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Judith ist Zahnärztin und lebt auf einer norddeutschen Insel mit ihrem Ehemann, einem Psychiater. Sie führen eine offene Ehe, was ihn aber nicht davon abhält, ihre wechselnden Liebschaften zu analysieren. Die Insel ist klein, neun Zwölftel des Jahres ist Nebensaison. Aber zweimal im Jahr fallen die Reichen ein, in der Hochsaison kommt Judith auch privat auf ihre Kosten: Sie ist Erotomanin, stets auf der Suche nach einer freien Sexualität, Männer warten bei ihr vergeblich auf Erlösung oder gar Liebe. Jetzt sind die Weihnachtsgäste abgereist, und ein vom Wintersturm angeschwemmter Eisblock treibt auf das an der Wattseite gelegene Warfthaus der Eheleute zu. So wie sich die Eismasse bedrohlich nähert, nimmt die Erzählung eine immer dramatischere Wendung, als sich ein von Judith präzis geplantes erotisches Rendezvous gegen ihre Erwartungen entwickelt.

Ebenso mutig wie ironisch verhandelt Corinna T. Sievers das traditionelle Konzept von Liebe und weiblicher Sexualität, treibt ein Spiel mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen – »Vor der Flut« ist originell und spannend bis zum Schluss.

»Ein mutiger Text, der explizit das Begehren einer Frau in einer so radikalen Perspektive benennt, wie man es eigentlich nur von Männern kennt, ein Text, der von Überschreitung handelt, einem Abweichen von der Norm, und der eine enorme Spannung erzeugt.« Hubert Winkels beim Bachmann-Bewerb 2018

 

 

Inhalt

Freitag

Samstagmorgen

Montag

Dienstag

Donnerstag

Freitag

Samstagmorgen

Sonntagmorgen

 

Freitag

Die Praxis liegt in der Nebenstraße einer Fußgängerzone. Das Städtchen ist klein, nicht einmal zweitausend Einwohner, von Interesse: die Männer. Es dürften achthundert sein, Minderjährige abgezogen.

Die Fußgängerzone ist klein, mein Arbeitsort ist klein. Ersetzt man das Wort klein durch armselig, es trifft in vollem Umfang zu. Immerzu windig, die Fenster stumpf von Salz.

Aber die Insel, an deren Weststrand die kleine Stadt liegt, hat einen Ruf. Zweimal im Jahr fallen die Reichen ein, mit dem Flugzeug, mit der Bahn, mit der eigenen Karosse. Auch Reiche haben schlechte Zähne, die Fäulnis verborgen unter teurem Zahnersatz, je größer und weißer, desto besser.

Zweimal im Jahr ist Hochsaison, sie währt ein paar Wochen, dann bohre ich im Akkord. Mir zur Seite eine Schar Gehilfinnen, angeheuert vom Festland. Einstellungsvoraussetzung: Unscheinbarkeit. Ein Großteil der Kundschaft sind Männer, ich teile nicht gern.

Ich bin einundfünfzig Jahre, Zahnärztin und Nymphomanin.

Meine Geschichte zu erzählen erfordert schonungslose Ehrlichkeit und Offenheit, mein Ich ebenso Studienobjekt wie dasjenige der gevögelten Männer, und auch der ungevögelten. Nur eine sorgfältige Untersuchung aller Beteiligten wird zur Auflösung führen, sei sie Versöhnung, Trennung oder Tod.

Meine Krankheit: die Nymphomanie mit ihren unausrottbaren Wurzeln, ihren verschlingenden Trieben, ihrem alles verdunkelnden Schattenwurf und ihren Freuden.

Aber es geht um mehr, um das Ringen der Geschlechter miteinander, um den Triumph des einen und den Untergang des anderen.

Judith schlug Holofernes den Kopf ab, nachdem er sie gefickt hatte.

Sie betrachtete die Liebe als Gefangenschaft.

Es ist die Geschichte vom Ende meiner Ehe.

Neun Zwölftel des Jahres sind Nebensaison, Nebensaison beschönigender Ausdruck für Unterbeschäftigung, Arbeit bestenfalls für zwei: mich selbst, zur Erscheinung später, zweitens Frau Peters, dreiundsechzig, kurzes graues Haar. Das schneidet sie selbst, ebenso die Nägel, dickwandiges Horn. Neben der Bürotätigkeit entfernt sie Zahnstein, saugt Speichel, fertigt Provisorien. Wir putzen gemeinsam, zweimal wöchentlich, in der Hauptsaison täglich, unterstützt durch eine Reinigungsfirma (männliches Personal, vorwiegend Migranten, nordafrikanischer Raum).

Ende Januar sind die Weihnachtsgäste längst abgereist. Zwischen zweitem Weihnachtstag und Neujahr habe ich ein Viertel des Jahresumsatzes erwirtschaftet, in finanzieller Hinsicht wie in sexueller.

Heute drei Patienten, guter Durchschnitt für einen Freitag in der Nebensaison. Ich könnte mehr bohren, würde ich weniger vögeln.

Die drei allesamt Inselbewohner, Fischesser, aus gesundheitlichen Gründen wünschenswert, auch für den Zahnschmelz, als Geschlechtspartner unannehmbar, zum Geruchssinn der Nymphomanin später mehr.

