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Band 160

 

Im Kreis der Macht

 

Rüdiger Schäfer

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

1. Perry Rhodan

2. Atlan

3. Perry Rhodan

4. Atlan

5. Perry Rhodan

6. Atlan

7. Perry Rhodan

8. Atlan

9. Tuire Sitareh

10. Perry Rhodan

11. Atlan

12. Perry Rhodan

13. Atlan

14. Perry Rhodan

15. Perry Rhodan

16. Atlan

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. Damit erschließt er der Menschheit den Weg zu den Sternen.

In den Weiten der Milchstraße treffen die Menschen auf Gegner und Freunde; es folgen Fortschritte und Rückschläge. Nach 2051 wird die Erde unbewohnbar, während Milliarden Menschen an einen unbekannten Ort umgesiedelt werden.

Der Schlüssel zu diesen Ereignissen liegt in der Galaxis Andromeda. Dorthin bricht Perry Rhodan im modernsten Raumschiff der Menschheit auf. Anfang 2055 gelangt die MAGELLAN am Ziel an. Dort erfahren die Menschen schnell mehr über die Situation. Insbesondere die mysteriösen Meister der Insel spielen eine zentrale Rolle.

In der Maske eines Meisters sucht Rhodan nach Mirona Thetin, der Herrscherin des Sternenreichs – und nach seinem Freund Atlan. Ihn erwarten erstaunliche Offenbarungen IM KREIS DER MACHT ...

1.

Perry Rhodan

21. März 2055

 

»Chert! Eti psikhi!« Mischa Petuchow deutete vor seinem Kontrollpult eine Schwimmbewegung mit beiden Armen an, und die Hologramme, die ihn wie ein Schwarm exotischer Fische umgaben, huschten zur Seite oder erloschen.

»Mein Russisch ist nicht besonders gut, Mister Petuchow«, sagte Conrad Deringhouse mit deutlicher Schärfe im Ton. »Deshalb sprechen wir in der Zentrale der MAGELLAN üblicherweise Englisch. Wären Sie so freundlich ...?«

»Izvinite, Kommandant. Ich empfange einen massiven Anstieg des energetischen Spektrums der KON-ILLIC. Ich befürchte, dass unsere Freunde da drüben etwas ziemlich Dummes vorhaben ...«

Der russische Ortungs- und Funkchef des Expeditionsraumers übertrug die Darstellung seiner Auswertungen, die als dreidimensionale Bildwürfel direkt vor ihm schwebten, mit einer eleganten Geste auf den Holodom, der die Zentrale wie eine Kuppel überspannte. Die MAGELLAN war dem Walzenschiff, das derzeit von vier thetisischen Wachkreuzern eskortiert wurde, erstmals auf dem sogenannten Andromeda-Basar begegnet, einem Handelsknotenpunkt im Oomophsystem.

Zur Überraschung von Perry Rhodan und seinen Gefährten hatte sich ein Besatzungsmitglied des von Mehandor und Posbis gelenkten Raumers als Mensch entpuppt. Leibnitz, wie sich der zwielichtige Fremde nannte, hatte sich bei der Beschaffung der Ressourcen, die für dringende Reparaturen der MAGELLAN benötigt worden waren, zwar als hilfreich erwiesen, aber auch einigen Ärger verursacht. Vor knapp zwei Wochen war man schließlich getrennte Wege gegangen. Niemand an Bord der MAGELLAN hatte erwartet, die KON-ILLIC so schnell wiederzusehen. Vor allem nicht im Donitsystem!

Rhodan stand mit auf dem Rücken verschränkten Armen vor seinem Platz und starrte auf die positronisch aufbereiteten Bilder. Der Expeditionsraumer befand sich im Anflug auf Multidon, dem Machtzentrum Mirona Thetins und der Meister der Insel. Der Riesenplanet kreiste um die grüne Sonne Donit – nur rund fünftausend Lichtjahre vom Zentrum Andromedas entfernt inmitten der Uklan-Dunkelwolke. Schon die Reise an diesen Ort war eine Herausforderung gewesen.

