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Nr. 2888

 

Garde der Gerechten

 

Kampf in der RAS TSCHUBAI – der Gegner beherrscht die Zentrale

 

Hubert Haensel / Susan Schwartz

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Streiflichter an Bord

2. Unverhofft kommt oft

3. Ein schlechter Start in den Tag

4. Eine Schlacht gewonnen, nur noch nicht den Krieg

5. Unverhoffte Verbündete?

6. Die Fäden laufen zusammen

7. Ein Angebot, das niemand ablehnen kann

8. Tod, aber auch Leben

9. Was immer es sein will

10. Die Jagd

11. Keine leere Drohung

12. Die Jagd geht weiter

Report

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Im Jahr 1522 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) befindet sich Perry Rhodan fernab der heimatlichen Milchstraße in der Galaxis Orpleyd. Dort liegt die Ursprungswelt der Tiuphoren, eines Volkes, das unendliches Leid über viele Welten gebracht hat, ehe der ominöse »Ruf der Sammlung« sie dorthin zurückbeorderte.

In Orpleyd muss Perry Rhodan erkennen, dass die Galaxis seltsamen, nicht vorhersehbaren Zeitabläufen unterliegt – manchmal vergeht die Zeit innerhalb der Sterneninsel langsamer als im restlichen Universum. Zudem herrschen dort die Gyanli nicht nur über die Tiuphoren – sie arbeiten auch auf ein nebelhaftes Ziel hin.

Allmählich kristallisiert sich für Rhodan die Vermutung heraus, dass aus Orpleyd eine Materiesenke entstehen soll – eine Entwicklungsstufe, von der gemeinhin angenommen wird, sie liege zwischen jener der Superintelligenzen und der der Chaotarchen. Ein Name taucht dabei auf: KOSH, das Lot.

Von alldem weiß die Mannschaft der RAS TSCHUBAI noch wenig, die ebenfalls nach Orpleyd geflogen ist, um Perry Rhodan zu retten. Ehe es dazu kommt, fällt das Schiff allerdings in die Hände der Gyanli. Bei der Rückeroberung des Raumers begegnet der Besatzung die GARDE DER GERECHTEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Col Tschubai – Der Nachfahre eines legendären Teleporters schreibt weiter an den Tschubai-Chroniken.

Perry Rhodan – Der Unsterbliche begegnet einem vielgestaltigen Feind.

ANANSI – Die Semitronik bleibt im Koma.

1.

Streiflichter an Bord

 

Tagebuchnotiz Col Tschubai, 19. September 1522 NGZ.

Der Befreiungskampf gegen einige Tausend Gyanli, die sich in unserem Schiff festgesetzt haben, hat begonnen. Ich befürchte, dass es allen ausgiebigen Vorbereitungen zum Trotz eine blutige Angelegenheit wird.

Unsere Truppen, unterstützt von einem Heer von Kampfrobotern, haben die Anweisung, Leben zu schonen, wo immer es möglich ist. Das ist Perry Rhodans Handschrift, und selbst wenn mein Wort wenig Gewicht hat, stehe ich in der Hinsicht voll hinter ihm. Wir wollen keine Rache, sondern über kurz oder lang hoffentlich Verständigung. Ob es so kommen wird, ich wage es nicht zu beurteilen. Dass die Herren der vereisten Galaxis Orpleyd keineswegs klein beigeben werden, steht jedenfalls fest. Sie haben bewiesen, dass sie über Leichen gehen.

Ich frage mich, was der heutige Tag bringen wird. Sieg – oder neue Verzweiflung?

Unser Schicksal liegt in unseren eigenen Händen. Diesen Ausspruch hat mein Ahnherr Ras in seiner Chronik hinterlassen. Er war ein kluger Mann mit dem Herz am rechten Fleck. Manchmal glaube ich, ihn posthum schon sehr genau zu kennen, aber dann erscheint er mir wieder fremd wie ein Geist aus einer anderen Zeit.

 

*

 

Ich ging durch den gut drei Meter durchmessenden holografischen Aufriss der RAS TSCHUBAI, des mächtigen Raumschiffs, das nach meinem Ahnherrn benannt worden war, und versuchte mir vorzustellen, was gerade in diesem Moment überall an Bord geschah. Mehr als ein Konglomerat wirrer Szenen wurde allerdings nicht daraus.

