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Dieses Buch ist ein Transkript aus einer Original-Vortragsserie auf Hindi, die Osho vor einer internationalen Zuhörerschaft gehalten hat. Alle Diskurse Oshos sind als vollständige Bücher publiziert worden und auch als Audios und / oder Videos erhältlich. Audios und das vollständige Text-Archiv finden Sie unter der Online-Bibliothek „Osho Library“ bei: www.osho.com

Titel der Hindi Original Ausgabe: Samadhi ke Teen Charan

Ebook-Ausgabe 2019

eISBN 978-3-947508-26-6

Drei Schritte zum Erwachen

Befreites Bewusstsein, einfaches Denken – ein leerer Geist

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Inhalt

Vorwort

1.Die Befreiung unseres Bewusstseins

2.Die Einfachheit des Denkens

3.Innerlich wahrnehmen

4.Ein leerer Geist

Vorwort

Aufwachen oder Erwachen bedeutet, dass das Träumen vorbei ist – alles bisher Bekannte ist nicht mehr da. Folglich lässt sich kaum sagen, was Erwachen bedeutet, da ihr im Schlaf sprecht. Bisher könnt ihr alles nur in der Sprache des Traums hören oder verstehen. Wenn ich zu euch von Glück spreche, dann denkt ihr an das Glück, das ihr aus eurem Traum kennt. Wenn ich zu euch von Unglück spreche, dann denkt ihr an dasjenige Unglück, das ihr aus eurem Traum kennt.

Wenn ihr denkt, werdet ihr es nicht schaffen. Daher haben alle Buddhas geschwiegen. Wenn man sie fragte, was nach dem Erwachen geschehe, schwiegen sie nur oder sagten: „Wach auf und sieh“, weil sich das in der euch bekannten Sprache nicht sagen lässt oder die Grenzen eurer Sprache sprengen würde. Dort existiert weder euer Glück noch euer Unglück. Weder euer Friede noch eure Rastlosigkeit, weder eure Erfülltheit noch eure Unerfülltheit existiert dort – kurz, nichts von alledem, was ihr bisher kennengelernt habt. Ebenso wenig gibt es dort die heiligen Schriften, die ihr bisher gekannt habt, noch die Vorstellungen, die ihr euch vom Göttlichen, von Himmel und Hölle gemacht habt. Wenn ihr nicht mehr existiert, gibt es auch eure Vorstellungen nicht mehr.

Dafür ist etwas da, das nicht zu beschreiben ist, das undefiniert ist – nennt es meinetwegen Brahman, Vishnupad, Jinpad oder Buddhaschaft, aber selbst diese Wörter können es nicht benennen. Erst wenn ihr aufwacht, könnt ihr erkennen. Ein Stummer kann den Geschmack von Zucker zwar nicht beschreiben, aber er kann ihn schmecken.

Was kommt nach dem Erwachen? Ihr werdet wissen, wie das Göttliche schmeckt – das ihr in all euren früheren Leben erfolglos zu schmecken versucht habt – es ist euch nie gelungen. Es ist einfach nicht zu beschreiben. Wenn ihr eure bisherige Lebensweise satt habt, dann wacht halt auf. Aber wenn ihr keinerlei Interesse daran habt, dann legt euch einfach nur wieder aufs Ohr und schlaft weiter.

Aber irgendwann werdet ihr aufwachen müssen. Ihr könnt nicht ewig schlafen, und der Schlaf kann euch nicht die ewige Ruhe schenken, und im Dunkeln könnt ihr nicht die endgültige Wahrheit erfahren. Früher oder später werdet ihr aufstehen müssen – ihr könnt euch aussuchen, wann. Aber egal wann ihr aufwacht: Ihr werdet bereuen, nicht eher aufgewacht zu sein – ihr brauchtet bloß eure Hand auszustrecken, so nah wart ihr dran.

Aus: Osho, The Song of Ecstasy

1. Kapitel

Die Befreiung unseres Bewusstseins

Ich überlege noch, worüber ich zu euch sprechen sollte. Es gibt so viele Themen und so viele Probleme auf der Welt, dass man nicht weiß, wo man anfangen soll. Was die Wahrheit betrifft, so gibt es viele Schulen des Denkens, Theologien und Lehrmeinungen. Ich fürchte, dass meine Ansprachen die Menschheit noch mehr belasten könnten, als sie es schon ist. Also zögere ich ausgesprochen, irgendetwas zu sagen, weil ihr es euch merken könntet. Ich befürchte, dass ihr euch an das, was gesagt wird, klammern könntet, oder dass ihr das, was ich sagen werde, so attraktiv finden könntet, dass es sich in eurem Verstand einnistet.

