Gerd H. Hoffmann

DER AUF DEN MENSCHEN GEPRÄGTE GRAUPAPAGEI

Die Wahrheit hinter der grauen Fassade

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2015

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Illustrationen © Gerd H. Hoffmann

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

www.engelsdorfer-verlag.de

Aus dem Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Nur der genetische Bauplan kann der Kompass sein

Vertrauen muss verdient werden

Der neue Weg – auf Augenhöhe des Vogels

Die intakte soziale Gemeinschaft

Der erwachsen gewordene Graupapagei

Respekt im Umgang mit dem Graupapagei

Nur das richtige Licht gewährleistet Gesundheit pur

Ernährung – eine wichtige Säule für Gesundheit

Luftfeuchtigkeit und Haltungshygiene

Schlussbemerkung

Was gibt’s denn? Lest doch einfach mal, was aus Rosi geworden ist.

Nur der genetische Bauplan kann der Kompass sein

Als ich im April des Jahres 2001 den Schritt zur Haltung eines auf den Menschen geprägten Graupapageien gewagt habe, war das ein Traum seit meiner Kindheit – aus großer Tierliebe und keine plötzliche Laune! Ich wollte einen Nestjungen, handaufgezogenen >Grauen< kennen und verstehen lernen, die Verantwortung für ihn übernehmen und scheiterte schon nach fast zwei Jahren um ein Haar daran. Mein damaliges Vogel-Wissen stieß an seine Grenzen und aus Gutgläubigkeit vertraute ich Ratschlägen, die für unseren Graupapagei fast in einer Katastrophe endeten. Ausführlich erzähle ich von dieser schwierigen Zeit, in meinem bereits im Jahr 2008 erschienenen Buch: Meine Freundin – ein Graupapagei.

Nach unserem Versagen aus der Verantwortung flüchten, alles hinwerfen und Rosi ins Tierheim geben? Nein, wir sahen es als eine Aufforderung, durch tiefgründiges Lernen und dem Streben nach Perfektion, mit den vielen Erkenntnissen der forschenden Vogel-Experten in der Tiefe zu analysieren, uns auch stärker an der „Quelle“ zu orientieren, um dort unverfälscht von Ansprüchen und Bedürfnissen zu erfahren, die nicht so mancher Möchtegern-Experte in fragwürdigen Ratschlägen verbreitet. Die uns durch genaues Beobachten nur unser Vogel kenntlich machen kann. Rosis genetischen Bauplan und den Gegebenheiten in ihrer Heimat so zu entsprechen, wie es uns irgend möglich ist. Damit zu versuchen, den Nährboden für gesundheitliche Risiken zu verhindern. Dabei war es für uns selbstverständlich, Rosi die Erwartungen ihrer Prägung mit allen Kräften und ohne jedes Wenn und Aber zu gewährleisten. So entwickelte sich in den Jahren wieder eine faszinierende, für Vogel und Mensch lehrreiche und sichtbar Zufriedenheit ausstrahlende Gemeinschaft. Ist zusammengewachsen, was eigentlich gar nicht zusammengehört.

