Copyright © 2013 by Cheryl Kaye Tardif
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Kapitel 1


Edson, Alberta – Donnerstag, 13. Juni 2013 – 10:15 Uhr

 

Marcus Taylor saß auf dem abgenutzten Teppich im Wohnzimmer vor dem offenen Kamin und strich sich mit einer 9-mm-Browning, einer Militärpistole, über das Bein. Das Magazin mit den dreizehn Patronen hielt er in der anderen Hand. Kurz überlegte er, die Waffe zu laden – und sie dann abzufeuern.

»Aber wer würde dich dann füttern?«, fragte er seine Gefährtin.

Arizona, eine fünf Jahre alte Irish Setter Hündin, sah ihn fragend an, dann rollte sie sich auf der Couch zusammen und schlief wieder ein. Er hatte sie ungefähr ein Jahr nach Ryans und Janes Tod aus dem Tierheim gerettet. Es war im Haus so verdammt still gewesen. So leblos.

»Toll zu wissen, dass du auch eine Meinung dazu hast.«

Marcus legte die Pistole und das Magazin auf den Boden, nahm ein Fotoalbum auf den Schoß und atmete tief ein.
Das Fotoalbum vom Tod. Nur drei Mal pro Jahr kam das Album ans Licht. Die anderen dreihundertzweiundsechzig Tage lang lag es in dem kleinen Stahlspind versteckt, den er als Beistelltisch benutzte.

Heute war Pauls sechsundvierzigster Geburtstag. Oder besser gesagt, er wäre es gewesen – denn Paul war tot.

Wieder holte Marcus tief Luft. Er tastete nach dem Kettchen, das wie ein Lesezeichen eine bestimmte Seite markierte, und schlug dann das Album auf. »Hey, Bro.«

Auf dem Foto stand Corporal Paul Taylor neben einer verlassenen Straße am Rande einer nichtssagenden afghanischen Stadt. Er hielt ein Scharfschützengewehr vor der Brust und hatte die Browning in der anderen Hand. Bereits am selben Tag war er umgekommen. Eine Landmine neben der Straße hatte ihm die Glieder abgerissen. Die selbst gemachte Bombe hatte unter zwanzig Zentimeter Schotter und Dreck gelegen, bis Paul, der gerade durch ein weinendes Kind abgelenkt gewesen war, unwissentlich darauf getreten war.

Eine dumme Unachtsamkeit konnte dort schnell den Tod bringen und einen Sohn von seinen Eltern und einen Bruder von seinem Bruder trennen. Aber Geschwister konnten auch durch Groll gegeneinander getrennt sein.

»Wenn ich dir nur sagen könnte, wie leid es mir tut«, sagte Marcus. Er kämpfte mit den Tränen. »Wir haben so viel Zeit damit verschwendet, aufeinander sauer zu sein.«

Als er noch klein gewesen war, hatte er immer die Spielzeugsoldaten seines älteren Bruders versteckt, um damit spielen zu können, wenn Paul in der Schule war. In der Highschool hatte Marcus sich nicht anmerken lassen, wie clever er war. Um als der coole kleine Bruder der Hockeylegende Paul Taylor durchgehen zu können, hatte er seine Intelligenz stets versteckt. Auch seine Eifersucht hatte Marcus gelernt zu verstecken.

Bis sein Bruder umkam.

Er starrte auf die verbogene Erkennungsmarke am Ende des Kettchens. Das war alles, was noch von seinem Bruder übrig geblieben war. Jetzt gab es nichts mehr, auf das er eifersüchtig sein konnte.

Er warf abermals einen Blick auf die Pistole. Na gut, die hatte er auch. Ein Erbstück von Paul. Einer der Freunde seines Bruders aus der Armee hatte sie ihm persönlich gebracht. »Dein Bruder hat gesagt, dass du sein Spielzeug jetzt haben kannst«, hatte der Typ gesagt.

Paul hatte schon immer einen seltsamen Sinn für Humor gehabt.

Marcus wusste, dass seine Eltern heute auf ihrer Kreuzfahrt im Mittelmeer Paul zu Ehren miteinander anstoßen würden. Er tat es ihnen gleich. »Du fehlst mir, Bro.«

Dann ließ er die Marke los und blätterte zu den nächsten Fotos weiter. Eine Brünette mit kurzem, welligen Haar und leuchtend grünen Augen lächelte ihn an.

Jane!

»Hallo, kleine Fee.«

Er fuhr mit dem Finger über ihr Gesicht, erinnerte sich daran, wie ihr linker Mundwinkel immer leicht nach oben gezeigt und wie sie sentimentale Chickflicks geguckt hatte, bei denen sie gar nicht gemerkt hatte, wie ihr die Tränen über das Gesicht geronnen waren.

Marcus blätterte weiter und atmete scharf ein. Ein hübscher kleiner Bengel strahlte dort und winkte ihm zu.

»Hey, Kumpel.«

Er erinnerte sich noch genau an den Tag, an dem sie dieses Foto geschossen hatten. Sein Sohn Ryan, der neue Torhüter seines Junior High Eishockeyteams, hatte keinen einzigen Schuss ins Tor gelassen und seinem Team dadurch einen 3:0 Vorsprung verschafft. Jane hatte das Bild in genau dem Moment gemacht, als Ryan seinen Vater unter den Zuschauern entdeckt hatte.

»Ich hab dich lieb.« Marcus' Stimme brach. »Und du fehlst mir so schrecklich.«

Das war etwas, das er nicht verstecken konnte. Niemals.

Und dann war da noch etwas, das er ebenfalls nicht verbergen konnte.

Er hatte Jane getötet. Und Ryan.

Seit sechs Jahren erschienen ihm seine tote Frau und sein Sohn im Schlaf, verhöhnten ihn durch ihre geisterhafte Erscheinung, quälten ihn mit vertrauten Sprüchen, verwirrten seine Gedanken und Sinne zu einem stinkenden Matsch aus Schuldgefühlen. Er konnte sich von ihren anschuldigenden Blicken und dem boshaften Grinsen nur befreien, indem er aufwachte. Oder gar nicht erst einschlief. Der Schlaf war mittlerweile sein Feind geworden. Deshalb tat er sein Möglichstes, um ihn zu vermeiden.

Marcus warf einen Blick auf die antike Uhr, die auf dem Kaminsims stand. 11:26 Uhr.

Noch vierundzwanzig Minuten, dann würde er sich auf den Weg ins Yellowhead County Emergency Centre machen müssen, wo er als Notrufdispatcher arbeitete. Seit fast sechs Monaten war er schon dort. Jetzt hatte er die Hälfte von fünf 12-Stunden-Schichten rum, die jeweils von mittags bis Mitternacht gingen. Er arbeitete mit seinem besten Freund Leo zusammen, der zweifelsohne wieder guter Laune sein würde. Leo schlief gern lange und es gefiel ihm, seinen Tag erst um die Mittagszeit herum zu beginnen, während Marcus die Mitternachtsschicht vorzog, die bis mittags ging – die Schicht, die alle anderen hassten. Ihm aber gab sie nachts etwas zu tun, denn das Einschlafen fiel ihm ebenfalls schwer.

