Play Strindberg Porträt eines Planeten

Totentanz nach August Strindberg

Hinten und auf den Seiten der Bühne schwarze Samtvorhänge, am Boden ein schwarzer Samtteppich. Darauf eine hellgraue kreisrunde Fläche. Die Szene. Auf ihr verschiedene Möbel. Links und rechts an den Bühnenseitenwänden je eine Requisitenbank mit den nötigen Requisiten, welche die Schauspieler selber holen. Über der Szene ein Ring mit Scheinwerfern. Der Inspizient schlägt den Gong.

 

Im Text bedeutet größerer Abstand längere Pause, Strich Zäsur. Beides sind Angaben, die helfen sollten, auf die Rhythmisierung des gesprochenen Textes zu achten.

Geschrieben 1968

Uraufführung im Basler Theater (Komödie) am 8. Februar 1969

A

Play Strindberg.

E

August Strindbergs ›Totentanz‹.

K

Arrangiert von Friedrich Dürrenmatt.

Kurt geht aus der Szene, setzt sich auf die Requisitenbank 2 (rechts).

Erste Runde.

A

Unterhaltung vor dem Abendessen.

Gong.

Alice auf dem Liegebett, stickend, Edgar im Lehnstuhl.

Lange geschieht nichts.

Edgar zieht seine Uhr auf.

E

Spiel was vor.

A

Was?

E

Was du willst.

A

›Solveigs Lied‹.

E

Den ›Einzug der Bojaren‹.

A

Du liebst nicht mein Repertoire.

E

Du meines auch nicht.

A

Dann spiele ich nichts vor.

 

E

Die Türe ist offen.

A

Soll ich sie schließen?

E

Wenn du willst.

A

Dann schließe ich sie nicht.

 

A

Rauche doch.

E

Ich vertrage keinen starken Tabak mehr.

Rauche schwächeren.

E

Ich habe keinen schwächeren.

A

Rauchen ist doch deine einzige Freude.

E

Was ist Freude?

A

Ich weiß nicht.

E

Ich auch nicht.

 

A

Whisky?

E

Später.

 

E

Was gibt es heute abend?

A

Frag Jenny.

E

Die Makrelenzeit beginnt.

A

Möglich.

E

Es ist Herbst.

A

Und wie.

E

Eine geröstete Makrele mit einer Zitronenscheibe wäre nicht zu verachten.

A

Dir ist bloß deine Gefräßigkeit geblieben.

E

Ob wir noch Burgunder im Weinkeller haben?

A

Nein.

E

Wir brauchen aber Burgunder.

A

Wozu?

E

Wir müssen unsere silberne Hochzeit feiern.

A

Unser fünfundzwanzigjähriges Elend brauchen wir nicht zu feiern.

E

Wir hatten es manchmal nett miteinander.

A

Das bildest du dir bloß ein.

E

Bald ist alles vorbei.

A

Hoffentlich.

Von uns bleibt nichts als ein Schiebkarren voll Mist für ein Gartenbeet.

A

Laß mich mit deinem ewigen Mist zufrieden.

 

A

Post?

E

Ja.

A

Die Fleischrechnung?

E

Ja.

A

Wie hoch?

Alice geht zu Edgar.

E

Ich brauche eine neue Brille.

Edgar gibt Alice die Fleischrechnung.

A

Kannst du die Rechnung bezahlen?

E

Ja.

A

Jetzt?

E

Später.

A

Wenn du pensioniert wirst, weil deine Krankheit wiederkommt, muß ich sie zahlen.

E

Ich bin kerngesund.

A

Das ist mir neu.

E

Nur hin und wieder ein wenig schwindlig.

A

Du hast ganz schöne Absencen, mein Lieber.

Alice setzt sich wieder auf das Liegebett, stickt.

E

Ich lebe noch zwanzig Jahre.

A

Kaum.

E

Ich bin nicht krank, ich bin nie krank gewesen, und ich werde nie krank sein.

Deine Ansicht.

E

Ich sterbe Knall auf Fall wie ein alter Soldat.

A

Der Arzt ist anderer Ansicht.

E

Der Arzt ist ein Idiot.

A

Der Arzt gibt heute eine Gesellschaft.

E

Soll er.

A

Wir sind nicht eingeladen.

E

Weil wir mit diesen Leuten nicht verkehren, und wir verkehren nicht mit diesen Leuten, weil wir nicht wollen, und wir wollen mit ihnen nicht verkehren, weil wir sie verachten.

A

Weil du sie verachtest.

E

Sie sind Pack.

A

So nennst du alle Menschen. Nur dich nimmst du aus.

E

Ich bin ein anständiger Mensch.

 

A

Spielen wir Karten?

E

Spielen wir Karten.

Alice setzt sich an den Tisch. Sie beginnen Karten zu spielen.

Kartenspielszene 1.