Fast 13 Jahre gehen wir mittlerweile unseren neuen Weg, lernten Fehler und Ansichten noch rechtzeitig zu korrigieren und haben begriffen, dass es ein gesundes lebensfrohes Zusammenleben mit dem Vogel der Wildnis nur geben kann, wenn man sich seinen Regeln, den Regeln der Natur unterordnet. Der >Graue< sich erst dann zur Faszination und nicht zum Albtraum entwickelt. Das heißt, zu akzeptieren, dass sich der genetische Bauplan der Graupapageien nur zu den Bedingungen des Regenwaldes, in vielen Millionen Jahren Evolution entwickelt hat. Es ihm mit diesem arteigenen Bauplan nicht einmal möglich ist, jedes Territorium seiner Afrikanischen Heimat zu erobern. Dass Evolution im Wohnzimmer oder der Voliere zwar nicht ihr Ende findet, aber die Anpassung an diesen zivilisierten Lebensraum nur begrenzt gesund funktionieren kann. Darin sehen wir unsere Pflicht, eine ihres genetischen Bauplanes annähernd naturkonforme, des Regenwaldes ähnliche Haltung zu organisieren und ohne wesensfeindliche Manipulationen zu begleiten. Das jedoch sehen viele Halter anders. Oder woran liegt es, dass es so erschreckend viele, unheilbar kranke Graupapageien gibt? Besonders die Graupapageien sind es, die mit ihrer instinktiven Intelligenz immer wieder beweisen, dass sie aus überlebenstaktischen Gründen perfekt täuschen können. Sie sich sowohl in einem für sie ungeeigneten Lebensraum als auch mit dem aufgezwungenen Partner nicht wirklich Wohlfühlen. Deswegen lange unerkannt mit Dauerstress zu kämpfen haben und oft erst nach Jahren am Leidensdruck ihrer Unzufriedenheit durch Krankheiten und Verhaltensaufälligkeiten zerbrechen – bis hin zur Selbstverstümmelung durch das Federn rupfen. Auch wenn der erste Eindruck das kaum vermuten lässt. Darum warne ich ja vor der Einzelhaltung und versuche das >Warum< auf der Grundlage meiner fast 15 Jahre Erfahrung mit unserem einzelnen Graupapagei aufzuzeigen.

Die von den Kritikern angeführten Argumente, mit denen sie die Einzelhaltung als nicht art- oder tiergerecht anprangern, kann ich nach meinen jahrelangen Beobachtungen so nicht teilen – unser Papagei hat uns anderes gelehrt. Denn Stolz im Internet präsentierend und mit Videos oder Bildern untermauert, ist es auch so mancher Kritik übende Halter, mit mehreren Vögeln unter einem Dach, der die art- und wesensfeindliche Haltung praktiziert und die genetischen Ansprüche ignoriert. Mit Krankheiten, Verhaltensauffälligkeiten oder den daran verstorbenen Papageien nicht akzeptieren will, dass es doch nur er ist, der leichtfertig und verantwortungslos die Ansichten und somit den genetischen Bauplan seiner Vögel missachtet. Nach Fehlern überall sucht, nur nicht bei sich selbst. Mit Selbstsicherheit seine Haftanstalt schön redet und dazu noch haarsträubende Beispiele oder Ratschläge in seinen Papageien-Infos postet. Reagiert man auf solche wesensfeindlichen Mängel kritisch in deren Gästebuch, wird diese Kritik sofort gelöscht.

Mit einem Vogel der Wildnis eng zusammen zu leben, der sich noch nie untergeordnet und zum domestizierten Haustier degradieren ließ, der unbeirrt nur nach seinem eigenen, artspezifischen Programm gesund leben kann und nicht nach einem aufgezwungenen wesensfremden, ansonsten das „Handtuch“ wirft, da reicht es bei weitem nicht, einfach mal schnell einen Partnervogel dazuzusetzen und alles wird nun gut. Manche Halter meinen sogar fest überzeugt, dass sich die >Grauen< schon im Laufe der Zeit allen regenwaldfernen Gegebenheiten bei ihnen anpassen. Diesem Irrglauben widersprechen aber nicht nur die vielen kranken Graupapageien sehr energisch, sondern auch ihr Erbgut – die Gesetze der Genetik.

Solche Ansichten, auch begünstigt durch die Vermarktungsstrategie mit handzahmen Vögeln, lassen schon vermuten, dass hier das Wissen zu fehlen scheint, das auch jeder auf den Menschen geprägte Graupapagei ein Tier der Wildnis bleibt. Denn auf Menschen geprägt, bedeutet doch keinesfalls das Kappen seiner wilden Wurzeln oder das Auslöschen der Gene, Wesensmerkmale und Instinkte. Auch diesen Vögeln geht es nur ums Überleben. Mit welchem Partner sie das meistern können, ist auch bei ihnen nach den Gesetzen der Wildnis vom grünen Licht ihrer Überlebensinstinkte abhängig. Ist deshalb keine Selbstverständlichkeit! Schon bei kleinster Unsicherheit können wieder die Ängste der Wildnis das Sagen übernehmen! Jeder Graupapagei muss sich deshalb nach seinen Gefühlen den Partner des Vertrauens selbst auswählen, will man nicht früher oder später bittere Enttäuschung riskieren. Dann aber arttypischkonservatives Verhalten und seine Ansprüche akzeptieren und sich ein Leben lang von ihm vereinnahmen lassen – als ein wichtiges Kriterium seiner monogamen Vogel-Erwartungen. Leider wollen das die meisten menschlichen Schaltzentralen anders sehen. So weit soll die Beziehung ja nicht gehen – muss sie aber beim einzeln gehaltenen Graupapagei!

