Inhaltsverzeichnis
1) Beste Verbindung
2) Waschechte Berliner
3) Frische Seeluft
4) In der Grundschule
5) Begegnung mit einem Tennis-Star
6) Unbeschwerte Tage in Berlin
7) Ruhe vor dem Sturm
8) Bomben von oben
9) Die letzten guten Tage
10) 28. Mai 1943, Tag 1 einer schweren Zeit
11) Wochen im Kinderheim
12) Ungewisse Tage in Berlin
13) Die letzten Kriegstage in der Heimschule
14) Heimschulen – so hießen die Internate im verklärten Deutsch der Nazis.
15) Die Mitschüler
16) Freie Wochenenden und Ferien
17) Unvergessene Weihnacht in Garzin
18) Flucht vor den Russen
19) Totenträger im Splitterhagel
20) Langer Marsch zurück nach Waldsieversdorf
21) Typhus
22) Freigänger in der Erziehungsanstalt
23) Mit den Störchen gen Westen
24) Eine neue Familie?
25) Strafen statt Anerkennung
26) Ausbrüche in ein neues Leben
27) Ein Sommernachtstraum
28) Abschied vom Pfarrhaus
29) Das erste Fahrrad
30) Schwere Tage am Krankenbett
31) Unter Tage in der alten Heimat
32) Freikaufen für die Liebste daheim
33) Wer hatte schon ein Telefon?
34) Eine Lebensaufgabe in Halle
35) Schreck vor Weihnachten
36) Tante Lisa
37) Wiedersehen in Waldsieversdorf
38) Endstation Lebensglück
39) Nachklapp: Onkel Bruno erklärt sich
40) Unsere allergrößten Schätze
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Margarete Conell und mein Vater heirateten im April 1928 in Berlin. Er war nicht ganz 24, sie ein gutes Jahr jünger.
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Beide zogen kurz darauf nach Altenessen (das Foto unten zeigt die Horster Straße mit unserer späteren Schule),
wo sie eine sehr schöne große Wohnung fanden. Die Lederfabrik lag gleich nebenan, war nur durch einen Garten und die Zufahrt zur Fabrik getrennt. Im Garten stand eine schöne Laube. Vater und Mutter genossen die ersten Jahre zu zweit. Mit dem Steeler Kanu-Club unternahmen sie gerne Touren auf der Ruhr (unten).
Am 1. Mai 1931 wurden wir, mein Zwillingsbruder Joachim und ich, Wolfgang, in Berlin-Lankwitz geboren. Es war der Wunsch unseres Großvaters mütterlicherseits gewesen, dass Mutter uns in Berlin zur Welt bringt. Die Großeltern wohnten in Steglitz. In der dortigen Lukas-Kirche wurden wir am 28. Juni 1931 getauft. Meine Patentante waren Herta Pfeifenschneider, die Schwester unseres Vaters, und Gabriele Schwartz.
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1934 – mit gerade einmal drei Jahren – kamen wir Pfeifenschneider-Zwillinge in den Kindergarten von Altenessen. Die damals ungeheuer schlechte Luft inmitten des Ruhrgebiets (bei uns hieß die westfälische Industrieregion nur „Pütt“) machte uns schwer zu schaffen. Wir hatten Asthma. Die Anfälle wurden immer häufiger. Unser Hausarzt empfahl den Eltern, für uns eine Kur an der Nordsee zu beantragen. Dem Antrag wurde stattgegeben und wir durften für vier Wochen auf die Nordseeinsel Norderney. Von Norddeich fuhren wir mit der Fähre zur Insel hinüber. Ganz nahe am Strand war das Kurheim. Es war eine schöne Zeit für uns. Wir spielten im Meerwasser und am Strand, was uns – wie man auf dem Bild unten bestimmt gut sieht - tüchtig Spaß machte.
Bei schlechtem Wetter gingen die
Schwestern vom Kurheim mit uns in den Ort. Sie zeigten uns die Sehenswürdigkeiten der Insel.
