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  Sonja Kientsch– Fanny und die Muffinbande | Verrückte Ferien– SCM Kläxbox

SCM | Stiftung Christliche Medien

Der SCM-Verlag ist eine Gesellschaft der Stiftung Christliche Medien, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

Fanny und die Muffinbande gibt’s auch im Internet:
www.muffinbande.blogspot.de
Mit Spielen, Bastelideen, Tobis Lieblingswitzen und natürlich vielen, vielen Rezepten!

Inhalt

Bandenbuch der Muffinbande. 23. Juni

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

Zwei Tage nach der Heimreise …

Leoni Streicher
– Eintrag ins Bandenbuch –

Sommerfrische Kirsch-Muffins mit Zuckerkruste

Bandenbuch der Muffinbande. 23. Juni

Hund mit Muffin

Muffinbande = Fanny und Cora (Kralle) Sturm. Maria Giarraputo. Und Tante Lulu, unser Dackel.

Hier schreibt Fanny.

Oh Mann, Kralle meckert gerade, weil ich da oben ein Gleich-Zeichen gemacht habe. Sieht angeblich nach Mathebuch aus. Moment, ich muss sie mal eben zum Schweigen bringen. Krchlsakdjflsjz. So, erledigt. Hey, ein Kuchenblech scheppert ganz schön, wenn man es seiner Schwester über die Rübe zieht. Hihihi! 

Okay, wo waren wir? Ach ja.

Wir basteln heute Steckbriefe. Keine gewöhnlichen, nein. In der letzten Stunde haben wir uns dreißig Fragen ausgedacht – von stinknormal bis hin zu den ultimativsten, die unsere Gehirne hergegeben haben. Zum Beispiel? „Nach was riechen deine Socken?“ oder „Wie hoch schätzt du den IQ deiner Schwester?“

Nun liegen die Fragen in unserer verbeulten Blechdose. Mit geschlossenen Augen fischen wir sechs Fragen wieder heraus und werden diese superehrlich, größtes Bandenehrenwort, beantworten. Ich bin aufgeregt und hoffe, dass die Socken-Frage an uns vorübergeht …

Tadatataaa − hier kommt das Ergebnis:

Fanny Sturm

12 Jahre alt, hellbraune Haare (meistens Künstler-Vogelnest-Frisur), blaugrüne Augen, Hobbys: Malen, Fotografieren, Basteln, Nähen, Backen.

Welcher Gegenstand in deinem Zimmer ist dir am peinlichsten? Aaah, was für eine Frage. Das Bild in meiner Kommode: Eine Bleistiftzeichnung. Niklas und ich.

Was bringt dich zum Heulen? Meine Schwester. *Zunge-raus-streck*

Was wolltest du schon immer mal machen, hast dich aber bislang nicht getraut? Mich als Klassensprecherin aufstellen zu lassen.

Was ist deine ultimativ schlimmste Angewohnheit, wenn du dich unbeobachtet fühlst? Hilfe! Darüber will ich nicht reden … Also, gut: ich male alle möglichen Leute beim Küssen. Manchmal sogar Tiere … Oh oh, hoffentlich liest das hier keiner …

Maria Giarraputo

12 Jahre alt, schwarze Locken, dunkelbraune Augen. Hobbys: Backen, Rezepte erfinden, Tagebuch schreiben, Lesen, Fernsehserien.

Welcher Gegenstand in deinem Zimmer ist dir am peinlichsten? Der Schlafanzug mit den rosa Osterhasen drauf. *rotwerd*

Was bringt dich zum Heulen? Reportagen über hungernde Kinder. Und traurig-schöne Liebesfilme.

Was wolltest du schon immer mal machen, hast dich aber bislang nicht getraut? Bei einem Schauspiel-Casting mitzumachen.

Was ist deine ultimativ schlimmste Angewohnheit, wenn du dich unbeobachtet fühlst? Ich stöbere heimlich in Mamas Kleiderschrank.

