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Autor: Eugène Müntz

Übersetzung: Isabelle Weiss

 

Layout: Baseline Co. Ltd,

61A-63A Vo Van Tan St.

4. Etage

Distrikt 3, Ho Chi Minh City

Vietnam

 

© Confidential concepts, worldwide, USA

© Parkstone Press International, New York, USA

 

ISBN: 978-1-78310-641-7

 

Weltweit alle Rechte vorbehalten.

Soweit nicht anderes vermerkt ist, liegt das Copyright der reproduzierten Werke bei den jeweiligen Fotografen. Trotz intensiver Nachforschungen war es nicht überall möglich, die Eigentumsrechte festzustellen. In solchen Fällen sind wir für Hinweise dankbar.

Eugene Müntz

 

 

 

MICHELANGELO

 

 

 

 

 

 

INHALT

 

 

EINLEITUNG

DER BILDHAUER

DIE BILDHAUEREI DER SPÄTRENAISSANCE

DIE WERKE MICHELANGELOS

DER MALER

MALEREI UND ZEICHENKUNST IN DER SPÄTRENAISSANCE

DIE WERKE MICHELANGELOS

DER BAUMEISTER

DIE BAUKUNST DER SPÄTRENAISSANCE

DIE WERKE MICHELANGELOS

SCHLUSSWORT

BIOGRAPHIE

BILDVERZEICHNIS

1. Porträt Michelangelos, um 1533. Schwarze Kreide, Museum Teyler, Haarlem.

2. Kopie einer Figur aus “Der Tribut” von Masaccio, 1488-1495. Kupferstichkabinett, München.

3. Raffael, Leo X, um 1517. Leimfarbe auf Holz, 120 x 156 cm. Uffizien, Florenz.

 

 

 

EINLEITUNG

 

 

Wer sich mit Michelangelo befasst, wird sich fragen, inwieweit dieses Genie von anderen Künstlern inspiriert und beeinflusst worden ist. Die Antwort finden wir in den Uffizien und der Brancacci-Kapelle der Kirche Santa Maria del Carmine in Florenz. Cimabues Thronende Maria mit Kind, umgeben von acht Engeln und vier Propheten, Giottos Thronende Jungfrau mit Kind, umgeben von den Engeln und den Heiligen (beide in den Uffizien) und Masaccios Vertreibung aus dem Paradies in der Brancacci-Kapelle bilden sozusagen den roten Faden, der uns direkt zu Michelangelo führt, diesem herausragenden Protagonisten des 16. Jahrhunderts, des italienischen Cinquecento.

Bevor die Maler im 14. und 15. Jahrhundert zu Ruhm und Ansehen gelangten, waren sie im Mittelalter nichts als anonyme Handwerker ohne Namen und Rang, die ihre Werke nicht einmal signierten. Florenz hatte griechische Künstler in die Stadt geholt, um die toskanische Malerei neu zu beleben. Die Folge davon war die Einführung des griechisch-byzantinischen Malstils, der statisch, repetitiv, ikonografisch und überreich mit Gold verziert war.

Einer der wenigen einheimischen Maler des 13. Jahrhunderts, dessen Namen wir kennen, war Margaritone aus Arezzo. Er versuchte als erster, sich von dem “griechischen” Stil (alla greca) zu lösen, der Malerei und Mosaik gleichermaßen beherrschte. Obwohl ein echter Pionier, wurde er doch von Cimabue und Giotto, den eigentlichen Erneuerern der italienischen Malerei, in den Schatten gestellt. Cimabue, florentinischer Maler und Bildhauer, stand selbst zunächst stark unter dem Einfluss der griechischen Maler, entwickelte jedoch bald seinen eigenen Duktus, indem er seine Figuren natürlicher, lebendiger und frischer in den Farben gestaltete. Zwar sind wir hier noch weit von der Sixtinischen Kapelle Michelangelos entfernt, aber es zeichnen sich doch schon die Anfänge der Entwicklung ab, die schließlich dort ihren Höhepunkt findet.