Das Schiff war ein Kugelgigant mit dreißig Hauptdecks von jeweils hundert Metern Gesamthöhe, jedes dieser Decks in bis zu zwanzig Etagen untergliedert. Das begehbare Holo zeigte einen weitgehend aktuellen Stand, der sich aus den Meldungen unzähliger Sensoren und Positroniken zusammensetzte wie ein gigantisches Puzzle.

Die Schäden, die der Angriff der Gyanli hinterlassen hatte, waren eingespeist, trotzdem fehlte ANANSIS permanente Korrektur.

Die Semitronik, die das Schiff erst zu dem machte, was es war, lag unverändert im Koma – eine Absicherung gegenüber dem Missbrauch, den die Gegner zweifellos mit ihr im Sinn hatten. Gehorchte ihnen ANANSI, war die RAS endgültig für uns verloren.

Zum Glück waren lebenswichtige Aggregate von den Zerstörungen verschont geblieben. Triebwerke, Energieerzeuger und Energiespeicher blieben weitgehend unbeschädigt, schließlich wollten die Gyanli die RAS TSCHUBAI für ihre eigenen Zwecke benutzen.

Trotzdem tat es weh, die Vielzahl der zwar verschmerzbaren, aber für uns Bewohner dieser durch den Weltraum reisenden Kleinstadt schmerzhaften Ausfallmarkierungen zu sehen: Hangars, Beiboote, Maschinenräume, Labors ... Selbst im Erholungsbereich von Ogygia hatte der Schwarze Sternensturm gewütet.

Tief atmete ich ein – und schloss die Augen. In Gedanken versuchte ich mir zu vergegenwärtigen, mit welchen Erinnerungen ich die Namen all der Toten verband, die sich auf einer viel zu langen Liste reihten und den Verlust zu einer statistischen Größe verfälschten. Wie viel länger würde diese Reihe an Namen werden müssen, ehe wir die RAS TSCHUBAI zurückerobert hätten?

Das alles tat weh. Zwischen der hoffnungsvollen Stimmung an Bord, als wir in der Milchstraße aufgebrochen waren, um die extreme Entfernung von 131 Millionen Lichtjahren zu überwinden, und dem Desaster, das wir nun erlebten, klafften Welten. War das noch dasselbe Schiff, dieselbe Besatzung?

Ich ballte die Hände zu Fäusten.

»Probleme, Col?«, fragte eine bedächtig klingende Stimme.

Ich erkannte die Sprecherin, ohne mich umzuwenden: Zweitmechanikerin Kaadnin. Die Wuutuloxo war mit ihrem Kollegen Uuluk im provisorischen Hauptquartier zurückgeblieben. Der Mechanische Orden war uns eine wertvolle Hilfe, die Wuutuloxo beteiligten sich unmittelbar am Einsatz gegen die Gyanli.

»Ich glaube nicht, Kaadnin«, antwortete ich, während ich mich langsam umwandte.

Ungefähr in Augenhöhe lagen die Decks 20 bis 24 vor mir. Die Projektion zeigte das würfelförmige Unterkunftmodul mit seinen fünfhundert Metern Kantenlänge. Im Holomaßstab immerhin fünfzig Zentimeter, angefüllt mit winzigen Strukturen, die mir die Augen übergehen ließen. Achtundvierzigtausend Wohneinheiten barg der Würfel, und er war nur ein kleines, wenngleich auffälliges Detail. Ein Mehrfaches dieses Volumens beanspruchte allein der Transitions-Strukturkonverter in der unteren Rumpfhalbkugel.

Ich blinzelte leicht benommen.

Kaadnin war bis auf wenige Meter herangekommen, ihre nackten, krallenbewehrten Füße schabten über den Boden. Wie sie mir den kantigen Schädel entgegenreckte, erinnerte sie mich an ein uraltes Reptil.

»Du wirkst erschöpft, Col«, stellte Kaadnin fest. Ihre tiefschwarzen, jeweils von einem Hornkranz umgebenen Augen fixierten mich eindringlich. »So viel Gespür, das zu erkennen, habe ich. Warum quälst du dich mit einem unnötigen Kampf gegen die Müdigkeit? Nimm dir, was dein Körper braucht; das Schiff wird deshalb nicht gleich untergehen.«

Bestimmt würde es das nicht. Ich war nur ein Medienwart, den die Ereignisse für kurze Zeit an die Oberfläche gespült hatten. Dass ich einen bekannten Namen trug, spielte dabei keine nennenswerte Rolle.