Cora Sturm, genannt Kralle

13 Jahre alt, blonde Haare, blaue Augen. Hobbys: Turnen, Radfahren, Telefonieren und Jungs ärgern.

Welcher Gegenstand in deinem Zimmer ist dir am peinlichsten? Ha! Ich hab eins von Fannys Kussbildern geklaut.

Was bringt dich zum Heulen? Heulen, was ist das? Okay, ich geb’s zu … Als ich beim letzten Sportwettkampf einen Medaillenplatz verpasst habe. Kann sein, dass da eine Träne aus meinem Auge entwischt ist …

Was wolltest du schon immer mal machen, hast dich aber bislang nicht getraut? Im Lehrerzimmer an den Lautsprecher schleichen und durch die Schule brüllen: „Achtung, an alle Lehrer: Hier spricht die Bullizei. Übergeben Sie sich an den Ausgängen und fliehen Sie dorthin, wo Sie hingehören: ins nächste Irrenhaus!“

Was ist deine ultimativ schlimmste Angewohnheit, wenn du dich unbeobachtet fühlst? Ich arbeite daran, irgendwann meinen Ellenbogen ablecken zu können.

Tante Lulu

4 Jahre alt, kurze braune Haare, Dackelblick. Hobbys: Kuchen essen, in Taschen krabbeln, Verstecken spielen. (Antworten aufgeschrieben von Kralle Sturm, da Tante Lulu gerade keinen Stift zur Hand – äh, zur Pfote hat.)

Welcher Gegenstand in deiner Hütte ist dir am peinlichsten? Fannys selbst genähte Rüschen-Gardinen.

Was bringt dich zum Heulen? Kein Kuchen im Haus. (Und alle Nachbarhunde heulen mit …)

Was wolltest du schon immer mal machen, hast dich aber bislang nicht getraut? Fallschirmspringen.

Was ist deine ultimativ schlimmste Angewohnheit, wenn du dich unbeobachtet fühlst? Also, ich male weder Kussbilder noch stöbere ich in Kleiderschränken. Vielleicht sollte ich mal versuchen, meinen Ellenbogen abzulecken. Wenn ich nur wüsste, wo ich so ein Ding habe …

1. Kapitel

Hund mit Muffin

„Schnüffel mal, Tante Lulu. Na, riechst du das?“ Fanny atmete tief ein. Dann drückte sie ihre Dackeldame fest an sich und drehte sich ausgelassen um die eigene Achse. Es war Mitte August und sie waren endlich da! Allein die salzige Luft ließ keinen Zweifel daran aufkommen! Sechs Stunden wackeliger Busfahrt lag hinter ihnen, vor ihnen raues Gebüsch auf kantigen Klippen und die Ostsee so nah, dass sie hineinspucken konnten.

Sie − das waren 16 Jugendliche des Mühlstädter Jugendtreffs, zu dem Fanny und die Muffinbande gehörten. Dazu die Betreuer Robert und Becki Helmstedt, ihre Baby-Tochter Naemi und Helmstedts Nachbar Momo – ein netter Rentner, dessen lustige Art und Sprache die Jugendlichen auf der Fahrt immer wieder zum Lachen gebracht hatte. Er würde Robert und Becki bei den Programmpunkten unterstützen und war für die Mahlzeiten zuständig.

Fanny atmete tief ein. Wie lange habe ich mich auf diese Reise gefreut, dachte sie und ließ ihren Blick noch einmal über das Meer schweifen. Über die Ostsee!

Fanny schloss die Augen, drehte sich schnell und schneller und im Nu rauschten sieben Tage Spaß und Abenteuer vor ihrem inneren Auge vorbei wie bunte Drachen mit langen, flatternden Schwänzen. Hach, was für ein Glücksgefühl, eben mal Kleinstadt gegen Wind und Wellen eingetauscht zu haben! Jetzt war sie weit weg von allem, was sonst irgendwie nervte.

