Textnachweis

Von Bangkok nach Libertyville

Gary Carey, Brando! Pocket Books, New York 1973, S. 1f.

Carey, S. 3

Bob Thomas, Marlon, Portrait of the Rebel as an Artist, Random House, New York, 1973, S. 12

Thomas, S. 16

New York

zitiert nach K.O. Paetel, BEAT, eine Anthologie, Rowohlt, 1962, S. 28

Carey, S. 17

Carey, S. 18

Thomas, S. 22

Carlo Fiore, Bud: The Brando I knew, Delacorte Press, New York, 1974, S. 21

Joe Morella/Edward Z. Epstein, Marlon Brando, Gustav Lübbe Verlag, 1973, S. 22f.

Carey, S. 30

Thomas, S. 28

Michael Ciment, Kazan on Kazan, Series Cinema One, Secker & Warburg, London 1973, S. 107

Thomas, S. 31

Truman Capote, Wenn die Hunde bellen, Limes Verlag, 1974, S. 67

Heinrich Heine, Lyrik und Prosa, Band 1, Büchergilde Gutenberg, Frankfurt/M. o. J., S. 402

Kowalski

Tennessee Williams, Memoiren, S. Fischer Verlag, 1977, S. 169

Morella/Epstein, S. 18/20

Carey, S. 55

Williams, S. 176

Kowalski

Fiore, S. 97ff.

Fiore, S. 107

Kazan on Kazan, S. 36

Carey, S. 62f.

Robert LaGuardia, Monty, A Biography of Montgomery Clift, Arbor House, New York 1977, S. 59

In: Unsichtbare Gegner, ein Film von Valie Export; Buch: Peter Weibel

Carey, S. 66f.

Hollywood

Zitiert nach: Len Deighton, Close up, A Novel, Pan Books, London 1974, S. 83

Raymond Chandler, Die simple Kunst des Mordes, Diogenes Verlag, 1975, S. 145f.

Deighton, S. 206

Thomas, S. 54f.

Louis-Ferdinand Céline, Reise ans Ende der Nacht, rororo Taschenbuch Nr. 102123, S. 399

ENDSTATION SEHNSUCHT

Zitiert nach Thomas, S. 62

Zitiert nach Thomas, S. 63

Carey, S. 85

VIVA ZAPATA

Kazan on Kazan, S. 83f.

Carey, S. 87

JULIUS CÄSAR

Fiore, S. 115f.

DER WILDE

Zitiert nach Thomas, S. 81

Zitiert nach Hunter S. Thompson, Hell’s Angels, Penguin Books, London 1967, S. 71

DER WILDE

Thompson, S. 74

PRESSESTIMMEN

Zitiert nach Thomas, S. 71

DIE VERWERTUNGSGESELLSCHAFT

LaGuardia, S. 68f.

Das Idol

Barcarole aus Hoffmanns Erzählungen, zitiert nach Pitigrilli, Ein Mensch jagt nach Liebe, Eden Verlag Berlin, o.J., S. 208

John Howlett, James Dean. Eine Biographie, Verlag Monika Nüchtern, 1977, S. 179

François Truffaut, Die Filme meines Lebens, Hanser Verlag, 1976, S. 233

Thomas, S. 96

Thomas, S. 98

Carey, S. 116

Zitiert nach Howlett, S. 83

Carey, S. 133

Thomas, S. 92

Carey, S. 133

René Jordan, Marlon Brando, Pyramid Illustrated History of the Movies, Star Books, London 1975, S. 62

Jordan, S. 62

Carey, S. 117f.

DIE FAUST IM NACKEN

Zitiert nach Carey, S. 112

Tony Thomas, The Films of Marlon Brando, Citadel Press, Secaucus/New Jersey, 1975, S. 73

Roland Barthes, Mythen des Alltags, Edition Suhrkamp Nr. 92, Suhrkamp Verlag 1976, S. 147

DÉSIRÉE

Zitiert nach Thomas, S. 100

SCHWERE JUNGEN, LEICHTE MÄDCHEN

Zitiert nach Thomas, S. 105

Fiore, S. 144

Fiore, S. 146f.

DIE SCHÖNSTE SACHE DER WELT

Fiore, S. 147f.

BAUDELAIRE ÜBER BRANDO

Pascal Pia, Baudelaire, Rowohlts Monographien Nr. 7, Rowohlt Verlag 1965, S. 88

Der Prinz

David Shipman, Brando, Moviemakers, Doubleday, Garden City, New York 1974, S. 53

Carey, S. 139f.

Shipman, S. 60

Fiore, S. 181

Capote, S. 81f.

Thomas, S. 123f.

Carey, S. 126

Albert Camus, Der Mensch in der Revolte, Rowohlt Verlag 1953, S. 276

Der Besessene

Zitiert nach Filmkritik 5/1963

Zitiert nach Tony Thomas, S. 113

LaGuardia, S. 177

Jordan, S. 80

Thomas, S. 153

Capote, S. 74

Fiore, S. 168f.

Der Besessene

»Blasius der Spaziergänger«, Abendzeitung, München 24.2.78

Fiore, S. 246

Joe Hembus, Westernlexikon, Heyne Verlag 1976, S. 52

Zitiert nach Shipman, S. 67

DIE FACHWELT SPRICHT

Hembus, S. 52

Zitiert nach Hembus, S. 52

Filmkritik, 11/61

LETZTE WORTE EINES GEFEUERTEN

Fiore, S. 267f.