Der Mensch weiß vor lauter Gedanken und Ideologien nicht mehr ein noch aus. Die Ideologien sind schuld daran, dass die Wahrheit im Leben des Menschen ungeboren bleibt. Er ist voll von geborgtem Wissen und den Meinungen anderer, die ein Hindernis für die Wahrheit sind. Die Erkenntnis kommt nicht von außen sondern von innen; alles draußen Aufgeschnappte hält die Wahrheit fern.

Auch ich bin nicht in euch. Alles, was ich sage, kommt ebenfalls von außen; haltet es nicht für Erkenntnis. Für euch ist es keine Erkenntnis, ja kann auch gar keine sein. Alles, was ihr von anderen habt, kann nicht eure Erkenntnis sein, vielmehr besteht die Gefahr, dass es eure Unwissenheit verdecken könnte. Eure Unwissenheit lässt sich verdecken, verstecken, und ihr könntet euch einbilden, etwas erkannt zu haben.

Wenn ihr etwas über die Wahrheit läuten hört, meint ihr, dieWahrheit erkannt zu haben. Nach einer Wahrheitslektüre bildet ihr euch ein, sie erkannt zu haben, und das behindert und macht euch unfähig sie wirklich zu erlangen.

Macht euch von vornherein klar, dass alles, was von außen kommt, nie und nimmer eure Erkenntnis sein kann. Natürlich könnte mich nun irgendwer fragen, wozu ich dann rede. Wozu rede ich überhaupt? Ich bin außerhalb und sage etwas, und will damit nur sagen: Seht alles, was von außen kommt, als äußerlich an, haltet es nicht für eigenes Wissen. Ob es von mir stammt oder von irgendwem sonst, spielt keine Rolle.

Zu erkennen ist das wahre Wesen des Menschen. Und um dies zu erkennen, brauchen wir nicht draußen zu suchen. Wenn wir unser Innerstes erkennen wollen, müssen wir alles verlernen, ignorieren, was wir von außen gelernt haben.

Wer die Wahrheit erkennen möchte, muss seine heiligen Schriften ignorieren. Wer sich an seine Bibel klammert, wird die Wahrheit verfehlen. Und wir alle klammern uns an unsere heilige Schrift. Dieses Klammern ist die Wurzel allen Übels auf der Welt. Was macht denn die Hindus, die Moslems, die Jainas, die Christen oder die Parsen aus? Was treibt sie an, einander zu bekämpfen? Was trennt sie voneinander?

Was sie trennt, sind ihre heiligen Schriften. Was sie aufeinanderhetzt, sind ihre heiligen Schriften. Die ganze Menschheit ist zersplittert, weil manche Leute auf bestimmte Bücher pochen und andere Leute auf andere Bücher pochen. Ihre Bibeln sind so wertvoll geworden, dass wir um ihretwillen zu töten bereit sind. In den vergangenen dreitausend Jahren haben wir Millionen von Menschen umgebracht, weil Bücher so wertvoll sind. Weil Bücher es wert sind, angebetet zu werden, darf sogar das Göttliche, das sie enthalten, entweiht werden, abgelehnt werden, ja sogar abgetötet werden. Das ist es, was geschehen ist, und was bis auf den heutigen Tag geschieht.

Die Mauer zwischen den Menschen ist aus heiligen Schriften. Habt ihr euch je gefragt, wie dieses Schrifttum, das die Menschheit zersplittert, sie jemals wieder zu versöhnen vermag? Wie könnte das, was den Menschen vom Menschen trennt, zu einer Leiter werden, die den Menschen mit der Existenz verbindet?

Wir hoffen, etwas in den heiligen Schriften zu finden. Und wir finden tatsächlich etwas in ihnen: Wir finden Wörter. Und wir finden Wörter, die die Wahrheit definieren, und wir lernen diese Wörter auswendig. So finden sie Einlass in unser Gedächtnis, und wir verwechseln Gedächtnis mit Erkenntnis. Auswendiglernen ist nicht Erkenntnis. Etwas zu lernen, auswendig zu wissen ist keine Erkenntnis. Die Geburt der Erkenntnis steht auf einem ganz anderen Blatt.

Erkenntnis revolutioniert euer ganzes Leben. Gedächtnistraining ist etwas anderes. Wer sein Gedächtnis trainiert, kann zwar ein Pandit, aber nicht weise werden.