Was mein berühmter Ahnherr in dieser Situation getan hätte, brauchte ich nicht zu fragen. Er hätte ausgeharrt. Ich tat es ebenfalls. Vor allem wartete ich darauf, dass ANANSI sich wieder meldete. In bestimmten Zeitabständen erwachte die Semitronik für einen für Menschensinne kaum spürbaren Moment aus ihrem Koma und informierte sich, ob das Schiff weiterhin in der Gewalt der Gyanli stand. Sie hatte diese Momente bisher unter anderem dazu genutzt, um über mein Holotagebuch zu unseren Gunsten in das Geschehen einzugreifen. Ich hatte entsetzliche Angst, dass wir einen solchen Hinweis verpassen würden, nur weil ich dem Schlaf nicht hatte standhalten können.

Sollte ich etwa in der Zwischenzeit mein Tagebuch einem anderen überlassen? Nein.

Nicht der Wuutuloxo, und nicht einmal Perry Rhodan. In der Hinsicht war ich eigen.

Ich musterte die Deckstrukturen im Holo und hatte Mühe, mein Gähnen zu unterdrücken. Die Farbanzeigen waren umgesprungen. Hatten sie vor gut zwanzig Minuten noch warnend erkennen lassen, dass Gyanli auf den Etagen 21-05 bis 22-18 vermutet wurden, galt mittlerweile die Bedrohung als beseitigt. Mein Privatquartier lag auf Hauptdeck 22, ich konnte also bedenkenlos dorthin zurückkehren.

Hinweise auf Gefechte in dem Bereich, wie ANANSI sie gegeben hätte, fehlten. Ja: Ohne die Semitronik war die RAS TSCHUBAI nur ein Raumschiff.

Kaadnin räusperte sich rau. Weit riss sie ihren Mund auf, in dem oben und unten jeweils ein breiter Schneidezahn dominierte. Die deltaförmigen scharfen Zähne dahinter erinnerten an ein Raubtiergebiss. Aber die Wuutuloxo schnappte nicht zu. Sie hob vielmehr beide Arme und kratzte mit ihren feingliedrigen Fingern über die wie spärlicher Moosbewuchs anmutenden Kopfweiden. Ohne darauf zu achten, scheuchte sie die Putzpflichtigen auf, ihre insektoiden Symbionten, die zumindest Kopf und Hals von Parasiten frei hielten.

»Hauptdeck 15 und 16, einige Hangarbereiche!«, stellte die Zweitmechanikerin fest, ohne mehr als einen flüchtigen Blick auf das Holo zu werfen. »Im Bereich der LAURIN-Staffel wird anscheinend erbittert gekämpft. Ich habe den Eindruck, dass die Gyanli sich einen Fluchtweg freischießen wollen.«

Sollen sie endlich verschwinden! Keiner von uns wird sie zurückhalten!

Ich sprach den Gedanken nicht aus. Mir war schlagartig klar, warum die Wuutuloxo diesen Bereich betonte, obwohl etliche Sektionen im Schiff dieselbe rote Einfärbung hatten: Unmittelbar vor Rhodans Aufbruch hatte ich mitbekommen, dass zwei der Angehörigen des Mechanischen Ordens, nämlich Duxaluk und Reeroluk, mit unseren Einsatzkräften zur Sicherung der Großbeiboote im Ringwulsthangar aufgebrochen waren.

Kaadnin kratzte immer aufgewühlter über ihre Kopfweiden. Sie war aufgeregt. Fürchtete sie um die Gesundheit der beiden Mechaniker?

 

*

 

Oberleutnant Snider führte den Trupp aus dreihundert kampferprobten Soldaten und hundert TARA-Kampfrobotern an. Der große Ringwulsthangar lag verlassen vor ihnen, die automatische Beleuchtung war erst mit dem Öffnen des Zugangsschotts aufgeflammt. Eigentlich ein gutes Zeichen, doch Snider verließ sich nicht auf diesen Anschein. Sensoren ließen sich immer irgendwie manipulieren.

