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Nr. 3071

 

Xirashos Tiefen

 

Atlan im System der verborgenen Welt – einer ungeheuren Verschwörung auf der Spur

 

Michelle Stern

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Kristallprinzessin

1. Unruhe

2. Unschärfen

3. Unholde

4. Unter den Wolken

5. Untiefen

6. Unausweichlich

7. Und noch tiefer

8. Unstern

9. Ungeheuer

Epilog

Leserkontaktseite

Risszeichnung Transmitternetz der Akonen – Etappenhof

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Er wurde vorwärts durch die Zeit katapultiert und findet sich in einem Umfeld, das nicht nur Terra vergessen zu haben scheint, sondern in dem eine sogenannte Datensintflut fast alle historischen Dokumente entwertet hat.

Nachdem er in der fernen Galaxis Ancaisin einen Weg fand, die sogenannte Zerozone zu betreten und womöglich eine Fährte Terras zu finden, begibt sich sein Raumschiff RAS TSCHUBAI ohne ihn auf den weiten Rückweg in die Milchstraße. Mit sich nimmt die Besatzung die Erkenntnis, dass die Cairaner, die sich als Herrscher der Heimatgalaxis aufspielen, nichts anderes sind als Flüchtlinge vor einer weitaus schrecklicheren Gefahr: den Phersunen und ihrer Schutzmacht, der »Kandidatin Phaatom«.

In der Milchstraße hat Atlan von einer angeblichen Enkelin erfahren. Bei seinem Versuch, sie aus den Händen von Entführern zu befreien, geht jedoch alles schief, und auch Gucky fällt in die Hände des Feindes. Auf der Suche nach den beiden Entführten verschlägt es Atlan in XIRASHOS TIEFEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Jasmyne da Ariga – Eine Kristallprinzessin wittert ein Geheimnis.

Atlan – Der Unsterbliche nimmt Witterung auf.

Ly und Genner – Zwei Tomopaten wittern das Geschäft ihres Lebens.

Timberlan – Der Swoon begibt sich in ein Unwetter.

Prolog

Kristallprinzessin

 

Ich träume. Oder erinnere ich mich? Mein Name ist Jasmyne da Ariga. Ich war die Tochter von Atlan da Gonozal, ehe ich erfuhr, dass ich seine Enkelin bin. Aber nun bin ich vor allem anderen eine Gefangene. Ich liege in einem Medotank, in einer Art Kapsel, und warte darauf, dass mein Großvater kommt, um mich zu retten.

Doch einem Teil von mir ist das nicht genug. Warum soll ich auf ihn warten? Was, wenn er sich die Mühe nicht macht? Er kennt mich nicht einmal! Warum sollte er sich erpressen lassen?

Ich muss mir selbst helfen. Wenn ich nicht bald an meinen Kristallkuss komme, bin ich ohnehin tot.

Meine Lider kleben zusammen, als wären sie verschmolzen. Ich brauche zwei, drei Versuche, dann öffnen sie sich. Mein Blick zeigt verschwommene Bilder. Ein Holo. Werte, die ich nicht zu fassen bekomme. Etwas piept unaufdringlich. Grün leuchtet auf.

In meiner Brust hämmert es gegen die Brustplatte. Mein Herzschlag, so ungeduldig und unglücklich wie ich. Ich will hier raus!

Im Traum, kurz vor dem Erwachen, irgendwo zwischen den Schreckensvisionen von berstendem Marmor, weiten, brennenden Räumen und zu Asche verwehenden Landschaften, habe ich etwas gesehen, das mir vielleicht helfen kann. War es wirklich im Traum gewesen? Es spielt keine Rolle. Nun, da ich wach bin, steht es mir deutlicher vor Augen als das Medoholo über mir.