Ich begehe keine Sünde, indem ich zu euch spreche. All die jenigen, die Vorträge halten, sind gewalttätig und versündigen sich. Ich halte keinen Vortrag. Ich bin nur da, um mit euch ein paar Dinge zu teilen. Nicht, damit ihr es mir glaubt. Jeder, der von euch verlangt, ihm zu glauben, ist euer Feind! Jeder, der euch auffordert ihm zu glauben und euch einen Glauben aufdrängt, will euch umbringen; er hindert euer Leben daran, zu wachsen. Jeder, der euch auffordert zu glauben, hindert eure Intelligenz daran, aufzuwachen. Wir sind lange genug gläubig gewesen, und unsere heutige Welt ist das Resultat all dieser Gläubigkeit. Kann es eine verdorbenere Welt als diese geben? Eine korruptere?

Wir sind ein gläubiges Volk und wir haben endlos lange geglaubt. Kann der Mensch schlimmer sein, als er heute ist? Können unsere Gehirne morscher sein, als sie heute sind? Kann es noch mehr Schmerzen und Verspannungen und Qualen geben, als es heute gibt? Unsere Glauben stammen aus grauer Vorzeit – und die ganze Welt glaubt. Die einen in diesem Tempel, die andern in jener Moschee oder jener Kirche; die einen an dieses Buch, andere an jenes Buch; an diesen Propheten oder jenen Propheten. Die ganze Welt ist gläubig. Aber seht sie euch an, unsere Welt: Sie ist das Resultat all dieser Gläubigkeit.

Manche mögen sagen, dies liege an mangelndem Glauben. Ich möchte euch sagen: Möge die Existenz all diese Religionen ein für allemal auslöschen. Ein totaler Glaube wäre der Tod des Menschen – weil seine Intelligenz zerstört wäre. Glaube und Intelligenz sind unvereinbar. Sollte euch einer auffordern zu glauben, was er sagt, will er euch damit nur weismachen, ihr bräuchtet nicht auf eigenen Beinen zu stehen. Wer euch auffordert, ihm zu glauben, sagt im Grunde: „Wozu braucht ihr Augen? Meine genügen doch!“

Folgende Geschichte, die ich gelesen habe …

In einem Dorf war einst ein Mann erblindet. Er war schon alt, ein richtiger Greis, so um die neunzig Jahre. Seine gesamte Familie – er hatte acht Söhne – bedrängten ihn, seine Augen behandeln zu lassen. Seine Söhne behaupteten, den Ärzten zufolge wären seine Augen heilbar. Der Alte sagte: „Wozu brauche ich Augen? Ich habe acht Söhne, also sechzehn Augen. Ihre Frauen haben noch mal sechzehn Augen, macht zweiunddreißig Augen, die für mich sehen können. Wozu brauche ich Augen? Unsinn! Ich kann auch als Blinder leben.“

Seine Söhne lagen ihm umsonst in den Ohren – der Greis war anderer Meinung. Er sagte: „Was soll ich mit Augen anfangen? Ich habe zweiunddreißig Augen in meinem Haus.“

Und dabei blieb es. Eines Tages fing ihr Haus Feuer. Die zweiunddreißig Augen rannten raus, und der alte Mann wurde drinnen vergessen. Das Haus stand in Brand, der Alte wurde im Hause gelassen, und die zweiunddreißig Augen suchten das Weite. Da wurde ihm klar, dass man auf seine eigenen Augen angewiesen ist. Niemand kann einem seine Augen leihen.

Die eigene Intelligenz ist unverzichtbar. Was andere glauben, hilft dir nicht weiter. Im Leben brennt es immerzu lichterloh um uns her. Wir werden rund um die Uhr vom Feuer des Lebens umzingelt.

Einzig und allein unsere eigenen Augen können uns helfen, nicht die eines anderen – weder die Augen Mahaviras noch Buddhas, noch Krishnas oder Ramas. Die Augen keines anderen Menschen können uns helfen.

Doch die Priester, die Verkäufer von Religion, die Leute, die im Namen von Religion ausbeuten, predigen uns zu glauben: „Wozu braucht ihr Intelligenz? Wieso müsst ihr selber denken? Es gibt schon genug Gedanken, göttliche Gedanken zuhauf! Ihr braucht nur dran zu glauben!“

Wir haben ihnen ihre Gedanken abgenommen, aber wir sind seither immer tiefer gefallen. Unser Bewusstseinspegel ist ununterbrochen gesunken. Kein Bewusstsein kann sich durch Glauben entfalten. Glauben ist Selbstmord. Ich will euch keinen Glauben aufschwatzen, sondern fordere euch auf, euch von allen Glaubensinhalten zu befreien.