A

Dem Arzt steht das Musikkorps für seine Gesellschaft zur Verfügung.

E

Weil er vor dem Oberst kriecht.

A

Du kriechst auch vor dem Oberst.

E

Ich brauche nicht vor dem Oberst zu kriechen, weil der Oberst mich zu schätzen weiß.

A

Aber das Musikkorps steht dir nie zur Verfügung.

E

Was ist Trumpf?

A

Bist du müde?

Nein.

A

Dann sind deine Augen krank. Pik.

E

Unsinn.

A

Du sagtest doch, du brauchtest eine neue Brille.

E

Jeder braucht einmal eine neue Brille.

A

Und du willst noch zwanzig Jahre leben.

E

Ich lebe noch zwanzig Jahre.

A

Pik ist Trumpf.

E

Sechs und acht macht fünfzehn.

A

Vierzehn.

E

Vierzehn.

A

Rechnen kannst du auch nicht mehr.

E

Wenn ich müde bin, bin ich zerstreut.

A

Du sagtest doch, du bist nicht müde.

E

Ich bin nicht krank.

 

A

Man hört die Musik bis hierher.

E

Das Musikkorps taugt nichts.

A

Für die Offiziersfrauen taugen wir nichts.

E

Mir egal.

A

Dir.

E

Ich bin einsam, ich bin immer einsam gewesen, und ich werde immer einsam sein.

A

Ich auch.

E

Dann beklage dich nicht.

A

Für die Kinder ist es nicht egal.

E

Die vergnügen sich in der Stadt.

A

Ob Kurt ankommt?

E

Heute abend.

Besucht er uns?

E

Er wird beim Arzt eingeladen sein.

A

Er ist schließlich mein Vetter.

E

Das ist keine Ehre.

A

Laß meine Familie in Frieden, ich lasse deine Familie auch in Frieden.

E

In meiner Familie verließ niemand Frau und Kinder wie dein Vetter.

A

Du hast dich mit ihm gern unterhalten.

E

Schufte brauchen keine Idioten zu sein wie die Leute auf dieser Insel, mit denen ich mich nicht unterhalte, weil sie Schufte und Idioten sind.

A

Mein Vetter ist kein Schuft.

E

Er ist ein Schuft, weil er uns verheiratet hat.

 

A

Kennst du eine glückliche Ehe?

E

Ekmarks.

A

Sie ist im Spital.

E

Von Kraffts.

A

Er ist bankrott.

E

Dann kenne ich keine glückliche Ehe.

 

E

Spielen wir weiter.

A

Spielen wir weiter.

 

A

Schön, daß Kurt zu unserer silbernen Hochzeit kommt.

E

Merkwürdig, daß er sich auf dieser lausigen Insel als Quarantänemeister niederlassen will.

 

A

Wenn wir nicht geheiratet hätten, wäre ich noch am Theater.

Um so besser für das Theater.

A

Ich war eine berühmte Schauspielerin.

E

Die Kritiker waren anderer Ansicht.

A

Kritiker sind Schufte.

E

Aber keine Idioten.

E

So, ich nehme einen Whisky.

Edgar geht zum Buffet, schenkt sich einen Whisky ein.

E

Auf den Oberst!

Trinkt.

E

Wenn hier ein Querholz wäre, könnte man den Fuß darauf setzen und sich einbilden, man wäre in der ›Amerika-Bar‹ in Kopenhagen.

A

Kopenhagen war meine schönste Zeit.

E

Erinnerst du dich an Nimbs Navarin aux pommes?

A

Ich erinnere mich an die Konzerte in der Philharmonie.

E

Wir waren nie zusammen in der Philharmonie.

A

Meine schönste Zeit in Kopenhagen war die Zeit, als ich dich noch nicht kannte.

 

E

Du hast mich nur geheiratet, um mit mir zu prahlen.

A

Mit dir konnte ich nie prahlen.

E

Ich war ein berühmter Militärschriftsteller.

A

Dich hat nie ein Mensch gekannt.

 

E

Sie tanzen beim Arzt.

A

Den ›Alcazarwalzer‹.

Du hast mich nur geheiratet, um mit mir zu prahlen.

E

Mit dir konnte ich nie prahlen.

A

Ich war eine berühmte Schauspielerin.

E

Dich kennt kein Mensch mehr.

 

A

Ich tanzte lange nicht mehr.

E

Wir sind zu alt dazu.

A

Ich bin zehn Jahre jünger.

E

Ich lebe noch zwanzig Jahre.

 

E

Die Flasche ist leer.

A

Wir haben keinen Whisky mehr.

E

Es ist finster.

A

Du siehst ohnehin nichts mit deinen kranken Augen.

E

Meine Augen sind nicht krank.

A

Dann soll Jenny die Lampe anstecken.

E

Jenny kommt nicht.

A

Klingle.