Er klappte das Fotoalbum zu, stand langsam auf und streckte dann seine verkrampften Muskeln. Als er das Album, die Pistole und das Magazin wieder zurück in den Spind legte, fiel sein Blick auf eine kleine Schachtel aus Zedernholz, deren Deckel mit einem Arztabzeichen verziert war. Er bemühte sich, sie einfach zu ignorieren.

Selbst Arizona wusste, dass die Schachtel nichts Gutes verhieß. Die Hündin erstarrte sofort. Ihr Nackenfell sträubte sich.

»Ich weiß«, sagte Marcus. »Aber ich kann der Versuchung widerstehen.«

Die Schachtel hatte ihm mehr als nur einmal Ärger bereitet. Sie stand für seine Vergangenheit, die er nur zu gerne ungeschehen machen würde. Aber in den Müll werfen konnte er das Ding auch nicht. Es hielt ihn irgendwie in seinem Bann. Selbst jetzt ging ein Lockruf davon aus.

»Marcus …«

»Nein!«

Er schlug den Spind mit der Faust zu. Der Lärm hallte durch das Zimmer wie das Zuschlagen einer Gefängnistür: die seines eigenen Kerkers.

Hinter ihm winselte Arizona ängstlich.

»Sorry, Mädchen.«

Irgendwann würde er die Schachtel mit dem Deckelabzeichen wegwerfen und dieses Kapitel seines Lebens abschließen.

Aber noch nicht.

Er schüttelte den Anfall von Schuldgefühlen ab und rannte die Treppe ins obere Stockwerk hoch, dabei nahm er immer direkt zwei Stufen auf einmal. Im großen Schlafzimmer des gemieteten Zweifamilienhauses gab es nichts Weibliches mehr. Es war bis auf das Notwendigste ausgeräumt worden: ein Bett, ein Nachttisch und ein hoher Schrank. Die Jalousien waren aus Metall; keine geblümten Vorhänge wie die in dem Haus, das er und Jane in Edmonton gekauft hatten. Die Bettdecke war in einer Mischung aus Brauntönen gehalten und über das einsame Kopfkissen gezogen. Dekorative Kissen, wie Jane sie geliebt hatte, gab es hier nicht. Auf der Kommode stand kein Strauß Seidenblumen. In der Luft lag kein Hauch von Weichspüler mit Zitrusaroma. Nichts deutete noch auf Jane hin.

Auch sie hielt er sorgsam versteckt.

Marcus betrat das ans Schlafzimmer anschließende Bad und starrte in den Spiegel. Er betrachtete den wild wuchernden Bart, der langsam drohte, sein Gesicht zu verschlingen. Er lehnte sich nach vorne und musterte seine mehr grauen als blauen Augen. Dann wandte er sein Gesicht der Sonne zu. »Ich bin nicht müde.«

Die dunklen Ringe unter seinen Augen straften ihn allerdings Lügen.

Er ignorierte Arizonas wachen Blick, öffnete die Hausapotheke und nahm eine Tube Hämorridensalbe heraus – ein Trick, den er von seiner Frau Jane gelernt hatte. Bevor er sie getötet hatte.
Nur ein kleiner Tupfer unter die Augen, nicht lächeln oder die Stirn runzeln, und in Sekundenschnelle hatten sich die Furchen in seinem Gesicht geglättet. Dann noch etwas von Janes »Tipp-Ex«, wie sie ihre Abdeckcreme genannt hatte, und schon waren die Augenringe komplett weg.

»Nun bin ich getarnt«, sagte er zu seinem Spiegelbild.

Eine Erinnerung an Jane stieg nun plötzlich in ihm hoch.

Es war der Abend vor neunzehn Jahren, beim Bankett der BioWare Preisverleihungen. Jane saß in einem rosa Morgenmantel mit dem Lockenstab vor der Spiegelkommode im Badezimmer, während Marcus mit seiner Krawatte kämpfte.

Er fluchte. »Nie kriege ich diesen Knoten hin.«

»Lass mich mal versuchen.« Bevor er protestieren konnte, hatte Jane einen Stuhl hinter ihn geschoben und war darauf geklettert. Sie fing seinen Blick im Spiegel über dem Waschbecken ein und griff dann über seine Schultern. Ihre Augen wanderten zu dem verdrehten Klumpen, der eigentlich ein Windsorknoten hatte werden sollen. »Du musst nicht immer gleich so ungeduldig sein.«

»Und du solltest nicht auf Stühlen herumklettern.«

»Ist doch nichts dabei, Marcus.«

»Du bist schwanger, das ist dabei.«

»Aha. Du findest du mich wohl fett, was?«

Jane hatte noch nie so schön ausgesehen wie jetzt, wo sie im fünften Monat mit Ryan schwanger war.

»Ich würde dich nie fett finden«, gab er zurück.

Sie legte den Kopf schief und zog eine Augenbraue hoch. »Nie? Und wie wirst du das in vier Monaten sehen, wenn ich die Treppe zum Schlafzimmer nicht mehr hochkomme?«

»Dann trage ich dich eben.«

»Und was, wenn ich meine Füße nicht mehr sehen kann und mir nicht mehr die Zehennägel lackieren kann?«

»Dann mach ich das für dich.«

»Und was, wenn …«

Er drehte den Kopf und küsste sie. Da gab sie endlich Ruhe.

Lachend schubste sie ihn weg, zog kurz an der Krawatte und schob dann den Knoten gekonnt an die richtige Stelle.

Er stöhnte. »Warum kann ich das nur nicht?«

»Weil du mich dafür hast. Und jetzt hör auf, mich abzulenken. Ich muss noch mein Kleid anziehen und mich schminken.«

Marcus saß auf der Bettkante und wartete. Jane schaffte es immer, dass sich das Warten lohnte, und auch an diesem Abend enttäuschte sie ihn nicht. Als sie aus dem Badezimmer kam, wirkte sie in ihrem Designerkleid aus der West Edmonton Mall wie eine Erotikgöttin. Der kleine Babybauch war kaum zu sehen.

»Wie sehe ich aus?«, fragte sie und befühlte nervös die neuen goldblonden Haarsträhnchen.

»Wahnsinnig sexy.«

Langsam drehte sie sich im Kreis, um das elegante schwarze Kleid mit dem tiefen Rückenausschnitt richtig zur Geltung kommen zu lassen. Sie warf einen Blick über ihre mit Glitter gepuderte Schulter. »Also gefällt dir mein neues Kleid?«

»Mir würde es noch besser gefallen, wenn es sich auf dem Boden befinden würde«, sagte er leise.

Minuten später lagen sie außer Atem und lachend wie Teenager auf den zerknitterten Bettlaken. Sex mit Jane war immer so aufregend, jung und vor allem spaßig.

Nachdem sie sich wieder angezogen hatte, ging Jane ins Badezimmer zurück, um ihre Frisur und ihr Make-up zu richten. »Ich bin jetzt getarnt«, sagte sie, als sie wieder raus kam. »Lass uns gehen.«

»Yes, Ma'am.«

Er hörte sie wispern: »Sechs plus acht plus zwei …«

»Machst du schon wieder dieses Zahlenlehrezeugs?«, fragte er sie grinsend.

