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Aus dem Amerikanischen

von Christine Strüh

Marion von Schröder

Das Buch

Jedes Jahr im Dezember treffen sie sich – zwölf Frauen, alle mit köstlichen selbstgebackenen Cookies. Sie probieren, tauschen Rezepte aus und erzählen sich alles, was im vergangenen Jahr wichtig war: Marnie hat sich unsterblich verliebt, Charlene hat durch einen tragischen Unfall ihren Sohn verloren, Laurie ein kleines Mädchen aus China adoptiert. Eine von ihnen wird fortziehen, eine andere wartet zitternd auf die Nachricht, ob das Enkelkind gesund ist. Rosie und Jeannie haben sich gestritten und reden nicht miteinander. Doch jetzt feiern die Frauen, sie sind alle zusammen, und auf einmal sind sie einander ganz nah. Kummer und Streit sind vergessen, sie umarmen sich und lachen – Freundinnen, was immer auch passiert.

Die Autorin

Ann Pearlman wurde in Washington D.C. geboren. Sie lebt als Schriftstellerin und Psychotherapeutin in Ann Arbor, Michigan.

Für meine Freundinnen.

Ich danke euch.

Umrechnungstabelle für die Rezepte

Marnie und ihre Freundinnen leben in den USA. Dort wird bei Backzutaten die Menge üblicherweise in Volumen – Tassen oder Löffel – angegeben, während man in Deutschland grammweise abwiegt. Eine Tasse Butter wiegt natürlich mehr als beispielsweise eine Tasse Mehl oder Kokosflocken.

Eine amerikanische Tasse sind 240 ml. Bei Flüssigkeiten wie Milch oder zerlassener Butter misst man die entsprechende Menge im Messbecher oder einer großen Kaffeetasse, die etwa einen Viertelliter fasst. 240 ml entsprechen bei

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Im Küchenbedarf und in Warenhäusern kann man inzwischen Messbecher mit Angaben der amerikanischen Maßeinheit (cup) kaufen, im Internet gibt es Umrechnungstabellen.

Viel Spaß beim Nachbacken!

PROLOG

Wir treffen uns jedes Jahr

Ich bin die Nummer eins der Cookie-Hexen, daher trifft sich der Christmas Cookie Club bei mir – immer am ersten Montag im Dezember. Streicht es euch rot im Kalender an. Zwölf Frauen versammeln sich an diesem Abend zu einer Party, und jede von uns bringt dreizehn Dutzend Plätzchen mit, hübsch verpackt und natürlich selbst gebacken. Obendrein steuert jede von uns noch etwas zu essen und eine Flasche Wein bei.

Als die Tradition vor sechzehn Jahren ihren Anfang nahm, tranken wir erst den Wein und gingen danach tanzen. Jetzt sitzen wir bei mir zu Hause gesellig beisammen, nippen an unseren Gläsern und unterhalten uns, oder wir legen Al Green auf und tanzen in meinem Wohnzimmer. Love and Happiness ist unsere Lieblings-CD. Und wir erzählen abwechselnd die Geschichte der Cookie-Sorte, die wir gebacken haben. Aus irgendeinem Grund sind diese Geschichten immer seltsam symbolisch für das vergangene Jahr. Die Plätzchenpäckchen werden verteilt, und das dreizehnte Dutzend geht als Spende ans hiesige Hospiz. Schon von Anfang an haben wir einen Teil unserer Plätzchen gespendet, denn im Christmas Cookie Club geht es ums Geben – nicht nur darum, unser leckeres Gebäck mit Freundinnen und Familien zu teilen, sondern auch etwas abzugeben an Menschen, die wir nicht kennen, denen es nicht gutgeht und die sich vielleicht über eine nett eingepackte Kleinigkeit freuen.

Denn ihr könnt mir glauben, dass der Winter im Mittelwesten ganz schön trostlos sein kann. Grauer Himmel. Fiese Kälte. Wenn es mal ein bisschen Licht gibt, dann eigentlich nur durch eine mehr oder weniger dicke Wolkendecke. Die großen Seen sorgen zwar für sensationelle Sommer, aber im Winter produzieren sie reichlich Wolken. Also empfiehlt es sich, selbst für Licht und Freude zu sorgen. Das ist doch schließlich der Sinn von Weihnachten und Chanukka, oder nicht? Die dunkle Jahreszeit mit Lichtern und Kerzen ein bisschen aufzuhellen. Um uns in Erinnerung zu rufen, dass die Sonne irgendwann wieder stark genug sein wird, um die Nacht Stück für Stück in ihre Grenzen zu verweisen. Der Christmas Cookie Club ist also sozusagen eine Gedächtnisstütze, damit wir vor lauter Winter und Dunkelheit den Spaß nicht vergessen. Und natürlich soll er uns auch immer wieder daran erinnern, dass Freundinnen dafür da sind, sich im alltäglichen Trott zu unterstützen und die Freuden des Lebens zu zelebrieren.

Wir haben Regeln, die im Lauf der Jahre entstanden sind. Nur damit ihr Bescheid wisst, falls ihr eure eigene Gruppe aufmachen wollt, verrate ich sie hier:

  1. Keine Chocolate Chip Cookies (in einem Jahr haben nämlich gleich fünf von uns welche gebacken).
  2. Keine Keksriegel (die kleben und krümeln).
  3. Keine in Klarsichtfolie verpackten und mit Schleifchen verzierten Pappteller. Ihr könnt ja mal versuchen, zwölf in Plastikfolie gepackte Pappteller zu tragen. Obwohl ich früher mal gekellnert habe, schaffe ich das nicht. Außerdem sind Pappteller einfach viel zu wabbelig. Gerade wenn man etwas spenden will, müssen die Behältnisse praktisch für den Transport der Cookies sein und sich gleichzeitig als attraktive Geschenkverpackung eignen. Das hat den zusätzlichen Vorteil, dass man die Verpackung später für andere Geschenke wieder verwenden kann.
  4. Die Gruppe sollte aus nicht mehr als zwölf Frauen bestehen. In einem Jahr waren wir fünfzehn, und alle haben sich darüber beklagt, dass es zu anstrengend ist, sechzehn Dutzend Cookies zu backen. Zwar leuchtet es mir persönlich nicht ein, dass drei Dutzend mehr so ein Problem sein sollen, aber in diesem Fall habe ich mich der Mehrheit gebeugt. Die Gruppe hat also nur zwölf Mitglieder. Und wir backen ein Bäckerdutzend, also dreizehn Dutzend. Außerdem hat dieses Zahlenarrangement etwas Poetisches.
  5. Das Treffen muss jedes Jahr stattfinden, ausnahmslos, es darf niemals ausfallen. Wenn eine Teilnehmerin nicht kommen kann, muss sie ihre Cookies schicken, sonst verliert sie ihren Platz in der Gruppe und jemand von der Warteliste rückt nach. Letzteres ergibt sich aus der vorherigen Regel.
  6. Nach fünf Jahren regelmäßiger Teilnahme ist man festes Mitglied der Gruppe und kann nicht mehr ausgeschlossen werden – es sei denn, die Betreffende versäumt es, ihre Cookies rechtzeitig zu bringen oder zu schicken.
  7. Der Club trifft sich immer am ersten Montag im Dezember. Tragt es in euren Kalender ein, der Termin ist fest.
  8. Bringt für jede Teilnehmerin eine Kopie des Rezepts mit.

