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Metaethik zur Einführung

Für Christina

Markus Rüther

Metaethik zur Einführung

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Wissenschaftlicher Beirat
Michael Hagner, Zürich
Ina Kerner, Berlin
Dieter Thomä, St. Gallen

Junius Verlag GmbH
Stresemannstraße 375
22761 Hamburg
www.junius-verlag.de

© 2015 by Junius Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Covergestaltung: Florian Zietz
Titelbild: Junius Verlag
E-Book-Ausgabe Januar 2017
ISBN 978-3-96060-038-1
Basierend auf Print-Ausgabe:
ISBN 978-3-88506-709-2
1. Auflage 2015

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Vorwort

1. Einleitung

1.1 Metaethik – eine erste Annäherung

1.2 Ziele und Gliederung dieser Einführung

1.3 Was dieses Buch nicht leisten kann

2. Die Dimensionen der Ethik

2.1 Normative Ethik

2.2 Deskriptive Ethik

2.3 Metaethik

3. Der Non-Kognitivismus

3.1 Die Grundidee

3.2 Warum ist man ein metaethischer Non-Kognitivist?

3.3 Die Auseinandersetzung mit dem Non-Kognitivismus

3.4 Fazit und Ausblick

3.5 Weiterführende Lesehinweise

4. Der Konstruktivismus

4.1 Die Grundidee

4.2 Warum ist man ein metaethischer Konstruktivist?

4.3 Die Auseinandersetzung mit dem Konstruktivismus

4.4 Fazit und Ausblick

4.5 Weiterführende Lesehinweise

5. Der Realismus

5.1 Die Grundidee

5.2 Warum ist man ein metaethischer Realist?

5.3 Die Auseinandersetzung mit dem Realismus

5.4 Fazit und Ausblick

5.5 Weiterführende Lesehinweise

6. Schlüsselkontroverse I: Moralische Motivation und humeanischer Internalismus

6.1 Vorbemerkungen

6.2 Die Attraktivität des Humeanismus und Internalismus

6.3 Eine Auseinandersetzung mit dem Humeanismus

6.4 Ein Blick auf die Alternativen: Anti-humeanische Motivationstheorien

6.5 Eine Auseinandersetzung mit dem Internalismus

6.6 Ein Blick auf die Alternative: Der Externalismus

6.7 Fazit und Ausblick

6.8 Weiterführende Lesehinweise

7. Schlüsselkontroverse II: Metaethischer Naturalismus und naturalistischer Realismus

7.1 Vorbemerkungen

7.2 Warum ist man ein metaethischer Naturalist?

7.3 Eine Auseinandersetzung mit dem metaethischen Naturalismus

7.4 Die dialektischen Optionen für den Naturalismus

7.5 Ein kurzer Blick auf die Alternativen: Super-Naturalismus, Eliminativismus und Non-Naturalismus

7.6 Fazit und Ausblick

7.7 Weiterführende Lesehinweise

8. Zusammenfassung und Ausblick

Anhang

Anmerkungen

Literatur

Über den Autor

»Ein philosophisches Problem hat die Form:
›Ich kenne mich nicht aus.‹«
(Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, §123)

Vorwort

Die Metaethik ist eine Teildisziplin der Philosophie und versucht auf Fragen zu antworten, die die Natur der Moral betreffen. Metaethiker sagen uns nichts darüber, welchen moralischen Regeln, Normen und Prinzipien wir folgen sollen, sondern fragen danach, welchen semantischen, handlungstheoretischen, epistemologischen und ontologischen Status diese moralischen Grundparameter haben. Ein ›guter‹ Metaethiker kann sich also einerseits im Bereich der theoretischen Philosophie orientieren, ohne andererseits die Bereiche der praktischen Philosophie aus den Augen zu verlieren. Das macht die Metaethik vielseitig, aber auch schwierig. Und wenn jemand sogar ein Buch mit dem Titel »Metaethik zur Einführung« abfasst, dann lässt sich schon vermuten, dass es sich um kein einfaches Unterfangen gehandelt hat. Ich hoffe jedoch, dass mir eine Zusammenstellung von Themen, Theorien und Argumenten gelungen ist, die dem Leser hilft, im viel- und engmaschigen Dickicht der Metaethik den Überblick zu behalten.

Das vorliegende Buch ist vor allem das Ergebnis von Erfahrungen, die ich in den letzten Jahren in verschiedenen Seminaren und Forschungskontexten sammeln konnte. Den Studentinnen und Studenten meiner Seminare danke ich für ihre Neugier und Nachfragen; das gilt gleichermaßen für meine Kolleginnen und Kollegen in den verschiedenen Forschungs- und Oberseminaren in Bonn, Jülich, Münster, New York und Oxford. Ich hoffe, dass sie alle am Ende ihrer Lektüre sagen werden: »Er hat etwas gelernt!«

Für die redaktionellen Arbeiten und die Durchsicht des Manuskripts bedanke ich mich bei Peter Tschierschke und Ulrich Steckmann, deren Argusaugen mich vor manchem Fehler bewahrt haben. Gleiches gilt für meine Kolleginnen und Kollegen aus Jülich und Bonn, die dieses Buch in verschiedenen Stadien gedanklich begleitet und kommentiert haben. Nicht zuletzt ihren Nachfragen ist es zu verdanken, dass am Ende ein lesbares und zusammenhängendes Ganzes vorliegt. Ein besonderer Dank gebührt auch Sebastian Muders, der mir – wie immer – eine unschätzbare Hilfe war, wenn es darum ging, die philosophische Pointe im metaethischen Detail zu sehen.

Bei Michael Kienecker vom mentis Verlag bedanke ich mich für die freundliche Genehmigung, ausgewähltes Material aus Objektivität und Moral (2013) und Das Dilemma des Naturalismus (2015) wiederzuverwenden.1 Berücksichtigung fanden beide Quellen vor allem in den Kapiteln 1, 2 und 7.

