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Alle Osho Diskurse sind als Originale publiziert worden und als Original-Audios erhältlich. Audios und das vollständige Text-Archiv finden Sie unter der online Bibliothek „Osho Library“ bei www.osho.com

Teil 1 dieses Buches besteht aus dem englischen Titel: The Inner Journey

Teil 2 dieses Buches besteht aus Texten verschiedener Diskurse zum Thema „Hara“

Ebook-Auflage 2020

Übersetzung: Prem Nirvano

eISBN 978-3-974508-33-4

OSHO

DAS HARA BUCH

Zurück zur Quelle der Lebenskraft

Mit einem Vorwort von Gabrielle Roth

Inhalt

Vorwort von Gabrielle Roth

TEIL I

1Der Körper: Der erste Schritt

2Der Kopf, das Herz, der Nabel

3Der Nabel: Sitz des Willens

4Unserem Geist auf die Schliche kommen

5Wahre Weisheit

6Kein Glaube, kein Unglaube

7Das Herz richtig stimmen

8Wenn das Herz von Liebe erfüllt ist, fängt eine neue Reise an

TEIL II

1Das Wissen um seine Mitte

2Sei dir des Haras bewusst

3Tief Atmen schafft eine Brücke

4Kinder atmen auf natürliche Weise

5Die Kraft des Samurai

6Tanzen bis der Tänzer schwindet

Über den Autor

VORWORT

Gerade habe ich dieses Buch ausgelesen – und geweint. Darüber geweint, dass wir alle die Verbindung zu unserem Körper verloren haben, zu unserem Bauch, zu unserem Atem, zu unseren Füßen, zu allem, was unterhalb unseres Halses ist. Geweint um all die verschollenen Lehren des Weiblichen, um unsere verlorene Liebe zum Körper, um unsere Abgeschnittenheit vom Herzen, um die zehntausend endlosen Kopftrips, die uns immer nur in Sackgassen geführt haben, um dann doch wieder dieselbe Endlosschleife anzufangen. Und ich habe geweint wegen all der Folgen – wie wir damit unser Verhältnis zu uns selber, zueinander, zur Erde und zu all den heiligen Lehren vom Körper kaputt gemacht haben. Und noch im Weinen verwandelten sich meine Tränen in Tanzen, und mein Tanzen in ein Gebet.

Heute fällt Schnee in Manhattan. Ich sitze auf meinem Sofa und schau den weißen Tränentropfen zu, die vom Himmel fallen, während ich Osho betrachte, den Mann mit der schwarzen Haube, der allen Kummer heilt. Ich bin von Dank erfüllt für seine Lehren, denn hier begegnen wir einer Klarheit und Schlichtheit, die uns zur Wurzel all dessen führen, was wir sind. Unweigerlich schlägt er mich entzwei, und in meinen Scherben entdecke ich meine Wahrheit.

Ich begegnete Osho erstmals oben auf einem Berg; das war in den Siebzigern. Ich war in Kalifornien und er war damals in Indien. Mein Freund Ken hatte mich zu ein paar Leuten mitgenommen, die er in Pune getroffen hatte. Wir saßen hinterm Haus und schlürften Tee und diskutierten über Gott, Katzen und den neuesten Krieg. Vielleicht war es der Gedanke an all diese jungen Männer, die in den Krieg ziehen oder verkrüppelt und verloren heimkehren mussten, ich weiß nicht – jedenfalls hatte ich plötzlich den unbändigen Drang zu tanzen. Kaum war ich aufgesprungen und in Bewegung geraten, da ergriff jemand meine Hand und zog mich mit zur Haustür. „Komm,“ sagte er, „ich muss dir unbedingt etwas zeigen.“

Wir stiegen allesamt ins Auto und fuhren auf die Spitze vom Mount Tamalpais. Dort verpasste er mir eine Augenbinde, stöpselte mich an einen Walkman an – und schon machte ich meine erste Dynamische Meditation im Stil Oshos. Auf dieser Lichtung oben auf dem Berg, die Lungen voll gepumpt vom Ozon und Duft der Kiefern und Eukalyptusbäume, tanzte ich mich in einen Zustand seliger Hingabe, tanzte ich so lange, bis meine Knie sich zur Erde beugten. In diesem Augenblick fühlte ich mich von einer mystischen Kraft umarmt und gehalten, die für mich noch namenlos war. Tief erstaunt nahm ich meine Augenbinde ab und sah mich um mich hätte schwören können, dass ich auf eine neugeborene Erde blickte. Und ebenso hätte ich schwören können, dass Osho durchs All, über Tausende von Meilen hinweg, zu mir gekommen war, um mich wissen zu lassen, dass es auf dieser gottverlassenen Erde einen Meister gibt, der Meditation als Tanz lehrt, und dass Tanzen ein Weg zum Göttlichen ist, und das Göttliche etwas ist, wonach wir nur in unserem eigenen Innern, in der dunklen Welt unseres Körpers zu suchen brauchen.

Zehn Jahre lang hatte ich bereits Bewegung als Meditation gelehrt, als einen Weg zur Seele, zum Selbst und zu unserem Körper. Mutterseelenallein hatte ich mich damit gefühlt, dass ich das Weibliche lehrte – zu einer Zeit, in der alle sich um Kopf und Kragen quatschten. Wie ein Außerirdischer hatte ich mich gefühlt und mich schon gefragt, ob ich tatsächlich auf dem richtigen Weg wäre. In jenem Augenblick, damals auf dem Berg, wo ich das Chaos tanzte und mit den wundersamen Lehren Oshos in Verbindung trat, wurde ich von meinen Zweifeln befreit.

Wo Sie auch sein mögen – Osho ist da. Seine Worte sind zeitlos. Er spricht unmittelbar zur Seele. Werden Sie ganz Ohr, lauschen Sie bis hinein in die Fingerspitzen, in die Schenkel, in die Eingeweide. Oshos Worte wurden aus den heiligen Tiefen eines feuerspeienden Geistes herausgeschleudert, dazu geboren, die ganze Menschheit aus ihrem Schlaf aufzustören und wachzurütteln.

Osho sagt: „Die Reise des Meditierenden führt nach unten, hinunter zu den Wurzeln!“ Das ist eine lange Reise, und viel Gepäck muss unterwegs abgeworfen werden. Wie einfach das doch klingt – in die Tiefe des eigenen Selbst hinunterzusteigen, nach unten ins dunkle Licht der Wurzel; aber es gibt viele Wurzeln, ehe wir bei der Wurzel der Wurzeln ankommen. Da sind die emotionalen Wurzeln, das ganze Wurzelgewirr aus Erinnerungen und Träumen und Wünschen und allen möglichen verdrängten Gedanken und Gefühlen, ganz zu schweigen von dem ununterbrochenen Geplapper eines rastlosen Ichs. Kurz, eine Wildnis erwartet uns, in der, wie Osho uns klar macht, „jeder Einzelne für sich allein gehen muss und sich selber einen Weg für seine spirituelle Reise bahnen muss.“ Und nirgendwo auf dieser Erde, zu keinem Zeitpunkt und an keinem Ort, hat ein Mensch mehr zu dieser Suche ermuntert und Anleitungen gegeben, als Osho.