GUTEN TAG, DOKTOR FREUD

Carey, S. 163

CODA I

Carl Einstein, Gesammelte Werke, Limes Verlag 1962, S. 58f.

CODA II

The Rolling Stones, Songbook, Zweitausendeins 1977, S. 212

Meuterei

Zitiert nach Jordan, S. 133

Zitiert nach Thomas, S. 160

Zitiert nach Carey, S. 178

Guillaume Apollinaire, Porträt und Poesie, Luchterhand 1968, S. 77

Diese Information verdanke ich Philippe Mazelliers instruktivem Band Tahiti, Edition Rencontes, o.J.

Marginalien

Jordan, S. 97

Shipman, S. 76

Zitiert nach Morella/Epstein, S. 85f.

Paul Gauguin, Briefe, Rembrandt Verlag Berlin 1960, S. 208

Wigwam

Jordan, S. 100

Carey, S. 200f.

Zitiert nach Thomas, S. 200

Zitiert nach Morella/Epstein, S. 87

Zitiert nach Thomas, S. 219

Zitiert nach Thomas, S. 221

Zitiert nach Bruce Cook, Candid conversations with the leading man, in Thomas McGuane: The Missouri breaks, Ballantine Books, New York 1976, S. XXV

Für ein Kind

Peter Blue Cloud (Aroniawenrate), Turtle, Bear & Wolf, Poems, published by Akwesasne Notes, Mohawk Nation, N.Y. 1976, S. 26

Don Brando

Zitiert nach Jörg Fauser, Tophane, Maro Verlag 1972, S. 89

Thomas, S. 227

Zitiert nach Morella/Epstein, S. 108

Zitiert nach Carey, S. 251

Zitiert nach Morella/Epstein, S. 113

Ein Amerikaner im Abendland

Peter Rosei, »Österreich«, in: Glückliches Österreich, eine Anthologie, Residenz Verlag 1977, S. 154/156

Filmkritik 4/73

Zitiert nach Alles über: Der letzte Tango in Paris, Das Buch zum umstrittensten Film des Jahrhunderts, herausgegeben von Florian Hopf, Heyne Taschenbücher Nr. 5054, 1973, S. 10

Zitiert nach Hopf, S. 93

Chris Hodenfield, »Mondo Brando«, in Rolling Stone, 20. Mai 1976, S. 36f.

Zitiert nach Hopf, S. 91

Der Regulator

Carey, S. 272f.

Der Regulator

Claus Biegert, »Seit 200 Jahren ohne Verfassung«, 1976: Indianer im Widerstand, rororo aktuell 580, S. 112

Zitiert nach Thomas, S. 264f.

Radio TV Reports Inc., The Dick Cavett Show, Full Text (Fotokopie des Transkripts)

Zitiert nach Jordan, S. 145

McGuane, S. 50ff.

Charles Plymell, The last of the Moccasins, City Lights, San Francisco 1971, S. 160

In dieser angenehm temperierten, nicht zu heißen und nicht zu kalten Luft, unter dem ewig blauen kalifornischen Himmel, mit seiner bei Tag immerzu freundlich strahlenden Sonne und den nachts vorschriftsgemäß vom Himmel leuchtenden goldenen Sternlein, fahren Tag für Tag gut angezogene, sauber rasierte Herren und prächtig gekleidete, juwelengeschmückte und geschminkte Damen in strahlenden Automobilen der kostbarsten Marken nach den Studios der Filmgesellschaften.

Dort lassen sich unsere vergötterten Lieblinge, die Sterne der Flimmerleinwand, der bewegten und sprechenden, herab, unter Beihilfe vieler Tausender namenloser, halbverhungerter und trotzdem vom Filmteufel besessener Statisten, jene Meisterwerke der Filmkunst hervorzubringen, in denen wir alles vorfinden, was Hollywood, wie es wirklich ist, an Geist, Gemüt und Schönheit besitzt, und denen wir deshalb verdientermaßen unsere verzückte Bewunderung schenken.

Dr. Erwin DehriesDehries, Dr. Erwin in Hollywood wie es wirklich ist (1930)

Between the Idea and the Reality …

Falls the Shadow.

T.S. EliotEliot, T.S.

Ein schöner Satz: Aber was ist der Schatten, der zwischen Idee (oder Bild) und die Wirklichkeit fällt, die Realität? Es ist ein Schatten, der die Höhen streift, aber fällt er nicht auch in U-Bahn-Schächte? Liegen in diesem Schatten die Liebenden und die Verlorenen, aber treten aus ihm nicht auch die Rebellen? Denn der Schatten ist der Zweifel, er liebkost die Kunst.

Die Kunst! Alle Kunst ist tragisch, sagte Dr. BennBenn, Gottfried, aber umsonst soll sie auch nicht sein, gewusst wie … die versilberte Rebellion. Nun gibt es eine Kunst, die von keinem Schatten getrübt ist und von keiner Tragik, es ist die Kunst der Konjunkturen und der Kulturverwertungsgesellschaften, von ihr kann nicht die Rede sein, wo von Rebellion die Rede ist und vom Elementaren.