»Ich wette, die wollen sich freischießen!«, rief Reginald Bull. »Die haben offenbar den Verstand verloren.«

»Was machen wir?«, erkundigte sich Tya Sentaku. Die japanische Waffenchefin der MAGELLAN war alles andere als schießwütig. Doch sie bedauerte gelegentlich, dass man sich bislang eher auf Samtpfoten durch Andromeda bewegt hatte. Nun schien sich endlich die Gelegenheit zu bieten, die enorme Kampfkraft des größten und modernsten Raumschiffs der Menschheit unter Beweis zu stellen.

»Ich dachte, ich hätte mich vorhin klar ausgedrückt«, gab Rhodan Antwort. »Wir machen gar nichts. Jeder Versuch, der KON-ILLIC zu helfen, würde unsere Tarnung auffliegen lassen. Das können wir nicht riskieren.«

Sentaku wollte etwas erwidern, doch ein warnender Blick ihres Kommandanten hielt sie davon ab.

»Warum lassen sich diese Chaoten nicht einfach nach Multidon schleppen?« Bull hatte sich aus seinem Sessel erhoben und war neben Rhodan getreten. »Sie müssen doch wissen, dass sie gegen die Thetiser keine Chance haben. Warum fügen sie sich nicht und warten auf eine bessere Gelegenheit, sich zu wehren?«

»Vielleicht weil sie genauso starrköpfig und unbesonnen sind wie du«, sagte Autum Legacy, ohne ihren Ehemann anzusehen.

Bevor Bull etwas entgegnen konnte, gellte der Ortungsalarm durch die MAGELLAN. Die KON-ILLIC hatte das Feuer eröffnet.

»Verfluchter Mist! Diese Irren machen tatsächlich ernst!«, rief einer der diensthabenden Offiziere.

Von dem Walzenraumer griffen blassrote Energiestrahlen nach zweien der vier Wachschiffe und verpufften wirkungslos in deren Schutzschirmen. Gleichzeitig beschleunigte die KON-ILLIC mit Höchstwerten.

Einige Sekunden lang sah es so aus, als könnte sie es tatsächlich schaffen. Die Thetiser schienen überrascht zu sein und reagierten zunächst nicht. Möglicherweise hatten sie sogar Anweisung, das Walzenschiff unter allen Umständen unversehrt nach Multidon zu bringen. Deringhouse hatte bereits die Vermutung geäußert, dass die thetisischen Ingenieure vor allem an der Posbitechnologie interessiert waren. Wahrscheinlich, so der Kommandant, wolle man den Raumer – inklusive der darin verbliebenen Posbis – auseinandernehmen und genauestens untersuchen. Einen Atemzug später wurde diese Annahme widerlegt.

Eins der Wachschiffe schwenkte aus, verließ die Formation und schoss. Der Schirm der KON-ILLIC hielt den ersten beiden Salven stand, dann schillerte er kurz in allen Regenbogenfarben – und brach zusammen.

Statt das Feuer auf den nunmehr wehrlosen Gegner einzustellen, setzten die Thetiser ihren Angriff fort. Die Walze erhielt weitere schwere Treffer in der ungefähren Rumpfmitte. Über den Holodom liefen plötzlich graugrüne Schlieren, das Bild flackerte.

»Tut mir leid«, meldete sich Petuchow, noch bevor sich jemand beschweren konnte. »Wir bekommen es mit starken magnetischen Stürmen zu tun. Der Teilchendruck erreicht immense Werte und verfälscht die Ortungsergebnisse. Ich versuche, zu kompensieren.«

Als sich die Sicht wieder klärte, hatten die Thetiser den Beschuss eingestellt. Die KON-ILLIC brach auseinander. Mehrere größere Trümmerteile trudelten haltlos davon. Keins der Wachschiffe machte Anstalten, eventuellen Überlebenden zu Hilfe zu kommen. Während sich die MAGELLAN immer weiter von der Stätte des ebenso kurzen wie ungleichen Kampfs entfernte, beobachteten die Thetiser die von heftigen Explosionen geschüttelte Walze anscheinend mit völliger Gleichgültigkeit.

»Wir können doch nicht tatenlos dabei zuschauen, wie die unsere Freunde abschlachten!« Gucky hatte die Hände in die Hüften gestemmt und blickte angriffslustig in die Runde. Der breite Schwanz des Mausbibers stand steil in die Höhe. »Perry?«, rief er, nachdem niemand reagierte.

