Vorwort


Weit mehr als ein halbes Jahrhundert ist seit meiner Kindheit vergangen, doch ich erinnere mich an vieles sehr lebhaft, als wäre es noch gar nicht so lange her. Wichtiges und Belangloses, eigentlich verwunderlich, daß letzteres im Gedächtnis geblieben ist, oder war es damals für mich auch wichtig und es hat sich darum bei mir eingeprägt? 

Wenn auch Jahrzehnte vergangen sind, muß damit auch alles vergessen sein? 

Das wäre bedauerlich und darum möchte ich versuchen, meine Kinderjahre noch einmal in Worten aufleben zu lassen, soweit es mir gelingt unterhaltsam darüber zu plaudern.


Januar 1945


Der Zug hielt im Bahnhof Magdeburg-Neustadt und wir kletterten müde, hungrig und durchgefroren aus dem überfüllten und ungeheizten Abteil. 

„Hoffentlich gibt es hier einen Wartesaal in dem wir uns ein wenig aufwärmen können, meine Füße sind richtige Eisklumpen. Außerdem wird es auch Zeit für meine Spritze.“

Mir ist es heute beinahe unerklärlich, wie es Mama immer wieder geschafft hat, aber auch schaffen mußte, sich in allen Situationen ihr lebenswichtiges Insulin zu spritzen.

Wir stolperten auf dem streng verdunkelten Bahnsteig hinter den anderen Flüchtlingen her, die wie wir für eine Weile einen Unterschlupf im Warteraum suchten.

Natürlich war er überfüllt, die Luft zwar stickig aber warm und das brauchten wir jetzt nötig.

Die Stühle natürlich alle besetzt und zwischen den verschiedensten Gepäckstücken hatten es sich viele, so gut es ging auf dem Fußboden bequem gemacht.

Wir hatten Glück und fanden neben der Tür zum kleinen, behelfsmäßigen Sanitätsraum ein Plätzchen für unsere ganze Habe, die beiden Handkoffer. Zwei freundliche Rot-Kreuz-Helferinnen versuchten hier und dort soweit es ihnen möglich war, etwas für die Wartenden zu tun und Mama gaben sie in dem kleinen Raum sofort Gelegenheit für ihre Injektion.

Sogar ich durfte mit hinein und wie glücklich waren wir, als uns die Schwester einen Teller Graupensuppe anbot. Endlich wieder einmal eine warme Mahlzeit, es schmeckte herrlich!

Aber wir wollten uns ja hier nur ein wenig aufwärmen und unser Ziel hieß: Onkel Erich, Papas Bruder in der Agnetenstraße.

„Könntest du nicht erst einmal allein hingehen und sie darauf vorbereiten, daß wir hier sind?“ schlug Mama etwas verzagt vor.

„Ich würde mich gerne hier noch etwas ausruhen und du kennst ja den Weg, nicht wahr?“

Natürlich war ich sofort bereit und gönnte Mama die für sie nötige Verschnaufpause. Schließlich kannte ich den Weg noch genau. Vom Bahnhof aus war es gar nicht weit.

„Laß mich aber nicht so lange allein!“ gab mir Mama noch auf den Weg. Besonders jetzt auf der Flucht wurde ich ihr zur unentbehrlichen Stütze, vor allem weil sie wegen ihrer Diabetes öfter auf Hilfe angewiesen war.

Ich machte mich sogleich auf den Weg und verließ das Bahnhofsgebäude. Doch ich traute kaum meinen Augen.

Schonungslos tauchte der Mond die Umgebung in sein fahles Licht.

Was ich sah, erinnerte mich gar nicht an die bekannte Gegend, sie glich jetzt einer Ruinenlandschaft.

Gespenstisch ragten Häuserwände in die Höhe und leere Fensterhöhlen schienen mich anzugrinsen. Nur hier und da ein Haus, das verschont geblieben war. Aus manchen Trümmerbergen stieg noch immer leichter Rauch und an den eigenartigen Geruch, der in der Luft lag, mußte ich mich erst gewöhnen.

Angst kroch in mir hoch. Wie würde ich Onkel Erichs Haus vorfinden? Ich sollte doch Bescheid sagen, daß wir von zu Hause flüchten mußten und hier auf dem Bahnhof angekommen sind.

Über einige Hindernisse hinweg erreichte ich endlich die Agnetenstr.24, oder vielmehr wo sie gewesen sein mußte.

Und dann stand ich vor einem großen Trümmerhaufen, der einmal das Haus war. Ich erkannte die Stelle an den beiden gemauerten Pfeilern des Tores, durch das die Autos und LKWs in den Hof fahren konnten, noch. Das große Holzschild mit der Aufschrift: „Elektromechanische Werkstätten Erich Möhring“ war nur noch an der einen Seite fest und versperrte schräg herunterhängend die Einfahrt, die keine mehr war.

Hier existierte keine Tür mehr, an die ich klopfen und um Einlaß bitten konnte. Schweren Herzens machte ich mich auf den Rückweg. Daß gerade der Bahnhof diesen Angriff überstanden hatte war wohl ein großer Zufall, oder hatte ich die Schäden jetzt in der Dunkelheit noch gar nicht gesehen?

Mama erwartete mich schon ungeduldig und als ich ihr ohne Umschweife berichtete, was ich gesehen hatte, mußte sie sich erst einmal fassen.

„Ja haben Sie denn gar nichts von dem großen Bombenangriff am 16.Januar gehört?“ fragte die eine Schwester erstaunt und wir mußten ihr erst erklären, daß wir zu dieser Zeit unseren Heimatort verlassen mußten und es durch die allgemeinen Wirren gar nicht erfahren hatten.

Für uns gab es in Magdeburg keine Bleibe, aber zum Glück wußten wir, daß Onkel Erich vor einiger Zeit seinen Betrieb wegen der Bombenangriffe teilweise aufs Land, nach Groß-Santersleben evakuiert hatte. Das wurde zu unserem nächsten Ziel. Wie wir dort hinkommen sollten wußten wir allerdings noch nicht.

Auf jeden Fall mußten wir die Nacht im Wartesaal verbringen und dann wollten wir weiter sehen.

Wir hockten uns auf das Handgepäck und hingen unseren trüben Gedanken nach. Wie mochte es jetzt zu Hause aussehen? Wo war Papa? Wo Ernst und Heinz ? Und konnten wir denn noch hoffen jemals wieder zurückzukommen? 

Es waren nur noch wenige Tage bis zu meinem 17.Geburtstag und ich dachte wehmütig an meine schönen und unbeschwerten Kinderjahre daheim. Das war jetzt endgültig vorbei, nur die Erinnerung blieb.


Kreuzburg


Mein Geburtsort hieß Kreuzburg, damals noch, am 1.2.1928, eine kleine Stadt in Oberschlesien. (17 Jahre später wurde daraus „Klutczborg“ und gehört seitdem zu Polen.)

Dem Erzählen nach, hatte ich es nicht so eilig noch vor Mitternacht auf die Welt zu kommen, erst eine viertel Stunde später, war ich dazu bereit. Jedenfalls hat mich Papa jedes Jahr an meinem Geburtstag damit geneckt, daß ich ein „Zuspätkommer“ wäre. Nur eine viertel Std. früher und meine Eltern hätten noch für den Monat Januar das Kindergeld erhalten, doch leider war ich schon ein „Februarkind“. Wie hoch der Verlust war, habe ich nie erfahren, es hat mich sicherlich auch nicht interessiert.