Osho fordert uns auf herauszufinden, was in jedem von uns verborgen liegt. Er sagt uns: „Habt keine Angst vor dem grenzenlosen Schatz eurer inneren Energien und verdammt sie nicht.“ Er ermutigt uns, ein Labor aus unserem Leben zu machen, in dem wir diese Energien unter die Lupe nehmen können, sie erfahren und transformieren – und auf diesem Wege unser eigenes Leben transformieren.

Die Worte auf diesen Buchseiten rufen uns nach Hause, heim zum Körper als geheiligtem Raum – einer Kathedrale aus Knochen, eine Höhle der Abgeschiedenheit, eine Zuflucht des Rhythmus. Seine Worte rufen Einsichten in uns wach, die jede Zelle in unserem Körper seit jeher kennt, sind Worte, die widerhallen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Osho ist eine ozeanische Einladung. Lassen Sie sich davon tragen in seiner Tiefenströmung.

Gabrielle Roth

Manhattan 2002

Die Reise eines Menschen, der meditiert, geht nach unten, zu den Wurzeln. Man muss vom Kopf aus hinuntersteigen zum Herz und vom Herz zum Nabel. Erst vom Nabel aus kann jeder in die Seele gelangen; vorher kommt niemand hinein. Normalerweise verläuft unsere Lebensreise vom Nabel zum Kopf. Die Richtung eines Suchers verläuft genau umgekehrt: Er muss vom Kopf aus zum Nabel hinuntersteigen.

1. DER KÖRPER: DER ERSTE SCHRITT

Der erste Schritt für den Sucher ist sein Körper; nur ist dem noch nie Aufmerksamkeit geschenkt worden – mit keinem Gedanken! Nicht nur hin und wieder, nein, über Jahrtausende hin hat man den Körper einfach ignoriert, und zwar auf zweierlei Weise ignoriert. Einerseits haben die Genusssüchtigen den Körper ignoriert. Sie kennen vom Leben nichts anderes als Essen, Trinken und Mode. Sie haben den Körper vernachlässigt, ihn misshandelt, auf törichte Weise verausgabt – und damit ihr Instrument, ihre Veena (indisches Saiteninstrument) ruiniert. Wenn ein Musikinstrument wie die Veena ruiniert wird, kann es keine Musik mehr machen. Die Musik ist etwas völlig anderes als die Veena – die Musik ist das eine und die Veena ist etwas anderes, aber ohne die Veena kommt keine Musik zu Stande.

Wer seinen Körper missbraucht, indem er nur seinen Genüssen frönt, gehört zu dem einen Menschentyp. Und zu dem anderen Typ gehören alle die, die ihren Körper durch Yoga und Verzicht zu kurz kommen lassen. Sie haben ihren Körper gefoltert, sie haben ihn unterdrückt und sie waren ihm immer nur feindlich gesinnt.

Und weder wissen diejenigen, die ihrem Körper alles gönnen, noch die Asketen, die ihren Körper quälen, was für eine wichtige Rolle er spielt. Es gibt also seit jeher zwei Arten von Vernachlässigung und Misshandlung der Veena unseres Körpers: einerseits durch die Genusssüchtigen und andererseits durch die Asketen. Beide haben sie dem Körper nur Schaden zugefügt.

Im Westen hat man dem Körper auf die eine Art und Weise geschadet und im Osten auf die andere – aber dass wir ihm geschadet haben, trifft auf uns alle zu. Die Leute, die in die Bordelle oder Kneipen laufen, schaden dem Körper auf die eine Art und Weise und die Leute, die nackt in der Sonne stehen oder in die Einöde fliehen, schaden ihrem Körper auf andere Art und Weise.

Nur durch die Veena des Körpers kann die Musik des Lebens erklingen. Die Musik des Lebens unterscheidet sich vom Körper durchaus – sie ist etwas total anderes, ganz und gar anderes – aber der Weg zu ihr führt nur über die Veena des Körpers. Diesem Umstand also ist noch nie wirkliche Beachtung zuteil geworden. Der erste Schritt ist der Körper – und die richtige Aufmerksamkeit des Meditierers für den Körper. Es gilt ein paar Dinge zu verstehen.

Das Erste: Die Seele hat an einigen Punkten eine Verbindung mit dem Körper – aus diesen Verbindungen kommt unsere Lebensenergie. Die Seele ist eng mit diesen Zentren verknüpft; aus ihnen strömt die Lebensenergie in unseren Körper ein.

Der Sucher, der sich dieser Zentren nicht bewusst ist, wird niemals zur Seele vorstoßen können. Wenn ich euch frage, welches Zentrum das wichtigste ist, welche Stelle im Körper am wichtigsten ist, werdet ihr vermutlich auf den Kopf zeigen. Die völlig falsche Erziehung des Menschen hat den Kopf zum wichtigsten Körperteil gemacht. Der Kopf oder das Gehirn ist im Menschen nicht das wichtigste Zentrum für die Lebensenergie. Das ist so, als würde man hingehen und eine Pflanze fragen, welcher Teil von ihr der Wichtigste und Lebensnotwendigste sei. Und weil oben auf der Pflanze die Blüten sichtbar sind, würde die Pflanze und jeder andere sagen, die Blüten wären ihr wichtigster Teil. Doch so sehr die Blüten auch das Wichtigste zu sein scheinen, sie sind es nicht. Ihr wichtigster Teil sind die Wurzeln – die unsichtbar sind.

An der Pflanze des Menschen ist der Geist die Blüte, er ist nicht die Wurzel. Die Wurzeln kommen als Erstes, die Blüten kommen als Letztes. Werden die Wurzeln übersehen, dann werden die Blüten vertrocknen, denn sie haben kein eigenes Leben. Werden die Wurzeln versorgt, sind auch automatisch die Blüten versorgt, braucht man sich um die Blüten nicht weiter zu kümmern. Wenn man auf eine Pflanze schaut, scheint es, dass die Blüten der wichtigste Teil sind; und so scheint auch beim Menschen der Geist am wichtigsten zu sein. Aber der Geist ist das Endprodukt im menschlichen Körper, er ist nicht die Wurzel.

