Autor: Stephan Beissel

 

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ISBN: 978-1-78310-653-0

 

Anmerkung des Herausgebers

Aus Respekt vor der einzigartigen Arbeit des Autors wurde der Text nicht aktualisiert, was die Änderungen bezüglich der Zuschreibungen und Datierungen der Werke betrifft, die bisher unsicher waren und es in manchen Fällen immer noch sind.

Stephan Beissel

 

 

 

Fra Angelico

 

 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

 

Vorbildung und erste Werke für Cortona und Perugia

Aufenthalt und Wirken in Fiesole

Aufenthalt in Florenz — Wandmalereien in San Marco

Äußere Einflüsse

Die Bilder des Gerichts und ihr Verhältnis zu Dantes Dichtungen

Die Marienbilder des Fra Angelico

Arbeiten in Rom und Orvieto

Letzte Lebensjahre und Tod

Bibliographie

Liste der Künstler

Liste der Abbildungen

Anmerkungen

1. Engel der Verkündigung, 1450-1455.

Tempera und Gold auf Holztafel, 33 x 27 cm.

The Detroit Institute of Arts, Detroit.

2. Die Verkündigung (dargestellt in einer historischen

Initiale „R”, Detail aus einem Messbuch), um 1423.

Biblioteca del convento di San Marco, Florenz.

 

 

Vorbildung und erste Werke für
Cortona und Perugia

 

 

Zu Beginn des 15. Jahrhunderts herrschte im Dominikanerkloster des toskanischen Fiesole ein überaus reges geistiges Leben. Giovanni di Dominikus Bacchini (bis 1419), der später Erzbischof von Hagusa und auch Kardinal war, hatte es 1406 gegründet, um die frühere, vom hl. Dominikus im Orden eingeführte Strenge wieder herzustellen. Die Mitglieder seiner reformierten Häuser sollten sowohl durch Predigt und Wissenschaft als auch durch die Kunst das Seelenheil ihrer Mitbrüder fördern. Aus Venedig verbannt, kam er 1399 nach Città di Castello bei Arezzo. Von dort aus wurde er nach Florenz berufen, um während des Advents und während der Fastenzeit im Dom zu predigen. Ser Lapo Mazzei berichtete über eine der ersten dieser Predigten an einen seiner Freunde:

„Ich war in Santa Liparata (dem Dom), in dem ein Bruder über das arme Leben des hl. Dominikus predigen sollte und auch wirklich predigte. Und ich sage Euch, weder solch eine Rede habe ich bisher gehört, noch solch einen Vortrag. Alle weinten oder standen stumm vor Staunen beim Anhören der klaren Wahrheit. Er spricht von der heiligen Menschwerdung Gottes in einer Weise, dass er die Seelen aus dem lebendigen Leibe herauszieht und alle Welt ihm nachläuft.“[1]

Die Sitten in der Stadt besserten sich allmählich, und Dominikus’ Einfluss stieg von Tag zu Tag. Der Bischof von Fiesole schenkte ihm 1405 einen Bauplatz für ein Kloster und eine Kirche, so dass mit den Bauarbeiten umgehend begonnen werden konnte. Bereits ein Jahr später bezog der eifrige Ordensmann mit dreizehn Gleichgesinnten den neuen Konvent und zahlreiche weitere junge, talentierte Leute meldeten sich zur Aufnahme. Bereits im Jahre 1405 hatte sich der damals erst 16-Jährige Antonin, der spätere Bischof von Florenz (bis 1459), bei Dominikus vorgestellt. Auf die Frage, was er studiere, hatte der Jüngling sich als Freund des Kirchenrechts bekannt. Er erhielt zur Antwort: „Wir nehmen nur solche Schüler des Kirchenrechts in unseren Orden auf, die das ganze Dekretum auswendig können. Geh also, mein Sohn, und erlerne es. Dann kannst du getrost zu uns kommen.“[2] Er ging, kehrte zurück und bestand die Prüfung. Dominikus gab ihm das Ordenskleid und sandte ihn nach Cortona, wo der selige Lorenzo von Ripafratta seit etwa 1403 das Noviziat des reformierten Zweiges des Ordens leitete.[3]