Außerdem danke ich Steffen Herrmann für die zuverlässige Betreuung der Publikation im Junius Verlag.

Und schließlich darf ich Christina nicht vergessen. Ohne sie wäre es natürlich wieder einmal gar nicht gegangen. Ihr widme ich dieses Buch.

1. Einleitung

1.1 Metaethik – eine erste Annäherung

Moralische Überlegungen sind nicht zuerst akademische Angelegenheiten. Regelmäßig werden wir im Alltag mit ihnen konfrontiert. Wir bezeichnen Menschen oder Handlungen als moralisch gut oder schlecht, halten uns an moralische Regeln und Pflichten oder berufen uns auf moralische Intuitionen. Dabei sind wir häufig gezwungen, Handlungen und Handlungsoptionen zu bewerten. Der Gegenstandsbereich einer solchen Wertung kann ganz unterschiedliche Tragweiten für das eigene Leben aufweisen: Soll ich meiner Großmutter mit einem Besuch eine Freude machen oder doch lieber auf meinen kleinen Bruder aufpassen? Soll ich ein Medizinstudium aufnehmen oder doch eine Lehre als Krankenpfleger machen? Soll ich in den Benediktinerorden eintreten oder ein lukratives Jobangebot einer Kanzlei annehmen? Beschränkt sind diese Fragen jedoch keineswegs auf Einzelpersonen: Sollen wir unser Weihnachtsgeld für ein Klavier ausgeben oder doch für die Erhaltung des Regenwaldes spenden? Das fragen sich möglicherweise Klara und ihr Mann. Ist es moralisch vertretbar, Urlaubsreisen in ein Land anzubieten, in dem die Menschenrechte massiv verletzt werden? Das fragen sich die Mitarbeiter eines Reisebüros. Verstößt das neue Gesetz gegen zentrale moralische Grundwerte? Das fragen sich unter anderem die Mitglieder des Ethikrates.

Gleichzeitig fragen wir häufig nicht nur nach einer normativen Handlungsanweisung, die uns eine Antwort auf die Frage nach dem richtigen Handeln gibt. Wir geben uns in vielen Fällen mit einer Antwort nach dem Motto »Handlung ›x‹ ist moralisch richtig« nicht zufrieden, sondern erwarten auch eine Begründung der moralischen Handlungsempfehlung. Kurzum, wir fragen nach den Kennzeichen der moralisch richtigen Handlung. Dies ist im Wesentlichen der Aufgabenbereich der normativen Ethik. In ihr geht es nicht um die Frage, welche Handlungen de facto in einer Gesellschaft, Kultur oder Epoche moralisch geboten sind, sondern welche Handlungen verbindlich sein sollen. Die aus einer normativen Ethik abgeleiteten Aussagen haben somit einen normativen Status: Sie dienen dazu, unser Handeln in einem praktischen Sinne anzuleiten.

Darüber hinaus gibt es noch eine andere Betrachtungsweise, die nicht den Inhalt, sondern den Status der Moral betrifft. Dies ist der Aufgabenbereich der Metaethik. Ein Metaethiker möchte keine Aussagen darüber machen, was gut und schlecht ist, was man tun und unterlassen sollte.2 Ihm geht es vielmehr darum, die Natur der moralischen Aussagen zu klären, indem er die philosophischen Voraussetzungen aufdeckt, die wir mit ihnen eingehen. Hierbei kann er sich auf verschiedene philosophische Bereiche beziehen, wobei traditionell vier Bereiche im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen:

i.) Die metaethischen Untersuchungen in der Sprachphilosophie befassen sich unter anderem mit dem semantischen Status moralischer Urteile. Dabei geht es nicht um die Angabe von Kriterien für das ethisch Richtige und Gute. Dies ist die Aufgabe einer normativen Ethik. Vielmehr wird die Aufmerksamkeit auf die illokutionäre Rolle der Moralsprache gelenkt. Wozu verwenden wir moralische Aussagen eigentlich? Stellen wir mit ihnen Urteile über die Wirklichkeit auf oder wollen wir mit ihnen lediglich unsere Gemütsverfassung ausdrücken? Oder auch: Wie ist das Verhältnis von moralischen Urteilen zu anderen Arten von Urteilen zu bestimmen?

ii.) Mit der Behandlung von sprachphilosophischen Fragestellungen hängt ein weiterer Untersuchungsschwerpunkt aus dem Bereich der Philosophie des Geistes zusammen, der gegenwärtig besondere Aufmerksamkeit erfährt: die Frage nach dem Wesen moralischer Überzeugungen. Denn dass jedem moralischen Urteil eine spezifische moralische Überzeugung zugrunde liegt, ist weitgehend unbestritten. Wie aber lassen sich moralische Überzeugungen näher charakterisieren? Handelt es sich eher um Glaubensannahmen oder um konative3 Zustände, zum Beispiel um Dispositionen, Einstellungen oder Wünsche? Und worin unterscheiden sich beide Klassen eigentlich?

iii.) In einem dritten Bereich lassen sich Fragen aus der Erkenntnistheorie verorten. Im Kontext der Metaethik geht es dabei im Wesentlichen um Untersuchungen, welche die Möglichkeit von Erkenntnis und Rechtfertigung zum Gegenstand haben. Gibt es überhaupt moralisches Wissen? Und falls ja, wie sind die Grenzen und die Reichweite von moralischem Wissen zu bestimmen? Was heißt es zu behaupten, dass ein moralisches Urteil gerechtfertigt ist? Und wie hängen Rechtfertigung und Wahrheit schlussendlich zusammen?

iv.) An die erkenntnistheoretischen Fragen schließen sich weitere Fragen aus dem Bereich der Ontologie an. Hier geht es zum Beispiel um eine grundlegende Analyse der moralischen truth maker, die ein moralisches Urteil als wahr oder falsch ausweisen. Existieren moralische Tatsachen, die ein moralisches Urteil rechtfertigen können? Wenn ja, wie ist dann das Verhältnis zwischen den moralischen Tatsachen und dem moralisch Urteilenden zu bestimmen? Und nicht zuletzt: Wie lässt sich die Relation zwischen moralischen Tatsachen und anderen Tatsachen (z.B. biologischen, chemischen oder physikalischen Tatsachen) angemessen rekonstruieren?