Schließlich gelang es um die Wende zum 14. Jahrhundert dem Schüler von Cimabue, Giotto di Bondone, die florentinische Malerei aus den byzantinischen Fesseln zu befreien. Giotto war der erste große Reformator der Malerei der Frührenaissance. Bei Betrachtung der bereits erwähnten Werke Cimabues und Giottos ist die Entwicklung von Gesichtsausdruck und Gewand der Jungfrau sichtbar. Cimabue entfernte sich bereits vom Formalismus der byzantinischen Malerei, und in einem späteren Werk ist deutlich der Einfluss seines Schülers zu spüren. Giottos Madonna ist lebendig, schaut uns an, hält ihr Kind auf dem Arm, nicht steif und gekünstelt, sondern in einer unmittelbar ansprechenden, natürlichen Art. Auch die übrigen Figuren der Komposition wirken viel weniger byzantinisch, und es wird sparsamer mit Gold umgegangen. Der Faltenwurf des Kleids der Muttergottes lässt ihren Körper erahnen. Damit leistet Giotto einen wesentlichen Beitrag zu der sich abzeichnenden Revolution in der florentinischen Malerei der damaligen Zeit. Seine Fähigkeiten als Porträt- und Landschaftsmaler leisteten ihm gute Dienste, als er zum Chefarchitekten der Opera del Duomo in Florenz ernannt wurde, deren Campanile er in einem gotisch-florentinischen Stil begann. Wie Michelangelo nach ihm, war Giotto ein Mann vieler Talente. Seine Innovationen fielen in dieser dynamischen Epoche auf fruchtbaren Boden, und eine ganze Reihe von Künstlern (Taddeo, Gaddi, Bernardo Daddi, Orcagna) sorgten für die Verbreitung seiner künstlerischen Ideen.

4. Cimabue, Die Jungfrau auf dem Thron mit Engeln und vier Propheten, ca. 1280.

Leimfarbe auf Holz, 385 x 223 cm. Uffizien, Florenz.

5. Giotto de Bondone, Die Jungfrau auf dem Thron mit Kind, Engeln und Heiligen, um 1310. Leimfarbe auf Holz, 325 x 204 cm. Uffizien, Florenz.

6. Fra Angelico, Verkündigung, 1430-1432. San Marco, Florenz.

 

 

Es folgte eine Periode internationalen gotischen Einflusses, doch entscheidend für die Kunstszene des 15. Jahrhunderts war in Florenz das Auftreten Masaccios. Ihm verdankt Michelangelo wohl mehr als jedem anderen Maler. Tommaso di Giovanni Cassai, Masaccio genannt, geboren 1401 und gestorben 1428, war nur ein kurzes Leben vergönnt, das sich jedoch durch eine überaus intensive künstlerische Aktivität auszeichnete. Als einer der ersten Künstler wurde er bei seinem Vornamen genannt, ein Beweis für sein Ansehen in der Gesellschaft. Zu erwähnen sind die Trinität (Dreifaltigkeit) in der Santa Maria Novella und vor allem sein Meisterwerk in der Brancacci-Kapelle der Kirche Santa Maria del Carmine. Masaccio, ein großer Revolutionär der Malerei der italienischen Renaissance, warf alle früheren Regeln über Bord. Beeinflusst von der Malerei Giottos und vor allem von den neuen perspektivischen Erkenntnissen Brunelleschis sowie von Donatellos Skulpturen (die beiden Letztgenannten waren persönlich mit ihm befreundet), wendete Masaccio die neue räumliche Perspektive bei seinen Fresken an. Seine Figuren in der Brancacci-Kapelle sind lebendig, organisch, sie sprühen vor Leben. Masaccio lässt den Betrachter nicht kalt, er zwingt ihn dazu, mitzufühlen, teilzunehmen. Das beeindruckendste Fresko Masaccios ist zweifelsohne die Vertreibung aus dem Paradies. Verglichen mit Masolinos Fresko an der gegenüber liegenden Wand wirkt das von Masaccio erschütternd und aufwühlend. Vertrieben aus dem Paradies, beschämt, zerknirscht und verzweifelt über ihre Sünde, klagen Adam und Eva ihr Elend. Mancher Betrachter wird erstaunt sein über ihre Nacktheit. Über lange Zeit waren die Geschlechtsteile von Adam und Eva von Zweigen mit Blättern züchtig verhüllt; erst seit der Restauration der Kapelle am Ende des 20. Jahrhunderts ist ihre Blöße im Detail zu sehen. Wir haben es hier mit der ersten Aktdarstellung seit der Antike zu tun. Damit konfrontierte Masaccio sein Publikum mit einer Malerei, die weit von der starren, byzantischen Kunst entfernt war. Er war ein Meister der  perspektivischen Verkürzung, der Farbharmonie, des Gesichtsausdrucks und der Darstellung des Gewandes, die um vieles wirklichkeitsnäher und plastischer ist als die seiner Vorgänger. Dieses Fresko ist von einer solchen Originalität und ästhetischen Wirkung, dass es auf die Maler aller Epochen eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübt: Fra Angelico, Leonardo da Vinci, Michelangelo, Raffael, Caravaggio, Ingres … Sie alle nahmen etwas von Masaccio mit, selbst wenn ihre Werke kaum Ähnlichkeit mit dem seinen aufweisen.