Als Jane gemerkt hatte, dass sie schwanger war, war sie zu einem Esoterikkongress gegangen, wo ihr ein Numerologist etwas über das Addieren von Daten beigebracht hatte. Seitdem rechnete sie die Zahlen immer wieder durch, wenn ein wichtiger Termin anstand, um herauszufinden, ob es ein guter Tag sein würde oder nicht. Sie hatte Marcus sogar dazu gebracht, Lottozettel an Tagen mit einer Drei im Datum zu kaufen, denn das bedeutete laut ihr, dass sich Geld anbahnte. Bisher hatten sie jedoch noch nichts gewonnen, aber er machte es ihr zuliebe trotzdem.

»Was ist heute?«

Sie lächelte. »Eine Sieben.«

»Aha, die glücksbringende Sieben.« Er sah sie mit hochgezogener Augenbraue an. »Das heißt wohl, dass ich Glück haben werde?«

»Hattest du doch wohl gerade schon, Mister.«

Sie waren zu spät beim Preisverleihungsbankett erschienen, womit sie sich nicht gerade beliebt gemacht hatten. Jane war als Ehrengast geladen gewesen, da sie für ihr neuestes Videospiel für BioWare den Preis als ›beste Programmiererin‹ erhalten hatte. Als Jane auf die Bühne trat, um ihren Preis entgegenzunehmen, hätte Marcus sich nicht vorstellen können, jemals stolzer auf sie zu sein. Bis die Nacht kam, in der Ryan geboren wurde.

Ryan … mein Sohn, den ich getötet habe!

Marcus schüttelte den Kopf und zwang die Erinnerungen zurück in die Dunkelheit, wo sie hingehörten. Er nahm eine Dose Rasierschaum in die Hand und starrte auf das Etikett, ohne es wirklich zu sehen.

Rasieren oder nicht rasieren? Das war hier die Frage.

»Ach was, heute nicht«, brummte er.

Seit Wochen hatte er sich schon nicht mehr rasiert. Ein Haarschnitt war auch längst überfällig. Zum Glück waren sie auf seiner Arbeitsstelle nicht allzu streng, was die äußere Erscheinung anging. Aber sein Vorgesetzter würde vermutlich trotzdem einen Kommentar dazu abgeben.

Der Weckton an seiner Armbanduhr piepste nun.

Ihm blieben also noch zwanzig Minuten, um die Notrufzentrale zu erreichen. Dann konnte er sich wieder hinter der Anonymität verstecken, nur eine gesichtslose Stimme am Telefon zu sein.

 

***

 

Yellowhead County Emergency Services in Edson, Alberta, beherbergte im zweiten Stock des geräumigen Gebäudes in der 1st Avenue eine kleine, aber kompetente Notrufzentrale. Im gleichen Stockwerk befanden sich auch vier Räume, die als Lehrzimmer für Erstehilfe, Wiederbelebungs- und Sanitäterkurse vermietet wurden. Die Notrufzentrale hatte eine Vollzeitbesetzung von vier Telefonvermittlern mit zwei Vorgesetzten – eine Tagschicht und eine Nachtschicht. Außerdem gab es eine Handvoll gutausgebildeter, aber schlecht bezahlter Zusatzkräfte und drei regelmäßige ehrenamtliche Helfer.

Als Marcus das Gebäude betrat, erwartete ihn Leonardo Lombardo bereits am Fahrstuhl. Doch Leo wirkte alles andere als glücklich, ihn zu sehen.

»Du siehst aus, als wäre gerade dein Hund gestorben«, meinte Marcus.

»Ich habe doch gar keinen.«

»Wie wär's dann mit einer warmen, fröhlichen Begrüßung? Oder hat die Mafia dich angeheuert, mich aus dem Weg zu räumen?«

Leo, ein durchschnittlich großer Mann Ende vierzig, trug am Bauch um die dreißig Pfund zu viel mit sich herum. Sein dunkles italienisches Aussehen ließ ihn auf Fremde geheimnisvoll und gefährlich wirken. Im Ort tratschte man, dass Leo ein Amerikaner mit Verbindungen zur Mafia war. Aber Marcus wusste ganz genau, wer die Gerüchte in Umlauf gebracht hatte. Leo hatte einen wirklich kranken Sinn für Humor.

Doch jetzt grinste sein Freund nicht.

»Du musst wirklich mal sehen, dass du Schlaf nachholst.«

Marcus zuckte die Achseln und bestieg den Fahrstuhl. »Schlaf wird total überbewertet.«

»Du siehst scheiße aus.«

»Danke.«

»Bitte.« Leo drückte den Knopf fürs zweite Stockwerk und holte dann zögernd Luft. »Pass auf, Mann …«

Marcus wusste, dass es nichts Gutes verhieß, wenn Leo einen Satz mit diesen drei Worten anfing.

»Du bist nicht mehr bei der Sache«, sagte Leo. »Du fängst an, Fehler zu machen.«

»Was soll das denn heißen? Ich mache doch meine Arbeit.«

»Du hast eine Massenkarambolage von gestern Abend falsch abgeheftet. Shipley hat den halben Morgen lang danach gesucht. Ich hab versucht, dir Rückendeckung zu geben, aber er ist trotzdem ziemlich sauer.«

»Shipley ist immer sauer.«

Pete Shipley machte ein wahres Ritual daraus, Marcus das Leben schwer zu machen, wann immer es möglich war – und es war anscheinend oft möglich. Shipley, der Boss der Tagschicht, regierte die Notrufdispatcher mit eiserner Hand und so viel Arroganz, dass er damit allen auf die Nerven ging.

Die Fahrstuhltür öffnete sich. Marcus stieg als Erster aus.

»Ich finde den Report schon wieder, Leo.«

»Wie viel Schlaf hast du heute gehabt, Marcus?«

»Vier Stunden.« Das war gelogen, und beide wussten es.

Marcus machte sich auf den Weg zu seinem Schreibtisch, der durch einen Raumteiler von Leos getrennt war. Hinter ihnen saßen die anderen Vollzeitangestellten. Er winkte Parminder und Wyatt zu, als sie sich auf den Weg nach Hause machten. Da sie die Nachtschicht machten, traf er sie immer nur beim Kommen und Gehen. Jetzt wurden ihre Schreibtische zur Unterstützung von freien Mitarbeitern bemannt.

»Sieh zu, dass du in Zukunft mehr schlafen kannst«, brummte Leo.

»Mit dem Schlafen ist es komisch, Leo. Nicht lachhaft komisch, sondern seltsam komisch. Wenn man erst mal einige Zeit lang ohne Schlaf oder nur mit einem kurzen Nickerchen auskommt, ist er einem auf einmal gar nicht mehr so wichtig. Mir geht's gut. Ehrlich.«

»Was für ein Schwachsinn.«

Im Flur wurde nun eine Tür zugeknallt und schnitt ihnen damit das Wort ab.

Pete Shipley erschien und füllte den Flur mit Wut und seiner massiven Statur vollkommen aus. Er ragte über alle in die Höhe, auch über Marcus, der mehr als einen Meter achtzig groß war. Shipley, der früher in der Armee als Captain gedient hatte, war wie die Titanic gebaut – und das war auch sein Spitzname unter den Angestellten. Wovon er allerdings nichts wusste.