Mao Tse Tung schreibt irgendwo in seinen Kindheitserinnerungen: „Als ich noch klein war, lag neben der Hütte meiner Mutter ein wunderschöner Garten. Der Garten war dermaßen schön, es waren so schöne Blumen darin, dass von nah und fern Leute vorbeikamen nur um sie zu bewundern. Später wurde meine Mutter alt und krank, aber sie machte sich keine Sorgen um ihre Krankheit oder ihr Alter. Ihre einzige Sorge war ihr Garten und was wohl aus ihm werden würde.“ Mao war jung und sagte zu seiner Mutter: „Mach dir keine Gedanken, ich werde mich um deinen Garten kümmern.“ Und Mao nahm sich des Gartens an und arbeitete von früh bis spät darin. Nach einem Monat erholte sich seine Mutter und sobald sie ein paar Schritte gehen konnte, besuchte sie ihren Garten. Beim Anblick des Gartens bekam sie einen Schock! Der Garten war eingegangen! Alle Pflanzen waren vertrocknet, alle Blumen waren verwelkt und abgefallen. Sie war ganz verzweifelt und sagte zu Mao: „Du Dummkopf! Du hast den ganzen Tag im Garten zugebracht – was hast du hier nur getan? Alle Pflanzen sind eingegangen. Der ganze Garten ist vertrocknet. Die Pflanzen sind kaum noch zu retten. Was hast du nur gemacht?“

Mao fing an zu weinen. Er selbst begriff nicht. Jeden Tag hatte er sich hier abgerackert, aber aus irgendeinem Grund starb der Garten immer mehr dahin. Er musste weinen und sagte: „Ich hab mir so viel Mühe gegeben! Ich habe jede Blume geküsst und geliebt. Ich hab von jedem einzelnen Blatt den Staub abgewischt, aber ich versteh einfach nicht, was los ist. Ich war auch besorgt, aber die Blätter vertrockneten immer mehr und der Garten starb mir unter den Händen weg.“ Da musste seine Mutter plötzlich lachen. Sie sagte: „Du bist ein Dummkopf! Weißt du denn immer noch nicht, dass das Leben der Pflanzen nicht in den Blumen steckt und das Leben der Blätter nicht in den Blättern?!“

Das Leben einer Pflanze steckt an einer Stelle, die nicht mit bloßem Auge zu sehen ist: Es steckt in den Wurzeln und die sind unter der Erde verborgen. Wenn man sich um diese Wurzeln nicht kümmert, kann man sich auch nicht um die Blumen und die Blätter kümmern. Da kann man sie noch so oft abküssen, noch so sehr lieben, noch so viel Staub wischen, die Pflanze wird eingehen. Aber wenn man die Blumen völlig links liegen lässt und sich nur um die Wurzeln kümmert, kümmern sich die Blumen um sich selber. Die Blumen kommen aus den Wurzeln, nicht umgekehrt.

Wenn wir jemanden fragen, was der wichtigste Teil des menschlichen Körpers ist, dann wird seine Hand automatisch auf seinen Kopf zeigen und sagen, sein Kopf sei das Wichtigste. Oder, wenn es sich um eine Frau handelt, dann wird sie vielleicht auf ihr Herz zeigen und sagen, ihr Herz sei das Wichtigste.

Weder der Kopf noch das Herz sind das Wichtigste. Die Männer haben die Bedeutung des Kopfes überschätzt und die Frauen haben die Bedeutung des Herzens überschätzt. Und die Gesellschaft, die auf dieser Mischung beruht, ist Tag für Tag zu Grunde gerichtet worden; denn weder das eine noch das andere ist das Wichtigste am menschlichen Körper. Beide sind sehr späte Entwicklungen. Die Wurzeln des Menschen liegen nicht dort.

Was meine ich mit ‚die Wurzeln des Menschen‘? Genauso, wie die Pflanzen Wurzeln unter der Erde haben, aus denen sie ihre Lebensenergie und Lebenssäfte ziehen und leben, gibt es auch, ganz ähnlich, im menschlichen Körper an einer bestimmten Stelle Wurzeln, von wo er seine Lebensenergie aus der Seele bezieht. Nur deswegen erhält sich der Körper am Leben. Sobald diese Wurzeln durchtrennt werden, beginnt der Körper zu sterben.

Die Wurzeln der Pflanzen liegen in der Erde. Die Wurzeln des Menschen liegen in der Seele. Aber weder ist der Kopf noch das Herz die Stelle, von wo aus der Mensch mit seiner Lebensenergie verbunden ist – und solange wir von diesen Wurzeln nichts wissen, können wie nie und nimmer die Welt eines Meditierenden betreten.

Wo also nun liegen die Wurzeln des Menschen? Vielleicht habt ihr keine Ahnung, wo diese Stelle liegt. Wenn selbst den einfachsten und allgemeinsten Dingen über Jahrtausende hin keinerlei Beachtung geschenkt wird, geraten sie in Vergessenheit. Ein Kind entsteht im Mutterleib und wächst dort heran. Wodurch ist das Kind mit seiner Mutter verbunden? Etwa über den Kopf oder über das Herz? Nein, es ist über den Nabel verbunden. Die Lebensenergie steht ihm über den Nabel zur Verfügung – das Herz und der Verstand entwickeln sich erst später. Die Lebensenergie der Mutter kommt dem Kind also durch den Nabel zu; das Kind ist mit dem Körper seiner Mutter über seinen Nabel verbunden. Von dort aus breiten sich seine Wurzeln im Körper der Mutter aus, ebenso wie in der Gegenrichtung, in seinem eigenen Körper. Der wichtigste Punkt im menschlichen Körper ist der Nabel. Dann erst entwickelt sich das Herz und danach dann der Verstand. All das sind Zweige, die sich später entwickeln – an ihnen dann entfalten sich die Blüten. Die Blüten der Erkenntnis entfalten sich im Verstand; die Blüten der Liebe entfalten sich im Herzen. Diese Blüten aber sind es, die uns anlocken, und dann halten wir sie für alles. Aber die Wurzeln des menschlichen Körpers und seiner Lebensenergie liegen im Nabel. Keine Blüten entfalten sich dort. Die Wurzeln sind vollkommen unsichtbar, sind mit bloßem Auge nicht zu erkennen.

Aber die Degeneration, die dem menschlichen Leben über die letzten fünftausend Jahre her widerfahren ist, liegt allein daran, dass wir unser ganzes Augenmerk entweder nur auf den Verstand oder auf das Herz gerichtet haben. Selbst auf das Herz haben wir vergleichsweise wenig gegeben, wohingegen wir auf den Verstand alles gegeben haben.

Von Kindesbeinen an ist alle Erziehung eine Erziehung des Verstandes; nirgendwo auf der Welt gibt es eine Erziehung des Nabels. Alle Ausbildung gilt dem Verstand und so wird der Verstand immerzu größer und größer und werden unsere Wurzeln darüber immer kleiner und kleiner. Wir beachten den Verstand, weil dort die Blumen blühen, also wird er größer – und dabei verschwinden unsere Wurzeln immer mehr. Dann strömt die Lebensenergie immer dünner und unsere Tuchfühlung mit der Seele wird geschwächt.

Nach und nach sind wir an einen Punkt gelangt, wo der Mensch schon sagt: „Wo ist denn die Seele? Wer behauptet, es gebe eine Seele? Wer behauptet, es gebe einen Gott? Wir können nichts dergleichen finden!“ Wir werden auch nichts finden – da gibt es nichts zu finden. Wenn man hergeht und den ganzen Körper des Baumes absucht und sagt: „Wo sind denn hier Wurzeln? Ich kann keine finden!“ – dann hat er ja Recht damit. Es gibt nirgends am Baum Wurzeln. Und dort, wo sich die Wurzeln befinden, kommen wir nicht hin. Diese Stelle entzieht sich unserer Wahrnehmung.