Vor wenigen Tagen musste ich ein Spiel mit einem meiner Entführer spielen: dem Tomopaten Ly. Auf dem Weg in eine tiefere Ebene der Station, auf der sie mich festhalten, stand ich an einem Steuerholo. Auf die meisten Funktionen konnte ich nicht zugreifen, aber da war ein Symbol, das ich kannte. Etwas, das am Rand meines Gesichtsfelds da gewesen ist ... Auf einer Art Lageplan war es eingezeichnet: ein besonderes Gefährt, mit dem ich vielleicht von dieser Station fliehen könnte, hinaus in die Atmosphäre, die wohl zu einem Gasplaneten gehört.

Im Geist bin ich wieder in der Halle der schwebenden, grau schimmernden Hyperkristalle, schaue auf den Plan. Ich merke mir den Standort. Dorthin muss ich, wenn ich entkommen will.

Meine Sicht wird klarer. Die Werte haben sich verbessert. Meine Schwäche verläuft in Schüben, im Moment bin ich stabil. Mir bleiben wenige Tage, vielleicht bloß Stunden, meinen Plan umzusetzen: aus dieser Station zu entkommen. Im besten Fall fliege ich Atlan entgegen – in die Freiheit.

»Bist du wach?«

Es wird still unter meiner Brustplatte. Die Worte bringen meinen Herzschlag zum Erliegen, eine Sekunde, zwei ... dann stolpert mein Herz weiter, verstört wie ich.

Die Stimme gehört Ly, diesem Monster. Ich atme nicht mehr, lausche bloß noch hinaus. Panik steigt in mir auf. Er ist mir nah, viel zu nah, und ich kann weder sprechen noch mich bewegen.

»Komm schon, Prinzessin, ich weiß, dass du wach bist. Mir ist langweilig. Genner hat mir Gucky weggenommen. Lass uns ein wenig spielen.«

Gucky ... weggenommen?

Nein!

NEIN!

1.

Unruhe

Atlan da Gonozal

 

Über mir wehte ein weißer Vorhang, der mich an alte Landhäuser in Frankreich erinnerte. Ich lag auf einem runden, in dunkle Steine eingefassten Bett an einem Sandstrand, blickte über türkisgrüne Wellen. In der Ferne zog ein Schwarm Paradiesvögel über die Landschaft. Wäre im Raum ein leichter Wind gegangen, ich hätte mich ganz im Panoramaholo der winzigen Kabine an Bord der THORA verlieren können.

Der Strand lud dazu ein, aufzustehen, ein Dagorschwert in die Hand zu nehmen und ein paar Übungen zu machen. Leider würde ich in dem Fall gegen mindestens eine Wand laufen. Tief in mir wünschte ich, mich zu bewegen, mich abzulenken, um gegen die Unruhe anzukommen, die mich bei jedem Atemzug begleitete.

Kaery Evans schmiegte sich an mich, legte den Kopf auf meine Brust, um meinem Herzschlag zuzuhören. »Du denkst an Gucky, stimmt's?«

Ich wandte den Blick von der weitläufigen Hololandschaft ab. Auf dem Boden, dem vermeintlichen Strand, lagen unsere Bordkombinationen verteilt. »Die letzte halbe Tonta nicht«, gab ich zu. »Jedenfalls nicht direkt. Aber seit wir im Shiringsystem sind, habe ich sehr viel an ihn gedacht.«

Du hast mehr getan als das, warf mein Extrasinn ein.

Das stimmte. Immer wieder hatte ich in Gedanken Guckys Namen gerufen, seit wir mit der THORA im System um Sasar angekommen waren. Ich hoffte, dass er mich telepathisch hören könnte. Leider hatte es bisher keinen neuen Ausstoß an Nanosonden aus Guckys SERUN gegeben – und mein Freund antwortete mir nicht.

Vielleicht war der Ilt zu schwach, zu weit fort, unter einem Schutzschirm oder parageblendet. Oder ...

Nein.

Wahrscheinlich hatte man ihn medikamentös betäubt.

Je länger wir brauchten, Fortschritte zu machen, umso unausgeglichener wurde ich, doch weiterhin galt mein Vertrauen unserem Trackingsystem. Der Swoon Timberlan hatte es entwickelt, und ich glaubte an ihn. Mit seiner Hilfe würden wir Guckys Aufenthaltsort in Erfahrung bringen. Schließlich hatte es uns in dieses Sonnensystem geführt.