Alles ist ständig im Fluss. Jackie hat sich verliebt, hat geheiratet, ist an die Ostküste gezogen und kommt nicht mehr. Donna mochte die Party, aber das Backen war ihr verhasst. Janie hatte eine Affäre mit einem Kollegen, ließ sich scheiden und wohnt jetzt in Bent Harbor. So ergeben sich offene Plätze für neue Mitglieder, für die Cookie-Jungfrauen, wie wir sie gerne nennen. Wie Ebbe und Flut kommen und gehen die Frauen. Direkt nach Thanksgiving fangen wir an zu backen, machen uns und dem Hospiz eine Freude und verteilen die vielen verschiedenen Plätzchen dann weiter an unsere Freunde, Familie, Nachbarn, Babysitter und Kosmetikerinnen. Die verwöhnen die Gäste anderer Weihnachts-, Chanukka- und Wintersonnwendzusammenkünfte. In der dunkelsten Zeit des Jahres erreichen die köstlichen Knabbereien immer mehr Menschen – kleine Kräuselwellen der Freude in unserem Leben.

1

Marnie

Pecan-Butter-Bällchen

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Pecannüsse im Mixer oder in der Küchenmaschine kleinhacken. Alles außer dem Puderzucker gut vermischen und zu einer Kugel kneten. Mit bemehlten Händen kirschgroße Bällchen formen und auf ein mit Backpapier belegtes, ungefettetes Blech legen. Zwanzig Minuten bei 170 Grad backen. Vom Backpapier lösen, noch warm in einer Tüte mit Puderzucker wälzen. Dann wieder aufs Papier legen und noch etwas Puderzucker zusätzlich darüber geben, während sie abkühlen. Ergibt fünf Dutzend.

Das Bett unter mir ist warm. Jim küsst meine Augenbrauen, um die Wimpern herum, die Nase hinunter. Seine Küsse schmecken nach Zimt. Ich öffne den Mund für seinen Kuss, seine Leidenschaft ist ansteckend. Sanft liegt sein Kopf an meiner Wange, ich fühle es, fühle ihn, bin durch und durch Empfindung, ganz auf Empfang eingestellt. Seine Küsse wandern über meinen Hals, meine Schlüsselbeine, hinunter zum Bauchnabel. Umkreisen ihn. Jetzt ist sein Körper auf meinem. Mein Herz schlägt schneller, ich wölbe mich ihm entgegen und spreize die Beine. Mit einer geschmeidigen Bewegung gleitet er in mich. Nur zögernd wage ich es, diese perfekte Verbindung, dieses glückliche Zueinanderfinden auszukosten. Gemeinsam bewegen wir uns, als wären wir eins. Wiegen, schaukeln. Die Leidenschaft steigert sich in heftigen Wogen, die mich füllen und überschwemmen. Unsere Bewegungen sind das Universum. Goldene Wärme, vereinte Erregung. Ich höre mich stöhnen, als ich den Gipfel der Lust erreiche und zerfließe. Das Gefühl weckt mich auf. Vielleicht war es aber auch mein Stöhnen.

Ich strecke die Hand nach Jim aus, obwohl ich weiß, dass das Bett neben mir leer ist. Jim ist bei sich zu Hause und sorgt dafür, dass seine Söhne rechtzeitig in die Schule kommen. Der Traum überrascht mich. Wann hatte ich das letzte Mal im Schlaf einen Orgasmus? Das ist Jahre her. Jahrzehnte. Wahrscheinlich war Tara noch ein Baby. Ich dachte, mit dieser drängenden Lust, dieser hartnäckigen Einforderung von Befriedigung wäre es vorbei, Zeit und Menopause hätten mein Verlangen gedämpft. Gleichermaßen entspannt und erfrischt liege ich da. Ich sehe Jim nicht genug. Wir haben nicht genug Zeit zusammen. Und nicht genug Sex, wegen seiner ganzen Verpflichtungen den Kindern gegenüber und wegen seiner irren Arbeitszeiten. Unsere körperliche Liebe verkommt allmählich zu einer unerfüllten Hoffnung. Aber er hat mir neues Leben eingehaucht. Es ist lange her, dass ich richtig verliebt war.

Draußen fällt der Schnee in kleinen, dichten Flocken, fast wie Nebel. Disney sitzt neben meinem Bett, lässt die Zunge heraushängen und klopft mit dem Schwanz freudig auf den Teppich. Heute ist ein großer Tag, an dem ich eine Menge zu erledigen habe, also sollte ich jetzt lieber aufstehen und damit anfangen. Widerwillig lasse ich die Überreste des Traums im warmen Bett zurück, schlüpfe in meinen lavendelfarbenen Fleece-Bademantel, lasse Disney hinaus, fülle eine Tasse mit Kaffee von gestern Abend und verfrachte sie in die Mikrowelle. Während Disney hinter der Garage verschwindet, stecke ich meine Hände in die Achselhöhlen, um sie zu wärmen.

Ich habe die winterharten Stauden nicht zurückgeschnitten, und jetzt klumpt der Schnee in den Astgabeln. Den Rasen hätte ich auch noch ein letztes Mal mähen sollen. Die Mikrowelle bimmelt, ich greife gedankenverloren nach meinem Kaffee und starre dabei weiter aus dem Fenster. Sieben Uhr. In San Diego ist es jetzt vier Uhr morgens. Ob Sky schon wach ist? Heute sagt man ihr die Ergebnisse … irgendwann nachmittags, nach ihrer Zeit natürlich. Mitten in unserer Weihnachtsplätzchenparty.

Mit flatternden schwarzen Schlappohren kommt Disney wieder hinter der Garage hervor und lässt sich vor der Terrassentür nieder. Als ich sie aufschiebe, kommt er sofort hereingerannt und schüttelt den Schnee ab. »Findest du es richtig, den Winter hier reinzuschleppen?«, frage ich ihn.

Er wedelt mit dem Schwanz.

»Guter Hund.« Auf alle meine Fragen hat er eine kurze, klare Antwort.

Langsam trinke ich meinen Kaffee und sehe mich dabei in der Küche und im Esszimmer um. Wegen der Cookie-Party habe ich schon für Weihnachten dekoriert. Am Baum draußen hängt eine schlichte Lichterkette, mein Küchenfenster umrahmt eine in Form kleiner Chilischoten. Gestern habe ich den Tannenbaum mit den gehäkelten und Makramee-Ornamenten geschmückt, wie ich sie in meiner Hippiezeit auf dem Kunstgewerbeflohmarkt verkauft habe. Ein paar bunte Päckchen und meine Teddybärensammlung kuscheln sich um den Stamm. Dem Teddy, den Sky von Alex zum ersten Geburtstag bekommen hat, fehlt seit zwanzig Jahren ein Auge, und Sky hat ihm einen etwas schiefen roten Pulli gestrickt, als sie zehn war. Ein Steiff-Bär, den ich von meinem Deutschlandurlaub mit Stephen mitgebracht habe, breitet die Pfoten aus, als warte er auf eine Umarmung. Taras Teddybärin trägt ein rosa Kleid und eine Tiara, sehr hübsch, aber ungeliebt. Ich stecke das Kabel der Lichterkette in die Steckdose, und schon sieht alles weihnachtlich aus.