Rhodan, der dem unwürdigen Schauspiel mit steinerner Miene gefolgt war, fuhr herum. »Was verlangst du von mir?«, herrschte er den Ilt an. »Glaubst du, mir macht es Spaß, hier zu stehen und nichts tun zu können? Selbst wenn wir eingreifen, würde es das Unvermeidliche nur hinauszögern. Reg hat recht: Warum haben diese verdammten Dummköpfe nicht einfach stillgehalten?«

»Weil sie von den Thetisern nicht in irgendwelche Labore verschleppt und in Streifen geschnitten werden wollten!«, ereiferte sich der Mausbiber. »Ich kann nicht verstehen, wie du so ein Massaker zulassen kannst. Wie lange wollen wir noch wegsehen? Wie lange wollen wir uns noch verstecken ...?«

»Das reicht!«, donnerte Deringhouse. »Der Protektor hat die in unserer Lage einzig richtige Entscheidung getroffen. Wenn sie dir nicht passt, ist das allein dein Problem. An Bord meines Schiffs dulde ich keine Insubordination – auch nicht von dir!«

Guckys lange Haare an der Spitze der bepelzten Schnauze bebten. Der sonst so keck blitzende Nagezahn war verschwunden. Er hatte die kleinen Hände zu Fäusten geballt und starrte den Kommandanten der MAGELLAN feindselig an.

»Gucky ...«, sagte Rhodan sanft und ging vor dem Mutanten in die Knie. »Entschuldige meinen Ausbruch, aber du musst jetzt damit aufhören. Ich verstehe deine Wut, aber wenn wir so kurz vor dem Ziel aufgeben, wird alles noch viel schlimmer. Wenn du an meiner Aufrichtigkeit zweifelst, lies meine Gedanken!«

Der Ilt schluckte und senkte den Kopf. Als er ihn wieder hob, glitzerten Tränen in seinen Augen. Seit den Erlebnissen im Groomaksystem hatte er sich verändert. Das Schicksal der Mobys, jener asteroidengroßen Lebewesen, die von den Meistern als Rohstoffproduzenten missbraucht und dabei grausam gequält wurden, hatte ihn tief getroffen.

»Ich muss deine Gedanken nicht lesen«, sagte Gucky leise. »Ich weiß, dass alles so ist, wie du es sagst. Ich ... Ich kann nur nicht ...«

Rhodan schloss den Mutanten kurz in die Arme und drückte ihn an sich. »Komm, Kleiner. Setz dich wieder hin«, forderte er den Ilt danach auf. »Und lass uns dafür sorgen, dass die Frauen und Männer der KON-ILLIC nicht umsonst gestorben sind.«

Da sprichst du ein paar große Worte gelassen aus, dachte Rhodan, während er sich wieder den Holos zuwandte. In den zurückliegenden Wochen hatte er sich hin und wieder gefragt, ob die Aufgabe, die sie sich in Andromeda vorgenommen hatten, nicht um einiges zu groß für die Menschen war. Sie waren mit der MAGELLAN aufgebrochen, um herauszufinden, in welches Wespennest sie – unabsichtlich oder nicht – gestochen hatten.

Seit der Begegnung mit den Arkoniden war die Menschheit von einer Gefahrenlage in die nächste geraten. Es schien fast, als hätten die Eroberer und Psychopathen des Universums nur darauf gewartet, dass die Erdbewohner ihre Ursprungswelt verließen und die ersten zaghaften Schritte hinaus in den Weltraum unternahmen.

Nach und nach hatten sich die Hinweise verdichtet, dass ein Großteil der drängenden Fragen nur in der zweieinhalb Millionen Lichtjahre entfernten Galaxis Andromeda beantwortet werden konnten. Ausschlaggebend waren Atlans Äußerungen gewesen, die er vor dreieinhalb Jahren gemacht hatte. Die MAGELLAN war nicht nur das Ergebnis eines anschließend beispiellosen Kraftakts der in der Heimat ausharrenden Menschen, sondern vor allem ein Produkt ihres unbändigen Willens, endlich Licht ins Dunkel zu bringen. Die Menschen wollten ein für alle Mal wissen, woran sie waren.

»Können Sie erkennen, ob es Überlebende gibt, Mister Petuchow?«, fragte Rhodan.