Will man die metaethische Frage nach den Grundlagen unseres lebensweltlichen moralischen Denkens, Handelns und Sprechens auch nur ansatzweise beantworten, dann muss eine umfassende Theorie entwickelt werden, die in allen vier genannten Teilgebieten plausible und miteinander kompatible Ansätze vertreten kann. Die Frage nach dem primären semantischen Status moralischer Urteile und den ihnen zugrunde liegenden mentalen Zuständen muss genauso thematisiert werden wie die Frage nach der möglichen (oder der vermeintlichen) Erkenntnis moralischer Wahrheiten und die nach ihrem ontologischen Status. Kurzum, der Metaethiker muss nicht nur prüfen, was wir unter moralischen Urteilen, Überzeugungen, Erkenntnissen und Tatsachen verstehen sollten, sondern auch im Blick behalten, wie diese verschiedenen Verständnisse miteinander vereinbar sind.

1.2 Ziele und Gliederung dieser Einführung

Diese letzte Bemerkung zur metaethischen Theorienbildung verweist bereits auf die Ziele dieser Einführung. Eine wesentliche Absicht dieses Buchs besteht darin, dem Leser einen Überblick über die verschiedenen Diskussionsfelder in der Metaethik und ihre Zusammenhänge zu geben. Begründet liegt dies in der Ansicht, dass die Hauptschwierigkeit einer metaethischen Arbeit zumeist nicht in der Komplexität der Details besteht, auch wenn es durchaus komplexe und voraussetzungsreiche Theorien gibt. Vielmehr liegt die größere Schwierigkeit oft darin, den Überblick über die verschiedenen Zusammenhänge zu behalten. Was man in Bezug auf eine bestimmte metaethische Frage sagt, hat meistens Konsequenzen für eine Vielzahl anderer metaethischer Fragen, die man vielleicht ganz anders beantworten möchte. Nicht alle Ansichten darüber, was ein moralisches Urteil oder eine Glaubensannahme ausmacht, sind mit allen Ansichten darüber vereinbar, was moralische Erkenntnisse und Tatsachen ausmacht (und umgekehrt!). – Und wenn wir darüber den Überblick verlieren, verwickeln wir uns oft in Widersprüche. »Ich kenne mich nicht aus«4, ist nach Wittgenstein die Grundform eines philosophischen Problems. Diesem Leitgedanken folgend versucht diese Einführung daher vor allem, die Verbindungen verschiedener metaethischer Thesen und Theorien sichtbar zu machen. Hierzu wird ein systematischer Überblick über die Theorien in der Metaethik angestrebt, der insbesondere die Zusammenhänge der zentralen Begriffe »moralisches Urteil«, »moralische Überzeugung«, »moralische Erkenntnis« und »moralische Tatsache« in den Blick nimmt. Das bedeutet auch, dass die Fragestellungen der Metaethik nicht anhand einer Auseinandersetzung mit isolierten Einzelpositionen diskutiert werden. Natürlich wird nicht auf die Zuordnung bestimmter Ansichten zu bestimmten Philosophen verzichtet. Die Details werden jedoch nur dann behandelt, wenn dies für ein Verständnis der Gesamtzusammenhänge nützlich ist. – Im Vordergrund dieses Buchs steht die heutige Metaethik. Das bedeutet, dass klassische Positionen nur am Rande behandelt werden. Was Platon, Thomas von Aquin, Kant, Hegel und andere Philosophen zu metaethischen Fragen zu sagen haben, ist natürlich auch heute von Interesse. Eine Auseinandersetzung, die ihren Positionen gerecht wird, ist aber im vorliegenden Rahmen nicht möglich, und so werden sich die entsprechenden Anmerkungen nur auf wenige Hinweise beschränken.

Darüber hinaus soll in didaktischer Hinsicht nicht so getan werden, als würden für jeden Ansatz und jede Theorie gleich gute Gründe sprechen. Das Ziel metaethischer Arbeit besteht nicht in der Urteilsenthaltung, sondern in der Erkenntnisbildung. Dementsprechend wird an vereinzelten Stellen darauf hingewiesen, wo ich selbst vielversprechende Antworten auf zentrale Fragen der Metaethik vermute.

Der Einführungsband ist in drei Hauptteile gegliedert: In einem ersten Teil werden einige propädeutische Begriffsklärungen vorgenommen, die vor allem dem Zweck dienen, den Bereichsbegriff »Metaethik« genauer zu beschreiben (Kapitel 2). Hierzu wird die Metaethik von anderen Ethiktypen unterschieden, namentlich der normativen und der deskriptiven Ethik. Anschließend werden zwei methodische Hauptansätze näher vorgestellt, mit denen metaethische Fragen geklärt werden können.

In einem zweiten Teil werden einige einflussreiche Theorientypen der Metaethik vorgestellt und kritisch diskutiert, nämlich der sogenannte Non-Kognitivismus, der Konstruktivismus und der Realismus (Kapitel 3–5). Alle drei beinhalten unterschiedliche Auffassungen darüber, was man unter moralischen Urteilen, Überzeugungen, Erkenntnissen und Tatsachen verstehen sollte und wie sich die eigenen (und die gegnerischen) Auffassungen darüber zueinander verhalten. In diesem Zusammenhang wird es vor allem darum gehen, die Grundidee der Ansätze nachzuvollziehen und im Rahmen einer Auseinandersetzung mit ihnen ihre paradigmatischen Stärken und Schwächen kennenzulernen. Diese positionsbezogenen Erläuterungen werden in einem dritten Teil durch eine Darstellung zweier metaethischer Schlüsselkontroversen ergänzt, die in den letzten Jahrzehnten in der Metaethik geführt wurden. Hierbei handelt es sich um …

