Neuer Einsatz für Sok Vai

Den ganzen Nachmittag hatte Duch gegrübelt. Viele Namen waren ihm eingefallen. Er hatte auch mehrfach versucht, einige derer, von denen er nicht gehört hatte, dass sie inzwischen gestorben seien, anzurufen. Aber alle Versuche waren erfolglos geblieben. Insgesamt vier Witwen hatte er erreicht. Drei davon waren um die fünfzig Jahre, eine nur 44 Jahre alt. Aber konnte man denen vertrauen? Und waren Frauen nicht oft geiziger und geldgieriger als Männer? So verwarf er auch diesen Gedanken. Aber wie sollte er vorgehen? Eine Lösung war nicht in Sicht. Aber er konnte auch nicht ewig hier herumhängen. Also was tun. Der Tag war fast um. Genug der Grübelei! Er nahm sein Handy und wählte kurz entschlossen die Nummer von Sok Vai.

***

Am frühen Morgen gegen acht Uhr, als Uli und Joe noch tief schnarchten, klingelte das Handy. Uli musste es mal wieder suchen, aber dann fand er es unter seiner Hose. „Hier Wing Ban. Wir haben eine interessante neue Entwicklung. Ich habe dir doch gesagt, dass ich die komplette Ausrüstung mitbringe. Und bevor ich gestern Abend das Hotel verließ, hatte ich das neue Handy-Aufzeichnungsgerät auf ‚Automatische Aufzeichnung und Ortung’ gestellt, und die Nummer von Sok Vai eingestellt. Gegen sieben Uhr wurde er angerufen von einer Nummer aus Phnom Penh. Es war Duch, der mit ihm sprach. Also kurz: Duch hatte ihn aufgefordert, heute Morgen nach Phnom Penh zu kommen. Er wolle mit ihm die Eimer ausgraben; was immer das bedeuten mag! Wenn er nach Pailin komme, solle er einen seiner Freunde mitbringen. Dieser Freund solle in Pailin vier neue starke Handys für sich und die anderen Drei besorgen, damit man sie im Versteck erreichen könne. Er sei im RIVERSIDE HOTEL in Phnom Penh. Die Kollegen in Pnom Penh seien schon informiert, und haben Duch unter strenger Observation.“

„Das ist ja klasse“, murmelte Uli, der auf einen Schlag hellwach war.

„Chen beobachtet das einzige große Handygeschäft hier in der Stadt. Er wird sich melden, wenn sich was tut. Ich wollte euch nur informieren. Wir bleiben in Kontakt. Ich werde jetzt zu Kim Kuhn fahren, der Lehrerin, die damals überlebte. Mal gespannt, ob sie was weiß und uns helfen kann.“

***

Seit sieben Uhr morgens hatte sich Chen Won in der Nähe des Telefonladens herumgedrückt. Er trug nun anstelle seines Anzuges abgerissene Kleidung, wie die meisten Leute hier. Er hatte sich auch seine Augenbrauen gestutzt, die zu auffällig waren. Zuerst hatte er in Sichtweite des Ladens an einer kleinen Garküche in aller Ruhe eine Nudelsuppe verspeist.

Als dann gegen acht Uhr schräg gegenüber des Geschäftes eine Teestube öffnete, ging er hinein und setzte sich auf einen der vordersten Plätze. Den Besitzer hatte er gefragt, wo das nächste Mopedgeschäft sei; er wolle sich eines für ein paar Tage mieten. Fünf Geschäfte weiter wurde er fündig, und mietete sich ein Honda Moped für 11‘000 Riels pro Tag. Zurück in der Teestube, fragte er den Besitzer, wann an der kleinen Bushaltestelle nebenan der Bus aus Battambang ankomme. Als der Besitzer antwortete: „So gegen elf Uhr, und dann wieder gegen vierzehn Uhr.“ hatte er gestöhnt und gemeint, seine Frau käme mit dem Bus. „Immer muss man auf die Weiber warten. Sie kommt jedes Jahr her, um im Wat Gohng-Kahng zu beten und milde Gaben zu bringen. Einer der Mönche hatte sie früher einmal von einer schweren Krankheit geheilt, und seither kommt sie jedes Jahr einmal her. Ich selbst bin vorausgefahren, weil ich einen alten Freund besuchen wollte. Aber der ist weggezogen. Der hat in den Bergen Gold gesucht, obwohl er wusste, dass das gefährlich ist wegen der Minen.“

„Ja, ja“, hatte der Inhaber gesagt, „nur wenige Leute kennen die Wege dort, die nicht vermint sind. Deswegen gehen auch nur wenige in den Bergen. Früher ist das hier mal eine reiche Stadt gewesen, aber jetzt: Sie sehen es ja selbst.“ So konnte Chen hier bequem warten, ohne Misstrauen zu erregen.

***

Kurz vor elf Uhr kam der Bus. Chen stand auf und musterte die Passagiere. Als alle ausgestiegen waren, sagte er zu dem neben ihm sitzenden Inhaber: „Wahrscheinlich hat sie wieder den Bus verpasst. Sie ist immer unpünktlich“. Er bezahlte, setzte sich aber wieder, da sein Tee nur zur Hälfte getrunken war. Kurz danach näherte sich auf der Hauptstraße aus westlicher Richtung ein Moped. Hinter dem Fahrer, der einen Helm trug, saß ein Mann mit einer kleinen Reisetasche.

„Das dürfte Sok Vai sein“, sagte er sich. Er sah dem Mann sehr ähnlich, dessen Foto Wing ihm gezeigt hatte. Gut, er war älter, aber als er am Tisch neben ihm Platz nahm, sah er ihn deutlicher. Er war zwar älter als auf dem Foto, aber er war es eindeutig. Sok Vai fragte den Inhaber, wann der nächste Bus nach Battambang führe. Gegen zwölf, war die Antwort. Der Fahrer hatte inzwischen seinen Helm abgenommen, und das Telefongeschäft betreten. Zehn Minuten später kam er heraus und trug unter seinem Arm vier kleinere, identische Kartons. Er winkte kurz in Richtung Sok Vai‘s, und überquerte die Straße und setzte sich neben ihn und sagte: „Alle Akkus sind geladen, ich fahre wieder zurück. Wann wirst du zurück sein?“

„In zwei bis drei Tagen. Dann müssen unsere Kunden halt noch etwas warten. Behandelt sie gut, sie sind immer noch wichtig.“

Der Fahrer nickte, setzte seinen Helm auf, verstaute die Kartons in seiner Satteltasche und bestieg sein Moped.

***

Inzwischen war auch Chen aufgestanden und hatte zu dem Inhaber gesagt: „Ich komme dann nachher wieder.“ Dann ging er zu seinem vor dem Nachbarhaus stehenden Moped. Er hatte die Kartons anhand der Aufschrift ‚NOKIA-Connecting People’ eindeutig als Handykartons identifziert. In aller Ruhe ließ er sein Moped an und setzte sich langsam in Bewegung. Da der Verkehr spärlich foss, gab er dem vorbeifahrenden Moped des Entführers hundert Meter Vorsprung. Der blieb auf dieser Straße, bis er nach vier Kilometern in einen Nebenweg abbog, der direkt in Richtung der bewaldeten Berge führte. Jetzt wurde Chen immer langsamer. Dann stoppte er und schob sein Moped hinter einen baufälligen Schuppen. Er ging nun zu Fuß weiter. Als der Fahrer den Waldrand erreichte, blieb Chen stehen und prägte sich genau die beiden Bäume ein, zwischen denen das Moped verschwunden war. Dann wartete er eine halbe Stunde und ging zu Fuß auf die beiden Bäume zu. Dort herrschte sofort ein grün-schummeriges Zwielicht. Er sah auf den Boden. Die Radspuren waren kaum noch zu erkennen. Je tiefer er in den Dschungel eindrang, desto undeutlicher wurden die Reifenabdrücke.