»Nein, Sir«, lautete die Antwort. »Die astrophysikalischen Verhältnisse im Donitsystem sind ein Albtraum. Und getreu Ihren Anweisungen möchte ich nicht durch allzu aktive Ortungen über Gebühr auf uns aufmerksam machen. Man könnte sich sonst fragen, warum wir so sehr am Schicksal einer unbedeutenden Mehandorwalze interessiert sind.«

Den Holodom dominierte mittlerweile der in Flugrichtung liegende Planet Multidon. Seine wolkenlose Oberfläche schimmerte in metallischem Blau. Die Vergrößerungen zeigten eine Welt, die vollständig mit technischen Strukturen überzogen war, deren Funktionen Rhodan bestenfalls erahnen konnte. Immer wieder konnte er kilometertiefe Kanäle erkennen, die sich wie Furchen durch einen stählernen Acker zogen. Die Dimensionen waren durchgehend monströs. Eins der Holos zeigte eine Halbkugel, aus der eine Reihe von kegelförmigen Stacheln ragten. Die Kugel durchmaß unglaubliche vierzehn Kilometer, die Stacheln waren jeweils fast eineinhalb Kilometer lang. Im Vergleich mit Multidon war selbst die MAGELLAN kaum mehr als ein Staubkorn in der Wüste.

»Wir empfangen einen Leitstrahl und Landekoordinaten«, meldete Renaya Dalva de Vasconcelos, die Pilotin des Expeditionsraumers. »Man heißt Faktor Zehn willkommen und bittet darum, die Rehabilitanten für einen schnellen Abtransport bereitzuhalten.«

»Bestätigen Sie!«, sagte Rhodan. »Sind unsere Gäste inzwischen aus der Paralyse erwacht?«

»Ja, Sie stehen in ihren Arrestzellen und harren dem, was da kommen mag«, antwortete Deringhouse.

»Stehen?«

»Offenbar eine Form der Selbstdisziplinierung.« Der Kommandant zuckte mit den Schultern. »Sieh selbst ...«

Vor Rhodan erschien ein Holo, das das Innere einer der Sicherheitszellen der MAGELLAN zeigte. Ein wuchtig wirkender Mann stand mit eng an den Körper angelegten Armen kerzengerade in der Mitte des Raums. An den weißen Flecken im kurzen, schwarzen Haarschopf erkannte Rhodan sofort Karsuul. Er war der Anführer jener Thetisergruppe, die auf der Ressourcenwelt Sintrak in die MAGELLAN eingedrungen war und versucht hatte, die Chefetage in Gestalt der Obersten Kopra Asmanua zu erpressen. Nach Sintrak wurden für gewöhnlich jene Thetiser abgeschoben, die im Rahmen des strengen Ausleseprozesses, den man im Donitsystem praktizierte, durchs Raster fielen oder sich aus anderen Gründen nicht für eine Aufgabe im Militärdienst eigneten. Karsuul und seine Mitstreiter hatten diese Schmach nicht mehr hinnehmen wollen und sich zur Rebellion gegen das System entschlossen.

Es passte zu der zutiefst kriegerisch geprägten Kultur der Thetiser, dass die Aufrührer, die schließlich mithilfe von Gucky überwältigt worden waren, nicht bestraft, sondern für ihre Entschlossenheit und die gezeigte Initiative belohnt werden und auf Multidon eine neue Chance zur Bewährung erhalten sollten. Für die MAGELLAN war das eine willkommene Gelegenheit gewesen, deshalb hatte Rhodan in seiner Rolle als Faktor X beschlossen, den Transport der Thetiser persönlich zu übernehmen.

»Schauen Sie sich das an, Sir!«, rief Petuchow in diesem Moment.

Erneut wechselte die Darstellung im Holodom. Während die obere Hälfte nach wie vor den Anflugkorridor auf Multidon zeigte, bildete die untere Hälfte ein Areal der Planetenoberfläche ab. Inmitten einer planen, in dunklem Blau glänzenden Fläche lag eine mehrere Kilometer breite Einbuchtung, die fast aussah, als wäre dort ein Asteroid eingeschlagen und hätte einen Krater hinterlassen. Dafür war die Senke jedoch zu glatt und regelmäßig.