Das war seine Überzeugung. Kameraden warfen ihm deshalb überzogenen Pessimismus vor, Snider selbst sprach von gesundem Menschenverstand und Vorsicht.

Er schickte die Hälfte seiner TARAS in den Hangar und ließ sie ausschwärmen.

Alles blieb ruhig.

Die Soldaten hielt er zurück. »Roboter sind mit wenig Aufwand zu ersetzen, ein Menschenleben bedarf größerer Mühe«, pflegte er zu sagen. Es gab kaum jemanden, dem er unbekannt gewesen wäre.

Fünfzig Mann und zwanzig Roboter sicherten den Ringkorridor vor den Hangars. In diesem Bereich war noch am Vortag erbittert gekämpft worden. Explosionen hatten Boden und Decke aufgerissen und Versorgungsleitungen wie die Eingeweide eines monströsen Lebewesens hervorquellen lassen. Thermo- und Impulssalven hatten ihre Spuren in die Wände eingebrannt. Wrackteile lagen weit verstreut, überwiegend handelte es sich um die Überreste von fischähnlich konstruierten gyanen Robotern der BROVDUYK-Klasse.

Neunzig Sekunden, seit die ersten TARAS in den Hangar eingedrungen waren.

»Duxaluk, Reeroluk, was haltet ihr von dieser Ruhe?«, wandte der Oberleutnant sich an die ihn begleitenden Mechaniker. »Sind euch detailliertere Erkenntnisse möglich?«

Vor ihnen erhoben sich Space-Jets der LAURIN-Staffel. Mit ihrem angeflanschten zylinderförmigen Paratronkonverter erreichten die Diskusschiffe eine Standhöhe von 30 Metern. Wie Riesenpilze einer exotischen Welt muteten sie an, die in regelmäßigem Abstand aus dem Boden sprossen.

Tiefer im Hangar standen die Leichten Kreuzer. Zwei der Kugelraumer wiesen schwere äußere Beschädigungen auf. Kein Reparaturteam hatte sich bislang darum gekümmert, ebenso wenig wie um die Zustände draußen auf dem Ringkorridor. Erst musste die RAS TSCHUBAI zurückerobert werden.

Drei Minuten inzwischen.

»Wir vergeuden wertvolle Zeit!«, bemerkte Sniders Stellvertreter, ein ertrusischer Master-Sergeant. »Ich schlage vor, wir dringen ein, erledigen unsere Arbeit und versiegeln den Hangar. Jede Zugriffsmöglichkeit, die wir den Gyanli nehmen ...«

»Spontane Emissionen!«, meldeten die Wuutuloxo wie aus einem Mund.

»Schirmfelder aufbauen!«, kommandierte Snider.

Erst da registrierten die eigenen Sensoren die Signatur aktivierter Speicherbänke. Waffensysteme wurden mit Energie versorgt.

Augenblicke später feuerten Thermo- und Desintegratorgeschütze einer der Space-Jets. Eine Glutwoge brandete gegen die Hangarinnenwand und floss brodelnd auseinander, mehrere TARAS vergingen in heftigen Explosionen oder wurden pulverisiert.

Der nächste Feuerschlag der Space-Jet galt einem der Leichten Kreuzer. Die Hülle des Kugelraumers wurde aufgerissen, die tobenden Energien brachen nach innen durch und ließen die ersten Aggregate explodieren ...

 

*

 

Tagebuchnotiz Col Tschubai.

Eine Stunde ist seit dem Zwischenfall im Ringwulsthangar verstrichen. Ich berichtige mich: »Zwischenfall« ist keineswegs das richtige Wort. Was in dem Hangar geschah, hätte leicht das Leben einiger hundert Raumsoldaten beenden können.

Mittlerweile hat sich die Situation dort entspannt, und das ist nicht zuletzt der Umsicht von Oberleutnant Snider zu verdanken. Ich habe mitbekommen, dass Perry Rhodan kurz den Hangarbereich aufgesucht und sich bei Snider bedankt hat – und natürlich versucht, die Gyanli in der Space-Jet zur Aufgabe zu bewegen. Leider wissen wir nicht, wie viele sich in dem Beiboot festgesetzt haben.