Papa stammte nicht aus Schlesien, er kam aus Ribbensdorf bei Weferlingen, einem kleinen Ort in der „Altmark“. Nach seinem Maschinenbau-Studium in Magdeburg, bekam er als junger Ingenieur eine Stellung bei der Bahn. Wahrscheinlich wurde er, wie es bei der Bahn wohl üblich war, von da aus gleich nach Kreuzburg versetzt, denn wie sollte er sonst ausgerechnet auf diese kleine Stadt in Oberschlesien gekommen sein. Die Zusammenhänge sind mir nicht bekannt.

Dort lernte er Mama kennen und im November 1913 wurde geheiratet. Im Mai 1916 machte mein Bruder Ernst (der älteste Sohn mußte natürlich, wie damals üblich, den Vornamen des Vaters erhalten) die Familie komplett. Zwei Jahre später gesellte sich noch mein Bruder Heinz dazu.

Nun hätten meine Eltern zu gern noch ein Töchterchen gehabt, aber es wurde vorerst nichts daraus. 1921 war schließlich nochmals ein Baby unterwegs und im August kam wieder, statt des erhofften Mädchens ein kleiner Junge, Theodor Albert zur Welt, aber der Kleine verließ sie nach ein paar Tagen bereits wieder.

Jahre vergingen. Vielleicht hatten meine Eltern die Hoffnung bereits aufgegeben, doch es war noch nicht aller Tage Abend und „Meister Adebar“ meldete sich noch einmal an. Würde es jetzt das gewünschte Mädchen sein?

Mama glaubte fest daran. Sie nähte, strickte und häkelte (wie ich später von ihr erfuhr) unermüdlich hübsche Sächelchen, natürlich in zartem rosa.

Papa war sich der Sache nicht so sicher und um den Himmel gnädig zu stimmen gelobte er, wenn es ein Mädchen sein würde, sich ein halbes Jahr lang eine Glatze scheren zu lassen und sich außerdem noch von seinem ganzen Stolz, dem wohlgepflegten Schnurrbart zu trennen.

Zu dieser Zeit war es sicher nicht üblich, daß sich ein Mann freiwillig von seiner Haarpracht trennte, um glatzköpfig herumzulaufen, darum zeugte dieses „Gelöbnis“ von gewissem Heldenmut, obwohl sich dieser „Kahlschlag“ nach Ablauf der 6 Monate, bestimmt ganz von selbst wieder beheben würde. Aber immerhin.

Damals hatte man von „Ultraschall“ noch nicht die blasseste Ahnung und so konnten meine Eltern ihrer Neugier nicht schon vorfristig ein Ende setzen.

Endlich nach 9-monatiger quälender Ungewißheit war dann wie schon erwähnt, am 1.2.1928 um 0.15 Uhr, die Stunde der Wahrheit gekommen und alle Beteiligten stellten entzückt fest, ich war wirklich und ohne Zweifel ein Mädchen. Welch eine Freude.

Im Laufe der nächsten Tage stellten sich immer wieder gute Bekannte 

ein und das waren nicht wenige, um meine Mutter im Wochenbett zu besuchen und ihre Glückwünsche auszusprechen. Danach wurde ich gründlich in Augenschein genommen und anschließend mein haar- und bartloser Vater (er hatte wirklich sein Versprechen gehalten). Während alle von meiner Wenigkeit entzückt gewesen sein sollen, erregte Papas Anblick größte Heiterkeit. Ich glaube, er hat im Laufe seines Lebens kaum wieder einen derartigen Lacherfolg erzielt. 

Immerhin hat Papa sein Versprechen gehalten, denn auf einem Foto vom Juni 28, hier ist die ganze Familie vollzählig vor unserer Laube im Garten versammelt, ist Papas Glatze unübersehbar.

Soviel zu meiner Geburt, das was mir Mama später darüber erzählt und ich behalten habe.


Haus, Hof und Garten


An „unser Haus“ erinnere ich mich noch sehr gut, wahrscheinlich auch deshalb, weil ich Jahre später als wir längst nicht mehr in Kreuzburg wohnten, meinen Geburtsort sehr oft besuchte und auf dem Weg vom oder zum Bahnhof, immer daran vorbeiging.

Es war ein roter Ziegelsteinbau, ein wenig villenartig und natürlich nicht „unser“ Haus, sondern eine Dienstwohnung. Unsere Familie wohnte Parterre und oben noch eine zweite, an die ich mich nicht mehr erinnern kann.

Den Hof begrenzte ein, nach meiner damaligen Ansicht, sehr großer Garten.

Ein schnurgrader Weg in der Mitte teilte ihn in zwei Hälften. Die eine für die Obermieter, die andere stand uns zur Verfügung.

In der hinteren Ecke unseres Gartenteils wuchs ein großer Kirschbaum dessen Zweige weit herunterhingen und zum Herumklettern einluden.

Ich erinnere mich, als der Baum wieder einmal in voller Blüte stand und aussah wie ein riesengroßer Blumenstrauß, kam Papa auf die Idee, ein originelles Foto von mir zu machen. Mama mußte mich fein anziehen, alles in weiß. Schuhe, Strümpfe, Kleidchen. Schnell fabrizierte sie ein Kränzchen aus Kirschblüten und setzte es mir auf den Kopf. So herausgeputzt platzierte mich Papa auf einen niedrigen Ast des blühenden Baumes und schoß ein Foto, was allerdings damals nicht besonders schnell ging.

Das Bild wurde sehr hübsch und direkt schwierig, mich in diesem Blütengewirr, so weiß gekleidet herauszufinden. Ich sehe die Aufnahme noch richtig vor mir, obwohl wir auch diese mit allen anderen im Januar 45, zu Hause zurückließen. Oft und gern hatte ich mir meine Fotos, die sich im Laufe der Jahre angesammelt und ich alle fein säuberlich in ein Album geklebt hatte, angeschaut. Nur ganz wenige davon besitze ich heute noch. Schade. 

Doch zurück zu unserem Haus. Der große Hof davor, zog sich noch um die andere Hauswandseite herum, begrenzt von einer hohen Böschung. Oben verlief eine breite, ansteigende Straße, die in weitem Bogen über die Eisenbahnbrücke führte und dann bis zum Bahnhof weiterging. Auf dieser Hofseite lagen meines Erinnerns einige kleine Stallungen, die damals auch meine Eltern für etwas Kleinvieh nutzten. An der gegenüberliegenden Hausseite lag unser, meines Ermessens nicht so ausgedehnter Blumengarten mit einer aus Birkenstämmchen gezimmerten, offenen Laube in der Mama bei angenehmen Wetter, mit ihren „Kränzchenfreundinnen“ einen Kaffeeklatsch abhielt.

In diesem Garten wuchsen hauptsächlich Rosen. Im Sommer natürlich eine einzige Pracht und Papas ganz besonderer Stolz . Er war ein Rosenfan. Auf welche Weise er zu diesen vielen Rosenstöcken kam und welche Folgen das hatte, erzähle ich später.

Vom Blumengarten führte eine kleine Tür zu dem ganz schmalen Gartenstreifen an der Hausrückwand. Dort wuchs Spalierobst, dicht an die Wand gedrückt, davor ein kleiner Weg, begrenzt von einem hohen Maschendrahtzaun.

Unmittelbar dahinter lagen die Gleisanlagen des Rangierbahnhofes. Es quietschte und knallte, wenn die Puffer der einzelnen Güterwagen aufeinanderprallten. Schließlich das klirrende Geräusch der Ketten bei der Verkoppelung der Wagen.

Wir waren daran gewöhnt und es störte uns nicht. Vielleicht hätte es uns sogar verwundert, wenn diese Geräusche plötzlich ausgeblieben wären.

Auf andere wirkte dieser Lärm jedoch ganz gegenteilig. Mama erzählte mir einmal, diesen Lärm betreffend, folgende Begebenheit.

Papas Bruder mit seiner Frau, also Onkel und Tante, die in Magdeburg wohnten, hatten sich für einen 3-4 tägigen Besuch angemeldet. Sie hatten bislang meine Eltern noch nie besucht Es sollte der erste aber gleichzeitig auch der letzte Besuch bei uns in Kreuzburg sein. Schon nach der ersten Nacht packten sie entnervt wieder ihren Koffer. Es war ihnen unbegreiflich, daß uns diese Geräusche nicht störten. Jedenfalls reisten sie schleunigst wieder ab.


Flocki


Noch einige Episoden weiß ich nur vom Erzählen her. Soweit reicht mein Erinnerungsvermögen doch nicht zurück. Vielleicht war es sogar noch vor meiner Zeit. Trotzdem möchte ich sie hier erwähnen.

Wir besaßen einen Hund. Einen weiß-schwarz gefleckten Terrier namens „Flocki“. Eines Tages rief Papa von seinem Büro an, er würde verspätet zum Mittagessen kommen und wir sollten nicht auf ihn warten. Also hatten wir die Mahlzeit schon hinter uns, als er endlich erschien und von unserem Flocki stürmisch begrüßt wurde.

Mama stellte das Essen auf den Tisch und ging wieder hinaus. Papa war ein guter Esser und Mama kochte gut und stets reichlich. Sicher gab es auch an diesem Tage etwas Leckeres. Papa tat sich mit gutem Appetit eine Portion auf den Teller, doch dann wurde er gestört. Das Telefon klingelte und er mußte, bestimmt widerstrebend, ins Nebenzimmer an den Apparat.

Dieses Gespräch dauerte sicher einige Minuten und noch ganz in Gedanken setzte er sich wieder an den Tisch. Nanu, hatte er sich nicht vorhin schon eine Portion auf den Teller getan? Aber das konnte ja nicht stimmen, denn der Teller war leer und blitzte vor Sauberkeit. Ja so ein Telefongespräch kann einen ganz schön durcheinander bringen, dachte er wohl in diesem Moment. Also füllte er seinen Teller, und aß ihn mit großem Appetit leer. Gerade hatte Papa die Mahlzeit beendet, bemerkte er verdächtige Geräusche unter dem Tisch. Unser Flocki hatte sich dort versteckt und knabberte genüßlich an einem Stückchen Knochen. Augenblicklich dachte Papa an seinen leeren Teller als er sich nach dem Anruf wieder an den Tisch setzte.

„Dieser verflixte Köter!“ schimpfte Papa.

Flocki hatte ganze Arbeit geleistet und mit seiner langen Zunge den Teller blitzblank geleckt. Sofort erhielt er einen derben Verweis und für Papa bekam das gute Mittagessen noch nachträglich einen unangenehmen Beigeschmack.

Mama empörte sich über den Hund, meine Brüder bekamen einen Lachanfall und Flocki verschwand vorsichtshalber in einem sicheren Versteck.

Später wurde der Vorfall, wenn es sich ergab, wieder erzählt und herzlich belacht.


Das liebe Federvieh


Auf dem Hof standen uns auch einige kleine Stallungen zur Verfügung und meine Eltern nutzten sie, um durch die Haltung von etwas Federvieh den Speisezettel zu bereichern.

Das eine Jahr fütterte Mama 3 Gänse und alle freuten sich, wie gut sie gediehen. Da passierte eines Tages ein kleines Malheur.

Mein Bruder Ernst kam zufällig auf den Hof und sah unsere schönen Gänse scheinbar in den letzten Zügen liegen. Zwei lagen schon zur Seite umgekippt am Boden, strampelten noch mit den Beinen und stießen seltsam krächzende Laute aus. Die dritte hielt sich nur noch mühsam auf den Beinen und schien auch jeden Moment umzufallen. Die armen Tiere mußte sicher eine plötzliche Seuche befallen haben.

Ernst rannte augenblicklich ins Haus und alarmierte Mama, die natürlich alles stehen und liegen ließ und auf den Hof gestürzt kam. Ihre schönen Gänse, die sie so gepflegt hatte und nun lagen sie alle dahin gestreckt am Boden. Ein Bild des Jammers! 

Plötzlich kam Mama die Erleuchtung! Warum sollten die armen Tiere so elend verenden? Hier kam nur noch eine sofortige Notschlachtung in Frage. Wenn sie auch sonst diese Gewalttat stets ablehnte, schien sie in Anbetracht dieser Situation über sich hinauszuwachsen, denn Papa war noch nicht vom Dienst zurück auf den sie diese unangenehme Sache hätte abwälzen können.

Mama lief ins Haus um kurzentschlossen das nötige Mordwerkzeug zu holen, während Ernst neben den todkranken Tieren kniete.

In diesem Moment kam die Nachbarin aus der oberen Etage auf den Hof, bückte sich nach einem Eimer, den sie vor einiger Zeit dort abgestellt hatte und schwenkte ihn mit einem Ausruf des Erstaunens hin und her. Ihr Blick fiel auf die „kranken“ Gänse und sie begann lauthals zu lachen.

In dem Moment erschien auch Mama wieder, mit großer umgebundener Schürze und blitzendem großen Messer in den Händen. Verständnislos schaute sie auf die lachende Nachbarin, die sie grade noch hindern konnte, nun zur Tat zu schreiten. Noch immer schmunzelnd berichtete sie jetzt, was sich ereignet hatte.

Ihre Familie feierte am Tage zuvor ihren Geburtstag und verschiedene Essens- sowie Bier und Schnapsreste waren in den Eimer gewandert, den sie auf dem Hof abgestellt hatte, um ihn später auszuschütten. In der Zwischenzeit hatten unsere Gänse den Inhalt entdeckt und sich daran gütlich getan.

Das Resultat war ein Vollrausch und keine plötzlich auftretende Seuche. Nun mußte auch Mama herzlich lachen und sie war heilfroh, daß die ihr quasi aufgezwungene Notschlachtung ins Wasser fiel.

Übrigens waren die Gänse nach einer gewissen Zeit wieder putzmunter und liefen schnatternd umher als wäre überhaupt nichts geschehen.

Und noch eine Federviehgeschichte möchte ich gleich anschließend erzählen Damals war ich drei, als sich die Eltern entschlossen, in diesem Jahr auf den Gänsebraten zu verzichten und es mal mit Puten zu versuchen. So wuchsen bei uns bald zwei dieser Gattung heran und entwickelten sich zu stattlichen Exemplaren.

Wenn ich mich auch sonst zu Tieren stets hingezogen fühlte, gefielen mir die beiden Puten, wie mir Mama später erzählte, gar nicht. Vielleicht war es der geierartige Kopf mit den beiden roten Hautlappen unter dem Schnabel, die sie mir unsympathisch machten, oder dieser kollernde Drohruf wenn die Tiere aufgeregt waren. Jedenfalls fürchtete ich mich regelrecht vor ihnen und hielt mich in gebührendem Abstand.

Eines Tages spielte ich friedlich und nichts ahnend, allein auf dem Hof. Unglücklicherweise stand gerade zu dieser Zeit die Tür zu dem kleinen Gehege offen und bald hatten die beiden Tiere den Weg in die Freiheit gefunden und das Unheil nahm seinen Lauf. Während sich die Pute bescheiden im Hintergrund hielt, kam der Puter sofort auf mich zugerannt.

Ausgerechnet trug ich an diesem Tage ein leuchtend rotes Kleidchen, das ihn wohl noch zusätzlich aggressiv machte. Er stürzte sich sofort auf mich und attackierte mich mit seinem spitzen Schnabel. Natürlich erhob ich sofort ein mordsmäßig durchdringendes Geschrei, das sogar die Eltern im Haus aufschreckte, so daß sie nichts Gutes ahnend herausgestürzt kamen.

Inzwischen lag ich bereits am Boden, schrie wie am Spieß, doch der Vogel ließ immer noch nicht von mir ab. Mama und Papa warfen sich jetzt in das Getümmel und während mich Mama dem Untier entriß, ergriff Papa im gleichen Moment den sich wild sträubenden Puter.

Seine Wut auf dieses schreckliche Vieh, das sein kleines Mädchen regelrecht überfallen hatte, war wohl in diesem Augenblick grenzenlos.

Während mich Mama auf den Arm genommen hatte und tröstete, ging Papa mit dem Puter schnurstracks zum Hackeklotz und von einem einzigen gewaltigen Hieb der Axt getroffen, rollte der Kopf des Puters vom Holzklotz.

Wahrscheinlich lockerte sich jetzt ganz unbewußt Papas Griff nach vollbrachter Tat, denn der Vogel riß sich plötzlich los, rannte kopflos eine kleine Strecke über den Hof, während ihm das Blut aus dem Hals schoß. Dann bohrte er ihn in den Sand und erst danach brach das Tier tot zusammen.

Es war ein schrecklicher Anblick, wie Mama mir später erzählte. Ich hockte derweilen auf ihrem Arm, weinte noch immer geschockt, leise vor mich hin und habe diese „Hinrichtung“ zum Glück gar nicht mitbekommen.

Glück hatte ich auch noch in der Beziehung, daß mir außer blauen Flecken und Abschürfungen an Armen und Beinen, sonst nichts geschehen war.


Eine verhängnisvolle Reise


Angeblich war ich ein ruhiges, friedfertiges Kind und gab den Eltern selten Anlaß zum Tadeln. Jedenfalls wurde es mir später so gesagt. Allerdings wäre zu bedenken, als Nachkömmling und Nesthäkchen, dazu wunschgemäß ein Mädchen, hatte ich sicherlich einige Privilegien und wurde mit Nachsicht behandelt.

Meine beiden Brüder waren niemals in irgendeiner Weise eifersüchtig auf mich. Auf ihre kleine Schwester ließen sie nichts kommen. Jedenfalls weiß ich noch genau, daß in kritischen Situationen meine Brüder ihr kleines Schwesterlichen immer in Schutz nahmen. Wenn mich meine Spielgefährten mal ärgerten, war mein geflügeltes Wort: ”Das sage ich aber meinem großen Bruder!”

Diese Drohung wirkte immer, denn die ließen nicht mit sich spaßen.

Trotz allem war ich bestimmt nicht streitsüchtig und wollte in meiner kleinen Welt stets mit jedem gut auskommen. Und doch war ich schuld an einem Familienzerwürfnis, welches nie wieder bereinigt wurde. Allerdings war ich nur indirekt daran beteiligt, denn es geschah einige Wochen vor meiner Geburt.

Mama hatte eine zwei Jahre ältere Schwester Marie, genannt Mieze. Sie war verheiratet und hatte einen damals 15jährigen Sohn. Ihr Mann, groß und stattlich (so kenne ich ihn von einem Foto) und bestimmt auch ein rechtschaffener Mensch, war schwer zugänglich, humorlos und ein Choleriker. So wurde er mir jedenfalls beschrieben. Persönlich habe ich ihn nie kennen gelernt.

Er wohnte mit seiner Familie im damaligen „Hindenburg“. Jetzt heißt die Stadt, glaube ich, „Zabrze“ und liegt in Polen. Von dort bis nach Kreuzburg waren es etwa 100 km per Bahn und 1-2x im Jahr erlaubte es Miezes Mann großzügig, ihre Schwester in Kreuzburg für ein paar Tage zu besuchen.

Für Mieze war es bestimmt ein Höhepunkt im Jahr. Auf diese Weise konnte sie, wenn auch nur für kurze Zeit, der Herrschaft ihres Mannes entrinnen. So geschah es auch im Herbst des Jahres 1927. Mieze kam angereist und die beiden Schwestern hatten sich viel zu erzählen, zumal jetzt, da Mama in einigen Wochen ihr Baby erwartete.

Mieze war gerade einen Tag bei uns, als Papa von seinem Büro nach Hause kam und verkündete, er müsse ganz plötzlich in einer dienstlichen Angelegenheit nach Magdeburg reisen.

„Ja wenn es für dich nicht so anstrengend in deinem Zustand wäre, könntest du mitfahren, schließlich bekommst du einen Freifahrtschein. Aber davon wollen wir lieber absehen!“ meinte Papa und damit war die Sache abgetan. Dafür ging sie den beiden Schwestern nicht aus dem Kopf. Sie beratschlagten heimlich und hatten schließlich eine grandiose Idee, die sie sofort Papa mitteilten.

Könnte nicht Mieze an Stelle von Mama mit deren Freifahrtschein mitfahren? (Damals gab es noch keinen Personalausweis, die Hauptsache war, der Freifahrtschein stimmte und sie war in Begleitung ihres Mannes) Die Reise nach Kreuzburg war bisher wohl ihre weiteste gewesen, also wäre eine Fahrt bis nach Magdeburg für sie fast wie eine Weltreise und ein großes Erlebnis.

Schließlich sollte Papa dort nur seine dienstliche Angelegenheit erledigen und dann ginge es schon wieder heimwärts. Eine Übernachtung wäre in diesem Falle bei Papas Bruder, der ja in Magdeburg wohnte, auf jeden Fall möglich. 

So etwa legten die Schwestern ihren Plan Papa vor. Aber er war gar nicht davon begeistert und lehnte ihren Vorschlag kurzerhand ab. Doch die beiden Frauen ließen nicht locker und redeten auf Papa so lange ein, bis er sich geschlagen gab und endlich einwilligte.

In froher Erwartung der jetzt in greifbare Nähe gerückten großen Reise, war Miezes Freude unbeschreiblich und Mama gönnte dieses Erlebnis ihrer Schwester von ganzem Herzen. Zwar hatte Papa immer noch Bedenken und machte seine Einwendungen, doch angesichts der Freude seiner Schwägerin wollte er sie nun doch nicht mehr enttäuschen.

Natürlich ist eine Bahnfahrt im Jahre 1927 nicht mit einer heutigen zu vergleichen. Damals ging es weitaus langsamer und die Fahrt von Kreuzburg bis nach Magdeburg dauerte dementsprechend.

Also ging am nächsten Tag in aller Frühe Papa mit seiner Schwägerin auf die Reise. Mieze freudig erregt und ihrem Schwager sehr dankbar, daß er ihr diese Fahrt ermöglichte.

In Magdeburg angekommen, kam sie auf die Idee, an ihren Mann in Hindenburg eine Ansichtskarte zu schicken. Er würde staunen, daß seine Frau ganz unverhofft zu solch einer großen Reise gekommen war und dazu noch völlig kostenlos.

Warum sollte er nicht auch an ihrer Freude teilhaben. Ein paar Zeilen waren schnell geschrieben, natürlich auch mit persönlichen Grüßen von Schwager Ernst und ab ging die Post.

Der Aufenthalt in Magdeburg war nur kurz und bald saßen sie beide im Zug 

nach Kreuzburg. Mieze wurde nicht müde ihrer Schwester von den Eindrücken ihrer Reise zu berichten und sie wäre ihr sicher in guter Erinnerung geblieben. Aber es hatte noch ein Nachspiel.

Hans, ihr Mann reiste plötzlich unangemeldet an und es kam zu einem Riesenkrach. Er regte sich fürchterlich auf, daß Mieze ohne seine Einwilligung, allein mit dem Schwager diese Reise unternommen hatte. Es wäre ein Skandal und er würde daraus seine Konsequenzen ziehen und das hieß „Völliger Abbruch sämtlicher Beziehungen zu unserer gesamten Familie, ansonsten würde er bei Papas Dienststelle Meldung wegen des ‚mißbrauchten‘ Freifahrtscheines machen.“

Papa hätte sich wegen seiner Gutmütigkeit viel Ärger eingehandelt und schweren Herzens mußten sich die beiden Schwestern damit abfinden, daß sie fortan keine Verbindung mehr zueinander haben würden.

So nahm diese Reise, aus uns kaum verständlichen Gründen, ein bitteres Ende.


In Papas Büro


Als ich später zur Schule ging und hin und wieder nach dem Beruf oder der Tätigkeit des Vaters befragt wurde, antwortete ich stets mit einem gewissen Stolz:

„Er ist ‚technischer Reichsbahn Oberinspektor‘“.

Ich fand, daß es sehr beeindruckend klang und kein Kind in meiner Klasse konnte solchen Vater vorweisen. Papa war Leiter des Bahnbetriebswerkes.

Ab und zu besuchten wir, d.h. Mama und ich, ihn für ein Weilchen in seinem Büro und es war immer sehr imponierend, wenn er hinter seinem großen Schreibtisch saß und mit den Leuten, die hereinkamen, etwas besprach oder ihnen seine Anweisungen erteilte.

Papa bildete auch junge Lokführer aus. An einem Kleiderhaken im Büro hing stets ein schwarzer Arbeitskittel, denn nach der Theorie kam natürlich die Praxis. Dann zog Papa den schwarzen Kittel über und stieg mit seinem Schützling auf die Lok. Vor Schmutzflecken war man dort nie sicher.

Neben Papas Büro, in einem anderen Raum, waren noch zwei andere Angestellte beschäftigt.

Der eine hieß „Zietz“. Ich habe diesen Namen bis heute nicht vergessen, weil sich meine Brüder Ernst und Heinz einen kleinen Spaß mit ihm erlaubten.

Sie erkundeten seine Telefonnummer und riefen im Büro an. Er meldete sich darauf stets mit den gleichen Worten:

„Hier Zietz!“

Darauf antwortete Ernst: ”Na dann machen Sie doch die Türe zu wenn`s zieht!” und legte den Hörer auf.

Wie oft sie dieses Spielchen trieben, weiß ich nicht. Jedenfalls kam schließlich Papa hinter ihre Schliche und beide mußten eine Strafpredigt über sich ergehen lassen.

Danach hat es bei Herrn Zietz nie wieder gezogen.


Pfui


Im zarten Alter von knapp einem Jahr habe ich mich einmal unmöglich benommen. Natürlich reicht mein Erinnerungsvermögen nicht soweit zurück, doch Mama hat es mir später so deutlich erzählt, daß ich es ohne weiteres aufschreiben kann.

Eines Abends brachte sie mich frisch gebadet und sauber gewindelt zu Bett. Ich brabbelte noch zufrieden vor mich hin und Mama konnte beruhigt das Kinderzimmer verlassen.

Nach etwa einer halben Stunde wollte sie wieder nach dem Rechten sehen, betrat das Zimmer und schrie entsetzt auf, als sie mich erblickte. Das war ja eine schöne Bescherung! Was war geschehen?

Ich hatte mir meine Windeln abgestrampelt, einen schönen weichen Haufen ins Bett gemacht, trampelte nun fröhlich darin herum und hatte mich von oben bis unten beschmiert.

Im Gesicht sah ich aus wie ein Indianer auf dem Kriegspfad, die Haare verklebt und das Bettzeug hatte natürlich auch seinen Teil abbekommen. Zu allem Übel roch es im Zimmer jetzt nicht gerade nach Veilchen.

Quietschvergnügt strahlte ich Mama entgegen. Plötzlich kam noch Heinz hereingestürmt. Er hatte Mamas lauten Schrei gehört und war neugierig, was denn geschehen sein mochte. Als er die Bescherung sah und ihm der Duft in die Nase kroch, machte er schleunigst kehrt und rannte mit lautem „Iiii - Pfui!“ schnell hinaus.

Mama wußte im Moment gar nicht, was sie zuerst machen sollte und rief Papa zur Verstärkung heran. Er mußte sogleich Wasser in die Wanne füllen, dann wurde ich mit spitzen Fingern entkleidet und ins Bad gesetzt. Mama seifte und schrubbte mich gründlichst, bis ich wieder einen angenehmen Duft verbreitete.

Gern ließ ich alles über mich ergehen, denn im Wasser planschen war meine Leidenschaft. Gesäubert und neu eingekleidet setzte sie mich Papa auf den Schoß, denn nun mußten noch die Spuren in meinem Kinderbettchen beseitigt werden. Endlich hatte alles wieder seine Ordnung und Mama konnte aufatmen.

Nach solchem Abenteuer rechtschaffen müde, wurde ich erneut zu Bett gebracht. Auch Heinz wagte sich neugierig wieder ins Zimmer. Er schnupperte erst und als er befriedigt feststellte, daß sich der unangenehme Geruch verflüchtigt hatte, trat er an das Kinderbett um mich zu begutachten und Mama sagte zu ihm:

„Nun ist Evchen wieder ganz sauber und du kannst ihr ein ‚Gute-Nacht-Küßchen‘ geben.“ Heinz rümpfte die Nase und antwortete voller Verachtung: „Mädchen, die sich überall und sogar im Gesicht mit Kacke beschmieren, küsse ich nicht!“

Sprach´s und verließ erhobenen Hauptes das Zimmer. Er hielt es sicher für eine Zumutung, mich nach diesem skandalösen Vorfall noch zu küssen. Das gab natürlich bei den Eltern ein Gelächter und die zusätzliche Arbeit war vergessen, während ich längst sanft und selig schlummerte.

Später haben mich meine Brüder öfter mit dieser „Ferkelei“, wie sie es ausdrückten, aufgezogen und das war mir immer sehr peinlich.


Puppenspielereien


Als „Puppen-Spielkind“ konnte man mich nicht bezeichnen, entgegen der Gewohnheit der meisten kleinen Mädchen, bei denen eine Puppe zum liebsten Spielzeug gehörte, die sie tragen, wiegen, aus- und anziehen konnten. Die Lieblingspuppe mußte natürlich auch mit ins Bett, sonst klappte es mit dem Einschlafen nicht. Ich war jedoch von den „Puppenspielen“ nicht so angetan.

Natürlich besaß ich auch einige dieser Exemplare in verschiedenen Ausführungen, aber konnte zu keiner von ihnen eine echte Beziehung entwickeln. Sie waren so starr und leblos, blieben steif auf ihrem Platz sitzen mit dem Blick ins Leere.

Viel lieber spielte ich mit der Eisenbahn, einem Überbleibsel vom Spielzeug meiner Brüder. Zwar schon etwas defekt, aber die Räder rollten noch und das war schließlich die Hauptsache.

Als mir die Eltern zum Geburtstag ein Feuerwehrauto aus buntlackiertem Blech schenkten, war ich restlos glücklich. Mit einem dazu gehörigen kleinen Schlüssel konnte ich es aufziehen und dann fuhr es mit „Tatütata“ durch die Stube. Ich fand es wunderbar!

Doch zurück zu meinen Puppen. Eigentlich verspürte ich nur zu Weihnachten etwas mehr Lust mich mit ihnen zu beschäftigen, denn jedes Jahr zum Fest saßen sie, vollständig neu eingekleidet unter dem Christbaum.

Dann war es natürlich doch interessant sie aus- und anzuziehen, dieses oder jenes Kleidungsstück zu probieren. Aber bald verlor das für mich wieder seinen Reiz und die Puppenriege saß schön aufgereiht im Spielzeugregal.

Vielleicht wollten mir die Eltern das Puppenspiel etwas schmackhafter machen, denn damals gab es entweder Jungen- oder Mädchenspielzeug und es gehörte sich, daß die Kinder angehalten wurden, diese Trennung auch einzuhalten. Was sollte man davon denken, wenn ein Mädchen die Puppen nicht anguckte und sich lieber mit Autos und Eisenbahn beschäftigte.

Darum bekam ich zur nächsten Festlichkeit einen wunderhübschen, ganz modernen Puppenwagen mit Kissen und Deckbett, selbst ein Regenschutz aus Wachstuch wurde nicht vergessen.

Nun konnte ich, wie es sich für ein Mädchen gehörte, meine Babypuppe ausfahren.

Anfangs machte es mir auch großen Spaß mit dem schönen Wagen herumzukutschieren, doch bald störte es mich, daß mein Püppchen steif und bewegungslos in den Kissen lag. Das machte mir absolut keinen Spaß und ich suchte nach einem Ausweg.

Da kam mir eine geniale Idee! Unsere Katze! Sie könnte doch an Stelle der Babypuppe im Wagen liegen. Unsere Miez war nämlich ein äußerst gutmütiges und geduldiges Tier. Während andere längst ihre Krallen gebraucht hätten, blieb sie ruhig und friedlich. Natürlich müßte ich ihr wenigstens ein Jäckchen und Mützchen anziehen, damit es auch einigermaßen echt aussah. Dies Experiment würde ich allerdings allein bestimmt nicht schaffen, aber Heinz könnte mir dabei helfen.

Er machte gern jeden Spaß mit, während sich Ernst lieber zurückhielt. Also wurde Miez zum Baby umfunktioniert und schicksalsergeben ließ sie es sich auch ohne zu knurren gefallen.

Anschließend drückten wir sie mit sanfter Gewalt in die Kissen, nur der Kopf mit dem Häubchen, samt unter dem Kinn gebundener großer Schleife und die brav auf der Bettdecke liegenden Pfötchen, waren zu sehen. Miez kniff die Augen zusammen, es sah aus als schliefe sie, so daß ich freudestrahlend mit meinem „richtigen“ Baby auf dem Hof spazieren fahren konnte.

Wie lange würde sich die Katze das wohl gefallen lassen, dachte bestimmt Heinz, denn er schaute mir interessiert zu.

Da verfing sich ein kleiner Stock in den Speichen eines Rades und ich bückte mich danach. Im gleichen Augenblick da ich jetzt mein „Baby“ aus den Augen ließ, sprang Miez mit einem gewaltigen Satz aus dem Puppenwagen, rannte zum nächsten Baum und kletterte samt Babybekleidung ins Geäst. Erstaunlich wie schnell sie reagiert hatte, als ich nur einen Moment abgelenkt wurde.

Heinz amüsierte sich köstlich über das entflohene Katzenbaby, er hatte es natürlich schon geahnt wie die Sache ausgehen würde. Dagegen war meine Enttäuschung groß, denn ich hatte geglaubt, Miez fühlte sich in den weichen Kissen sehr wohl, zumal sie so brav dalag und zu schlafen schien.

Wir konnten noch beobachten, wie sie angestrengt versuchte, sich von ihrer Bekleidung zu befreien, was ihr schließlich auch gelang.

Es war meine erste und letzte Ausfahrt mit unserer Miez. Sie hatte sich diese Prozedur gut gemerkt und ging mir fortan lieber aus dem Weg. 


Motorraderinnerungen


Papas ganzer Stolz war sein Motorrad. Bei uns in Kreuzburg gab es damals sogar schon einen Auto- und Motorradclub und er gehörte natürlich zu den aktiven Mitgliedern.

Selbstverständlich war es für ihn Ehrensache sein Fahrzeug gut zu pflegen und evtl. anfallende Reparaturen allein zu erledigen. Seltsamerweise besorgte er letzteres am liebsten in unserer sehr geräumigen Küche, trotz Mamas Protest. Aber Papa verstand es immer wieder sie zu beschwichtigen und dann trug sie´s mit Fassung.

Zum Glück wohnten wir im Parterre und nur die Hürde von einigen Stufen galt es zu überwinden. Dafür eignete sich vorzüglich Mamas Bügelbrett, über das sie zwecks Schonung noch schnell eine alte Decke legte.

Nach erfolgter Reparatur mußte gleich an Ort und Stelle die Maschine angetreten werden um zu prüfen, ob alles richtig funktionierte. Das machte in der Küche einen Höllenlärm. Mama flüchtete darum schon rechtzeitig, während es den Jungs natürlich nichts ausmachte und sie interessiert zuschauten.

Ob sich die Obermieter über diesen Lärm beklagten, weiß ich nicht. Vielleicht lud Papa als Entschädigung hin und wieder einen von ihnen zu einer kleinen Rundfahrt ein. Damals war es bestimmt noch etwas Besonderes.

Zu Papas Freizeithobbys gehörte auch das Angeln. Dagegen konnte es Mama nicht verstehen, daß er stundenlang am Ufer sitzen konnte um auf einen Fisch zu warten. Aber Papa meinte, angeln wäre nervenberuhigend und entspannend, außerdem machte es ihm Spaß. Also ließ ihn Mama mit seinem Motorrad und noch einigen Clubkameraden, fahren.

Bevor es jedoch losging, hatten wir Geschwister noch eine Aufgabe zu erledigen. Jetzt hieß es: „Regenwürmer suchen!“

Mir machte die Sache immer viel Spaß. Die Jungs gingen also mit ihren Spaten bewaffnet in den Garten und ich mit einer Konservendose hinterher. Die Beiden kannten inzwischen schon aus Erfahrung die richtigen Stellen, an denen sie fündig werden konnten und ich sammelte eifrig die sich windenden dünnen und dicken rosa Würmer in meine Büchse. Mit unserem Ergebnis war Papa stets zufrieden.

An seiner Angelausrüstung beeindruckten mich am meisten seine Stiefel. Sie waren nämlich von enormer Größe. Papa paßte mitsamt seiner Schuhe hinein und sie reichten bis zum Po hinauf. Jeder Stiefelschaft hatte oben bestimmt den Durchmesser eines Eimers und sie hingen beide an breiten Hosenträgern.

So konnte Papa bei Bedarf auch mal ins tiefere Wasser waten. Ob ihm auch immer das Anglerglück hold war, entzieht sich meiner Kenntnis. Für eine ganze Familienmahlzeit hat es sicher nie gereicht, denn Mama erzählte später mal schmunzelnd, daß zum Glück ein Fischladen an der Strecke zum Angelparadies gelegen hätte.

Eine bestimmte Motorradepisode hat mir Mama des Öfteren erzählt. Es ereignete sich noch vor meiner Geburt.

Papa hatte die Absicht, Mama unbedingt das Motorradfahren beizubringen. Sie war wohl von dem Gedanken nicht so sehr begeistert, aber schließlich ließ sie sich doch dazu überreden.

Also machte er Mama zuerst ein wenig mit der Theorie vertraut und dann fuhren sie beide zu einer einsamen Landstraße und die Probefahrt konnte starten.

Mama schwang sich, noch etwas unsicher auf die Maschine, tuckerte langsam los und Papa rannte hinterher. Da tauchte auf der sonst einsamen Straße von vorn ein Pferdewagen auf. Darauf war sie nicht gefaßt, und wollte sicherheitshalber möglichst weit rechts fahren, doch hier begann schon der Graben und hinein ging´s.

Zum Glück war er nur ganz flach. Das Motorrad kippte um und Mama flog ins Gras.

Als Papa angstvoll im Dauerlauf angehastet kam, hatte sie sich bereits wieder aufgerappelt und saß ziemlich schockiert im Graben. Sie hatte wirklich Glück im Unglück, ohne Verletzungen davongekommen zu sein.

Vom eigenhändigen Motorradfahren hatte Mama die Nase voll und Papa hat sie auch nicht wieder dazu gedrängt.

Doch die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Noch eine Begebenheit ist mit dieser denkwürdigen Motorradfahrt verknüpft.

Am Tage zuvor feierte Mama ihren Geburtstag und Papa schenkte ihr die schon lange gewünschten Ohrringe. Natürlich hatte sie sich schon am nächsten Vormittag die Schmuckstücke einsetzen lassen und am gleichen Tag dann diese mißglückte Motorradtour.

Alle Landstraßen hatten damals natürlich nur Kopfsteinpflaster aufzuweisen und man kann sich denken, daß man bei einer Motorradfahrt ganz schön durchgeschüttelt wurde. Jedenfalls hatten sich die frisch durchbohrten Ohrläppchen stark entzündet, waren dick angeschwollen und schmerzten gewaltig.

Mama hatte nur den einen Wunsch als beide nach Hause kamen. Die Ohrringe schnellstens zu entfernen. Kalte Umschläge linderten ein wenig den Schmerz, aber es dauerte doch einige Tage, bis die Entzündung abgeklungen war.

Die Ohrringe wurden daraufhin in ihren Schmuckkasten verbannt und Mama hat sie nie wieder(auch keine anderen) getragen. Nur die winzigen Löcher in ihren Ohrläppchen erinnerten noch Jahre danach an dieses gleich zweifache Malheur.

Bestimmt hat diese Erfahrung dazu beigetragen, daß ich niemals Ohrringe geschenkt bekam, aber ich hatte auch nicht den Wunsch welche zu tragen.

Eines Tages trennte sich Papa von seinem Zweirad und kaufte ein familienfreundlicheres Dreirad d.h. eine Beiwagenmaschine.

Nun hatte Mama einen bequemen Platz im Sessel und ich konnte, als kleiner Knirps auf ihrem Schoß sitzen. Einer von den Jungs kam auf den Sozius, immer abwechselnd, oder wer gerade Lust für eine Ausfahrt hatte.

Papas Motorradclub organisierte auch regelmäßig gemeinsame Ausflüge, das machte uns natürlich großen Spaß.

Bei einer dieser Fahrten hatte er den Anschluß an seine Kolonne verloren und weil ohne Karte, sich total verfahren. Das gab hinterher immer wieder Anlaß zu Witzeleien.

Bei einem gemütlichen Beisammensein bekam Papa aus diesem Anlaß ein wirklich hübsches, äußerst gelungenes Bild (samt Landkarte) geschenkt. Unter den Clubkameraden muß ein sehr begabter Zeichner gewesen sein. Diese schwarz- weiß Zeichnung hing bei uns fortan, hübsch gerahmt, im Wohnzimmer. Ich habe das Bild so oft betrachtet, daß ich es auch jetzt noch vor Augen habe und ohne weiteres beschreiben kann. 

Direkt an einer Straßengabelung stehen wir mit unserem Motorrad. Mama im Beiwagen mit mir auf dem Schoß. Sogar an mein Blumenkränzchen auf dem Kopf(aus künstlichen Blüten), mit dem man damals gern an Feiertagen kleine Mädchen schmückte, kann ich mich gut erinnern. Auf dem Sozius haben auf dem Bild sogar beide Jungs Platz.

Es sieht aus, als wäre Papa unschlüssig, in welche Richtung er fahren muß. Er zeigt mit weit ausgestrecktem Arm natürlich in die verkehrte, denn auf der anderen Abzweigung sieht man in weiter Ferne ganz winzig die anderen Fahrer.

Die Ähnlichkeit mit jedem einzelnen von uns war verblüffend. Unter dieser Zeichnung stand ein passender kleiner Vers, den ich bis heute nicht vergessen habe


Herr Möhring fuhr durch das weite Land,

ganz ohne Karte, s` ist allerhand

und kam er an die nächste Eck`,

waren die andern alle weg.

Auf daß ihm nicht wieder dies Pech widerfährt,

wird ihm vom Club eine Karte verehrt.”


Es ist wirklich schade, daß auch dieses hübsche Andenken, für mich unwiederbringlich, in unserer Wohnung zurückblieb.


Der Zirkusbesuch


An den Litfaßäulen klebten bunte Plakate und Papa verkündete:

„Ein Zirkus kommt zu uns in die Stadt, wäre das nicht etwas für die ganze Familie?

Evchen war bis jetzt noch nie im Zirkus und den Jungens würde es bestimmt auch Spaß machen.“

Natürlich waren wir alle von Papas Vorschlag begeistert, denn es ergab sich nur selten die Gelegenheit einen Zirkus zu besuchen.

Zum ersten Mal durfte ich bei einer Vorstellung dabei sein, das war eine aufregende Sache.

Auf meine ständigen Fragen versuchten mich meine Brüder diesbezüglich etwas aufzuklären. 

„Verschiedene Tiere gibt es dort zu sehen, die du bis jetzt nur aus deinen Bilderbüchern kennst, Z.B. Löwen, Elefanten bestimmt auch Affen und Schlangen“, erklärten sie mir.

„Den Tieren haben die Zirkusleute verschiedene Kunststücke beigebracht, um sie den Zuschauern vorzuführen. Meistens gibt es auch eine Seiltänzerin, sie kann auf einem dünnen Seil hin und her laufen kann, andere turnen an einer Schaukel, die ganz hoch oben unter dem Zeltdach hängt und noch viel mehr wirst du sehen.“

Das erzählten sie mir und machten mich natürlich richtig neugierig.

Endlich war es soweit und nun würde sich herausstellen, ob alles was mir meine Brüder vom Zirkus erzählt hatten, auch wirklich stimmte.

Allein schon das Zelt fand ich erstaunlich, denn es war riesig! Daneben standen verschiedene Wagen mit Fenstern, vor denen sogar Gardinen hingen und Mama erklärte:

„Das sind Wohnwagen, es ist das Zuhause der Artisten, so nannte sie die Zirkusleute. Wenn sie ihr Zelt wieder in einem anderen Ort aufbauen wollen, dann fährt ihre Wohnung gleich mit!“

Ich dachte sofort an unser Haus, das fest gemauert immer auf der gleichen Stelle stehen mußte und wie praktisch es doch die Zirkusleute mit ihrer Wohnung auf Rädern hatten, die sich überall hinrollen ließ.

Mama und Papa meinten allerdings, daß sie ihr festes Haus nicht gegen einen Wohnwagen eintauschen möchten.

Doch nun ging es hinein in das Zelt, mit den vielen Sitzreihen rund um den riesigen Sandkasten, den Papa „die Manege“ nannte.

Zuerst trabten kleine Ponypferdchen herein, die sich auf Kommando drehten, auf den Hinterbeinen standen und sich sogar wie zum Schlafen auf die Erde legten.

Die Seiltänzerin, von der mir schon meine Brüder erzählt hatten, kam jetzt an die Reihe.

Sie stieg mit einem Schirm in der Hand auf das Seil, was mich verwunderte, denn hier regnete es doch gar nicht. Ich fragte darum Mama und sie erklärte mir: 

„Den Schirm braucht die Seiltänzerin, damit sie nicht herunterfällt.“ Also konnte das Seillaufen gar nicht so schwer sein, wenn man sich an einem Schirm festhalten konnte, dachte ich im Stillen und hätte es gern einmal ausprobiert. 

„Paß auf, jetzt kommt bestimmt ein Clown, dann wird es erst richtig lustig!“ flüsterte mir Heinz zu. 

Im gleichen Moment kamen zwei Gestalten hereingelaufen. D.h. so gut sie eben laufen konnten mit ihren riesengroßen Schuhen. Bisher hatte ich noch niemanden mit solchen großen Füßen gesehen und nach meiner Ansicht sah es gar nicht schön aus.

Die Hosen, die sie anhatten waren viel zu groß. Zum Glück hingen sie an ganz breiten Hosenträgern, sonst wären sie gleich auf die großen Schuhe gefallen. Papa würde solche Hose bestimmt niemals anziehen. Und was für Haare diese beiden hatten! Genau wie der Struwwelpeter, nur nicht braune, sondern ganz rote, so rot wie mein Feuerwehrauto. Ihr Gesicht leuchtete schneeweiß mit einer roten Kartoffelnase, ein riesengroßer Mund, der von einem Ohr zum anderen reichte und schwarz umrandete Augen.

Meiner Meinung nach sahen sie gräulich aus. Diese Clowns fand ich durchaus nicht lustig, im Gegenteil, sie flößten mir mit ihrem Aussehen Angst ein und während die Zuschauer lachten, heulte ich lauthals los, klammerte mich an Papa und brachte mit meinem Gebrüll Eltern und Geschwister in Verlegenheit, daß Papa sich gezwungen sah, um nicht den Unwillen der Besucher zu erregen, das Zelt mit mir für eine Weile zu verlassen.

Es wurde von den in unserer Reihe sitzenden nicht gerade freundlich aufgenommen, als er sich mit mir auf dem Arm hindurch drängelte. Draußen gelang es ihm endlich, mich wieder zu beruhigen.

„Die Clowns sind doch nur so komisch angezogen und im Gesicht bemalt damit die Leute über sie lachen sollen. Sie wollen bestimmt keinen erschrecken und du brauchst wirklich keine Angst zu haben, wenn sie ihre Späße treiben!“

beruhigte mich Papa nochmals und wenn er das sagte, mußte es ja stimmen, darum war ich nun bereit, wieder ins Zelt zu gehen. Wir drängelten uns wieder zu unserem Platz durch und Mama und die Jungs waren sichtlich froh, daß ich endlich mit der Heulerei aufgehört hatte und sie das weitere Programm in Ruhe verfolgen konnten.

Ernst und Heinz hatten mir nicht zu viel versprochen was die Löwen, Elefanten oder die Trapezkünstler betraf, doch immer wenn die Clowns in der Manege erschienen, war ich durchaus nicht so begeistert wie die anderen Zuschauer.

Später mußte ich mir zu Hause von Ernst und Heinz nicht gerade schmeichelhafte Worte anhören.

„Du bist eine Heulsuse, ein großer Angsthase und solltest dich schämen, so ein Theater zu machen!“ schimpften sie mit mir und ich wurde sehr verlegen und schämte mich.

An keinen anderen Zirkusbesuch der nächsten Jahre erinnere ich mich so gut wie an diesen ersten, bei dem ich durch meinen „unfreiwilligen Auftritt“, wie meine Brüder behaupteten, die ganze Familie blamiert habe.


Ein Weihnachtserlebnis


Weihnachten war für mich jedes Jahr erneut ein Erlebnis. In ganz besonderer Erinnerung ist mir ein hl. Abend in Kreuzburg geblieben.

Voller Ungeduld wartete ich auf die Einbescherung, doch ich wußte, erst wenn das „Klingeling“ des Glöckchens aus der Weihnachtsstube ertönte, durften wir eintreten.

Was war nur los, daß es so lange dauerte? Auch Papa schien auf etwas zu warten, denn immer wieder schaute er zur Uhr und schließlich flüsterte er mir ganz geheimnisvoll zu:

„Heute erwartet uns noch eine besondere Weihnachtsüberraschung, du mußt dich nur noch etwas gedulden!“

Weiter verriet er nichts und meine Spannung wuchs. Plötzlich klingelte es lang anhaltend. Aber nicht das Weihnachtsglöckchen, sondern die Flurglocke.

Darauf hatte wohl Papa gewartet, denn er nahm mich sogleich bei der Hand und wir gingen, gefolgt von der ganzen Familie zur Haustür.

Zu meiner großen Überraschung stand ein knallrotes Auto davor, das Verdeck zurückgeklappt. Auf dem Beifahrersitz saß wahrhaftig der Nikolaus (die Bezeichnung „Weihnachtsmann“ kannten wir in Schlesien nicht) Natürlich hatte er seinen Chauffeur, der bereits ausgestiegen und geklingelt hatte. Jetzt half er dem Nikolaus aus dem Auto, der so freundlich unter seiner roten Zipfelmütze hervorschaute, daß sein Anblick mir gar keine Angst einflößte und ich ihm sofort bereitwillig die Hand zur Begrüßung reichte.