»Reden Sie, Mister Petuchow!«, verlangte Deringhouse. »Was haben wir da?«

»Ich wünschte, ich wüsste es, Sir«, erwiderte der Russe. »Die Messwerte sind abenteuerlich. Ich übermittle sie parallel an die Eierköpfe in Labor Fünf.«

»Wenn Sie Chefwissenschaftler Leyden und sein Team meinen, ist das eine gute Idee«, gab der Kommandant zurück. »Ansonsten möchte ich Sie heute nicht noch einmal an die in der Zentrale vorgeschriebenen Sprachregelungen erinnern müssen.«

»Verstanden, Sir!«

Rhodan erlaubte sich ein kurzes Lächeln. Wie so häufig herrschte zwischen Deringhouse und seinen Offizieren ein rauer, aber herzlicher Umgangston. Kabbeleien wie die soeben waren üblich und halfen in Stresssituationen, Druck abzubauen.

»Das ist der Orcus ...«, erhob sich eine leise Stimme.

Rhodan zuckte zusammen. Er hatte nicht gemerkt, dass Baar Lun neben ihn getreten war. Der Modul trug wie gewohnt seinen langen, etwas abgewetzt wirkenden Pilzmantel und seine Multispexbrille. Mit Letzterer musterte er die Aufnahmen und eingeblendeten Messdaten.

»Der ... was?«, fragte Rhodan.

»Der Orcus«, wiederholte Baar Lun. »Der Sitz von Faktor Eins. Ich habe viele Baphometen geschaffen, die an diesem Ort eingesetzt werden sollten.«

»Hat Mirona Thetin sie persönlich abgeholt?«, wollte Rhodan wissen.

»Ja. Bis auf eine Ausnahme vor vielen Jahren, als sie Trinar Molat schickte.«

»Woher wissen Sie von diesem Orcus? Ich nehme nicht an, dass sich Faktor Eins mit Ihnen zum Kaffeeklatsch getroffen hat.«

Der Modul sah ihn fragend an.

»Entschuldigen Sie«, sagte Rhodan. »Kaffeeklatsch. Das kriegt der Translator offenbar nicht hin. Dabei handelt es sich um eine auf der Erde beliebte Form des Beisammenseins, bei der Informationen ausgetauscht werden und ... Kaffee getrunken wird.«

»Ich verstehe. Ihren Kaffee habe ich bereits probiert. Im Gegensatz zu Gucky finde ich ihn keineswegs ungenießbar. Und um Ihre Frage zu beantworten: Auf Gleam erhielt ich stets sehr spezifische Anweisungen, was die Konfiguration der Baphometen anging. Dazu gehörten auch Daten über ihren Einsatzort und die Bedingungen, die dort vorherrschen.«

»Das könnte uns jetzt sehr helfen«, freute sich Rhodan. »Was können Sie uns über den Orcus sagen?«

»Ich muss Ihren Optimismus leider dämpfen, Perry Rhodan«, erwiderte Baar Lun. »Gerade weil ich kaum etwas über den Orcus erfahren habe, erinnere ich mich an ihn. Ich erkenne die energetischen Ortungsmuster wieder. Sie sind Teil einer höchst effektiven Abschirmung, die weit über das hinausgeht, was man sonst von thetisischer Technik gewohnt ist. Wenn Donit explodieren würde, wäre der Orcus wahrscheinlich das Einzige, was im Umkreis von mehreren Lichtminuten unversehrt bliebe.«

»Wo liegen unsere Landekoordinaten im Vergleich zur Position des Orcus?«, wandte sich Rhodan an de Vasconcelos.

»Praktisch direkt daneben«, antwortete die Pilotin.

Der Holodom zeigte eine Ansammlung von quaderförmigen Gebäuden, die sich neben der Senke auf einer Art Landefeld erhoben. Andere Raumschiffe waren dort nicht zu sehen, wie überhaupt der Schiffsverkehr um und auf Multidon nicht besonders ausgeprägt war.