Nach fünfhundert Metern hielt er inne. Die Spuren waren stellenweise gar nicht mehr zu erkennen. Das anfängliche Gras wuchs nur noch sporadisch und die Wurzeln und Flechten verbargen jeden Abdruck. So weiterzugehen war nun zu gefährlich geworden. Er kehrte um und ging eilig zu seinem Moped zurück. Was er hatte wissen wollen, wusste er nun. Er fuhr wieder in die Stadt.

Munitionsmangel

Wing begab sich hinter die Autos und nahm sein Telefon zur Hand. Nach drei Versuchen war er erfolgreich. Er schilderte ihm kurz den Sachverhalt. Aber sein Chef, der offenbar geahnt hatte, dass Wing Ban etwas auf eigene Faust unternehmen würde, konnte ihm nicht helfen. „Der Weg von hier nach Pailin ist viel zu weit. Wenn wir jetzt direkt losfahren würden, wären wir frühestens eine Stunde nach Mitternacht in Pailin. Du kennst die Straßenverhältnisse im Westen. Und das wäre wahrscheinlich viel zu spät. Von den Problemen mit dem Gouverneur dort mal ganz abgesehen. Er würde das wohl als weiteren Eingriff in seine Hoheitsrechte ansehen und uns vielleicht sogar aufhalten.“

„Das ist klar, aber was ist mit Hubschraubern?“ „Der Chef lachte bitter: „Scherzkeks! Theoretisch haben wir ja zwei alte Bell-Hubschrauber. Die waren schon im Vietnamkrieg im Einsatz. Ein ‚Geschenk’ von den Vietnamesen. Die sind im Moment zerlegt, und ein paar Amerikaner versuchen gerade, einen halbwegs Funktionierenden daraus zusammen zu basteln. Es fehlen Ersatzteile, und die werden auch nicht mehr hergestellt. Jetzt versuchen sie sich in dem Spiel: Aus zwei mach eins. Deine Situation ist lausig. In deiner Haut möchte ich nicht stecken.

Lass mich nachdenken… Die einzige Möglichkeit, die ich sehe, wären die Anti-Terroreinheiten. Es gibt zwei: eine in Phnom Penh, und die zweite in Battambang. Vielleicht versuchst du diesen Weg. Ich kann mich da nicht einschalten, so gerne ich wollte. Der Einsatz muss beim Innenminister Prea Log beantragt werden. Aber du bist ohne dienstlichen Auftrag in Pailin. Wenn der das hört, und auch noch von mir, wird er direkt absagen. Sein Vater und mein Vater waren schon verfeindet. Sein Vater war auf Pol Pot‘s Seite; mein Vater war bei der regulären Armee. Sie haben sich immer gehasst, und der Innenminister hat alles getan, um meine Beförderung zum Polizeipräsidenten zu verhindern. Er wollte den Job für seinen Sohn. Ich würde dir gerne helfen, aber ich kann es beim besten Willen nicht. Vielleicht rufst du den Innenminister mal an, aber große Chancen sehe ich nicht. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, ohne zynisch zu klingen. Trotzdem: Viel Glück!“

***

Nach diesen entmutigenden Äußerungen war Wing ratlos. Da ging wieder eine Schießerei los. Zwei der Gangster hinter dem Ford stürmten schießend auf den Waldrand zu. Es felen fünf Schüsse der Verteidiger, die aber ihr Ziel verfehlten. Dann liefen die Angreifer in einem Bogen zurück und verschwanden im ersten Reisfeld. Als sich dieser Vorgang dreimal wiederholt hatte, schrie Wing: „Lasst die Schießerei, ihr vergeudet nur Munition. Das wollen die erreichen. Schießt wirklich nur, wenn ihr sicher seid, auch zu treffen!“

Dann nahm er wieder sein Telefon zur Hand und ließ sich mit dem Innenministerium in Phnom Penh verbinden. Nach fünf Minuten in der Warteschlange gab man ihm den stellvertretenden Innenminister. Der Innenminister sei nicht zu erreichen, er sei dienstlich unterwegs. Im Klartext hieß das: er ist beim Golfspielen und will nicht gestört werden. Als Wing dem Stellvertreter einen kurzen Lagebericht gegeben hatte, und sein Anliegen schilderte, lachte dieser:

„Eine Antiterroreinheit mit Hubschrauber also wollen sie. Mehr nicht“, höhnte er. „Das kann nur der Innenminister veranlassen. Und Sie sind der Stellvertreter von Ang Doung aus Sihanoukville? Dem speziellen Freund vom Innenminister? Was stellen Sie sich denn vor? Der läuft rot an, wenn er nur den Namen hört. Vergessen Sie’s. Und darüber hinaus: Diese Spezialkräfte sind im Ausland ausgebildet worden. Die sind der ganze Stolz des Königs. Die in Minenfelder zu schicken – sie sind ja wahnsinnig. Wissen sie, was die Ausbildung gekostet hat. Und die teure Spezialausrüstung. Und wissen Sie, was ein Hubschrauber kostet? Und den in Minenfeldern landen lassen? Und außerdem haben sie doch auch gar keinen dienstlichen Auftrag, irgendetwas in Pailin zu unternehmen! Das wird sowieso ein Nachspiel geben, für euch beide. Wenn ihr mich informiert hättet, wäre ich runter gekommen und hätte mich um die Angelegenheit gekümmert.“

„Aber es war euch doch bekannt, dass die Geiseln in Pailin sind, und keiner von euch Sesselfurzern hat was unternommen. Ihr seid doch viel zu feige, hier runter zu kommen.“ Wing stutzte, das Telefon gab das Besetztzeichen von sich. Aufgelegt! Auch gut, dachte er grimmig.

***

Nach diesem deprimierenden Gespräch rief er seine vier Mitstreiter zu sich. „Leute, es sieht schlecht aus. Wir bekommen keine Hilfe, im Gegenteil. Wir müssen uns auf eine harte Nacht gefasst machen. Ich denke, sie warten, bis es dunkel ist, und dann geht es Mann gegen Mann. Wenn wir Nachtsichtgeräte hätten, hätten wir gewisse Chancen. Aber so. Und dann die kranken Leute in den Autos.“

„Im Wilden Westen damals in Amerika hätte man eine Wagenburg gebaut“, meinte Joe.