An die Pforte des Klosters von Fiesole klopften im Jahr 1408 zwei Brüder und baten um Aufnahme. Der ältere, Guido (Guidolino), zählte 21, der jüngere erst 18 Jahre, ihr Vater Pietro lebte in einer kleinen Ortschaft beim Schloss Vicchio, zwischen Dicomano und Borgo San Lorenzo in der toskanischen Provinz Mugello, unweit des Geburtsortes des Malers und Architekten Giotto di Bondone (um 1266 bis 1337) gelegen. Auch an sie wird die Frage ergangen sein, was sie gelernt hätten, auch sie wird man für ein Kloster der reformierten Dominikaner erst als tauglich erachtet haben, nachdem sie ihr Talent bewiesen hatten. Der ältere erwies sich als ein tüchtiger Maler, der jüngere als begabter Schreiber. Dominikus befand sich damals nicht mehr in Fiesole, weil er 1406 im Auftrag der Republik Florenz eine Sendung nach Rom übernommen hatte. In der Ewigen Stadt schloss er sich enger an Papst Gregor XII. an, von dem er am 12. Mai 1409 zum Kardinal ernannt wurde. Sein Stellvertreter in Fiesole nahm die beiden Bittsteller freundlich auf, gab ihnen das Ordenskleid und nannte den älteren Fra Giovanni, (Giovanni del Mugello) den jüngeren Bruder aber Fra Benedetto (Benedetto del Mugello). Dann sandte er sie ins Noviziat von Cortona, wo sie sich ein Jahr lang vor allem im Gebet und in strenger Buße üben sollten. Für dieses Noviziat und die ganze Geistesrichtung des Fra Giovanni (Angelico) ist ein Ausspruch Dominikus’ bezeichnend:

„Den möchte ich (noch) nicht einen guten Novizen nennen, welcher stets mit niedergeschlagenen Augen einhergeht, eine lange Reihe von Psalmen hersagt, nie beim Gesang im Chor fehlt, das Stillschweigen beobachtet, den Frieden (mit den Mitbrüdern) liebt, gern in der Zelle bleibt, die Geißelung öfter vornimmt, häufiges Fasten übt, den Verkehr mit den Weltleuten gänzlich meidet und allen übrigen Übungen der Askese obliegt, die von den Anfängern für die Heiligkeit selbst gehalten werden. Nein, sondern dem allein gebe ich das Zeugnis eines guten Novizen, der vollkommen den rechtmäßigen Willen seiner Vorgesetzten nach Kräften erfüllt.“

3. Simone Martini, Maestà (Detail), 1317. Fresko.

Sala del Mappamondo, Palazzo Pubblico, Siena.

 

 

Rösler bemerkt hierzu:

„Gänzliche Losschälung von der Welt und von sich selbst bis zur tiefsten Demut, genaue Erfüllung der Regelvorschriften, tatkräftige Liebe zu Gott und zum Nächsten unter beständigem Hinblick auf das Vorbild Jesu, lebhaftes Verlangen nach der Vereinigung mit Christus, das sind die Grundpfeiler des vollkommenen Lebens nach Dominikus.“[4]

Diesen Grundsätzen entsprechend wurden Fra Giovanni del Mugello und sein Bruder angehalten, in Selbstbeherrschung und aus Liebe zu Christus nach höheren Idealen zu streben. Dass alles das, was er im Noviziat lernte, ihm für sein ganzes Leben Richtschnur blieb, dass er also diese erste Schule klösterlicher Erziehung mit Erfolg absolvierte, beweist sein ganzes späteres Wirken. Wie selbst den ehrwürdigen Greis noch die kindliche Einfalt eines Novizen zierte, erhellt eine hübsche, uns von Giorgio Vasari (1511 bis 1574), dem Maler, Baumeister und Kunstschriftsteller, belegte Anekdote:

Papst Nikolaus V. (1397 bis 1455) schätzte den Fra Giovanni sehr. Einst fand er ihn bei der Arbeit erschöpft und bot ihm darum zur Stärkung eine Fleischspeise an. Das geschah nun aber an einem Tage, an dem die Dominikaner der strengeren Richtung kein Fleisch aßen. Fra Giovanni lehnte dankend ab, weil er nach seiner Regel solche Speisen nicht ohne Erlaubnis des Priors zu sich nehmen dürfe. Er dachte einfach nicht daran, dass dieses Anerbieten eines Papstes die Erlaubnis von Seiten der höchsten Autorität einschloss, die ausdrückliche Genehmigung seines Priors also überflüssig mache.

Die Geschichte zeugt für die außerordentliche Gewissenhaftigkeit des Fra Giovanni. Ein weiterer Beweis findet sich in einer anderen Äußerung Vasaris:

„Niemals wurde er unter seinen Ordensbrüdern zornig gesehen. Mit größtem Wohlwollen sagte er jedem, der ein Werk von ihm wünschte, er solle nur den Prior darüber zufrieden stellen, dann werde er es sicher nicht an sich fehlen lassen.“

4. Duccio di Buoninsegna, Maestà (Detail).

Tempera auf Holztafel, 370 x 450 cm.

Museo dellOpera del Duomo, Siena.

5. Die Krönung der Jungfrau, um 1420.

Tempera auf Holztafel, 28,3 x 38,4 cm.

The Cleveland Museum of Art, Cleveland.

6. Christi Himmelfahrt (eines der 35 Bilder für den

Schrank der Santissima Annunziata), um 1450.

Tempera auf Holztafel, 39 x 39 cm.

Museo di San Marco, Florenz.

 

 

Er arbeitete und handelte also nur mit der Erlaubnis seiner Vorgesetzten, und alles, was man ihm gab, gelangte in deren Hände. Diese strenge asketische Schulung des Fra Giovanni darf man nie aus den Augen verlieren. Erst sie versetzt uns in die Lage, seine Werke richtig einzuschätzen und zu verstehen. Angeborene Gutmütigkeit oder eine mystische Richtung der Zeit genügen nicht, die malerische Auffassung unseres Meisters zu erklären. „Ohne Dominikus kein San Domenico bei Fiesole, und ohne dieses kaum ein San Marco in Florenz“[5] und kaum denkbar ein Fra Angelico.

Nach Ablauf eines Jahres legten die beiden Brüder zu Cortona ihre feierlichen, ewig verbindlichen Ordensgelübde ab und kehrten 1408 für eine kurze Zeit nach Fiesole zurück. Aber bereits ein Jahr danach mussten sie mit all ihren Ordensbrüdern dieses schön gelegene Haus verlassen, weil sie sich gemeinsam mit dem seligen Dominikus und den von ihm geleiteten Ordensangehörigen weigerten, dem soeben vom Konzil von Pisa unkanonisch gewählten Papst Alexander V. (um 1340 bis 1510) zu huldigen. Sie wollten Gregor XII., dem rechtmäßigen Oberhaupt der Kirche, treu bleiben, zu dem sie auch gegen den im Königreich Aragonien als Pedro de Luna geborenen Gegenpapst Benedikt XIII. (um 1327 bis 1423) gehalten hatten. Der Bischof von Fiesole, ein Mitglied und Vertreter des Pisaner Konzils (1409), zwang alle zur Auswanderung und zog ihre Güter an sich. Die meisten Mitglieder des Hauses von Fiesole fanden Aufnahme im Dominikanerkloster zu Foligno und blieben dort bis zum Jahr 1414. Dann zwang sie die schreckliche Pest, abermals weiter zu ziehen und nach Cortona überzusiedeln. Vielleicht waren aber die Gebrüder Petri del Mugello schon bald nach der Ablegung ihrer Gelübde nach Cortona zurückgekehrt, um dort mit anderen, jüngeren Leuten, also auch mit Fra Antonin, Philosophie und Theologie zu studieren und sich auf den Empfang der Priesterweihe vorzubereiten. Sicheres ist über ihren damaligen Aufenthalt nicht bekannt; wahrscheinlich weilten sie mit kurzen Unterbrechungen volle elf Jahre in Cortona.

Fra Benedetto vertiefte sich in die Philosophie und Theologie. Er konnte darum später lange Zeit Subprior in Florenz werden, was nach den Ordensgesetzen nur guten Theologen und Predigern möglich war. Seinen älteren Bruder Giovanni dagegen ließen die Oberen nicht lange in den Studien. Sein ausgesprochenes Talent bewog sie, ihn schon nach kurzer Vorbereitung zum Priesterstand zuzulassen und ihn ganz der Kunstausübung zu weihen. Dies gelang umso leichter, weil Dominikus selbst ein großer Freund der Malerei war. Seine Briefe zeigen uns, dass er nicht nur selbst schöne Bücher schrieb und sie mit Initialen verzierte, sondern auch die Dominikanerinnen des Klosters Corpus Christi zu Venedig aufforderte, Handschriften anzufertigen und auszumalen. Ihm galten alle Künste und Wissenschaften als wertvolle Mittel, die Wahrheit zu erforschen und zu verbreiten. Mit dem Pinsel sollte Fra Angelico predigen, wie andere Ordensbrüder es mit der Feder und auf der Kanzel oder auf dem Katheder taten.

7. Die Flucht nach Ägypten (eines der 35 Bilder für

den Schrank der Santissima Annunziata), um 1450.