Von Kindesbeinen an gilt alle Schulung, alles Ausbildung dem Verstand und so verwirrt sich unsere gesamte Wahrnehmung und starrt nur noch wie gebannt auf den Verstand. Dann rennen wir unser Leben lang nur noch in unserm Verstand herum. Unsere Wahrnehmung dringt niemals in die Bereiche darunter vor.

Die Reise eines Menschen, der meditiert, geht nach unten, zu den Wurzeln. Man muss vom Kopf aus hinunter steigen zum Herz und vom Herz zum Nabel. Erst vom Nabel aus kann jeder in die Seele gelangen; vorher kommt niemand hinein.

Normalerweise verläuft unsere Lebensreise vom Nabel zum Kopf. Die Richtung eines Suchers verläuft genau umgekehrt: Er muss vom Kopf aus zum Nabel hinunter steigen. Es gilt zu verstehen, dass das Zentrum der menschlichen Lebensenergie der Nabel ist. Nur von dorther bezieht das Kind Leben. Nur von dort aus beginnen sich die Arme und Nebenarme seines Lebens auszubreiten. Nur von dort aus bekommt es Lebenskraft.

Aber unsere Aufmerksamkeit richtet sich nie auf dieses Energiezentrum – nicht einmal eine Minute lang. Wir fokussieren uns nie auf das System, durch welches wir dieses Energiezentrum kennen lernen, diese Mitte unserer Lebenskraft. Stattdessen fokussiert sich unsere ganze Aufmerksamkeit und unsere ganze Erziehung auf das System, das uns hilft es auszublenden. Das ist der Grund, warum unser ganzes Bildungswesen daneben gegangen ist. Unser gesamtes Bildungswesen führt den Menschen langsam aber sicher in den Wahnsinn.

Der Verstand an sich schon wird den Menschen zum Wahnsinn bringen. Wisst ihr, dass je gebildeter ein Land wird, desto mehr Menschen dort wahnsinnig werden? Amerika hat heute den höchsten Anteil an Wahnsinnigen. Darauf kann es stolz sein! Denn das ist der Beweis dafür, dass Amerika das gebildetste, das zivilisierteste Land ist. Amerikanischen Psychologen zufolge wird in Amerika, wenn das jetzige System weitergeht, in hundert Jahren kaum noch ein Mensch zu finden sein, der nicht geistesgestört ist. Schon heute sind drei von vier Menschen nicht mehr ganz zurechnungsfähig.

Allein in Amerika suchen drei Millionen täglich ihre Psychiater. Mit der Zeit nimmt die Zahl der Ärzte in den USA ab und die Zahl der Psychiater zu. Den Ärzten zufolge sind zudem achtzig Prozent aller menschlichen Krankheiten seelischen, nicht körperlichen Ursprungs. Und je mehr Wissen wir sammeln, desto höher wird der Prozentsatz. Erst hieß es vierzig Prozent, dann sehr bald fünfzig Prozent und inzwischen heißt es, dass mindestens achtzig Prozent aller Krankheiten psychischer, nicht physischer Natur seien. Und ich garantiere euch, dass es in zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren heißen wird, dass neunundneunzig Prozent aller Krankheiten psychischer, nicht körperlicher Natur sind. Man wird das zwangsläufig sagen müssen, weil wir uns einzig und allein für den Geist des Menschen interessieren. Und der ist wahnsinnig geworden.

Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie ausgesprochen empfindlich, wie zart, gebrechlich unser Gehirn ist. Das menschliche Gehirn ist die gebrechlichste Maschine auf der Welt. Diese Maschine wird einer solchen Stress-Belastung ausgesetzt, dass man sich fragt, wieso sie nicht vollends zusammenbricht und wahnsinnig wird! Die gesamte Last des Lebens liegt auf dem Gehirn und wir haben keine Ahnung, wie empfindlich diese Stelle ist. Wir können uns kaum vorstellen, wie fein und empfindlich die Nerven im Kopf sind, die all diese Last, all diese Ängste, all dieses Leid, all dieses Wissen, all diese Schulung… das gesamte Gewicht des Lebens aushalten müssen.

Ihr werdet vielleicht nicht wissen, dass sich in diesem kleinen Kopf rund siebzig Millionen Nerven befinden. Allein ihre Zahl verrät euch bereits, wie winzig sie sind. Es gibt keine Maschine oder Pflanze, die noch fein gesponnener wäre. Die Tatsache, dass der kleine Kopf des Menschen von siebzig Millionen Nerven durchzogen wird, zeigt an, wie empfindlich er ist. Es gibt so viele Nerven im Gehirn eines einzigen Menschen, dass sie, wenn sie alle aneinander gereiht würden, den gesamten Globus umspannen würden. In diesem kleinen Kopf also befindet sich ein dermaßen fein gesponnener Mechanismus, ein so empfindlicher Mechanismus. In den vergangenen fünftausend Jahren musste aller Stress des Lebens allein von diesem empfindlichen Gehirn aufgefangen werden. Die Folge war unvermeidlich.

Die Folge davon ist, dass die Nerven angefangen haben zusammenzubrechen, wahnsinnig zu werden, auszurasten. Die Last seiner Gedanken kann den Menschen nirgendwo anders hinführen als in den Wahnsinn. Unsere gesamte Lebensenergie kreist inzwischen nur noch im Gehirn. Ein Meditierer muss diese Lebensenergie wieder nach unten leiten, mehr zur Mitte hin. Er muss sie zurück lenken. Wie aber kann sie zurück gelenkt werden? Um dies verstehen zu können, müssen wir den Körper etwas besser verstehen – den ersten Schritt. Der Körper wird nicht als Vehikel für die spirituelle Reise oder als Tempel des Göttlichen oder als Werkzeug betrachtet um das Zentrum des Lebens zu entdecken. Der Körper wird entweder nur vom Standpunkt der Genusssucht oder vom Standpunkt der Askese aus in Betracht gezogen – aber beide Einstellungen sind verkehrt.

Der Weg, der zu Großartigem im Leben und zu allem Erstrebenswerten hinführt, liegt im Körper und geht durch den Körper. Man sollte den Körper als einen Tempel begreifen, als einen spirituellen Weg. Und solange wir nicht diese Einstellung haben, sind wir entweder Verwöhnte oder Entsager. In beiden Fällen ist unsere Einstellung zum Körper weder richtig noch ausgewogen.

Ein junger Prinz wurde einmal von Buddha eingeweiht. Er hatte in seinem Leben alle möglichen Genüsse kennen gelernt, er hatte nur dem Vergnügen gelebt.

