinaus –