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Dr. Norden Bestseller
– 324 –

Doch es kam alles ander

Patricia Vandenberg

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74095-520-5

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Eva Presten und Margit Böckler waren seit der Schulzeit Freundinnen, wenn man es als Freundschaft bei zwei so verschiedenen Mädchen bezeichnen konnte. Eine mußte sich da wohl immer anpassen, und das war Eva.

Ihr Vater war Bankdirektor, Margits Eltern waren Innenarchitekten, jedenfalls bezeichneten sie sich gern so.

Sie waren beide gelernte Dekorateure und hatten es durch Können und Fleiß zum erfolgreichen Aufstieg gebracht. Leopold Presten hatte an ihnen so gesehen gewiß nichts auszusetzen, denn für ihn zählte auch nur, was die Menschen durch eigene Leistung zuwege brachten. Er hätte auch gegen die Freundschaft seiner Tochter mit Margit nichts einzuwenden gehabt, wenn diese einfache Handwerker gewesen wären. Was ihm aber an Margit mißfiel, wollte er Eva nicht gar so drastisch sagen, denn er, als ein lebenserfahrener Mann, sah Margit mit anderen Augen als Eva, denn sie tat sich keinen Zwang an, auch mit ihm einen Flirt zu beginnen, wenn sich die Gelegenheit dazu bot.

Er sagte seiner hübschen und auch gescheiten Tochter öfter, sie solle sich doch auch mit anderen jungen Leuten treffen, aber Eva war dazu zu schüchtern, und sie sah Margit auch mit anderen Augen als er.

Sie war eben ganz anders als Eva, forsch und temperamentvoll, und sie war schon als Teenager umschwärmt worden.

Leopold Presten war ein kluger Mann und liebevoller Vater, und er fürchtete, daß Margit nur eine Freundin brauchte, die sich ständig in den Schatten und an die Wand drängen ließ, um sich selbst ein besonderes Image zu verschaffen. Margit, die unwiderstehliche, die sie sein wollte!

Leopold Presten war ein noch immer sehr gut aussehender Mann Mitte Vierzig. Er war kein Charmeur, aber bei den Frauen sehr beliebt, und sein Unglück war, daß seine Frau schon Jahre unheilbar krank war und seiner einzigen Tochter nicht die verstehende Mutter sein konnte, die Eva im Teenageralter gebraucht hätte, und so hatte sie sich an Margit angeschlossen, die sie überall mit hinnahm, wo sich die jungen Leute trafen, und wenn Eva da auch meist das Mauerblümchen war, weil sie ihre Schüchternheit nicht ablegen konnte, sie war doch als Margits Freundin bekannt.

Nun waren sie erwachsen geworden, und Margit hatte den Vorschlag gemacht, daß Eva mit ihr nach Bordighera fahren sollte, um dort im Ferienhaus ihrer Eltern einen Urlaub zu verbringen. Leopold Presten war dagegen, seine Frau, zeitweise noch ansprechbar, war dafür, weil sie meinte, daß es an der Zeit wäre, daß Eva selbständiger würde.

Leopold hatte eine lange und sehr ernste Aussprache mit seiner Tochter. Er hielt ihr vor, daß sie und Margit doch grundverschieden wären, um miteinander auskommen zu können. Eva widersprach ihm, was er auch nicht gewohnt war. Sie hatte ja nur die eine Freundin, und er solle es ihr doch gönnen, daß sie auch mal Tapetenwechsel haben könnte.

»Und Margit redet nicht dauernd über Mamas Krankheit«, sagte sie. »Das allein ist schon eine Erholung. Ich weiß ja, wie schwer es auch für dich ist, und sie bedauern dich ja alle, aber Margit kann einen aufmuntern.«

Leopold Presten fühlte sich schuldbewußt, weil er wirklich wenig Zeit für seine Tochter hatte, aber seine einst so reizvolle Frau so dahinsiechen zu sehen, war für ihn zu einem Trauma geworden.

Dr. Norden hatte ihm eine Hauspflegerin verschafft, eine junge Witwe, die vor ihrer Ehe Medizin studiert hatte, und dann mit sechsunddreißig Jahren ihren Lebensunterhalt selbst verdienen mußte. Sie sprach nicht über sich und ihre Sorgen. Sie tat ihre Pflicht und mehr als das, still, immer darauf bedacht, ihm aus dem Wege zu gehen, und er hatte es gespürt, daß sie auch nicht die leiseste eifersüchtige Regung in Alice hervorrufen wollte.

Leopold, der von seinen Freunden, mit denen er abends oft zusammenkam, Poldi gerufen wurde, war froh, daß Alice Sibylle Rethy so gern mochte, und daß sie wohl auch deshalb nichts dagegen hatte, daß Eva mit Margit an die Riviera fuhr.

Es war Mitte Juni, eine Zeit, zu der noch nicht so viele Touristen unterwegs waren. Margits Vater, Heinz Böckler, hatte billig ein Haus in Bordighera erworben und es sehr hübsch hergerichtet und ausgestattet. Es war zu der Zeit eigentlich an Bekannte aus Norddeutschland vermietet gewesen, aber die hatten wegen eines Todesfalles nicht fahren können, und deshalb hatte es für die beiden jungen Damen so überraschend geklappt.

Margit hatte ihre Eltern längst überzeugt, daß sie erwachsen sei und gut über sich selbst bestimmen könne. Heinz Böckler hatte es auch aufgegeben, sich den sehr modernen Ansichten seiner Tochter zu widersetzen, da ihr Talent, Kunden zu werben und zu überzeugen, verblüffend war und nur zu seinem eigenen geschäftlichen Erfolg beitrug.

Eva bewunderte ihre Freundin, weil ihr anscheinend alles gelang, was sie nur anfing, und sie überall Furore machte.

Margit konnte reizend sein, aber auch boshaft, doch davon hatte Eva direkt noch nichts zu spüren bekommen. Gewiß hatte sie es schon miterlebt, wie patzig Margit zu jemanden sein konnte, aber das nötigte ihr auch eine gewisse Bewunderung ab, weil sie gar nicht den Mut hatte, mal aggressiv zu sein. Aber sie begriff auch nicht, daß Margit solche nachgiebige Freundin brauchte, die sie völlig unter der Fuchtel hatte. Leopold Presten hatte es begriffen, aber seine Warnungen fruchteten nicht, und die Sorgen, die durch Alices schwere Krankheit auf ihm lasteten, brachten nur eine gewisse Resignation seiner Tochter gegenüber mit sich.

Er liebte seine Evi. Er wollte sie vor allem Übel bewahren, und in seiner Fürsorge hatte er ein wenig zuviel des Guten getan, wie auch Alice, als sie noch nicht so krank war. Am liebsten hätten sie ihre Einzige in Watte gepackt, und so war Eva mehr als vorsichtig, in mancher Beziehung ängstlich geworden.

Dr. Norden kannte Margit Böckler nur flüchtig, und als Leopold Presten ihn fragte, was er davon halte, wenn Eva mit ihr verreisen würde, meinte Dr. Norden arglos, daß Eva ein Tapetenwechsel wohl ganz gut täte, denn es sei vorauszusehen, daß sich der Zustand ihrer Mutter immer mehr verschlechtere. Es würde Eva nur guttun, selbständiger zu werden. Er sagte es sehr vorsichtig, denn er wußte, wie empfindlich Leopold Presten war, wenn es um seine Tochter ging.

Alice war schon sehr apathisch und bekam gar nicht mehr so recht mit, was um sie vor sich ging, und es war Sibylle Rethy zu verdanken, daß die Kranke dennoch zufrieden schien und nie aggressiv wurde, wie es in solchem Stadium doch oft der Fall war.

Als sich Eva verabschiedete, nickte sie nur geistesabwesend. Sie hatte schon wieder vergessen, daß Eva drei Wochen fernbleiben würde.

Dr. Norden kam, als Margit in ihrem schnittigen Wagen vor dem Haus hielt, um Eva abzuholen. Da hielt er dann doch ein bißchen die Luft an und fragte sich, ob diese Margit Böckler der richtige Umgang für Eva sei, denn er war ein erfahrener Mann, und er konnte auch weibliche Wesen richtig einschätzen. Margit machte doch einen recht flotten Eindruck, einen etwas zu flotten für seinen Geschmack, und plötzlich begriff er auch Leopold Prestens Sorgen. Aber er wollte dem ohnehin schon deprimierten Mann nicht noch mehr Angst einjagen. Er vertraute auf Evas gesunden Verstand, auf ihre ganz persönliche Distanz zu allem, was ihr nicht gefiel. Aber bei Freundinnen war es manchmal fast so, als ob man blind verliebt wäre, man sah die negativen Seiten nicht.

Dr. Norden wollte allerdings auch nicht ungerecht sein, denn ein flüchtiges Kennenlernen mochte einen Eindruck vermitteln, der nicht stimmte, und früher hatte er Margit überhaupt keine Beachtung geschenkt, weil er nur ein einziges Mal im Hause Böckler gewesen war, als Renate Böckler, Margits Mutter, einen Ohnmachtsanfall erlitten hatte. Er hatte sie dann zu dem Gynäkologen Dr. Leitner überwiesen, da die Kreislaufbeschwerden auf das Klimakterium zurückzuführen waren.

Seither kam Renate Böckler sporadisch zu ihm in die Praxis, aber sie war eine Frau, mit der er nicht zurechtkam.