… die Kontroverse um die angemessene Rekonstruktion der moralischen Motivation. (Kapitel 6)

… den Disput über die Möglichkeit einer Naturalisierung der Ethik. (Kapitel 7)

Hier wird der Fokus vor allem darauf liegen, diese Kontroversen verständlich aufzubereiten, um so dem Leser einen ersten Einblick in das sich mitunter weit verzweigende Theorienfeld zu geben. Ebenso soll auch, der Zielperspektive dieser Einführung folgend, die Verbindung zwischen den oben genannten Theorientypen und bestimmten Standpunkten in diesen Kontroversen deutlich werden. Nicht selten gibt es Wechselwirkungen: Nicht jede der Standardtheorien scheint mit jeder Theorie in der Handlungstheorie und Ontologie in der gleichen Weise verträglich zu sein. Und nicht selten bilden sogar bestimmte handlungstheoretische und ontologische Annahmen die Grundlage, um eine metaethische Standardtheorie zu kritisieren.

1.3 Was dieses Buch nicht leisten kann

Dieses Buch ist eine Einführung in die Metaethik, die den Anspruch hat, sowohl einen Überblick über die verschiedenen metaethischen Bereiche zu liefern als auch die Erfolgsaussichten der in ihnen vertretenen Positionen und Argumente einzuschätzen. Das kann natürlich nicht bedeuten, dass alle Bereiche, Theorien und Argumente berücksichtigt werden können. Zum einen ist dies den physischen Grenzen dieses Buches geschuldet, andererseits aber liegt es in der Natur der Metaethik selbst: Bei der Metaethik handelt es sich um einen komplexen Forschungsbereich, in dem fundamentale philosophische Fragen miteinander in Berührung kommen, deren Beantwortung wiederum selbst Gegenstand kontroverser Debatten ist. Es überrascht daher nicht, dass es viele Abzweigungen gibt, die zu verfolgen zwar interessant wäre, was aber den Umfang des Buches sprengen würde. Einige Positionen und Theorien mussten unberücksichtigt bleiben, und auch die Details einiger Argumente mussten zugunsten der Darstellung ihres Kerns vernachlässigt werden. Jedoch werde ich an vielen Stellen versuchen, die Desiderata im Rahmen von Anmerkungen und Hinweisen explizit zu machen, etwa indem an den entsprechenden Stellen auf weiterführende Literatur verwiesen wird. Gleichwohl haben natürlich auch diese Ergänzungen ihre Grenzen und können eine detaillierte Betrachtung nicht ersetzen. Wer also an einer weiteren Vertiefung interessiert ist, dem stehen einige vornehmlich englischsprachige Einführungen zur Seite. Empfehlen möchte ich hier insbesondere das Werk von Alexander Miller, das vor allem durch seine analytische Methodik und seinen Detailreichtum besticht. Lesenswert sind ebenfalls die neueren und kürzeren Einführungen von Andrew Fisher und Simon Kirchin, die weniger auf technische Analysen setzen, sondern vor allem auf die Vermittlung eines Grundverständnisses der verschiedenen Positionen und Argumente bedacht sind. Was den deutschsprachigen Raum betrifft, sind vor allem die Einführungen von Dieter Birnbacher und Michael Quante hervorzuheben, die zu metaethischen Problemkomplexen einen weitaus umfassenderen Überblick anbieten, als ich es in diesem Buch könnte.

2. Die Dimensionen der Ethik

Als »Ethiken« können Theorien bezeichnet werden, die eine Reflexion der verschiedenen Aspekte des Phänomens »Moral« zum Gegenstand haben. Hält man sich an die konventionelle Definition des Begriffs »Moral«, dann umfasst seine Extension die gesamte Menge von materialen Normen und Wertvorstellungen, wie sie zum Beispiel in gesellschaftlichen Institutionen, sozialen Regelungen und den Werturteilen von Personen zur Geltung kommen.5 Dabei ist zu beachten, dass sich nicht die Ethik und demnach auch nicht die Theorie der Moral ausmachen lassen. Vielmehr kann man klassischerweise zwischen drei »Zugriffen« auf den moralischen Phänomenbereich unterscheiden, nämlich zwischen einer normativen und deskriptiven Ethik einerseits und einer beide fundierenden Metaethik andererseits. Hierbei handelt es sich um eine historisch gewachsene Differenzierung, über deren heuristischen Wert weitgehend Konsens herrscht. Alle drei Ethiktypen nähern sich dem Phänomenbereich der Moral, indem sie qua eigener Zugangsweise bestimmte Aspekte in den Vordergrund stellen und die Moral so aus einer jeweils unterschiedlichen Perspektive in den Blick nehmen. Wie aber lässt sich diese Differenz in der methodischen Ausrichtung näher charakterisieren? Um diese Frage zu beantworten, blicken wir im Folgenden etwas genauer auf die Grundstruktur der jeweiligen Ethiktypen und die mit ihnen verbundenen distinktiven Merkmale.