16.30, es ist stockfinster, vom Himmel vereinzelte Flocken, das Städtchen liegt im Norden, vom Polarkreis nur eine Tagesreise entfernt. Die Zahnarzthelferin hat abgerechnet (einhundertzwei Euro Umsatz), den einzigen Behandlungsstuhl desinfiziert, türkis, eine bei Zahnärzten beliebte Farbe, die Fensterläden sind geschlossen.

Es hat mich eine Unruhe befallen, meine Unruhe ist elementar.

Jedem Buch voraus geht eine andere Geschichte, der Großteil bleibt unerzählt, so auch jene Woche, bevor der Roman beginnt. Nur so viel: Ich bin, ausgesprochen gegen meine Gewohnheit, seit einer Woche ungefickt.

Der Mangel ist existenziell, er lässt mich zusammenschrumpfen gleich einem Ballon, aus dem die Luft entweicht. Anstatt zu schweben, taumelt er zu Boden, die Haut tausend Runzeln, das defekte Ventil ist leicht auszumachen: meine Vagina. Einzig ein Stopfen verspricht Heilung. Ein Bild, das zu Recht lächerlich erscheint, in jeder Erzählung gibt es Fallstricke, unfreiwillige Komik beispielsweise, ohne Zweifel gehört der Stopfen dazu, dennoch: Es mangelt genau daran.

Den Kittel ausgezogen, zu Boden geworfen, nach einem Arbeitstag wie diesem (dreimal foetor ex ore, lateinisch für Mundgeruch) trage ich ihn kein zweites Mal.

Es klingelt. Der automatische Türöffner ist abgestellt, die Peters noch in Weiß, sie öffnet, vor der Tür ein großer Herr.

Lassen Sie uns die Zeit anhalten. Für mich hängt alles vom ersten Augenblick, vom allerersten Eindruck ab: Innerhalb der nächsten Sekunden werde ich den Entschluss fassen, mich dieses Mannes zu bemächtigen oder nicht.

Wenn auch in diesem speziellen Fall der aktuell bestehende Mangel meine Reizschwelle senken dürfte, der Liebesmangel.

Der Fremde ist groß, annähernd einen Meter neunzig. Einzelheiten des Körperbaus entziehen sich, er trägt Mantel, Kamelhaar oder Kaschmirwolle, sandfarben. Seine Schultern hängen, nicht viel, aber ausreichend, um zu erkennen, die Rückenmuskulatur ist schwächlich, bestenfalls trainiert er unregelmäßig. Arme kurz. Den Kopf hält er gesenkt, sucht mit großen, wässrigen Augen meinen Blick. Sexueller Mangel auch bei ihm. Glauben Sie mir, ich sehe das.

Die Lippen leicht geöffnet und feucht, wahrscheinlich Allergiker, er atmet durch den Mund.

Kopfhaar ausreichend vorhanden, unvollständig geordnet (draußen stürmt es). Haarfarbe und Mantel harmonieren.

Senfgelber Schal, mittelbraune, kürzlich polierte Budapester, Größe vierundvierzig oder fünfundvierzig.

Das Doppelkinn unvollständig verborgen unter Kragen und Schal.

Für einmal will ich wohlwollend sein: Nicht zwingend korreliert Bindegewebsschwäche mit sexuellem Unvermögen. Trotz schwimmender Augen, hängender Unterlippe, im vorliegenden Fall ist eine Libido erwartbar, mir sind schon Fälle begegnet von umgekehrter Korrelation, von außerordentlicher sexueller Performance bei schwächlicher Konstitution. Er trägt um den Hals ein Schild, Fickbar! Fuckable!, außerdem in Türkisch und Suaheli und wer weiß in welchen Sprachen noch.

Drei Sekunden sind vergangen, vielleicht fünf. In Gedanken Geschlechtsverkehr gehabt, den Gedanken vermessen, ob er zum Liebeswunsch taugt.

Der Fremde: Guten Abend.

Sein Name sei Rübesam, den Sohn wolle er anmelden, der habe krumme Zähne, fünf Jahre alt, ob etwas frei sei, am liebsten schon kommende Woche.

Dysfunktionelle Stimme, nicht unähnlich einem Eunuchen, reizvoll unstimmiges Bild, hier erbarmungswürdig, dort saftstrotzend.

Er zieht seinen Mantel aus, legt ihn über den Arm, ist mürbe an Brust, Bauch und Hintern, jeder Versuch, dies zu verbergen, unterbleibt, eine Authentizität, die mich sexuell entzündet, ungleich heftiger als Perfektion.

Die Peters beugt sich unter die Rezeption, startet erneut den Rechner.

Zwei, drei Termine sind noch frei nächste Woche, sagt sie, sie spricht durch die Nase.

Sie sagt: Wenn es recht ist, stelle ich ein paar Fragen.

Ich schweige, nehme den Kittel vom Boden.

Die Peters fragt: Wohnhaft auf der Insel?, und trommelt mit den Fingern.

Rübesam antwortet: Im Ferienhaus.

Und sonst?

In der Hauptstadt.

Beruf?