In Istanbul machte ich vor Jahren die Bekanntschaft eines alten Opiumhändlers, er hieß wohl Hussein. Ein ausgemergelter, sterbenskranker, lebenszäher Krüppel, ein seltsamer Mann, ein würdiger Greis, ein Opiumschatten. Einmal zeigte er mir seine Schatzkiste, und welchen irdischen Besitz hatte er in sechzig, siebzig Jahren in den Slums von

Schatten sind überall. Dies Buch ist ein Buch über den Schatten; wenn es was taugen wird, ist es ein Buch über den Schatten zwischen Idee und Realität. Es ist ein Buch für Hussein, für alle Husseins zwischen Üsküdar und Iserlohn, es ist ein Buch für alle, die im Schatten leben. Marlon Brando, dessen Biographie ihm seinen Rahmen steckt, ist ein Mann, der den Schatten immer gespürt hat, der immer gewusst hat, man kann sich die Rebellion versilbern lassen, den Schatten nicht. Und der Schatten versilbert auch nicht.

Es ist ein Buch für Kinogänger, die keine Idole mehr brauchen, sondern einen Hauch von Leidenschaft, von Tapferkeit und Größe. Und manchmal auch den Glanz von Silber. Sicher: »’n bisschen Tabak und ’ne Tasse Kaffee, was braucht der Mann mehr?«, sagt Johnny Guitar; wohlan. Aber vielleicht auch hin und wieder, wenn die Nächte länger werden, einen Schnaps mit dem Kaffee, und etwas Silber in die Nächte.

Ach, du Mann im Spiegel!

Lügner, Narr, Träumer, Schauspieler,

Soldat, armer staubiger Schlucker …

Carl SandburgSandburg, Carl

Kein Film ohne Reklame, keine Reklame ohne Legende, ohne Legende kein Star. Wenn schon die heilige Johanna auf Agenten und Ghostwriter nicht verzichten konnte, wie sollten da die Idole des 20. Jahrhunderts allein zurechtkommen, die kein Reich und keine Vision und keine irdisch/himmlischen Heerscharen zu vertreten haben, sondern Massenträume, Massenmythen, Massenbilder. Oder, wie Marlon Brando zu sagen pflegte: »Zuckerberge«.

Den phantasielosen Dummis, aber auch den allzu Irrationalen, die ihrer Biographie sprachlos ausgeliefert waren, stellte Hollywood in den goldenen Jahren, als die Stars geboren wurden, ganze Schreibbüros zur Seite, deren Aufgabe darin bestand, ihren Schutzbefohlenen eine publikumswirksame Legende zu erdichten – sozusagen das himmlische Drehbuch aufzumöbeln. Marlon Brando unterschied sich von den in Hollywood gezüchteten (und zertretenen) Stars auch darin, dass er diese Art von Publicitydichtung schon als Anfänger selbst beherrschte. Seine Vita auf einem Theaterzettel aus dem Jahr 1946 liest sich wie eine perfekte

In Wirklichkeit wurde Marlon Brando am 3. April 1924 in Omaha im Bundesstaat Nebraska/USA geboren. Nebraska ist tiefer Mittelwesten, Herzland jener Region, die als Middle America für Konservatismus, Patriotismus und Kleinstadtmentalitat steht, sich aber vor allem dadurch ausgezeichnet hat, dass sie die Geburtsorte so eminent individualistischer Talente wie Ernest HemingwayHemingway, Ernest (Schriftsteller), Abraham LincolnLincoln, Abraham (Politiker), Carl SandburgSandburg, Carl (Dichter), Spencer TracyTracy, Spencer (Schauspieler), James ThurberThurber, James (Schriftsteller), F. Scott FitzgeraldFitzgerald, F. Scott (Schriftsteller), Clark GableGable, Clark (Schauspieler), William S. BurroughsBurroughs, William S. (Schriftsteller), Montgomery CliftClift, Montgomery (Schauspieler), John DillingerDillinger, John (Gangster), Adlai StevensonStevenson, Adlai (Politiker), James DeanDean, James (Schauspieler) und Robert Zimmermann alias Bob DylanDylan, Bob (Vortragskünstler und Lyriker) abgegeben hat. Konservativ gewiss, diese Gegend, aber eben auch Heimstatt jenes unverwechselbar amerikanischen Individualismus, der die populäre Volkskultur dieses Landes hervorgebracht und ihr nicht nur im Schriftsteller oder im Schauspieler, sondern z.B. auch in der Figur des Gangsters Ausdruck verliehen hat.

Für die Kinder – Marlon, der »Bud« genannt wurde, weil ja Papa seinen Vornamen besetzt hatte, und seine zwei älteren Schwestern JocelynBrando, Jocelyn (Schwester) und FrancisBrando, Francis (Schwester) – war diese Ehekonstellation kein Zuckerschlecken. Der Erziehungsbeitrag des Produkte-Vertreters, der, wie Brando sich später zu erinnern glaubte, »ziemlich oft mit Lippenstift auf dem Hemdkragen heimkam«, scheint sich auf Disziplinarmaßnahmen beschränkt zu haben, die wie meist in solchen Fällen nur die sauren Früchte der Entfremdung trugen. Natürlich hielt die Mutter auf »progressive« und »freie« Erziehung,

Libertyville, 2000 Einwohner, ist nun wirklich tiefe Provinz, Hicksville in Reinkultur. Farmland, Apfelbäume, Krämers Welt, Spießers Traum. Die Familie galt als wohlhabend und bezog ein weiträumiges Haus mit reichlich Land drum herum, das Marlon seniorBrando, Marlon (Vater), der als »Gentleman Farmer« Respekt genoss, mit allerlei Viehzeug belebte, 28 Katzen und auch einer Kuh, die, wie könnte es anders sein, von niemand sich melken lässt als von »Bud«. Also reinste Idylle am See, und das noch mitten in den schweren sozialen Erschütterungen der ausklingenden Wirtschaftskrise.