Uli fel ihm ins Wort. „Wir sind aber nicht im wilden Westen damals in Amerika, sondern im wilden Westen jetzt in Kambodscha.“ Und zu Wing und Chen gewandt, sagte er:

„Aber wir werden uns so teuer wie möglich verkaufen, das könnt Ihr mir glauben. Und so viele wie möglich von diesen Schweinen mitnehmen, wenn wir gehen müssen; das steht mal fest. Gerhard war inzwischen ausgestiegen und hatte sich zu den Fünfen gesellt. „Und wenn wir Hilfe aus Thailand anfordern würden. Das wäre für die nur ein Katzensprung.“

„Nein, unmöglich, abgesehen davon, dass von dort keiner käme. Außerdem gäbe das diplomatische Verwicklungen. Das wäre eine Invasion in unser Land“, lehnte Wing strikt ab. Gerhard sagte zu ihm: „Dir ist doch wohl klar, dass wir die kommende Nacht nicht überleben werden. Wenn die alle kommen“, und er zeigte in Richtung Reisfelder, „dann haben wir Null Chancen. Willst du Chen, Khieu, dich und sieben Ausländer opfern, nur für deinen Nationalstolz?“

„Aber das ist undenkbar. Wenn wir, Chen und ich, damit einverstanden wären, würden wir wahrscheinlich vor Gericht gestellt und verurteilt wegen Landesverrats oder sonst was. Irgendwas wird den Staatsanwälten schon einfallen.“

„Du vergisst, dass dadurch sieben Ausländern das Leben gerettet werden kann. Früher redetest du immer von Einfussnahme ausländischer Regierungen. Wenn ihre Staatsbürger gerettet würden, würden Sie zu euren Gunsten als deren Retter Einfuss nehmen, das kannst du mir glauben. Ich kenne die deutschen Botschafter in Pnom Penh, Herrn Naumann, und den in Bangkok, Herrn Kinkel persönlich; die würden sich für euch einsetzen; und die würden auch die anderen Botschafter der Herkunftsländer der Geiseln dazu bringen, in eurem Sinne zu intervenieren. Es geht um zehn Menschenleben, vergiss das nicht; auch um deines. Willst du von diesen Gangstern da draußen erschossen werden? Du bist noch jung, zu jung, um die Löffel abzugeben!“

„Aber die Thailänder würden auch nicht mitspielen. Meinst du, die schicken ein Expeditionscorps hierher. Quatsch, die sollen nur einen Hubschrauber schicken, mit ein paar Polizisten drin.

Ich kenne den stellvertretenden Innenminister dort, von früher; und Uli hat er neulich auch geholfen. Bei dem würde ich es versuchen. Ich weiß zwar nicht, ob der mitspielt. Aber versuchen würde ich es gerne, schließlich steht uns das Wasser bis zum Hals.“

Jetzt mischte sich Uli ein: „Sicher, er hat euch ja neulich auch geholfen. Du erinnerst dich, damals bei der Telefonüberwachung.“

Und er wandte sich direkt an Wing Ban: „Aaahh, da fällt mir ein: von damals schuldest du mit noch eine Schachtel Champagner. Und den würde ich gerne mit dir trinken; auf jeden Fall lieber, als hier verrecken!“

„Na ja, dass Ihr sehr hartnäckig seid, habe ich ja gewusst. Aber da werdet Ihr euch die Zähne ausbeißen. Versucht es halt mal, und viel Glück dabei!“

***

Uli verzog sich mit Gerhard hinter die beiden Autos. Er wählte sofort die Nummer des stellvertretenden Innenministers Thailands. Der ging direkt ans Telefon, sobald Uli dessen Sekretärin seinen Namen genannt hatte. „Hallo Herr Lupini, wie geht es?“

„Gut, viel Arbeit, und Ihnen?“

„Na ja, es ist uns gelungen, unseren Onkel zu befreien, und vier andere Ausländer auch.“

„Meinen herzlichen Glückwunsch. Und wo sind sie jetzt?“ „Das ist es ja. Wir sind in großer Gefahr. Es sind zwei Polizisten bei uns. Die Munition ist knapp und unsere Reifen sind zerschossen. Wir können nicht zu Fuß zurück. Die Geiseln sind zu schwach. Die müssen in ein Krankenhaus. Vor uns sind 21 bewaffnete Gangster, die die Geiseln wieder haben wollen. Wir werden die kommende Nacht nicht lebend überstehen. Wir müssen hier herausgeholt werden. Ich gebe Ihnen mal meinen Onkel, den kennen sie ja auch.“

Uli gab Gerhard den Hörer in die Hand. Er begann: „Guten Tag Herr Lupini, wie mein Neffe gesagt hat: Es sieht schlecht aus bei uns, sehr schlecht. Die lokalen Polizeikräfte helfen uns nicht. Und Phnom Penh schickt uns keinen Hubschrauber, der nötig wäre, um uns hier herauszuholen. Sie haben sich schon vorher geweigert, Leute zu schicken, weil Pailin eine autonome Provinz ist, wo immer noch Pol Pot Leute das Sagen haben. Wir sind zwei Kilometer hinter Pailin City, direkt an der Grenze zu Thailand.“

„Ich weiß, wo Pailin liegt, ich war dort schon mal in einigen Spielbanken. Die werden von Pol Pot Leuten betrieben. Es liegt keine achtzig Kilometer östlich von Chanthaburi.“

„Deswegen rufe wir sie ja an. Wir brauchen unbedingt ihre Hilfe. Können sie uns einen Hubschrauber mit einigen Soldaten, oder noch besser mit SWAT-Leuten schicken. Es müsste nur verdammt schnell gehen, sonst gehen wir hier alle drauf!“

„Und wie stellen sie sich das vor. Das wäre eine Invasion.“ „Ich weiß, aber sie könnten es geheim machen. Man kann die Hoheitszeichen überkleben, und ohne Positionslichter das kambodschanische Radar unterfiegen. Es wäre keine halbe Stunde Flug hierher. Sie holen uns alle an Bord, und zurück geht’s. Zusammen höchstens eine Stunde.“

„Und wenn das raus kommt?“

„Es wird nichts raus kommen. Denn dann würde auch raus kommen, dass die kambodschanische Regierung uns sieben Ausländern die notwendige Hilfe verweigert hat. Diese Blöße werden sie sich nicht geben. Denn wenn das heraus käme, würden die ausländischen Regierungen ihre Hilfszahlungen einstellen. Das sind vierzig Prozent des Staatshaushalts, der ohnehin defzitär ist. Wenn etwas durchsickern würde, würden die Kambodschaner es mit Sicherheit so darstellen, dass sie Thailand um Amtshilfe gebeten haben, weil sie näher dran sind und die Situation schnellstes Handeln erfordert. Wie sie wissen, kenne ich den deutschen Botschafter in Phnom Penh. Der und die EU-Vertretung würde für den nötigen Druck sorgen. Das können sie mir glauben. Und sie würden sicherlich für ihr beherztes und unbürokratisches Eingreifen belobigt. Auch dafür würden die ausländischen Botschafter sorgen. Es ist einfach keine Zeit mehr. In der Dunkelheit werden sie uns angreifen. Zwanzig gegen sechs. Verstehen sie, dass es ohne ihre Hilfe nicht geht. Sie erinnern sich an Entebbe in Mogadischo. Das war genau solch eine Aktion. Die somalischen Behörden haben nie etwas gesagt, weil dann die deutsche Entwicklungshilfe gestrichen worden wäre. Die Chinesen sagen: ‚Money rules’ So ist es auch hier. Das kommt jetzt überraschend, aber wir alle sind in höchster Lebensgefahr. Helfen sie uns!“ Nach diesem dramatischen Appell schwieg Lupini nachdenklich und sagte dann: „Ich rufe zurück.“

„Aber bald, es besteht akute Lebensgefahr, sobald die Nacht hereinbricht.“ Gerhards letzte Worte hatte er gar nicht mehr mitbekommen. Er hatte schon aufgelegt.