„Also, lieber würde ich ein Jahr ungekämmt durch die Gegend rennen, als Fannys Hund zu sein.“

Okay, weit weg von fast allem. Abrupt hielt Fanny an und riss die Augen auf. Pauls Grinsen schnitt sich scharf in ihre Drachen-Flatter-Gedanken und ließ sie holprig ins Hier und Jetzt zurückstolpern. Doch nicht nur Paul, auch Tobi hatte sich breitbeinig vor ihr aufgebaut. Von dort guckten ihr die beiden kopfschüttelnd in die Augen. Fanny setzte Tante Lulu auf den Boden. „Ihr müsst ja auch nicht mein Hund sein.“

„Nö, aber uns hier mit dir den Zeltplatz teilen − das ist schlimm genug.“ Die beiden klatschten sich ab. Diese Spinner! Gemeinsam mit Fannys Freund Niklas bildeten Tobi und Paul die Band Die Furchtlosen. Ihre Musik war gut, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass sie vor allem im Dreierpack die Mädchen gehörig ärgerten. Es war klar, dass sie die Zeit, die sie mit ihrem Jugendclub hier verbringen würden, für ihre Spinnereien voll ausnutzen würden. Dass sie allerdings schon dreieinviertel Sekunden nach der Ankunft damit anfingen, überraschte selbst Fanny.

Nun gut, wahrscheinlich sollte das hier so etwas wie ein Vorgeschmack sein, die Vorspeise zum Camp-Menü sozusagen. Denn so schnell wie die beiden gekommen waren, wandten sie sich nun wieder zum Gehen. „Dem Dackel wird jedenfalls schwindelig“, sagte Paul noch über die Schulter hinweg, „und ich würde Tante Lulus Mageninhalt nur ungern vom Zeltplatz aufkratzen.“

„Ach so, es geht dir gar nicht um den Hund. Es geht dir um dich selbst und deine auf Hochglanz polierten Fingernägel“, entgegnete Fanny. „Aber dann pass auf, dass wir deinen Mageninhalt nicht aufkratzen müssen“, rief sie, während er weiter in Richtung Busparkplatz stiefelte. „Dir wird doch sicher schlecht, wenn du nur daran denkst, dass du deine Zahncreme in dasselbe Waschbecken spucken musst wie fünfzehn andere Jugendliche.“

Pauls Zucken ließ Fanny mit Genugtuung feststellen, dass sie goldrichtig lag. Kein Wunder! Immerhin hatte Paul am längsten überlegt, ob er überhaupt mitfahren würde. Zelt und Waschsaal passten eigentlich nicht in seine vornehme Welt.

Fanny schnitt seinem Rücken eine Grimasse, bückte sich zu Tante Lulu hinunter und grub ihre Nase tief in ihr Fell. Tobi und Paul verschwanden hinter dem Bus, der sie hierher getuckert hatte. Wahrscheinlich klappte der Busfahrer soeben die Luken der Gepäckboxen auf. Auch Fanny wollte sich gerade in Richtung Parkplatz aufmachen – als sie ein Kinn auf ihrer Schulter spürte und ein feiner Atemzug ihr linkes Ohr streifte.

„Hi Maria!“ Fanny drehte den Kopf so, dass ihre Nasenspitze die ihrer besten Freundin berührte.

„Ist es nicht wundervoll hier?“, sagte Maria und rollte verträumt mit den Augen, was Fanny ein Lächeln ins Gesicht malte – wie so oft, wenn Maria einen ihrer Gefühlsausbrüche hatte. „Ehrlich, Fanny, und ich bin so froh, dass wir uns mit den Furchtlosen mittlerweile so gut verstehen.“

Vor Überraschung wich Fanny einen Schritt zurück. „Bitte was hast du eben gesagt? Hast du nicht gehört, was Paul gerade wieder vom Stapel gelassen hat?“

„Nein. Waren sie etwa wieder gemein?“, fragte Maria und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, mit der der Küstenwind spielte. „Aber was auch immer es war: Stell dir doch mal vor, wir hätten vor einem Jahr mit ihnen an die Ostsee fahren müssen. DAS wäre unerträglich gewesen.“

„Stimmt auch wieder“, sagte Fanny und holte Tante Lulu zurück auf ihren Arm. „Vor einem Jahr hätte Tobi mit Tante Lulu an der Leine Drachensteigen gespielt.“ Maria musste lachen.