Erschütterungen aber auch im Hause Brando. Denn für beide Eltern ist das Idyll der Rückzug: Aufstecken weiterreichender Ambitionen, Abschotten der Träume, die leider nicht weit trugen, Dichtmachen des Horizontes, der die Sterne nie nähergebracht, mittels Verhüllung der Butzenscheiben: Buds Vater war abweisender geworden. Er hatte zwar gut verdient, aber doch nicht den Erfolg gehabt, den 3

Also der Handlungsreisende in der Provinz, auch mal flott und hübsch gewesen und den Traum vom großen Geld und dem gerechten Gott und Vaterland im Herzen und auf der Stirn getragen, und jetzt an die Landstraßen und die Kleinkrämer und die kleinen dummen Freundinnen in den namenlosen Budiken gefesselt, und zu Hause die verblühte Schöne, die Henry FondaFonda, Henry protegierte und den Kranz der Thespis trug auf den Bühnen, deren Bretter auch in Omaha die Welt bedeuteten, aber jetzt verwelkt im Schoß, aus dem die Kinder in die Welt getreten, und alles nur ein holder Wahn für mittlere Talente, mangels Nachfrage zu ertränken im Gin … die Provinz des Menschen, mit den Füßen in der Scheiße und die Hände zu den Sternen gereckt, und immer weiter und immer fort. Natürlich wachsen in dieser Provinz die Rebellen heran, aber es sind innerlich schon frühzeitig müde Rebellen, mit dem zynischen Zug um die Lippen und dem Blick, der sagt: »Was soll der Schmus, Baby?«

Der junge Brando: Nicht viel dran, wie’s scheint. Die Boxerstatur des Alten und das hübsche Gesicht der Mutter, bisschen Talent zum Schauspielen (seine beste Pantomime

Marlon hörte sich die Vorwürfe seines VatersBrando, Marlon (Vater) an. An seine Mutter konnte er sich nicht wenden; die Flasche war ihr einziger Gesprächspartner. Und seine Freunde verließen ihn jetzt auch. Einer nach dem anderen gingen sie an die Front.4

Wir haben Brando also mit 19 Jahren in einer ziemlich flauen Stimmung. Sein einzig wirklich originäres Interesse

Der VaterBrando, Marlon (Vater), er hat inzwischen einen Insektiziden-Handel, schlägt dem Sohn vor: »Komm in mein Geschäft!« Aber dieser amerikanische Dollar lockt nicht. Er gammelt ein bisschen rum. Die Schwestern sind in New York, FrancisBrando, Francis (Schwester) auf der Kunst-, JocelynBrando, Jocelyn (Schwester) auf der Schauspielschule. Auch Marlon wollte es mit dem Schauspielen probieren. Hatte er etwa kein Talent? Und Schauspielen – kann das nicht jeder? Schließlich: Wo sonst nichts lockt, lockt das Leben.

Der Alte tobt, es hilft nichts. »Insektenmittel kann ich ja immer noch verkaufen«, sagt sich Bud und schnürt sein Bündel. Der geht bestimmt vor die Hunde, heißt es in Libertyville. Und werden sie sich nicht 30 Jahre später bestätigt gesehen haben, als Bud den letzten Tango tanzte? Kleinstädte haben immer recht, das ist ihr Daseinsgrund. Den letzten Tango beißen die Hunde, und die Blumen des Bösen lachen dazu.

Raget empor, hohe Masten Manhattans! Raget auf, herrliche Hügel Brooklyns!

Bebe, verwirrtes und neugieriges Hirn! Wirf Fragen hinaus und Antworten dazu!

Weile hier und überall, ewige Flut der Lösung!

Schaut, liebende und dürstende Augen, in das Haus, in die Straße oder Versammlung.

Erklingt, ihr Stimmen der jungen Männer! Laut und wohltönend rufet bei meinem Namen mich.

Lebe, altes Leben! Spiele die Rolle, auf die zurückschaun Schauspieler, Schauspielerin!

Spielt die alte Rolle, die Rolle, die groß oder klein, ganz wie man sie gestaltet!