Tempera auf Holztafel, 39 x 39 cm.

Museo di San Marco, Florenz.

 

 

Die Verbannung aus Florenz erwies sich als eine positive Fügung. Wer weiß, ob der junge Ordensmann seine tiefernste, fromme Richtung so entschieden festgehalten und weiter entwickelt hätte, wenn er inmitten des neuen Zielen zustrebenden Kunstlebens der Stadt am Arno geblieben wäre. Das Exil brachte ihn mit konservativeren und religiöseren Kreisen in Verbindung: er wohnte jetzt mitten zwischen Siena und Assisi, nur etwa Sechzig Kilometer von beiden Städten entfernt. Der Weg nach Assisi aber führte über Perugia. Ein Besuch dieser Orte war umso leichter, weil es dort bedeutende Klöster seines Ordens gab. Wie gern ging er nach Siena, dessen Kirchen und öffentliche Gebäude damals voller lieblicher Gemälde der dortigen Malerschule waren. Schon in den Stadttoren begrüßten sinnige Fresken den nahenden Ordensmann. Wer war mehr in der rechten Stimmung, um jene gewaltige, „großäugige“ Madonna nicht nur zu betrachten, sondern zu verehren, die man vor etwa hundert Jahren (1310) in feierlicher Prozession zum Dom gebracht hatte und die seitdem auf dem Hochaltar prangte? In diesem gewaltigen, jetzt aus der Kathedrale in die „Opera del duomo“ verbannten Tafelgemälde hatte der überragende Maler Duccio di Buoninsegna (um 1255 bis 1319) gleichsam die Erfolge der früheren byzantinischen und italienischen Maler und Miniaturenmaler zusammengefasst. Auf der vorderen Seite thront Maria mit ihrem Kinde zwischen zwanzig Engeln und zehn Heiligen. Aus den Nischen der jetzt oben auf die Tafel gestellten Predella aber schauen die Halbfiguren der Apostel.[6]

Die Rückwand der Tafel zeigt 26 Szenen aus der Geschichte des Leidens und der Auferstehung Christi, zu denen in der Predella noch 18 Szenen aus der Geschichte Christi und seiner Mutter hinzukommen. Bleibt auch in vielen Figuren und Szenen eine Anlehnung an griechische Vorbilder unverkennbar, so ist doch alles frei behandelt, sozusagen italianisiert. Die acht unmittelbar um den Thron stehenden Engel stützen sich beschaulich auf dessen Lehne und schauen vertrauensvoll auf das göttliche Kind, den Mittelpunkt des Ganzen. Sie sind nicht wie in den byzantinischen Gemälden feierliche, ehrfurchtsvolle Thronassistenten, sondern Freunde und Vertraute der Beteiligten.

Für Fra Giovanni war dieses Bild wichtig, weil es so viele Szenen aus dem Leben Christi und Mariä bot und noch voll und ganz in der alten Tradition stand. Wie selbst im alten Rom und in Griechenland die besten Vertreter der Kunst ihren Ruhm mehr darein setzten, alte, traditionelle Figuren zu vervollkommnen und zu veredeln als neue Darstellungen zu erfinden, so hielten die besten Künstler Italiens noch in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts an den Grundgedanken der alten Ikonographie fest. Sie banden sich zwar nicht sklavisch an die traditionelle Darstellung, veränderten sie aber auch nicht rücksichtslos. Erst das 16. Jahrhundert brachte das Ende dieser typischen Figuren, die Flut des maßlosen Individualismus.

Man muss daher schon sehr genau hinschauen, wie Fra Angelico die alten Stoffe anbietet, wo und inwieweit er sie ummodelt und wie diese Änderung aus seinem Charakter und seiner Lebensaufgabe folgt. Er hat jedenfalls dieses berühmte inhaltsvolle Bild Duccios eingehend studiert und sich dessen erinnert, als er später viele der auf ihm gegebenen Szenen zwar wiederholte, aber nie wie unselbständig kopierte.

So sehr ihn die Majestät und Würde dieses reifsten Werks Buoninsegnas ansprach, so gefiel ihm doch jedenfalls das große, von Simone Martini im Palazzo Pubblico zu Siena ausgeführte Fresko Maestà, Thronende Madonna als Stadtpatronin (1315) entschieden besser. Auch dort thront die Madonna zwischen Engeln und Heiligen, aber alles ist freier und frischer. Die berühmten Allegorien Die gute und die schlechte Regierung des nur für die Jahre von 1319 bis 1347 nachweisbaren Malers Ambrogio Lorenzetti in demselben Palazzo zogen ihn weniger an. Solche Schöpfungen, in denen der grübelnde Verstand einen Bund mit der gefühlvollen Phantasie einzugehen versuchte, passten weniger zu seiner Individualität. Am meisten bewunderte er in dem stolzen Palazzo der noch immer mächtigen Republik Taddeo Bartolis (um 1362 bis 1422) im Jahr 1414 vollendete Fresken des Todes, des Begräbnisses und der Himmelfahrt Mariens.