Nachdem ich den Thermostat hochgestellt habe, mache ich mein Bett, räume das Zimmer ein bisschen auf und schlüpfe in eine Jeans und ein rotes T-Shirt. Dann binde ich mir die Cookie-Chefin-Schürze um, die Allie genäht und mit den Cookie-Regeln bemalt hat.

Zuerst machen die Pecannüsse, die wild in der Küchenmaschine herumgeschleudert werden, ein ziemlich gefährliches Geräusch, aber sobald sie etwas zerkleinert sind, benehmen sie sich anständig. Dieses Jahr bekommen Sky und Tara auch jeweils ein Dutzend Pecan-Bällchen, demzufolge muss ich das Rezept mit dreieinhalb multiplizieren. Ich gebe die Butter siebenhundertfünfzig Gramm – in einen Glasbehälter und stelle die Mikrowelle an. Das abgemessene Mehl, Zucker, Vanillezucker und Salz kommen in den KitchenAid-Mixer meiner Mutter, der auf der Anrichte steht. Als die Mikrowelle bimmelt, gieße ich die zerlassene Butter in die Rührschüssel und stelle den Mixer an. Während er rührt, hole ich die Backbleche und das Backpapier aus der Schublade. Dann schabe ich den hochgespritzten Teig vom Rand der Schüssel und klopfe ihn ab. Fertig. Damit mir nicht langweilig wird, stelle ich meinen iPod auf die Rock-Playlist, und sofort fragt sich Tina Turner, was Liebe eigentlich damit zu tun hat. Alles, erkläre ich ihr. Aber dann fällt mir mein Traum wieder ein, und ich überlege, ob ich ihn hatte, weil ich Jim liebe, oder einfach nur, weil ich gern mehr tollen Sex mit ihm hätte. Vielleicht stimmt beides. Aber es ist mir ein bisschen unheimlich, dass ich mich so in ihn verliebt habe.

Mit etwas Mehl verhindere ich, dass der Teig allzu sehr an meinen Händen klebt, und widme mich mit Hingabe dem systematischen, rhythmischen Rollen der Bällchen, die ich anschließend in Viererreihen auf dem Blech auslege. Drei Dutzend auf jedes Blech. Die schlichte Schönheit des Rechenexempels erinnert mich an andere traditionelle Frauenarbeiten: spinnen, Teig kneten, Beeren ernten, nähen, weben, Mehl mahlen. Ich fühle mich mit all diesen Frauen verbunden, mit den Frauen von früher, mit den Frauen auf der ganzen Welt, die Essen zubereiten, Kleider nähen, Werkzeug herstellen. Das erste Blech kommt in den Ofen, und ich beginne mit dem nächsten. Der leichte Teil ist erledigt. Ein paar Minuten kehre ich zum friedlichen Rollen zurück, stelle das Blech in den Ofen, überprüfe den Timer. Noch fünf Minuten.

Jetzt lege ich Backpapier auf dem Esstisch aus, fülle eine Plastiktüte mit Puderzucker und lege ein paar Topflappen auf die Mitte des Tischs. Der Timer klingelt. Ich hole das Blech heraus und stelle es auf die Topflappen. Die Cookies sind hellbraun wie herbstliche Eichenblätter, der Duft gebackener Pecannüsse erfüllt die Küche. Bob Seger singt vom hereinbrechenden Herbst, und hier ist Winter. Schon. Wie ist das bloß so schnell gegangen? Wieder einmal sinniere ich über den Wechsel der Jahreszeiten und welche Sitten und Bräuche wir damit verbinden. Dabei beginne ich schon mit den Bällchen für die dritte Ladung. Zwischendurch lasse ich das plätzchenbeladene Backpapier vorsichtig von dem noch heißen zweiten Blech auf den Tisch rutschen, stelle das Blech zum Abkühlen auf den Herd und lege die Bällchen sanft in den Puderzucker.

Diese Arbeit muss rasch erledigt werden, denn wenn die Cookies kalt sind, zieht der Puderzucker nicht mehr ein. Aber wenn sie zu heiß sind, verbrennt man sich die Finger. Das zweite Blech ist fertig, und ich gehe in die Küche, um es aus dem Ofen zu holen.

Da klingelt das Telefon.

Ich fahre herum, angle hektisch nach dem tragbaren Gerät, das neben der leeren Butterdose auf der Anrichte liegt, und stoße dabei mit der Wange heftig gegen die Ecke einer offenen Hängeschranktür. Die Tür knallt zu, ein stechender Schmerz durchfährt meine Wange und breitet sich rasant aus.

»Mom?«

»Du kannst nicht schlafen, was?«

Und ich kann keine Backpause einlegen, deshalb klemme ich das Telefon zwischen Schulter und Ohr, während ich die Pecan-Bällchen in die Zuckertüte fülle.

»Nein. Ich wälze mich bloß noch von einer Seite auf die andere. Und hab Angst, Troy zu wecken.« Skys Stimme zittert leicht.

Die Cookies rollen im Zucker herum. »Ich hab mich schon gefragt, ob du wohl noch schläfst.«

»Ich dachte, du bist bestimmt schon auf und backst.«

»Richtig geraten. Gerade hab ich das erste Blech aus dem Ofen geholt und wälze die Cookies jetzt in Puderzucker.«

»Ah. Nanas Pecan-Bällchen.«

»Meine Lieblingsplätzchen.«

»Meine auch.«

Als Sky und Troy vor drei Jahren zum ersten Mal versuchten, schwanger zu werden, wusste ich nichts davon. Schließlich waren sie beide noch mitten im Jurastudium, und Skys Lebensplanung ist ansonsten sehr zielorientiert. Aber sie rief an und prahlte am Telefon lauthals damit, dass es auf Anhieb geklappt hatte. »Wir sind gleich beim ersten Versuch schwanger geworden«, verkündete sie und kicherte – das klang beinahe so, als hätten die beiden davor nie Sex gehabt.

Ich kaufte Stoff, um für mein erstes Enkelkind einen Quilt zu nähen, aber als ich vom Einkaufen zurückkam, rief Sky an. Sie weinte. Sie hatte eine Fehlgeburt gehabt und das Baby verloren.

»Das tut mir schrecklich leid, Darling«, sagte ich mit erstickter Stimme. »Ich fürchte, du wirst ein paar Monate ganz schön traurig sein.«

»Das hat die Ärztin auch gemeint. Und wir sollen es in sechs Monaten noch mal probieren. Was für eine höllisch lange Zeit!« Sky schniefte und versuchte sich ein Lachen abzuringen. »Anscheinend ist eine Fehlgeburt nichts Ungewöhnliches. Vor allem bei der ersten Schwangerschaft. Sagt die Ärztin.«

»Ich komme zu euch.«

»Das brauchst du nicht.« Aber ich hörte die Erleichterung in ihrer Stimme.

Im nächsten Jahr hatte sie die zweite Fehlgeburt. Wieder rief sie mich an, um es mir zu erzählen, wieder flog ich zu ihr. »Ich wünschte, du würdest nicht so weit weg wohnen.«

»Ich auch.«

Als sie dann zum dritten Mal schwanger wurde, hielten wir alle den Atem an. Ich versuchte den besorgten Unterton aus meiner Stimme zu verbannen, wenn wir miteinander sprachen. Sie blieb schwanger. »Vielleicht sollte ich aufhören zu arbeiten«, überlegte sie. »Aber ich werde ständig überwacht.« Im vierten Monat wagte ich wieder zu atmen. Aber im achten Monat hörte das Baby auf sich zu bewegen, und bei einer Ultraschalluntersuchung zeigte sich, dass es tot war. Die Ärzte sagten Sky, im Hinblick auf eine zukünftige Schwangerschaft wäre es am besten, trotzdem bis zum errechneten Geburtstermin zu warten und das Baby erst zu entbinden, wenn die Wehen einsetzten.