So meinte er nun auch, daß er wohl der Tochter gegenüber voreingenommen sei. Er wünschte Eva, die sichtlich aufgeregt war, eine gute Reise.

»Komm gesund zurück, Eva«, sagte er herzlich.

»Ich freue mich so«, sagte sie.

Und doch sollte diese Reise schon nicht so beginnen, wie sie gemeint hatte.

»Dr. Norden duzt dich?« fragte Margit anzüglich. »Hast du was mit ihm?«

Eva war nun ganz verstört. »Wie kannst du so etwas denken! Er kennt mich doch schon viele Jahre, und ich habe ihn gebeten, auch weiterhin beim Du zu bleiben.«

»Ach so, immerhin, er ist ein schicker Mann, und Ärzte haben ja manchmal was mit ihren Patienten, wenn es sich um junge hübsche Mädchen handelt.«

»Doch nicht Dr. Norden«, sagte Eva verweisend. »Er hat eine wunderschöne Frau und fünf Kinder.«

Margit lächelte spöttisch auf. »Fünf Kinder und wunderschön, das ist aber mächtig übertrieben. Schau dir mal meine Mutter an, wie sie ausschaut, und sie hat nur ein Kind zur Welt gebracht.«

»Dann schau dir erst mal Frau Norden an. Du kennst sie anscheinend nicht.«

»Eine Frau, die fünf Kinder in die Welt setzt, muß eine Macke haben. Da muß es doch an Verstand fehlen.«

»Sie ist Ärztin«, sagte Eva stockend. Ein Kloß saß ihr in der Kehle, weil Margit so über Fee Norden sprach. Das ging ihr unter die Haut. Sie fühlte sich selbst gekränkt. Aber vielleicht war es gut so, denn von dieser Stunde an war sie nicht mehr so nachsichtig mit Margit. Sie dachte auf einmal viel mehr über die andere nach.

Aber Margit sagte dann nichts mehr dergleichen. Sie hatte auch gemerkt, daß Eva das nicht widerspruchslos hinnahm, und sie fühlte sich ja stets nur solange überlegen, solange ihr kein Widerstand entgegengesetzt wurde.

In Eva war ein Gefühl erwacht, das sie bisher nicht gekannt hatte. Sie dachte plötzlich auch an die Warnungen ihres Vaters, aber sie war weit entfernt zu resignieren. Warum sollte sie nicht auch lernen, sich zu behaupten?

Als sie die Grenze hinter sich gelassen hatten, sagte Margit, daß Eva nun eine Weile fahren könne. Den Führerschein hatte sie ja, aber sie war nur Besitzerin eines kleinen Wagens mit bedeutend weniger PS.

»Ich weiß nicht, ob ich mit deinem Wagen zurechtkomme, Margit«, meinte sie.

»Sei nicht albern, du wirst dir doch auch mal so einen zulegen wollen.«

»Das weiß ich nicht. Mir genügt meiner.«

»Wie kann man nur immer so bescheiden sein, Eva! Dein Vater hat doch wohl genug Geld.«

»Darum geht’s nicht. Ich komme doch nicht viel weg, und nach dem Urlaub muß ich mich auch um mein Studium kümmern. Ich will nicht ewig herumhängen.«

»Und dann heiraten«, lachte Margit auf. »Wozu erst studieren? Jörg nimmt dich auch so.«

Jörg Böckler war Margits Cousin, ein ganz netter junger Mann, aber keineswegs Evas Geschmack. Sie sagte es nicht. Sie sagte nur, daß sie nicht die Absicht hätte, bald zu heiraten, und wenn, dann würde sie sich den Mann schon selber aussuchen.

»Aber das traust du mir offensichtlich nicht zu«, sagte sie so ironisch, daß Margit vorerst sprachlos war, denn solche Töne war sie von Eva nicht gewohnt.

Nach minutenlangem Schweigen fand sie die Sprache dann aber doch wieder.

»Jörg mag dich aber sehr gern«, sagte sie. »Und eine schlechte Partie wäre er auch nicht. Immerhin wird er einmal einen florierenden Großhandel erben.«

»Es kommt doch nicht darauf an, Margit. Nur darauf, ob man sich vorstellen kann, ein ganzes Leben mit einem Menschen in voller Harmonie zu verbringen. Es kann ja manches daherkommen, was viel Verständnis erfordert. Ich erlebe es ja durch Mamas Krankheit.«

»Und mich wundert, daß dein Vater das mitmacht. Er ist doch ein flotter Typ. Er könnte sogar mir gefallen.«

Da mußte Eva nach Luft schnappen. Das war denn doch ein bißchen zu frivol für ihre Begriffe.

»Red nicht solchen Unsinn«, sagte sie unwillig.