Wer die Wahrheit erfahren, sich dem Göttlichen nähern möchte, wer sich danach sehnt, das Licht und die Liebe des Göttlichen zu erfahren, darf nicht vergessen, dass dies nur unter der Bedingung geht, sich von allen erdenklichen Glaubensinhalten zu befreien. Freiheit, ein freies Bewusstsein, eine freie Intelligenz, ist die erste Bedingung für die Erkenntnis der Wahrheit. Ein unfreies Bewusstsein mag alles andere wissen, wird aber niemals die Wahrheit erkennen können. Ein freies Bewusstsein ist unerlässlich, um durch das Tor der Wahrheit zu gehen.

Glaubenssätze sind Fußfesseln, die euch versklaven. Credos unterwerfen euch, machen euch zu Sklaven. Heilige Schriften und Dogmen unterwerfen und versklaven euch. Erstaunlich: Man kommt in einem bestimmten Haus zur Welt, und zufällig ist es ein hinduistisches oder muslimisches Haus. Somit wird man in eine Religion hineingeboren und sagt für den Rest seines Lebens: „Ich bin ein Hindu; ich bin ein Moslem; ich bin ein Christ; ich bin ein Jaina.“

Wird die Erkenntnis etwa per Geburt mitgeliefert? Was hat ein Wohnhaus mit Erkenntnis zu tun? Könnten die Leute einfach nur dadurch religiös werden, wo sie zur Welt kommen, wäre die ganze Welt längst religiös. Dass die Welt aber absolut heidnisch ist, liefert den Beweis, dass Religion nichts mit der Geburt zu tun haben kann. Dass man seine Religionszugehörigkeit durch die Geburt erwirbt, ist die eigentliche Wurzel des Problems. Nur deswegen lässt sich die Religion nicht auf die Erde herab.

Niemand ist von Geburt an religiös, religiös wird man erst durch das Leben. Niemand kann mit einer Religion geboren werden. Bevor unsere Intelligenz geweckt werden kann, nageln uns unsere Gesellschaft, unsere Eltern, Lehrer und Priester auf eine Religion fest. Ehe unsere Intelligenz am offenen Himmel zu fliegen vermag, wird sie von den Ketten der Religion zur Erde runtergezogen und dort festgemacht. Dann müssen wir für den Rest unseres Lebens in diesen Ketten rumhumpeln – und werden nie denken können.

Wer einen Glauben hat, kann niemals denken, weil er alles durch die Brille seines Glaubens sieht. Alles, was er denkt, ist voreingenommen. Alles, was er denkt, beruht auf seinen Vorurteilen. Er mag denken, was er will – es ist immer geborgt und verkehrt. Er hat keine eigenen Gedanken.

Ein geborgter Gedanke, eine geborgte Intelligenz ist falsch. Sie enthält keinerlei Wahrheit; auf einer solchen Grundlage kann kein echtes Leben aufbauen.

Ich habe ganz vielen Indern die Frage gestellt: „Ihr habt viele Dogmen; aber habt ihr auch irgendwelche Gedanken?“

Sie antworten: „Wir haben eine Menge Gedanken!“

Ich frage: „Sind auch eigene darunter? Eure eigenen? Oder stammen sie alle von andern?“

Wie kann der Reichtum, der andern gehört, deinem Leben Vitalität schenken? All der Reichtum eures Denkens ist von andern geborgt und gehört andern. Das ist die Urversklavung des Geistes. Ihr müsst zunächst euren Geist von dieser Versklavung befreien. Erst, wenn der menschliche Geist von allen geborgten Gedanken und Begriffen befreit ist, wird die Geburt eines neuen Menschen möglich. Für mich ist Freiheit das oberste Gebot.

Alle, die auf Wahrheitssuche gehen wollen, in denen sich ein Durst regt, den Sinn des Lebens zu erkennen, die sich danach sehnen zu erkennen, was es auf sich hat mit dieser riesigen Existenz und allem rings um uns her … Alle, die wissen wollen, was es mit dieser Ekstase auf sich hat und was das Göttliche ist, sollten sich klarmachen, dass die erste Voraussetzung, die erste Vorarbeit darin besteht, ihr Bewusstsein zur Freiheit zu führen, ihr Bewusstsein zu befreien. Wenn sie die endgültige Freiheit anstreben, müssen sie schon beim ersten Schritt den Grundstein der Freiheit legen.

