cover

Wie ich mein Pferd artgerecht ernähre

 

Image

Image

Dr. Christina Fritz

 

 

Pferde
FIT
füttern

 

Wie ich mein Pferd artgerecht ernähre

 

 

 

 

 

Image

Haftungsausschluss:

Autoren und Verlag lehnen für Unfälle und Schäden jeder Art, die aus den in diesem Buch dargestellten Übungen, Ratschlägen und Ansichten entstehen können, jegliche Haftung ab.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Image

Vorwort

Weitverbreitete Probleme mit der Gesundheit – von chronischen Lahmheiten über Atemwegserkrankungen bis zu Rücken- und Muskulaturproblemen – sind immer häufiger der Grund für das Ausscheiden schon junger Pferde aus der reiterlichen Nutzung. Chronische Gesundheitsprobleme nehmen mittlerweile einen breiten Raum ein und können oft weder vom Tierarzt noch von anderen Therapeuten nachhaltig behoben werden. Es ist ein ganz neuer Themenkreis der „Zivilisationskrankheiten“ des Pferdes entstanden, die in der Literatur vor 50 Jahren noch keine Erwähnung finden. So ist es mittlerweile „normal“, dass Pferde Kotwasser haben oder im Alter entwickeln. Jeder Pferdehalter kennt sich aus mit Sommerekzem, Hufrehe, EMS, COPD und anderen Erkrankungen, die unsere Großväter, wenn überhaupt, nur sehr selten zu sehen bekamen.

Statt Spaß am Reiten und an der Haltung gesunder Pferde zu haben, zwingt diese Entwicklung immer mehr Halter, sich mit Gesundheitsfragen auseinanderzusetzen. Die Fütterung ist ein entscheidender Faktor bei der Gesunderhaltung des Pferdes. So war in der DDR das Sommerekzem weitgehend unbekannt, tritt jetzt aber – sogar bei alten DDR-Zuchtlinien – immer häufiger auf. Der große Unterschied in der Haltung vor 30 Jahren und heute ist die Fütterung von Heulagen und fertigen Mischfuttern statt Heu und Hafer. Auch Überlastung von Leber oder Niere durch falsche oder zu viele Zusatzprodukte, vor allem in Kombination mit Medikamentengaben, können zu Krankheiten führen. Falsche Kraftfuttersorten stören die Darmflora und machen das Pferd anfällig für Koliken, Kotwasser und andere Verdauungsprobleme. Aber nicht nur Koliken, sondern auch Probleme mit dem Sehnen- und Bandapparat, Verspannungen, Fell- und Hautprobleme, Atemwegsprobleme und so weiter haben ihre Ursache häufig in ungeeigneten Futtermitteln.

Dieses Buch soll Ihnen die komplizierte Chemiefabrik im Körper, Stoffwechsel genannt, näherbringen. „Die Nahrung soll deine Medizin sein“, sagte schon Hippokrates. Und so oft zitiert dieser Ausspruch auch ist, wird er leider in der Praxis viel zu wenig angewendet. Stattdessen geht im Stall Liebe durch den Magen. Das Pferd aber ist glücklicher, wenn es artgerecht gehalten und gefüttert wird. Dann ist es ein gesunder Partner und kein dauerkranker Pflegefall. Begeben Sie sich mit mir auf die Reise durch den Pferdestoffwechsel und sehen Sie die Fütterung Ihres Pferdes mit anderen Augen.

 

Ihre Image

EINLEITUNG:
Ernährung und Stoffwechsel des Pferdes

Image

 

Die Ernährung des Pferdes ist eng mit seinem Stoffwechsel verknüpft. Den Begriff „Stoffwechsel“ kann man weitgehend wörtlich verstehen: Stoffe werden aufgenommen, gespalten, neue Stoffe aus den Bruchstücken anderer Stoffe aufgebaut, Reste beziehungsweise Abfälle werden entsorgt. Kurz gesagt: Der Organismus ist eine chemische Fabrik, in der rund um die Uhr gearbeitet wird. 

