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Die Hauptpersonen des Romans

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PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2704

 

Die Rückkehr der JULES VERNE

 

Terra ruft um Hilfe – das mächtigste Raumschiff der Menschheit macht sich auf den Weg

 

Michael Marcus Thurner

 

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Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine aufregende, wechselvolle Geschichte erlebt: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – haben nicht nur seit Jahrtausenden die eigene Galaxis erkundet, sie sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen – und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Im Jahr 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, das nach alter Zeitrechnung dem Anfang des sechsten Jahrtausends entspricht, gehört die Erde zur Liga Freier Terraner. Tausende von Sonnensystemen, auf deren Welten Menschen siedeln, haben sich zu diesem Sternenstaat zusammengeschlossen.

Doch ausgerechnet der Mond, der nächste Himmelskörper, ist den Terranern fremd geworden. Seit einigen Jahren hat er sich in ein abweisendes Feld gehüllt, seine Oberfläche ist merkwürdig verunstaltet. Wer zu ihm vordringen möchte, riskiert sein Leben. Dort herrschen die Onryonen, die im Namen des Atopischen Tribunals die Auslieferung Perry Rhodans und Imperator Bostichs fordern.

Die Erde entschließt sich, Hilfe zu holen, und fordert DIE RÜCKKEHR DER JULES VERNE ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Reginald Bull – Perry Rhodans ältester Freund macht sich auf den Weg nach Hause.

Sichu Dorksteiger – Die Chefwissenschaftlerin hat ein haariges Problem.

Ghiyas Khosrau – Ein TLD-Agent durchläuft einen ungewöhnlichen Polyport-Transport.

Quick Silver – Ein Roboter zeigt verblüffende Fähigkeiten.

Jawna Togoya – Die Kommandantin der JULES VERNE versucht, das Menschsein zu simulieren.

1.

Reginald Bull

 

»Chack über die Kante, hochjunk getieft, aber retro gekontert von Arnest dem Beißer! Vivum dem Beißer! Aber oho! Von bordlinks hobelt die Meute, und sie druckert gewaltig, macht feiles Tempobrot, ach, du Schicke!«

Die Stimme der Frau überschlug sich, sie kommentierte das Rennen mit zunehmender Begeisterung und in einem kaum verständlichen Slang. Die Robotbegleiter des Übertragungsteams umschwirrten die Meute der etwa dreißig Gleitreisenden, die ihre Mot-Bots mit beachtlichem Geschick zwischen hausgroßen Eisbrocken dem Ziel des Wettrennens entgegenlenkten.

Reginald Bull zog unbehaglich die Schultern ein. Prallfelder und Energieschirme schützten die Fahrzeuge nur bedingt. Sie ähnelten altertümlichen Motorrädern, an die man Seitenpolsterungen angeflanscht hatte.

Berührungen der Mot-Bots waren ermöglicht, sogar von den Rennleitern ausdrücklich gewünscht – und wurden von jenen Zusehern gefordert, die systemweit über Trivid zugeschaltet waren. Es ging um Show und um Wagnisse hin zu den Grenzen des Machbaren. Die leémschen Lenker waren mit einer sonderbaren Mischung aus Verbissenheit und Jagdfreude bei der Sache, sie schenkten einander nichts.

»Chack feilhoch, unmöglich eigentlich, aber getriefert. Mach dir in die Hosen, Altkante! Und jetzt, boyboy, wieder gewaltiges Tempobrot, ab durch die Mitte, und der Beißer bohnert! Ja, er bohnert! Gebt ihm Feuer, dem Ziel entgegen, aber hui! Und Achtung vor Driftkante. Ihr müsst kasseln, nicht über hochjunk tiefen!«

Bull verstand kaum ein Wort. Doch die Leém ringsum verfolgten das Rennen mit der Begeisterung kleiner Kinder. Sie schlossen Wetten ab, feuerten ihre Favoriten lautstark an, rangelten und schoben und schubsten um die besten Plätze nahe den Trivid-Leinwänden.