Das Erbe Masaccios ist von unschätzbarer Bedeutung. Fra Giovanni da Fiesole, genannt Fra Angelico, obgleich vor Masaccio geboren, wurde stark von ihm beeinflusst. Der Dominikanermönch im Kloster von San Marco, ein bescheidener, einfacher und frommer Mann, malte wunderbare Fresken im Kreuzgang und in den Zellen seines Klosters, darunter die Verkündigung. Auf ihn folgte Domenico Veneziano, der Fra Angelicos Stil zu dem harmonischen und großartigen Stil der italienischen Renaissance weiterentwickelte.

Mitte des 15. Jahrhunderts kam eine neue geistige Strömung auf — der Humanismus. Mit seiner anthropozentrischen Philosophie wandte er sich gegen die mittelalterliche Weltanschauung und die kirchliche Autorität und holte sich seine Inspiration im klassischen Altertum. Auch die Kunst ließ das Mittelalter hinter sich und begann, sich an der griechischen und römischen Kunst auszurichten. Diese Rückbesinnung auf die Antike oder “Wiedergeburt” bezeichnen wir als “Renaissance”. Der Begriff Renaissance wurde um 1820 von den Franzosen zunächst aus dem von Vasari eingeführten rinascimento abgeleitet und etwas später im deutschsprachigen Raum (erstmals von E. Koloff um 1840) übernommen.

An dieser Stelle scheint es sinnvoll, zunächst die verschiedenen Perioden der Renaissance zu definieren. Die erste Zeit wird als Proto- oder Frührenaissance bezeichnet; sie umfasst den Zeitraum zwischen 1400 bis 1480. Danach folgt die klassische oder Hochrenaissance, die eigentliche Blütezeit, die von 1480 bis 1520-1530 dauerte. Den Abschluss bildet dann die Periode von 1530 bis 1600, die so genannte Spätrenaissance oder Manierismus. Von manchen als dekadent eingestuft, ist diese letzte Periode doch nichts anderes  als die logische Weiterentwicklung und das Ende eines Kunststils, der das ganze 15. und den Anfang des 16. Jahrhunderts dominierte. Michelangelo begann seine Karriere in der Hochrenaissance, schuf aber auch Werke, die schon dem Manierismus zugerechnet werden.

In der Mitte des 15. Jahrhunderts kamen die Werke Platons nach Florenz und wurden von Marsilius Ficinus übersetzt und kommentiert. Damit änderte sich das Bild der Welt und des Menschen: Anders als im Mittelalter steht jetzt der Mensch im Mittelpunkt. Reisen und Buchdruckerei verhalfen dem humanistischen Gedankengut zu einer schnellen Verbreitung in ganz Europa. Diese Wiederbesinnung auf die Antike gab der Malerei, Bildhauerei und Architektur neue Impulse. Denn die Renaissancekünstler kopierten nicht, sie waren schöpferisch. Die Wiege der italienischen Renaissance stand in Florenz, verschob sich jedoch später nach Rom; auf die Gründe werden wir noch zu sprechen kommen.

7. Masaccio, Vertreibung aus dem Paradies, 1427.

Fresko, Brancacci Kapelle, Santa Maria del Carmine, Florenz.

8. Botticelli, Frühling, 1482. Tempera auf Holz, 203,2 x 312,42 cm. Uffizien, Florenz.

9. Leonardo da Vinci, Mona Lisa, 1503-05.

Öl auf Leinwand, 77 x 53 cm. Louvre, Paris.