2.1 Normative Ethik

Als zentrale Aufgabe der normativen Ethik wird häufig6 die Reflexion auf das richtige oder falsche moralische Handeln bestimmt: Soll ich einer alten Dame über die Straße helfen, obwohl ich einen wichtigen Geschäftstermin habe, der keine weitere Verzögerung zulässt? Soll ich Geld für die Erhaltung des Regenwaldes spenden oder doch lieber für ein Geschenk zum Valentinstag sparen? Soll ich meine Großmutter besuchen oder doch zum entscheidenden Fußballspiel meines Lieblingsvereins gehen? In radikalisierter Form kann sich die Frage nach der richtigen und falschen Handlungsweise auch von der einzelnen Handlung wegbewegen und auf das moralische Handeln im Ganzen beziehen. Wir fragen dann: »Warum soll ich überhaupt moralisch sein?« Diese Fragen nach der richtigen Moral sind in ganz unterschiedlichen Kontexten des gesellschaftlichen Lebens bedeutsam. So kann man das Ideal einer gerechten Gesellschaft genauso einer kritischen Prüfung unterziehen wie die Haltung der modernen Medizin gegenüber Leben und Tod. Wäre es in unserer Gesellschaft nicht gerecht, auf einen Großteil unserer Luxusgüter zu verzichten, um mit dem ersparten Geld humanitäre Projekte in Afrika zu unterstützen? Oder auch: Wie lässt sich der moralische Status eines Embryos beurteilen: Ist es moralisch legitim, eine Schwangerschaft abzubrechen, weil das heranwachsende Kind vermutlich an einem irreversiblen genetischen Defekt leiden wird? Gleichzeitig fragen wir häufig nicht nur nach einer normativen Handlungsanweisung, die uns eine Antwort auf die Frage nach dem richtigen Handeln gibt, sondern auch nach einer Begründung für diese Handlungsweise. Eine Antwort auf die Frage: »Was ist die im Einzelfall gebotene moralische Handlung?«, ist in vielen Fällen nicht hinreichend. Wenn uns etwa jemand nach einem Ratschlag fragt und wir ihm eine bestimmte Handlungsweise empfehlen, dann werden wir häufig auch aufgefordert, Gründe für sie anzugeben. Mit anderen Worten: Wir müssen die Merkmale der moralisch gebotenen Handlung nennen, also unsere Kriterien für das ethisch Gute oder Richtige. Verschiedene normative Ethiken geben unterschiedlichste Antworten auf die Begründungsfrage. Nichtsdestoweniger verbindet sie aber zumindest ein gemeinsames Merkmal: Die in ihren Rahmen getätigten Aussagen sind selbst moralische Urteile, die nicht normativ neutral sind. Normative Ethiken versuchen uns in einem normativen Sinne anzuleiten, indem sie systematische Antworten auf die Frage geben: »Was soll ich tun?«, und auf die mögliche Rückfrage: »Warum soll ich x tun?«.

2.2 Deskriptive Ethik

Neben dieser normativen Perspektive, welche die Frage nach der richtigen moralischen Handlungsweise zum Gegenstand hat, kann man sich der moralischen Praxis noch aus einem anderen Blickwinkel nähern. In vielen Kontexten spielt die Frage nach der richtigen Moral nämlich noch keine Rolle. Wenn wir beispielsweise die vielfältigen Zusammenhänge moralischer Praktiken und deren Ursprung verstehen wollen, ist es häufig irrelevant, ob oder in welcher Hinsicht sie angemessen, gerechtfertigt oder rational sind. Es kommt dann eher darauf an, die vielfältigen Aspekte und Erscheinungsformen der Moral zu beschreiben und Erklärungen für sie auszuarbeiten. Studien, die sich aus dieser Perspektive dem Phänomen »Moral« zuwenden, können dem Gebiet der deskriptiven Ethik zugerechnet werden.

Es gibt verschiedene Ausgangspunkte, um die moralische Praxis auf diese Weise zu analysieren. Ein wichtiges Forschungsfeld wird beispielsweise durch kulturanthropologische Untersuchungen markiert. Im Rahmen solcher Studien geht es unter anderem darum, verschiedene Moralsysteme in diachroner und synchroner Hinsicht zu beschreiben und ein Inventar von gegenwärtigen und vergangenen Moralsystemen zu ermitteln.7 Was sind die inhaltlichen Unterschiede zwischen den Moralvorstellungen von Kultur A und Kultur B? Wie verändert sich die moralische Bewertung einer Handlung x in einer Kultur A im Rahmen einer bestimmten Zeitperiode y? Wie viele Moralsysteme lassen sich innerhalb einer Kultur A unterscheiden?

Andere Untersuchungen richten ihr Hauptaugenmerk weniger auf den »Großraum« Kultur, sondern auf die in ihm lebenden Individuen. Beispiele hierfür sind etwa moralpsychologische Studien, die den Erwerb von moralischer Urteilskompetenz zu ihrem Forschungsgegenstand machen.8 Lässt sich ein bestimmter Zeitpunkt x ausmachen, an dem ein Individuum y eine moralische Urteilskompetenz zeigt? Auf welcher Kompetenzstufe, vorausgesetzt es lassen sich verschiedene Ebenen unterscheiden, befindet sich ein Individuum x? Oder auch stärker neurowissenschaftlich orientiert: Welche Gehirnareale sind unabdingbar dafür, überhaupt moralische Kompetenzen auszubilden?

Mit dieser letzten Frage ist bereits die Brücke zu anspruchsvolleren Fragestellungen einer deskriptiven Ethik geschlagen. Denn viele Untersuchungen beschränken sich nicht darauf, die moralische Praxis zu beschreiben. Es geht häufig auch darum, ihre Funktion und die kausalen Zusammenhänge, die in der moralischen Wirklichkeit anzutreffen sind, zu erläutern. Einflussreich sind gegenwärtig etwa Studien, die bei einer evolutionsbiologischen Betrachtungsweise ansetzen.9 Hierbei bilden nicht selten Fragen den Ausgangspunkt, welche die Ausbildung und Entwicklung der menschlichen Moral betreffen. Entsprechend besteht ihre Zielperspektive dann unter anderem darin, zu erläutern, wie es vor dem Hintergrund der phylogenetischen Entwicklung der Arten zur Genese der Moral gekommen ist und welchen evolutionären Vorteil ihre Ausbildung für den Menschen mit sich brachte.

Es ließen sich grundsätzlich weitere Beispiele für eine beschreibende und explanatorische Herangehensweise nennen. Mit den genannten kulturanthropologischen, moralpsychologischen und evolutionsbiologischen Studien sind die Möglichkeiten einer deskriptiven Zugangsweise keinesfalls ausgeschöpft. Die Erläuterung dieser drei sollte aber ausreichen, um die Charakteristik einer deskriptiven Ethik zu verdeutlichen. Im Gegensatz zu Studien aus der normativen Ethik nähern sich ihre Untersuchungen der moralischen Praxis aus einer moralisch neutralen Perspektive. Eine deskriptive Ethik gibt mithin keine Antworten auf normative Fragestellungen, sondern beinhaltet Untersuchungen, die versuchen, die Moral gleichsam »von außen« zu beschreiben und einer Erklärung zugänglich zu machen.