„Nein ehrlich, der hat sich durch deinen guten Einfluss schon ziemlich verändert.“ Fanny klopfte der Freundin anerkennend auf die Schulter. „Komisch eigentlich, dass er dir noch keinen Antrag gemacht hat.“

„Fanny!“, zischte Maria.

„Wie auch immer. Einzeln mögen sie ja, äh, ganz passabel sein. Zu dritt sind sie jedenfalls eine Katastrophe.“

„Hey, ihr zwei, wie wär’s mit Anpacken?“ Kralle war hinter ihre Schwester und Maria getreten und tippte Fanny auf die Schulter. „Wir möchten heute Abend schließlich im Zelt übernachten und nicht unter freiem Himmel.“

„Was aber sehr romantisch wäre“, sagte Maria lächelnd. Kralle wedelte ungeduldig mit den Armen.

„Schon gut, wir beeilen uns“, sagte Fanny, knipste Tante Lulu die Leine an und setzte sich in Bewegung.

* * *

„Achtung, sie kommen“, grölte Tobi, als die Mädchen auf dem Parkplatz eintrudelten.

„Na, alles klar?“ Niklas rieb sich die Nase und schielte verschmitzt zu Fanny hinüber.

„Du solltest deine Kumpels besser im Griff haben, Niklas, aber ansonsten ist alles klar.“ Fanny lächelte und lief mit Tante Lulu einmal um den riesigen Gepäckberg herum, der aus Isomatten, Zelten, Taschen und Rucksäcken bestand. Wo waren denn ihre Taschen? Und wie viele hatte sie überhaupt mitgenommen? Fanny ließ Tante Lulus Leine los und schaufelte sich einen Weg durch das Gepäck. Ah, hier war die erste: Grün und mit gelben Blüten bestickt. Und der selbstgenähte Rucksack gehörte auch zu ihr. Dann die große Koffertasche mit den Sternen, der regenbogenfarbene Umhängebeutel, Tante Lulus Futtertasche …

„Hast du deinen kompletten Schrank eingepackt oder wieso hast du so viel mit?“ Tobi tippte Fanny von hinten auf die Schulter.

„Kompletter Schrank?“ Maria schüttelte lachend ihre Locken. „Du kennst Fannys Schrank nicht. Das hier ist nur ein Zehntel.“ Sie deutete auf die inzwischen sieben Taschen, die Fanny aus dem Berg herausgezogen hatte.

„Ein Zehntel? Ich dachte, ihr seid die Muffinbande – und nicht die Schneiderinnen vom Wiesental.“

Maria klatschte Tobi sanft gegen den Hinterkopf. „Lass uns jetzt weitermachen, sonst kriegen wir Ärger mit Kralle.“ Dann schulterte sie ihre Reisetasche, klemmte sich ihren Schlafsack unter den Arm und trabte los.

Die Schneiderinnen vom Wiesental. Fanny sah kopfschüttelnd zu Tobi hinüber. Seit knapp einem Jahr waren sie – Maria, Kralle und Fanny – die Muffinbande. Und würden es auch bleiben. Seit sie gemeinsam als Muffinbäckerinnen an einem Talentwettbewerb teilgenommen hatten, probierten sie fast wöchentlich Rezepte aus. Maria erfand sogar regelmäßig neue! Doch nicht nur das. In den letzten Monaten hatten sie das Gartenhaus ihrer Eltern – sie nannten es liebevoll „Atelier“ – immer mehr in ihr persönliches Muffin-Quartier verwandelt. Sämtliche Blumentöpfe und Gartengeräte hatten sie in die Garage verbannt, sich Hocker und Tisch vom Sperrmüll geholt. Die Wände hatten sie mit Blumen verziert und Fanny hatte jede Menge Kissen und Vorhänge genäht, um das Atelier zum gemütlichsten Ort der Welt zu machen. Selbst Kralle, die die Nähkünste ihrer Schwester eher kritisch beäugte, weil hier und da mal eine Naht riss oder ein Knopf abfetzte, gab inzwischen zu, dass es in ganz Mühlstadt keinen gemütlicheren Ort gab.