10. Raffael, La Donna Velata, 1516.

Öl auf Leinwand, 85 x 64 cm. Palais Pitti, Galeria Palatina, Florenz.

 

 

Die Renaissance ist durch Gelehrsamkeit in der Wissenschaft und ein Aufleben der schönen Künste charakterisiert. Filippino Lippi und Benozzo Gozzoli waren zwei der Protégés im Dienst der Medici. Damit sind wir auch gleich bei Lorenzo de’ Medici (il Magnifico), der sich als Mäzen und Förderer der Künste hervortat, in einem wesentlich größeren Umfang als dies damals unter den aristokratischen Familien üblich war. Einer seiner Schützlinge war Leonardo da Vinci, der in der Werkstatt von Andrea del Verrocchio als Lehrling aufgenommen wurde und dort seinen Meister zu dessen Verzweiflung sehr schnell übertraf. Tatsächlich kam es auch gelegentlich vor, dass Michelangelo und Leonardo sich gegenseitig auszustechen suchten.

Dies war auch die Zeit von Sandro Botticellis Frühling und Geburt der Venus. Er verkörpert Anmut, Harmonie, Ausgeglichenheit und Schönheit, die charakteristischen Merkmale der florentinischen Periode, während Michelangelos Talent von ganz anderer Natur ist … Filippino Lippi, Schüler Botticellis und Sohn von Fra Filippo Lippi, arbeitete als Nachfolger von Masolino und Masaccio an der Brancacci-Kapelle. Seine Fresken lassen bereits die Entwicklung der Malerei von der klassischen Renaissance zum Manierismus erahnen.

Das 15. Jahrhundert war nicht nur das Jahrhundert der Kunst, sondern auch der Religiosität. Die Dominikaner von San Marco übten einen starken Einfluss auf die Malerei aus, wie man an den Werken von Fra Angelico sehen kann. Am Ende des Jahrhunderts herrschte in Florenz ein äußerst schwieriges politisches und gesellschaftliches Klima: Lorenzo de’ Medici starb, der Dominikanermönch Savonarola, der sich als Prophet Gottes und Retter der Republik sah und gegen Wollust und Sittenverfall sowohl bei den Medici als auch beim Klerus ankämpfte, hielt seine glühenden Predigten und organisierte Bücherverbrennungen, bis er exkommuniziert und schließlich zum zweifachen Tod durch Erhängen am Galgen und auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurde. Die Medici wurden aus Florenz ins Exil verbannt. Diese spektakulären historischen und sozialen Ereignisse konnten an der Kunst nicht spurlos vorbeigehen. Manche Maler änderten ihre Malweise (Botticelli, Filippino Lippi, Benozzo Gozzoli — und natürlich Michelangelo) in Richtung einer gewissen Dramatisierung.

Nicht unerwähnt bleiben darf die flämische Malerei im Florenz des 15. Jahrhunderts. Die florierenden Handelsbeziehungen zwischen Flandern und Florenz regten auch den künstlerischen Austausch an. Die Flamen malten mit Öl und verwendeten die Luft- und Farbenperspektive, während die Florentiner die lineare Perspektive entdeckten. Als besonders wichtig gelten Jan van Eyck, Rogier van der Weyden, Hugo van der Goess und Hans Memling. Ganz zu Anfang des Cinquecento schuf Michelangelo im Auftrag von vermögenden flämischen Kaufleuten seine Brügger Madonna. Doch er blieb dem Fresko treu, auch wenn er einmal bemerkte, die flämische Malerei könne ihn zu Tränen rühren, während die italienische dies nicht tue.

In den ersten Jahren des Quattrocento wurde der Malstil, den Fra Angelico in San Marco begonnen hatte, von einem anderen Dominikaner-Mönch, Fra Bartolomeo, Schüler von Savonarola, fortgeführt. Dieser Stil konzentrierte sich auf die Darstellung religiöser Ideale. Fra Bartolomeos Portrait von Girolamo Savonarola lässt keinen Zweifel an dessen Fanatismus. Fra Bartolomeo beeinflusste durch seine Farben Raffael, der wiederum Michelangelo beeinflusste; manche Einflüsse sind offensichtlich, andere weniger.