»Taylor!«, brüllte Shipley. »In mein Büro!«

Leo packte Marcus am Arm. »Sag ihm, du hättest sechs Stunden geschlafen.«

»Du willst, dass ich den Boss anlüge?«

»Sichere dich einfach ab. Und stachele ihn um Gottes willen nicht auf.«

Marcus grinste. »Warum sollte ich das auch tun?«

Leo starrte ihn an. »Weil dir Chaos gefällt.«

»Selbst im Chaos gibt es Ordnung.«

Leo schnaubte. »Du liest eindeutig zu viele Selbsthilfebücher. Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.« Er machte auf dem Absatz kehrt und ging an seinen Schreibtisch.

Marcus schaute ihm hinterher. Mach dir keine Sorgen, Leo. Mit Pete Shipley komme ich schon klar.

Vor Shipleys Tür hielt er kurz inne, holte tief Luft, klopfte an und trat dann ein. Sein Vorgesetzter saß hinter einem Schreibtisch aus Metall. Die dicken Brillengläser thronten auf der Spitze seiner Knollennase. Er musterte gerade einen Berg Formulare. Obwohl Shipley Marcus in sein Büro beordert hatte, reagierte er nun in keiner Weise auf dessen Anwesenheit.

Marcus hatte nichts dagegen. So konnte er sich ausgiebig in dem vollgestopften, fensterlosen Büro umsehen und den recycelten Mief, der Luft sein sollte, einatmen. Es war kein Büro, um das man Shipley beneidete. Niemand wollte es – und auch nicht seine Position und die damit verbundene Verantwortung. Selbst Shipley wollte sie nicht. Es wurde gemunkelt, dass er versuchte, in eins der Eckbüros mit bis auf den Boden reichenden Fenstern umzuziehen und eine Stelle als Notrufkoordinator zu ergattern. Marcus hatte allerdings seine Zweifel, dass das je geschehen würde. Shipley war schließlich nicht gerade das, was man sich unter einem Manager vorstellte.

Marcus stand hinter dem pseudoledernen Stuhl ohne Armlehnen, den Shipley für die wenigen Glücklichen bereithielt, denen er erlaubte, in seiner Gegenwart zu sitzen, und legte die Hände auf die Rückenlehne. Zu den wenigen Glücklichen gehörte Marcus offensichtlich nicht.

Er bereitete sich innerlich auf eine ernste Rüge vor und dachte an die letzte Nachtschicht. Ein betrunkener Autofahrer hatte an einer viel befahrenen Kreuzung in Hinton einen anderen Wagen seitlich gerammt und so einen Auffahrunfall mit insgesamt vier Fahrzeugen verursacht. Einer der Wagen, ein Minivan mit einem älteren Pärchen und zwei kleinen Jungs, war durch die Wucht des Aufpralls zwischen zwei Fahrzeugen eingeklemmt gewesen. Der Unfall hatte zu zahllosen panikerfüllten Anrufen in der Notrufzentrale geführt. Die Emergency Medical Services (EMS), inklusive Feuerwehr und Ambulanz, waren innerhalb von sechs Minuten an der Unfallstelle erschienen. Mit dem Rettungsspreizer war das zerdrückte Metall von zwei der Autos auseinandergebogen worden. Aber nur drei der Insassen konnten lebendig geborgen werden, und einer starb bei der Ankunft im Krankenhaus. Dann entdeckten die Rettungssanitäter noch eine Limousine mit drei Teenagern. Alle waren tot.

Die werden noch wochenlang Albträume haben.

Marcus wusste, was für ein Gefühl das war. Früher war er ebenfalls Einsätze gefahren. Früher, in einem anderen Leben.

Er drückte das Kreuz durch. Er war bereit, sich Shipleys Wut zu stellen. Zumindest geschah es dieses Mal hinter geschlossenen Türen. Und wenn er ganz ehrlich war, er hatte ja auch wirklich etwas verbockt. Den Unfallreport falsch abzulegen war nur einer von einer ganzen Reihe dummer Fehler gewesen, die er in der letzten Woche gemacht hatte. Die meisten davon waren ihm aber zum Glück selbst aufgefallen, und er hatte sie behoben.

»Bevor Sie etwas sagen«, begann Marcus, »ich weiß, dass ich …«

»Was denn?«, fuhr Shipley ihn an. »Sie wissen also, dass Sie ein Idiot sind?«

»Nö. Das ist mir neu.«

Langsam erhob sich Pete Shipley mit seinen gesamten zweihundertachtzig Pfund zu seiner Länge von zwei Meter und zehn. Er stemmte seine fleischigen Fäuste auf die Tischplatte und beugte sich vor. »Ich habe drei Stunden lang nach dem Unfallbericht gesucht, Taylor. Drei Stunden! Und wissen Sie, wo ich ihn gefunden habe?« Eine Nanosekunde lang war er still. »Unter den Anrufberichten von vermissten Personen. Was haben Sie dazu zu sagen?«

»Ich finde, es hat doch eine gewisse Ironie, dass ich einen verschwundenen Bericht unter verschwundenen Menschen abgelegt habe.«

»Reden Sie doch keinen Unsinn!« Shipley starrte ihn finster an. Seine Augenbrauen zogen sich zu einer einzigen langen Linie zusammen. »Lombardo hat gesagt, dass Sie jetzt wieder besser schlafen, aber das nehme ich ihm nicht ab. Was sagen Sie dazu?«

»Leo hat recht. Letzte Nacht hab ich wie ein Baby geschlafen.«

Shipley zog erneut eine Augenbraue hoch. »Für ein Baby sehen Sie aber ziemlich scheiße aus. Sie müssen sich mal wieder die Haare schneiden lassen und sich rasieren.« Er rümpfte die Nase. »Haben Sie diese Woche überhaupt schon mal geduscht?«

»Ich dusche jeden Tag. Nicht, dass Sie das was angehen würde. Was meine Haarlänge und den Bart angeht, grenzt das sogar schon an Diskriminierung.«

»Ich diskriminiere Sie nicht. Ich mag Sie ganz einfach nicht. Sie sind ein gottverdammter Junkie, Taylor.«

Alle in der Zentrale wussten über Marcus' Vergangenheit Bescheid.

»Nett, dass Sie das so offen klargestellt haben, Peter

Shipley zuckte zusammen. »Nur noch ein weiterer Fehler - wir beobachten Sie. Wenn Sie sich noch einmal so etwas leisten, sind Sie gefeuert!« Seine Schultern entspannten sich nun und er sank wieder in seinen Chefsessel. »Wenn es nach mir ginge, hätte ich Sie schon vor Monaten gefeuert.«

»Schön, dass es nicht nach Ihnen geht.«

Marcus wusste, dass er den Mann immer mehr reizte, aber das passierte sowieso leicht. Shipley war ein Idiot. Ein Schleimer, der laut Leo seinen Arsch nicht von seinem Schwanz unterscheiden konnte.