Nun also wurde er zu einem bhikshu, einem Mönch. Alle anderen bhikshus verwunderten sich sehr. Sie sagten: „Was, so einer will bhikshu werden! Er hat ja nie seinen Palast verlassen, er hat sich nie ohne seine Karosse bewegt. Wohin er auch ging, war sein Weg mit Samt-Teppichen ausgelegt und jetzt will er Bettler werden! Weiß er, was er da Wahnsinniges vorhat?“

Buddha zufolge bewegt sich der Verstand des Menschen immer zwischen Extremen, von einem Extrem zum anderen. Der Verstand des Menschen bleibt nie in der Mitte stehen. Genauso, wie das Pendel einer Uhr von einer Seite zur anderen ausschlägt aber nie in der Mitte verharrt, fällt auch der Verstand des Menschen immer vom einen Extrem ins andere. Bis jetzt hatte jener Mann an dem einen Extrem gelebt – seinen Körper mit allem zu verwöhnen; nunmehr wollte er am anderen Extrem leben – dem Verzicht auf seinen Körper. Und so geschah es. Wenn alle anderen bhikshus auf den befestigten Wegen zu gehen pflegten, musste dieser Prinz, dessen Füße nie etwas Anderes gekannt hatten als die kostbarsten Teppiche, unbedingt daneben laufen, durchs Dornengestrüpp! Wenn alle bhikshus im Schatten eines Baumes saßen, stellte er sich in die Sonne! Wenn alle bhikshus nur eine Mahlzeit am Tag einnahmen, aß er einen Tag lang gar nichts und aß nur am nächsten Tag. Binnen sechs Monaten war er zum Skelett abgemagert, war sein schöner Körper von der Sonne verbrannt und waren seine Füße wund geworden.

Nach einem halben Jahr ging Buddha zu ihm und sagte: „Shrona!“ – so hieß er – „Ich möchte dir eine Frage stellen. Ich habe gehört, dass du, als du noch als Prinz lebtest, ein guter Veena-Spieler gewesen sein sollst. Stimmt das?“

Der bhikshu sagte: „Ja. Die Leute sagten, niemand könne die Veena so gut spielen wie ich.“

Buddha sagte: „Dann muss ich dir jetzt eine Frage stellen; vielleicht kannst du sie mir beantworten. Sie lautet: Wenn die Saiten der Veena zu locker gespannt sind, können sie dann noch Musik machen oder nicht?“

Da musste Shrona lachen. Er sagte: „Was für Fragen du stellst! Jedes Kind weiß doch, dass keine Musik möglich ist, wenn die Saiten der Veena zu lose sind. Auf losen Saiten kann man keinen Laut machen, kann man sie nicht zupfen. Also können lose Saiten keine Musik hervorbringen!“

Da fragte Buddha weiter: „Und wenn die Saiten zu straff sind?“ Shrona antwortete: „Auch zu straffe Saiten bringen keinen Ton hervor, denn Saiten, die zu stramm gespannt sind, reißen sobald man sie berührt.“

Also fuhr Buddha fort: „Und wann entsteht Musik?“

Shrona sagte: „Musik entsteht dann, wenn die Saiten so gespannt sind, dass wir sie weder zu straff noch zu schlaff nennen können. Es gibt einen Zustand, wo sie weder zu schlaff noch zu straff sind. Es gibt einen Punkt dazwischen, einen mittleren Punkt: Nur dort entsteht Musik. Und ein erfahrener Musiker prüft, ehe er zu spielen beginnt, die Saiten – um nachzusehen, ob sie auch nicht zu schlaff oder zu straff sind.“

Buddha sagte: „Das genügt! Ich habe meine Antwort erhalten. Und ich bin hergekommen um dir genau dasselbe zu sagen. Genauso, wie du es gelernt hast meisterhaft die Veena zu spielen, habe ich es vermocht meisterhaft die Veena des Lebens zu spielen. Und das Gesetz, das für das Musikinstrument Veena gilt, gilt ebenfalls für die Veena des Lebens. Wenn die Saiten des Lebens zu schlaff sind, können sie keine Musik abgeben und wenn die Saiten des Lebens zu straff gespannt sind, geben sie ebenso wenig Musik her. Einer, der die Musik des Lebens zu spielen sucht, muss zunächst Sorge dafür tragen, dass seine Saiten nicht zu straff und nicht zu schlaff gespannt sind.“

Wo befindet sich diese Veena des Lebens? Außer dem menschlichen Körper existiert keine Veena des Lebens. Und im menschlichen Körper existieren Saiten, die weder zu schlaff noch zu straff sein dürfen. Nur in solcher Ausgewogenheit findet der Mensch zu seiner Musik. Diese Musik kennen, heißt die Seele kennen. Wenn ein Mensch es dahin bringt, seine innere Musik zu erfahren, lernt er die Seele kennen. Und gelingt es ihm gar, die Musik zu erfahren, die im Ganzen verborgen liegt, begegnet er dem Göttlichen.

Wo also liegen die Veena-Saiten des menschlichen Körpers? Zunächst: Es gibt in unserem Geist viele Saiten, die zu straff gespannt sind; und zwar so straff, dass sie keinerlei Musik hervorbringen können. Wenn jemand sie anrührt, kommt nur Wahnsinn hoch und sonst nichts. Und ihr alle lebt mit überspannten geistigen Saiten. Rund um die Uhr haltet ihr sie verspannt, von morgens bis abends. Und wer sich einbildet, sie würden vielleicht nachts entspannt, der täuscht sich. Selbst nachts steht euer Geist unter Druck und Hochspannung.

Früher wussten wir nicht, was sich nachts im Geist des Menschen abspielt; aber heute hat man hierfür Maschinen entwickelt. Während du schläfst, gibt die Maschine immerfort Auskunft darüber, was sich in deinem Gehirn abspielt. In den USA und Russland wird in Labors getestet, was ein Mensch in seinem Schlaf alles anstellt. Bereits an etwa vierzigtausend Menschen hat man Messungen im Schlaf vorgenommen. Und man ist dabei zu sehr überraschenden Ergebnissen gelangt. Die Ergebnisse zeigen, dass der Mensch nachts in seinem Schlaf genau dasselbe macht wie tagsüber. Genau das, was er den ganzen Tag lang tut… wenn er tagsüber einen Laden führt, dann führt er sogar nachts noch seinen Laden weiter. Wenn er sich den ganzen Tag lang Sorgen macht, dann macht er sich auch nachts noch Sorgen. Wenn er tagsüber wütend ist, dann bleibt er auch während der Nacht wütend. In der Nacht wird der gesamte Tagesablauf widergespiegelt, als sein Echo. Alles, was sich tagsüber im Kopf abspielt, hallt nachts zurück. Alles Unabgeschlossene versucht der Verstand in der Nacht abzuschließen. Wenn du auf irgendwen Wut hattest, sie aber nicht restlos zum Ausdruck bringen konntest, wenn also die Wut irgendwo unabgeschlossen blieb oder noch rumhängt, dann lässt dein Geist sie nachts raus. Indem die Wut nun restlos zum Ausdruck kommen darf sucht die Veena-Saite ihren Idealzustand wieder herzustellen. Wenn einer den ganzen Tag lang gar nichts gegessen hat, dann isst er nachts im Traum. Alles vom Tag her noch Unerledigte will nachts seinen Abschluss finden.