Das Trackingsystem ist in den SERUN integriert, erinnerte der Extrasinn. Vielleicht hat man Gucky seinen SERUN abgenommen und diesen vernichtet.

»Schwarzseher!«, murmelte ich.

»Bitte?« Evans zog sich ein Stück von mir zurück. Ihre langen, schwarzen Haare umflossen das dunkle Gesicht.

Sie hatte interessante Züge, war keine Schönheit im eigentlichen Sinn und faszinierte mich dennoch ungemein. Ein wenig erinnerte sie mich an Florence Hornigold, die Kapitänin der WOODES ROGERS. Selten hatte ich so viel Energie und Willenskraft in einer Person erlebt.

»Ich meinte meinen Extrasinn«, antwortete ich.

»Oh. Verstehe. Es muss merkwürdig sein, einen zu haben.«

»Man gewöhnt sich daran.«

»So wie an gefährliche Einsätze? Wie war das überhaupt mit den Tomopaten auf Sisden? Ich meine ... wie sind sie?«

»Anders als die Wesen, die ich sonst kenne. Viele Lebewesen lassen sich von Gier leiten. Von ihrem Vorteil. Sie haben Antriebsgründe, die ich zwar nicht gutheiße, aber nachvollziehen kann. Die Tomopaten dagegen sind wie eine Holodatei, zu der man das Passwort vergessen hat und es auch nicht zurücksetzen kann. Dazu kommen ihre ungewöhnlichen Fähigkeiten. Sie können ihre Tentakel auf vielfältige Weise einsetzen, was sie gefährlich wie einen Haluter macht.«

Nachdenklich berührte Evans meine weißen Haare. Sie nahm eine Strähne zwischen zwei Finger, ließ sie wieder los. »Du bist also hinter ihnen und Gucky hergejagt, sobald du wusstest, wo das Ziel der WANN BLÜHT VERTRAUEN? liegt. Und nun hast du sie verloren?«

»Wir haben das Raumschiff nicht verloren. Aber Gucky ist nicht mehr an Bord. Es gab einen Ausstoß an Nanosonden, kurzzeitig. Er kam quasi aus dem Nichts, irgendwo im System. Sie müssen ihn an einen anderen Ort gebracht haben, und noch wissen wir nicht, wohin.«

Im Stillen bedauerte ich, dass wir mit der THORA geflogen waren. Das Schiff war offiziell in diplomatischer Mission unterwegs, und Kommandant Holger Bendisson hatte nicht ganz zu Unrecht angegeben, die THORA folge darüber hinaus einer Spur der Attentäter, die das Chaos auf Sisden angerichtet hatten, bei dem vier Zuhörer gestorben und über fünfzig leicht bis schwer verletzt worden waren. Deshalb hatten wir uns ausgebeten, unsere Ankunft nicht publik zu machen.

Doch die THORA war kein unauffälliges Schiff. Ihr Aufkreuzen konnte die Tomopaten warnen und sie vielleicht dazu bringen, ihre Pläne zu ändern. Zumindest war meine Anwesenheit nicht öffentlich bekannt.

Evans rückte ein Stück von mir ab. »Glaubst du, sie haben Gucky ins Weißwerk gebracht?«

Weißwerk nannten die Asaran die Siedlungen der Cairaner. Auf der Welt Sasar ganz in unserer Nähe gab es eine große, vorwiegend in Weiß gehaltene Stadt, in der sich der Friedensbund niedergelassen hatte.

»Ich zweifle daran, dass die Tomopaten Gucky dorthin gebracht haben. Beim Angriff auf Sisden war auch ein cairanischer Wissenschaftler unter den Opfern. Würden die Tomopaten wirklich für die Cairaner arbeiten, warum hätten sie dann den Tod von Cairanern in Kauf nehmen sollen?«

Eines Cairaners, korrigierte der Extrasinn. Es kann schlicht ein dummer Fehler gewesen sein. Er war womöglich ... unerwünscht. Oder es hat sie nicht interessiert. Wie du ganz richtig festgestellt hast, ist es schwer, dem Handeln von Tomopaten mit Logik beizukommen.