»Das war jetzt Ihre letzte Verwarnung«, presste Shipley zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Wir sind hier für Leben und Tod verantwortlich. Fehler können wir uns einfach nicht leisten.«

»Es war doch nur ein falsch abgelegter Bericht. Der Notruf war korrekt und ist schnell weitergeleitet worden.«

»Ja, immerhin haben Sie den Krankenwagen nicht in die falsche Richtung geschickt.« Ein selbstzufriedenes Lächeln breitete sich auf Shipleys Gesicht aus. »Das war's, was Ihrem arroganten Getue als Rettungssanitäter ein Ende gesetzt hat. Weshalb EMS Sie gefeuert hat.«

Marcus fielen dazu unzählige Antworten ein, jedoch keine höfliche. »Ich denke, wir sind mit unserer kleinen Konferenz hier fertig.«

»Ich bin noch lange nicht fertig«, brüllte Shipley.

»Bist du doch, Pete.«

Und damit verließ Marcus das Büro. Er ließ Shipleys Tür halb offen, da er wusste, dass sich sein Vorgesetzter darüber noch mehr, als über seine Aufsässigkeit ärgern würde.

Er versuchte, Shipleys Worte zu verdrängen, aber der Mann hatte ihn damit getroffen. Vor sechs Jahren war Marcus in aller Öffentlichkeit bloß gestellt worden, als die Wahrheit über seine Sucht bekannt geworden war. Seine Zukunft als Rettungssanitäter hatte in dem Moment geendet, als er mit der Ambulanz in den falschen Stadtteil gefahren war, weil er zu high gewesen war, um sich zu merken, wohin er eigentlich unterwegs war.

Damals hatte er sich für eine Weile zurückgezogen. Von der Arbeit … von Jane … von allem. Er war nach Cadomin gefahren, um den Kopf wieder klar zubekommen und um etwas angeln zu gehen. Zumindest hatte er das Jane erzählt. Dabei hatte er seine Drogen heimlich in das Holzkästchen gepackt. Sechs Tage später, als sich sein von Morphium benebeltes Hirn mit den Gestalten von geisterhaften Kindern füllte, klingelte plötzlich sein Handy. Mit bedrückter Stimme hatte Detective John Zur ihm erzählt, dass Jane und Ryan in einen Autounfall verwickelt worden waren, gar nicht weit entfernt von der Stelle, wo sich Marcus vergraben hatte.

Das war der Anfang vom Ende für Marcus gewesen.

Seitdem arbeitete er als alles Mögliche, um über die Runden zu kommen. Es war nicht so, dass er den Karrieresprung vom Superstar-Rettungssanitäter zum unsichtbaren Notrufdispatcher nicht verkraften konnte. Das war nicht das Problem, sondern Shipley war es. Der hatte es schon auf ihn abgesehen, seit Leo Marcus angeschleppt hatte, um einen Posten zu besetzen, der nach dem Nervenzusammenbruch eines Mitarbeiters frei geworden war.

»Und, was hat die Titanic zu sagen gehabt?«, fragte Leo, als Marcus um die Trennwand herumging.

»Er will nicht mit dem Schiff untergehen.«

»Er hält dich also für den Eisberg?«

Marcus nickte kurz.

»Ich hab dich abgesichert.« Leo hatte Beziehungen auf der Arbeit. Er kannte den Leiter der Zentrale, Nate Downey, äußerst gut, denn er war mit Nates Tochter Valerie verheiratet.

»Ich weiß, Leo.«

Marcus atmete tief ein, setzte sich hinter seinen Schreibtisch und nahm dann die Kopfhörer. Anschließend atmete er langsam wieder aus. Die kleinen Spielchen zwischen ihm und Shipley fanden inzwischen viel zu häufig statt. Sie brachten ihn durcheinander und erschöpften ihn.

Weil Shipley es mich niemals vergessen lässt.

Die Uhr auf dem Computerbildschirm zeigte erst 12:20 Uhr an. Es würde ein sehr langer Tag werden.

In dem schläfrigen Örtchen Edson gab es allerdings zum Glück nur selten viel Aufregung. Die Zentrale war außerdem noch für umliegende Orte zuständig. An manchen Tagen klingelten die Telefone nur ein halbes dutzend Mal. Das waren die guten Tage.

Er blätterte durch die Aktenmappen auf seinem Tisch und fand dort die Liste mit den Arbeitsanweisungen. Es konnte nicht schaden, zu Anfang der Schicht noch mal drüber zu lesen. So blieb er wachsam und konzentriert.

Doch seine Gedanken wanderten abermals zu dem falsch abgelegten Bericht.

Versagte er langsam aber sicher? Gefährdete er die Leben anderer Menschen mit seinem Handeln? Er hatte sich selbst und Leo versprochen, dass er das nie wieder tun würde.

Denk an Jane und Ryan.

Was sonst? Sie hatten ihm schließlich alles bedeutet.

Das Telefon klingelte und er zuckte erschrocken zusammen.

»911. Brauchen Sie die Feuerwehr, die Polizei oder einen Rettungswagen?«

Die nächsten zehn Minuten verbrachte Marcus damit, der 89-jährigen Mrs. Mortimer, die häufiger anrief, zu erklären, dass niemand Zeit hatte, ihre Katze aus dem Baum des Nachbarn zu retten.

Dann wartete er weiter auf einen echten Notfall.

Kapitel 3


Edson, Alberta – Donnerstag, 13. Juni, 2013 – 16:55 Uhr

 

Der Nachmittag war im Schneckentempo vergangen. Marcus hatte mit der Kindle App für sein iPhone ein E-Book über Schlafstörungen heruntergeladen und die Zeit zwischen den Notrufen damit verbracht, über Somniphobie zu lesen. Die Angst vor dem Schlafen – Leo war sich sicher, dass Marcus darunter litt.

Er gähnte und streckte unter dem kleinen Schreibtisch die Beine aus. Während der ersten drei Stunden seiner Schicht hatte das Telefon ganze drei Mal geklingelt, und keiner der Anrufer hatte einen Rettungswagen oder die Feuerwehr benötigt.

»Pussy Willow ist wieder da«, sagte Mrs. Mortimer, als sie zum zweiten Mal anrief. »Einer meiner Nachbarn war so nett, sie aus dem Ahornbaum zu locken. Sie haben sie bestochen, und zwar …«

»Vielen Dank, dass Sie zurückrufen«, unterbrach sie Marcus sofort, »aber die 911 ist nur für dringende Notfälle da, Mrs. Mortimer.«

»Es ist ja ein Notfall. Denn ich wollte nicht, dass Sie extra die Feuerwehr losschicken müssen.«

Marcus biss die Zähne zusammen. »Danke, Mrs. Mortimer.«

»Ach, gern geschehen. Machen Sie sich noch einen schönen Tag, ja?«

Er musste grinsen.

Der dritte Anruf war ein Fehlalarm gewesen. Irgendein Kind hatte in der Grundschule den Feuermelder ausgelöst. Die Lehrer und Angestellten hatten die Schule daraufhin gewissenhaft abgesucht und nichts gefunden – weder Rauch noch Feuer. Das war einer der erfreulichen Notrufe.

»Zeit fürs Abendessen«, sagte Leo hinter ihm.

»Du kannst anscheinend Gedanken lesen.«

Leo und Marcus machten am liebsten um siebzehn Uhr Pause, wohingegen die freien Mitarbeiter Carol und Ruby immer um achtzehn Uhr essen gingen. Die beiden fünfzehnminütigen Kaffeepausen arrangierten sie auf die gleiche Art. Falls es in der Pausenzeit einmal ein größeres Unglück gab, liefen Leo und Marcus sofort wieder zu den Telefonen.