Ich weiß noch, es gab es einen Keller mit Spinden in denen wir unsere Schuhe, Jacken und Mützen deponierten. Zum Schuhe putzen gab es eine blaue Schürze, die die Kleidung schonen sollte. Kurz vor der Rückfahrt nach Altenessen ging es noch einmal in den Ort – wir durften doch noch Geschenke für die Eltern kaufen. Joachim fand einen Fischerkopf mit Maßband, ich ein Muschelkästchen und ein kleines Segelboot – auf dem Segel stand „Norderney“.
Im April 1937 wurden Joachim und ich eingeschult (Foto).
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Nach zwei Jahren wurden wir in die Bahnhofschule umgeschult. Warum, weiß ich heute nicht mehr. Aber ich erinnere mich noch an unseren damaligen Klassenlehrer, Herrn Pentzin. Zu seinem Namenstag Peter & Paul holten wir uns vom Hausmeister den Schlüssel für den Klassenraum. Mit großem Eifer schmückten wir sein Katheder (Stehpult, Anm. d. Red.).
Eine andere kleine Geschichte ist mir auch noch in Erinnerung geblieben: Es muss im Jahr 1938 gewesen sein, in der Adventszeit. Ich sollte noch Gehacktes vom Metzger holen, machte aber erst einen Umweg zu einem Spielzeuggeschäft mit einem besonders schön geschmückten Schaufenster. Beim Überqueren der Straße – ich war schon auf der Fußgängerinsel in der Mitte – kam von links ein Auto und fuhr mir über den rechten Fuß. Neben der Fußgängerinsel war ein beschrankter Bahnübergang. Die eine Hälfte war bereits geschlossen, sodass der Wagen praktisch Slalom fuhr, was er ja eigentlich nicht durfte. Irgendwelche Passanten kümmerten sich um mich und wollten mir helfen. Aber zu dem Zeitpunkt tat mir überhaupt nichts weh – eher drückte mich mein schlechtes Gewissen. Darum ging ich flott zum Metzger, um meinen Einkauf zu erledigen. Dort angekommen plagten mich aber nun doch schon leichte Schmerzen und ich war etwas durcheinander, denn ich verlangte nur ein Achtel Gehacktes, was die Verkäuferin sehr verblüffte. Auf dem Nachhauseweg – es war nicht weit – bekam ich fürchterliche Schmerzen und weinte jämmerlich. Mutter hatte mich wohl schon weitem gehört, denn sie kam mir entgegen und sah sofort, dass ich am besten ins Krankenhaus eingeliefert werden sollte. Ich kam ins Marienhospital. Der Stiefel musste aufgeschnitten werden - und der Fuß wurde geröntgt. Die Röntgenaufnahme zeigte, dass Mittelfußknochen gebrochen waren. Ein paar Tage wurde der Fuß gekühlt, damit die Schwellung zurückgehen konnte. Erst danach wurde er eingegipst. Im Krankenhaus bekam ich Besuch von unserer Klassenlehrerin Frl. Kolb und ein paar Mitschülern. Dieses Fräulein Kolb war auch unsere Religionslehrerin. Ich weiß noch wie heute, dass wir bei ihr ein Lied lernen mussten. Es hieß „Wie mit grimmigem Unverstand“ und es stand im Anhang des Gesangbuches 39. Auf meinen Gipsverband haben die Mitschüler und auch meine Lehrerin ihre Namen geschrieben. Ich war ganz stolz!
Einige Zeit später, ich war wieder zu Hause, kam eine Frau von der Polizei. Sie hatte Bauklötze, Autos und einen Block mitgebracht. Ich musste ihr erzählen, wie sich der Unfall zugetragen hatte und sie stellte mit den Bauklötzen den Unfallhergang nach.
Einige Wochen später besuchte mich ein freundlicher Herr und brachte mir einen großen Kasten Katzenzungen – zur damaligen Zeit eine absolute Besonderheit – mit. Es war Tennis-Baron Gottfried von Cramm (Foto unten), der zweimalige Wimbledon-Finalist, wie ich jedoch erst später erfuhr. Ich vermute im Nachhinein, dass er mir über den Fuß gefahren war.