Fanny schwang ihren Rucksack auf den Rücken, hängte die Futtertasche über eine, die Koffertasche über die andere Schulter, Isomatte und Schlafsack klemmte sie ebenfalls unter den Arm und fischte mit Zeigefinger und Daumen Tante Lulus Leine vom Boden. „Los, Lulu, gehen wir. Den Rest holen wir später. Puh, ist der Rucksack schwer. Na ja, Schätze haben eben ihr Gewicht“, murmelte sie. Die nicht gepolsterten Schulterriemen des selbstgenähten Rucksacks schnitten ihr ins Fleisch, als hätte sie Goldbarren darin verstaut. Doch es waren keine Goldbarren, sondern das Bandenbuch der Muffinbande, dessen Gewicht Fanny beim Laufen vorwärts taumeln ließ.

Maria und sie hatten das Bandenbuch im Frühjahr gebastelt – und seitdem mit Kralle viele, viele Seiten gefüllt. Anfangs nur mit Rezepten, Kinokarten, Basteleien. Aber dann hatten sie Steckbriefe geschrieben und damit alle Peinlichkeiten übertroffen: Neben Fannys Kusszeichnungen tummelten sich darin nun auch Fotos, auf denen sie versuchten, ihre Ellenbogen abzulecken. Man brauchte wohl nicht zu erwähnen, dass sie darauf wie Zombies aussahen: Rollende Augen, Spucke, die aus den Mundwinkeln triefte … Schlimmer war nur noch das Foto, das Maria beim Üben für ein Schauspiel-Casting zeigte. Vor ein paar Wochen hatten sie Maria dafür in Fannys selbst designtes Kleid gesteckt und ihr beigebracht, möglichst entspannt in die Gegend zu gucken. Alles lief nach Plan. Bis zu dem Moment, in dem Marias Kleidernaht riss – und Fanny den Auslöser der Kamera drückte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar: Niemand anderes durfte dieses Buch jemals in die Hände bekommen!

„Hey, träumst du schon wieder? Du taumelst, als würdest du gleich vornüberkippen.“ Unsanft zog Kralle ihrer Schwester Schlafsack und Isomatte unter den Armen weg und rannte mit Riesenschritten weiter. „Mensch Fanny, ich will einen Zeltplatz mit Meerblick. Lange kann ich den vor den anderen nicht mehr verteidigen.“

Wie, was? Zeltplatz mit Meerblick? Das wollte Fanny auch. Rasch rückte sie die Schultergurte des Rucksacks zurecht und rannte los – leider in demselben Moment, in dem Tante Lulu, von irgendetwas aufgeschreckt, so plötzlich in die andere Richtung zog, dass Fanny die Kontrolle über ihren vollbeladenen Körper verlor. Die Futtertasche glitt von ihrer Schulter, Tante Lulu rannte, die Leine hinter sich her schlurfend, in Richtung Parkplatz. Und der Rucksack, der beim Versuch Tante Lulu einzufangen auf ihrem Rücken auf- und abhopste, machte krtsch – was Fanny jedoch erst begriff, als Paul herbeisprang und die auf dem sandigen Boden verstreuten Sachen beäugte.

„Ja, was haben wir denn da alles?“, lachte er und hob einen Schlafanzug in die Höhe. „Schick schick.“

„Lass das.“ Niklas riss Paul den Schlafanzug aus der Hand und sah Fanny mit gerunzelter Stirn an. Musste das sein?, sagte sein Blick. Fanny sah ihn zerknirscht an, als sie aus den Augenwinkeln wahrnahm, wie Paul sich erneut bückte.

„Hey, was ist das denn?“, rief er.