Marcus folgte Leo in den kleinen Pausenraum, der sich durch kahle Wände und wild zusammengewürfelte Stühle auszeichnete. Er schnappte sich eine Plastikschachtel aus dem Kühlschrank und stellte sie in die Mikrowelle.

»Hast du dir was Gutes mitgebracht?«, fragte Leo mit hungriger Stimme.

»Einen Rest Lasagne.«

»Das ist jetzt schon das dritte Mal in drei Tagen, Marcus.«

»Na, Italiener sollen doch angeblich Pasta lieben.«

Leo schaute ihn finster an. »Aber keine drei Tage alte Lasagne. Außerdem hatte ich gehofft, dass du eins von deinen tollen Essen gemacht hast.«

Es war kein Geheimnis, dass Marcus gerne kochte. Stundenlang klickte er sich durch das Kabelfernsehen, um ein neues gutes Rezept aufzuspüren. Er sah sich Gordon Ramsey, Jamie Oliver und noch ein paar andere Köche an und tüftelte dann seine eigenen Rezepte aus, in denen frische Kräuter und viel Gemüse eine große Rolle spielten. Je nach Schicht kochte er morgens oder abends. Es lag fast schon Magie darin, in den frühen Morgenstunden, bevor die Sonne aufging und während die Nachbarn noch alle schliefen, etwas äußerst Schmackhaftes zu kochen.

Mit der heißen Lasagne in der Hand setzte er sich an den einzigen Tisch im Pausenraum: Ein verzogenes Stück Hartplastik mit krummen Metallbeinen, von denen einer sogar auf einem Stück Pappe stand. Als Leo sich ihm gegenübersetzte, rutschte Marcus mit seinem Stuhl hin und her, bis die Stuhlbeine in die Rillen des alten Linoleums glitten.

Er aß einen Bissen Lasagne und fragte dann: »Und was gibt's bei dir, Leo?«

»KFC.« Leo hielt eine knusprig gebratene Hähnchenkeule hoch.

Marcus lachte. »Schon wieder? Ist das nicht, was du schon die letzten drei Tage gegessen hast?«

»Kentucky Fried Chicken.«

Leo hatte eine Schwäche für Brathähnchen. Marcus machte sich Sorgen, dass Leo und seine Arterien durch all das Fett eines Tages Probleme bekommen würden. Der Mann war bereits übergewichtig. Das Wort Sport gab es in Leos Wortschatz nicht, sofern das ans Ohr halten eines Handys auf dem Nachhauseweg, um sich eine Pizza zu bestellen, nicht dazuzählte.

Aber Leo begeisterte sich für Marcus' Kochkunst.

Immerhin einer, dachte Marcus.

»Du und Val solltet Montagabend zu mir zum Essen kommen. Vor der Arbeit.«

»Vielleicht klappt's. Eventuell haben wir an dem Abend schon was vor.«

»Wie, ihr beiden habt ein heißes Date?«

»Quatsch, Mann.«

»Und warum wirst du dann rot? Was ist los?«

»Val will es wieder versuchen.«

»Was versuchen?«

Leo lehnte sich zu ihm über den Tisch. »Sie will ein Kind.«

»Aha, und Montag ist da vielversprechend?«

»Ja. Die Nacht der Liebe.«

Marcus grinste. »Und wieso klingst du alles andere als begeistert?«

»Ach, das ist alles so … ich weiß nicht … so geplant. Verstehst du? Es fühlt sich an, als ob der Gynäkologe hinter uns steht und uns Anweisungen gibt, was wir wie lange wohin stecken sollen.«

»Wie, das hast du noch nicht selbst rausgefunden?«

Verärgert biss Leo in seine Hähnchenkeule. »Hey, hör auf zu lachen. Das ist nicht lustig. Ein Kind zu zeugen macht einem ganz schön Druck.«

»Na, immerhin kannst du poppen.«

Tief in Leos mächtiger Brust grummelte ein Lachen. »Ja, das schon.«

Marcus kratzte den letzten Rest Lasagne aus seinem Frischhaltebehälter. »Du hast es gut, Leo.«

»Das weiß ich doch.«

Marcus betrachtete seinen Freund. Leo würde garantiert einen prima Vater abgeben. Einen von der Sorte, der immer da ist und sein Kind stets unterstützt.

Und verhüte Gott, dass irgendwer so blöd ist, sein Kind zu schikanieren.

»Was starrst du mich so an?«

»Ich stelle mir dich gerade mit einem Sohn im Teenageralter vor.«

Leo strahlte. »Mit einem Sohn? Meinst du, ich werde einen haben?«

»Klar, das wird ein großer starker Junge wie du. Redet dann auch so wie du. Wir werden ihn Klugscheißer Junior nennen. Oder was denkst du?«

»Redest du etwa mit mir?«, sagte Leo mit seiner besten De Niro-Stimme.

Marcus lachte. »Ja, ich rede mit dir.« Er streckte kurz seine langen Beine aus und ging dann zur Spüle, um den leeren Essensbehälter auszuwaschen.

»Kommst du heute Abend zum Treffen?«, fragte Leo, der sich die fettigen Finger leckte.

»Weiß ich noch nicht.«

»Marcus …«

Am Boden des Lasagnebehälters klebte noch ein Stück Zwiebel, und Marcus verbrachte eine Minute damit, es mit dem Fingernagel loszukratzen. So musste er wenigstens nicht die Missbilligung sehen, die er im Blick seines Freundes erahnte.

Leo grunzte. »Das ist dann schon die zweite Woche, in der du nicht kommst. Das ist nicht gut.«

»Na, wer zählt denn schon mit – außer dir?«

»Du solltest es.«

Marcus legte den Behälter zum Trocknen auf ein Geschirrtuch und wandte sich dann zu Leo. »Mann, guck nicht so sauer, alles ist in Ordnung.«

»Ist es das? Wie ich schon sagte, du siehst ziemlich fertig aus.«

Marcus seufzte übertrieben. »Also gut, ich komme. Bist du nun zufrieden?«

»Ja, so zufrieden wie eine Ratte im Knast.«

»Pass auf, Leo, dein innerer Mafioso macht sich offenbar gerade bemerkbar.«

»Und vergiss es nicht.« Leo warf die leere KFC-Schachtel in den Mülleimer und rülpste laut. »Heute Abend fahre ich.«

»Suuuper.« Marcus ließ das Wort auf seiner Zunge zergehen. »Ich sag der Verkehrspolizei sofort Bescheid. Die können das extra Geld von den Strafzetteln bestimmt gut gebrauchen.« Als sich Schritte näherten, drehte er sich schnell um.

Carol Burnett kam gerade in den Pausenraum. Angeblich war sie nach einer spitzfindigen Komödiantin aus einer Fernsehsendung der Achtziger benannt worden, aber damit hörte die Ähnlichkeit auch schon auf. Carol war eine abgemagerte, graue Frau – graues Haar, kreidebleich, graue Kleidung und graue Persönlichkeit. Von Humor war bei ihr nicht viel zu bemerken.

»Es ist schon fünf nach sechs«, sagte sie ohne jegliches Lächeln.