Evans rollte sich auf den Rücken. »Dann meinst du, sie arbeiten für jemand anderen?«

»Du stellst viele Fragen.«

»Und du lernst deine Mitarbeiter gern ziemlich gründlich kennen. Als ich die Information bekommen habe, dass du mich treffen willst, weil ich dich vielleicht demnächst in meiner Jet kutschieren darf, habe ich mit anderem gerechnet.«

Ich lächelte. »Eigentlich wollte ich dich wirklich nur kennenlernen. Du hast mich überraschend in deine Kabine gelockt und bist über mich hergefallen.«

»Ich habe keinen nennenswerten Widerstand gespürt.«

»Touché.«

Mein Multifunktionsgerät gab endlich das feine Summen von sich, das ich seit Stunden hören wollte: Holger Bendisson meldete sich aus der Zentrale.

»Ohne Bild senden!«, forderte ich.

Über dem Armbandgerät erschien das Gesicht des blonden Kommandanten. Wie immer lächelte er, doch dieses Mal wirkte es herzlicher als sonst, als hätte er gute Neuigkeiten. »Atlan? Wo steckst du?«

»Ist mein Aufenthaltsort relevant?«

»Nein.« Der Kommandant wirkte irritiert. »Sind das galermische Paradiesvogelschreie?«

Evans schaltete den Ton in der Kabine ab.

»Wie auch immer ...« Bendisson machte eine kurze Pause, als müsste er sich sammeln. »Wir haben endlich ein neues Signal. Es kommt vom Gasplaneten – aus Xirashos Tiefen.«

»Ich bin auf dem Weg! Informier das Team. Wir besprechen alles Weitere in der Zentrale!«

Bendisson nickte. Er wirkte abgelenkt. Ob er noch über die Vogelschreie grübelte? »Bis gleich.«

 

*

 

In der Hauptzentrale zeigte die vierzehn Meter durchmessende Holoprojektion das System, in das wir gereist waren: Um eine orangefarbene, etwa Sol-große Sonne kreisten sieben Planeten. Der dritte und der vierte waren in der habitablen Zone: Sasar und Hidren. Das gesamte System lag oberhalb der Northside an der Grenze zum Halo und war damit weit näher an M 13 als am Solsystem. Zu meiner zweiten Heimat, die sich manchmal wie die erste angefühlt hatte, waren es 30.765 Lichtjahre. Zu Arkon dagegen nur etwas mehr als 15.800.

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Illustration: Swen Papenbrock

Im Hintergrund ließ sich die unendliche Weite erahnen, die eine letzte Grenze zwischen unserer Galaxis und dem Leerraum bildete. Mir war, als würde ich tief in die Vergangenheit unserer Geschichte schauen, hinein in einen Ausschnitt aus der Entstehungsphase der Milchstraße. Gase, Einzelsterne, Sternhaufen, dunkle Materie ... ein gewaltiges Feld, das die Milchstraße umschloss, sich gerade noch innerhalb der wirkenden Anziehungskraft bewegte.

Konzentrier dich auf den siebten Planeten!, forderte der Extrasinn.

Ich nickte Bendisson zu, ging an meinen Platz und betrachtete den Gasriesen. Der Planet war ein Gigant, der Respekt einforderte und dazu beigetragen hatte, dass sich das Leben in diesem System ungehindert entwickeln konnte. Durch seine große Anziehungskraft war er ein echter Kometenfänger. Er war dem Jupiter nicht unähnlich, hatte einen Äquatordurchmesser von 111.237 Kilometern. Der Polardurchmesser kam auf stolze 99.909 Kilometer.

Was beides weniger ist als bei Jupiter, ergänzte der Extrasinn. Der hat 142.984 und immerhin 133.708 Kilometer.