Eigentlich Ingenieur. Jetzt Manager.

Er sieht mich an.

Die Peters fragt: Gibt es eine Frau Rübesam?

Da zögert er, verbreitete Angewohnheit unter Ehebrechern, als materialisiere sich die Gattin erst im Moment ihrer Erwähnung, dann nennt er doch den Namen, das Kind ein kleiner Freiherr, Rübesam dem Muttertitel angehängt.

Wir werden uns erlauben, den Fragebogen zur Krankengeschichte vorab zu mailen, umgekehrt bitten wir um die Übersendung etwaiger Röntgenbilder, sagt die Peters, noch immer stocksteif.

Rübesam nickt, die Alte geht auf Terminsuche.

Wir könnten am Montag, 13.30 Uhr, sagt sie.

Für Montag der erste Eintrag.

Dann käme das Kind mit meiner Frau, sagt Rübesam, obwohl.

Obwohl?, wiederhole ich, mein erstes Wort.

Grundsätzlich bevorzuge ich im Umgang mit Männern ein Muster aus Anziehung und Zurückweisung, von beiden die Zurückweisung zweifelsohne dasjenige Element mit der stärker erotisierenden Wirkung.

Meine Bemühung um Distanz bei aller Schroffheit vergeblich, auch ich trage das Schild, Fickbar! Fuckable!, die Lust hat ein Gesicht. Obwohl, sagt Rübesam, er habe dem Kleinen versprochen mitzukommen.

Ich sage: Es ist immer von Vorteil, beide Eltern kennenzulernen, die meisten Gesichtsmerkmale sind erblich.

Rübesam hängt an meinem Mund, der ist rot geschminkt. Er lächelt. Richtig, sagt er, die Zähne habe der Junior von ihm.

Auf meiner Wange ein winziger Tropfen Spucke.

Rübesam rollt die feuchten Lippen ein, schluckt.

Die Peters druckt einen Terminzettel, überreicht ihn, Rübesam dankt, zurück in seinen Mantel, muss an mir vorüber. Sagt Pardon, berührt meine Hand, nickt, geht aufrechter durch die Tür als gekommen, Eros aus seinem Ei geschlüpft, am Rücken zwei winzige goldene Flügel. Dann ist er fort.

Ich hebe die Hand, betrachte sie. Dort, wo Rübesam mich gestreift hat, frisst sich ein kleines Feuer durch die Haut.

Im Raum der Geruch von nassem Mann und etwas anderem.

Lustig, sagt die Peters, der roch wie Ihr Gatte.

Die nervliche Verschaltung von Geruchssinn und Triebverhalten könnte dem Liebesobjekt zum Vorteil gereichen. Im vorliegenden Fall tut sie es nicht, von den Sinneszellen meiner Nase neuronales Querfeuer zur eigentlichen Absicht. Jemandem den Schwanz zu lutschen, der den gleichen Duft trägt wie mein Mann, könnte zum Debakel werden.

Lustig, sagt die Peters, der hatte gar keinen Ehering.

Begibt sich unter die Rezeption, schaltet zum zweiten Mal den Rechner aus, für heute ihre letzten Worte.

Ich senke die schmucklose Hand. Mein Ring zu Hause hinter den Tampons im Badezimmerschrank, gelegentlich hole ich ihn hervor, manchen Männern gefällt es, die Frau eines anderen zu vögeln.

Das Dorf im Osten der Insel. Der Sandstrand einige Meter breit, statt eines Meeres schwarzer Schlick. Niedrige, reetgedeckte Häuser, manche vierhundert Jahre alt, die Menschen gebeugt, ausgenommen jene, die in den letzten Jahrzehnten zugezogen sind.

Ich bin einen Meter vierundsiebzig.

Das Haus ist von Wasser umgeben. Eine kleine Landzunge, darauf die Warft, bei Hochwasser steht die Flut im Garten. Dann leckt sie am Rasen, fließt in die Kaninchenbaue, die Hasen warten auf unserer Schwelle, bis wieder Ebbe ist. Es sind zehn oder zwölf, eine graue Sippschaft und eine schwarze.

Mein Mann ist pensioniert, Analytiker im Ruhestand, Freudianer.

Im Ruhestand auch sein Glied.

Er heißt Hovard, altnordisch Ho für Heim, Vard für Beschützer.

Ich heiße Judith, mein Schoß, wie Judiths in der Bibel, ist trocken geblieben.

Statt mich zu vögeln, ist Hovard mein Deichgraf, Schutzherr unserer Halbinsel, sie gegen die Flut zu verteidigen, das Haus gegen das Salz, füllt seine Tage. Das Salz verschlingt Dach, Balken und uns, besonders gefräßig ist der Ostwind.

Trotz Fäulnis und Moder: Wir sind reich, die Insel hat einen Ruf, das verfallende Walfängerhaus auf der Landzunge ist ein Vermögen wert, regelmäßig treffen Kaufanfragen ein, man bietet uns Millionen, obwohl der Tag, an dem die Sturmflut es in Besitz nehmen wird, nicht fern sein dürfte. Im Flur gekreuzt die Kiefer eines Schweinswals, vor Jahren in unserem Garten gestrandet, von Hovard grob zerlegt und entbeint, darunter eine Landkarte, 1654. Damals, was heute unser Grund und Boden ist, Hunderte Meter hinter der Küste.