Leo sah Marcus mit übertrieben weit aufgerissenen Augen an. »Um Gottes willen! Wir sind spät dran.«

»Auf uns wartet … das Schicksal«, sagte Marcus in dramatischem Tonfall.

Carol warf ihnen einen finsteren Blick zu, schüttelte den Kopf und ging dann zum Kühlschrank.

»Eines Tages werden wir sie schon noch zum Lachen bringen«, sagte Marcus zu Leo.

Sein Freund antwortete mit einer tiefen Verbeugung, die seine Hinternspalte in Carols Richtung aufblitzen ließ.

»Haha, Leonardo«, grummelte sie. »Sehr witzig.«

Leo zwinkerte ihr zu. »Einer hier muss doch schließlich Humor haben.«

»Du bist der Klassenclown vom 911-Notruf«, sagte Marcus, als sie an ihre Schreibtische zurückgingen. »Der Typ, über den alle lachen können.«

Leo schmollte. »Alle außer Carol. Die ruiniert meine magischen Kräfte.«

»Hey, sogar Shipley findet dich witzig, und das will schon was heißen. Der kann doch schließlich über gar nichts lachen.«

»Taylor!«

Marcus verzog das Gesicht. »Scheiße. Wenn man vom Teufel spricht …«

Shipley stand in der Tür zu seinem Büro und hob eine Hand. Zuerst fragte sich Marcus, ob er winken wollte, doch das tat er nicht. Stattdessen zeigte Shipley mit zwei Fingern zuerst auf seine eigenen Augen und dann auf die von Marcus.

Marcus nickte. Schon kapiert. Du hast mich auf dem Kieker.

Von seinem Chef beobachtet marschierte er an seinen Schreibtisch zurück. Er wusste genau, was in dem Mann vorging. Shipley hoffte, dass Marcus wieder ein Fehler unterlaufen würde. Aber er hatte sich schon viel zu viele geleistet.

Marcus' Sucht hatte zu endlosen Lügen, Arzneimitteldiebstählen und dem Fälschen von Arztrezepten geführt. Obwohl er fand, dass er es nicht verdient hatte, waren ihm seine Sanitäterkollegen zur Hilfe gekommen und hatten ihn den Vorgesetzten gegenüber verteidigt. Ein Entzug und eine Therapie wurden unter der Bedingung gebilligt, dass Marcus schwor, sich fortan an alle Vereinbarungen zu halten. Es war ein fairer Deal. Für den Arzneimitteldiebstahl brauchte er nicht ins Gefängnis, aber er musste sich nun an die aufgestellten Konditionen halten. Der Job in der Notrufzentrale gehörte mit zu seiner Rehabilitation.

Er konnte sich noch gut an seinen ersten Arbeitstag vor fünf Jahren erinnern. Schon als er Shipleys Büro zum ersten Mal betrat, hatte er gewusst, dass er mit dem Mann Probleme bekommen würde.

»Drogensüchtig sind Sie also«, hatte Shipley nach einem kurzen Blick auf die Akte in seiner Hand zu ihm gesagt.

»Ich bin in Therapie.«

Shipley hatte seine Augen verengt. »Ein Junkie. Ich kann mit Leuten nichts anfangen, die das Leben nicht schätzen. Unser Job hier besteht darin, Leben zu retten.« Er hatte Marcus angestarrt und seufzend die Akte auf den Schreibtisch geknallt. »Aber ich kann da nichts machen, Ihnen ist die Arbeitsstelle zugewiesen worden. Also sehen Sie zu, dass Sie es nicht vermasseln.«

»Das werde ich nicht.«

Shipleys Mund hatte sich daraufhin höhnisch verzogen. »Na, das werden wir ja sehen, was? Ich zumindest bezweifle, dass Sie hier auch nur einen Monat schaffen.«

Daraufhin hatte Marcus gelächelt. Sein Chef schien offensichtlich ein richtiges Alphamännchen zu sein. Er hatte die Herausforderung, die in seinen Worten lag, sofort verstanden. »Ist mir scheißegal, was Sie denken, Mr. Shipley. Ich werde hier meine Arbeit machen.«

»Vergessen Sie nicht, dass Sie sich einmal die Woche auf Drogen testen lassen müssen.«

»Das weiß ich.«

Ja, er wusste es nur zu gut. Er hielt sich seitdem strikt an die Regeln, pisste auf Befehl in eine Plastikflasche und machte einen großen Bogen um die Gegend, in der sein alter Dealer herumhing. Das war der Preis, den er zahlen musste. Jedes Mal, wenn die Versuchung ihn überkam – und in manchen Nächten war es kaum auszuhalten -, stellte er sich Jane und Ryan vor. Er erinnerte sich an die Verzweiflung und Enttäuschung, die in ihren Augen gelegen hatte, als sie von seiner Sucht erfahren hatte.

Es hatte ganz unschuldig angefangen. Als Rettungssanitäter war er stets von Arzneimitteln umgeben gewesen, die er den Verletzten nach Bedarf gab. Er besaß ein ganzes Inventar davon, das er abzählte und ständig nachbestellte. Nach drei furchtbaren Massenkarambolagen und einer ausgebrannten Wohnung, wo Dutzende von Menschen umgekommen und ebenso viele verletzt worden waren, hatte er einen Burn-out erlitten und heftige Rücken- und Schulterschmerzen bekommen.

Als er sich erstmalig an den Medikamenten bedient hatte, hatte er sich eingeredet, dass es ja nur für dieses eine Mal war. Er hatte ein paar zweckentfremdete Vicodin geschluckt, woraufhin der Rest des Tages zu einem produktiven Nebel schmerzfreier Arbeit mutiert war. Anfangs war es nicht weiter schwierig gewesen, das Mittel »aus Versehen verlegt« zu haben, wenn er mehr davon gebraucht hatte. Einmal hatte er so getan, als sei ihm der Behälter aus der Hand gerutscht, und die Pillen wären durch den Rettungswagen gerollt. Als er sie dann mit seinem Kollegen Ashton Campbell aufgesammelt hatte, hatte Marcus sich einfach heimlich jede Zweite davon in die Tasche gesteckt. Nichts, auf das er heute stolz war.

Als Ashton auffiel, dass Vicodin fehlte, wich Marcus auf Tylenol 3 aus, das man leicht verschrieben bekam. Er tat die Pillen in kaltes Wasser und fischte das Codein darin heraus, ein Opiat mit schmerzstillender Wirkung. Das konzentrierte Codein betäubte die Schmerzen und ließ ihn als Nebeneffekt high werden. Leider gefiel ihm das zu sehr. Er machte sich vor, als Sanitäter besser arbeiten zu können, wenn er high war. Er fühlte sich dadurch selbstbewusster, immer hellwach und so, als hätte er alles unter besserer Kontrolle.

Aber das war gelogen.

Denn mit der Zeit nahm ihn die Sucht immer mehr in Beschlag. Das Codein hatte keinen großen Effekt mehr auf ihn, sodass er wieder Vicodin und Percocet nahm. Und wenn die Schmerzen ganz unerträglich wurden, spritzte er sich Morphium. Seine riesengroßen Pupillen verrieten ihn allerdings bald.