Der Anfang des 16. Jahrhunderts war für die florentinische Kunst von größter Bedeutung, und dies trotz des enormen Reichtums und der Mannigfaltigkeit, die bereits das vorangehende Jahrhundert kennzeichneten. Michelangelo hatte 1488 während seiner Lehrzeit im Atelier von Ghirlandaio mit verschiedenen Widrigkeiten zu kämpfen, bevor er unter der wohlwollenden Gönnerschaft von Lorenzo de’ Medici im Garten von San Marco die antike Kunst entdeckte. Von Giotto, Masaccio, Donatello und Signorelli beeinflusst, studierte, kopierte und übernahm Michelangelo Posen, Gesten, den Faltenwurf und Motive von anderen Künstlern, wie dies heute durch die Schutzrechte für künstlerisches Eigentum verboten wäre. Er selbst weigerte sich jedoch, unvollendete Arbeiten zu zeigen, selbst einem Auftraggeber wie dem Papst gegenüber. Er kopierte nach Lust und Laune, wollte aber selbst nicht kopiert werden! Er hasste es auch, Porträts anzufertigen, es sei denn die Modelle waren von makelloser Schönheit. Er war der erste Künstler, der Schönheit als eine absolute Bedingung seiner Kunst proklamierte. Sein Schaffen entsprang seiner Einbildungskraft, während sich andere Künstler an die Frührenaissance und an Raffael anlehnten.

Michelangelo war hin- und hergerissen zwischen Florenz, der Stadt seiner Anfänge, und Rom, wohin ihn die Päpste zur Dekoration der Sixtinischen Kapelle beriefen.

Leonardo da Vinci, Michelangelo und Raffael waren das Trio des Cinquecento, an dem kein Weg vorbeiführt. An dieser Stelle wollen wir kurz zwei Persönlichkeiten würdigen, deren Aufzeichnungen trotz einiger Ungenauigkeiten und Selbstgefälligkeiten wertvolle Einsichten in die Renaissance in Florenz und ihre Protagonisten vermitteln. Es sind dies der Maler, Baumeister und Kunstschriftsteller Vasari mit seinem 1550 erschienenen und 1568 vollendeten Grundlagenwerk der Kunstgeschichte, Lebensbeschreibung der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Baumeister, und Condivi, Freund und Biograph Michelangelos, mit seinem Leben Michelangelos.

Mit Leonardo und Michelangelo standen sich zwei starke Persönlichkeiten mit zwei diametral entgegen gesetzten künstlerischen Auffassungen gegenüber, und trotzdem berichtet Vasari von einem tiefen Band zwischen ihnen. Leonardo war 20 Jahre älter als Michelangelo, und ihre Auffassungen von Kunst und Ästhetik waren sehr unterschiedlich. Ihre ausgeprägte Unabhängigkeit führten bei ihren oft unvermeidlichen Begegnungen zu Spannungen, etwa bei Aufträgen, die an sie beide ergingen, wie bei den Kartons des Palazzo Vecchio. Leonardo, von Donatello und Verrocchio beeinflusst, hatte seine eigene Malweise: das sfumato. Die beste Definition für sfumato ist “che le tue ombre e luci sieno uniti senza tratti o segni, ad uso di fumo”, was bedeutet “dass die Schatten und Lichter ohne Strich oder Zeichen wie im Rauch vereint werden”. Es findet eine Art “Verdunstung” statt, Konturen sind ungenau, die Farben düster, genau das Gegenteil von Michelangelos Malerei. Die Mona Lisa (Louvre, Paris) und das Tondo Doni (auch: Madonna Doni oder Heilige Familie mit Johannes dem Täufer) (Uffizien, Florenz) sprechen für sich. Leonardo hatte lange im Atelier von Verrocchio gelernt, während Michelangelo nur ein Jahr bei Ghirlandaio gearbeitet hatte, um anschließend in das Atelier von Bertoldo zu wechseln, da er die Skulptur als seine eigentliche Berufung sah.