Walt Whitman: Auf der Brooklynfähre

Hundert Jahre nach Walt WhitmanWhitman, Walt kann man nicht mehr dessen inbrünstig hymnische Tonlage erreichen, aber kleinere Ekstasen vermittelt nebst Angst und Schrecken New York dem Reisenden auch heute noch. Marlon Brando kam 1943, mit 19 Jahren, in die Stadt, die mitten im Krieg eine große Zeit hatte. Da drängten sich unter den Emigranten einige absolute Spitzenvertreter der europäischen Geistes- und Kulturbearbeitungswelt in den Theatern, Colleges und Cafés Manhattans (und behaupteten sogar, in der Person des Oskar Maria GrafGraf, Oskar Maria, eine Synthese aus Bayern, Bier und Kommunismus in den teutonischen Nostalgieschwemmen an der 86. Straße); und da tobte sich

Ah, dieser morsche Moloch, der uns seine mörderischen Schwären aufdrückt und sein Kainsmal und zu

Als Spezialist eingekerkert in die Lebenszonen seiner speziellen Branche, hat Marlon Brando, soweit bekannt, nie mit den Leuten der Beat Generation Kontakt gehabt. Trotzdem gehört er – man achte auf seine improvisierten Dialoge im Letzten Tango – nach psychischer Konstitution und rebellischer Lebenshaltung durchaus in das Umfeld dieser ja ganz heterogenen Gruppe, deren Qualität es unter anderem ausmachte, auch in Straßenstrolchen die Seele des schöpferischen Menschen zu wecken und manchem Mann im Flanellanzug etwas vom WhitmanWhitman, Walt’schen Impetus und von der Bewusstseinslage der Moderne mitzugeben. Wie die Beats war Brando ein scharfer Beobachter der Großstadtszenerien und ihrer Nachtschattengewächse; ob Schauspieler oder Literat, für den Künstler sind die Auswüchse der Zivilisation, nicht deren bourgeoise Zentren und Produzenten der Mittelpunkt des Lebens, ihm filtern Psyche und Physis der Metropolis die Essenz der

Brando kommt in New York ohne Beruf, ohne Brieftasche und ohne fest umrissenes Ziel an. Sein einzig wahrnehmbares ist sein mimisches Talent. Während er die üblichen Großstadtjobs verrichtet (Fahrstuhlführer, Lastwagenfahrer, Limonadenverkäufer), geht er auch ohne Zögern in die Schauspielklasse, die seine Schwester JocelynBrando, Jocelyn (Schwester) an der New School for Social Research besucht: ohne die mindeste Ahnung von der Dimension seines Talents, aber wohl auch ohne große Skrupel. Theater, das waren die Laienensembles, in denen seine Mutter geglänzt hatte, das waren das Omaha Playhouse und das Evanston Playhouse und die Drama-Zirkel in Santa Ana und Libertyville, der muffige Übungsraum überm Krämerladen und die Bühne im Auditorium der Oberschule … nicht gerade Stationen glänzender Erfolge, aber in der Erinnerung Brandos doch insofern außergewöhnlich, weil sie Abweichungen von der provinziellen Norm dargestellt hatten, der er unbedingt entrinnen wollte. Noch als Superstar wird er immer wieder und fast beschwörend feststellen, nur ein Zufall habe ihn ans Theater gebracht: »Ich wusste nicht, was ich sonst hätte machen sollen.« Natürlich war es mehr als Zufall –

Wie fast immer in den ersten Jahren seiner Karriere kombiniert Brando Instinkt mit Glück. Auf jeder anderen Schauspielschule wäre ihm vielleicht die Lust an dem Gewerbe frühzeitig vergangen. Aber die Schauspielklasse an der New School ist denn doch etwas anderes. Hier werden Politik, Soziologie, Philosophie, Literatur großgeschrieben, und die Klasse wird geleitet von Stella AdlerAdler, Stella, einer bekannten jüdischen Schauspielerin, die eine Schülerin von Richard BoleslawskiBoleslawski, Richard und Maria OuspenskajaOuspenskaja, Maria ist, jener Theaterleute, die die Lehre des großen StanislawskiStanislawski, Konstantin S. von Moskau nach Amerika gebracht haben. Gary CareyCarey, Gary schreibt in seinem Brando-Buch von 1973: In Stella Adlers Klasse lernte Brando, dass Schauspielen mehr war als eine Handvoll technischer Tricks, mehr als Mimesis, mehr, als sich graziös zu bewegen und das »R« zu rollen. Es war ein kreativer Prozess, in welchem der Schauspieler jede Facette seiner Persönlichkeit – seiner Erfahrungen, Kenntnisse, Beobachtungen – dazu benutzte, um den Ideen des Stückeschreibers Form zu verleihen.2

Im liberalen und fruchtbaren Milieu der New School eignet Brando sich auch Kenntnisse an, die ihm in dem stumpfen Mief der kleinstädtischen High Schools und der Militärakademie verborgen geblieben waren. Er belegt Kurse in Französisch, Kunst, Philosophie und lernt vorzüglich Tanzen, Fechten und Yoga. Seit dieser Zeit beschäftigt er sich mit Religionsphilosophie, Anthropologie, Psychologie, und zwar immer in der naiven Art des fröhlichen

Leiter des Dramatic Workshop der New School war kein Geringerer als Erwin PiscatorPiscator, Erwin, der berühmte Berliner Theatermann, der 1930 nach New York gekommen und in den 30er und 40er Jahren ein Motor der linken Theatergruppen war. Durch seine Hände gingen eine Menge großer Talente (unter ihnen Shelley WintersWinters, Shelley, Rod SteigerSteiger, Rod und Walter MatthauMatthau, Walter), die alle die preußischen Umgangsformen und die strikte Kunstauffassung PiscatorsPiscator, Erwin respektieren lernten. Brandos Einstellung war lascher, und kein Wunder, denn er war alles andere als überzeugt von sich und der Theaterzunft. Auffallend war schon damals seine Begabung für Maskerade und Clownerie, fürs Possenreißen: »Er liebte es, mit Make-up zu experimentieren und mit falschen Koteletten, Perücken, ausländischen Akzenten und ausgefallenen Dialekten.« Aber mit der Oberfläche des Handwerks mochte sich Miss AdlerAdler, Stella nicht so sehr wie mit der »inneren Wahrheit« des Schauspielens befassen, und ihrem scharfen Auge gebührt Respekt, sah sie doch in den Hanswurstiaden des jungen Brando schon den Schatten, der tiefer dringt: »Wenn er für eine Rolle lernen muss, ein Pferd zu reiten, dann beobachtet er dieses Pferd so genau, wie noch nie jemand ein Pferd beobachtet hat, und wenn er in der Szene auftritt, ist er sowohl Pferd wie Reiter.«3