„Das. Gehört. Mir.“ Mit einem Satz warf sich Fanny auf ihren Rucksackinhalt und verhinderte damit in letzter Sekunde, dass Paul das von ihm anvisierte gute Stück in die Finger bekam: das Bandenbuch!

„Ich hab dir gleich gesagt, lass es zu Hause!“ Kralle war nah an Fanny herangetreten und half ihr, den Schlamassel aufzusammeln. Jaja. Große Schwestern wissen immer alles besser.

Fanny öffnete die Koffertasche, stopfte das Bandenbuch hinein und legte schützend ihren Schlafanzug darüber. Verstohlen guckte sie, ob ihr immer noch jemand zusah.

Paul nickte wissend. „Seht mal Jungs, wie geheimnisvoll Fanny das Buch in ihre Tasche quetscht. Habt ihr das Muffinbild auf dem Buchdeckel gesehen? Ich glaube, die Muffinbanden-Mädchen haben einen richtigen Schatz dabei, von dem wir bisher nichts wussten.“

„Ihr wisst so manches nicht“, zischte Fanny und schloss den Reißverschluss der Tasche.

„Na, das sollten wir aber schleunigst ändern“, rief Paul und Tobi grölte: „Yeah, wir gehen auf Schatzsuche. Die Ferien sind gerettet. Und ich hatte schon befürchtet, es könnte langweilig werden.“ Was waren sie am Lachen! Bis Paul plötzlich zu Niklas sah, sich elegant durch die Haare fuhr und rief: „Du steckst jetzt natürlich in der Zwickmühle, Sportsfreund. Schließlich könntest du eine Menge Ärger bekommen, wenn du mit uns ganz offiziell gegen Fanny und ihre Muffins antrittst. Aber du wirst dich ja wohl nicht raushalten, oder?“

Fanny schnitt Paul eine Grimasse, Niklas ging ein Stück auf seine Freundin zu. Schelmisch lächelte er erst Fanny an und guckte dann zu Tobi und Paul.

„Ich würde mal so sagen …“ Er kniff die Augen zusammen und Fanny war gespannt, wie Niklas sich jetzt verhalten würde. „Fanny“, sagte er feierlich, „du weißt ja jetzt, äh, seit einiger Zeit – ganz offiziell – dass ich dich cool finde.“ Fannys Wangen röteten sich, als Tobi albern durch die Finger pfiff. „Und von daher“, Niklas wirkte etwas nervös, wie er sich mit den Fingern ans Ohr fasste, „von daher dürftest du mir doch sicher verzeihen, wenn ich mich – natürlich nur aus Rücksicht auf meine langjährige Band-Freundschaft – an der Schlacht um euer seltsames Buch beteilige.“

„Hilfe, redest du ein Zeug“, kommentierte Kralle und fiel in den Spagat – wie immer, wenn sie zu lange herumgesessen hatte. „Aber Fanny verzeiht dir das schon. Echt, sie ist sogar froh darüber. Dann kommt wenigstens ein bisschen Schwung in eure Freundschaft.“ Fanny sah zu ihrer Schwester hinüber und schüttelte ungläubig den Kopf. Kralle gähnte ausgiebig und kicherte.

„Außerdem ist es sowieso total bedenklich, wenn die eigene Freundin Geheimnisse vor einem hat. Und Buch-Geheimnisse sind besonders schlimm, finde ich.“ Das war Tobi. Er lehnte sich mit dem Ellenbogen auf Niklas’ Schulter und blitzte Fanny herausfordernd an. Alle starrten in ihre Richtung. So erwartungsvoll guckten sie ihr ins Gesicht, dass Fanny die Situation plötzlich urkomisch vorkam und sie in lautes Gelächter ausbrach.

„Ihr habt recht. Völlig recht. Macht ihr nur, was ihr nicht lassen könnt. Aber“, sie machte eine Pause, um Luft zu holen, „Niklas muss nach dieser Woche mit der Erkenntnis klarkommen, dass ihm seine Freundin haushoch überlegen ist. Denn ihr werdet dieses Buch niemals erobern. Niemals! So wahr ich hier stehe!“ Nur langsam ebbte Fannys Lachen ab, als sich auch über Niklas’ Gesicht ein breites Grinsen legte.