E

Jenny ist gegangen.

A

Für immer?

E

Für immer.

A

Wenn Jenny geht, geht Christel.

E

Geht Christel, bekommen wir keine Dienstboten mehr.

A

Deine Schuld.

E

Zu mir sind die Dienstboten höflich.

A

Weil du vor ihnen kriechst, und du kriechst vor ihnen, weil du als Despot eine Sklavennatur bist.

E

Ich krieche vor niemandem, ich bin vor niemandem gekrochen, und ich werde vor niemandem kriechen.

A

Außerdem greifst du ihnen unter die Röcke.

A

Willst du weiterspielen?

E

Nein.

Alice setzt sich mit dem Rücken zum Publikum auf das Liegebett, stickt wieder.

A

Mein Vetter soll reich geworden sein.

E

Der erste reiche Verwandte in der Familie.

A

In deiner Familie. In meiner Familie gibt es viele reiche Verwandte.

E

Deshalb stinkt mir ja auch deine Familie.

Der Telegraf klopft.

A

Wer ist’s?

E

Die Kinder.

Edgar geht zum Tisch mit dem Telegrafen.

A

Nun?

E

Sie sind in der Hauptwache.

A

Und?

E

Judith ist krank.

A

Schon wieder.

E

Sie brauchen Geld.

A

Schon wieder.

Edgar setzt sich hinter den Tisch mit dem Telegrafen, klopft das Schlußsignal.

E

Die Kinder arbeiten in der Schule zuwenig.

A

Du arbeitest auch nichts.

Ich war der Klassenerste, mein Sohn fällt durch jedes Examen und meine Tochter auch.

A

Rede mit ihnen.

E

Rede du mit ihnen.

A

Du bist feige, du bist immer feige gewesen, und du wirst immer feige sein.

 

E

Ich war ein berühmter Militärschriftsteller!

A

Ich war eine berühmte Schauspielerin!

Edgar gähnt.

A

Du gähnst.

E

Und.

A

Vor deiner Frau?

E

Was soll ich sonst tun. Wir führen jeden Abend dasselbe Gespräch.

 

E

Ich glaube nicht, daß dein Vetter reich geworden ist.

A

Er ist aber reich geworden.

E

Warum wird er dann Quarantänemeister?

A

Du hast es nicht einmal bis zum Major gebracht.

A

Essen wir bald?

 

A

Der Arzt bestellte für die Gesellschaft das Souper aus der Stadt vom Grandhotel.

E

Dann gibt’s Haselhühner. Ich möchte bloß wissen, was diese Barbaren dazu trinken.

A

Soll ich dir nicht doch was vorspielen?

E

Wenn du mir nicht mit deiner ewigen Solveig kommst.

Dann nicht.

E

Dann frag nicht.

A

Die einzige Musik, die du liebst, ist dein unmöglicher ›Einzug der Bojaren‹.

Edgar steht auf und geht in die Mitte der Szene.

E

Die Bojaren waren noch Herren.

Alice lacht.

E

Im Weinkeller sind zwei Flaschen Champagner.

A

Ich weiß.

E

Wollen wir sie nicht heraufholen und so tun, als hätten wir Besuch?

A

Der Champagner gehört mir.

E

Sei nicht immer so ökonomisch.

A

Ich muß ökonomisch sein, weil du kein berühmter Militärschriftsteller bist.

E

Wollen wir nicht versuchen, wenigstens heute abend nett miteinander zu sein?

A

Gegen frühere Abende sind wir heute abend nett miteinander.

E

Soll ich dir was vortanzen?

A

Du bist zu alt dazu.

E

Wenn du den ›Einzug der Bojaren‹ spielst, tanze ich dir trotzdem was vor.

A

Auch wenn du alle für Idioten hältst, brauchst du dich nicht wie ein Idiot aufzuführen.

Edgar setzt sich in den Lehnstuhl.

Die Haselhühner sind eine Delikatesse, wenn man sie nicht im Speck brät.

A

Das Grandhotel brät sie nie im Speck.

 

E

Der Oberst weiß mich zu schätzen.

A

Dann ist er der einzige wirkliche Idiot.

E

Es wäre vielleicht gut, wieder einmal jemanden einzuladen.

A

Du hast alle weggegrault.

E

Früher waren wir manchmal ganz glücklich, wenn wir Besuch hatten.

A

Nachher waren wir noch unglücklicher. Nur der Besuch war froh, wenn er wieder gehen konnte.

Kurt klopft, auf der Requisitenbank sitzend.

E

Das ist Christel.

A

Sieh nach.

Edgar geht rechts hinten von der Szene.

Edgar betritt wieder die Szene.

E

Es ist Christel.

Edgar setzt sich wieder in den Lehnstuhl.

E

Sie geht auch.

A

Wir sind erledigt.

E

Wir hängen uns am besten auf.

Gong.