Leonardos Anliegen war es, die absolute Wahrheit zu ergründen. Michelangelo sinnierte sein Leben lang über die Bedeutung der Kunst. Leonardo und Michelangelo sezierten Leichen, um Anatomie zu lernen, aber mit anderem Ziel. Leonardo war auf die Wahrheit einer Geste aus, um Handlung und Gefühle wiederzugeben, Michelangelo hingegen war vom Akt fasziniert. Leonardo malte niemals Aktbilder, Michelangelo hingegen in Hülle und Fülle. Der David von Michelangelo, in kontrapostischer Stellung, geht auf das akribische Studium der Mechanismen des menschlichen Körpers zurück. Man kann also sagen, dass das Studium der Anatomie bei diesen beiden Künstlern ganz anderen Motiven entstammte und auch zu ganz anderen Ergebnissen führte. Ein anderer Vergleichspunkt zwischen den beiden Künstlern ist das non finito (das bewusste unvollendet-Lassen). Leonardo ließ viele seiner Bilder unvollendet, Michelangelo tat das Gleiche mit Skulpturen. Bei Leonardo vermischt sich das non finito mit dem sfumato und ist nicht ganz leicht von diesem abzugrenzen. Bei Michelangelo beschränkt sich das Fragmentarische auf zahlreiche unvollendete Plastiken. Sicher sah er sich teilweise durch neue Aufträge gezwungen, angefangene Torsi liegen zu lassen, doch entsprach es auch seinem Anliegen, Dynamik und Expressivität zu kreieren. Michelangelo baute zunächst Modelle und arbeitete dann unaufhörlich, gelegentlich mit fiebriger Hast, gelegentlich mit kühler Distanziertheit. Manchmal rückte er dem Marmor mit Zorn zu Leibe, um ihm das Wesentliche zu entlocken und alles Überflüssige zu entfernen — und manchmal ließ er plötzlich davon ab — und hinterließ dann eben einen Torso. Sein non finito ist das Ergebnis seines außerordentlichen schöpferischen Talents. Statt seinen Vorgängern in der Kunst christlicher Kunstbilder zu folgen, gab er von Anfang an der Bildhauerei den Vorzug. Deshalb malte er das Tondo Doni wie eine Skulptur, und als Papst Julius II. ihn mit der Deckenausmalung der Sixtinischen Kapelle beauftragte, hofften seine Rivalen, Bramante und Raffael, dass er Ausflüchte vorbringen würde. Wider Erwarten wurde dieses monumentale Deckengemälde aber zu einem Triumph, einem epochalen Kunstwerk! Michelangelo, der Bildhauer, erwies sich als vortrefflicher Maler! In der Architektur verhalf ihm seine Reife, aber auch seine Hochschätzung des Konzepts von Bramante, die Formen des menschlichen Körpers optimal mit den monumentalen Dimensionen der Architektur zu vereinen.

Dann war da noch Raffaelo Sanzio d’Urbino, Raffael genannt. Ein wenig jünger als Michelangelo, aber bereits mit 37 Jahren gestorben, war Raffael vom Charakter her ebenfalls das Gegenteil von Michelangelo, was sich vor allem in seinem liebenswürdigen Wesen und seinem Malstil zeigte. Als Raffael nach Florenz kam, wahrscheinlich im Jahre 1504, nachdem er eine solide Ausbildung im Atelier Peruginos erhalten hatte, freundete er sich mit anderen jungen Malern an, studierte im Palazzo Vecchio die Kartons von Leonardo und Michelangelo, bewunderte die Farbpalette von Fra Bartolomeo und entlehnte auch das eine oder andere von Ghirlandaio. Nach einigen Privataufträgen begab er sich 1508 nach Rom, im gleichen Jahr wie Michelangelo, um dort die Stanze, die Wohnräume Julius II., im päpstlichen Palast auszumalen.

11. Rosso Fiorentino, Moses verteidigt die Töchter von Jethro.

Öl auf Leinwand, 160 x 117 cm. Uffizien, Florenz.

12. Vasari, Porträt von Lorenzo de Medici,

Öl auf Leinwand, 90 x 72 cm. Uffizien, Florenz.

13. Fra Bartolomeo, Porträt von Girolamo Savonarola, nach 1498.

Öl auf Leinwand, 47 x 31 cm. Museum San Marco, Florenz.