***

Die anderen bis auf Khieu, der am Waldrand seinen Posten nicht verlassen hatte, kamen zu ihnen. „Na, wie sieht’s aus?“ fragte Chen. „Er will bald zurückrufen.“ Chen sah auf seine Uhr. Es ist jetzt viertel nach fünf. In einer Stunde beginnt die Dämmerung. Dann wird es eng werden. Und wie ist deine persönliche Einschätzung?“ „Fifty, ffty“, sagte Gerhard.

Nach zehn Minuten kam der erlösende Anruf. „Hier Lupini. Ihre Argumente haben mich überzeugt. Obwohl ich schon wieder auf dünnem Eis stehe. Aber was solls: In Chanthaburi wird gerade eine unserer Sikorskis präpariert. Die waren schon im Vietnamkrieg eingesetzt, sind aber bestens gewartet. Die nannte man damals fiegende Bananen. Die haben zwei Rotoren und sind auch gepanzert. Acht SWAT-Leute stehen bereit. Sie wissen nicht, wohin es geht. Aber die sind an geheime Aufträge gewöhnt. Alle haben schon ihre Kampferfahrungen gesammelt, vor allem im Süden.“

„Sie glauben nicht, wie dankbar wir sind. Also, die meisten der Gangster liegen vor uns in den Reisfeldern. Andere haben sich auf der Straße, die zum Wald führt, hinter einem quergestellten großen Ford versteckt. Wir sind am Waldrand versteckt. Weil der Wald vermint ist, trauen sie sich dort nicht hinein. Aber wenn sie sich nur alle fünf Meter voneinander aufstellen, können sie uns von vorne und von den Seiten her unter Beschuss nehmen. Und geben Sie uns bitte die Handynummer des Piloten, damit wir ihn genau einweisen können. Unsere Koordinaten sind 12° 58′ 29″ nördlicher Breite und 102°29′ 35″ östlicher Länge laut GPS-Ortung“

„Augenblick, das muss ich aufschreiben, wiederholen sie!“ „12° 58′ 29″ nördlicher Breite und 102°29′ 35″ östlicher Länge.

Und denken sie dran, dass ihre Leute Handgranaten dabei haben.“ „Guter Herr Frings, diese Leute sind bestens mit allem Notwendigen für solche Einsätze ausgerüstet; dies ist nicht ihr erster Einsatz, das können sie mir glauben. Sie werden so losfiegen, dass sie bei Dämmerung die Grenze überfiegen. Sie werden Pailin City umfiegen und bei ihnen sein, bevor es richtig dunkel wird. Sehen sie nur zu, dass sie sofort abmarschbereit sind. Die Leute müssen direkt wieder zurück.“ Dann gab er Gerhard die Telefonnummer des Piloten.

„Ihre Telefonnummer werde ich sicherheitshalber auch dem Piloten geben. Und nun wünsche ich ihnen, dass sie bis dahin durchhalten können.“

„Alles wird gut, vielen Dank noch mal“ Die anderen standen neben Gerhard. Sie hatten zwar nur mitbekommen, was er gesprochen hatte, aber das hatte gereicht, um sie zum Strahlen zu bringen. Er schilderte ihnen die Einzelheiten.

„Dann kommen wir ja doch bald hier heraus, ohne weiter Krieg zu spielen.“

Bis auf Wing gingen alle hinter den Bäumen der ersten Baumreihe in Deckung und hielten die Waffen im Anschlag. Wing ging zu den Leuten in den Autos, um sie zu beruhigen.

„In ungefähr einer Stunde werden wir befreit. Sie bleiben am besten in den Fahrzeugen. Die Wagen haben sie bisher noch nicht beschossen. Die wollen sie unverletzt als Geiseln haben.

Bis auf den Engländer waren sie alle einverstanden, nur der er verlangte: „Geben Sie mir eine Waffe. Dann werde ich ein paar von den Schweinen umlegen.“

„Wir haben nicht genügend Waffen und Munition; außerdem sind sie noch zu sehr geschwächt. Und sehen sie mal ihre Beine an. Entzündungen und eitrige Stellen überall. Nein, es ist besser, wenn sie im Wagen bleiben. Und es dauert ja jetzt nicht mehr lange. Machen Sie doch leise das Radio an, das entspannt!“

Aber nun schrie Berry Wing hysterisch an: „Ich will mich nicht entspannen, ich will die Schweine killen, abknallen, umlegen, auslöschen!“

Wing warf wütend die Autotür zu und kam zum Waldrand. Dort warteten die Anderen immer noch hinter den Bäumen auf das, was kommen würde. Noch verhielten sich die Belagerer ruhig, allerdings waren eine halbe Stunde später zwei weitere Mopeds mit vier Bewaffneten angekommen, die sich auch rasch in den Reisfeldern postierten.

Wing grübelte über die Frage nach „Wann werden sie kommen? Vor dem rettenden Hubschrauber? Dann würde es mit Sicherheit ein furchtbares Gemetzel geben!“


Gebhard Friebel

Blutiger Reis

Gekidnappt in Kambodscha

Roman

Universal Frame



All rights reserved

Copyright ©2013


Titelgestaltung Werner Hense

Titelfoto: © Fotolia/elizaliv


Universal Frame Verlag GmbH, Zofngen 


ISBN 9783905960273



Vorwort

Im Jahre 1973 übernahmen die Khmer Rouge die Regierungsgewalt in Phnom Penh, der Hauptstadt von Kambodscha. Ihr Ziel war die Abschaffung der korrupten Regierung unter Lon Nol. Diese Regierung herrschte mit der in weiten Teilen Asiens üblichen Korruption und Vetternwirtschaft. Zehn reiche Familien hatten die Ausbeutung des Landes unter sich aufgeteilt.

In den Städten wuchs mit der Zeit eine Elite aus bürgerlichem Mittelstand heran, die von der französischen Protektoratsmacht mit neuen Ideen infziert worden war. Viele Mitglieder dieses neuen Mittelstandes hatten in Frankreich studiert und europäische Werte wie Aufklärung und die Ideale der französischen Revolution, von Egalité, Fraternité und Liberté zu ihren eigenen Werten gemacht. Aber auch kommunistische Ideale und Ideologien chinesischen Ursprungs fanden unter kambodschanischen Studenten viele Anhänger. Zur Durchsetzung ihrer Ideen setzten diese Studenten zunehmend auf blutige Gewaltausübung.

Die auf Grund ihrer überwiegend buddhistischen Erziehung zur Gewaltlosigkeit tendierenden, eher pazifstischen, westlich orientierten Gruppierungen, hatten der wütenden Gewalt der Kommunisten nichts Wirksames entgegenzusetzen. Im Jahr 1975 übernahm der Kommunist Pol Pot, früher selbst Buddhist, zusammen mit einer Clique chinahöriger Anhänger die Macht in Phnom Penh. Als erstes wurde Prinz Sihanouk aus dem Land getrieben. Dann beschlossen sie die Säuberung des Landes von allen Revisionisten, denen die gesamte intellektuelle Oberschicht, soweit sie nicht erklärte Kommunisten war, zum Opfer fel. Aber damit nicht genug. Sie entvölkerten die Städte und planten, das Land zu einem steinzeitlichen Bauernstaat zu machen. Jeder Kambodschaner, der im Verdacht stand, intellektueller Abweichler zu sein, wurde verhaftet.