8. Taddeo di Bartolo, Himmelfahrt Marias

(Triptychon), 1401. Tempera auf Holztafel,

420 x 525 cm. Duomo, Montepulciano.

9. Ottaviano Nelli di Martino, Die Madonna

von Belvedere, 1404. Tempera auf Stein.

Santa Maria Nuova, Gubbio.

10. Maria mit dem Kind von vier Engeln umgeben

(Mittelstück des Polyptychons von Guidalotti),

um 1437. Tempera auf Holztafel, 130 x 77 cm.

Galleria Nazionale dellUmbria, Perugia.

 

 

Ein diesem Bartoli zugeschriebenes Bild Himmelfahrt Marias (um 1390) enthält manche Elemente, die späterhin in Fra Angelicos Bildern Krönung Marias wieder zu finden waren. Singende und musizierende Engel umgeben schon hier die Jungfrau, ja selbst die langen Posaunen, mit denen die Himmelsboten zum Jubel auffordern, fehlen nicht.

Jenes liebliche Gemälde, das im Rathaus von Siena heute am meisten an Fra Angelico erinnert, die von Sano di Pietro (1406 bis 1481) um 1445 gemalte Krönung Marias, existierte damals noch nicht. Der Künstler war zu der Zeit noch ein Kind, konnte also zu Fra Giovanni keine Beziehung aufbauen. Hatte letzterer sich in Siena für Simone Martinis (1284 bis 1344) Werke stets begeistert, so konnten ihn dessen Schilderungen der Geschichte des hl. Martin in S. Francesco zu Assisi ebenfalls nicht kalt lassen. Aber für ihn wie für alle Besucher verschwanden sie doch gleichsam vor Giottos Meisterwerken. Unwidersprochen beweisen sie jedem, dass nicht das Vielerlei, sondern der klare Gedanke und sein mit verhältnismäßig wenig Mitteln verkörperter Inhalt stets am durchschlagendsten wirkt. Daher haben Giottos Szenen den Maler in der Anwendung reiner Farben, fester Linien und klarer Ideen mehr und mehr gefestigt.

Ganz in der Nähe von Cortona liegt das uralte, auf die Etrusker zurückgehende Städtchen Gubbio, wo Ottaviano Nelli (1375 bis 1444) in S. Maria Nuova die so genannte Madonna del Belvedere (1404) in Tempera auf eine Wand gemalt hatte. Darin war genau der Ton getroffen, den Fra Giovanni am meisten liebte. Hinter der sitzenden Gottesmutter breiten zwei schwebende Engel ein Tuch aus; über ihrem Haupt hält Gott inmitten eines Kranzes kleiner Engel eine Krone; unten stehen zur Linken und Rechten je ein großer Engel mit einer Laute oder Geige; zwei kleinere Engel schweben oben mit einer Harfe und einer Handorgel. Maria setzt ihre Füße auf ein großes, rundliches Kissen und umfasst mit beiden Händen das auf ihrem rechten Knie stehende Kind. Andächtig neigt sie ihr Haupt zu ihm nieder mit der Bitte, die zur Rechten kniende Stifterin zu segnen. Ein Engel kniet hinter ihr und empfiehlt sie der Madonna. Im Hintergrund überragt diese beiden die große Gestalt eines Heiligen mit einem Buch und einem Palmenzweig. Der Stifter kniet auf der anderen Seite vor der ebenfalls in großem Maßstab gemalten Figur des heiligen Antonius (um 1195 bis 1213), des zwischenzeitlich auch auf einem Nussbaum lebenden großen Predigers und Einsiedlers, der schützend die Linke auf dessen Haupt legt.