Was immer also der Verstand tagsüber tut, das tut er auch die ganze Nacht lang. Rund um die Uhr ist der Verstand eingespannt, ohne jede Pause. Die Zügel des Verstandes werden nie locker gelassen. Die Saiten des Verstandes sind also äußerst angespannt – das ist das eine.

Und das Zweite ist: Die Saiten des Herzens sind sehr schlaff. Die Saiten eures Herzens sind nicht im Geringsten gespannt. Wisst ihr wirklich, was Liebe ist? Ihr wisst, was Wut ist, was Neid ist, was Eifersucht ist, was Hass ist. Wisst ihr aber auch, was Liebe ist? Ihr mögt nun sagen: Ja sicher! Ab und zu liebt ihr! Ihr mögt sagen, dass ihr zwar hasst, dass ihr aber auch liebt. Aber heißt das, dass ihr wisst, was…? Kann es ein Herz geben, welches hasst und auch liebt? Genauso gut könnte man sagen, dass jemand „manchmal lebendig ist und manchmal tot“! Das würdet ihr aber nicht glauben, denn ein Mensch kann entweder leben oder er kann tot sein. Beides zugleich ist unmöglich – dass ein Mensch manchmal lebendig ist und manchmal tot, ist nicht möglich, ist unmöglich. Entweder kennt das Herz nur den Hass oder es kennt nur die Liebe. Zwischen diesen beiden ist kein Kompromiss möglich. In einem Herzen voller Liebe wird Hass unmöglich.

Es gab einmal eine Fakirin, eine Frau namens Rabiya. In ihrer Ausgabe des Korans hatte sie eine Zeile gestrichen. Sie hatte einen Satz darin einfach durchgestrichen. Kein Mensch streicht in heiligen Büchern nach Belieben Sätze durch! Denn was gibt es an der Heiligen Schrift zu verbessern?

Ein anderer Fakir kam einmal Rabiya besuchen. Er las in dem Buch und sagte: „Rabiya, jemand hat in deiner heiligen Schrift rumgeschmiert! Sie ist entweiht worden; irgendwer hat eine ganze Zeile darin durchgestrichen. Wer war das?“

Rabiya erwiderte: „Das war ich.“

Der Fakir war zutiefst schockiert. Er sagte: „Was fällt dir ein diese Zeile durchzustreichen?“ Die Zeile lautete: „Hasse den Teufel.“

Rabiya sagte: „Weil ich in der Klemme stecke. Am Tage, da mich die Gottesliebe erfasste, verschwand aller Hass in mir. Also kann ich nicht hassen, selbst wenn ich wollte. Selbst wenn mir der Teufel persönlich erschiene, könnte ich ihn nur lieben. Ich habe keine andere Wahl – denn bevor ich hassen kann, muss ich erst einmal den Hass in mir haben; ehe ich hassen kann, muss ich Hass in meinem Herzen haben. Wo soll ich ihn sonst hernehmen? Also wie soll ich das bitte anstellen?“

Liebe und Hass können nicht im selben Herzen koexistieren. Diese beiden Dinge sind so konträr wie Leben und Tod: Sie können im selben Herzen nicht koexistieren.

Was aber ist dann das, was ihr Liebe nennt? Wenn etwas weniger Hass da ist, nennt ihrs Liebe, wenn mehr Hass da ist, nennt ihrs Hass. Das sind aber alles eigentlich nur Formen des Hasses, nur in verschiedenen Proportionen. Liebe ist überhaupt nicht vorhanden. Der Fehler schleicht sich auf Grund der Gewohnheit ein, in Abstufungen zu denken. Aus solchen Gradierungen mögt ihr den verkehrten Schluss ziehen, dass Kälte und Hitze zweierlei wären. Sie sind nicht zweierlei: Kälte und Hitze sind Abstufungen ein und desselben Phänomens. Wenn der Anteil der Hitze fällt, dann fühlt sich dieses Etwas allmählich kalt an. Wenn der Anteil der Hitze steigt, dann fühlt sich genau dasselbe Etwas allmählich heiß an. Kälte ist nur eine andere Form von Hitze. Sie scheinen einander auszuschließen oder gegensätzlich zu sein, sind es aber nicht, sondern verdichtete bzw. unverdichtete Zustände von ein und demselben.

Genauso kennt ihr nur Hass: Unter der weniger verdichteten Form des Hasses versteht ihr Liebe und unter der stark verdichteten Form des Hasses versteht ihr Hass. Aber die Liebe ist überhaupt keine Form des Hasses. Liebe ist etwas vom Hass vollkommen Verschiedenes. Liebe hat mit Hass nicht das Geringste zu tun.

Die Saiten eures Herzens sind überhaupt nicht gespannt. Die Musik der Liebe ist solchen schlaffen Saiten nicht zu entlocken, ebenso wenig wie die Musik der Seligkeit. Habt ihr in eurem Leben je Seligkeit gekannt? Könnt ihr von irgend einem Augenblick sagen, es sei ein Augenblick der Seligkeit gewesen und dass ihr darin die Seligkeit erkannt und erfahren hättet? Wenn ihr authentisch seid, werdet ihr kaum behaupten können, jemals Seligkeit kennen gelernt zu haben.

Habt ihr je Liebe kennen gelernt? Habt ihr je Frieden kennen gelernt? Dergleichen könnt ihr ebenfalls kaum behaupten. Was also habt ihr kennen gelernt? Ihr kennt Rastlosigkeit. Ja, manchmal wird der Grad der Rastlosigkeit kleiner – und das versteht ihr unter Friede… Tatsächlich aber seid ihr dermaßen rastlos, dass ihr jedes Mal, wenn die Rastlosigkeit ein bisschen weniger wird, eine Illusion von Frieden bekommt. Jemand ist krank: Lässt die Krankheit auch nur etwas nach, sagt er gleich, er wäre gesundet. Wenn die Krankheit, die ihn im Griff hat, ein klein wenig nachgibt, meint er gesund geworden zu sein.