(Eine Episode am Rande. CareyCarey, Gary vermerkt sie, und ich finde, sie illustriert jenes Milieu und seine Menschen und eine bestimmte fanatische Reinheit des Gedankens und

Im Sommer 1944 ging PiscatorPiscator, Erwin mit seiner jungen Truppe aufs Land – Sommertheater, eine Institution der nicht-subventionierten amerikanischen Bühnen. Die Gruppe schlug ihre Zelte in Sayville, Long Island, auf und erwirtschaftete mit der Aufführung klassischer Stücke für New Yorker Sommerfrischler immerhin die Summe von 500 Dollar.

Für Brando war die Saison in Sayville vorzeitig zu Ende. Bob ThomasThomas, Bob schreibt: Es war wohl unausweichlich, dass Brandos Temperament mit PiscatorsPiscator, Erwin teutonischer Disziplin kollidierte. Marlon schätzte es, PiscatorPiscator, Erwin zur Belustigung der anderen Schauspieler auf subtile Weise zu ärgern. Die Truppe wurde vom Management des Theaters mit Essen versorgt, und Piscator betrachtete sich als Hüter der Vorräte. Jede Nacht wurde der große Kühlschrank mit einer Kette verriegelt und mit einem Schloss gesichert. Jede Nacht gelang es Brando, den Kühlschrank zu öffnen und einen Käse oder eine Schnitte Roastbeef zu entfernen. Diese nächtlichen Plünderungen ergrimmten den Tyrannen Piscator. Jeden Morgen inspizierte er den Kühlschrank und schäumte vor Wut über den Phantomdieb.

Ich habe diese Szene so breit zitiert, weil sie zwei ganz typische Brando-Charakteristiken zeigt, im Grunde zwei Seiten einer Medaille: seinen Hunger auf Nahrung und seinen Hunger auf Sex. Wahrscheinlich kann sich jeder selbst einen Reim drauf machen, konstatieren wir: Brando ist ein Fresssack und ein Sexbesessener und ein Säufer wahrscheinlich nur deshalb nicht, weil seine Mutter ihm immer die Flaschen weggeputzt hat. Und wenn wir uns schon der Couch und der Kastrationsangst und dem Ödipus Rex und den satten Stundenhonoraren nähern, warum nicht diese Szene, die sich ebenfalls in Sayville im Sommer ’44 abgespielt hat, als Stauffenbergs Bombe nicht hochging, und an jenem Teil der normannischen Küste, der heute Omaha Beach heißt, wo die amerikanischen Truppen die zweite Front nach Frankreich trugen: Ich fragte mich, was Piscator gesagt haben würde, wenn er über die Nacht Bescheid gewusst hätte, in der wir ein Mädchen, das keinen Platz zum Schlafen hatte, in unserem Bett beherbergten. Wir wollten sie beide bumsen, und Marlon war vollkommen damit einverstanden, sie zu teilen. Wir kletterten alle zusammen ins

Während er stumm im Dunkeln zugange war und ich frustriert neben ihm lag, spürte ich, wie Marlon eine Hand ausstreckte und mir übers Gesicht streichelte.

»Was soll das?« sagte ich irritiert, »was ist denn?«

»Ich dachte, du würdest weinen«, sagte mein Freund leise.5

Der Mann, der da so herzig aus dem Nähkästchen plaudert, heißt Carlo FioreFiore, Carlo, ist einige Jahre älter als Brando und hatte später, in den 50er Jahren, zeitweise eine etwas seltsame Stellung als Brandos Mädchen für alles – Lichtdouble auf dem Film-Set, Produktionsassistent, Beichtvater, Dialog-Coach, einer der zahlreichen Co-Autoren von Brandos Film Der Besessene, aber generell wohl Kofferträger und Mädchenlieferant. Wahrscheinlich war er eine Zeitlang auch Marlons Freund, obwohl das aus dem Buch, das er 1974 über sich und Brando schrieb, nicht genau hervorgeht. Dieses Buch ist zum Teil reinster Klatsch & Tratsch, der übliche Schmäh, der exundiert, wenn ein minderes Talent vor einem größeren das Bein hebt; aber es geht auch darüber hinaus, denn Fiore ist ein scharfer Beobachter und versteht vom Filmemachen à la Hollywood eine ganze Menge. Was das Buch auch noch lesenswert macht, ist die flott und krott erzählte Geschichte vom Kampf des Autors mit seiner Rauschgiftsucht, denn Mr. Fiore entpuppt sich schon auf Seite 81 als klassischer Greenwich-Village-Hipster mit dem Sinn für die blonde Sexbombe und den satten Schuss Heroin im Arm … die Connection uptown … Charlie ParkerParker, Charlie im Five Spot … »Meine Sucht kostete mich