17.30 Uhr an einem kalten Freitag Ende Januar. Für gewöhnlich hat Hovard das Licht gelöscht, in die vereiste Scheibe einen Ausguck gekratzt, Platz genommen in seinem Sessel, Fernglas auf das Watt gerichtet. Die da leben: Austernfischer, Säbelschnäbler, das Möbel ist aus rotem Samt.

Mein Mann ist aufgewühlt, Grund ist ein Eisberg, der alle zwölf Stunden von der Tide versetzt wird, mit jedem Hub, jeder Böe, einige Meter näher an unser Gartentor. Der Wind kommt seit Weihnachten von Ost.

Ein kleiner Parkplatz neben der Praxis. Von einer Funzel beleuchtet, statt Asphalt Eisbahn, der Hausmeister hat vergessen zu streuen oder hat schon Wochenende.

Außer meinem Wagen (Porsche) noch ein anderer (Porsche, das neuere Modell). Der Fahrer sitzt im Dunkeln, das Glimmen einer Zigarette, aus dem geöffneten Fenster quillt Rauch, den der Wind mitreißt.

Einen Fuß vor den anderen, ich rutsche, grätsche, die Tasche schlägt zuerst auf, dann die Hüfte.

Die Tür der Karosse schwingt auf, irgendein Mechanismus, der dem Scharnier zu Geräuschlosigkeit verhilft, in wenigen Schritten ist der Fahrer bei mir. Wirft seine Zigarette fort, geht in die Knie.

Sind Sie verletzt?, fragt Rübesam.

Ich schüttele den Kopf, will auf und kann nicht, der rechte Absatz im Mantelsaum verhakt, Rübesam löst ihn, fasst mich am Arm. Sein eigener kamelhaarfarbener Schoß schleift im grauschwarzen Schnee.

Wir stehen.

Meine Hüfte, sage ich.

So dürfen Sie nicht fahren, sagt Rübesam.

Lässt mich nicht los. Führt mich an seine Beifahrertür, öffnet, legt die Hand auf meinen Scheitel (nachgefärbt in zweiwöchentlichen Intervallen, den vernichtenden Niederschlag von Grau auf die sexuelle Attraktion brauchen wir nicht zu erörtern, biologische Entsprechungen gibt es zahlreich, den Verlust der Pracht eines Fells, Gefieders oder Geweihs), er sagt: Vorsicht, tiefergelegt.

Schirmt meinen Kopf, bis ich sitze.

Umrundet den Wagen, windet sich hinein, der Mann zu schwer, zu weich, fließt in den Sitz, knöpft den Mantel auf, im Auto unter dem Himmel blaue Schwaden. Er stößt die Luft aus, zu jeder Bewegung ein Laut, wendet mir das Gesicht zu, alles darin glänzt, Lippen, Nase, Augen, ein wenig hängt das rechte Lid.

Keine Minute darf man Sie allein lassen, sagt er, eine Bevormundung, die ich nicht übelnehme, sondern mir erkläre als Teil des Balzverhaltens.

Stört es, wenn ich ein Fenster öffne?, frage ich.

Auf der Mittelkonsole eine Zigarettenschachtel, die legt Rübesam über meinen Schoß hinweg ins Handschuhfach.

Ich betätige den Fensterheber.

Ganz schön streng, sagt er und betrachtet mich, noch immer über die Mitte gebeugt. Sein Gesicht jetzt sehr nah.

Ich muss mich auf etwas gefasst machen, sagt er, richtet sich auf, startet den Motor.

Er sagt: Ich bringe Sie nach Hause.

Ihn vögeln oder nicht. Zwei Kreaturen, die in mir ringen, mich Tag für Tag in Stücke reißen. Die eine Tier, von Alters her wild und schön, bereit, sich selbst zu zerstören, ihr Genital dem starken Körper aufgepflanzt gleich einem Prunkstück.

Die andere entwicklungsgeschichtlich jung, klar und kühl, dem weiblichen Verstand unterworfen, das Genital in Rückbildung begriffen zugunsten des Großhirns.

Auch wenn das Tier triumphiert: Es ist wählerisch. Von den verfügbaren Kandidaten wird die Hälfte ausgemustert. Dann jedoch wird die einmal gefällte Entscheidung für oder wider den Beischlaf unumkehrbar sein.

Im Innenraum des Wagens die Gemengelage von Tabak und Hovard-Parfum und etwas Drittem: Rübesam schwitzt aphrodisisch mit dem Duft frischen Spermas.

Plötzlich eine an Euphorie grenzende Vorfreude, Vorwegnahme des grenzüberschreitenden Geschlechtsverkehrs mit einem Fremden, der Vorahnung des Scheiterns zum Trotz. Kurz lege ich die Hand auf Rübesams und sage: Danke, sehr liebenswürdig.

Körpereigene Opioide aus dem Hypothalamus fluten mein Blut, der hormonelle Rückweg verschlossen bis zum Zeitpunkt der Vereinigung.

Ich bin Erik, sagt Rübesam, und zu Hause wäre wo?