 

 

Aber Raffael war nicht nur ein hervorragender Kolorist, es gelang ihm auch, Faltenwürfe, Samt, Damast und Seide so zu gestalten, dass man den Stoff mit den Fingerspitzen anzufassen meint. La Velata, im Pitti-Palast ausgestellt, ist dafür ein gutes Beispiel. Obgleich die Rivalität zwischen Michelangelo und Raffael sich nicht leugnen lässt, artete dies doch nie zu wirklichen Streitereien aus — dafür waren sie in Charakter und Technik einfach zu verschieden. Durch den frühzeitigen Tod Raffaels blieb Michelangelo ohne diesen talentierten Rivalen zurück. Michelangelo hat ihn in seiner Größe nicht verkannt; übernahm er doch von ihm eine gewisse Zartheit, das Inkarnat (den rosigen Farbton der Haut) und die Darstellung des Gewands. Ab 1534, nach den unvollendeten Arbeiten an der Kirche San Lorenzo, übersiedelte Michelangelo endgültig nach Rom, wo der Auftrag des Jüngsten Gerichts für die Sixtinische Kapelle sowie die Arbeiten an der Basilika Sankt Peter auf ihn warteten. Zu dieser Zeit lernte er Daniele da Volterra kennen, der sein ganzes Leben lang ein treuer Schüler blieb.

Zeitgleich zu Michelangelo und Raffael entwickelte sich in Florenz ein neuer künstlerischer Stil, der so genannte Manierismus, vertreten unter anderen durch Andrea del Sorte, einen gebürtigen Florentiner, der Aufträge für den Orden der Servi della Nunziata ausführte. Bis heute ist die Kirche Santissima Annunziata ein ‘schwarzes Schaf’ in der Renaissancekunst von Florenz. Man findet dort Werke von Sarto, Pontormo und Rosso Fiorentino, Maler anderer Art, die diesen exaltierten, gezierten Stil einführten, der durch Harmoniebruch, Formenstreckung, Ondulation des Körpers, Verzerrungen und bisweilen dissonante Farben charakterisiert wird. Diese Manier des Malens stand in krassem Widerspruch zum Klassizismus der Hochrenaissance. Michelangelos letzte Gemälde (z.B. das Jüngste Gericht, Cappella Paolina) sind herausragende Beispiele, und bereits im Tondo Doni ist diese neue maniera zu erkennen. Später kommt es zu einer Verschmelzung von Drama und Einbildungskraft. Mit seinen Gewölben und der Spannung, die ihm in der Kirche San Lorenzo gelangen, führte Michelangelo den Manierismus auch in die Baukunst ein. Und selbst die Gartenkunst der Epoche bleibt davon nicht verschont: Absonderliche und bizarre Objekte, Grotten, Springbrunnen und Tierplastiken bevölkern die Gärten der Villen. Die Boboli-Gärten des Pitti-Palastes sind ein hervorragendes Beispiel. In der Skulptur erschloss Michelangelo dem Manierismus neue Horizonte. Selbst wenn Ammannatis Neptun (Piazza della Signoria) missglückt ist, so basiert er dennoch auf Michelangelos David; und Cellinis Perseus in der Loggia dei Lanzi ist großartig in seiner Ausführung. Schließlich fand sich in Giambologna aus Flandern, der eigentlich Jean Bologne hieß, ein würdiger Nachfolger Michelangelos. In derselben Loggia ist der Raub der Sabinerinnen zu bewundern. Doch damals, im 16. Jahrhundert, begannen die besten Künstler Florenz den Rücken zu kehren. Die Stadt war künstlerisch erschöpft, der Stil des Manierismus erstickte in Banalität. Rom wurde zur neuen Hochburg der Kunst.

Sarto, dessen Namen wir bereits erwähnt haben, war von einem bereits manieristisch angehauchten Michelangelo und von Raffael beeinflusst. Der Manierismus war in gewissem Sinn eine Antwort auf die Malaise, die damals in Italien herrschte, teilweise ausgelöst durch die katholische Gegenreformation, aber auch durch die politischen Wirrnisse und die dramatischen Ereignisse, die Florenz erschüttert hatten. Für die florentinische Malerei ging die Hochrenaissance um 1520-1525 zu Ende; diese Jahre markieren den Übergang zur Spätrenaissance.