Es war ein Klangteppich ungekünstelter Fröhlichkeit, der sich rings um Bull ausbreitete. Die Leém wirkten jung, begeisterungsfähig und strotzten nur so von Optimismus. Das ernste Gehabe ihrer Vorfahren, der Lemurer, war ihnen kaum anzumerken.

»Der Beißer, er schlägt sie alle, er juchhuzert, er ist grün! Völlig grün! Vivum dem Beißer!«

Der Favorit hatte das Rennen zwischen jenen gewaltigen Klumpen gewonnen, die den äußersten Ring der Eiswelt Laút ausmachten. Die Zuseher stöhnten oder jubelten, je nachdem, wem sie den Sieg gewünscht hatten, und kaum war der Siegerpreis an den kleinen, drahtigen Mann überreicht worden, den Helfer aus seiner gepanzerten Rüstung pulten, verliefen sich die Leém und gingen wieder ihren Beschäftigungen nach.

Ihre Blicke streiften beiläufig ihn, den Fremden. Sie waren den Umgang mit Gästen aus anderen Sternensystemen gewohnt – und dennoch galten Bull und seine Leute als Exoten. Es hatte sich herumgesprochen, woher er und die Tausende anderen Humanoiden stammten, die derzeit die Plattform überfluteten und deren vielfältigen Freizeitbereiche nutzten. Sie waren Bewohner einer anderen Galaxis, die über zweieinhalb Millionen Lichtjahre entfernt war und Milchstraße hieß.

 

*

 

Reginald Bull starrte andächtig auf den Koloss in Hantelform, auf die JULES VERNE. Das Schiff stand am Ende des beeindruckend großen Landefeldes, das mit etwa zwanzig Raumern gut gefüllt war.

Die JULES VERNE ragte aus der ihr zugewiesenen Parkmulde hervor und war über alle anderen Raumer hinweg zu sehen, zumindest die obere Kugel der JV-1 und ein Stück des Mittelteils.

2400 Meter hoch war die Hantel. Die beiden Kugeln mit einem Durchmesser von 800 Metern erreichten dank ihrer Ringwulste eine Stärke von 960 Metern.

Bull drückte die Nase gegen die Scheibe des Panoramafensters. Er dachte an all die Geschichten, die mit der JULES VERNE in Zusammenhang gebracht wurden. Es gab Schiffe aus Milchstraßenfertigung, die weitaus größer waren. LFT-Boxen zum Beispiel. Doch dieser rotblaue Riese war etwas Besonderes. Er verkörperte terranische Ingenieurskunst und wurde in seiner Symbolik lediglich von der mittlerweile nicht mehr existierenden BASIS oder der SOL übertroffen, jenem legendären Generationenschiff aus einer anderen Zeit, das seit Jahren als verschollen galt, mitsamt seinem Kommandanten Roi Danton.

Leistungsstarke Scheinwerfer, fast schon kleine Kunstsonnen, waren auf die JULES VERNE gerichtet. Sie zeichneten ihre Konturen nach. Winzige Pünktchen schwirrten ringsum wie zornige Hummeln: Es handelte sich um Teams von Multifunktionsrobotern und Technikern, die frei im Vakuum schwebten und einen Routinecheck durchführten. Mehrere gut besetzte Arbeitsplattformen und Schwebegleiter schafften Prüfgeräte und gegebenenfalls Ersatzteile heran.

Die Arbeiter hatten den Auftrag, selbst auf die geringsten Kleinigkeiten zu achten. Die JULES VERNE war seit einigen Tagen vor Ort, im Apheé-Sonnensystem, nahe dem Polyport-Hof DARWAG, über den sie nach Andro-Delta gelangt war.

»Wie viele Berichte über Unstimmigkeiten beim Transport durchs Polyport-System gibt es mittlerweile?«, fragte Bull den Mann hinter ihm.