»Das Baby verwest in mir.«

»Ich komme morgen.«

»Nein, warte lieber, bis die Wehen einsetzen. Dann brauche ich dich wirklich.«

»Wie geht es Troy?«

»Er hat Angst. Und ist total durcheinander. Genau wie ich.« Sie seufzte. »Irgendwie muss ich den nächsten Monat überstehen. Wahrscheinlich sollte ich das Kinderzimmer ausräumen und es wieder als Gästezimmer oder Büro oder was einrichten.«

»Wollt ihr aufhören, es zu versuchen?« Ich stellte mir vor, wie sie auf und ab wanderte, das schnurlose Telefon am Ohr, vorbei an der Couch und am Esstisch, eine halbe Drehung in der Küche, und die Runde begann von vorn. Das tut Sky immer, wenn sie aufgeregt ist. Sie bewegt sich.

»Ich weiß nicht, ob ich das noch mal durchstehe.«

»Du hast ja reichlich Zeit für die Entscheidung.«

»Ich weiß nicht mal, ob ich den Monat überstehe. Wie ich einen Monat mit einem toten, missgebildeten Baby in mir leben soll.«

»Missgebildet?«

»Das haben sie beim Ultraschall gesagt. Irgendwas stimmt nicht mit dem Baby. Deshalb hatte ich wahrscheinlich auch die Fehlgeburten.«

»Das verstehe ich nicht. Wie kann eine Missbildung die früheren Fehlgeburten erklären?«

»Es könnte etwas Genetisches sein. Womöglich haben Troy und ich ein genetisches Problem.«

Ich zermarterte mir den Kopf nach einem tröstlichen Zauberspruch. »Aber jetzt können sie wenigstens nachschauen, was schiefgelaufen ist. Und dir helfen. Euch beiden.«

»Ja. Stimmt.«

»Möchtest du heimkommen?«

»Nein. Ich möchte so tun, als wäre alles okay und normal. Ich möchte mein Leben. So weit das eben geht.«

Ihrer Bitterkeit hatte ich nichts entgegenzusetzen.

Sobald die Wehen einsetzten, rief sie an. Ich stieg ins nächste Flugzeug und kam gerade rechtzeitig zum Beginn der Austreibungsphase. Ich hielt Skys Hand. Troy wanderte ruhelos auf und ab. Ich wischte ihr den Schweiß von der Stirn. Sie kniff die Augen zusammen und hechelte. Ächzte. Drückte meine Hand ganz fest. Schrie. Sie ertrug alle Qualen der Geburt, aber ohne das befreiende Happy End. Denn es würde nicht den berühmten ersten Schrei des Neugeborenen geben, mit dem aller Schmerz vergessen war. Unter Tränen presste sie das tote Baby heraus. Blau. Wir sahen die Missbildungen, die der Ultraschall bereits angedeutet hatte. Es hatte sehr kurze Arme und ein zerknautschtes Gesicht. Aber wir konnten nur einen raschen Blick auf das Baby werfen, dann wurde es zu den genetischen Untersuchungen gebracht.

»Wenigstens ist es vorbei.« Sky sank in sich zusammen, als wollte sie durch den Operationstisch fallen und im Erdboden versinken. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich es schaffe.«

»Hast du aber. Und zwar wie ein echter Champ.« Ich drückte ihre Hand und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

»Warum hast du mich nicht gewarnt?« Sie starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an, schockiert, als hätte ich sie hintergangen und ihr absichtlich etwas verheimlicht.

»Weil man den Schmerz vergisst, sobald man das Baby in den Armen hält.«

Sie schniefte. »Vermutlich werde ich ihn dann also nicht vergessen.«

»Ich liebe dich so sehr«, sagte Troy leise, küsste sie, und die Tränen liefen ihm in Strömen über die Wangen. »Unser armes Baby. Du bist so tapfer.«

Sie unterdrückte ein Schluchzen.

»Ja, ihr seid wirklich tapfer, alle beide.« Ich hielt ihr das Wasserglas zum Trinken hin, während der Arzt noch dabei war, den Dammschnitt zu nähen. Dann bekam sie eine Spritze, damit die Milchdrüsen ihre Arbeit einstellten.

Uns allen fehlten die Worte. Unter den grellen Operationslampen weinten wir, jeder für sich. Und der Arzt nähte.

»Wir alle haben das Baby verloren, nicht wahr?« Sky sah uns mit ihren grauen Augen an, deren Pupillen durch die Tränen riesig wirkten.

»Wir sind alle bei dir, Schätzchen«, sagte ich und küsste sie wieder.

Troy strich ihr die schweißnassen Haarsträhnen aus dem Gesicht.

So weinten wir, und wir weinten auch später, als ich wieder zu Hause war, am Telefon. Irgendwann standen wir dann wieder einen Anruf ohne Tränen durch. Und da war Sky wieder schwanger.

Jetzt ist sie im vierten Monat. »Ich hab mir schon immer Kinder gewünscht«, flüstert sie, als wollte sie sich entschuldigen. »Ich meine, das ist doch das Wichtigste. Verstehst du?«

Ich fülle noch ein paar Plätzchen in die Puderzuckertüte. »Ja.« Diese Erklärung höre ich häufig von ihr, und manchmal habe ich das Gefühl, sie denkt, wenn sie es nur oft genug sagt, werden ihre Gebete erhört und alles geht gut.

Als kleines Mädchen hat sie sich Babypuppen gewünscht, obwohl ihre Freundinnen Barbies sammelten. Sie trug Matilda in ihrem alten Snugly-Babytragesäckchen herum, sang ihr Schlaflieder vor und ließ sie bei sich im Bett schlafen. Sogar ihrem Plüschhund zog sie eine Windel an. Keine Ahnung, ob sie sich schon vor Taras Geburt nach mehr Nähe zu uns gesehnt hat oder ob sie wegen Tara eifersüchtig war. Vielleicht kommt es auch daher, dass sie gespürt hat, wie gern ich Mutter war. Oder es ist einfach eine biologische Geschichte: Sie liebt Troy und möchte, dass diese Liebe sich in Fleisch und Blut manifestiert. Jedenfalls ist Muttersein der Höhepunkt von Skys ehrgeizigen Lebensplänen. Vielleicht muss ich einfach akzeptieren, dass die Dinge so sind, wie sie sind.

Ich lege die Cookies ordentlich nebeneinander. Sechs in einer Reihe. »Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, Mutter zu werden.«

»Aber ich möchte einfach nur, dass es endlich vorbei ist. Ich möchte die Testergebnisse haben, und zwar sofort. Vier Monate auf die Folter gespannt sein reicht mir. Jetzt wissen irgendwelche Leute etwas, was für mich lebenswichtig ist, und ich sitze dumm rum und muss warten. Ich will mich endlich der Realität stellen können.«

»Oder dich freuen, auf die Schwangerschaft und die Geburt.« Ich lasse die Bällchen vorsichtig im Puderzucker herumrollen. »Die Ärztin wird dich bestimmt sofort anrufen, sobald sie Bescheid weiß.«

Sky schweigt. Meine Wange tut weh, und ich müsste die Prellung eigentlich kühlen, aber das geht leider nicht. Im Moment jedenfalls nicht. Wenn wir fertig telefoniert haben, hole ich mir einen Eiswürfel. Wenn ich mit dieser Ladung Cookies durch bin.