Es wird schon nicht so schlimm kommen. Er ist doch nur ein Tier, lebt bei uns und wir nicht bei ihm, ist eine oft gehörte Meinung. Da somit neben Respekt und Achtung auch viel Wissen und praxisnah mahnende Literatur, vom Umgang mit einem handaufgezogenen Einzelvogel fehlt, versuchen sich viele Liebhaber nur auf gut Glück und scheitern früher oder später jämmerlich. Können sich dann nicht erklären, warum ausgerechnet ihr Vogel zum Problemvogel wurde. So werden es zwangsläufig nicht nur viele Einzelhalter sondern auch nicht wenige Halter mit mehreren handzahmen Vögeln sein, die mit Krankheiten oder massiven Verhaltensstörungen das Fürchten vor diesem Vogel gelehrt bekommen.

Ja, besonders die Graupapageien-Einzelhaltung ist es, die für die Mehrzahl der Vögel und ihre Halter auf Dauer nicht zu der Erfüllung wird, die sich beide Seiten erhofft hatten. Sie ist eine extrem schwierige Herausforderung, weil sie mit sehr viel Disziplin und Nachsicht, das Fühlen und Verstehen auf Augenhöhe dieses sehr intelligenten Vogels erfordern und damit viel tiefer gehen muss, als jedermann es zu glauben meint – weil Einzelhaltung ein Leben für den Einzelvogel bedeutet. Deshalb möchte ich am Beispiel unseres Graupapageien-Mädchens Rosi, unsere Wahrheit hinter der grauen Fassade aufzeigen. Bildung und logisches Denken, das nicht schon das Lesen langer Sätze und Verarbeiten meiner Erfahrungen überfordern, setze ich voraus. Denn ich will hier nicht nachplappern und darüber schreiben, worüber alle schreiben. Ich will aus unserer täglichen Realität meine Beobachtungen, Behauptungen und Ansichten zur Einzelhaltung beim Namen nennen – Enttäuschungen zu vermeiden helfen.

Denn entgegen vieler Erwartungen ist nicht jeder der handaufgezogenen Graupapageien jedem so zu vertrauen bereit, dass er das mit seiner Überlebensstrategie in Einklang bringen kann. Und wenn, dann werden sie Vertrauen niemals abgucken, das muss ihrer Überlebensstrategie entsprechend verdient werden. Es wächst still, aber genau geprüft und ist nicht beeinflussbar. Besonders intensiv für die ihm wichtig erscheinende Person – die dann nur selten ersetzbar ist. Da aber niemand weiß, ob er sich auch in den nächsten vierzig Jahren noch berufs- oder familienplanerisch von seinem monogamen Vogel weiter so vereinnahmen lassen kann, ist es in der Regel ratsamer die Finger vom Einzelvogel zu lassen.