„Dieses Meisterstück Ottavianos, eine schlichte, ebenmäßige Nebeneinanderstellung von Figuren verschiedenster Größe auf blauem Grund, macht den Eindruck einer heiteren Miniatur in einer prächtigen Mischung mehrfach abgetönter Farben, die zwar bunt, aber durchaus unplastisch wirken. Seine von ungemein sauberen Umrissen umschlossenen Figuren mit noch nicht perfekten Händen und schwächlichen Füßen sind unkörperliche Erscheinungen in Kleidern dünn wie Spinngewebe, mit Blumen beladen, teilweise mit blattförmigen Säumen. Einige Köpfe, wie etwa der des Antonius und seines Schützlings, haben einen gewissen still-feierlichen Ausdruck, und auch Maria mit dem Kind schaut lieblich drein. Das Ganze ist mit einem Fleiß durchgeführt, dem keine Mühe zu viel wird.“[7]

11. Maria mit dem Kind auf dem Thron zwischen den

Heiligen Johannes dem Täufer, Johannes dem Evangelisten,

Markus und Maria Magdalena (Cortona Triptychon), um 1437.

Tempera auf Holztafel, 218 x 240 cm. Museo Diocesano, Cortona.

12. Die Verkündigung (Altarbild von Cortona

mit Predella), um 1432-1434. Tempera auf Holztafel,

175 x 180 cm. Museo Diocesano, Cortona.

13. Fra Filippo Lippi, Die Verkündigung,

um 1445. Tempera auf Holztafel,

175 x 183 cm. San Lorenzo, Florenz.

 

 

Gubbio war damals reich an ähnlichen Werken. Bereits Ottavianos Vater Martino hatte dort um 1385 inmitten eines Kreises gleichgesinnter Künstler gemalt, sein Großvater Mattiolo hatte als Bildhauer gewirkt. Ein näheres Verhältnis des Ottaviano zu Fra Giovanni kann umso eher angenommen werden, weil dessen Bruder Tomasuccio für San Domenico in Gubbio malte. Doch ist immer die zutreffende Bemerkung Försters[8] festzuhalten: „Fra Angelicos ganze Kunstweise ist von einer Eigentümlichkeit, die von einer einzelnen anderen nicht hergeleitet werden kann; sie ist eins mit seinem Naturell, aus diesem hervorgewachsen unter dem wohltätigen Einfluss der älteren Kunst, mit deren Schöpfungen das ganze Land aufs Reichste ausgestattet war.“

Mit ziemlicher Sicherheit dürfen nur vier Arbeiten als die ersten in Cortona zwischen 1407 und 1418 geschaffenen Werke Fra Giovannis angesehen werden. Das wichtigste der für die dortige Kirche seines Ordens gemalten Bilder hängt in einer Kapelle neben dem Hochaltar. Marchese sieht es als eines der besten Werke seines Ordensbruders an, andere stimmen ihm darin bei. Durch dieses hohe Lob wird es sehr schwer, die Arbeiten unseres Malers kritisch zu sichten und chronologisch zu ordnen. Bei anderen Meistern wächst das Können stetig weiter, und die bessern Leistungen sind meist später entstanden; hier begegnet uns aber bereits am Anfang einer Laufbahn eine in ihrer Art vollkommene Schöpfung. Vergessen wir aber nicht, dass der Maler 1387 geboren wurde, also als 22-Jähriger die Gelübde in Cortona ablegte und sich bis zu seinem 31. Lebensjahr dort aufhielt. Ein Fortschritt ist bei Angelico im Allgemeinen nur in Nebensächlichkeiten zu finden, in der Perspektive der Hintergründe, im Stil der Architektur, in der Tracht u.ä. Dingen.

In der Mitte der Tafel thront Maria in einem dunkelblauen Mantel, der ihr rotes Kleid fast ganz bedeckt (Cortona Triptychon). Das unbekleidete Kind auf ihren Knien hält eine dunkelrote Rose; je zwei Engel zu ihrer Rechten und Linken tragen in einem Korb hellere und dunklere Blumen; neben dem Thron stehen in prächtigen Vasen andere Rosen. In eigenen Abteilungen folgen die großen Figuren von Markus und der hl. Magdalena, rechts Johannes der Täufer und der Evangelist. Über dem mittleren Bild befinden sich unter einem Spitzbogen der Gekreuzigte mit Maria und Johannes, über den vier Heiligen zur Seite die Figuren der Verkündigung. „In diesem Bild kann man den frühlingsfrischen Eindruck nicht verkennen, so dass man die erste Künstlerfreude darin pulsieren, dass man sich selbst zu Entzückungen emporgehoben fühlt. Vor allem ist es das Christkind, das wie der Morgenstern leuchtet, und das Engelpaar, von dessen himmlisch süßem Lächeln das Auge sich nicht trennen mag. Große Schönheit ist über die mit bewundernswertem Fleiß ausgeführte Predella ausgegossen; mit zartem Gefühl sind die verschiedenen Seelenzustände der dargestellten Personen ausgedrückt; aber wo Angelico den Schmerz über den Hingang des hl. Dominikus auszusprechen hatte, da hat er sein ganzes Herz und die ganze Fülle seines Mitgefühls ausgeschüttet und offenbar in dem Bild seinen eigenen Schmerz ausgeweint.“[9]

14. Engel der Verkündigung, um 1424.

Tempera und Gold auf Holztafel, 18,1 x 13,5 cm.