2.3 Metaethik

Eine dritte Zugangsweise zum moralischen Phänomenbereich stellt die Metaethik bereit. Kennzeichnend für ein metaethisches Forschungsprogramm ist, dass in ihm weder – anders als in den normativen Ethiken – inhaltlich-normative Urteile formuliert noch – anders als in den deskriptiven Ethiken – faktische Normensysteme beschrieben oder kausal erklärt werden. Vielmehr setzt die Metaethik eine Stufe tiefer an: Sie formuliert keine moralischen Urteile, sondern trifft Aussagen und stellt Hypothesen über diese spezifische Urteilsklasse auf.10 Das Ziel einer metaethischen Theorienbildung besteht darin, eine »founding theory of morality«11 auszuarbeiten, in der eine schlüssige Theorie unseres alltäglichen moralischen Denkens, des moralischen Sprechens und unserer moralischen Praktiken entwickelt wird.

2.3.1 Die Arbeitsbereiche der Metaethik

Aber in welchen Bereichen findet metaethische Forschung statt? Aus einer historischen Perspektive betrachtet wurden metaethische Forschungen vor allem als eine semantische Klärung der Moralsprache aufgefasst. Die Gleichsetzungsthese war bis in die 1980er Jahre wirkmächtig, was sicherlich auch mit der damals vorherrschenden sprachphilosophischen Orientierung in der analytischen Philosophie zusammenhängt.12 Diese Grundausrichtung der Metaethik war aber schon damals nicht unwidersprochen. Ein allgemeiner und immer noch aktueller Vorwurf lautet etwa, dass eine so verstandene Metaethik schlicht irrelevant sei, um Fragen der normativen Ethik zu beantworten.13 Sie sei eine Disziplin, die zwar einen wichtigen Beitrag zur Klärung des semantischen Status moralischer Urteile leiste, jedoch keine Implikationen für die Frage nach den Merkmalen des Richtigen und Guten habe. Aus diesem Blickwinkel betrachtet stellt sich dann für manche Kritiker ganz allgemein die Frage nach dem Wert der Metaethik: Handelt es sich bei ihr möglicherweise um eine verzichtbare Disziplin, deren Ergebnisse zwar aus Gründen der Vollständigkeit von Interesse sind, die aber für die inhaltlichen Fragestellungen der normativen Ethik gar nichts austragen können?

Man kann diese Frage vielleicht bejahen, wenn man unter Metaethik nichts anderes versteht als eine sprachphilosophische Analyse moralischer Urteile. Im Folgenden wird jedoch von einem weiten Verständnis von Metaethik ausgegangen, das besonders in den letzten Jahrzehnten vermehrt Verbreitung gefunden hat.14 Demnach erschöpft sich die metaethische Theorienbildung keineswegs in semantischen Vorklärungen, sondern umfasst auch zusätzliche Fragestellungen aus anderen Bereichen der Philosophie. Doch welche Teilbereiche sind im Rahmen einer metaethischen Untersuchung zu unterscheiden? Ein bekannter Vorschlag stammt von Geoffrey Sayre-McCord:

»Metaethics is the attempt to understand the metaphysical, epistemological, semantic, and psychological, presuppositions and commitments of moral thought, talk, and practice.«15

Folgt man dieser Bereichsbeschreibung, dann kann der Grundlagencharakter der Metaethik nun präzisiert werden: Um die Rahmenbedingungen für die Ausarbeitung einer normativen Ethik festzusetzen, bedarf es mehr als nur einer sprachphilosophischen Untersuchung. Eine umfassende Metaethik umfasst zusätzlich auch Studien aus der Philosophie des Geistes16, der Erkenntnistheorie und der Ontologie.

Betrachtet man eine metaethische Theorienbildung nun in diesem umfassenderen Sinne, dann ist nicht ohne Weiteres zu sehen, warum es sich bei ihr um eine von der normativen Ethik isolierte Spezialdisziplin handeln sollte. Es ist vielmehr so, dass mit bestimmten Entscheidungen in den genannten vier Bereichen Weichenstellungen für die konkrete Ausformulierung einer normativen Ethik getroffen werden. Zum Beispiel: Nehmen wir an, dass sich nach einer umfassenden metaethischen Untersuchung herausstellt, dass wir moralische Urteile verwenden, um mentale Zustände auszudrücken. Gehen wir weiterhin davon aus, dass es sich bei den mentalen Zuständen um Emotionsausdrücke und Gefühlsinterjektionen handelt, die selbst weder begründbar noch begründungsfähig sind. In diesem speziellen Fall scheint ein allgemeiner Rechtfertigungsskeptizismus im Bereich der Moral unausweichlich zu sein. Mit anderen Worten: Es ist ausgehend von den genannten metaethischen Prämissen fraglich, ob überhaupt die Möglichkeit für die Ausarbeitung einer normativen Ethik besteht.

Sicherlich handelt es sich hierbei um eine radikale Konsequenz, die ihrerseits die Rückfrage aufwirft, ob die metaethischen Prämissen angemessen sind. Diese Problematik wird noch an anderer Stelle verfolgt werden.17 In diesem Zusammenhang ist aber weitaus wichtiger, dass uns das dargestellte Beispiel auf ein bedeutendes Implikationsverhältnis zwischen Metaethik und normativer Ethik hinweist. Denn beide Disziplinen stehen keinesfalls unverbunden nebeneinander: Die Ergebnisse einer metaethischen Studie haben ipso facto Konsequenzen für die konkrete Ausgestaltung einer normativen Ethik. In diesem Licht betrachtet besteht daher kein Grund, metaethische Studien für ein verzichtbares Propädeutikum zu halten. Eine metaethische Untersuchung lenkt daher nicht von einer Begründung moralischer Urteile ab, sondern führt sogar zu ihr hin, indem sie einen wichtigen Beitrag zu einer systematischen Theorie der Moral leistet, die ihre eigenen Vorentscheidungen expliziert und kritisch hinterfragt.