»Ich habe sie bisher nicht zusammengerechnet«, antwortete Joska Oter, der Chefwissenschaftler der JULES VERNE. »Für den Polyport-Hof DARWAG wurden bislang zweiundzwanzig Vorfälle gemeldet. Die Bandbreite der Geschehnisse reicht von seltsamen subjektiven Erlebnissen während des Transports bis hin zu objektiv nachweisbarem Zeitverlust.«

Oter trat neben Bull. Er richtete den Blick woanders hin, in die Schwärze des Weltalls. Dorthin, wo sich Laúm derzeit befand, der fünfte Planet des Apheé-Systems, marsgroß und wenig besiedelt, um den sich der Polyport-Hof DARWAG seit einigen Jahrzehnten im Orbit drehte.

Der Wissenschaftler runzelte die Stirn, der Faltenwurf war bemerkenswert.

Kennt er eigentlich seinen Spitznamen? Weiß er, dass man ihn den Dackel nennt?

»Ich befürchte, dass sich die Ausfälle DARWAGS, dieses ... Stottern, auf andere Plattformen des Polyport-Systems ausbreiten könnte«, fuhr Oter fort. »Es gibt meiner Meinung nach Analogien zu einem Virus.«

»Und DARWAG wäre der Entzündungsherd, von dem alles Übel ausgeht?«

»Ich bin längst nicht so weit, eine Hypothese aufstellen zu können«, gestand der Wissenschaftler. »Es ist schwierig, an die Rohdaten heranzukommen. Geschweige denn sie auszuwerten. Viele Piloten, die von Problemen während des Transports durch das Polyport-System berichteten, haben ihre Erfahrungen nur sehr mangelhaft protokolliert.« Er seufzte. »Es handelt sich um eine Sisyphusarbeit. Wenn ich allerdings einen größeren Etat und mehr Personal zur Verfügung hätte ...«

»Jetzt mach mal einen Punkt, Joska! Du erhältst uneingeschränkten Zugang zu NEMOS Rechnerkapazitäten, und es arbeiten dir mehr als zweihundert Leute zu.«

»Ist dir bewusst, auf wie vielen höherdimensionalen Ebenen wir nach Spuren suchen? Wir wissen nicht einmal, ob wir mit den derzeitigen Problemen im Polyport-Netz die Ursache oder die Wirkung eines Virusbefalls sehen.«

Bull ließ Oter sein Leid klagen, hörte aber nur mit einem Ohr zu. Der Wissenschaftler war für seine weitschweifigen Ausführungen berüchtigt. Der Unsterbliche nahm indes weitere Impressionen dieser so fremden Umgebung in sich auf.

Was heißt da schon fremd ...

Reginald Bull blickte hoch zum gletscherkalten Eisplaneten, um den die Plattform kreiste. Laút glitzerte matt im Licht seiner Sonne. Apheé war gelborange und viel zu weit weg, um menschenähnlichen Wesen eine lebensfreundliche Existenz zu gewährleisten. Auf der schnell drehenden Welt gab es bloß einige Forschungseinrichtungen, die allesamt unter großem Aufwand betrieben und gewartet werden mussten.

»Lass uns hineingehen!«, sagte er nach einer Weile und packte Oter bei der Schulter.

Der Wissenschaftler hielt inne und grinste dann verlegen. Er war sich seiner überbordenden Begeisterung für die Arbeit durchaus bewusst und war stets dankbar, wenn ihn jemand auf den Boden der Tatsachen zurückbrachte.

Sie betraten das Lokal. Es war das größte auf der Plattform. Nach herkömmlicher Lesart gehörte es – so wie die gesamte Station – den Leém, jenen lemurischstämmigen Menschen, die auf dem vierten Planeten des Apheé-Systems siedelten. Doch es stand außer Frage, dass ein anderer der wahre Herr von KO-selbstlos war.

Warme, feuchte Luft empfing sie, als sie das Lokal betraten. Mehr als zwei Dutzend Leém saßen rings um die u-förmige Bar. An einer Reihe von Tischen saßen Tefroder, die sich angeregt mit Besatzungsmitgliedern der JULES VERNE unterhielten. Roskal Zawatt, der Terraner, stach aus der Gruppe hervor. Er gestikulierte wild, und es war ihm anzumerken, dass er bereits ein oder mehrere Gläser zu viel gehabt hatte. Wie so oft.