Der Stoffwechsel hält alle Lebensvorgänge aufrecht und besteht aus einer unendlichen Vielzahl enzymatischer, chemischer und physikalischer Reaktionen. Diese Reaktionen laufen beim gesunden Pferd völlig unbemerkt ab, nicht nur bei der Nahrungsaufnahme, sondern kontinuierlich. Zur Größenordnung: Der Körper des Pferds besteht aus etwa 60 Billionen Zellen − kleinen Lebenseinheiten mit jeweils eigenem „Programm“, das heißt mit eigener Funktion, eigener Zellatmung, speziellem Zellstoffwechsel, Zellerneuerung und Zelltod. In jeder Sekunde laufen parallel etwa 50 Billiarden biochemischer Reaktionen in diesen Zellen ab.

Jede kleine Störung dieser Reaktionen führt zu Änderungen der Abläufe. Der Körper hat Notfallmechanismen, um über Stoffwechselumwege funktionsfähig zu bleiben. Das bleibt zunächst in den meisten Fällen im Sinne einer Erkrankung unbemerkt. Auf Dauer können jedoch durch die Überlastung eines anderen Stoffwechselwegs oder Erschöpfung der Reserven Folgeschäden entstehen.

Länger anhaltende Störungen der Stoffwechselvorgänge äußern sich daher fast immer in Krankheiten. Diese entwickeln sich schleichend, oft über Monate oder Jahre, da der Körper so lange wie möglich versucht, die Probleme zu kompensieren. Daher werden die Krankheiten oft nicht der richtigen Ursache zugeordnet: Bei falscher Fütterung können die Krankheiten in Form von Allergien, Störungen des Bewegungsapparats oder Hufkrankheiten erst Jahre später auftreten. Das macht auch die Therapie so schwierig und langwierig. Denn nach der langen Zeit lässt sich die Ursache oft nicht mehr eindeutig bestimmen und häufig überlagern schon eine Reihe anderer Symptome und Krankheiten das eigentliche Bild.

Alle Stoffwechselvorgänge werden letztlich durch Atemluft, Trinkwasser und Nahrung unterhalten. Diese Komponenten liefern die Bausteine für den Stoffwechsel. Gesteuert werden sämtliche Vorgänge von Enzymen, Vitaminen, Hormonen und dem Nervensystem. Dabei bestehen zwischen diesen regulierenden Steuerungssystemen enge Zusammenhänge: Bei der Verdauung des Pferdes sondert die Bauchspeicheldrüse Verdauungsenzyme ab, sobald der saure Nahrungsbrei aus dem Magen mit der Schleimhaut des Dünndarms in Kontakt kommt. Die Enzyme zerlegen die aufgenommenen Nahrungsproteine in Einzelbestandteile, die erst nach diesem chemischen Prozess die Darmwand passieren können. Nun gelangen die Bausteine in die Leber und von dort über das Blutsystem zu den einzelnen Körperzellen. Die Zellen nehmen die Bausteine aus dem Blut auf und verwenden sie, um beispielsweise neue Proteine aufzubauen oder um Energie zu gewinnen. Sie werden also verstoffwechselt. Dieser Prozess läuft aber nur so ab, wenn alle Komponenten des Stoffwechsels optimal zusammenspielen. Ist das nicht der Fall, kommt es zu Störungen in der chemischen Verdauung im Darm, der Aufnahme der Nährstoffe, im Transport oder in -der Weiterverarbeitung. Jedes Pferd kann – abhängig von seiner genetischen Prädisposition, von Rasse, Alter, Haltungsbedingungen, Nutzung, Medikamentenbehandlung, Krankheiten, Fütterung etc. – an unterschiedlichen Stellen dieser komplexen und verzweigten Stoffwechselwege Einschränkungen oder Blockaden haben. Der Körper muss dann über Umwege gehen, um das Ziel zu erreichen. 

