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Für Rosey und Zook

Übersetzung aus dem Amerikanischen von Friedrich Griese

ISBN 978-3-8270-7890-2
Januar 2016
Deutschsprachige Ausgabe:
© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016
Covergestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg
unter Verwendung einer Fotografie von © Sigma/Picture Press
Datenkonvertierung: psb, Berlin

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Prolog

2. Dezember 1993

Der Aufstieg von El Doctor

1948 bis 1989

Der erste Krieg

1989 bis 1991

Gefangenschaft und Flucht

Juni 1991 bis September 1992

Bilddteil

Los Pepes

Oktober 1992 bis Oktober 1993

Der Abschuss

Oktober bis 2. Dezember 1993

Nachlese

Quellen

Anmerkungen

Dank

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[1]

An dem Tag, als Pablo Escobar getötet wurde, kam seine Mutter Hermilda zu Fuß an den Ort des Geschehens. Sie hatte sich nicht wohl gefühlt und war auf dem Weg zum Krankenhaus, als sie davon erfuhr. Sie fiel in Ohnmacht.[2]

Als sie wieder zu sich kam, fuhr sie geradewegs in das Viertel Los Olivos im Süden des Stadtzentrums von Medellín, wo es nach Angaben der Fernseh- und Rundfunkreporter passiert war. Weil die Straßen von Neugierigen versperrt waren und das Auto nicht durchkam, musste sie laufen. Wegen ihres krummen Rückens hatte Hermilda Gehbeschwerden und konnte nur kleine Schritte machen, eine zähe, grauhaarige alte Frau mit einem eingefallenen knochigen Gesicht und einer großen Brille, die ein wenig schief auf ihrer langen geraden Nase saß, einer Nase, wie sie auch ihr Sohn hatte. Sie trug ein Kleid mit einem blassen Blumenmuster, und obwohl sie nur kleine Schritte machen konnte, ging sie zu schnell für ihre fettleibige Tochter. Die größere, jüngere Frau hielt nur mühsam Schritt.

Die Straßen von Los Olivos waren von uneinheitlichen zwei- und dreistöckigen Reihenhäusern mit winzigen Vorgärten gesäumt. In den meisten standen untersetzte Palmen, die kaum bis zur Dachkante reichten. Die Polizei hatte Absperrungen errichtet, um die Neugierigen zurückzuhalten, und so waren einige auf die Dächer geklettert, um etwas zu sehen. Manche wollten genau wissen, dass Don Pablo erschossen worden war, während andere es bestritten; die Polizei habe zwar einen erschossen, aber nicht ihn – er sei wieder entwischt. Viele wollten lieber glauben, dass er davongekommen war. Medellín war Pablos Heimatstadt. Hier hatte er seine Milliarden gemacht, hier hatte er mit seinem Geld große Bürogebäude, Apartmentkomplexe, Discos und Restaurants errichtet, und hier hatte er Wohnungen für die Armen geschaffen, die zuvor in Hütten aus Pappe, Plastik und Blech gehaust und – mit Halstüchern vor dem Gesicht, um sich vor dem Gestank zu schützen – die Müllhalden der Stadt nach Brauchbarem durchwühlt hatten, das sie säubern und verkaufen konnten. Hier hatte er Fußballplätze mit Flutlichtanlagen anlegen lassen, damit die Arbeiter abends spielen konnten, und er war zur Einweihung erschienen und hatte gelegentlich sogar selbst mitgespielt, als er bereits eine Legende war, ein dicklicher Mann mit Schnurrbart und einem ansehnlichen Doppelkinn, der nach einhelliger Meinung immer noch ziemlich schnell auf den Beinen war. Hier, glaubten viele, würde die Polizei ihn nie zu fassen kriegen, konnten sie ihn nicht fassen, auch nicht mit ihren Todesschwadronen und ihren ganzen Gringo-Dollars und ihren Spionageflugzeugen und wer weiß was noch. Hier hatte Pablo sich fünfzehn Monate lang versteckt gehalten. Während sie nach ihm fahndeten, war er von einem Versteck ins nächste gezogen, zu Leuten, die ihn, wenn sie ihn erkannten, niemals verpfiffen hätten, denn hier hängte man sich Bilder von ihm in vergoldeten Rahmen an die Wand, und hier betete man für ihn, dass er lange leben und viele Kinder haben möge, und wer nicht für ihn betete, der fürchtete ihn (denn auch davon erfuhr Pablo).[3]

Die alte Dame marschierte entschlossen weiter, bis sie und ihre Tochter von streng blickenden Männern in grüner Uniform aufgehalten wurden.

»Wir sind Angehörige. Dies ist die Mutter von Pablo Escobar«, erklärte die Tochter.

Die Beamten verzogen keine Miene.

»Habt ihr denn keine Mutter?«, fragte Hermilda.

Man meldete nach oben weiter, dass die Mutter von Pablo Escobar und seine Schwester gekommen seien, und schließlich ließ man sie durch. Mit einer Eskorte schoben sie sich an geparkten Autos vorbei, bis sie die Stelle erreichten, wo die Lichter von Ambulanzen und Polizeiautos blinkten. Fernsehkameras richteten sich auf sie, als sie näher kamen, und ein Raunen ging durch die Menge.

Hermilda ging über die Straße zu einem kleinen Stück Rasen, auf dem die Leiche eines jungen Mannes lag. Er hatte ein Loch mitten in der Stirn, und seine stumpf und glasig gewordenen Augen starrten blind zum Himmel empor.

»Ihr Idioten!«, rief Hermilda und begann die Polizisten laut auszulachen. »Ihr Idioten! Das ist nicht mein Sohn! Das ist nicht Pablo Escobar! Ihr habt den Falschen erschossen!«

Doch die Soldaten wiesen die Frauen an, beiseite zu treten, und von einem Dach ließ man eine weitere Leiche herab, die auf eine Trage geschnallt war, ein dicker barfüßiger Mann in Jeans, deren Hosenbeine hochgerollt waren, und Oberhemd, ein Mann, dessen rundes bärtiges Gesicht geschwollen und blutverschmiert war. Er hatte einen seltsamen kleinen Schnurrbart, der gestutzt war wie der von Hitler.[4]

Zunächst war kaum zu erkennen, dass er es war. Hermilda atmete schwer und blickte schweigend auf den Toten hinab. In den Schmerz und Zorn mischte sich ein Gefühl der Erleichterung und auch der Angst. Sie war erleichtert, weil der Albtraum jetzt wenigstens für ihren Sohn vorüber war. Angst empfand sie, weil sie glaubte, dass sein Tod noch mehr Gewalt entfesseln würde. Nichts wünschte sie jetzt sehnlicher, als dass endlich Schluss wäre, besonders für ihre Familie. Sollten der Schmerz und das Blutvergießen mit Pablo sterben.

Im Fortgehen kniff sie den Mund zusammen, um sich nichts anmerken zu lassen, und ließ einen Reporter mit Mikrofon lediglich wissen: »Jetzt hat er wenigstens seine Ruhe.«[5]

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