Im Rahmen dieser Säuberungen wurden mehr als zwei Millionen Menschen ermordet. Zusätzlich verhungerten während dieser Zeit eine Million Menschen. Es war eine schreckliche Zeit für die Mehrzahl der Einwohner Kambodschas.

Die in den unbesiedelten Busch und ins Bergland vertriebenen Städter und Intellektuellen wurden gezwungen, um vier Uhr morgens aufzustehen, und von der Morgendämmerung an Buschland zu roden und Felder anzulegen. Die Arbeitstage hatten vierzehn Stunden. Viele Menschen starben an unbehandelten Krankheiten, Unterernährung, Auszehrung und Entkräftung. Ganz Kambodscha ähnelte den Todeslagern des Dritten Reiches in Deutschland unter Adolf Hitler.

Der Verlust von drei Millionen Menschen in diesem dünn besiedelten Land, das vor dem Genozid nur ungefähr neun Millionen Einwohner hatte, bedeutete, dass während der vier Jahre anhaltenden Herrschaft der Pol Pot Clique jeder dritte Kambodschaner sein Leben verlor. Heute verfügt Kambodscha nach diesem schrecklichen Aderlass wieder über vierzehn Millionen, überwiegend jüngere und junge Einwohner. Vieles ist getan worden, damit das Land in die Lage versetzt wurde, eigene Industrien zum Wohl der eigenen Bevölkerung zu errichten. Das Land sollte unabhängiger werden, und nicht weiterhin von Ländern wie China als Billigstlohnland missbraucht werden. Darüber hinaus war ungefähr 90% des aus teurem, langsam gewachsenem Edelholz bestehenden Baumbestandes gefällt worden. Vor allem thailändische Firmen verdienten sich an diesem Holz, überwiegend Mahagoni- und Teakholz, eine goldene Nase. Als weiterer Nachteil für Kambodscha erwies sich, dass Frankreich die ehemalige Protektoratsmacht des Königreichs gewesen war. Frankreich wurde auf Grund seiner früheren Erfahrungen in Kambodscha mit der Verteilung der reichlich strömenden EU-Hilfsgelder beauftragt. Leider bestanden die Franzosen auf egoistischen Aufagen. So musste vor dem Aufbau einer neuen Schule die Zusage gegeben werden, dass beim Fremdsprachenunterricht an erster Stelle immer Französisch anzubieten sei. Wurden diese Zusagen später nicht eingehalten, wurde die gesamte Lehrerschaft nicht mehr bezahlt.

Dies erwies sich als zusätzlicher Hemmschuh für die Entwicklung des Landes. Denn in ganz Restasien war Englisch als einzige ernstzunehmende Fremdsprache üblich, mit Französisch kam man nicht weit, es sei denn, man wollte in frankophone Teile Afrikas oder in die zu Frankreich gehörenden Departements d’outre mer auswandern.

Eine selbstständige, eigene Entwicklung des Landes wurde nicht gefördert, sondern sträfich vernachlässigt. Hilfe zur Selbsthilfe blieb bis heute ein Fremdwort. So wurde und wird zum Beispiel die Restaurierung der einmaligen Tempelanlagen von Angkor Wat, Preah Vihear und vieler Anderer überwiegend von ausländischen Freiwilligen durchgeführt.

Die üppigen Eintrittsgelder, die für einen Besuchstag 20 US Dollar, für zwei Tage 40 US Dollar und für bis zu sieben Tage immerhin 60 US Dollar betragen, fießen fast zur Gänze in die Taschen dreier ohnehin schon reicher Familien.

Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, müssen die ausländischen freiwilligen Aufbauhelfer auch noch den vollen Eintrittspreis bezahlen, damit sie zu ihrem Arbeitsplatz gehen dürfen. Das gleiche gilt für Unterkunft, Verpfegung, Transportkosten, Ausgaben für Material, Werkzeug, und Visagebüren. Oft übernehmen die Herkunftsländer der Archäologen und Restaurateure beziehungsweise die UNESCO sämtliche anfallende Kosten. Die vielen freiwilligen Freelancer, die dort mit Begeisterung und aus Liebe zu den alten Ruinen tätig sind, müssen alle ihre Ausgaben selbst tragen. Dies ist nur eines von vielen Beispielen aus einer ganzen Palette von Fehlsteuerungen. Aber es zeigt auf, wie der Selbst- und Eigenständigkeit dieses Landes ein Bärendienst erwiesen wird, und es wird verständlich, warum viele Asiaten Ausländer verachten, ob ihrer Dummheit und Naivität.

Pnom Penh, Kambodscha

Kaing Guek Eav, von Freunden und Bekannten, seit er sich zurückerinnern konnte, ‚Duch’ genannt, war von Angst gepeinigt. Der Schrecken hielt ihn unbarmherzig im Griff. Er lehnte sich zurück und merkte, dass er wieder zitterte. Er holte tief Luft. Wieder überlebt. Doch wie lange noch würde er Glück haben. Der Mörder war jedes Mal im letzten Moment gestoppt worden. Im buchstäblich allerletzten Augenblick. Von Wachleuten, von Mitgefangenen, von Bediensteten des großen Gefängnisses. Heute wieder einmal. Duch überschlug die Zahl. Waren es zwanzig Mal, oder fünfundzwanzig? Meist sollten Messer das schmutzige Werk vollbringen, aber auch Schlingen, Taue und mindestens drei Mal giftige Schlangen, die jemand zum Fenster hereingleiten ließ. Lautlose, schwarze Kobras, die den Tod brachten.

„Sie lassen sich was einfallen, die Mörder. Immer wieder etwas Neues. Wie lange werde ich noch überleben? Wochen, Monate?“ fragte er sich in der Dämmerung. Der kambodschanische Staatsanwalt sagte immer wieder:

„Lasst ihn doch gehen, sein Schicksal wird ihn einholen, drinnen oder draußen.

Doch er wollte nicht durch die Hand des Mörders sterben. Er war zwar früher ein enger Freund und Mitarbeiter Pol Pot’s gewesen, aber von dessen Mitstreitern war er der einzige, der im Gefängnis saß.

Es hatte so viele Mitläufer gegeben. Aber ausgerechnet ihn hatte es erwischt. Sogar Ministerpräsident Hun Sen selbst war früher ein prominentes Führungsmitglied der Khmer Rouge gewesen, und bis 1977 Kommandeur der Verwaltungszone Ost. Er war ein Gesinnungsgenosse gewesen; er hatte sich aber schließlich rechtzeitig nach Vietnam abgesetzt.

Viele Kabinettsmitglieder seiner heutigen Regierung waren früher ebenfalls Khmer Rouge Mitglieder gewesen. Auf internationalen Druck hin war Kaing Guek Eav 1999 verhaftet worden. Ein amerikanischer Journalist hatte den auf dem Land in Ruhe lebenden Mann enttarnt.