2.3.2 Die zwei Herangehensweisen in der Metaethik

Der Metaethiker ist, wie man sagen könnte, ein Wissenschaftstheoretiker der normativen Ethik. Er untersucht die Voraussetzungen, die wir eingehen, wenn wir moralische Urteile treffen. Und er tut das in vier Bereichen, namentlich der Sprachphilosophie, der Philosophie des Geistes, der Erkenntnistheorie und der Ontologie. Man kann es auch so formulieren: Der Metaethiker prüft, was die Natur der Moral ist, also was wir unter moralischen Urteilen, Überzeugungen, Erkenntnissen und Tatsachen verstehen sollten. Wie aber geht man vor, wenn man als Metaethiker die Natur dieser vier Begriffe analysiert?

Um diese Frage zu beantworten, ist es lohnenswert, zunächst einen Schritt zurückzutreten und sich klarzumachen, was die obige Redeweise von der Natur der Moral bedeutet. Was heißt es, nach der Natur einer Sache zu fragen? Ich verstehe das an dieser Stelle so, dass wir nach ihren notwendigen und hinreichenden Eigenschaften fragen. Eine Eigenschaft kommt einer Sache notwendigerweise zu, wenn die Sache diese Eigenschaft haben muss und wenn es unmöglich ist, dass sie diese Eigenschaft nicht hat. Philosophen sagen manchmal auch: Eine notwendige Eigenschaft ist eine solche, die in allen möglichen Welten vorkommt. Zum Beispiel: Ein Junggeselle ist notwendigerweise unverheiratet. Das Unverheiratetsein gehört zu seiner Natur. Ein Junggeselle, der verheiratet ist, wäre schlicht kein Junggeselle mehr. Wenn wir nach der Natur einer Sache fragen, wollen wir aber noch mehr wissen. Wir wollen auch wissen, welche Eigenschaften zusammengenommen garantieren, dass wir es wirklich mit der Sache zu tun haben. Kurzum, wir suchen nach Eigenschaften, die hinreichend sind, um von der Natur einer Sache zu sprechen. Ein Junggeselle ist notwendigerweise unverheiratet, aber nicht alle Unverheirateten sind Junggesellen. Es gibt ja schließlich auch unverheiratete Frauen. Wenn wir es demgegenüber mit einem unverheirateten Mann zu tun haben, ist das hinreichend dafür, dass es sich um einen Junggesellen handelt. Man kann dann sagen: Die Eigenschaften Männlichsein und Unverheiratetsein sind notwendige und zusammengenommen hinreichende Bedingungen, um ihn für einen Junggesellen zu halten. Was bedeutet es, in der Metaethik von der Natur der zentralen Begriffe zu reden? Das sollte nun klar geworden sein. Wenn wir nach der Natur moralischer Urteile, Überzeugungen, Erkenntnisse und Tatsachen fragen, dann fragen wir nach Eigenschaften, die uns garantieren, dass wir es tatsächlich mit diesen und keinen anderen Grundbegriffen zu tun haben. Die Frage nach der Natur der Moral wäre also beantwortet, wenn der Metaethiker eine Liste von notwendigen und zusammengenommen hinreichenden Bedingungen ermitteln kann, die genau das sicherstellt.

Damit können wir zur ursprünglichen Frage nach den geeigneten Methoden zurückkommen, die sich vor diesem Hintergrund wie folgt reformulieren lässt: Wie können wir eine Liste von Bedingungen ermitteln, die uns darüber informiert, dass wir es wirklich mit den genannten moralischen Grundbegriffen zu tun haben? Hier lassen sich zwei grundlegende Strategien unterscheiden.

Zum einen gibt es eine Gruppe von Philosophen, die meinen, dass sich der Metaethiker bei der Klärung seiner Grundbegriffe grundsätzlich an den Methoden der empirischen Naturwissenschaften orientieren sollte. Dabei muss gar nicht geleugnet werden, dass es sich hierbei um inhaltlich distinkte Bereiche handelt: Der Metaethiker untersucht eher generelle Inhalte, der Naturwissenschaftler eher spezielle. Verneint wird lediglich, dass es eine bestimmte Methode und Herangehensweise gibt, die nur dem Metaethiker und nicht dem Naturwissenschaftler zur Verfügung steht. In methodischer Hinsicht sind Metaethik und empirische Naturwissenschaft also ein und dasselbe. Aus diesem Gedankengang heraus ist es daher auch nicht verwunderlich, dass diese Strategie darauf hinausläuft, metaethische Grundbegriffe im Rahmen einer naturwissenschaftlichen Begriffsexplikation zu analysieren. Für ihre Vertreter hängt dann im Weiteren viel davon ab, in einer plausiblen Weise verständlich zu machen, was eine Begriffsexplikation eigentlich ausmacht und ob sie geeignet ist, das Explikandum hinreichend zu erfassen. Diese Gruppe von Metaethikern können wir aufgrund der exponierten Rolle, die sie den Naturwissenschaften zusprechen, im Folgenden als metaethische Naturalisten bezeichnen.