»Was ist los?«, fragte Deringhouse. Der Kommandant stand – ebenso wie Baar Lun – direkt neben Rhodan und sprach so leise, dass man ihn kaum verstand. »Ich sehe dir doch an, dass dich etwas stört ...«

»Es ist nur eine Ahnung.« Rhodan kam sich albern vor, konnte aber sein mulmiges Gefühl nicht verleugnen. »Warum sollen wir unsere Fracht so nah an dem wohl wichtigsten und am besten geschützten Ort Multidons abliefern? Das ergibt keinen Sinn.«

»Was schlägst du vor?«

Rhodan lachte humorlos. »Na was schon? Wir spielen weiter unser Spiel und hoffen das Beste. Vielleicht lässt sich alles mit der Tatsache erklären, dass ich einen Zellaktivator trage und deshalb als Meister akzeptiert werde.«

Conrad Deringhouse nickte, doch Perry Rhodan sah sofort, dass er den Schiffskommandanten mit seinen Bedenken angesteckt hatte.

Wenige Minuten später tauchte die MAGELLAN in die dünne Atmosphäre Multidons ein und nahm Kurs auf den zugewiesenen Landeplatz.

2.

Atlan

26. Juni 2051

 

»Ein Technologietransfer kommt nicht infrage!« Mit vor der Brust verschränkten Armen stand Kapha Shambin vor Atlan und sah ihn aus eng zusammengekniffenen Augen an. Der Kommandant der YATANA hatte den Arkoniden inzwischen zwar als Expeditionsleiter akzeptiert. Doch das hieß noch lange nicht, dass er Atlan vertraute oder sogar mochte.

»Ich weiß«, sagte Atlan grimmig. »Diesen Aspekt Ihrer Berufsethik haben Sie in der Vergangenheit bereits hinreichend demonstriert.«

»Wollen Sie mir jetzt etwa auch noch meine Loyalität zum Vorwurf machen?«, ereiferte sich der Thetiser. »Ich habe nun einmal Überzeugungen – und ich bin bereit, dafür zu sterben!«

Atlan knirschte mit den Zähnen und zählte in Gedanken bis zehn. Ruhig bleiben, ermahnte er sich. Lass dich nicht provozieren. Du kennst diesen Mann zwar noch nicht lange, aber lange genug, um zu wissen, wie er funktioniert ... Er schluckte die scharfe Erwiderung hinunter, die ihm auf der Zunge lag, und zwang sich zu einem Lächeln. »Man sollte für seine Überzeugungen leben, nicht für sie sterben«, konnte er sich eine spitze Bemerkung dann aber doch nicht verkneifen.

Als Shambin aufbrausen wollte, hob Atlan schnell beide Hände in einer beschwichtigenden Geste. »Allerdings«, fügte er hinzu, »akzeptiere ich Ihren Standpunkt. Wir könnten Jaynehl zunächst mit thetisischer Technik anfüttern und ihm die Filetstücke für später versprechen.«

»Sie wollen ihn also täuschen, so wie Sie es mit den Daurharda Kinkara ... den Posbis gemacht haben?«, fragte der Kommandant nach. Er klang keineswegs begeistert. Für Thetiser war ein einmal gegebenes Wort bindend – sogar wenn die Zusicherung von einem anderen in ihrem Namen gegeben wurde.

Atlan wandte kurz den Kopf und sah zu Kandya Taraka hinüber. Das Gesicht der Bordingenieurin ließ keine Regung erkennen. Obwohl sie und der Arkonide einander inzwischen auch außerhalb der Dienstzeiten nähergekommen waren, machte sie keinerlei Anstalten, ihm zur Seite zu stehen.

Muss sich jede Frau, mit der du ins Bett steigst, sofort zu deiner Lebensphilosophie bekennen?, spottete der Extrasinn.

Wenn du nichts Konstruktives beizutragen hast, halt die Klappe!, gab der Arkonide in Gedanken zurück.

»Wenn Sie so wollen, ja«, sagte er zu Shambin. »Niemand bezahlt den vollen Preis für etwas, was er noch nicht erhalten hat. Dieses Prinzip müssten auch diese Löwenmenschen – oder Gurrads, wie sie sich nennen – verstehen. Wir leisten eine Anzahlung, und später ...«

Das wirst du nicht tun!

Im ersten Moment wollte Atlan seinen Logiksektor erneut – und deutlich schärfer – zurechtweisen. Doch dann wurde ihm bewusst, dass die flüsternde Stimme in seinem Kopf diesmal nicht seinem zweiten Ich gehörte. Sie war ... fremd.

»Wer bist du?« Er hatte unbewusst laut gesprochen und erntete dafür die verständnislosen Blicke des Kommandanten. Noch im selben Augenblick gab er sich die Antwort auf seine Frage selbst, nun allerdings in Gedanken.