Aber was ist Gesundheit in Bezug auf Krankheit? Gesundheit ist etwas vollkommen anderes. Gesundheit ist etwas völlig Anderes. Die allerwenigsten unter uns können je die Erfahrung machen, was Gesundheit ist. Was wir kennen, ist mal mehr, mal weniger Krankheit, aber Gesundheit kennen wir nicht. Wir kennen mal mehr Unruhe, mal weniger Unruhe, aber Frieden kennen wir nicht. Wir kennen mal mehr Hass, mal weniger Hass. Wir kennen mal mehr Wut, mal weniger Wut…

Ihr mögt meinen, die Wut komme nur manchmal hoch. Diese Vorstellung stimmt nicht – ihr seid vierundzwanzig Stunden am Tag wütend! Manchmal vielleicht mehr, manchmal weniger, aber ihr seid rund um die Uhr wütend. Bei der leisesten Gelegenheit zeigt sich plötzlich die Wut. Sie lauert nur auf ihre Chance. Die Wut liegt in eurem Innern im Anschlag; sie sucht nur nach einem passenden äußeren Anlass, der euch den Vorwand liefert wütend zu werden. Wenn ihr ohne Vorwand wütend werdet, dann werden die Leute euch für verrückt erklären. Aber wenn ihr keine Vorwände finden könnt, werdet ihr auch ohne jeden Grund wütend werden. Vielleicht ist euch das nur nicht bewusst.

Ein Beispiel: Jemand kann sich in ein Zimmer einschließen lassen … für alles Nötige ist gesorgt, er braucht nur jede Veränderung aufschreiben, die in seinem Kopf vorgeht. Wenn er das alles aufschreibt, wird er entdecken, dass er sich in diesem verschlossenen Zimmer manchmal wohl fühlt und manchmal schlecht fühlt, ohne jeden Grund; manchmal wird er traurig, manchmal wird er froh; manchmal ist Wut da, manchmal keine Spur von Wut. Anlässe sind keine da, die Situation im Zimmer bleibt immer gleich; was aber geht da mit ihm vor?

Das ist auch der Grund, warum sich der Mensch vor dem Alleinsein so fürchtet. Denn wenn er allein ist, kann er nichts mehr auf äußere Gründe schieben, muss er davon ausgehen, dass er all diese Dinge in sich selber hegt. Ein Mensch in Isolationshaft kann nicht länger als sechs Monate bei Verstand bleiben; er wird wahnsinnig werden.

Ein Fakir erklärte dies einmal einem ägyptischen Kalifen. Der wollte ihm das aber nicht glauben. Also forderte ihn der Fakir auf, den vernünftigsten Einwohner der Stadt ausfindig zu machen und ihn für sechs Monate isoliert einzusperren. Die Stadt wurde durchsucht. Man fand einen gesunden jungen Mann: In jeder Hinsicht lebensfroh, frisch verheiratet, eben erst Vater geworden, gut verdienend – kurz, ein rundum zufriedener Mann. Man brachte ihn dem Kalifen, der zu ihm sagte: „Wir haben nichts gegen dich persönlich, wir wollen nur ein Experiment machen. Deine Angehörigen werden gut versorgt sein – um ihre Ernährung, Kleidung und alles Notwendige brauchen sie sich nicht zu sorgen. Sie werden besser leben als du. Auch du wirst allen Komfort haben, nur musst du sechs Monate lang ganz für dich leben.“

Man schloss ihn in einem großen Haus ein. Zwar war für alles gesorgt – aber er fühlte sich so einsam! Der Mann, der ihn bewachte, kannte nicht einmal seine Sprache, also konnten sie kein Wort miteinander wechseln. Schon nach zwei oder drei Tagen wurde der Mann langsam nervös. Er hatte alle Annehmlichkeiten, es fehlte an gar nichts. Sein Essen kam pünktlich, er konnte sich zur rechten Zeit schlafen legen. Da es ein königlicher Palast war, stand ihm alles zu Diensten und es gab nirgendwo Schwierigkeiten. Er saß nur rum und konnte tun und lassen, was er wollte. Die einzige Auflage war, dass er mit niemandem sprechen durfte, niemanden zu sehen bekam. Schon nach zwei, drei Tagen verspürte er Unbehagen und nach acht Tagen fing er an laut zu rufen: „Holt mich hier raus! Ich halt es hier einfach nicht mehr aus!“

Was war das Problem? – seine inneren Probleme waren allmählich zum Vorschein gekommen. Genau die Probleme, von denen er noch einen Tag vorher angenommen hatte, sie kämen von außen, kamen nun, wie er entdecken musste, aus seinem eigenen Innern!

Binnen sechs Monaten war der Mann von Sinnen. Nach sechs Monaten, als man ihn wieder hinaus führte, war er vollkommen wahnsinnig geworden. Er hatte angefangen Selbstgespräche zu führen, er hatte angefangen sich selbst zu verfluchen, er hatte angefangen gegen sich selber zu wüten, hatte angefangen sich selbst zu befriedigen… Jetzt war einfach keine Menschenseele mehr da! Nach sechs Monaten führte man ihn als Wahnsinnigen wieder hinaus. Es dauerte sechs Jahre, bis er wiederhergestellt war.

Jeder Einzelne von euch würde da wahnsinnig werden. Ihr werdet deshalb nicht wahnsinnig, weil ihr die andern zu euren Sündenböcken machen könnt. Ihr habt immer Ausreden: „Der und der hat mich zutiefst beleidigt, da bin ich halt ausgerastet!“ Niemand rastet aus, weil irgendwer ihn beleidigt. Drinnen brodelt schon die Wut; diese Beleidigung ist nur ein willkommener Anlass, das Fass zum Überlaufen zu bringen.

Ein Brunnen ist voller Wasser: Wenn du einen Eimer hinein wirfst und wieder hoch ziehst, kommt das Wasser aus dem Brunnen heraus. Wenn kein Wasser im Brunnen ist, kannst du deinen Eimer rein werfen, so oft du willst, es wird kein Wasser zum Vorschein kommen. Dem Eimer ist es nicht gegeben, von sich aus Wasser rauszuholen – es muss erst Wasser im Brunnen vorhanden sein. Wenn Wasser im Brunnen ist, kann ein Eimer es rausholen. Wenn kein Wasser im Brunnen ist, kann der Eimer auch kein Wasser rausholen.

Wenn keine Wut in dir ist, wenn kein Hass in dir steckt, dann kann dir auch keine Macht der Welt Wut oder Hass entlocken. Und all die Zeit zwischendurch, in der niemand seinen Eimer in deinen Brunnen wirft, kannst du dich gern in der Illusion wiegen, da wäre kein Wasser im Brunnen. Wenn dann aber tatsächlich einer seinen Eimer in dich rein wirft, kommt plötzlich doch Wasser zum Vorschein! Nur solange der Brunnen nicht benutzt wird, können wir uns vormachen, jetzt wäre kein Wasser mehr drin. Und genauso kommen auch, wenn niemand uns einen Anlass gibt, weder Wut noch Hass oder Neid in uns hoch. Nur glaubt bitte nicht, da wäre kein Wasser in eurem Brunnen! Da ist Wasser im Brunnen und wartet nur darauf, dass jemand mit einem Eimer kommt um es hochzuziehen. Aber wir meinen immer, diese Zwischenzeiten, in denen nichts passiert, wären Zeiten der Liebe und des Friedens. Dies ist ein Irrtum.