Michelangelo war trotz seiner Genialität und der Anerkennung, die ihm zuteil wurde, den Launen seiner Auftraggeber ausgesetzt. Architekt, Bildhauer und Maler zugleich, widmete er sein ganzes Leben diesen Künsten und schuf ein immenses Gesamtwerk. Daneben übte er sich auch in der Dichtkunst und schrieb vor allem Sonette.

Das am Ende des 19. Jahrhunderts erschienene Werk von Eugène Müntz, Histoire de l’Art pendant la Renaissance, enthält eine umfassende Studie über Michelangelo, der die nun folgenden Kapitel entnommen sind. Neue Informationen, Änderungen der Aufbewahrungsorte einiger Werke, Entdeckungen von Entwürfen, neue Fragestellungen, Restaurierungen von Gemälden sowie eine bessere Wertschätzung der italienischen Malerei der damaligen Zeit und der vorangegangenen Jahrhunderte machten gewisse Revisionen am französischen Originaltext notwendig. Zudem wurden Formulierungen, die dem heutigen Leser nicht mehr verständlich sind, vereinfacht. Die Übersetzung ins Deutsche wurde auf der Grundlage dieser leicht überarbeiteten Fassung angefertigt. Eine deutsche Fassung des Originaltexts stand leider nicht zur Verfügung.

Véronique Laflèche

14. David, 1501-1504, (Detail). Marmor, 410 cm.

Galleria dell’Academia, Florenz.

 

 

 

DER BILDHAUER

 

 

DIE BILDHAUEREI DER SPÄTRENAISSANCE

 

Michelangelo ist seinen Zeitgenossen nicht nur überlegen, er ist überhaupt der einzige herausragende Bildhauer der Renaissance. Die Bildhauerkunst, die im 15. Jahrhundert eine Blüte erlebt hatte, verblasste im darauf folgenden Jahrhundert sehr schnell. In gewissem Sinne war sie der Malerei voraus, erreichte ihren Höhepunkt früher — und verebbte auch entsprechend schneller.

Was den meisten Bildhauern zu Ende der Renaissance fehlt, ist nicht das Talent, sondern die Fähigkeit, Dinge mit ihren eigenen Augen zu sehen und ihre Eindrücke mit ihren Zeitgenossen und der Nachwelt zu teilen. Dazu muss gleich gesagt werden, dass sie einen schweren Stand hatten: Michelangelos Genie ließ kaum Platz für eigenständige Kunst; er verwies alle seine Zeitgenossen in die Rolle von Imitatoren.

Michelangelo trug noch auf andere Weise zum Verfall der Bildhauerei bei: Indem er sämtliche wesentlichen Probleme der Skulptur auf geniale Art aus dem Weg räumte, blieb seinen Kollegen keine Herausforderung, weshalb ihre Kunst zu einer Routine und dem Kopieren von Technik herabsank. Dies kam einem Todesurteil für die Bildhauerei gleich.

Die Suche nach Charakter und Bewegung war in den Werken Donatellos zweifelsohne im Kommen, wurde aber durch einen stark ausgeprägten Naturalismus gebremst. Das Materielle überwog meist das Spirituelle. Donatellos Arbeit war bis weit in das 16. Jahrhundert hinein wichtig; sein Einfluss stand in ständigem Konflikt mit Michelangelos, vor allem in der Kunst des Flachreliefs, die von Letzterem kaum gepflegt wurde. Bei den Nachfolgern von Michelangelo hingegen scheint nur noch Platz für Neurose zu sein: Knochenstruktur, Fleisch, Leben und Vitalität verlieren an Bedeutung. Niemand zeigt daran mehr Interesse. Und doch sind es die Imitatoren, die dieser Epoche ihre Kraft und ihren Geschmack verleihen.

Vasari beschreibt die bei den Bildhauern dieser Zeit üblichen handwerklichen Techniken: die Herstellung der Wachs- und Tonmodelle, die Vergrößerungstechniken, die Flach- und Hochreliefs, den Guss, die Stuckarbeit und die Holzbildhauerei. In Cellinis Memoiren, wie in seiner Abhandlung über die Skulptur, finden wir eine ganze Reihe praktischer Informationen, die an Genauigkeit nichts zu wünschen übrig lassen.