Zweitmechanikerin Kaadnin, die die Gyanli besser kannte als wir, behauptete, sie hätten keineswegs die Absicht, die RAS TSCHUBAI zu verlassen. Ebenso wenig wäre es ihr Ziel, besonders großen Schaden anzurichten. Vielmehr hätten sie sich nur in eine möglichst gute Verteidigungsposition bringen wollen.

Wir haben jedenfalls eine Pattsituation, seitdem es Duxaluk und Zweitmechaniker Reeroluk gelang, über Fernzugriff die Energiesysteme der Space-Jet zu blockieren. Das Beiboot ist von Kampfrobotern umstellt, den Gyanli wird letztlich keine andere Wahl bleiben, als sich zu ergeben.

Der Oberleutnant denkt nicht daran, die Jet zu stürmen. Er weiß die Zeit dabei auf seiner Seite, denn den Gegnern sind die Hände gebunden, sie sind nicht einmal in der Lage, das Schiff zu sprengen.

Ob sie begreifen werden, dass Menschen anders denken als sie?

Eines wüsste ich gerne: Ras, hast du dich jemals mit ähnlichen Überlegungen befasst? Gib deinen Gegnern Gelegenheit, dir dankbar zu sein, indem du ihnen das Leben schenkst – genau diese Absicht steckt hinter Sniders Handeln.

Wie war das damals, in der Anfangszeit des Solaren Imperiums, als alles Fremde für die Terraner wirklich fremd und bedrohlich war? Wer gerade erst gelernt hatte, der eigenen Art zu vertrauen, neigte wohl dazu, vieles falsch zu verstehen.

 

*

 

»Sie sind vor uns«, sagte Pey-Ceyan im Flüsterton. »Ich schätze ihre Zahl auf fünfzehn bis zwanzig.«

Perry Rhodan hatte die junge Larin einem Trupp von dreißig erfahrenen Raumlandesoldaten zugeteilt, die dem Befehl eines alten Haudegens unterstanden. Captain Bittersworth gehörte mit seinen 160 Jahren zu den erfahrensten Offizieren an Bord der RAS TSCHUBAI. Er neigte zu körperlicher Fülle, war mit 1,65 Metern nicht gerade groß, hielt sich aber stets bolzengerade.

Böse Zungen behaupteten, Julian Bittersworth sei eine Wirbelsäule aus Terkonitstahl eingesetzt worden, die es an Beweglichkeit vermissen lasse.

Mit der Wirbelsäule hatten die Spötter sogar recht, allerdings bestand sie nicht aus Terkonit, sondern war aus einer stabilen Kohlenstoff-Metall-Verbindung geflochten – ein bleibendes Andenken an die Invasion der Chaosmächte in der Milchstraße.

Bittersworth war tot gewesen, deutlich länger als dreißig Minuten, doch zwei Medoroboter hatten ihn ins Leben zurückgeholt. Seitdem behauptete er zu wissen, wie es im Jenseits sei. Ihm habe es dort zwar gefallen, aber zunächst wolle er sein Leben als Terraner bis zur Neige auskosten.

Mit beiden Händen, Zeigefinger und Daumen abgespreizt wie ein virtuoser Orchesterleiter, dirigierte er seine Leute. Sie verteilten sich lautlos in dem schwer zu durchschauenden Dickicht aus massigen Rohrleitungen, Tanks und Filteranlagen. Die Abwasseraufbereitung der RAS TSCHUBAI mutete an wie eine plumpe, kompakte Stadt einer fernen Epoche. Mitunter war sie ein unheimlicher Ort voller Geräusche und unangenehmer Gerüche. Es blubberte, pochte und zischte, sobald Gärprozesse nach dem Druckabbau neu eingeleitet wurden. Die Anlagen arbeiteten wartungsfrei; die überwachenden Positroniken störten sich nicht an unangenehmen Empfindungen – die Gyanli allem Anschein nach ebenso wenig.

Und?, fragte Major Bittersworths eindringlicher Blick.

»Ich kann nicht alle Gedanken erfassen«, raunte Pey-Ceyan. »Und die leider nicht einmal besonders verständlich. Die Gyanli scheinen verwirrt zu sein.«

»Ihr Selbstwertgefühl wurde angekratzt«, vermutete Bittersworth.