Separiert davon hockten in einem dunklen Winkel Gaids. Sie steckten ihre schmalen Köpfe zusammen und gaben dadurch zu verstehen, dass sie unter sich bleiben wollten. Am anderen Ende des Raums existierte eine durch einen undurchdringlichen Energienebel abgetrennte Zone, die Maahks vorbehalten war. Bull hatte gestern mit einem Vertreter dieses fremdartigen Volks Gespräche geführt und in seiner Funktion als Explorer-Admiral der LFT-Flotte Diplomatie betrieben.

»Kommt doch rüber!« Jawna Togoya war zu seiner Überraschung ebenfalls anwesend. Die Posbi – eines jener seltenen Exemplare, die sich selbst als geschlechtlich, in diesem Falle weiblich, definierten – winkte Oter und ihm, sich zu ihr und einem Dutzend Besatzungsmitgliedern der JULES VERNE zu setzen. Es war eine Einladung, die sie nur schlecht ablehnen konnten, zumal sie die neue Kommandantin des Hantelraumers war.

Bull zuckte die Achseln. Vielleicht würde ihn ein wenig Small Talk von seinen Sorgen ablenken.

Er wollte sich an einem Informationsroboter vorbeizwängen, der das Freizeitangebot von KO-selbstlos in höchsten Tönen lobte. Dessen mehr als dreißig Arme peitschten durch die Luft, und mit jedem Hieb bildeten sich energetische Partikelstrahlen, die zu Schriftzügen heranwuchsen, bunte Bilder formten oder gar Akustikfelder erzeugten, aus denen Werbebotschaften drangen.

»Willkommen in der aufregenden Welt der Freiluftfliegenzüchter!«, tönte eine der aufgeregt klingenden Stimmen. »Hab Spaß bei unseren monatlichen Vereinstreffen! Erfahre alles über die Tradition der Brieffliegen und wie sie das Leben auf Leém vor etwa tausend Jahren beeinflusst haben!«

»Lerne die Geschichte des großen, großartigen Reichs der Leém kennen! Genieße eine Reise durch die Zeit, über viertausend Jahre in die Vergangenheit! Höre vom lemurischen Erbe und von der friedlichen Eroberung Andro-Deltas. Finde heraus, wie wir es zustande gebracht haben, eine wirtschaftliche Vormachtstellung im heimatlichen Sternhaufen zu erringen.«

Da klang der Hochmut der Leém durch. Die Bewohner des Apheé-Systems, mehr oder weniger direkt mit den Terranern verwandt, waren zwar friedfertig und für ihre rationale Art bekannt. Doch sie wirkten manchmal arrogant, ohne sich dessen bewusst zu sein.

»... komm in den maahkschen Erlebnispark! Wate bis zu den Knien durch hochgiftige Atmosphäreschwaden oder spiele Schlag-den-Maahk ...«

»... das Schreckenskabinett der Meister der Insel! Führe Holo-Unterhaltungen mit Faktor Eins und Faktor Drei! Höre ihre Originalstimmen ...«

»... bewundere das Trümmerstück eines Kastun-Raumers, eines Schiffs des Gelben Meisters ...«

Bull schob den lästigen Informationsroboter beiseite. Geschäftstüchtige Leém hatten in den zugänglichen Bereichen der Plattform einige Vergnügungszentren eingerichtet. Sie gaben allesamt nicht sonderlich viel her. Doch die Einheimischen, die im Sternhaufen Andro-Delta, 265.000 Lichtjahre oberhalb der Andromeda-Hauptebene, weitgehend unberührt geblieben waren von all den Umwälzungen der letzten Jahrhunderte, gierten nach Unterhaltung und Sensationen.

Die Terraner an den Tischen blickten Bull erwartungsvoll entgegen. Sie grinsten Oter und ihn an, als warteten sie auf etwas Bestimmtes.

Doch worauf?