Wir sind alle gebunden; jeder von uns ist an irgendeinen Glauben gebunden. Wieso ist das so? Wir sind deshalb gebunden, weil wir, um zu erkennen, Mut aufbringen und uns Mühe geben müssen.

Um zu glauben, brauchen wir weder Mut noch müssen wir uns Mühe geben. Um einen Glauben zu haben, braucht man keinen Finger zu rühren, bedarf es keinerlei spiritueller Disziplin. Man braucht keinen Mumm, kann bequem und undiszipliniert sein, um an jemanden zu glauben. Du musst einfach faul sein und zur Trägheit neigen, dann entsteht ohne weiteres Glauben. Wer es ablehnt, selber zu suchen, der glaubt andern aufs Wort und verlässt sich darauf, dass das, was sie sagen, schon stimmen wird.

Nur wer keine Ehrfurcht für die Wahrheit besitzt, verlässt sich auf das, was landläufig als Wahrheit gilt; nur jemand, der nicht wirklich nach Wahrheit dürstet, übernimmt das, was andere denken. Wer sich ernstlich nach der Wahrheit sehnt, lässt sich in keine Religion, kein Dogma, keine Sekte zwängen, sondern wird suchen, wird selber nachforschen wollen. Er wird alles dransetzen, was er hat – und jeder, der auf die Art und Weise sucht, kann sie gar nicht verfehlen. Wer einfach nur immer weiter glaubt, versäumt nicht nur die Chance zu leben, sondern verfehlt auch die Wahrheit.

Zur Wahrheit gelangt man nur aufgrund von Mühe und Disziplin. Wir jedoch fangen an zu glauben; wir sind furchtsame, ängstliche Leute. Wir fallen jedem zu Füßen. Wir ergreifen jedermanns Hand und erwarten, das er uns das Leben erklärt. Wir möchten, dass uns irgendein Guru oder Erleuchteter oder Heiliger über den Fluss trägt. Das ist absolut ausgeschlossen; es gibt nichts, was unmöglicher wäre.

Freiheit ist die unerlässliche Bedingung für Bewusstsein.

Wie können wir unser Bewusstsein befreien? Wie können wir unser Bewusstsein in die endgültige Freiheit entlassen? Wie schaffen wir es, unsern Geist, der gefesselt und in Denkmuster eingesperrt ist, aus seinem Gefängnis zu holen? Dies ist es, was ich mit euch in drei oder vier Sitzungen umfassend ausdiskutieren möchte. Es geht also nicht um Gott, sondern um die Befreiung unseres Bewusstseins.

Es kommen Leute zu mir und fragen mich, ob es einen Gott gibt. Ich erwidere ihnen: „Schlagt euch Gott aus dem Kopf; verratet mir: Ist euer Bewusstsein frei?“ Falls mich einer fragt, ob es einen Himmel gibt, falls mich einer fragt, ob es eine Sonne gibt, was soll ich ihm antworten? Ich würde ihn fragen: „Hast du keine Augen im Kopf?“ Freilich gibt es eine Sonne, aber es kommt darauf an, ob seine Augen offen sind oder nicht. Freilich existiert das Göttliche, aber nur für ein offenes Bewusstsein! Wie könnte man das mit beschränktem Geist oder geschlossenen Augen erkennen?

Wer fanatisch glaubt, hat geschlossene Augen und einen beschränkten Geist. Wer sich für einen Standpunkt entschieden hat, hat bereits ein Brett vorm Kopf; noch ehe er erkannt hat, weiß er bereits Bescheid. Er hat seine Türen verriegelt.

Dann fragt er: „Gibt es einen Gott? Existiert die Wahrheit?“ Für einen verschlossenen Geist gibt es freilich weder eine Wahrheit noch einen Gott. Die wirkliche Frage lautet nicht, ob Gott existiert oder nicht, ob es eine Seele gibt oder nicht, noch ob die Wahrheit existiert oder nicht. Die wirkliche Frage lautet: Hat der Betroffene ein Bewusstsein, das zu erkennen vermag? Ohne ein solches Bewusstsein ist es noch nie möglich gewesen – und wird es auch niemals sein –, ein erfülltes Leben zu führen oder den Sinn des Lebens zu erkennen.