»Hoffentlich macht es deine Cookie-Party nicht kaputt.«

»Kaputt? Ich hab doch meine Freundinnen, die mich beim Feiern unterstützen.«

Sie versteht meinen strahlenden Optimismus als matte Hoffnung. »Oder dich trösten.«

»Und dich auch. Sie lieben dich, du bist nicht allein.«

Federleicht liegt der Puderzucker auf den Plätzchen. Jetzt ist das erste Blech fast fertig.

Am anderen Ende der Leitung herrscht Stille. Offensichtlich wandert Sky nicht mehr herum. »Ich denke immer wieder darüber nach, warum uns das passiert ist. Es ist doch wirklich seltsam, dass Troy und ich beide dieses seltene rezessive Gen haben, obwohl wir nicht mal zur gleichen ethnischen Gruppe gehören … ich meine, wir sind größtenteils deutsch, und er ist italienischer Abstammung.«

»Aber die Länder liegen ziemlich dicht beisammen.«

»Ich weiß schon, aber der Arzt sagt, wir sind wie Bruder und Schwester, wie aus derselben Familie.«

»Vielleicht klappt es zwischen euch ja deshalb so gut. Und vergiss nicht, du hast eine fünfzigprozentige Chance, dass diesmal alles in Ordnung ist. Fifty-fifty, bei jedem Baby. Vielleicht hast du die traurige Hälfte jetzt hinter dir und drei normale Schwangerschaften vor dir.«

»So funktioniert das aber nicht, Mom. Es sind fünfzig Prozent bei jedem neuen Versuch.«

Natürlich weiß ich das. Aber ich erzähle lieber hübsche Märchen, in denen das Gute siegt. Als könnte ich so die Angst vertreiben, die meiner Tochter im Nacken sitzt. »Es kommt durchaus vor, dass Geschichten gut ausgehen, weißt du«, sage ich. Das erste Blech ist fertig, und die Cookies vom zweiten kühlen schon ab. Jetzt muss ich mich beeilen. »Du bist so stark. Das zeigt sich schon daran, dass du es nach dem, was ihr durchgemacht habt, noch einmal versuchst. Irgendetwas in deinem Innern weiß, dass es klappen wird.« Ich schubse die nächste Handvoll Plätzchen in die Zuckertüte und schwenke sie behutsam hin und her. »Und was hast du heute vor?«

»Wie geht’s Tara?«, antwortet sie mit einer Gegenfrage.

»Gut.« Skys kleine Schwester Tara ist im achten Monat schwanger, achtzehn Jahre alt und unverheiratet. Der Vater des Babys ist ein schwarzer Ex-Knacki und auf strebender Rap-Star. Diesen Sommer hat sie die Ironie, die keinem von uns entgangen ist, sehr treffend auf den Punkt gebracht, als sie ihre schwarzen Haare mit den breiten blauen Strähnen schüttelte und verkündete: »Verdammt, hier sitz ich mit meiner ungeplanten Schwangerschaft in einer, na ja, die meisten Leute würden sagen, durchgeknallten Beziehung, während du« sie neigte den Kopf in Skys Richtung – »alles richtig machst, dir so dringend ein Baby wünschst und …« Sie ließ den Satz unvollendet und sah Sky tief in die Augen. »Tja, das Leben ist ungerecht, so lautet doch der alte Spruch, oder? Ein schlechter Witz.« Wir lachten, und im Nu waren die unausgesprochenen Spannungen und Konkurrenzgefühle verflogen.

Jetzt sage ich: »Man weiß nie, wie die Dinge sich entwickeln. Und wir selbst bestimmen, welche Schlüsse wir aus den Ereignissen ziehen. Du kannst dich und Troy als Opfer der Biologie sehen oder als Seelenverwandte, die sich sogar auf der körperlichen Ebene ähneln, und das, was ihr erlebt, als Stärkung eurer Beziehung.« Unterdessen lege ich die gezuckerten Cookies in ihre Reihe. »Also, was machst du heute so?«, wiederhole ich meine Frage von vorhin.

»Es ist Montag. Ich muss einen Prozess vorbereiten. Hoffentlich lenken mich die Probleme anderer Leute ein bisschen von meinem eigenen Schlamassel ab.«

»Ja, dann geht die Zeit auch schneller vorbei.«

»Ich nehme mein Handy mit«, erklärt sie und unterbricht das Gespräch kurz. »Oh, Troy ist aufgestanden und ruft nach mir.«

»Dann geh nur schnell zu deinem Mann. Ich bin ja den ganzen Tag hier. Ruf einfach an, wenn du Lust zum Plaudern hast. Ich hab dich lieb.« Mit einem Küsschen in die Luft verabschiede ich mich.

»Ich dich auch.« Ihr Kuss vibriert noch in meinem Ohr, während ich die zweite Ladung Cookies fertig einzuckere. Puderzucker rieselt über zwei Bleche abkühlender Plätzchen. Sechs Dutzend Plätzchen sind fertig.

Ich lege frisches Backpapier auf das Blech, gehe zur Schüssel mit dem Teig, hole eine Portion heraus und beginne mit der nächsten Bällchenserie.

Sky hat Troy in der achten Klasse kennengelernt, direkt nach den Weihnachtsferien. Die Familie war gerade erst in die Stadt gezogen, und ein Lehrer hatte Sky beauftragt, Troy zu seinen Kursen zu begleiten, da sie den gleichen Stundenplan hatten. »Ich finde ihn nicht wirklich süß, aber nett«, berichtete sie damals von ihrer neuen Bekanntschaft. Abends telefonierten die beiden miteinander. Einen Monat später saß Troy vor unserem Fernseher und sah sich Beverly Hills 90210 an. Neben ihm saß Sky, Tara fläzte sich auf seinem Schoß.

»Troy ist mein bester Freund.« Sky trug ein kurzes Top und so tief sitzende Jeans, dass ihr Bauchnabel zu sehen war.

»Frierst du nicht?«, fragte ich, dachte dabei aber, dass kein Mensch, nicht mal ein schlankes Mädchen, in diesem Aufzug wirklich attraktiv aussieht.

»Das gehört zum Style, Mom.« Sie kniff das Gesicht zusammen, um ihre Verzweiflung über meine Ignoranz zu demonstrieren.

»Jedenfalls nimmst du deine außerschulischen Pflichten ernst. Vielleicht solltest du Troy mal mit ein paar anderen Jungs bekannt machen.«

»Hab ich schon. Aber wir hängen eben gern zusammen rum.« Sie grinste kurz, zog sich aber nicht um.

»Warum lädst du am Freitag nicht mal wieder ein paar Freundinnen zum Übernachten ein? Marisa und Jennifer beispielsweise?«

»Cool.«

Im Herbst baute Sky, inzwischen in der neunten Klasse, sich vor mir auf, den Rucksack lässig auf Halbmast über der Schulter, Brille halb von der Nase gerutscht, Haarsträhnen strategisch aus dem Pferdeschwanz gezupft, und sagte: »Mom.« Wenn sie so anfing, wusste ich, dass mir ein ernsthaftes Gespräch bevorstand.