Hun Sen hatte ihm wiederholt versichert, dass er, Duch, mit seiner baldigen Freilassung zu rechnen habe. Aber der internationale Druck, vor allem von der Vollversammlung der Vereinten Nationen ausgeübt, hatte Hun Sen immer wieder davon abgehalten, sein Versprechen einzulösen. Duch vermutete, es sei der jetzigen Regierung ganz recht, wenn Pol Pots letzter Kampfgefährte bald stürbe. Dann würden all die Mordanschläge einen Sinn fnden.

Die UN hatten auf der Etablierung eines international besetzten Kriegsverbrechertribunals bestanden. Dort sollten die ehemaligen Missetäter um Pol Pot wegen Genozides und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt werden.

Unter diesen hatte sich damals Kaing Guek Eav befunden. Die Regierungen von Kanada und Frankreich hatten angedeutet, die Einstellung der Vergabe von Fördermitteln zu überdenken, falls der damals prominenteste, verfügbare Überlebende der obersten Fühungsclique des Pol Pot Regimes ohne Prozess freikommen würde.

Als diese Intervention unbeachtet blieb, hatte schließlich der Vertreter der EU in Pnom Penh offen angekündigt, im Falle einer Freilassung dieses Mannes die Vergabe von Finanzmitteln ganz einzustellen.

Seit Vertreibung des Pol Pot Regimes waren Milliarden in das verarmte Land gefossen. Die Errichtung einer moderneren Infrastruktur war das Ziel. Über das ganze Land verteilt wurden neue Schulen und Straßen gebaut. Viele Gelder wurden in Berufsausbildungsstätten, Colleges und Universitäten investiert. Allerdings fossen auch große Teile der Hilfsgelder in die Taschen der wenigen, ohnehin schon reichen Mitglieder der machtvollen Oberschicht, wie das in ganz Asien üblich ist. Unter deren Druck stand nun Hun Sen. Aber er stand auch unter dem Druck sämtlicher ehemaliger Mitstreiter Pol Pots, die mittlere Führungspositionen bekleidet hatten. Diese hatten sich inzwischen überall in Verwaltungspositionen eingenistet, und befürchteten, falls auf internationalen Druck hin eine Prozesslawine in Gang kommen würde, ihre lukrativen und geruhsamen Posten zu verlieren. Leider wussten sie sehr viel über die Vergangenheit zahlreicher jetzt führender Politiker. Diese mussten befürchten, dass, wenn die gefassten Mitstreiter erst einmal auspackten, sie international geächtet würden. Sie hatten wenig Interesse, als Parias wie Mohammad el Ghaddaf von Libyen von internationalen Begegnungen ausgeschlossen zu werden. Der Ministerpräsident wies in zahlreichen Interviews immer wieder darauf hin, dass die Verfolgung weiterer Kader des Pol Pot Regimes beendet werden müsse.

Falls dies nicht geschehe, sei unter Umständen mit dem Ausbruch eines Bürgerkriegs zu rechnen. Dieses Gespenst des Bürgerkrieges, von Hun Sen und anderen Kabinettsmitgliedern an die Wand gemalt, zirkulierte in der nationalen und internationalen Presse. Das entsprach keineswegs der Realität, da die überwiegende Mehrzahl der Kambodschaner unverändert kriegsmüde war. Aber die naiven ausländischen Regierungen wollten auf keinen Fall für Unruhen verantwortlich gemacht werden. So hatte man sich in geheimen Absprachen darauf geeinigt, dass Kaing Guek Eav als letzter der Genossen von Pol Pot gerichtlich verfolgt werden sollte. Als quasi letztes Bauernopfer!

Damit hatten sich denn auch die ehemaligen Pol Pot Mitstreiter zufrieden gegeben. Sie selbst würden in Zukunft unbehelligt bleiben. Die ausländischen Regierungen hatten sich ebenfalls mit diesem Arrangement einverstanden gezeigt. Aber auf der sauberen Durchführung dieses letzten Prozesses hatten sie bestanden. Man konnte jetzt keinen Rückzieher mehr machen. Für den Fall, dass der Prozess gegen Duch platzen würde, mussten deshalb die führenden Familien des Landes mit erheblichen fnanziellen Einbußen für die Zukunft rechnen.

Morgens in Münster

Das Telefon klingelte. Uli Frings schrak zusammen. Er war vor zehn Minuten ins Büro gekommen. Seine Sekretärin Ulla fehlte noch. Montags war sie nie vor zehn Uhr da. „Scheiß-Gleitzeit!“, hatte er immer wieder gedacht. Gut, er war ja auch erst um neun Uhr ins Büro gekommen. Aber immerhin war er ihr Boss. Er war jetzt seit drei Jahren in Münster. Er hatte in Saarbrücken seinen guten Job aufgegeben, um nach Münster überzusiedeln. In Saarbrücken hatte er nach insgesamt acht Jahren Arbeit im größten regionalen Zeitschriftenverlag keine weiteren Aufstiegschancen gesehen. Der Job in Münster war erheblich besser dotiert; und hier bestanden auch weitere Aufstiegschancen für ihn. Er war jetzt 43 Jahre alt; hatte aber keine Lust, in Saarbrücken bis zu seiner Rente den gleichen, allmählich eintönig werdenden Job zu machen. In Münster sah er dagegen die Möglichkeit, nach der Pensionierung seines Chefs, des Verlagsleiters Theo Hammer, in etwa fünf Jahren dessen Position zu erhalten.

Er ärgerte sich: jeden Montagmorgen kam Ulla erst gegen zehn Uhr. Das Telefon klingelte immer noch. Er hob den Telefonhörer nicht ab. Stattdessen stand er auf und verließ sein Büro.

Er überlegte: Mischa war vielleicht da. Mischa war die Sekretärin von Paul Wegener, seinem Kollegen. Mischa war nicht besonders hübsch, aber zuverlässig. Obwohl, ‚nicht besonders hübsch’, war sehr, sehr schmeichelhaft. Sie war eher hässlich. Um nicht zu sagen, potthässlich. Sie war nicht verheiratet und hatte auch keinen Freund. Er wusste, dass sie in Ermangelung von Beziehungen zu Männern nur selten spät zur Arbeit erschien. Er klopfte an ihrer Tür, die zugleich die Tür des Vorzimmers von Paul Wegener war. Paul Wegener war sein Vertriebskollege. Gleiche Stellung, gleicher Job. Sie beide waren eingestellt worden, um den Vertrieb des Verlages zu straffen. Dies war ihnen gelungen. Sie hatten die Zahl der Zustellbezirke um 40% verringert, und die Zustellbezirke entsprechend vergrößert. 40% der Zusteller waren ‚freigestellt’ worden. Jetzt musste jeder Zusteller gut eine Stunde früher beginnen. Aber das hatte auch sein Gutes. Früh am Morgen herrschte deutlich weniger Verkehr, und die Luft war besser! Und wenn Uli Frings einen Zusteller fragte:

„Ist eine Stunde für sie eine lange oder eine kurze Zeit?“, wussten die meisten keine Antwort.