Das Zusammenleben mit handaufgezogen einzelnen Graupapageien wird seit Ewigkeiten praktiziert und daran wird sich auch nichts ändern. Nur wie „cool“ und wesensfremd das als selbstverständlich praktiziert, wie versucht wird, die in der Evolution gewachsenen Merkmale zu ignorieren oder auszuhebeln, sie damit zu quälen, das ist erbärmlich. Nein, ich will nicht alle und alles kritisieren. Es geht mir nur um die andauernde Respektlosigkeit. Die vielen „schönen Haltungen“, die jede arttypische Identität des Graupapageien vermissen lassen. Deren Käfig mit buntem Spielzeug zur Selbstbedienung überzogen, der sozialen Seele und seiner Gesundheit überhaupt nichts Wichtiges tun kann. Nicht mal annähernd naturnahe Bedürfnisse erfüllt. Doch tadellose Haltungen, mit naturnahen Standards gibt es noch in jeder Haltungsform. Allein sie können Vorbild sein und wir vergleichen sie stets mit unserer Haltung. Suchen nach Anregungen und umsetzbaren Ideen und haben auch da viel gelernt, lassen Rosi wie ein Graupapagei leben. So kann ich schon hier sagen: Ja, unsere Fehlersuche an der „Quelle“ hat sich bestens bewährt. So halten wir schon seit fast 13 Jahren, mit lückenloser Gewährleistung einer stabilen sozialen Gemeinschaft, mit naturähnlichen Lebensbedingungen und vernünftiger Haltungshygiene, ein aktives und gesundes Graupapageien-Mädchen. Das sogar ihr jahrelanges Federproblem restlos besiegt hat. Bis jetzt keine weitere Krankheit oder gar eine Aspergillose erfahren musste. Die weder zum Schreihals noch zur Klette geworden ist. Mit der Respektierung ihres genetischen Bauplanes und viel Disziplin, hat mir die Wirklichkeit, unsere seit fast 13 Jahren veränderte Praxis gezeigt, dass sehr viele Probleme nur hausgemacht, auf Halterversagen beruhen und vermeidbar sein könnten. Ein Tier der Wildnis nicht zwangsläufig zum Verlierer werden muss. Aus unseren Beobachtungen, wie sie schon auf kleinste Veränderungen mit Signalen, Verhaltensweisen oder ihrer Körpersprache reagiert, ziehen wir zeitnah Schlussfolgerungen. Gehen mit viel Augenmaß und Respekt darauf ein, versuchen uns auf ihrer Ebene als Ihresgleichen zu verstehen zu geben und haben gelernt, mit einem gesunden Graupapagei im Wohnzimmer zu leben. Wo nicht der respekteinflößende Schwarm mit seiner Erscheinung für intelligente Sicherheit erforderlich ist, sondern die Erfahrungen in der kleinen Gemeinschaft auch Garant für sichere Geborgenheit sein können. Ohne tiefgründiges Wissen, viel Zeit und ein außergewöhnliches Tierverständnis, ohne Bereitschaft sich vom Vogel rund um die Uhr raffiniert vereinnahmen zu lassen und damit große Abstriche der eigenen Lebensgewohnheiten hinnehmen zu müssen, auch das Verzichten zu lernen, wäre unsere Einzelhaltung wohl kaum wieder so gesund gewachsen.

Für das bessere Verstehen seines Vogels sollte man auch wissen: Bei der Handaufzucht des Graupapageien läuft der gleiche Prozess der Prägung ab, wie bei einer Naturbrut; wo jedes Vogel-Küken etwas ganz Natürliches erwartet und in der Regel auch bekommt, dass aber in fast allen Fällen urplötzlich und viel zu zeitig beendet wird – die lückenlose, Erfahrung vermittelnde Geborgenheit der Eltern-Kind-Bindung.