Yale University Art Gallery, New Haven.

15. Jungfrau der Verkündigung, um 1424.

Tempera und Gold auf Holztafel, 18,1 x 17,8 cm.

Yale University Art Gallery, New Haven.

 

 

Diese Predella enthält in sechs Abteilungen, zwischen denen Heilige stehen, acht Szenen aus der Geschichte des hl. Dominikus, sie ist aber jetzt in die Taufkapelle beim Dom (Oratorio del Gesù) übertragen. Dorthin ist auch das andere Tafelgemälde von San Domenico, eine Verkündigung, gekommen. Maria sitzt in einer Halle; sie lässt ihr geöffnetes Buch auf die Knie sinken, kreuzt demütig die Arme vor der Brust und neigt sich, um ihre Bereitwilligkeit zu bekunden. Gabriel kommt eilenden Schrittes in die Halle. Er streckt beide Hände aus, mit der Rechten deutet er auf Maria hin, zu der er gesandt ist, mit der erhobenen Linken erinnert er an seine Sendung vom Himmel. Ein von seinen Lippen ausgehendes Spruchband enthält die Worte des Grußes, die Taube aber schwebt bereits herab zur Jungfrau. Im Hintergrund erscheint als Gegenbild dieses Geheimnisses die Vertreibung der Stammeltern aus dem Paradiesesgarten. Die Predella schildert sechs Szenen aus dem Leben Marias (Geburt, Heirat, Heimsuchung, Anbetung der Könige, Darstellung im Tempel und den Tod mit dem Begräbnis) und ihre Erscheinung vor dem seligen Reginaldus (um 1205 bis 1275). Vielleicht gehört das letzte Bild aber noch zum Untersatz der zuerst genannten Tafel, die besser ausgeführt ist als die Verkündigung und wohl als früherer Versuch angesehen werden muss.[10] Am Eingang von San Domenico malte Fra Giovanni über dem Fassadentor in Fresko eine Madonna mit ihrem Kind zwischen den hll. Dominikus und Petrus Martyr, in dem Gewölbe aber die vier Evangelisten.

Die Dominikanerkirche in dem von Etruskern gegründeten Perugia besaß ein großes Altarbild Angelicos (Abbildung). Nur wenige Städte sind so reich an Gegensätzen und zeigen so sehr die Änderungen, die der Wechsel der Zeit mit sich gebracht hat wie gerade Perugia. Ihr San Domenico, ein Bau des 13. und 14. Jahrhunderts, ist im Laufe des 17. Jahrhunderts so stark umgeändert worden, dass man die ursprüngliche Anlage kaum mehr erkennen kann. Das Altarbild ist in Stücke zerschlagen, doch hängen jetzt die meisten Teile gemeinsam mit anderen aus den Kirchen und Klöstern der Stadt zusammengeholten Schätzen im Museum der Pinacoteca Vannucci, im Obergeschoss des machtvollen Palazzo Pubblico. Mag es auch für den Forscher bequemer sein, heute in den italienischen Museen und Bibliotheken die Handschriften und Kunstgegenstände gesammelt zu finden, mag auch deren Benutzung dadurch sehr erleichtert werden: das Unrecht der Klosteraufhebungen wird dadurch nicht rechtens und nicht gesühnt. Marchese sah noch die einzelnen Teile der Tafel im Kloster seines Ordens. Er betrachtete sie als frühestes Werk des Künstlers und bekämpfte die Meinungen, sie sei erst um 1450 entstanden. In der Tat gleicht das Bild von Perugia so sehr dem für Cortona gemalten, dass durchaus denkbar ist, dass beide ungefähr zu gleicher Zeit vollendet worden sind. Wie in Cortona steht neben dem Thron der Gottesmutter sowohl rechts als auch links ein Engel mit einem Blumenkörbchen: auf den Flügeln sind zwei Heilige in großer Gestalt gemalt. Zwei weitere Engel schauen hinter den Pfeilern des Thrones hervor, und vor dem Thron stehen auf der Erde drei mit Blumen gefüllte Vasen. Auch auf diesem Bild hält das auf dem Schoß der Mutter stehende Kind eine Rose, die es einem Körbchen der Engel entnommen hat. Oben in einem Giebel waren wiederum die beiden Figuren der Verkündigung angebracht; die Predella enthielt Szenen aus der Legende des hl. Nikolaus. Zwei ihrer Tafeln finden sich im Museum zu Perugia, zwei andere im Vatikanischen Museum in Rom. Die Bildchen von zwölf Heiligen, die ehedem im Rahmen standen, haben nicht nur stark gelitten, sie sind sogar halb zerstört.