Ich bin Judith, sage ich, ich wohne in K., und mein Mann wartet schon.

Sie fragen sich, warum ich meinen Mann erwähne. Gerade jetzt.

Ich frage Sie: wann sonst?

Die Nymphomanin ist keine Lügnerin, im Gegenteil. Sie fühlt sich der Wahrheit verpflichtet, dies gilt für beide Seiten, den Gatten und den Liebhaber.

Hovard weiß um jeden einzelnen. Nicht wenige kennt er persönlich, ich habe sie mit nach Hause gebracht. Manche älter als er (zweiundsiebzig), dann gibt er seiner Freude Ausdruck, der Junior zu sein.

Erik ist Mitte vierzig.

Dass sie jünger sind, kommt jetzt öfter vor, da relativ zu mir ihre Zahl zunimmt, während umgekehrt die Alten impotent werden oder aussterben.

Die Straße wird schmaler, faulige Wiesen saugen das Licht ab. Alle fünfzig Meter ein vom Wind gebeugter Stamm.

Ein Bauernhof, die Stalltür steht offen. Am Abend brüllen die Kühe, ihre Euter zum Bersten voll, sie brüllen nach ihren Kälbern, jedenfalls nach dem Melkroboter.

Weiter hinten beginnt der Horizont. Auflaufendes Wasser.

Ich dirigiere Erik durch das Dorf. Hier und dort ein Licht, die Fenster klein, spinnwebfeine Vorhänge, die Frauen häkeln sie noch selbst.

Erik erzählt. Hier haben seine Frau und er sich auch etwas angesehen, aber dann sei es der Freifrau zu einsam gewesen. Und für das Kind gebe es keinen Spielplatz.

Ich antworte: Ihre Frau hatte recht. Es ist einsam. Aber der Spielplatz ist der Strand.

Erik nickt. Die Freifrau und er seien nicht immer einer Meinung.

Meinerseits bedarf es keiner Worte, während Erik seine Gattin desavouiert.

Ein für unser Vorhaben unverzichtbarer Vorgang.

Unterdessen haben wir vor unserer Pforte gehalten. Weiß lackiert, zwischen runden Findlingen, auf den Wällen eine feste Grasnarbe. Der Ostwind trägt Gischt auf die Windschutzscheibe.

Ohne mich anzusehen, fragt Erik, ob ich Kinder habe. Obwohl er die Antwort schon kennt.

Ich schüttele den Kopf und weiß, dass er, der Ehebrecher, meine Antwort begrüßt.

Dies aus zwei Gründen:

Ein weiblicher Körper, der nicht geboren hat, kommt dem Ideal der Jungfräulichkeit näher, selbst wenn es sich um eine alternde Frau handelt.

Eine kinderlose Geliebte ist verfügbarer als eine Mutter.

Erik hat den Motor abgestellt. Am Tor erscheint Hovard, trägt Strickjacke, hat den Sturm im Rücken, wie ein Kragen die am Hinterkopf verbliebenen Strähnen. Tritt durch die Pforte, richtet seine Brille, verschränkt die Arme.

Sein Abschiedsküsschen und gleichzeitig unser erstes platziert Erik an meinem Mundwinkel, was an der Dunkelheit liegen kann, wahrscheinlich jedoch nicht, da öffnet Hovard die Beifahrertür. Irgendwie vom Tor zum Wagen gekommen, er nimmt meine Tasche, hilft mir aus dem Wagen, nickt Erik zu. Alles mit Erhabenheit, auch wenn der Sturm an ihm reißt und anderes noch. Wirft die Tür zu.

Ich winke, Erik winkt, der Wagen rollt davon.

Ein Patientenvater!, übertöne ich das Heulen, und dass mein Porsche nicht habe anspringen wollen!

Die Pforte schlägt auf und zu.

Hovard, für einen Moment im Windschatten der Westmauer: Ich bringe dich Montag zur Praxis. Dann sehe ich mir das Auto an.

Küsst mich auf die andere Wange, die unbenutzte.

Er ist nicht schön, Ohren groß, Nase spitz, der Mund Ringmuskel, dem die Lippen abhandengekommen sind.

Spreizt die Nüstern, eine Bewegung knapp über der Wahrnehmungsschwelle, und: Lass uns noch mal ums Haus gehen, ich muss dir etwas zeigen.

Grundsätzlich ist Hovard das Ausmaß meiner Promiskuität bekannt, er ist bemüht, ihr mit Gefasstheit zu begegnen, sich Seelenruhe durch Aussicht auf die Freiheit von Leidenschaften zu beschaffen, nicht anders zu erlangen als durch Gefühlsabschaffung.

Wir pflegen einen kultivierten Umgang, aber nicht immer gelingt sein Bemühen um Selbstformung. Im Versagensfall kann ihn eine Unruhe befallen, wenn ein Ärgernis seinen Sinnen Schärfe verleiht, dann offenbart er eine Empfindsamkeit, die im Normalzustand auf seinem Sessel am Fenster nicht zu erahnen ist. Insbesondere, wenn ich rieche, zum Beispiel hier und jetzt nach Nikotin.

Ein Raucher also!, ruft Hovard.