Jane sprach ihn eines Abends darauf an, aber er stürmte aus dem Haus – wütend, dass sie ihn, einen Rettungssanitäter, beschuldigte, süchtig zu sein. Dann sagte ihm Ashton plötzlich, dass er über die gestohlenen Medikamente Bescheid wusste.

Innerhalb von ein paar Tagen kam Marcus' dunkles, schmutziges Geheimnis ans Licht. Er war bloßgestellt, gedemütigt und schämte sich. Er wurde vor die Wahl gestellt, entweder auf Entzug oder ins Gefängnis zu gehen.

Die Wahl war einfach gewesen.

Jane hatte zu ihm gehalten. Das war so wunderbar an ihr gewesen: ihre Bereitschaft, vergeben zu können. Sie hatte sogar hinter seinem Entschluss gestanden, für eine Woche ohne sie und Ryan nach Cadomin zu fahren. Zum Angeln, hatte er ihr gesagt.

In Wirklichkeit aber war er hingefahren, um sich Gedanken über sein Leben und all die schlechten Entscheidungen zu machen, die er bislang getroffen hatte. Die Holzschachtel mit dem Abzeichen hatte er mitgenommen. Er hatte sich geschworen, dass es das letzte Mal sein würde, dass er etwas nehmen würde. Danach würde er das Kästchen vergraben und mit all dem nichts mehr zu tun haben. Er hatte sich geschworen, wenn er nach Hause kam, würde er zu Selbsthilfegruppen gehen und clean werden – ganz egal, wie schwer es auch war. Aber dann hatte er die meiste Zeit in der Hütte im Morphiumrausch verbracht und geschlafen. Damals hatte er noch schlafen können.

Er konnte sich noch daran erinnern, wie er bei Kerzenlicht mit einer Spritze im Arm in der Hütte gesessen hatte. Er hatte vor sich hingedämmert, und sich gerade dieser herrlichen Leichtigkeit hingegeben, als sein Handy geklingelt hatte.

»Hier ist John Zur, Marcus.« Der Kriminalbeamte teilte ihm mit, dass Jane und Ryan in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt worden waren.

Marcus riss sich die Nadel sofort aus dem Arm und sprang auf. »Wo?«

»Nicht weit von Cadomin entfernt.«

»Ich bin schon unterwegs.«

»Marcus, du solltest …«

Doch Marcus machte alles ganz automatisch. Er drückte das Gespräch weg, bevor Zur seinen Satz zu Ende sprechen konnte, schnappte sich seine Jacke und rannte dann von der Hütte zum Auto. Graupelschauer fielen, doch er bemerkte es kaum. Er konnte an nichts anderes mehr denken, als an seine Frau und seinen Sohn, die verletzt und verwirrt waren. Sie brauchten ihn!

Er raste den Highway hinunter, bis er schließlich die Polizeiwagen und die Feuerwehr sah. Hinter einem Rettungswagen hielt er an und sprang aus dem Auto.

Zur kam auf ihn zu. »Marcus, ich glaube, du solltest …«

Marcus ignorierte ihn und schlitterte die matschige Böschung in den mit Wasser gefüllten Straßengraben hinunter.

Dann sah er Janes Auto. Es hatte sich überschlagen und lag halb im tiefen dreckigen Wasser versunken.

»Jaaaaane!«, schrie er. »Ryan!«

Zwei Rettungshelfer schnitten gerade mit dem Spreizer die Tür auf. Das Metall knirschte und quietschte, wehrte sich aber. Wasser strömte nun heraus. Im Fahrersitz hing eine Gestalt mit dem Kopf nach unten. Das Wasser reichte ihr bis zur Taille.

Sofort erkannte Marcus Janes Jacke.

»Neeiiiin!«

Der Rest der Nacht hatte nur noch aus aufblitzendem Licht und Sirenen bestanden.

Und dem Tod.

Er hatte so viel wieder gut zu machen. Man hätte ihn von »Marcus« auf »Buße« umtaufen können.

 

Das Telefon klingelte und riss ihn abrupt aus seinen dunklen Gedanken. Danach verbrachte er ein paar Stunden mit dem Abheften von Formularen und Berichten, leitete einen verdächtigen Anruf wegen Brandstiftung an die Feuerwehr und Polizei weiter und schickte außerdem einen Rettungswagen an die Adresse eines vermuteten Einbruchs. Die ganze Zeit über vermied er es, an das Treffen zu denken, zu dem er Leo versprochen hatte mitzukommen.

Eine Sekunde lang starrte er den Computerbildschirm an und fragte sich, warum er überhaupt zu diesen Treffen ging. Um etwas wiedergutzumachen? Um seine Schuldgefühle zu mindern?

Damit man ihm vergab?

Ging das überhaupt?

Kapitel 8


Edmonton, Alberta – Freitag, 14. Juni 2013 – 8:24 Uhr

 

Am Freitagmorgen brachte Rebecca die Kinder zur Schule. Sie waren wegen ihrer bevorstehenden Reise zu Tante Kelly unheimlich aufgeregt und stritten sich schon darüber, was sie bei ihr alles machen wollten. Colton hatte vor, die ganze Zeit im Swimmingpool verbringen, während Ella Wildblumen pflücken und mit den »Drillis«, wie alle die Drillinge nannten, spielen wollte.

Glücklich stieß Rebecca einen Seufzer aus. »Urlaub, ich komme!«

Sie hatte sich den Tag freigenommen, damit sie alles vorbereiten konnte. Nach dem Abendessen wollte sie die Kinder zu Kelly und Steve bringen und sie dann Montagnachmittag wieder abholen. So würde sie in Cadomin drei Nächte in einem Bed and Breakfast verbringen können und damit zwei volle Tage zum Entspannen haben.

Beim Gedanken daran, ihre Kinder nicht bei sich zu haben, verkrampfte sich ihr Magen, aber sie verdrängte ihre Angst entschieden. Ihre Schwester und ihr Schwager konnten mit Sicherheit mit allen Eventualitäten fertig werden. Und sie brauchte dringend etwas Zeit für sich.

Sie warf einen Blick auf die Liste auf ihrem Schoß.
Snacks für die Fahrt.
Malbuch und Stifte für Ella.
Tanken.
Wäsche waschen.
Die Sachen von den Kindern packen.
Die Küche und das restliche Haus putzen.
Das Handy aufladen (Ladegerät einpacken).
Für den Notfall Haustürschlüssel nebenan bei Heidi abgeben. Blumen gießen.

Dann fuhr sie zum Save-On und kaufte dort zwei Tüten Chips mit Salz- und Essiggeschmack, sowie jeweils zwei Flaschen grünen Eistee und Cola. Die Fahrt nach Cadomin war lang und sie würde etwas zum Essen brauchen, um sich wach zu halten.

Als Nächstes hielt sie bei Walmart und kaufte ein Dornröschen-Malbuch und eine große Schachtel Glitzerfilzstifte. Damit würde Ella beschäftigt sein und Kelly keine Umstände machen, besonders dann nicht, wenn die Drillis schliefen. Und es war eine ruhige Beschäftigung – so standen die Chancen gut, dass sie keinen Asthmaanfall bekommen würde, während ihre Mutter nicht da war.

Rebecca schnappte nach Luft und kritzelte hastig INHALATOR! auf ihre Liste. Wie hatte sie den nur vergessen können?