Nach dem Schlüpfen aus dem Ei, mit dem einige Tage später erstmaligen Öffnen der Augen, wo das Vogel-Küken, heute leider immer öfter aus einem Brutkasten kommend nicht seine leibliche Vogel-Mutter, sondern eine menschliche Person als erste zu sehen und zu hören bekommt, beginnt die sogenannte sensible Prägungsphase. Diese Prägungsphase, von der Natur so vorgegeben, beginnt mit dem erstmaligen Öffnen der Augen und innerhalb nur weniger Stunden. Diese dabei zuerst erblickte Person, wird das Küken dann in einer lückenlos anschließenden, individuellen Kennenlernen- und Bindungszeit möglicherweise als „Artgenosse“, aber mit Sicherheit als Elternteil zu vertrauen lernen. Diese Vorgänge sind vom Grundsatz her absolut naturgemäß und von großer Bedeutung für die gesunde Zukunft jedes >Grauen<. Sollte diese aufziehende Person wechseln, das Küken keinen ununterbrochenen Mutter-Kind-Kontakt mit seiner geprägten, vertrauten ersten Person erleben und dabei intensiv von ihr lernen, vergleichbar wie beim Menschen auch, dann kann schnell das Fundament als wichtige Grundlage für ein später gesundes Vogelleben ins Wanken geraten, wurde oftmals nur der Grundstein für die späteren Verhaltensstörungen gelegt. Dazu kommt bei der Handaufzucht, auch vergleichbar zur menschlichen Mutter mit ihrer wertvollen Muttermilch, die fehlende Ernährung aus dem Kropf der Elterntiere. Wo die teils vorverdaute, mit Enzymen vermischte Nahrung, die lebenswichtige Darmflora aufzubauen und das angeborene Immunsystem zu stärken helfen. Unwissende Halter somit den Ursprung möglicher Krankheiten und Verhaltensstörungen in der Folgezeit nicht mal ansatzweise einschätzen können. Ungewöhnlich an dieser heute gewollten, aber nur selten notwendigen Praxis der Handaufzucht, ist diese enorme Herausforderung als vertrauter „Artgenosse“, mit seinem Vogel eine soziale, psychisch stabile Gemeinschaft rund um die Uhr zu leben.

Es ist mir wichtig, dass Sie auch in den nachfolgenden Abschnitten die Problematik >Leben für den Einzelvogel< selbst erkennen. Bei aller Vogelliebe meine Warnungen vor diesem Kraftakt verstehen. Ich will Ihnen aus unserer Praxis vor Augen führen, was es heißt: Tagein, tagaus, fürsorglich und lehrend wie mit dem eigenen Kind, möglichst immer in der Nähe seines gefiederten Partners, mit den Ansichten eines Vogels der Wildnis und seiner kaum zu glaubenden Intelligenz, verständnisvoll und nachsichtig umgehen zu müssen.

Es wird ja nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird, sagen Sie? Sie ahnen nicht einmal annähernd, wie heiß ein Graupapagei servieren kann und wie schnell und nachhaltig sich schon vor Ihnen die Mehrzahl aller Halter daran verbrannt hat. Denn nicht nur, wenn er sein Unbehagen zum Ausdruck bringen will, sondern auch, wenn er sich in seiner Gemeinschaft wohl, sozial geborgen und respektiert fühlt, lebt er seine Gefühle stimmgewaltig, emotional und mit viel Raffinesse auch besitzergreifend. Unbeeindruckt unseres zivilisierten Verständnisses und aller Versuche, seine zeitweise nervenaufreibenden Aktivitäten unterbinden zu wollen. Provoziert damit viele Halter und deren Nachbarn bis über den Rand des Erträglichen und leider auch zu Fehlern. Dabei will er nur Verstanden werden, sich Einmischen dürfen und seinen „Artgenossen“ Wohlfühlen und Zuneigung durch vogeltypisches Imponieren beweisen. Glauben Sie mir, er beobachtet jede Kleinigkeit, hört jedes Wort und speichert alles im Bewusstsein – und lebt intelligent von und mit diesen Erinnerungen. Lernt besser mit Ihnen umzugehen, wie Sie mit ihm. Zeigt seine Stärken auf gar keinen Fall sofort und vermittelt meistens den Anschein, kein Wässerchen trüben zu können, aber in ihm steckt ungebändigte Natur. Er weiß ganz genau, was er will, trifft seine Entscheidungen nur nach den Sicherheitsmaßstäben der Wildnis und erst dann, wenn er davon überzeugt ist und alles unter Kontrolle hat. Dabei ist er in für ihn unsicheren Situationen trotzdem dringend auf die Unterstützung mit immer den gleichen beruhigenden Worten durch seine vertrauten Menschen angewiesen. Das alles zu verstehen, wo eins und eins beim Graupapagei nicht immer zwei sind, gleicht oft einer regelrechten Wissenschaft. Gelingt nur mit viel Geduld, sehr starken Nerven und fundiertem Wissen im Umgang mit ihm, aber niemals mit dem Ausloten seiner Belastbarkeitsgrenzen.