Nur jemand, dessen Intelligenz restlos frei ist und der die Fähigkeit erworben hat wahrzunehmen, vermag zu erkennen. Wie können wir unser Bewusstsein zur endgültigen Befreiung führen? Wie seine Türen öffnen? Wie seine Fenster öffnen, damit das Sonnenlicht hereinkommen kann? Wie unsere Augen öffnen, auf dass wir sehen können, was ist? Sobald wir an etwas zu glauben beginnen, ziehen wir einen Vorhang vor unsere Augen und hören auf zu sehen, was ist; stattdessen fangen wir an zu sehen, was wir glauben.

Es gibt Menschen, denen der Gott Krishna oder Rama oder Christus erschienen ist. Solche Visionen sind möglich. Wenn wir an etwas zu glauben beginnen; wenn wir ein Credo haben, das unseren Geist beherrscht; wenn wir uns ständig daran erinnern, an es denken und uns ununterbrochen damit hypnotisieren, indem wir fasten und uns geißeln; wenn wir an nichts anderes mehr denken können und vor lauter Drandenken und Dranglauben besessen werden, dann können wir eine Vision haben. So eine Vision wird aber nichts mit der Wahrheit zu tun haben, sondern nur ein Produkt unserer Einbildung sein. Sie wird nur ein Produkt unserer Gedanken sein. Sie wird nur eine Projektion unseres Glaubens sein. Sie wird unser eigener Traum sein, den wir selber hervorgebracht haben. Rund um den Globus haben Gläubige verschiedener Religionen verschiedene Visionen. Solche Visionen sind unwirklich.

Um uns der wirklichen Wahrheit zu stellen, so wie sie ist, um das Göttliche zu erkennen, so wie es ist, müssen wir uns von all unseren Begriffen und Vorstellungen verabschieden, all unsere Einbildungen verdampfen lassen, all unsere Gedanken verschwinden lassen, und wagen können, ohne jede Voreingenommenheit hinzusehen.

Eine Vision, die frei ist von Glauben, ist eine Vision der Wahrheit. Eine Vision, die auf Glauben beruht, ist die Projektion unserer Fantasie, eine Vision unserer Fantasie. Eine solche Vision hat nichts Religiöses. Eine solche Vision ist die Projektion unserer eigenen Einbildung und Träume, jedenfalls keine echte Erfahrung. Unser eigener Verstand hat sie zubereitet und produziert. Sie ist ein Werk des Verstandes; wir haben sie selbst erzeugt.

Unzählige haben schon eine solche Vision Gottes gehabt. Es ist deswegen keine Vision Gottes, weil Gott keine Form oder Gestalt hat. Die Wahrheit hat keine Form oder Attribute. Um die alles durchdringende Wahrheit zu erkennen, müssen wir restlos still und leer werden, in jeder Hinsicht.

Wenn unser Bewusstsein absolut unvoreingenommen, friedlich und schlicht ist, wenn sich in unserm Verstand keine Gedanken regen, wenn keine Träume in ihm aufsteigen… Wenn unser Bewusstsein vollkommen still ist, in solcher Stille: Was werden wir erkennen?

In solcher Stille wird etwas erkannt.

In solcher Stille kommt eine Verbindung und ein Kontakt mit etwas zustande. In solchem Frieden kommt ein Kontakt mit einem göttlichen Zustand zustande. Dieser Kontakt, diese Verbindung, diese Einsicht, diese Bewusstheit, diese Erkenntnis ist die Erkenntnis des Göttlichen und der Wahrheit. Um das zu erreichen, muss man, wie gesagt, als ersten wesentlichen Schritt sein Bewusstsein befreien.

Der Geist muss frei sein von Glauben; der Staub von Sekten und Dogmen muss entfernt und weggefegt werden. Wir sind besessen und ächzen unter der Last der Gedanken, Lehrmeinungen und Bibeln auf unsern Schultern. Sie ersticken uns. Seit fünftausend Jahren denken die Menschen nun schon nach, und das Gewicht dieses Denkens aus fünftausend Jahren erdrückt das Gehirn eines einzigen Menschleins. Die Last sämtlicher kultivierter Gedanken aus fünftausend Jahren lastet auf uns. An dieser Last liegt es, dass unser Bewusstsein unfähig ist frei zu sein, unfähig ist aufzusteigen. Jedes Mal, wenn wir anfangen zu denken, wälzen wir diese Last in uns herum. Sie hinterlässt Spuren, und in denen kreisen wir immerzu. Unser Geist dreht sich nur im Kreise, genau wie ein Wasserbüffel an der Leine, der ständig denselben Brunnen umkreist.