»Was?« Ich legte das Arbeitsbuch über Krankenversicherung, in dem ich gerade büffelte, beiseite und wandte mich ihr zu. Damals lernte ich fürs Examen. Heute habe ich eine staatliche Lizenz für Lebens-, Kranken- und Kfz-Versicherungen und meine eigene kleine Agentur.

»Troy sagt, er liebt mich.«

»Er liebt dich?«

»Ich hab gesagt: Ich liebe dich auch.Und er: Nein, ich meine, ich liebe dich. So richtig.Ich hatte die Fernbedienung in der Hand und hab den Fernseher lauter gestellt.« Zur Veranschaulichung drückte sie mit der Hand auf einen unsichtbaren Knopf. »Weil ich das nicht hören wollte. Ich liebe dich auch, hab ich gesagt. Du bist mein bester Freund.Aber er hat nicht lockergelassen. Ich will aber mehr von dir.Da hab ich den Fernseher noch mal lauter gemacht.« Wieder bediente sie den Phantasieknopf. »Weil ich nicht wusste, was ich sagen soll. Er möchte mit mir gehen

»So richtig fest?«

Sie zuckte die Achseln und ließ den Rucksack ganz herunterrutschen. »Garantiert macht das unsere Freundschaft kaputt«, meinte sie, als könnte sie auf jahrelange Erfahrung mit der Materie zurückblicken, und ich fragte mich unwillkürlich, ob sie vielleicht die Gespräche zwischen mir und meinen Freundinnen belauscht hatte. »Wie das?«

»Na, ja, unsere Beziehung wird sich verändern. Wir werden nie mehr einfach Freunde sein können. Dabei ist unsere Freundschaft perfekt.« Sie hängte ihre Jacke über die Stuhllehne. Ausnahmsweise erntete sie dafür von mir keinen strafenden Blick.

»Für ihn aber anscheinend nicht«, gab ich zu bedenken. »Für ihn könnte sie noch besser sein.«

Sie kaute auf der Unterlippe herum.

»Ich fang gerade an, Ryan zu mögen.«

Ich zog die Augenbrauen in die Höhe. »Oh. Hat Troy womöglich Angst, dich an Ryan zu verlieren?«

»Er kann mich doch überhaupt nicht verlieren. Er ist mein bester Freund.« Sie öffnete eine Dose Cola light. Plopp und zisch. »Verstehst du, was ich meine? Kaum fängt man mit dem ganzen Zeug von wegen Liebe an, schon geht es los: Man macht sich Sorgen, jemanden zu verlieren oder dass der andere einen betrügt und all so ein Zeug.«

»Findest du ihn toll?«

»Darüber denke ich nicht mal nach. Na ja …« Sie biss sich wieder auf die Lippe und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Ich möchte nur unsere Freundschaft nicht aufs Spiel setzen.«

»Jetzt, wo er klargemacht hat, was er für dich empfindet, kannst du sowieso nicht mehr so tun, als wärt ihr einfach nur Freunde.« Mit den Fingern deute ich die Gänsefüßchen an.

»Das hat er auch gesagt. Er hat gesagt, er kann nichts für seine Gefühle, ich bin einfach zu süß.« Auf einmal wird sie knallrot, als hätte sie irgendeine unsichtbare Grenze überschritten.

»Er hat recht. Du bist ja auch wirklich süß«, lachte ich. »Und hübsch. Mit unglaublich faszinierenden Augen.«

Sie sperrt ihre grauen, grün gesprenkelten Augen auf und staunt. »Genau das hat er auch gesagt.«

Irgendwann danach veränderte sich die Freundschaft der beiden tatsächlich, und sie wurden ein Paar. Wann genau, weiß ich nicht. Später gingen sie aufs gleiche College und zogen im zweiten Studienjahr zusammen. Nach dem Abschluss, den sie ebenfalls gemeinsam machten, studierten sie beide Jura.

»Zu erwachsen, zu früh«, beschwerte ich mich.

»Es ist, wie es ist. Es ist passiert, und es ist gut so. Warum sollte ich etwas so Vollkommenes wegschmeißen, nur weil ich angeblich zu jung bin?«

»Ihr zwei habt doch gar keine Erfahrung mit Beziehungen.« Ich machte mir Sorgen, dass sich irgendwann doch die Neugier auf mögliche andere Partner einstellen und die beiden in ein Chaos aus Lügen und Betrügereien stürzen würde.

»Warum sollte ich etwas so Vollkommenes wegschmeißen, nur weil wir beide Jungfrau waren, als wir uns kennengelernt haben? Außerdem hab ich dich doch ständig beobachtet.«

»Ja.« Behutsam strich ich ihr über die Wange. Vor zwanzig Jahren war Alex, ihr Vater, krank geworden. Erst war es nur eine schleichende Müdigkeit, ein ständiges Frösteln, doch dann kam irgendwann die Diagnose: »akute Leukämie«. Man steckte ihn ins Krankenhaus, wo er vor unseren Augen verkümmerte, jeden Tag ein bisschen weniger wurde. Innerhalb einer einzigen Woche starb er. Bevor ich Zeit hatte zu begreifen, dass er ernstlich krank war, war er schon tot.

Mit fünfunddreißig Jahren.

Fünfunddreißig. Gerade mal fünfunddreißig.

Erst jetzt kann ich mich langsam damit versöhnen.

Sky war damals sieben. Sie erlebte mit, wie ich eine neue Beziehung mit Stephen begann, wieder heiratete und Tara bekam. Stephen. Stephens ständige Frauengeschichten waren die Hölle für mich. Aber eine Weile taten seine leidenschaftlich vorgebrachten Beteuerungen, dass es nie wieder vorkäme, dennoch ihre Wirkung.

Wenn ich dann ein paar Monate später wieder mit unerklärter und unpassender Abwesenheit konfrontiert wurde, hoffte ich jedes Mal, dass sie auf einen Unfall zurückzuführen war und sich mein lange und oft gehegter Verdacht nicht bestätigte. Doch dann haftete ihm wieder der Geruch einer anderen Frau an, ich fand Kreditkartenbelege für Hotelzimmer, Computerfenster wurden hastig geschlossen, am Telefon wurde geflüstert und insgesamt mehr Alkohol getrunken – die klischeehaften Begleiterscheinungen des Ehebruchs. Nach der Scheidung ordnete ich mein Leben neu und war nun alleinerziehende Mutter zweier Töchter.

Troy ist der zuverlässigste Mann in Skys Leben.

»Ich hab bestimmt keine Patentlösungen für Beziehungsprobleme.« Die Wahrheit, die ungeschminkte Wahrheit ist, dass die Männer, mit denen ich mich nach Stephen traf, etwas Festes wollten. Aber ich brauchte die Garantie, dass sie perfekt waren, und das sind Menschen nun mal nicht. Und für mich kamen meine Töchter immer an erster Stelle. Ich wusste nicht, was ich mit meinem Leben anfangen sollte, als es aus der Bahn geriet. Ich war nur sicher, dass ich meine Töchter großziehen wollte.