Immer wieder werden im Rahmen der persönlichen Lebensgestaltung, aus Unwissenheit oder haarsträubenden Ratschlägen, die scheinbar gute individuelle Anpassung an vorhandene Gegebenheiten seiner Umwelt falsch verstanden – eben nicht als instinktive Überlebensstrategie erkannt. Mit oft folgenschweren Auswirkungen für die Zukunft – egal ob im Wohn- oder Vogel-Zimmer oder in der Voliere mit ihren Schutzräumen. Mit der Meinung: Er ist doch in Menschenhand, im Klima Deutschlands und nicht unter Seinesgleichen im Regenwald geboren, muten ihm manche Halter völlig wesensfremde Umgangs-, Haltungs- und Ernährungspraktiken zu. Die er, je nach Persönlichkeitstyp, zwar oft über Jahre zu lernen und zu bewältigen versucht, die aber den einen früher, den anderen später unwiderruflich aus der Bahn werfen können – die ich als Folter seiner Gene bezeichne. Nein, er wird kaum den Regenwald beanspruchen wollen, aber alle dort und damit eng verbundenen arteigenen Bedingungen zum Leben. Die in seinem Erbgut seit vielen Millionen Jahren festgeschrieben sind, die er von seinen Eltern so weitervererbt bekommen hat – trotz deren Leben bei uns. Die ihn nur als Afrikanischen Graupapagei und nicht als Deutschen Sperling auszeichnen. Wem die tiefgehenden Ansprüche nicht schon vor der Anschaffung bekannt sind, wer sich nicht schon vorher das richtige Wissen angeeignet hat, der kann mit dem >Grauen< sein „blaues Wunder“ erleben – und der hat locker das Potential dazu, Ihre Nerven blank zu legen. Auch wird Ihnen wohl kaum jemand sagen können, mit welchen Erbanlagen Ihr Vogel aus dem Ei geschlüpft ist. Welche Erfahrung er schon beim Vorbesitzer, Züchter oder in einer Vogelhandlung sammeln musste oder welchen Charakter er mit Ihren Fehlern oder Können ausleben wird. Auch gehen die meisten Liebhaber der Faszination Jungvogel „auf den Leim“. Doch der ist noch relativ unbekümmert und will die Welt entdecken. Sammelt auf dem Weg zum erwachsen werden Erfahrungen und sondiert. Sucht unbeeinflussbar nach den Vorgaben seiner Instinkte den Partner, der für den Rest des Lebens sein Vertrauen verdient hat. Und das macht die in der Regel aufgezwungene Partnerschaft mit einer Handaufzucht nicht berechenbar. Deshalb rate ich bei Handaufzuchten auch nicht zur Umstellung auf die Paarweise Haltung. Durch die Prägung ist der „Artgenosse“ Mensch genauso interessant und nicht selten passiert es, dass einer des zusammenwachsen sollenden Vogelpaares, trotzdem beim Menschen sein Glück versucht – ein Wechselbad der Gefühle ihn schon oft aus der Bahn geworfen hat. Ich will hier auf keinen Fall leichtfertig zu einer Haltungsform auffordern, deren Zusammenhänge viel Weitsicht erfordern. Der >Graue< auch schnell vom Regen in die Traufe geraten könnte. Ich erachte es schon als konstruktiver, noch die vielen anderen Möglichkeiten zur Verbesserung einer schon Jahre bestehenden Einzelhaltung zu nutzen. Wenn, aus welchen Gründen auch immer, ein Einzelvogel ans Herz gewachsen ist. Vertraute Gemeinschaften, deren Trennung das monogame Vogel-Herz schon oft gebrochen hat. Wichtig ist, zu wissen, wie man dem Stress bereits konsequent an seiner Wurzel begegnen kann, damit man sich später nicht chancenlos mit seinen Symptomen herumzuschlagen hat. Wenn er zum Schreihals geworden, die Federn ausreist oder seine Vogel-Nase bereits zu tropfen beginnt. Dem Vogel auch mal das Gefühl seines natürlichen Lebensraumes des Regenwaldes, als ein wichtiges Teil für ein starkes Immunsystem, auch im Wohn- und Vogelzimmer oder in der Voliere erleben zu lassen. Dem schon vor Millionen Jahren im Regenwald entwickelten >Grauen<, nicht leichtfertig und unüberlegt den genetischen Bauplan einer Vogel-Art überstülpen zu wollen, die sich unter anderen klimatischen Bedingungen entwickelt hat. Damit garantiert eine völlig neue Erfahrung zu machen, ohne wieder einen Vogel-Tierarzt unter Vertrag nehmen zu müssen.