Ich folge ihm in den Sturm, Wind und Gischt tragen den Erik-Geruch davon.

Wir drücken uns entlang der Hauswand, weißer Putz, unter den Füßen glattgetretener Stein. Hovard ruft, die Hände zum Trichter: Jahrhundertelang trug der Weg den Walfänger ins Heim, nach einem Jahr auf rauer See zurück in die Stube, wo in der Wiege ein neues Kind schlief, vielleicht sein Blut, vielleicht auch nicht!

Das sagt er nicht von ungefähr, wie er grundsätzlich nichts von ungefähr sagt.

Wir stehen an der Veranda, verwitterte Eichenrahmen, Gläser geschliffen, Anbau von 1890, als man den Walfang industrialisierte und die Dörfler Muschelfischer wurden oder Künstler. Das Haus fiel an einen Maler, Impressionist, Pointillist, wie ich muss er die Einsamkeit geliebt haben, anders ist die Insel nicht zu ertragen. Muss wie ich das Abendlicht geliebt haben und die Männer, in meinem Schlafzimmer getupfte Sonnenuntergänge über dem Meer, schmalhüftige Gestalten am Strand im Spiel. Der empfindsame Eigentümer und Architekt des unzeitgemäßen Glasanbaus blieb unverheiratet, entsprechende Einträge finden sich im Gemeindebuch. Die Grundschuld ungetilgt, kein Fischer kauft schwule Kunst, dazu der ruinöse Bedarf an Kohle, so undicht war die Veranda und ist es noch heute, wie immer sich Hovard müht, die Fugen abzudichten, bei Sturm aus Ost flackern im Innern die Kerzen.

Seitlich der Fensterfront eine Glastür, Ornamente von Lilien gleich verschlungenen Körpern.

Hovard hat meine Hand genommen, zieht mich in den Garten, wir versinken im Morast, der Rasen in jämmerlichem Zustand, der Grund der Warft vollgesogen mit Salzwasser.

Eine andere Pforte trennt das Grundstück vom Strand, bis hier schlagen die Wellen. Wir bleiben stehen, Hände an die Ohren gepresst, in der Dunkelheit leuchtet der Sand, wenn das Wasser zurückrollt. Auch der Eisberg scheint zu leuchten, im Innern blaues Licht. Zwischen den Dornen der Heckenrose Seegras und Muscheln, nach Abflauen des Sturmes wird Hovard sie aus den Zweigen klauben.

Ist das schon der Scheitelpunkt?, rufe ich.

Hovard schüttelt den Kopf, der Wind trägt seine Worte fort, ich glaube zu hören: Mitternacht.

Hier beginnen unsere Abendspaziergänge, den Strand entlang bis zum nächsten Dorf, heute steht, wo wir sonst gehen, das Eiswasser knietief. Wir kehren um.

Auf der Schwelle vor der Terrassentür Kaninchen, links die grauen, rechts die schwarzen. Teilen sich die Warft, unterhöhlen die ohnehin schwindende Scholle, ohne Feinde auf der Insel, noch hat kein Fuchs den Weg vom Festland gefunden.

Hovard schließt auf. Um durch die Eingangstür zu treten, muss er sich bücken. Nimmt den Südwester vom Kopf, das wenige Haar von der Farbe alter Schokolade, elektrisch aufgeladen, stiebt in alle Richtungen, dagegen spannungsarm die Hovard-Seele, zumindest behauptet er das, obschon Seele ein Begriff ist, den er ablehnt, die Psychoanalyse verwendet Persönlichkeit.

Er hängt die Öljacke an den Garderobenhaken, fährt sich über den Schopf, steigt aus den Gummistiefeln (gelb wie Mütze und Joppe), stellt sie auf die Schuhablage, geht in die Stube. Vornübergebeugt, die Schwerkraft zieht am hohen Schädel.

Ich hänge den Pelz auf, Lamm geschoren, ein altes Stück, dieser Tage heißt es Vintage, an den Füßen ebenfalls Lamm. Der Umgang mit Fellen auf einer Insel ist dem Pragmatismus geschuldet, zuerst kommt der Mensch, dann das Tier. Darunter Jeans, slimfit, rote Bluse, schwarze Wäsche, Körbchengröße A, kleiner ist nicht zu haben.

Brüste bestehen aus Fett. Mein Körperfettanteil: fünfzehn Prozent. Gesunde junge Frauen: fünfundzwanzig. Im Klimakterium: fünfunddreißig. Was soll sich in meinen Titten befinden. Frauen meiner Statur (lang und schmal und weiß) haben keine.

BH gepolstert, biologisch zwingend, warum, will ich erläutern, so oder ähnlich hundertfach erlebt: erstes Abendessen der libidinös veranlagten Frau mit Quasi-Unbekanntem. Im Anschluss, an die Hauswand gelehnt oder im Auto, Geküsse. Seine Zunge Schwanz in Miniaturform, mein Mund heiße, feuchte Stellvertretermöse. Vorweggenommener Geschlechtsakt, Hände auf Arsch und Titten, manche fühlen nach der Pussy.

Tastbefund meiner Brüste: negativ. Verschwindende Prominenz nivelliert vom Gewebe der Oberbekleidung.