Pey-Ceyan schwieg, hob das Kinn und drückte mit beiden Händen gegen ihr rotes Drahthaar.

»Was ist los?«, drängte der Major. »Ich habe dir nicht gestattet, in meine Gedanken einzudringen. He, Larin«, er wedelte mit der Hand vor ihren Augen, »bist du noch da?«

Fast eine halbe Minute verstrich, dann zuckte Pey-Ceyan zusammen. »Ihr Selbstwertgefühl, ja«, bestätigte sie. »Sie verstehen nicht, dass wir ihnen die Roboter genommen haben. Auf gewisse Weise fühlen sie sich entblößt, ihrer Stärke beraubt. Sie sind es nicht gewohnt, eine Auseinandersetzung zu verlieren.«

»Nicht unser Problem. Im Leben muss man sich an alles gewöhnen.« Bittersworth holte tief Luft. »Bewaffnete Wachposten? Sensorsperren? Hast du da was aufgeschnappt?«

»Nichts. Keine Gedanken an Verteidigung.«

Bittersworth tippte auf sein Multikom. »Waffen auf Paralysemodus! SERUNS schließen!« Er bedachte Pey-Ceyan mit einem leicht bedauernd wirkenden Blick. »Schutzschirme aktivieren! Man kann nie wissen«, fügte er hinzu. »Und nun kaufen wir sie uns!«

Keine fünf Minuten später beendete Bittersworth die Aktion.

Er betrachtete die reglosen Gyanli nachdenklich. Es waren achtzehn. Die Amphibienwesen hatten nicht einmal eine Chance erhalten, sich zur Wehr zu setzen.

»Jetzt tragen wir die Verantwortung für sie, so abscheulich wir das finden, was sie uns und dieser Galaxis antun«, stellte der Captain fest. »Wir brauchen eine Lastenplattform, um sie abzutransportieren. Allerdings dürfen wir nicht übermütig werden, einen solchen Fang machen wir bestimmt kein zweites Mal.«

 

*

 

Tagebuchnotiz Col Tschubai.

Es geht auf vier Uhr zu, und ich kann die Augen kaum mehr offen halten. Wann hatte ich zuletzt das Gefühl, ich könnte auf Kommando einschlafen? Das war kurz nach dem Aufbruch der RAS TSCHUBAI aus der Milchstraße. Ich hatte die Politthriller der Terra-Nostalgiker im Bordarchiv entdeckt und mir zwei nacheinander angesehen.

Drei Mal hat sich ANANSI seit Mitternacht aus ihrem Koma heraus über das Tagebuch mit mir in Verbindung gesetzt. Der Wortlaut ist gespeichert, es waren jeweils nur kurze, aufs Wesentliche beschränkte Sätze. Ich habe sie umgehend an Perry Rhodan weitergeleitet. Er war dankbar für die Hinweise, das konnte ich spüren. Sie haben geholfen, bedrohlich werdende Entwicklungen im Keim zu ersticken.

Könnte es einen deutlicheren Beweis dafür geben, dass ANANSI sogar in der Bewusstlosigkeit das Schiff im Griff hat?

Seit eineinhalb Stunden gibt es keinen neuen Kontakt. Vielleicht ist es nicht länger notwendig. Ich will nicht überheblich klingen, nach all den Toten und den Verwüstungen an Bord, aber ich denke, dank Perry Rhodan haben wir die Situation im Griff. Er ist einfach überall – weil ihm bewusst ist, dass er gegen einen starken Feind kämpft.

Die Ergebnisse sehe ich in der Farbverteilung im Holo, immer größere Bereiche scheinen frei von Gyanli zu sein. Die über das Schiff verteilten, vorbereiteten Arrestbereiche füllen sich.

Rhodans Erfahrung zahlt sich aus. Drei Jahrtausende Lebenszeit können an einem Menschen nicht spurlos vorübergehen. Ich sehe an Positionsdaten, Berichten und am Bildmaterial der Überwachungsbereiche, dass er seine Truppen vorausschauend und effizient einsetzt. Falls nötig, greift er selbst spontan ein.

Perry Rhodan braucht ANANSIS Hinweise nicht mehr, denn es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Schiff wieder fest in unserer Hand sein wird. Die Semitronik weiß das und schweigt wohl deshalb.