ANDROS!

Atlan glaubte, ein leises Kichern zu hören. Es erinnerte ihn an ein kleines Kind. Nein, eher an einen Troll oder einen Kobold, eine Märchengestalt, die sich tief im Dickicht eines dunklen Walds verbarg.

Du hast eine blühende Phantasie, äußerte die telepathische Stimme.

Atlan lauschte ihrem Klang nach, der in seinem Geist nachhallte, als würden die Worte als Echo von den Innenseiten seines Kopfs hin- und hergeworfen. Dabei versuchte er, sich an die Botschaft der geheimnisvollen Entität zu erinnern, die er vor einigen Tagen in der Kabine des Kommandanten vernommen hatte: Atlan da Gonozal, halte deine Freunde auf. Sie dürfen METEORA nicht für sich gewinnen. Gelingt es dir, so ist Arkons Vergeltung dein. Scheitere, und nahezu alles, wofür du lebtest, wird vergehen. Die YATANA bringt dich ans Ziel. Kapha Shambin und seine Mannschaft sind dir hiermit unterstellt.

Diese sogar für Atlans durch die arkonidische Adelskultur geprägten Geschmack ziemlich geschwollene Ansprache hatte ihn immerhin davor bewahrt, von Shambin und seinen Soldaten als Verräter hingerichtet zu werden. Doch wirklich schlau war er aus den Sätzen von ANDROS nicht geworden.

»Was ist los?« Er hatte nicht bemerkt, dass Taraka neben ihn getreten war. Sie fasste ihn am Arm, in ihrem Blick lag ehrliche Besorgnis.

»Ich ... Ich habe Kontakt«, brachte Atlan mühsam heraus. Sein ganzer Körper war von einer unerklärlichen Lähmung erfasst worden, die auch seine Stimmbänder betraf. Das Sprechen fiel ihm unsagbar schwer. »Mit ANDROS ...«

Shambin trat hastig einen Schritt zurück, als zeige Atlan plötzliche Symptome einer ansteckenden Krankheit. Er wirkte beinahe ängstlich, zugleich lag große Skepsis in seinem Blick. »ANDROS ... spricht mit Ihnen?«

Der Arkonide nickte nur.

»Was will er?« Die Frage kam von Taraka. Im Gegensatz zu ihrem Kommandanten war sie nicht von Atlan abgerückt, sondern drängte sich eng an ihn.

»Das wüsste ich selbst gern ...«

Dann hör mir zu, flüsterte ANDROS in Atlans Kopf. Der Bordrechner der YATANA hat soeben einen neuen Koordinatensatz freigegeben. Du wirst diesen Ort umgehend aufsuchen. Du wirst dich von den Gurrads nicht aufhalten lassen ...

Wie meinst du das?, rätselte der Arkonide.

So wie ich es sage, antwortete ANDROS. Die Stimme wirkte auf einmal ungeduldig. Wenn die Gurrads das Schiff nicht freigeben wollen, wirst du dir deinen Weg notfalls mit Gewalt ebnen. Die Waffen der YATANA sind allem, was die Gurrads aufbieten können, weit überlegen.

»Und du glaubst, du könntest einfach so über mich verfügen?« Während der kurzen Ansprache des Wesens war die Wut in Atlan schnell immer größer geworden. Es scherte ihn nicht, dass alle in der Zentrale hören konnten, was er sagte. Er wollte es sogar. »Du glaubst, du brauchst mir nur Befehle zu erteilen, und ich befolge sie ohne Widerspruch? Tut mir leid, aber das werde ich nicht tun! Ich bin deiner Botschaft gefolgt. Die YATANA hat mich hierhergebracht. Jetzt verlange ich mehr als nur neue Anweisungen!«

Shambin sah aus, als hätte er ein Gespenst erblickt. In seinen Zügen spiegelte sich blankes Entsetzen. Verständlich. Für ihn war es völlig undenkbar, dass man sich ANDROS widersetzte. Obgleich er ebenso wie Atlan nicht die geringste Ahnung hatte, wer oder was genau sich hinter ANDROS verbarg, stand er doch bereits sein ganzes Leben in den Diensten der Entität. Deren Autorität anzuzweifeln, war etwas, an was man nicht einmal dachte.