Männer sehnen sich nach Aufmerksamkeit. Das darf man als Frau nie vergessen. Für Männer ist es schon problematisch genug, eine Frau mit einem Kind zu teilen, das sie selbst gezeugt haben, aber mit dem Kind eines anderen ist die Sache völlig hoffnungslos. Ihre Bedürfnisse müssen vorrangig behandelt werden. Einer wollte, dass ich Tara aufs Internat schicke. Ein anderer schlug vor, sie könnte doch allein in unserem Haus wohnen bleiben, während ich bei ihm einziehe. Damals war Tara gerade mal vierzehn. »Als ich in ihrem Alter war, hätte ich für mein Leben gern allein gewohnt«, argumentierte er.

»Ja, das kann ich mir vorstellen. Kommt nicht in die Tüte. Um keinen Preis«, entgegnete ich.

Dann lernte ich bei einer Party Jim kennen, den Freund des Sohns einer Kollegin. Sie hatte ihn nicht eingeladen, um uns zu verkuppeln. Er war einfach da. Kahlköpfig, mit seinem gemütlichen Bäuchlein und seinem unglaublichen Grinsen. Und seiner rückhaltlosen Warmherzigkeit.

»Ich finde deine weißen Haare wunderschön. Sie bringen deine blauen Augen zum Strahlen«, sagte er.

»Du bist der Freund des Sohns meiner Freundin!«, rief ich, als erklärte ihn das zum Baby.

»Hey, ich bin über einundzwanzig«, lachte er. »Volljährig. Legal.« Er packte mich, und wir tanzten zu Marvin Gaye. Mal zog er mich an sich, mal wirbelte er mich weg. »Wie ich gerade schon bemerkt habe – du bist wunderschön und verdammt sexy. Außerdem hat Tanzen noch keinem geschadet, oder?«

»Natürlich nicht.« Ich entspannte mich in seinen Armen. »Und du bist toll.«

»Ja, beim Tanzen schon.« Er legte den Kopf in den Nacken, und ich drehte mich unter seinem Arm.

Zuerst war es dieses fast elektrische Prickeln, dann kam die gegenseitige Neugier dazu. Nach der Party brachte er mich nach Hause. Er erzählte mir, dass er das Sorgerecht für zwei Söhne im Teenageralter hatte. Und dass sie seine erste Priorität waren. Fast den gleichen Text benutzte ich auch immer, um die Männer vor meinen Töchtern zu warnen. »Das gefällt mir. Die Kinder kommen immer zuerst.«

Er lehnte sich zurück. »Die meisten Frauen verstehen nicht, was das bedeutet. Es heißt nämlich, neben meinem Job und meinen Söhnen bleibt nicht viel Zeit für eine Beziehung. Frauen wünschen sich mehr. Deshalb war ich auch nicht auf der Suche.« Achselzuckend trank er einen Schluck Wein.

Ich dachte, es würde auf einen Flirt für eine Nacht hinauslaufen, und ich bot ihm sogar einen guten, einfachen Fluchtweg an. »Hör mal, ich muss noch meinen Weihnachtsbaum schmücken. Am Montag gebe ich nämlich eine Party.«

»Montag kann ich nicht. Da bin ich in Atlanta.«

»Ich wollte dich auch nicht einladen. Die Party ist nur für Frauen. Aber ich muss jetzt wirklich den Baum schmücken.«

Der Weihnachtsbaum war bereits in seinem Ständer, die Lichterkette angebracht, aber noch nicht erleuchtet. Neben dem Baum stand ein grüner Plastikcontainer mit dem Baumschmuck. Jim schaltete die Lichterkette ein und sagte: »Schon besser.« Mit einer Kopfbewegung zu der Kiste fügte er hinzu: »Der Schmuck ist da drin?«

»Japp.« »Dann lass uns loslegen, ja? Ich liebe Baumschmücken.«

Also schmückten wir den Baum und schenkten uns Wein nach. »Auf wunderschöne Feiertage«, sagte Jim, als wir anstießen. »Darauf, dass ich dir begegnet bin.«

Das war vor einem Jahr. Am Samstag vor der Christmas Cookie Party. An Silvester waren wir bereits ein Paar, und als der Valentinstag nahte, hatte ich mich in ihn verliebt. Aber ich sagte ihm nichts davon. Nach Alex habe ich nie wieder »Ich liebe dich« zu einem Mann gesagt. Stephen hat mir zum ersten Mal gesagt, dass er mich liebe, als ich ihm gerade wegen seiner Fremdgeherei auf die Schliche gekommen war. Als könnte man damit einen Seitensprung kompensieren. Stattdessen führte es mir nur vor Augen, wie leicht man jemanden damit manipulieren kann, dass man ihm sagt, man würde ihn lieben. Als Stephen mir seinen Antrag gemacht hat, hielt er meine Hände fest, blickte mir tief in die Augen und sagte, ich wäre der wichtigste Mensch in seinem Leben. Die Welt wäre leer ohne mich. Liebe, meinte er, ist nur ein Wort. Also nahm ich es nicht in den Mund. Und er fing an, mich zu betrügen, als ich mit Tara schwanger war, deshalb habe ich auch nach ihrer Geburt nicht von Liebe gesprochen.

Sky und Tara habe ich schon oft gesagt, dass ich sie liebe. Und meinen Eltern. Auch ein paar Freundinnen. Aber bei einem Mann bin ich einfach nicht sicher, was die Worte »ich liebe dich« eigentlich bedeuten. Sie sind ein großer Anspruch, eine Last. Sie klingen fast wie eine Forderung. So, als wollte man Bedingungen stellen und dem anderen Verpflichtungen aufbürden. Woher soll man auch wissen, was Liebe bedeutet? Irgendwo habe ich mal gelesen, dass die Augenfarbe einen Einfluss darauf hat, wie man die Welt sieht. Wenn das stimmt, woher soll ich dann wissen, ob »Liebe« für mich das Gleiche bedeutet wie für den anderen? Wo wir nicht mal sicher sein können, ob »Rot« für uns beide gleich aussieht. Außerdem – ist Liebe nicht für immer? Mit einem Mann gibt es aber kein »für immer«.

Als Jim an diesem Valentinstag sagte: »Ich glaube, ich bin dabei, mich in dich zu verlieben«, antwortete ich: »Ich bin auch ganz vernarrt in dich.«

Er nickte.

In jemanden vernarrt zu sein ist ungefährlich. Es bedeutet Freiheit für alle Beteiligten. Ohne die Last der Beständigkeit. Im Gegenteil – wenn man vernarrt ist, bleibt alles im Vagen, nur der Augenblick zählt, und das beruhigt ungemein.

Für Jim müsste das eine große Erleichterung sein, denn ich nehme vorlieb mit dem, was von seinem Leben übrig bleibt. Er verkauft medizinische Software an Krankenhäuser überall in Amerika und ist deshalb viel unterwegs. Dann hilft er zu Hause seinen Söhnen bei den Hausaufgaben, sieht ihnen beim Fußballspielen zu, bringt ihnen Autofahren bei. Zeit für mich für uns – hat er nur, wenn er zu Hause ist, die Kinder aber irgendwo anders. Freitag- oder Samstagabend beispielsweise, bevor sie von irgendwelchen Unternehmungen wieder da sein müssen. Jetzt muss ich also Zugeständnisse machen an die Kinder und die Arbeit meines Liebhabers. Aber genau das respektiere und liebe ich ja so an ihm: Er nimmt das Vatersein ernst.