„Wir werden sehen, wer mit dem Buch nach Hause fährt“, sagte er.

„Gut, dann wäre das also geklärt. Können wir jetzt weitermachen?“ Kralle hopste wie ein Gummiball in die Höhe.

„Ja“, sagte Fanny. „Gehen wir.“ Kurz erwiderte sie Niklas’ Blick, dann wandte sie sich Maria zu. „Hattest du nicht vor zehn Minuten gesagt, wie schön es ist, dass wir uns mit ihnen inzwischen so gut verstehen?“

Maria gluckste. „Ich erinnere mich dunkel, ja. Aber was geht mich mein Gequatsche von vorhin an. Jetzt müssen wir nach vorne schauen.“

„Und ein sehr, sehr gutes Versteck für unser Bandenbuch finden.“

* * *

„Wenn du so viele Taschen mitnimmst, solltest du sie nacheinander transportieren und nicht alle auf einmal.“ Leoni stand vor dem aufgebauten Zelt der Muffinbande. Fanny saß entspannt neben Maria im Gras und seufzte. Leoni war die Tochter eines Geschäftsmannes und hatte wohl schon als Baby die Klugheit mit Löffeln gefüttert bekommen. Witz und Fröhlichkeit dagegen hatte man ihr offensichtlich verweigert, was ihre ernste Art immer wieder aufs Neue bewies. Wie auch immer! Jedenfalls passte ihr kantiges Gesicht, das gerade auf Fanny herunterblickte, perfekt zu ihrem neunmalklugen Gehabe.

Kralle, eben noch auf Händen gelaufen, plumpste vor ihnen auf die Wiese.

„Sag Fanny das ruhig, Leoni, auch wenn es nicht viel bringen wird. Sie tut sowieso, was sie will. Und wenn es noch so wenig Sinn macht. Kannst du mir in diesem Zusammenhang jetzt vielleicht sagen, Fanny, warum du das Buch überhaupt mitgeschleppt hast?“

„Weil wir Sandbilder aus echtem frischem Ostseesand machen möchten“, antwortete Fanny.

„Und weil ich eintragen möchte, was wir hier erleben“, ergänzte Maria.

„Außerdem sind wir eine Bande und das Buch gehört zu uns, das weißt du doch.“ Fanny zupfte an einem Grashalm und strich ihn glatt.

„Okay, ist ja auch egal“, wiegelte Leo das beginnende Streitgespräch der Schwestern ab und sah sich ein wenig um. Warum gehst du nicht einfach wieder?, dachte Fanny.

„Schläft der Dackel eigentlich bei euch im Zelt?“, fragte Leoni schließlich und deutete auf Tante Lulu, die neben Fanny im trockenen Gras döste.

„Klar. Aber das ist in deinen Augen sicher total unhygienisch oder so. Habe ich recht?“

„Fanny“, mischte sich Kralle ein, während sie ihre Beine dehnte. „Leo hat das mit den Taschen vorhin nicht so gemeint. Sie will sich einfach mit dir unterhalten. Dürfte doch kein Problem sein, oder? Du quatschst doch sonst auch mit jedem.“

„DU quatschst mit jedem.“ Fanny rollte mit den Augen. Natürlich konnte sie sich mit Leo auch normal unterhalten. Aber das kurzhaarige Mädchen und sie – das war einfach eine explosive Mischung. Noch vor wenigen Monaten hatten sie sich entweder angeschwiegen oder giftige Worte miteinander gewechselt, weil ihre Verschiedenheit stets zwischen ihnen stand. Auf einer Party hatten sie sich schließlich offen und ehrlich ausgesprochen. Seitdem waren sie zwar keine Feinde mehr, Freundinnen waren sie jedoch auch nicht wirklich geworden.

„Was ist nun mit dem Hund?“, hakte Leo nach.