Jedes mal, nach jedem Krieg auf der Welt, sagen die Menschen, nun sei endlich Friede. Gandhi dagegen hat gesagt: „Wenn ihr mich fragt – ich sehe das anders. Es gibt immer nur Krieg oder Vorbereitung zum Krieg; Frieden jedenfalls gibt es nie. Friede ist eine Illusion.“

Im Moment herrscht auf der Welt nicht Krieg; seit Ende des Zweiten Weltkrieges warten wir auf den Dritten Weltkrieg. Aber wenn wir die jetzigen Zeiten ‚Friedenszeiten‘ nennen, irren wir uns. Dies sind keine Friedenszeiten. Wir leben in einer Zeit, in der für den Dritten Weltkrieg gerüstet wird. Überall auf der Welt laufen die Vorbereitungen für einen Dritten Weltkrieg auf vollen Touren. Es gibt immer nur entweder Krieg oder Kriegsvorbereitungen. Die Welt hat von Anbeginn noch keinen friedlichen Tag erlebt.

Ebenso stecken im Menschen immer nur entweder Wut oder Vorbereitungen zum Wutausbruch. Der Mensch kennt keinen Zustand ohne Wut. In ihm herrscht Unruhe – entweder zeigt sie sich an der Oberfläche oder ist gerade im Begriff, zur Oberfläche aufzusteigen. Wenn ihr die Vorbereitungszeit für eine Friedenszeit haltet, dann täuscht ihr euch.

Die Saiten eures Herzens sind sehr schlaff: Sie bringen nur Wut hervor, bringen nur Misstöne und Katzenmusik hervor – Musik jedenfalls nicht. Wenn die Saiten eures Geistes zu überspannt sind, dann bringen sie Wahnsinn hervor und wenn die Saiten eures Herzens zu schlaff sind, dann bringen sie nichts als Wut, Feindseligkeit, Neid und Hass hervor. Die Saiten eures Herzens sollten etwas straffer gespannt werden, damit es Liebe hervorbringen kann, und die Saiten eures Geistes sollten ein wenig gelockert werden, damit er statt Wahnsinn eine hellwache Intelligenz hervorbringen kann. Sind die Saiten von beiden harmonisch gestimmt, dann besteht auch die Möglichkeit, dass die Musik des Lebens erklingt.

Zwei Dinge sind wichtig: Erstens, wie man die Saiten des Geistes entspannen kann, und zweitens, wie man die Saiten des Herzens ein wenig mehr anziehen kann, ihnen etwas mehr Spannkraft geben kann. Und die Synthese von beiden ist das, was ich ‚Meditieren‘ nenne.

Und wenn es so weit ist, dass beides geschieht, dann kann auch das Dritte geschehen: Dann ist es möglich, hinab zu steigen zur wirklichen Mitte eures Lebens – zum Nabel. Wenn diese beiden Zentren Musik machen, wird es auch möglich nach innen zu gehen. Die Musik beider wird dann selber zur Fähre werden, die euch tiefer führt. Je harmonischer eure Persönlichkeit, je mehr Musik aus eurem Inneren strömt, desto tiefer gelangt ihr hinab. Je mehr Disharmonie in euch herrscht, desto flacher werdet ihr bleiben, desto oberflächlicher werdet ihr bleiben.

Die Seele des Menschen steht weder mit dem Geist noch mit dem Herzen in Verbindung. Die Seele des Menschen steht mit dem Nabel in Verbindung. Der wichtigste Punkt im menschlichen Körper ist der Nabel; er ist der Mittelpunkt. Der Nabel des Menschen liegt nicht nur im Mittelpunkt des menschlichen Körpers, sondern auch im Mittelpunkt des Lebens. Durch ihn wird das Kind geboren und durch ihn beendet es sein Leben. Und allen Menschen, die die Wahrheit zu entdecken suchen, dient der Nabel hierfür als Tor.

Es mag euch vielleicht nicht bewusst sein, aber den ganzen Tag über atmet ihr aus der Brust heraus, während ihr nachts aus dem Nabel heraus atmet. Den ganzen Tag lang hebt und senkt sich eure Brust, aber nachts, wenn ihr schlaft, fängt euer Bauch sich zu heben und senken an. Ihr habt sicher schon einmal gesehen, wie ein kleines Kind schläft: Die Brust des Säuglings rührt sich nicht, aber dafür hebt und senkt sich sein Bauch. Säuglinge sind dem Nabel noch sehr nah. Je älter das Kind wird, desto mehr atmet es aus der Brust heraus und dann erreichen die Schwingungen des Atmens nicht mehr den Nabel.

Wenn ihr eine Straße entlang geht oder Fahrrad oder Auto fahrt und plötzlich passiert ein Unfall, werdet ihr überrascht feststellen, dass euch der Schreck zunächst in den Nabel fährt, nicht in den Kopf oder ins Herz. Wenn euch plötzlich ein Mann mit dem Messer anfällt, werdet ihr zuerst am Nabel erbeben, nicht woanders. Selbst wenn ihr jetzt im Moment plötzlich Angst bekämt, würde sich das zuerst als ein Erzittern der Nabelgegend bemerkbar machen.

Wann immer eine Lebensgefahr droht, spürt man deren erstes Beben am Nabel; denn der Nabel ist das Zentrum des Lebens. Nirgendwo sonst wird sich das Beben melden. Die Quellen des Lebens entspringen dort und der Mensch ist nur deshalb so orientierungslos, weil er dem Nabel überhaupt keine Aufmerksamkeit schenkt. Das Nabelzentrum ist durch und durch krank; es bekommt keinerlei Aufmerksamkeit. Und es werden auch keinerlei Anstalten zu seiner Entfaltung gemacht.

Es sind aber unbedingt Anstalten nötig um dem Nabelzentrum zur Entfaltung zu verhelfen. Genauso, wie wir zur Entfaltung des Geistes Schulen und Universitäten eingerichtet haben, sind auch Einrichtungen zur Entfaltung des Nabelzentrums absolut geboten. Denn es gibt Dinge, die der Entwicklung des Nabelzentrums zuträglich sind, und es gibt Dinge, die der Entwicklung des Nabelzentrums unzuträglich sind.

Wie ich schon sagte, spüren wir, wenn eine Situation der Angst entsteht, diese zu allererst am Nabelzentrum. Je mehr wir uns also in Furchtlosigkeit üben, desto gesünder wird unser Nabelzentrum werden; und je mehr man sich zum Mut anhält, desto gesünder wird sich das Nabelzentrum entfalten. Je größer die Furchtlosigkeit, desto fester und gesünder der Nabel – und desto tiefer der Kontakt zum Leben. Aus diesem Grunde haben alle großen Meditierer der Welt seit jeher die Furchtlosigkeit zur unentbehrlichen Eigenschaft eines Wahrheitssuchers erklärt. Nur dies ist der Sinn von Furchtlosigkeit: Der Sinn von Furchtlosigkeit besteht darin, dass sie das Nabelzentrum zu vollem Leben erweckt. Zur restlosen Entfaltung des Nabelzentrums ist sie absolut unverzichtbar.

Lasst uns dies Schritt für Schritt durchgehen.