Mich braucht er erst recht nicht. Deshalb werde ich endlich das tun, was Zweitmechanikerin Kaadnin mir schon vor Stunden geraten hat: Ich quäle mich nicht länger mit dem Kampf gegen die Müdigkeit.

2.

Unverhofft kommt oft

 

Perry Rhodan war unterwegs, inmitten eines Gevierts aus Raumsoldaten. Es gab keinerlei Anzeichen einer akuten Bedrohung.

Innerhalb weniger Sekunden kippte die Situation.

Ohne Vorwarnung schlug sich einer von Rhodans Begleitern mit der Hand an die Wange und brach zuckend zusammen.

»Traktatoren!«, rief Rhodan, der als Sofortumschalter umgehend begriff, was geschah: Nur Gyanli benutzten diese harpunenartigen Waffen. Die winzige Nadel erzeugte bei einem Treffer extreme Schmerzen und ein Gefühl, innerlich zu verbrennen.

Das Nächste, was er hörte, war ein Gurgeln: Gleich neben ihm war ein Gyanli aufgetaucht, hatte einen Arm um die Kehle des nächststehenden Soldaten gelegt und brach diesem mit einem wilden Ruck das Genick.

»Zurück!«, rief Rhodan, als der zweieinhalb Meter große Angreifer dem Toten dessen Impulsstrahler entwand und auf die drei Menschen richtete.

»Flieht, und ihr sterbt. Bleibt, und gebt eure Gefangenen frei.« Die Worte kamen kalt und klar. Rhodan bezweifelte keine Sekunde, dass der Gyanli es ernst meinte. Die uneingeschränkten Herrscher der Galaxis Orpleyd hatten ihre Skrupellosigkeit bei der Eroberung der RAS TSCHUBAI hinlänglich bewiesen. Sie suchten ihren Vorteil und setzten ihn mit allen Mitteln durch.

Der andere Gyanli kam von der anderen Seite näher und hielt seinen Traktator auf die Menschen gerichtet.

»Gebt eure Gefangenen frei!«, verlangte auch er.

Ein Soldat versuchte, auf den Gyanli zu schießen, aber er kam kaum über den Ansatz hinaus, als ihn bereits der Pfeil des Traktators traf. Der Mann krümmte sich vornüber und stürzte zu Boden.

Nun war neben Rhodan selbst nur noch Leutnant Herm Brankin handlungsfähig, ein besonnener Mann, wie sich in dieser prekären Situation erwies.

»Kein Widerstand!«, forderte Rhodan Brankin auf.

»Gut so«, spottete der Gyanli. Seine Hand mit dem erbeuteten Impulsstrahler zitterte nicht einen Millimeter. »Glaubt ihr Schwächlinge wirklich, dass ihr gegen uns bestehen könnt?«

»Immerhin gelang es uns, eure Roboter auszuschalten«, gab Perry Rhodan zurück.

Obwohl auf das Unvorhersehbare gefasst, hatte er zu langsam reagiert. Vor allem hatte er die Falle nicht rechtzeitig erkannt. Es konnte gar nicht anders sein. Die Attacke einiger Gyanli vor wenigen Minuten, am Übergang zwischen den Hauptdecks 21 und 20, hatte die ihn begleitenden Kampfroboter weggelockt. Und nun ...?

»Du zögerst, weil du auf Unterstützung wartest«, sagte sein Gegner harsch. »Glaubst du, ich wüsste nicht, wer du bist? Ohne dich wird euer Widerstand in unserem Schiff zusammenbrechen.«

Unser Schiff ... Perry Rhodan biss die Zähne zusammen. Die Gegebenheiten an Bord der RAS TSCHUBAI hatten sich während der Nacht umgekehrt.

Obwohl die Gyanli seinen Truppen teils erbitterte Rückzugsgefechte entgegensetzten, standen sie ohne ihre Kampfroboter auf verlorenem Posten. Es war nur eine Frage der Zeit, wann die letzten Gyanli außerhalb der abgeriegelten Kernzelle ausgeschaltet sein würden.

»Als Gefangener könntest du für uns interessant sein, Rhodan«, fuhr der Gyanli fort. »Trotzdem werde ich dich sofort erschießen, falls du dich unseren Wünschen weiter verweigerst. Du bist keineswegs unersetzlich.«