Wenn Uli dann noch hinzugefügte:

„Auf jeden Fall gibt man so früh am Morgen kein Geld aus“, vertiefte sich das Schweigen. Die Zeiten waren nun mal härter geworden im Verlagsgeschäft in Deutschland. Die Konkurrenten hatten mit den Kürzungen begonnen, und wenn man nicht selbst ähnlich reagierte, blieb man auf der Strecke. Beide Vertriebsleute hatten mit viel Druck erreicht, dass es nun keine Angestellten in ihrem Bereich mehr gab, sondern nur noch ‚Freie Mitarbeiter’. Sie selbst waren davon natürlich ausgenommen. Die ‚Freien’ verdienten deutlich weniger, aber immerhin hatten sie jetzt einen sicheren Arbeitsplatz. Das hatte man ihnen jedenfalls versichert. Und dass die Wahl auf sie gefallen sei, weil sie immer schon die Besten gewesen waren. Und das war auch schon ein Wert an sich; ein solches Lob eines Vertriebsleiters.

Aus dem Arbeitsleben U li klopfte noch einmal. Ein gequältes “Ja“ ertönte. Er öffnete die Tür nur soweit, dass er gerade den Kopf in den Raum strecken konnte. Mischa stand an der kleinen Kaffeemaschine. Auf ihrem Gesicht machte sich ein honigsüßes Lächeln breit. Das dachte sie zumindest. Er musste grinsen, obwohl er Kopfweh hatte. Er musste fast immer grinsen, wenn er sie sah. Sie bemühte sich immer wieder, attraktiv zu wirken. Eine ihrer ‚besten Freundinnen’ musste ihr irgendwann einmal verraten haben, dass sie attraktiver war, wenn sie ‚lächelte’. Leider war dieses ‚Lächeln’ aber immer nur ihr schiefes, dümmliches Grinsen. Obwohl sie nicht dumm war. Oder zumindest nicht sehr dumm. Obwohl, Paul hatte mal geäußert, sie sei ‚brunsdumm’. Uli hatte heftig widersprochen: „Sie kocht aber tollen Kaffee!“

Mischa hatte mit ihrem ‚Lächeln’ noch nie einen Erfolg bei Männern erzielt, aber sie hielt eisern daran fest. Uli nickte kurz: „Tach, Mischa, haben sie vielleicht einen Kaffee für mich?“ Sie sah ihn mit ihren großen Glubschaugen an. Sie nickte kurz und wandte sich wieder der Kaffeezubereitung zu. Irgendwie tat sie ihm manchmal leid. Aber wenn er einmal mit ihr was angefangen hätte, hätte er mit Sicherheit alle seine Chancen bei sämtlichen anderen Mitarbeiterinnen verspielt. In diesem großen Verlag gab es viele hübsche Kolleginnen.

Bei den Beschäftigten waren die Frauen deutlich in der Überzahl. Einmal bei einem Betriebsfest hatte sie sich neben ihn gesetzt. Er war stark angeheitert gewesen. Sie hatte ihn angehimmelt. Mit seiner Freundin hatte er am Wochenende mal wieder Krach gehabt. Er musste unwillkürlich an seinen Onkel Horst denken, der immer wieder gepredigt hatte: „Jede Frau ist irgendwo schön!“ Er hatte tatsächlich überlegt, ob er sie erhören und sich ihr hingeben solle. Aber dann hatte sich glücklicherweise der Verlagsleiter Theo Tamer an den Tisch gesetzt, und Uli gefragt, ob er Lust habe, noch etwas mitzukommen zu seinem Freund Peter, der zu Hause sei und unter Depressionen leide. Peter war das Codewort für das verschwiegene Edeletablissement ‚Madame O.’, ungefähr 20 Kilometer von Münster entfernt, zwischen Emsesch und Elberich an der alten B 51. Es war ein Saunaclub mit allem drum und dran. Jetzt war der Kaffee fertig. Mischa drückte ihm die Tasse mit dem duftenden Inhalt in die Hand. Wieder dieses ‚Lächeln’! Er nickte und verließ wortlos den Raum. In seinem Büro ließ er sich in den Sessel sinken.

Gestern Abend war er mit seinem Freund Hugo zum Zechen gegangen. Es war eine heftige Sitzung geworden. Hugo war ein angenehmer Zechpartner. Er redete nie viel, eher wenig. Meistens sagte er sogar gar nichts. Er sprach dem Bier dafür umso heftiger zu. Uli hatte immer noch Migräne wegen der Zecherei, und schluckte zwei weitere Aspirin.

Er dachte bei sich : „Die Weiber und der Suff, das reibt den Menschen uff!“

Nachdenken

Seit seiner Verhaftung im Jahr 1999 hatte Kaing Guek Eav, alias Duch, nun schon neun Jahre im Zentralgefängnis von Pnom Penh zugebracht. In den ersten Jahren der Haft hatte er sich mit dem ruhigen, beinahe bequemen Leben abgefunden. Das Essen war, wie auch die medizinische Versorgung, akzeptabel. Niemand zwang ihn zu körperlicher Arbeit. Er bewohnte ein für kambodschanische Verhältnisse komfortables Appartement. Dann begannen die ersten Mordanschläge. Er wollte, musste aus dem Gefängnis raus, wollte er überleben. Er vertraute einfach nicht mehr den Beteuerungen seines ehemaligen Freundes und heutigen Premiers Hun Sen, für den Geld wichtiger war als Freundschaft. Er musste bald raus hier aus dem Gefängnis. Das stand für ihn schon seit geraumer Zeit fest. Die Zeit drängte, seine Zeit. Neun Jahre waren genug. Seine Urenkel hatte er noch nie gesehen. Er fühlte immer stärker das Alter. Er hatte viel Zeit gehabt zum Nachdenken. Obwohl er schon 71 Jahre alt war, war er trotzdem, wie viele alte Asiaten, geistig äusserst ft. Er hatte schon Einiges versucht, um hier herauszukommen. Bei den Überlebenden der vielen Opfer hatte er sich öffentlich entschuldigt – und war sogar zum Christentum übergetreten.

Aber all das hatte nichts genutzt. Zwar hatte ihm ein katholischer Priester nach seiner ersten Beichte die Absolution erteilt, Doch das hatte auch nicht, wie erhofft, zu einer Begnadigung geführt. Wenn er sich in Gedanken in die Vergangenheit zurückversetzte, hatte er kein schlechtes Gewissen.

Unter Pol Pot war er Chef des berüchtigten Untersuchungsgefängnisses S21 in Pnom Penh gewesen. Das Schulhaus, in dem er vor der Machtübernahme als Mathematiklehrer gearbeitet hatte, war zum Verwaltungsgebäude eines Umerziehungslagers geworden. In diesem Lager waren Abertausende von Abweichlern und Verrätern, Revisionisten eben, verhört worden. Folter war an der Tagesordnung. Dabei waren die meisten der Delinquenten gestorben. Es hatte furchtbare Szenen gegeben. Säuglinge und kleine Kinder wurden lebend aus dem obersten Stockwerk des Verwaltungsgebäudes geworfen, um Geständnisse ihrer Eltern zu erzwingen. Oder die Kinder wurden gegen Bäume geschlagen, bis sie tot waren. Es waren schlimme Zeiten damals, aber Duch hatte nie Kinder aus dem Fenster geworfen und sich auch nie persönlich an Folterungen beteiligt. Wenn jemand diese entsetzlichen Verhörmethoden überlebt hatte, wurde er wenig später zu den als ‚Killing Fields’ bekannten Plätzen um Cheng Ek transportier und dort getötet.