Da war ein zweiter Informationsroboter. Ein kleineres und gedrungenes Exemplar, das andeutungsweise weibliche Körperkonturen aufwies. Er schob blitzschnell einen Tentakel auf Bull zu, umschlang seinen Oberkörper und setzte ihm mit feuchten, metallenen Lippen einen Schmatz auf die Wange. Weitere der geschmeidigen Fühler tasteten seinen Körper ab. Sehr zum Gelächter der Besatzungsmitglieder der JULES VERNE.

»Das Verruchte Reich erwartet dich!«, gurrte eine verführerische Stimme. »Liebe ist Spiel, Liebe ist Ekstase, Liebe ist die Kunst der Variation. Du bist Terraner, wie ich spüren kann. Oho, und wie terranisch sich das da anfühlt! Lass dich von mir hinableiten in die Dunkelheit. Genieße mit mir und Andersartigen, lass dich fallen, lass dich gehen ...«

Das Gelächter wollte kein Ende nehmen, während Bull sich und Oter aus der lästigen Umklammerung des Roboters befreiten. Es dauerte eine Weile, bis sie es geschafft hatten und die Maschine das Interesse an ihnen verlor.

»Das ist ein Irrenhaus!«, sagte der Unsterbliche und nahm zwischen zwei Besatzungsmitgliedern der JULES VERNE Platz. Er schüttelte den Kopf. »Wenn der frühere Besitzer der Plattform wüsste, was die Leém daraus gemacht haben!«

»Sie sind nun mal geschäftstüchtig«, entgegnete Jawna Togoya. »Sie nutzen die Möglichkeiten, die KO-selbstlos ihnen bietet, und sie scheinen sich mit Quick Silver arrangiert zu haben.«

Quick Silver ... Was war das bloß für ein seltsames Geschöpf!

Bull wurde abgelenkt, bevor er sich allzu viele Gedanken über den Roboter machen konnte, der gemeinsam mit der Paddler-Plattform im Jahr 1391 NGZ entdeckt worden war. Denn weitere Gäste betraten das Lokal – und sie wurden augenblicklich von den lauernden Informationsrobotern in Beschlag genommen.

Bull sah dem Treiben zu, dem die drei Tefroder ausgeliefert waren. Und er verstand nun, warum seine Kameraden derart herzhaft gelacht hatten. Es war witzig, wenn man nicht selbst im Zentrum der Aufmerksamkeit stand.

 

*

 

Der Mann neben ihm prustete. Bull schreckte aus seinen Gedanken hoch. Der Maschinenarrangeur namens Kah Santruschitz nahm eben einen tiefen Schluck aus seinem Schnabelkrug. Er trank Garsuppe. Ein Gebräu, dessen Geschmack entfernt an Bier erinnerte, aber mit minzeähnlichen Gewürzen versetzt war und winzige Fleischbröckchen beinhaltete.

Dann setzte er die Unterhaltung mit Emerson Danzao fort, dem Cheforter der JULES VERNE. Es ging um Frauengeschichten und Reparaturarbeiten am Schiff. Bull wusste nicht zu sagen, welcher Teil ihrer Erzählungen übertriebener war als der andere. Die beiden waren erfahrene Leute, die jeweils mehr als achtzig Jahre Berufserfahrung hatten. Sie gaben Weltallgarn zum Besten und logen, dass sich die Balken bogen.

Das fröhliche Geschnatter am Tisch hielt seit Stunden an. Es war eine bunte, exotische Runde, die sich zusammengefunden hatte. Hochrangige Offiziere wie die beiden hauptverantwortlichen Mediker Aranson Barber – ein Ferrone – und Sei-bei-mir – ein Lyrianer, dessen wahren Namen niemand kannte – nutzten die Gelegenheit, einige Stunden außerhalb des Schiffs zu verbringen, im »Zum siebten Leuchtbrocken«, genau wie Wissenschaftler und Mitglieder des Wartungspersonals.