16. Jungfrau der Verkündigung, 1450-1455.

Tempera und Gold auf Holztafel, 33 x 27 cm.

The Detroit Institute of Arts, Detroit.

17. Der Einzug Christi in Jerusalem (eines der 35 Bilder

für den Schrank der Santissima Annunziata),

um 1450. Tempera auf Holztafel, 39 x 39 cm.

Museo di San Marco, Florenz.

18. Duccio di Buoninsegna, Der Einzug Christi in Jerusalem

(Detail auf der Rückseite der Maestà), 1308-1311.

Tempera auf Holztafel, 100 x 57 cm.

Museo dellOpera del Duomo, Siena.

 

 

Es ist nicht zu übersehen, dass Fra Giovanni in den bis dahin besprochenen Gemälden sowohl als Tafelmaler wie auch als Wandmaler agiert. Das beweist, dass er nicht mit der Miniaturmalerei begann, um dann erst später zu höheren Leistungen überzugehen. Einen Miniaturmaler würden die Oberen bestimmt nicht zur Verzierung der Chorbücher eingesetzt haben, und sie haben ihn vermutlich auch späterhin noch nicht einmal zeitweise bei der Ausmalung von Handschriften helfend und fördernd eingreifen lassen. Darum ist keine einzige Miniatur mit Sicherheit auf Fra Angelico zurückzuführen. Er tritt, wie noch gesagt werden wird, nicht einmal dort als Miniaturmaler auf, wo man es doch erwarten müsste. Es kann darum als gesichert angenommen werden, dass die große Malerei von Anfang an sein Fach gewesen und geblieben ist. Freilich verleitet die feine und sorgfältige Ausführung seiner Bilder, besonders die miniaturartige Schilderung in seinen Predellen, sehr leicht zu falschen Schlüssen. Wie rasch folgt da die Behauptung, wer die kleinsten Einzelheiten mit solchem Fleiß behandle, müsse zuerst Sachen gemacht haben, die dazu bestimmt gewesen seien, dem Auge so nahe gebracht zu werden wie die Bilder einer kostbaren Handschrift. Solche Ausführungen gehen aber eigentlich von Erfahrungen aus, die mit Gemälden der letzten Jahrhunderte gesammelt worden sind. Dabei wird dann vergessen, dass die guten Meister des Mittelalters ihre Werke bis ins Kleinste vervollkommneten und sehr häufig auch Tafeln im kleinsten Maßstab lieferten. Wer Fra Giovanni wegen seiner zierlichen Predellenbilder zum Miniaturisten machen will, müsste das gleiche bei Duccio tun, der auf der Rückseite seiner Majestas und in ihrer Predella zu einem Maßstab herabstieg, der im Verhältnis zu den Figuren auf der Vorderseite sehr klein ist; er käme sogar dazu, fast alle italienischen Maler des 14. und 15. Jahrhunderts als Miniaturisten anzusehen. Technisch gesehen war doch die Malerei auf Pergament eine ganz andere als die auf Holz und Kalk. Überdies bildeten die Miniaturisten ebenso wie die Schönschreiber eine eigene, von den Malern getrennte Klasse. Doch darauf wird weiter unten bei Beantwortung der Frage zurückzukommen sein, ob Fra Benedetto Miniaturist war und ob er seinem Bruder bei dessen Tafel- und Wandmalereien zur Hand ging.

19. Geburt des Hl. Nikolaus, seine Bestimmung, die den

drei jungen Mädchen gemachten Almosen (Erste Tafel der

„Episoden aus dem Leben des Hl. Nikolaus“, Predella des

Polyptychons von San Domenico in Perugia), um 1437.

Tempera auf Holztafel, 34 x 60 cm. Pinacoteca, Vatikan.

20. Madonna der Demut, um 1436-1438.

Tempera auf Holztafel, 74 x 61 cm.

Rijksmuseum, Amsterdam.