Die vollständige Abwesenheit von Titten irritiert. Selbst die Liebhaber knabenhaften Wuchses sind angewiesen auf die Illusion einer weiblichen Brust.

Darum das Polster, zwei, drei Zentimeter mehr, und der männliche Sexus ist bedient.

Ich bin Feministin, ich bin stolz, aber was nützt das, wenn ich Lust habe, einen Schwanz zu lutschen.

Wohnraum und Küche derselbe Raum. So üblich bei den Friesen, Wärme ist kostbar, im Winter stand früher die Kuh in der Stube. Quer durch das Zimmer am Boden die Mistrinne.

Hovard hat den Kühlschrank geöffnet.

Er sagt: Ein Glas Riesling auf den Schreck.

Auf welchen Schreck, lässt er offen, den angeheirateten Freiherrn oder den Eisberg.

Entkorkt die Flasche, Oberarme sehnig, schnüffelt, schenkt ein. Ich betrachte seinen Arsch, flach geworden, ob die Eier wohl noch da sind.

An seinem Hemd eine Fluse, die zupfe ich ab, lasse die Hand sinken, streife wie versehentlich den nicht vorhandenen Hintern.

Er verkostet. Und gegen den Kühlschrank gelehnt: Fick ihn nicht, den Raucher. Ich hab kein gutes Gefühl.

Wir duschen und schlafen getrennt. Mein Bereich geht nach Süden. Das Reetdach reicht über das Fenster, nur wenn er tief steht wie jetzt, ist der Mond zu sehen. In dieser Nacht dreiviertelvoll.

Ich lasse die Lampe ausgeschaltet, entkleide mich, an der Wand mein fadenscheiniger Schatten.

Im Bad brennt die Deckenlampe aus Marokko, das Leuchten der LED gebrochen in tausend Farben. Geschenk eines Maghrebiners, um den es hier nicht gehen soll, vielleicht in einer anderen Geschichte.

Die Frau im Spiegel ist bleich. Ihre Fragilität elementar. Gleichwohl ist sie in der Lage, sich mit Vehemenz an ihre Liebhaber zu werfen, als vervielfache eine geheimnisvolle Zentrifugalkraft die Masse ihres Körpers.

Groß und blond und mittelgescheitelt, das Haar am Hinterkopf verknotet, wenn sie Zähne flickt. Es ist zu fein, da kann auch ihr Friseur nicht helfen. Der ist ein junger Typ mit Pferdeschwanz, wenn er sein Schwämmchen eintunkt, riecht es nach Erde. Er drückt es auf ihren Scheitel, Farbton young blond, dabei streift er ihre Brüste. Unter der Wärmehaube beschließt sie, mit ihm zu schlafen.

Die Haut: zu hell, zu viele Muttermale, das größte an der linken Brust hat sie entfernen lassen. Dem entspross ein Borstenbüschel, eine Grässlichkeit, deren evolutionärer Sinn sich ihr in keiner Weise erschließt (überhaupt stellt sich die Frage des biologischen Nutzens der Hässlichkeit).

Züge annähernd symmetrisch, Leberfleck auf der rechten Wange, borstenfrei.

Ihr Gesicht ist klein, alles darin zu groß, Augen, Nase, Mund und Zähne, Männer sind gerührt, man wolle sie immerzu ansehen, die kleine Visage der fehlerhaften Proportionen, und küssen.

Dort, wo sie lebt, ist es kalt, Jahresmitteltemperatur acht Grad. Würde die Sonne scheinen, hätte sie Sommersprossen.

Die Brüste niemals fest gewesen. In einem Roman liest sie von festen Brüsten und weiß nicht, wie sie sich diese vorstellen soll. Wie Melonen?

Ihr sind zwei reife Beeren gewachsen.

Keine Hängetitten, Minititten können nicht hängen, Mastoptosis (medizinische Hängetitteneinheit) Grad null – Nippel weit oberhalb der Unterbrustfalte. Trotz runder, rosaroter, reizbarer Warzen die Brüste an ihr das Armseligste, die kleinste Männerhand füllen sie nicht aus.

Ihr Bauch will sich runden, als drängten mit jedem Jahr Verdauungsapparat und Gebärmaschine nach unten und vorn. Das Bindegewebe hört zu binden auf.

Was dem Arsch widerfährt, ist nicht weniger beschämend, einst rund und seitlich konkav, ohne Falte, ohne Überhang, jetzt das vergänglichste aller Einzelwesen. Will ihr zergehen, zerfließender Polyp, an Breite zunehmend, lichter Höhe abnehmend, als verwese er bei lebendigem Leibe.

Sie rennt dagegen an, nach Leibeskräften den Strand entlang.

Mit ihrer Pussy ist sie beschenkt, fleischiger Kelch, zur Bestäubung an Nektar und Pollen gelangt nur ein kräftiger Rüssel.

Länge der Beine aus dem Rahmen gefallen, über den Knien die Haut im Begriff zu erschlaffen.

Falls Sie neugierig geworden sind, männlich und im geschlechtsreifen Alter: Ihre E-Mail an die Praxis, bitte.