Ich ignorierte mein ungefragt kommentierendes Lexikon und las weiter in den Daten. Xirasho hatte einen festen Kern von fünfzehnfacher Erdmasse. Insgeheim wartete ich darauf, dass der Extrasinn auch die Kernmasse des Jupiter benennen würde, doch der Logiksektor verzichtete gnädig.

Bendisson schwenkte den Sessel in meine Richtung. »Wir haben weiter sondiert und endlich etwas gefunden. Eine kurze Sequenz des Trackers von Guckys SERUN. Demnach befindet sich der Ilt tatsächlich auf dem Gasriesen Xirasho.«

Ich betrachtete nachdenklich das Holo, das die Gasatmosphäre zeigte. »Gibt es dort Siedlungsstationen?«

»Nicht, dass wir wüssten. Möglicherweise jedoch Forschungseinrichtungen der Asaran. Wir suchen gerade nach weiteren Daten über das Ziel. Sorgen machen mir die beiden cairanischen Schiffe im System. Vielleicht werden sie aktiv, wenn wir Xirasho anfliegen.«

Mithilfe des Extrasinns schätzte ich die Situation ab. Im System standen seit unserer Ankunft zwei Einheiten der Cairaner. Je ein Augenraumer kreiste im Orbit von Sasar und Hidren, den bewohnbaren Planeten des Systems.

Im Prinzip konnte es eine Einheit der Cairaner mit drei terranischen Schiffen ähnlicher Größe aufnehmen. Die THORA jedoch war eines der kampfstärksten Schiffe der Liga und konnte sich durchaus mit einem einzelnen cairanischen Augenraumer messen. Zwei Cairanerschiffe waren allerdings schlagkräftig genug, eine offene militärische Aktion der THORA auszuschließen.

Ich teilte meine Gedanken mit Bendisson. Er dachte einen Moment nach, eher er sich dazu äußerte. »Wir sollten nur angreifen, wenn wir dazu gezwungen werden. Aber um sie mit Aussicht auf Erfolg anzugreifen, brauchen wir das Überraschungsmoment.«

»Momente haben eine schlechte Angewohnheit: Sie gehen vorbei.«

»Sehr wahr. Und ich nehme an, du hast das Team nicht bestellt, um dann doch den offenen Angriff zu wagen.« Der Kommandant machte eine vage Handbewegung zu der Sitzgruppe, die bis auf eine Person – einen Oxtorner – scheinbar verwaist dalag. Doch es gab ein weiteres Mitglied, das erst auf dem zweiten Blick hinter der Lehne hervorlugte: der Swoon Timberlan.

Ich winkte den beiden. Die Sessel gruppierten sich um und bildeten eine kleine Einheit. Nun konnte ich Timberlan deutlich sehen. Er fuhr einen Sitz im Sitz aus, damit er höher saß als wir. Dennoch musste Ondroski sich zu ihm hinunterbeugen.

Der Swoon maß gerade einmal dreißig Zentimeter. Der halslose Kopf auf dem lang gezogenen Rumpf hing ein wenig vornüber. Die beiden vielgelenkigen Armpaare waren ineinander verschränkt. Grüngelbe Hände und ein grünliches Gesicht ragten aus der für ihn angepassten Bordkombination. Die klaren, hervorquellenden Augen, schauten wach und aufmerksam zu mir auf.

»Ihr seid im Bild?«, fragte ich knapp.

Ondroski streckte beide Daumen hoch.