Du kennst deinen Auftrag, erwiderte die Stimme in seinem Geist.

»Nein.« Atlan schüttelte heftig den Kopf. »Ich kenne ihn nicht. Du hast mir einen Namen genannt. METEORA. Du hast mir aufgetragen, mich gegen meine Freunde zu stellen. Und du hast mich auf ein Raumschiff versetzt, das ich mir unter nicht geringen Mühen selbst erobern musste. All das habe ich getan, aber nun ist es genug. Sag mir, warum ich hier bin ... oder scher dich zum Teufel!«

Lange Sekunden herrschte absolute Stille, sowohl in der Zentrale als auch in Atlans Kopf. Kommandant Shambin war mit Schnappatmung auf seinen Sessel gesunken und wirkte, als benötige er dringend medizinischen Beistand. Selbst Taraka schien vom Ausbruch des Arkoniden überrascht. Allerdings waren ihre Blicke eher bewundernder Natur.

Atlan bereute seine klaren Worte nicht. Im Gegenteil. Er hatte sich viel zu lange gängeln lassen, sich dem undurchsichtigen Spiel von ANDROS untergeordnet. Die YATANA gehörte ihm. Er hatte sie sich verdient. Er hatte nicht nur Posbis und Skorgonen vertrieben, sondern auch die fast schon zwanghaften Versuche des thetisischen Kommandanten vereitelt, das Schiff bei jeder sich bietenden Gelegenheit in die Luft zu jagen. Ohne Atlan würde der Spindelraumer längst nicht mehr existieren. Nun war es an der Zeit, dass ANDROS Farbe bekannte.

Du wirst schon sehr bald alles erfahren, was du wissen willst, meldete sich die Stimme nach einer gefühlten Ewigkeit. Irrte sich Atlan, oder klang sie auf einmal müde?

»Das genügt mir nicht«, stieß er hervor.

Es muss dir genügen. Vorerst. Wenn du meine Anweisungen nicht als Befehle akzeptieren kannst, sieh sie als Wünsche an. Als Gefallen. Es hängt unendlich viel davon ab, dass du tust, um was ich dich bitte.

»Warum sagst du mir nicht, was hinter all dem steckt?«, blieb der Arkonide stur. »Wenn du mich in den vergangenen Wochen beobachtet hast – und davon gehe ich aus –, muss dir klar sein, dass ich weitaus nützlicher für dich bin, wenn ich aus Überzeugung handle.«

Das weiß ich, lautete die Antwort. Aber dein Misstrauen ist ein geringer Preis für die Gefahr, dass ich mich trotz allem irre. Die Dinge entwickeln sich nicht so, wie ich es erwartet habe. Das kosmische Schachspiel tritt in seine entscheidende Phase, und es wird immer schwieriger, den nächsten Zug zu machen. Jeder Fehler könnte mein letzter sein.

Atlan seufzte innerlich. Was ANDROS da von sich gab, war wenig mehr als heiße Luft. Was sollte dieses Gerede von einem kosmischen Schachspiel?

Andererseits: Was sind deine Alternativen?, meldete sich da unerwartet der Extrasinn. Du kannst den Gehorsam verweigern, aber was dann? Im ungünstigsten Fall hetzt ANDROS die Thetiser auf dich. Kommandant Shambin wäre zweifellos entzückt, wenn er dich doch noch erledigen dürfte.

ANDROS braucht mich, gab der Arkonide mental zurück. Ich habe keine Ahnung, wofür, aber ich bin mir sicher.

So sicher, dass du bereit bist, dein Leben darauf zu verwetten?

Sosehr sich Atlan dagegen sträubte: Er durfte die Argumente seines Logiksektors nicht ignorieren. Er war wütend und aufgebracht, doch Zorn war schon immer ein schlechter Ratgeber gewesen. Der Groll darüber, dass ihn ANDROS wie einen besseren Leibeigenen behandelte, durfte sein Urteilsvermögen nicht beeinflussen.

»Warum hat uns die YATANA hierhergebracht?«, fragte er laut. »Warum sind wir nicht gleich an jenen Ort geflogen, an den ich nun kommen soll? War das alles nur ein Test?«

Wenn du so willst, bestätigte ANDROS.

»Die Begegnung mit Posbis und Skorgonen war also kein Zufall?«