1944 aber waren Brando und FioreFiore, Carlo enge Freunde. Trotz der Querelen mit PiscatorPiscator, Erwin landete Brando schon im Herbst sein erstes Engagement, einen soliden Part in einer Rogers-&-Hammerstein-Produktion: I Remember Mama; eine Familienkomödie. Der Neuling bekam gute Kritiken, und da das Stück über ein Jahr lief, war er auch finanziell abgesichert. Er konnte sich ein Apartment leisten, das zur Drehscheibe einer Szene junger Schauspieler und Bohemiens wurde, deren gemeinsamer Mittelpunkt Brando war: Man kam hin und traf auf zehn, fünfzehn Leute, die sich in den Räumen aufhielten. Es war seltsam, denn einer schien den anderen nicht zu kennen. Sie waren einfach da, wie an einer Bushaltestelle. Irgendjemand lag schlafend auf einem Stuhl. Leute lasen die Plakate an den Wänden. Ein Mädchen tanzte für sich allein. Ein anderes lackierte sich die Zehennägel. Ein Komiker probte seinen Nachtclub-Auftritt. In einer Ecke wurde eine Schachpartie ausgetragen. Und Trommeln – bum, bum, bum! Aber getrunken wurde nie etwas; das gab es nicht. Hin und wieder sagte einer: »Lasst 6

Eine sehr gesittete Szene im Grunde und Brando weniger als Entertainer, sondern mehr als Zeremonienmeister, gewiss als scharfer Beobachter, der auf der Bühne umsetzte, was er tagsüber aufschnappte. Seine Mutter DodiePennebaker, Dorothy (Dodie, Mutter), die zeitweise in New York mit ihm lebte, und der Junkie FioreFiore, Carlo, der seine Theaterträume in Heroin auflöste, waren unter diesen jungen und wohl harmlosen Leuten die Gebrandmarkten; aber was er Fiore durchgehen ließ, verwand Brando bei seiner Mutter nie: dass sie den Sohn samt beginnender Karriere überm Suff vergessen konnte.

Mit dieser Karriere ging es ungewöhnlich rasch voran; so rasch, dass der junge Schauspieler in seiner ersten Rolle die Aufmerksamkeit bekannter Produzenten und Agenten und sogar von Talentsuchern aus Hollywood auf sich zog. Der Mann, von dem es schon einige Jahre später heißen sollte, er sei der größte Schauspieler Amerikas, war ohne Zweifel ein Naturtalent; aber er arbeitete auch viel härter an sich, als er das je zugeben mochte. Obwohl seine Agentin, Edith Van CleveVan Cleve, Edith von der Music Corporation of America, einem gigantischen Konzern der Unterhaltungsbranche, ihn moralisch immer wieder gut aufbaute, war der junge Schauspieler damals dennoch seiner Sache und des Metiers so ungewiss, dass die üblichen Vorsprech-Touren fast ständig im Desaster endeten: »Es war schrecklich«, erinnert sich Edith Van Cleve. »Bei jedem einzelnen Vorsprechen war grauenhaft. Er konnte einfach nicht lesen … Manchmal machte er den Mund auf und brachte keinen Ton heraus, oder wenn, dann war es ein schrecklich hervorsprudelnder Wirrwarr von Worten.«7

Zu diesem Manko kam die Attitüde lässiger Wurstigkeit, die ihn später berühmt machen sollte – der coole Hipster mit dem Durchblick, der an der Mauer lehnt und zur Welt sagt: »So, das soll’s sein? Is’ ja intressant …« Bei einem Test für eine Filmgesellschaft spielte er mit einem Jojo, bei einem Theaterproduzenten klappte er nach einer Weile das Buch zu, sagte: »Ich bring’ das nicht« und schlurfte hinaus.

Aber dann fand er einen Meister, und es war der richtige Mann zur richtigen Zeit: 1946 begann Brando die wichtigste Zusammenarbeit seiner Schauspielkarriere. Stella AdlerAdler, Stella hatte ihren Mann, Harold ClurmanClurman, Harold, dazu überredet, ihren Protegé in einem Stück zu beschäftigen, das er in Zusammenarbeit mit Elia KazanKazan, Elia produzierte. Es war ein zeitgenössisches Drama von Maxwell AndersonAnderson, Maxwell mit dem Titel Truckline Café … Bei der ersten Sprechprobe war Brando nicht zu verstehen.

»Lauter, Marlon!«, schrie KazanKazan, Elia von hinten. »Hör auf, vor dich hinzumurmeln! Wenn dieses Unternehmen schon Geld verliert, möchte ich wenigstens hören, womit ich es verliere!«8

Das Stück war ein Reinfall und wurde nach 13 Aufführungen abgesetzt, aber Brando bekam wieder ausgezeichnete Kritiken und, viel wichtiger, die Verbindung mit einem der wichtigsten damaligen Theater- und Filmregisseure, die der eigentliche Anstoß für den Durchbruch war, der nicht mehr lange auf sich warten ließ.