Kaing Guek Eav sah sich nur als einer der Befehlsempfänger, der Anordnungen ausgeführt hatte. Sein Arbeitsplatz war der Schreibtisch gewesen. Bei der Ergreifung der Verdächtigen war er auch nie zugegen gewesen. Die Opfer wurden – ohne seine Mithilfe – in sein Lager eingeliefert.

Dass viele dort verhungerten, sah er nicht als seine Schuld. Ihm wurde einfach zu wenig Reis für die grosse Zahl der Lagerinsassen angeliefert.

Die Situation

Als ihn vor vier Wochen wieder einmal sein Sohn besucht hatte, bat er diesen, nach Sok, dem Sohn eines alten Freundes Nuon Chea aus den seligen Khmer Rouge Zeiten zu suchen. Er sollte ihn bitten, ihn hier im Gefängnis zu besuchen. Nach zwei Wochen war er tatsächlich erfolgreich gewesen. Sok Vai war gekommen. Er hatte allerdings inzwischen seinen Namen geändert, weil er immer wieder von ausländischen Journalisten belästigt worden war, die den Aufenthaltsort seines Vaters, des ‚Bruder Nr. 2’, erfahren wollten. Sein Vater, der engste Mitarbeiter von Pol Pot, war in Pailin, der letzten ‚Khmer Rouge’ Hochburg, schließlich – vor einem Jahr – doch verhaftet worden. Er saß nun in komfortabler Spezialhaft für ehemalige Politiker im Militärgefängnis von Kampot ein.

Schlimmes

Das Telefon klingelte wieder. Widerwillig hob er den Hörer ab. „Frings“. „Tag Uli“, fötete eine Stimme. „Hier Anita, na wie war dein Wochenende?“ Uli grinste trotz Migräne. „Etwas feucht.“

„Neue Freundin, was?“

„Nein, ein Kollege aus Saarbrücken. Wir waren in der Altstadt. Weißt ja, wie das läuft!“

„Ach so. Also, der Theo will dich sehen, um elf Uhr. Geht das klar bei dir?“

„Weißt du, was er will?“

„Nönö, aber der Paul soll um zwölf kommen.“ „Na dann bis elf Uhr.“

Anita war eine tolle Frau mit einer riesigen Oberweite. An sich war sie ganz nach seinem Geschmack. Aber sie war die Sekretärin des Verlagsleiters. Damit war sie absolut tabu.

Als er fünf Minuten vor elf Uhr bei Anita klopfte, und das Vorzimmer von Theo betrat, strahlte sie ihn an wie immer. Uli fühlte sich wieder gut, und ein Blick in den Spiegel hatte ihm klar gemacht, dass man ihm die Strapazen der gestrigen Tour nicht ansah. Grinsend ging er in Theos Zimmer, der ihm die Hand entgegenstreckte.

„Und, alles klar?“ meinte dieser, „wie war dein Wochenende?“ Sie duzten sich seit dem ersten Betriebsfest, das Uli mitge-

macht hatte.

„Gut, und du? Warst du wieder beim Golfen?“ „Ja, darüber wollte ich mit dir reden.“

Uli stutzte. „Was soll das?“ dachte er, „deshalb hat er mich bestimmt nicht kommen lassen.“

Theo fuhr lächelnd fort: „Ich wollte mit dir über dein Handicap reden. Als wir neulich zusammen mit dem Chef vom Münsteraner Bistumsblatt gespielt haben, hat er, als wir später noch einmal telefoniert haben, gemeint, du hättest gespielt wie ein blutiger Scratching Golfer. Wenn du wenigstens ein Handicap von fünf oder sechs hättest, würde es für alle von uns mehr Spaß machen; es wäre auch spannender. Was hältst du von einem dieser Golfkurse, zum Beispiel in Daytona? Dort sollen sie sehr gute Lehrer haben. Und die fangen mit Extra day scores an. Einige der bes-ten ehemaligen amerikanischen Profs arbeiten dort als Lehrer. du musst ja nicht gleich als Beckenbauer zurückkommen, aber etwas tun solltest du schon. Denkst du nicht auch?“

Uli war verblüfft. Er nickte. Wollte Theo ihm etwa einen Golfkurs in Daytona bezahlen? Damit hatte er nicht gerechnet. Theo sah ihn listig an.

„Du hast erzählt, dass du gerne nach Dubai fährst, und dein letzter Urlaub in Thailand war doch auch ein Fiasko gewesen.“ Uli nickte verdattert, allmählich verstand er gar nichts mehr. Plötzlich blickte Theo ihn ernst an: „Die Sache ist nämlich die: Gestern hatten wir die monatliche Gesellschafterversammlung. Und da wurde beschlossen, dass wir vom Ersten des nächsten Monats an auf Kurzarbeit gehen müssen. Du weißt ja selbst, wie es ist. Das Anzeigenvolumen sinkt seit sechs Monaten, die Aufa -ge schrumpft, die Anzahl der Beilagen hat sich halbiert.“

Uli schwante allmählich, worauf Theo hinaus wollte. „Die Kurzarbeit soll auch für das mittlere Management gelten. Ich habe mich für euch, für dich und Paul, stark gemacht, so gut es ging. Jetzt stell dir vor: Paul und du, Ihr beide werdet mehr verdienen. Zehn Prozent monatlich.“

Jetzt war Uli wieder durcheinander: mehr als vorher. Doch jetzt ließ Theo die Ente aus dem Sack. „Ihr beide werdet auch auf Kurzarbeit gesetzt. Ihr arbeitet jeder nur noch 50 %. Aber erhaltet 60 % eurer früheren Bezüge“ Theo strahlte wieder. „Eure Wagen dürft Ihr beide auch behalten. Nur den Sprit müsst ihr ab jetzt bezahlen. Ich denke, damit könnt ihr gut leben. Na ja, das war’s in aller Kürze.

Übrigens: als wir das diskutiert haben, sind wir übereingekom-men, dass es uns am liebsten wäre, wenn ihr euch turnusmäßig ablöst; also Einer arbeitet, während der Andere frei nimmt. Damit die Kompetenzen und Verantwortlichkeiten besser überschaubar sind. Also zum Beispiel: du drei Monate, und dann Paul drei Monate. Da könnt ihr euch absprechen. Wir wollen auf jeden Fall euch beide behalten, bis die Konjunktur wieder anspringt. Und dann geht es wieder normal weiter; wir hoffen, das wird sehr bald sein. Du musst mich jetzt aber leider entschuldigen. Ein paar wichtige Telefonate, und dann noch Paul. Wenn du ihn siehst, sag’ ihm bitte nichts, er soll es von mir erfahren.“

Uli schluckte tief, und würgte ein ‚Tschüs’ heraus. Damit ver-ließ er den Raum. Anita strahlte ihn nicht wie gewöhnlich an, als er den Raum verließ. Wahrscheinlich hatte sie gelauscht. Uli ging in sein Büro, und schloss die Tür. Damit hatte er nicht gerechnet, obwohl er schon wusste, dass die Geschäfte überall rückläufg waren. Jetzt hatte es also auch ihn erwischt. Er lehnte sich zurück und dachte nach. Wie sagen die Daarler doch: ‚Ist das Lewe noch so trüb, immer hoch die Gellerüb!’ Um halb eins rief Paul an. „Ist ja eine schöne Bescherung. Kannst Du mir sagen, wie ich jetzt mein Haus abbezahlen soll?“