Das Walfängerhaus ursprünglich ein einziger Raum für Mensch und Vieh, Kojen an die Wände gezimmert. 1910 teilte der Impressionist ein Schlafzimmer ab, möglicherweise außerstande, in Gegenwart seiner Bilder zu ficken. Grundsätzliche Eigenschaft von Männern: dass ihnen Dinge heiliger sind als Menschen.

Nach dem Kauf baute Hovard an, die Bauvorschriften sind streng, genehmigt wurden ein kleines Zimmer, zwei winzige Bäder.

Die Wanne ist kurz, ich bade im Sitzen, den Kopf auf der Umrandung. Und denke an Erik.

Schön ist er nicht. Aber gepflegt. Gepflegt ist wichtiger als schön. Er wird gut riechen, da bin ich sicher, sein Mund wird mir schmecken.

Für die Nymphomanin oberstes Gebot: rituelle Reinheit von Hautfalten, Körperöffnungen und -höhlen.

Vor dem Geschlechtsverkehr die große Waschung, an der fremden Haut allenfalls ein schwacher Männerduft, molekulare Mengen von Pheromonen, unerträglich: Ausscheidungsprodukte. Ein einziges Fäkalatom, und ich fliehe.

Anders ist es während des Aktes: alle weiteren Körperflüssigkeiten zugelassen.

Diese Überlegungen stelle ich an, als Hovard ins Badezimmer kommt. Er klopft nicht an, das hält er für sein Hausrecht.

Bringt in einem bauchigen Glas den Riesling.

Aus dem Elsass, sagt er.

Der Wannenrand ein kleiner, gemauerter Absatz, darauf kommt der Wein und auch Hovard. Sieht meine Nacktheit und sieht sie nicht.

Eigentlich möchte ich verstummen, kreuze die Arme über der Brust.

Gleichwohl wird aus Gründen des Fortbestands unserer Ehe ein diplomatischer Verkehr, kein sexueller, aufrechterhalten.

Hovards Stimmlippen belegt, mehrmaliges Räuspern, dann hat er sich warmgeredet, grundsätzlich mangelt es ihm tagsüber an Gesprächspartnern. Er erzählt von seinem Tag, welche Fliesen er ausgebessert, bei welchem Trödler er Ersatz gefunden hat für den verrosteten Türbeschlag, wie es aussieht auf unserem Konto und mit der Altersversorgung.

Mit dem kalkulierenden Hovard vor Augen kommt mir Erik abhanden, zerfließt zwischen meinen Schenkeln.

Hovard reicht mir das Glas. Um es zu nehmen, muss ich die rechte Brust entblößen respektive denjenigen Abschnitt des Brustkorbs, dem sie anhaften sollte.

Ob sich der Tittenmangel Hovard erschließt, vermag ich nicht zu beantworten. Gewöhnt man sich an Leerstellen? Ich glaube nicht. Schönheitsfehler bleiben Stachel im Fleisch, sogar Liebende sind von der Natur mit Urteilsvermögen beschenkt.

In einem Zug leere ich den Riesling.

Hovards Mängel sind offenkundig, sie quälen mich wie Ungeziefer, der turmhohe Schädel (hinter eckiger Stirn ein hochfunktionelles Frontalhirn), das spärliche Haar angeordnet nach Art eines Kränzchens, der schmutzig-graubraune Ton, an der Kuppe Restflaum derselben Farbe. Nase und Ohren lang, Augen hellblau, von wässriger Leuchtkraft, sie wären der einzige Reiz, hinge nicht das Unterlid, legte es nicht ein Geflecht hellroter Gefäße bloß.

Sie wissen, wovon ich spreche, was uns befällt im Angesicht von Hässlichkeit, impulsartiges Zurückweichen, vergleichbar der Abscheu vor einem wilden Tier, niederschwelliger zwar, aber dauerhaft nagend.

Seit einigen Jahren ist sein Bindegewebe schwach, auch die Muskulatur, das Glied nie anders als schwach gewesen. Die Natur verschwendet sich an Geist oder Körper, niemals an beide.

Er hat seine Rede beendet, das Badewasser ist kalt.

Die Standuhr in meinem Schlafzimmer schlägt elf.

Hovard erhebt sich: Mach die Kerzen aus, bitte.

Beugt sich hinab und sagt: Falls du noch wach bleibst, sieh nach dem Eisberg.

Küsst mich auf die Lippen, nimmt das Glas und ist fort.

Eigentlich ein guter Mann, auch wenn er mich nicht fickt. Er lässt mich mit anderen ficken.

23.33 Uhr. Ich habe die Kerzen ausgeblasen, stehe nackt am Fenster. Brüste, Schenkel halbgefroren, in meinem Rücken der Kamin, Hintern und Waden glühen.

Ich halte den rechten Arm gestreckt, wenn ich Daumen und Zeigefinger spreize, entspricht die Spanne der Höhe des Eisberges. Helles Türkis, jetzt, da es aufklart.

In einer halben Stunde wird die Flut den Scheitelpunkt erreichen.

Ich warte, Brustwarzen steif, die Wanduhr schlägt zwölf, noch einmal strecke ich den Arm aus. Um die Breite einer Fingerkuppe ragt der Eisberg über die Spitze meines Zeigefingers hinaus.