Das ist jedoch nur die eine Seite. Zum anderen kann man nämlich auch der Meinung sein, dass es ein Arbeitsfeld des Metaethikers gibt, das keinem Naturwissenschaftler zugänglich ist. Die Metaethik, so die Vertreter dieser Ansicht, ist eine autonome Wissenschaft. Was aber spricht dafür? Man kann verschiedene Begründungen für diese These finden. Häufig anzutreffen sind aber Strategien, die eine Analyse mithilfe der Methoden der Naturwissenschaften für eine fragwürdige Verzerrung unserer alltäglichen Auffassungen über den infrage stehenden Grundbegriff halten. Dementsprechend laufen sie im Kern darauf hinaus, auf die Einseitigkeit und Unterbestimmtheit der naturwissenschaftlichen Begriffsexplikation abzustellen und demgegenüber die eigenen heuristischen Mittel der Metaethik als aussichtsreiche Alternative vorzuschlagen. Für ihre Vertreter hängt im Weiteren einiges davon ab, in einer plausiblen Weise verständlich zu machen, was diese »eigenen heuristischen Mittel« sind, welche die Metaethik von den empirischen Naturwissenschaften unterscheidet. Diese Gruppe von Metaethikern, die sich durch die Annahme einer Autonomie der metaethischen Methodik auszeichnet, können wir im Weiteren als metaethische Autonomisten bezeichnen.

Die Wahl zwischen einer naturalistischen oder autonomistischen Herangehensweise ist für jeden Metaethiker unausweichlich. Er muss sich zu ihr positiv oder negativ verhalten oder hat sich bereits implizit zu ihr verhalten. Gleichwohl ist zu beachten, dass es grob vereinfachend wäre, das Theorienfeld pauschal in Naturalisten und Autonomisten aufzuteilen. In der überwiegenden Anzahl an Fällen haben wir es mit gemischten Strategien zu tun, die keine einheitliche Analyse anstreben, sondern beide Strategien miteinander kombinieren. Faktisch werden nicht alle Begriffe mit demselben Analyseverfahren behandelt. Allerdings gilt: Es kann nicht ein Begriff mit verschiedenen Strategien analysiert werden. Es entsteht also zumindest in den verschiedenen metaethischen Teilbereichen ein gewisser Entscheidungsdruck, für jeweils eine Option Partei zu ergreifen.

Die Frage nach der Wahl der Herangehensweise ist eine der zentralen Fragen der Metaethik. Sie wird uns noch an verschiedenen Stellen dieses Buches begegnen. Zum einen wird sie bei der Erläuterung der Positionen, aber auch bei ihrer Kritik eine Rolle spielen. Dort werden wir vor allem genauer sehen können, wie die Wahl der Strategie die konkrete Theorienbildung beeinflusst und welche Schwierigkeiten sich daraus ergeben. Zum anderen werden wir uns mit dem Thema auch direkt beschäftigen, wenn wir uns im 7. Kapitel der naturalistischen Strategie im Kontext der moralischen Ontologie zuwenden. Dort wird es unter anderem darum gehen, ein konkreteres Bild der naturalistischen Herangehensweise zu vermitteln und auch einige allgemeine Überlegungen zu seiner Überzeugungskraft anzubringen.

3. Der Non-Kognitivismus

3.1 Die Grundidee

Der Non-Kognitivismus kann sicherlich ohne Übertreibung als diejenige Position in der Metaethik bezeichnet werden, die das Feld bis in die 1980er Jahre beherrscht hat. Zu seinen klassischen Vertretern gehören Metaethiker wie Alfred Ayer, Charles Stevenson und Richard Hare. Aber auch heute wird der Non-Kognitivismus noch vertreten und hat insbesondere mit Simon Blackburn und Allan Gibbard wirkmächtige und prominente Fürsprecher.18 Dabei lassen sich eine Reihe von Unterschieden zwischen den Vertretern ausmachen. Gemein ist ihnen aber allen, dass sie ihren Non-Kognitivismus vor allem als eine Theorie über die Bedeutung moralischer Urteile auffassen. Was aber behauptet eine non-kognitivistische Bedeutungstheorie eigentlich?

Um diese Frage zu beantworten, ist es hilfreich, sich einige Differenzierungen zu vergegenwärtigen, die aus der sogenannten Gebrauchstheorie der Bedeutung stammen. Diese bildete sich im Rahmen der Sprechakttheorie in den 1960er Jahren heraus.19 Eine der Grundideen dieses Ansatzes besteht darin, die Aufmerksamkeit bei der Analyse von Sprache auf ihre vielfältigen Verwendungsweisen, auf die sogenannten Sprechakte, zu lenken. Denn tatsächlich können wir mit sprachlichen Äußerungen eine ganze Reihe von Sprachhandlungen ausführen. Wir können sie verwenden, um Behauptungen aufzustellen, Geschichten zu erzählen, eine wichtige Nachricht mitzuteilen, einen Wunsch oder eine bestimmte Haltung auszudrücken, Befehle oder Appelle zu übermitteln, Versprechen zu geben oder Personen einen bestimmten Status zuzusprechen. Im Zusammenhang mit den Fragestellungen in der Metaethik ist nun von zentraler Bedeutung, welche primäre Verwendungsweise mit der Moralsprache verbunden ist. Oder unter Berücksichtigung der Terminologie der Sprechakttheorie formuliert: Welcher Sprechakt ist distinktiv für eine moralische Äußerung? Um die möglichen Antwortmöglichkeiten auf diese Frage näher zu explizieren, betrachten wir das folgende Beispiel:

(T) »Die Generierung von embryonalen Stammzellen zu Forschungszwecken ist moralisch verwerflich.«

Hier können in einer idealtypischen Kontrastierung zwei im metaethischen Diskurs besonders verbreitete Haupttypen von Analysemustern gegenübergestellt werden.20 So lassen sich am einen Ende des Spektrums Positionen bestimmen, die darauf insistieren, dass moralische Aussagen analog zu assertiven Sprechakten verwendet werden. Der primäre Zweck von assertiven Sprechakten besteht darin, eine Behauptung über das Bestehen oder Nicht-Bestehen eines durch den propositionalen Gehalt ausgedrückten Sachverhalts aufzustellen. Von dieser Zielstellung ausgehend wird häufig die prinzipielle Wahrheitsfähigkeit von assertiven Sprechakten als besonderes Charakteristikum dieser Klasse von Sprechakten bestimmt.21