Bulls Gedanken drifteten ab. Er tat bloß so, als würde er zuhören. Doch sein eigentliches Interesse galt nach wie vor dem Fremden, dem Unbekannten dieser Umgebung. Der Eiswelt und ihren dünnen, mit freiem Auge kaum erkennbaren Ringen, in deren Fahrwasser die Plattform mittrieb. Der Sonne, die zu klein und zu schwach war, um Sehnsucht nach der Heimat zu erzeugen. Den anderen Welten des Apheé-Systems, die auf große Bildschirme gespiegelt wurden und großteils mit Werbebotschaften unterlegt waren. Der Schwärze dieses unheimlichen Raumgebiets, das den Namen DARWAG-Dunkelland erhalten hatte und den Eindruck erweckte, als hätte ein mythischer Titanengott ein Stück aus Andro-Delta rausgebissen.

»... und dann schrie die gute Frau dreimal Kuckuck!«, rief Emerson Danzao, und alle Leute ringsum brachen in lautes Gelächter aus. Bull lachte pflichtbewusst mit, auch wenn er den derben Humor des Cheforters nicht sonderlich goutierte.

Er stand auf und tat ein paar Schritte. Er war steif vom vielen Sitzen. Der halbe Becher Garsuppe, den er sich genehmigt hatte, gluckerte in seinem Magen. Er verließ die Gruppe und trat näher ans größte Fenster. Die beiden Informationsroboter standen unweit von ihm. Sie hatten derzeit nicht viel zu tun, sie warteten auf neue Opfer.

Bull ließ die auf der Plattform herrschende Geschäftigkeit auf sich wirken. Er kannte derlei nur zu gut – und doch war diesmal alles ganz anders. Viele Raumschiffstypen, die auf KO-selbstlos parkten, waren ihm unbekannt, sogar die Annäherungsmanöver, die die Schiffe flogen, um an das riesige Gebilde anzudocken, verliefen anders als zu Hause. Selbst die Arbeitsabläufe des Personals erschienen auf seltsame Art und Weise falsch.

»Wie ist Euer Befinden?«

»Gut, Quick Silver. Sehr gut.« Er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer sich hinter seinem Rücken angeschlichen hatte.

»Ich kenne das Volk der Terraner zu wenig; doch der Klang Eurer Stimme lässt mich vermuten, dass Ihr Euch gezwungen fühlt, gesellschaftlichen Konventionen zu entsprechen. Ihr wollt nicht zugeben, dass Ihr unter einer gewissen Anspannung steht.«

»Ich habe selten zuvor eine derart umständliche Umschreibung des Wortes Schwindelei gehört.« Bull wandte sich um. Quick Silver, der sich manchmal selbst »Der Begnadete« nannte, hatte das Erscheinungsbild eines kugelrunden Maahks angenommen.

»Ich wollte es nicht so deutlich formulieren.« Der Roboter verbeugte sich und simulierte ein Ächzen, als fiele ihm die Bewegung schwer angesichts seines Übergewichts. »Ich würde gern helfen und Euch die trüben Gedanken vergessen machen.«

»Griesgrämig dreinblickende Kunden sind schlecht fürs Geschäft, nicht wahr?«

»Ich mag es, wenn sich Klienten auf KO-selbstlos wohlfühlen«, wich Quick Silver einer direkten Antwort aus.

»Dann sag mir, was du empfindest, wenn du ins Weltall hinaussiehst.«

»Es gehört nicht zu meinen Stärken, Emotionen zu beschreiben.«

»Aber du imitierst sie ausgezeichnet. Du hast ein ganz besonderes Einfühlungsvermögen, und du beherrschst Mimikry.«

»Ich reflektiere lediglich.«

»Nicht so bescheiden, alter Junge!« Bull war versucht, dem Roboter auf die Schulter zu klopfen und ihm am Bartresen des Leuchtbrocken ein Glas auszugeben. Quick Silver gab seine Maahkgestalt auf und stand Sekunden später als breitstämmiger, grinsender Terraner vor ihm, dessen Sommersprossen silbern glänzten. »Du bist ein Genie, solltest du das noch nicht wissen.«