Vertrauen muss verdient werden

Weil auch jeder Graupapagei innerhalb seiner genetischen Grenzen, dem Erbgut variiert, für die Entwicklung des Charakters eben viele Faktoren eine Rolle spielen, gibt es kein Umgangs-Patent-Rezept. Für die seiner Art entsprechenden Grundregeln aber schon. Über deren Schatten kann auch er nicht springen – wenn er denn gesund bleiben soll. Die ich als Puzzle zu betrachten gelernt und nach denen jeder >Graue< von Natur aus leben muss. Nur alle Puzzle-Teile zusammen können diesen Grundregeln, als die tragenden Säulen jeder Haltung, wirklich gerecht werden. Wo er für Zufriedenheit und Gesundheit eine gewisse Toleranz erlaubt, ist innerhalb seines genetischen Rahmens verschieden und bleibt allein sein Geheimnis. Deshalb sind für ein solides Fundament von Geburt an alle Säulen wichtig. Achten wir besonders auf die tragende soziale Säule. Das konservativ vertraute und damit stressfreie, Sicherheit gebende Miteinander auf seiner Ebene, für das starke psychologische Gleichgewicht.

In meinem ersten Buch beschrieb ich es bereits: Zum Ende des Jahres 2002 verlor Rosi aus ungeklärten Gründen am rechten Flügel ihre ersten drei langen Schwungfedern. Diese wuchsen zwar mehrere Male wieder nach, aber nur wie ein Korkenzieher. Sahen zerfleddert aus und bei etwa acht Zentimeter Länge fielen sie aus – machten sicheres Fliegen unmöglich. Dieses Federdrama zog sich über fast zwei Jahre (!) hin und noch weitere vier Jahre (!) benötigte sie, dieses schmerzhafte Handicap zu vergessen, uns wieder in allen Punkten zu vertrauen. In dieser Zeit hat sie uns Stück für Stück zu begreifen und umzusetzen gelehrt, was für den rundherum gesunden Graupapagei von Bedeutung ist. Dass Nahrung nicht gleich Nahrung und nicht nur Fressbares sein darf. Die Vitalstoffe zweifelsfrei lebensnotwendig, aber ohne gesunde Psyche, das Immunsystem nicht gesundheitswirksam auf diese Stoffe zugreifen kann. Flugunfähigkeit bedeutet beim Vogel Überlebensangst und Angst löst Stress aus. So dass Rosis Nebennieren vermutlich ständig das Stresshormon Kortisol ausschütteten, so auf den Dauerstress der Flug-Angst reagierten. In deren Folge nicht nur ihr Immunsystem geschwächt wurde. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, sahen wir nicht den Tierarzt mit seiner Medizin gefragt, sondern allein unsere umsichtige Fürsorge.

Sechs Jahre völlig undenkbar, in einer geöffneten Schublade zu stöbern.

Rosi genießt Vertrauen und lässt sich gern durch die Gegend tragen.

Aber lesen Sie in den nachfolgenden Abschnitten selbst, von unseren Erkenntnissen. Von einer spannenden Entwicklung, die wir so niemals vermutet hätten. Mit welchen Aktivitäten wir Rosis Psyche und in der Folge das Immunsystem wieder auf starke Füße gestellt – wo auch das Fliegen wieder perfekt wurde – und welch erstaunlichen Beitrag meine Frau und welche Vitalstoffe dabei geleistet haben. Rosis Wurzeln Rechnung tragend, agieren wir jedoch so oft es geht auf ihrer Ebene. Gewährleisten ihr das Dazugehören wollen auf Augenhöhe. Eine Vorgehensweise, die sich als ein Erfolgsrezept gegen negativen Stress erwiesen hat. Doch stets bewusst, dass kein Graupapagei eine Gesundheits- und Wohlfühl-Garantie geben wird.