»Gut. Ich habe vor, dem Signal zu folgen und Gucky zurückzuholen. Dabei will ich so wenig Aufmerksamkeit wie möglich erregen.«

»Falls das geht«, sagte Bendisson. »Es kann sein, dass die Tomopaten das Trackingsystem entdeckt haben – und dich ganz bewusst zu sich locken wollen, damit du ihnen in die Hände fällst.«

»Richtig.« Ich drehte mich leicht zu Timberlan. »Genau dafür brauchen wir dich und deinen Spezial-SERUN. Wobei ich mir auch vorstellen könnte, dass die letzte Sequenz ausgestoßen wurde, weil kurzzeitig ein Fünf-D-Schirm ausgeschaltet wurde, oder man Gucky an einen anderen Ort gebracht hat.«

»Warum sollten sie ihm den SERUN lassen?«, fragte Ondroski. »Er wird ihn kaum noch anhaben, oder?«

Der Einwand war berechtigt, und auch darüber hatte ich schon nachgedacht. »Ich denke, dass Gucky den SERUN entweder tatsächlich noch trägt oder zumindest in seiner Nähe ist. Wenn sie wirklich in der Atmosphäre dieses Gasriesen sind, müssen sie Gucky gegebenenfalls schützen können. Er ist niemand, für den man auf die Schnelle einen passenden Anzug findet. Vermutlich haben sie den Anzug entwaffnet, das verborgene Trackingsystem jedoch nicht gefunden.«

Timberlan legte die Fingerspitzen aneinander. »Eine plausible Hypothese. Doch wir dürfen uns nicht allein von Wünschen leiten lassen.«

»Von allein kann keine Rede sein. Womit wir bei deinem Spezial-SERUN sind.« Ich hatte den Anzug, der so besonders war, bereits gesehen. Schon auf dem Verfolgungsflug, auf der Jagd nach der WANN BLÜHT VERTRAUEN?, hatte Timberlan den Vorschlag gemacht, sein besonderes Projekt zu testen. »Ich kann ihn tragen und mich im Notfall in Sicherheit bringen.«

»Theoretisch, ja«, sagte Timberlan. »Praktisch weißt du sehr wohl, dass Trixi noch nicht zuverlässig arbeitet.«

»Trixi?« Ondroski hob eine Augenbraue.

»Ein Spitzname.« Timberlan gab sich gerne exzentrisch. Er selbst trug einen Künstlernamen, wie er bei vielen Gelegenheiten betonte. »Ich meine natürlich den SERUN-T.«

»Ein Einmann-Einmal-Transmitter«, wiederholte ich Timberlans Worte, als er mir sein Projekt vorgestellt hatte. »Hoch entwickelte miniaturisierte Bauelemente eines Kokon-Transmitters sind über den SERUN verteilt. Wesentliche und nicht weiter reduzierbare Module sind in einem ausladenden Tornister untergebracht, von dem beim Sprung die Kokonbildung ausgeht.«

»Richtig«, bestätigte Timberlan. »Wer ein fotografisches Gedächtnis hat, ist klar im Vorteil. Sicher weißt du auch, was ich dir sonst noch über den Prototyp erzählt habe?«

»Außer, dass er überproportional viel Energie und Hyperkristalle verschlingt, unhandlich und extrem teuer ist? Und dass der SERUN-Transmitter zwar den Träger des Anzugs, aber nicht sich selbst transmittieren kann und deswegen als Totalverlust verbucht werden muss, wenn's hart auf hart kommt?«

»Besser er als du«, sagte der Swoon und fügte leise hinzu: »Hoffe ich jedenfalls.«

»Außerdem«, fuhr ich fort und tat, als hätte ich nichts gehört, »war von drei Versuchen bisher nur einer erfolgreich – innerhalb der THORA, also sozusagen unter Idealbedingungen. Ich hätte somit eine Chance von dreiunddreißig Periode drei Prozent, dass ich einer Falle mithilfe des Prototyps entkommen könnte. Die Wahrscheinlichkeit kann erhöht werden, wenn du die Einstellungen vorher justierst.«

Das war eine deutlich höhere Chance auf Flucht, als ich meinem Team bieten konnte; eben deshalb wollte ich es klein halten.

Bendisson räusperte sich. »Wir werden die Raumlandedivision in Alarmbereitschaft halten. Wenn etwas schiefgeht, werden die Soldaten eingreifen.«

»Im besten Fall ist das unnötig«, sagte ich. »Ich will – wie gesagt – so wenig Aufsehen wie möglich erregen und an vorderster Front agieren.«