Das erklärt auch die unterschiedlichen Reaktionen der einzelnen Pferde auf dieselbe Fütterung: Das eine erfreut sich derzeit bester Gesundheit und Leistungsfähigkeit, das andere sieht nicht nur schlecht aus, sondern kränkelt laufend und an Leistung ist nicht zu denken. Irgendeine Komponente des komplizierten Regelsystems arbeitet bei diesem Pferd anders: Zum Beispiel läuft eine enzymatische Reaktion gehemmt ab oder ein hormoneller Regelkreislauf schließt kurz. Dabei muss es nicht immer zu einer Erkrankung im klinischen Sinn, wie einer Hufrehe, kommen. Oft weisen schlechte Futterverwertung, mangelnde Leistung, stumpfes Fell, Neigung zu Durchfall, Kotwasser, Kolik und vieles mehr auf Probleme im Stoffwechselgeschehen hin.

Stoffwechselregulation durch Katalysatoren

Um die Stoffwechselvorgänge zu steuern, sind biologische Katalysatoren notwendig, die sogenannten Enzyme. Jede Zelle enthält Tausende spezifischer Enzyme, die ebenso viele Reaktionen katalysieren. Zudem beeinflussen sich die Enzyme gegenseitig. Auch die Verdauung der Nahrungsbestandteile – Proteine, Kohlenhydrate und Fette – erfolgt im Dünndarm durch Enzyme. Jede kleine Störung von außen, und sei es eine Schwankung der Temperatur oder des pH-Werts, stört die Enzyme und damit den gesamten Zellstoffwechsel. Enzyme sind verantwortlich dafür, Reaktionen zu starten, zu stoppen und auch die Geschwindigkeit der Reaktionen zu regulieren. Damit werden die verschiedenen biochemischen Abläufe in einer Zelle koordiniert. Jedes Enzym ist bis zu einem gewissen Grad für ein bestimmtes Substrat spezifisch. Somit erfüllt das Enzym nur seine spezifische Aufgabe und verändert andere Substrate nicht. Die Regulation erfolgt meist über die Menge oder die Aktivität der verschiedenen Enzyme. Viele Enzyme benötigen einen Kofaktor – ein Ion oder ein kleines Molekül, das sich mit dem Enzym zu einem aktiven Komplex verbindet. Liegt der Kofaktor in der Zelle in begrenzter Konzentration vor, lässt sich die Enzymaktivität durch Änderungen der Kofaktorkonzentration regulieren. Solche Kofaktoren sind häufig Vitamine oder Spurenelemente. Die Kontrolle der Enzyme ist ein kompliziertes Regelwerk, das entsprechend flexibel ist, aber auch anfällig für Störungen. 

Enzyme sind extrem empfindlich gegenüber Änderungen in der Temperatur. Eine höhere Temperatur beschleunigt zunächst die Geschwindigkeit, mit der die biochemischen Reaktionen ablaufen. Ab etwa 41 °C aber kommt es zu einer Zerstörung der Enzyme, daher ist Fieber ab dieser Temperatur für den Organismus gefährlich. Enzyme sind auch empfindlich gegenüber Schwankungen im pH-Wert. Sinkt der pH-Wert in der Umgebung der Zelle, lagert der Körper vermehrt Wasser ein, um diesen pH-Wert wieder zu neutralisieren. Die Pferde sehen dann aufgeschwemmt oder fett aus.

 

 

 

Image

Enzyme und pH-Wert

Der pH-Wert beschreibt, wie sauer oder basisch etwas ist. Bei einem pH-Wert von 7 liegt ein neutraler pH vor, das heißt, Säuren und Basen halten sich die Waage. Ist der pH-Wert niedriger, beschreibt er ein saures Milieu, liegt er höher, ein basisches. Die meisten Enzyme benötigen eine ungefähr pH-neutrale Umgebung.