Heute staunen wir selbst, wie wir das fast sechs Jahre durchgehalten haben. Trotz aus unserer Sicht intakter sozialer Gemeinschaft haben wir ständig an Ecken und Kanten „gefeilt“ und probiert und die Hoffnung nie aufgegeben, unsere Rosi wieder so lebenslustig zu erleben, wie wir sie in den ersten fast zwei Lebensjahren erleben durften. Das Orientieren an der „Quelle“, das Erkennen und zeitnahe Reagieren auf ihre Signale, zahlten sich für eine dauerstressfreie starke Psyche bei Rosi aus. Das erfuhren wir unmissverständlich, aber erst nach sechs Jahren (!) mit diesem eingeschränktem Vertrauen. Ende April des Jahres 2008, über Nacht und für uns beide völlig überraschend.

Rosi saß beim morgendlichen Reinigungsprogramm wie immer draußen auf ihrem Klettergestell und putzte sich. Als ich eine Schublade der Anbauwand öffnen musste, kam sie plötzlich auf die Sofalehne hinter mir geflogen und fiepte ihren mir bekannten Bettel-Ton. Na gut, sie schaffte ja diese Entfernung wieder zu fliegen und attackierte oft mit Vergnügen das feuchte Staubtuch – bettelte aber dabei nicht. Was dieses Betteln nun bedeuten sollte, ich hatte absolut keine Ahnung! Auch warum mir der Gedanke kam, den Versuch zu wagen, meinen Finger vor ihre Beine zu halten, weiß ich heute nicht mehr zu sagen. Jedenfalls traute ich meinen Augen nicht: Rosi stieg auf meinen Finger! Das erste Mal seit so vielen Jahren, ohne ängstliches Gehabe, ganz einfach so, wie sie es vor dem Federverlust ihres rechten Flügels getan hatte.

Immer bei „ihrer“ Christiane – Rosi beim Kartoffelfuttern.

Vor diesen Fingern, von denen vor sechs Jahren jeder Flugversuch sehr schmerzhaft auf dem Fußboden endete und der Psyche einen „Knacks“ verpasste, sollte sie auf einmal keine Angst mehr haben? War es Vertrauen oder nur Neugier, was sich wohl in der geöffneten Schublade befinden könnte, diesen mutigen Schritt zu wagen? Jetzt war ich gefragt. Dieser plötzliche Vertrauensbeweis, wieder freiwillig auf den Finger zu steigen, musste wie ein zartes Pflänzchen behandelt werden. Jetzt keinen Fehler machen, war mein Gedanke. So führte ich meinen Finger mit Rosi zur geöffneten Schublade. Mit angepresstem Gefieder betrachtete sie den Inhalt. Bereit sofort durchzustarten, sollte sich darin etwas bewegen. Ich war natürlich hocherfreut über die plötzliche Vertrauens-Geste und der Hoffnung, dass ich nun die geplanten Vorhaben darauf aufbauen kann – unsere Bemühungen schon erste Früchte tragen. Mit freudiger Kinderstimme lobte ich Rosi und wurde mit zartem Beknabbern meines Fingers bedacht. Nach ein paar Minuten flog sie allein wieder auf ihren Käfig und schüttelte dort erst einmal sichtbar erleichtert ihr Schwänzchen. Ich hatte diese Überraschung eigentlich noch gar nicht richtig verarbeitet. War dieses Ereignis eine „Eintagsfliege“ oder war für Rosi jetzt der Zeitpunkt reif, auf der Grundlage ihrer mit uns beiden gesammelten Erfahrungen wieder das Vertrauen zu vergeben, dass wir vor Jahren schon einmal verdient hatten? Zahlen sich unsere Maßnahmen schon positiv aus? Vorsichtig sage ich ja, wollte aber erst noch den nächsten Tag abwarten.