KazanKazan, Elia war für Brando mehr als ein Regisseur; der Schauspieler adoptierte den Regisseur als geistigen Ziehvater: Für drei oder vier Jahre hatten wir eine sehr enge Beziehung. Ich war wie ein Vater für ihn. Als mein Sohn Chris noch ein kleiner Junge war, kam Marlon immer zu uns und spielte mit ihm. Später, als ich (vor dem Ausschuss) aussagte, wurde er etwas kühl, aber unser Verhältnis blieb ambivalent. Einerseits war er mir dankbar und liebte mich. Als er (1968) ablehnte, Das Arrangement zu drehen, sagte er zu mir: »Du bist der einzig wahre Regisseur, mit dem ich je gearbeitet habe« – und so fort; und ich sagte zu ihm: »Und du bist der beste Schauspieler, mit dem ich je gearbeitet habe«, 9

Kein Zweifel, in KazanKazan, Elia hatte Brando eine Art Vater- und Mutterersatz gefunden, wahrlich kein schlechter Tausch für den grummeligen Klinkenputzer und die frustrierte Alkoholikerin – aber eben doch nur Ersatz. Kazan, der Brandos Schwierigkeiten klar erkannte (wie sieben Jahre später die Jimmy Deans), vermittelte den selbstzweiflerischen jungen Schwierigen an seinen eigenen Psychiater, einen Dr. Bela MittelmannMittelmann, Dr. Bela (Brando wird ihn, ebenfalls sieben Jahre später, Jimmy DeanDean, James empfehlen, und die Fama lautet, dass Jimmy dort nur einmal auftauchte, um sofort und wortlos zu verschwinden, aber ob er nun den richtigen Instinkt hatte, lässt sich schlecht abschätzen, denn kurze Zeit später raste er ja mit seinem silbernen Porsche Spider direkt in den zentralen Supercolor-Teenager-Traum, wo es bekanntlich keine grauen Haare und keine Speckfalten und keinen Regisseur, aber auch keinen letzten Tango gibt …).

Über die Couch befand Brando später: »Die Leute tendieren meistens dazu, jemand anderem die Schuld in die Schuhe zu schieben, anstatt sie bei sich selbst zu suchen. Mir ging es genauso. Aber ich war mit genug Verstand gesegnet, um mir klarzumachen, dass die Psychoanalyse das einzige und letzte Mittel war, das mir helfen konnte, mit mir ins Reine zu kommen.«10

Brando mit 22, 23 Jahren. Ein junger Mann von so blendendem Aussehen, dass selbst der Geschmäckler Truman CapoteCapote, Truman mit der Zunge schnalzt: Da er ein weißes Atlas, CharlesAtlas-Brustkasten (wenngleich eine geöffnete Ausgabe der Grundlegenden Schriften von Sigmund FreudFreud, Siegmund darauf ruhte) – hielt ich ihn für einen Bühnenarbeiter. Oder vielmehr so lange, bis ich sein Gesicht aus der Nähe sah. Es war, als ob das Gesicht eines Fremden an den muskulösen Körper gefügt sei, wie bei gewissen Fotomontagen. Denn dieses Gesicht war so wenig hart, dass es dem kantigen guten Aussehen: straffe Haut, eine breite, hohe Stirn, weit auseinanderstehende Augen, Adlernase, volle Lippen von entspanntem, sinnlichem Ausdruck – einen fast engelhaften Zug von Verfeinerung und Adel verlieh.11

Für sein Alter geht es ihm finanziell nicht schlecht, er bekommt schon 275 Dollar Wochengage. Er hat einen väterlichen Freund, eine gute Agentin, einen Schwarm Verehrerinnen, und wenn er keine große leidenschaftliche Liebe hat – zu leiden scheint er nicht darunter. Er zeigt auch Idealismus, Sympathie für eine »gute Sache«, etwas, das in der von jüdischem Kommerz und jüdischem Kulturbetrieb dominierten New Yorker Szene sicher nicht schlecht ankommt. Er schlägt eine weitaus besser dotierte Rolle aus, um für 50 Dollar Wochengage in einem, das darf wohl gesagt werden, jüdisch-israelischen PR-Stück namens A Flag is Born an der Seite Paul MunisMuni, Paul aufzutreten.

Er hat außerdem einen hervorragenden Appetit, und zwar, wie FioreFiore, Carlo etwas bedauernd feststellen muss, nicht auf französische Küche, sondern auf Pommes frites, Hamburger, Milkshakes, Steaks, Apfelkuchen, und diesem All-American Boy treibt der gute Dr. MittelmannMittelmann, Dr. Bela auch

Und doch liegt ein Schatten ganz deutlich auf diesem Bild. Brando weiß, dass, wie es mein verehrter Freund ColonelPélieu, Claude Washburn2 auszudrücken pflegt, »die meisten Frauen nur zum Ficken da sind – und die meisten Männer zum Schneeschieben«. Und er weiß, dass er mehr kann als Schneeschieben. Er steht auf der Kippe. Was sich abzeichnet, ist nicht so sehr Karriere, Karriere machen auch Schneeschieber, man braucht sich nur unsere Staatsmänner oder Kulturträger anzuschauen. Was sich abzeichnet, ist, wie Dr. BennBenn, Gottfried gesagt hätte, »die Kunst«.

 

Es ist das Zittern, das den kreativen Menschen befällt, die Angst des Produktiven vor der Produktion – und vor der Leere danach. Wenn Brando bei Probeaufnahmen Jojo spielt oder einem Produzenten sagt: »Fick dich ins Knie« (DeanDean, JameswasEndstation Sehnsucht