Seit zwei Wochen habe ich ihn nicht mehr alleine zu Gesicht bekommen. Samstagabend waren wir bei einem Hallenfußballspiel seines Sohns. Eigentlich hätten wir den Freitagabend für uns haben sollen wir wollten zur Feier unseres Einjährigen den Baum schmücken –, aber Jims Flieger hatte Verspätung, und als er dann seine Söhne begrüßt hatte, war für uns keine Zeit mehr. Am Sonntag verstauchte sich der jüngere der beiden Jungs den Knöchel, und sie mussten in die Notaufnahme. Ich bin ebenfalls ins Krankenhaus gefahren, um bei ihnen zu sein. Seit mehreren Wochen haben wir keine Nacht zusammen verbracht, nicht miteinander geschlafen. Das ist zum Teil der Grund für meinen Sextraum.

Aber die Frage bleibt: Ist Jim für mich eine Chance, eine vertraute, dauerhafte Beziehung zu einem Mann aufzubauen, oder doch nur wieder eine Ausflucht vor einer festen Bindung? Um alles noch schwieriger zu machen, ist er zwölf Jahre jünger als ich. Fünfundvierzig. Erst fünfundvierzig!

Ich hole das letzte Blech aus dem Ofen, lasse das plätzchenbeladene Backpapier heruntergleiten und mache mich bereit, die letzten sechs Dutzend Cookies in Puderzucker zu wälzen. Dem Himmel sei Dank für Backpapier. Es ist einfach eine enorme Erleichterung beim Plätzchenbacken. Ich koche mir noch einen Kaffee und lasse mir eines der fertigen Bällchen mit seinem weichen Nuss-Butter-Vanillegeschmack im Mund zergehen.

Auf einmal rennt Disney schwanzwedelnd zur Tür. Da steht Jim, mit Schneeflocken auf der Jeansjacke.

»Oh, hallo! Ich hab dich gar nicht erwartet.«

»Ich dachte, ich schau auf dem Weg zum Flughafen mal vorbei.« Er streift meine Wange mit den Lippen, murmelt: »Hmmmm. Das können wir aber besser«, und schließt mich in die Arme. Eine Hand fest auf meinem Hintern, drückt er mich an sich, ich genieße seinen leichten Zimtgeruch und spüre deutlich seine Erektion.

»Aaaah, ich vermisse dich«, seufzt er.

Damit meint er eigentlich, dass er endlich mal wieder mit mir schlafen möchte.

Widerstrebend zieht er sich zurück und schaut auf seine Armbanduhr.

»Überlegst du, ob du genug Zeit für einen Quickie hast?«, lache ich.

»Schön wär’s.« Er zieht ein trauriges Gesicht. »In einer Dreiviertelstunde muss ich da sein.«

»Wie wär’s dann mit einem … Cookie?«, frage ich und ziehe die Augenbrauen hoch.

»Ja«, antwortet er gedehnt. »Ich hätte gerne eins von deinen … Cookies.«

Ich reiche ihm ein frisches Plätzchen und dazu meine Kaffeetasse.

»Die sind ja himmlisch. Ich hoffe, du hast auch welche für uns gemacht.«

Für uns. Ich weiß nicht, ob es »uns« wirklich gibt. Wenn er etwas sagt, was sich nach gemeinsamer Zukunft anhört, werde ich so von meinen Gefühlen überwältigt, dass ich kaum weiß, wohin mit mir. Angst, Aufregung, Glück, Frieden. Ich sehe zu, wie er das Pecan-Plätzchen vertilgt. »Keine Sorge, ich hab ein paar Dutzend extra gebacken. Außerdem sind nach der Party bestimmt jede Menge übrig.«

»Oh, aber diese hier sind garantiert die besten.« Dann zieht er eine rotgestreifte Tüte mit grünem Papier obendrauf hervor. »Ta-da!«, ruft er, verbeugt sich und überreicht sie mir. »Ich bin vorbeigekommen, um dir das hier zu bringen. Dachte, du kannst es vielleicht für deinen Baum brauchen.« Ich wühle mich durch das Seidenpapier und entdecke einen Teddybär mit karamellfarbenem Fell. Er trägt einen Pulli, auf dem mit roten Herzen geschmückte Weihnachtsbäume zu sehen sind.

»Oh Jim. Der ist ja schick – und er lächelt sogar!«, freue ich mich, lache und beuge mich zu ihm, um ihn zu küssen. »Du bist so süß.«

»Eigentlich ist alles bloß ein fieser Trick, um dich sehen zu können, weil ich dich so vermisse. Aber ich wollte nicht, dass du das weißt.«

»Ich liebe es, wenn du mit mir flirtest.« Vor allem, wenn ich ungeschminkt bin. Ich gehe ins Wohnzimmer und setze den Teddy unter den Baum. »Er passt gut zu seinen neuen Freunden«, grinse ich.

»Es tut mir leid, dass ich das Schmücken dieses Jahr verpasst habe.«

Kurz überlege ich, ob ich ihn darauf hinweisen soll, dass es auch der Tag war, an dem wir uns vor einem Jahr kennengelernt haben, aber ich entscheide mich dagegen. Es würde mir anmaßend vorkommen. Stattdessen sage ich nur: »Aber das Bärchen ist perfekt.«

»Hey, was ist denn mit deinem Gesicht passiert?«

Der blaue Fleck! Den habe ich ganz vergessen. Aber wenn ich die Stelle berühre, tut es immer noch weh.

»Du siehst aus, als hätte jemand versucht, dich zu verprügeln.«

»Dabei war es nur Kampfbacken«, lache ich.

Jim schnappt sich noch ein Cookie. Er versucht zwar, auf sein Gewicht zu achten, und jammert immer über sein Bäuchlein, aber ich finde es gemütlich. »Hey, ich muss los. Aber ich ruf dich an. Wir sehen uns Freitagabend.«

»Sicher?« Ich achte darauf, dass meine Stimme ganz locker klingt, damit er nicht denkt, ich bin nörgelig oder bedürftig.

Aber er reagiert trotzdem so. »Sicher sind nur die Steuern. Und der Tod. Ich muss sehen, was mit den Kids ist. Aber ich ruf dich auf alle Fälle an.«

»Ich wünsch dir eine tolle Woche«, sage ich und küsse ihn auf die Wange. Er öffnet die Tür, und ich sehe Schneekristalle wie Staubflusen in einem Sonnenstrahl.

Die Tür schließt sich, als würde Jim alle Geräusche mit sich fortnehmen. Aber dann höre ich plötzlich wieder meinen iPod und weiß, dass es Zeit ist weiterzuarbeiten.

Die Musik erfüllt mich, während ich die letzte Teigportion zu Bällchen forme. Die Lichter am Weihnachtsbaum glitzern, die Teddybären sitzen brav darunter. Der, den Jim mitgebracht hat, sieht aus, als wäre er schon immer da gewesen. Die Sicherheit seines »wir« war sofort verschwunden, als er den Witz mit dem Tod und den Steuern gemacht und damit meine Bitte um Beruhigung elegant pariert hat. Das wird mir jetzt klar, während ich die nächsten Plätzchen zum Abkühlen auslege. Vielleicht habe ich meinen früheren Männerbeziehungen auch die